Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das zehnte Capitel. Gebet um Selbstverläugnung.

Gerhardt, Johann - Tägliche Übung der Gottseligkeit - Dritte Abtheilung. - Das zehnte Capitel. Gebet um Selbstverläugnung.

Jesu Christe, Sohn des lebendigen Gottes, der du in deinem Worte ausrufst: Wer mein Jünger seyn will, der verläugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir! ich bitte dich um deines allerheiligsten Todes und deiner Kreuzigung willen, bringe in mir die Selbstverläugnung zu Stande, die du verlangst. Ich weiß, daß es leichter ist, alle Creaturen zu verlassen, als sich selbst zu verläugnen. Was ich daher von mir selbst nicht leisten kann, das bitte ich demüthig, wollest du in mir vollbringen. Es sollen in mir schweigen die Wünsche des Eigenwillens, daß ich deine göttlichen Reden hören kann! Es sollen ausgereutet werden aus meinem Herzen die Fasern der Eigenliebe, daß in mir die lieblichsten Pflanzen der göttlichen Liebe wachsen! Ganz will ich mir und meinen Lüsten sterben, daß ich ganz dir und deinem Willen lebe. Mein Wille ist veränderlich und beweglich, unstät und unbeständig. Gib daher, daß ich deinem Willen den meinigen unterwerfe, und dir allein als dem unveränderlichen und beständigen Gute ungetheilt anhange! Dann erst wachsen in uns die göttlichen Tugenden, wenn die natürlichen Kräfte abnehmen; dann erst werden unsere Werke in Gott gethan, wann in uns der Eigenwille getödtet ist; dann erst sind und leben wir wahrhaft in Gott, wann wir in uns selbst gleichsam zu nichts werden und verschwinden. Tödte also, o wahres Leben, meinen Willen, daß ich anfange, wahrhaft dir zu leben! Was in uns vor Gott gelten und ihm gefallen soll, das muß von ihm in uns herabkommen. Gott allein ist daher alles Gute zuzuschreiben, und was sein eigen ist, das müssen wir ihm lassen. Was in uns glänzet und schimmert, das entsteht von dem ewigen und unveränderlichen Lichte, welches die Finsterniß, die unserm Verstande angeboren ist, bestrahlen möge! Auf diese Weise leuchte daher unser Licht vor den Leuten, nicht daß uns, sondern daß Gott daraus Ehre erwachse. Dieses Licht der wahren Erkenntniß zünde in meinem Verstande an, o Christe, wahres Licht! Diese Verläugnung der eigenen Ehre wirke in meinem Herzen, o Christe, wahrer Ruhm des Vaters! Es ist mir besser in dir, als in mir. Wo nicht mein Ich gilt, da bin ich glücklicher daran. Meine Schwachheit wünscht sich auf deine Kraft zu stützen; mein Nichts begehrt nach deiner Stärke. Dein heiliger Wille geschehe auf der Erde meines Fleisches, damit dein himmlisches Reich in meine Seele komme. Tödte in mir die Eigenliebe und eigene Ehre, damit sie nicht das Kommen deines Reiches hindere! Wenn es das ganze Gut eines Menschen ist, Gott zu lieben, so muß das ganze Uebel eines Menschen seyn, sich selbst zu lieben. Wenn das die Art des wahren Gutes ist, daß es sich mittheilt, so wird die Eigenliebe, welche die eigenen und Anderer Güter sich anmaßt, ein großes Uebel seyn. Wenn Gott allein aller Ruhm gebührt, so wird die eigene Ehre, die fremde Güter an sich zieht, der größte Diebstahl seyn. Diese Leidenschaft der Eigenliebe und eigenen Ehre tilge in mir aus, o Christe, gebenedeiet in Ewigkeit! Amen.

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