Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von dem Wesen und den Eigenschaften des wahren Glaubens.
Der Glaube ist lebendig und siegreich, wenn er wahr ist.
O geliebte Seele, betrachte die Kraft des Glaubens und sage Gott Dank, dem einigen Geber des Glaubens. Der Glaube allein pflanzt uns unserm Erlöser wieder ein, so dass gleichwie die Reben den Saft aus dem Weinstock so wir aus ihm das Leben, die Gerechtigkeit und das Heil schöpfen Joh. 15,4. Adam ging der Gnade Gottes verlustig und verlor das göttliche Ebenbild durch seinen Unglauben; in die Gnade werden wir wieder aufgenommen und das Ebenbild Gottes beginnt in uns wieder hergestellt zu werden durch den Glauben. Durch den Glauben wird Christus unser und wohnet in uns Eph. 3,17; wo aber Christus, da ist die Gnade Gottes, wo die Gnade Gottes, da ist das Erbe des ewigen Lebens. Durch den Glauben hat Abel Gott ein großer Opfer getan denn Kain Ebr. 11,4: so bringen wir Gott geistliche Opfer durch den Glauben, nämlich die Frucht unserer Lippen Ebr. 13,15. Durch den Glauben ward Enoch weggenommen Ebr. 11,5: so versetzt uns der Glaube aus der menschlichen Gesellschaft in die himmlische Gemeinschaft auch jetzt in diesem Leben. Denn Christus wohnt bereits in uns, das ewige Leben ist bereits in uns, aber verborgen Col. 3,3. Durch den Glauben hat Noah die Arche zubereitet Ebr. 11,7: so gelangen wir durch den Glauben in die Kirche, in der die Seelen bewahrt werden, während alle Übrigen in dem weiten Meer der Welt untergehen. Durch den Glauben ist Abraham aus dem götzendienerischen Land gegangen Ebr. 11,8: so gehen wir aus der Welt, verlassen Eltern, Geschwister und Verwandte, und folgen der Stimme Christi, der uns ruft. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen und hat des verheißenen Landes gewartet Ebr. 11,9: so warten wir im Glauben des himmlischen Jerusalem Off. Joh. 21,2, welches Gott uns droben bereitet hat. Wir sind Gäste und Fremdlinge in dieser Welt Ebr. 11,13, und sehnen uns im Glauben nach dem himmlischen Vaterland. Durch den Glauben empfing Sara im hohen Alter ihren Sohn Isaak Ebr. 11,11: so empfangen auch wir geistlicher Weise getötet die Kraft, Christum geistlich zu empfangen. Denn wie Christus in dem heiligen Leib der Jungfrau Maria einmal empfangen worden ist, so wird er in der gläubigen Seele, die sich rein bewahrt von aller Vermengung mit der Welt, geistlicher Weise täglich geboren. Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak Ebr. 11,17: so töten auch wir geistlicher Weise den eigenen Willen, den geliebten Sohn unsres Herzens, und opfern ihn; denn wer Christo nachfolgen will, der muss sich selbst verleugnen Matth. 16,24, das ist auf den eigenen Willen, auf die eigene Ehre, auf die eigene Liebe verzichten. Durch den Glauben hat Isaak den Jacob gesegnet Ebr. 11,20: so werden wir durch den Glauben aller göttlichen Segnungen teilhaftig; denn in dem Samen Abrahams, das ist in Christo, werden alle Völker gesegnet 1 Mos. 22,18. Durch den Glauben redete Joseph von dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten, und tat Befehl von seinen Gebeinen Ebr. 11,22: so hoffen wir im Glauben auf den Ausgang aus diesem geistlichen Ägypten, nämlich aus der Welt, und auf eine selige Auferstehung des Leibes. Durch den Glauben ward Mose drei Monden bewahrt Ebr. 11,23: so verbirgt uns der Glaube vor der Tyrannei des Satans, bis wir endlich in das königliche Gemach Gottes kommen und zu geistlichen Königen angenommen werben. Durch den Glauben erwählte Mose viel lieber das Ungemach seines Volkes zu teilen, als in der Pracht Ägyptens zu leben Ebr. 11,25: so erweckt der Glaube in uns die Verachtung der Herrlichkeit, der Ehre, des Reichtums und der Lüste dieser Welt, und das Verlangen nach dem Himmelreich. Durch den Glauben erwählen wir viel lieber die Schmach Christi, als die Schätze dieser Welt. Durch den Glauben verließ Mose Ägypten und fürchtete nicht des Königs Grimm Ebr. 11,27: so stärkt und kräftigt uns der Glaube, dass wir uns nicht durch die Drohungen der Tyrannen dieser Welt schrecken lassen, sondern mutigen und festen Geistes der Stimme Gottes gehorchen. Durch den Glauben feierte Israel das Pascha Ebr. 11,28: so feiern auch wir durch den Glauben das Pascha. Unser Pascha ist Christus, für uns geopfert 1 Kor. 5,7, dessen Fleisch die rechte Speise, und dessen Blut der rechte Trank ist Joh. 6,55. Durch den Glauben gingen die Israeliten durch das rote Meer Ebr. 11,29: so gehen wir durch den Glauben durch das Meer dieser Welt. Durch den Glauben fielen die Mauern zu Jericho Ebr. 11,30: so zerstören wir durch den Glauben alle Festungen des Satans 2 Kor. 10,5. Durch den Glauben ward Rahab nicht verloren Ebr. 11,31: so werden wir bei dem allgemeinen Untergang dieser Welt durch den Glauben bewahrt werden. Durch den Glauben haben die Väter Königreiche bezwungen, der Löwen Rachen verstopft, des Feuers Kraft ausgelöscht Ebr. 11,33.34: so bezwingen auch wir durch den Glauben das Reich des Satan, entgehen den Nachstellungen und der Wut des höllischen Löwen, und werden von der Glut des höllischen Feuers befreit.
Der Glaube ist aber nicht eine bloße Meinung und Bekenntnis, sondern eine lebendige und wirksame Ergreifung Christi, der sich im Evangelio uns darbietet; er ist die vollste Gewissheit von der Gnade Gottes, eine zuversichtliche Ruhe unsers Herzens und ein Friede, der auf Christi Verdienst sich gründet Ebr. 11,1. Dieser Glaube wird aus dem Samen des göttlichen Wortes geboren, denn der Glaube und der Geist sind eins, das Wort aber ist der Träger des Heiligen Geistes. Die Frucht gleicht dem Wesen ihres Samens. Der Glaube ist eine göttliche Frucht, also muss auch göttlicher Same da sein, nämlich das Wort. Wie bei der Schöpfung das Licht durch das Wort Gottes entstand, denn Gott sprach, und es ward Licht 1 Mos. 1 3: so entspringt das Licht des Glaubens aus dem Licht des göttlichen Wortes: in deinem Lichte sehen wir das Licht Ps. 36,10, spricht der Psalmist. Da der Glaube uns mit Christo verbindet, uns mit Christo vereinigt, darum ist er auch in uns die Mutter aller Tugenden: wo der Glaube, da ist Christus; wo Christus, da ist heiliges Leben, nämlich wahre Demut, wahre Sanftmut, wahre Liebe. Christus und der Heilige Geist trennen sich nicht von einander: wo der heilige Geist, da ist wahre Heiligkeit. Also wo kein heiliges Leben ist, da ist auch der heiligende Geist nicht; wo der Geist nicht ist, da ist auch Christus nicht; wo Christus nicht ist, da ist auch der wahre Glaube nicht. Eine jegliche Rebe, die ihr Leben und ihren Saft nicht aus dem Weinstock zieht Joh. 15,4, die ist auch nicht anzusehen, als wäre sie mit dem Weinstock verbunden: so sind auch wir durch den Glauben noch nicht mit Christo verbunden, wenn wir nicht das Leben und die Kraft zum Leben aus ihm ziehen. Der Glaube ist ein geistliches Licht; denn durch den Glauben werden die Herzen erleuchtet; darum breitet er um sich her die Strahlen der guten Werke aus. Wo aber die Strahlen des geistlichen Lebens nicht sind, da ist auch noch nicht das wahre Licht des Glaubens. Böse Werke sind Werke der Finsternis Röm. 13,12: der Glaube ist aber ein Licht, was hat aber das Licht für eine Gemeinschaft mit der Finsternis? 2 Kor. 6,14. Böse Werke sind der Same des Teufels Matth. 13,25; der Glaube ist der Same Christi: welche Gemeinschaft hat aber Christus mit dem Satan? 2 Kor. 6,15. Durch den Glauben werden die Herzen gereinigt Ap. Gesch. 15,9: wie aber kann innere Reinheit des Herzens bestehen, wo unreine Worte und unreine Werke äußerlich offenbar werden? Der Glaube ist unser Sieg 1 Joh. 5,4: wie also kann da der wahre Glaube sein, wo das Fleisch den Geist überwindet und gleichwie gefangen führt? Durch den Glauben haben wir Christum und in Christo das ewige Leben: aber kein Unbußfertiger und beharrlicher Sünder ist des ewigen Lebens teilhaftig, wie also Christi? wie des Glaubens? Zünde in uns, o freundlicher Christus, das Licht des wahren Glaubens an, damit wir durch den Glauben die ewige Seligkeit erlangen!