Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Vom Eifer in der wahren Demut.
Was ist der Mensch? Was ist Auszeichnung? Nichts sind sie!
Bedenke, o gläubige Seele, das elende Los des Menschen, und du wirst mit Leichtigkeit allen Versuchungen zum Hochmut entgehen Sir. 10,9. Der Mensch ist kläglich beim Eintritt, erbärmlich im Fortschritt, beklagenswert beim Austritt; er wird von den bösen Geistern bekämpft, durch Versuchungen beängstigt, durch Ergötzlichkeiten gereizt, durch Trübsale zu Boden geworfen, in Sünden verstrickt; er ist entblößt von Tugenden, in den Netzen böser Gewohnheiten gefangen. Was erhebst du dich also, Erde und Asche? Was warst du vor deinem Ursprunge? Ein stinkender Same. Was im Leben? Ein Kotsack. Was nach dem Tod? Eine Speise der Würmer. Ist was Gutes in dir, so ist das nicht dein eigen, sondern Gottes. Dein eigen ist nichts als die Sünde. Darum rechne dir nichts zu von dem, was in dir ist, außer deine Sünden. Du bist ein unnützer und treuloser Knecht, der mit den Gütern seines Herrn sich brüsten will.
Sieh, o Mensch, das Beispiel Christi an. Ihm ist alle Herrlichkeit des Himmels zu Dienst, ja er selbst ist die wahre Herrlichkeit, und doch verachtet er allen weltlichen Ruhm.
Er ruft noch: Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig, und von Herzen demütig Matth. 11,29. Ein wahrer Liebhaber Christi ist auch ein Nachfolger Christi. Wem Christus lieb ist, dem ist auch seine Demut lieb. Es erröte und schäme sich der Knecht, der stolz ist, da der Herr des Himmels so demütig ist. Es sagt unser Erlöser von sich, dass er eine Rose sei im Tal Hohel. 2,1, nämlich weil er selbst, der die edelste Blume ist, geboren wird und nicht auf den Bergen weilt, das ist, in stolzen und aufgeblasenen Herzen, sondern in den tiefer gelegenen Tälern, das ist, in den zerknirschten und demütigen Herzen der Frommen: denn fürwahr die demütige Seele ist der Sitz und die süße Ruhekammer Christi, wie ein Heiliger (Augustinus) sagt. Die wahre Gnade bläht nicht auf, sondern demütigt. Darum ist noch nicht teilhaftig der wahren Gnade, wer nicht in Demut des Herzens einher gehet. Die Ströme der göttlichen Gnade fließen niederwärts, nicht aufwärts. Wie die Wasser ihrer Natur nach nicht hoch gelegene Orte suchen, so strömt die göttliche Gnade nur hin zu demütigen Herzen. Im Psalm (113,5.6.) heißt's: Der Herr hat sich hoch gesetzt, und sieht auf das Niedrige, im Himmel und auf Erden. In Wahrheit das ist wunderbar, dass wir zum erhabensten und höchsten Gott nur durch Demut gelangen. Wer in seinen Augen gering ist, der ist in Gottes Augen groß; wer sich missfällt, der gefällt Gott. Aus Nichts hat Gott Himmel und Erde gemacht. Wie es bei der Schöpfung gewesen ist, so ist es noch bei der Wiederherstellung des Menschen: Gott schafft aus Nichts Ebr. 11,3, stellt wieder her aus Nichts. Damit du also der Schöpfung und Wiederherstellung teilhaftig werdest, sei nichts in deinen Augen, das ist, miss dir nichts bei, schreibe dir nichts zu. Wir sind alle schwach und gebrechlich, für gebrechlicher aber halte Niemanden als dich. Es schadet nicht, wenn du dich für schwächer als alle hältst und aus Demut allen dich unterordnest, aber sehr viel schadet es, wenn du auch nur einem dich vorziehst. Vier und zwanzig Älteste, das ist, die ganze triumphierende Kirche wirft ihre Kronen nieder vor dem Throne Off. Joh. 4,10; erteilt alle Gerechtigkeit und Ruhm Gott. Was soll also der elende Sünder tun? Die Seraphim, heilige Engel, decken ihr Antlitz vor der göttlichen Majestät Jes. 6,2. Was soll der Mensch tun, dieses so geringe und gegen seinen Schöpfer so vielfach undankbare Geschöpf? Christus, der wahrhaftige und eingeborne Sohn Gottes, stieg aus bewunderungswürdiger Demut herab aus dem Himmel und nahm unsere hinfällige Natur an, ließ sich herab ins Fleisch, in den Tod, ins Kreuz Phil. 2,8. Was soll der Mensch tun, der durch Sünden so weit sich von Gott entfernt hat?
Siehe, o gläubige Seele, durch welch eine bewunderungswürdige Demut Christus unseren Hochmut geheilt hat, und du hast noch Lust zum Hochmut? Auf dem Weg der Demut und des Leidens ist Christus zu seiner Herrlichkeit eingegangen Luk. 24,26, und du wandelst auf dem Weg des Hochmuts und denkst, du kannst zur himmlischen Herrlichkeit gelangen? Der Teufel ist um des Hochmuts willen aus dem himmlischen Reich gestoßen worden, und du, da du noch nicht in der himmlischen Herrlichkeit gewesen bist, strebst dahin auf dem Weg des Hochmuts? Adam ist um des Hochmuts willen aus dem Paradies getrieben worden 1 Mos. 3,24, und du begehrst auf dem Weg des Hochmuts zu dem himmlischen Paradies zu gelangen? Wünschen wir vielmehr zu dienen und mit Christo die Füße anderer zu waschen Joh. 13,4.5, als mit dem Teufel um eine würdevollere Stellung uns zu bemühen! Demütigen wir uns in diesem Leben, auf dass wir in dem zukünftigen erhöht werden! Nicht was du hast, sondern was dir mangelt, das bedenke immer, o gläubige Seele! Betrübe dich mehr über die Tugenden, die du nicht hast, als dass du dich rühmen magst der Tugenden, welche du hast. Die Tugenden halte geheim, die Sünden offenbare; denn es steht sehr zu befürchten, dass, wenn du den Schatz der guten Werke durch Rühmen bekannt machst, der Teufel dir ihn wegraubt durch Hochmut. Das Feuer erhält sich am besten, wenn es mit Asche bedeckt wird: so wird das Feuer der Liebe nie sicherer bewahrt, als wenn es unter der Asche der Demut verborgen wird. Hochmut ist die Wurzel aller Sünden, hüte dich also vor Überhebung, damit dir's nicht begegne, dass du in den Abgrund der Sünden gestürzt wirst. Der Hochmut ist ein erwünschtes Ruhekissen des Teufels; hüte dich also vor Überhebung, damit dir's nicht begegne, dass deine arme Seele vom Teufel unterjocht wird. Der Hochmut ist ein brennender und den Duell der göttlichen Gnade austrocknender Wind; hüte dich also vor Überhebung, damit dir's nicht begegne, dass du von der göttlichen Gnade getrennt wirst.
Heile, o Christe, die Aufgeblasenheit unseres Hochmute! Deine heilige Demut sei uns das Mittel zum ewigen Leben, sie sei uns aber auch das Vorbild für unser Leben. Unser Glaube halte sich voll Zuversicht an deine Demut, und unser Leben ahme derselben beharrlich nach.