Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Heiligabend bis Silvester

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Heiligabend bis Silvester

Am heiligen Abend. 24. Dezember.

(Diese Andacht eignet sich nur für den Morgen des heiligen Abende.)

Schmücket das Fest mit Maien, bis an die Hörner des Altars!
Psalm 118, 27.

Es war am Morgen dieses Tages, den wir den „heiligen Abend“ nennen, (heute vor schier drei und ein halb Hundert Jahren,) da steckte Luther's liebe Hausfrau, die Käthe, ihren Kopf in das Arbeitszimmer ihres Mannes hinein. Sie war ein wenig hitzig und fast außer Atem. „Martin,“ sagte sie, „ich kann die Arbeit nicht zwingen und ist gar noch viel zu rüsten; tu mir die Liebe und setze Dich an die Wiege des kleinen Hans, dass Du sein hütest und ich freie Hand bekomme!“ Und der große Doktor, ob er gleich auf's Fest studieren musste, hat sich mit seiner Biblia ganz gehorsam und geduldig an des Kindes Wiege gesetzt, wie die Käthe gesagt hatte. Und wie er so hineingelugt und sein kleines, geringes, ohnmächtiges, schlafendes Kind angeschaut hat, da ist's ihm schier übermächtig geworden im Herzensgrund. Und hat ihn der Gedanke bemeistert, dass der ewige Sohn des Vaters auch so ein armes Menschenkindlein worden sei. Und bald hat er nicht anders können, er hat die Harfe von der Wand genommen und gestimmt und schnell hat's fein geklungen. Denn aller Christenheit zu Gute hat er das herrliche Lied gedichtet und komponiert und gesungen:

„Vom Himmel hoch da komm' ich her,
Ich bring' euch gute neue Mähr,
Der guten Mähr bring' ich so viel,
Davon ich singen und sagen will!“

und wie's weiter geht. Und er ist darüber so freudig worden, dass er sich nachher noch gar bei seiner Käthe hat bedanken müssen, darüber, dass sie ihn an die Wiege postiert hatte.

„Ja,“ höre ich sagen, das ist eine feine Geschichte und das Lied ist auch schön. Wir wollen's am Abend unter dem Christbaum singen. Aber bis dahin ist noch gar viel zu schaffen; wir sehen schier kein Durchkommen. Auch uns geht's wie der Frau Lutherin; wir haben auch unsere Hänschen, Lenchen und Fritzchen zu versorgen und Tausenderlei zu kramen, damit es am Abend hell werden kann.“

Nun, das ist auch recht und nirgends in der Welt ist Weihnachten so schön wie in deutschen Landen und an keinem Tage ist unser Volk so fröhlich wie an diesem Tage. Und die Zurüstung muss auch sein. Darum haben wir uns auch durch den Psalmisten mahnen lassen: „Schmücket das Fest mit Maien, bis an die Hörner des Altars!“ Freilich, Maien gibt's bei uns zu Lande jetzt nicht und ein Altar mit Hörnern ist auch nicht vorhanden. Aber sind's auch keine Maien, nun, so sind's doch Tannen, und ist's kein Altar, so ist's doch ein großer voller Weihnachtstisch, wo die Liebe ihre Opfer bringt. Ja, was wird man heute noch Alles erleben! wie manche alte und neue Hoffnung wird erfüllt, wie manches süße Geheimnis wird geklärt werden! Gott schenke dir viel Freude und liebliche Überraschungen, lieber Leser!

So will ich jetzt auch nicht von der Eitelkeit aller Dinge reden und dass doch schließlich alle diese Herrlichkeit nur nichtig und schwindsüchtig sei. Das wäre sehr unkindlich! Nein, freue dich nur, weil Gott Freude gibt. Von der Eitelkeit aller Dinge wirst du ohnedies wieder frühe genug Erfahrung machen.

Ich will auch nicht mahnen: „Ihr lieben Hausväter und Hausmütter tut des Guten nicht zu viel!“ Das wäre eine unpraktische Rede; damit kommt man heute nicht durch: „Was geschehen muss, muss geschehen!“ Gut, du sollst auch in dem Allen nicht gestört werden: Schmücke das Fest mit Maien! Aber verwirre deine Seele nicht in den äußeren Dingen. Nimm dir doch erst einige Augenblicke und schaue ein wenig in dich hinein und in die Höhe hinauf! Du putzt das ganze Haus, schmückst Christbaum und Weihnachtstisch und wolltest dein eigen Herz vergessen? Das wäre eine böse Sache. Sammle dich, lass das Hetzen. Es ist ein Jammer, aber es ist wahr, dass viele sonst liebe Frauen an keinem Tag im Jahre so unliebenswürdig, so hastig, so gereizt, und viele Christen an keinem Tag so unchristlich sind, wie am Tag vor dem Christtag. Und in tausend Häusern bekommen die Kinder erst am Abend unter dem Weihnachtsbaum ein freundliches Wort zu hören. Das ist doch eine böse Sache! Du musst innerlich stille werden. Siehe, das heilige, stille, sanfte Säuseln, darin dein Gott selber naht, will sich erheben. Aber wie magst du dies Säuseln hören, wenn du selbst so im unruhvollen Gebrause bist? Nein, bitte du jetzt den Herrn einmal recht, dass Er dich sammle, dass Er deine Seele in's Zentrum hineinleite, in seine wunderbare Liebe, die heute erschienen ist, und dass Er dir heute viele gute Gedanken gebe, echten himmlischen Weihnachtssonnenschein. Ja, du kannst über aller Arbeit voller Christus-Licht sein, wolle es nur und flehe nur darum. Dann erst ist das Fest recht geschmückt.

Und käme dir Einer in den Sinn, der einsam und traurig und ohne Festfreude ist, den notiere dir schnell für morgen, falls du nicht heute schon hingehen und Weihnachtslicht bringen kannst. Das heißt dann „mit Maien schmücken!“ Und wenn deinem Geist, der sich freuen will, Einer in den Weg träte, mit dem du zerfallen bist, und ist zwischen dir und ihm einmal warm gewesen und nun kalt geworden, „und er hat mich schwer beleidigt!“ sagst du, o ich bitte dich, denke daran, dass du in dem Heiland, der heute geboren ist, Vergebung aller deiner Sünden empfangen hast aus lauter Gnade. Und notiere dir's nicht für morgen, dass du dann deinem Widersacher den Frieden bringen willst (denn solche Notizen gehen allermeist verloren!), nein, gehe gleich hin und nimm dein bestes Gesicht mit. So hast du dann das jetzt mit Maien geschmückt, auch wirst du finden, dass du nachher mit der Arbeit so viel flinker vom Flecke kommst. Und am Abend, wenn es im Zimmer hell ist, wird's dann in deinem Herzen noch viel heller sein. Dann wird das stille sanfte Säuseln kommen und du wirst fröhlicher sein, denn alle Kinder, denn in deinem Herzen wird leuchten, was Sankt Johannes schrieb: „Sehet, welche Liebe hat uns der Vater erzeiget, dass wir Gottes Kinder sollen heißen!“

Lob, Ehr' sei Gott im höchsten Thron,
Der uns schenkt seinen ein'gen Sohn!
Des freuet sich der Engel Schar
Und singet uns solch neues Jahr.

Am 1. Weihnachtstage. 25. Dezember.

Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkünde euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.
Lukas 2,10.11.1)

„Gebt mir einen großen Gedanken, dass ich davon lebe!“ so rief ein sterbender Mann. Hoffentlich hat man ihm in die Todesnacht hinein den größten aller Gedanken (den einzigen Gedanken, der uns hinsterbenden Menschen Leben, ewiges Leben gibt) mitgegeben: „Gottes Sohn ward Mensch und darum hast du einen Heiland.“ Ach, dass alle, die jetzt diese Stimme hören, des Wortes Herrlichkeit fassen und allen Jammer dahinein versenken könnten! ihr Traurigen, ihr Herzbeschwerten, wälzt einmal euren Kummer weg und schaut die Geschichte an, die in Bethlehem geschah! Ihr Zweifler, werdet einmal kindlich und höret der Engel Stimmen! Ihr Zerstreuten, Zerfahrenen, fasst euch einmal zusammen und richtet euer ganzes Herz auf das, was Gott euch sagt! Ihr, die ihr so lange ferne von Gott umher schweiftet, lasst heiliges Heimweh eure Seelen erfüllen! Ihr, die ihr über eure Sünden trauert, wohl euch, dass ihr trauert, aber nun lasst einmal alles Klagen und Zagen und höret nur das eine Wort: „Heiland“!

„Euch ist heute der Heiland geboren!“ was heißt denn das? Es heißt nicht: Ein großer Genius ist erstanden, ein großer Gesetzgeber, Religionsstifter, Erfinder, Entdecker, Künstler, Gelehrter, ein Größerer wie alle Vorigen, so groß, dass schwerlich ein Größerer nach ihm kommt. Das wäre viel, aber es wäre doch zu wenig, um auch nur ein einziges, bis in den Tod betrübtes und vor dem Tode grauendes Menschenherz mit Licht und Frieden zu füllen. Nein, „Heiland“, das heißt ein Retter aus aller, aller Not, zu allem, allem Heil, Leben und Herrlichkeit.

Denke dich einmal hinein, du armes Menschenkind, in Alles, was dich ängstigt, was dich innerlich und äußerlich drückt, zerreißt und unglücklich macht, sinne dich da hinein so recht treu, ehrlich und furchtlos und dann atme tief auf und sprich im Glauben: „Mir ist ein Heiland geboren! ein Retter von allem Leid!“ Denke dich hinein in all die Schmerzen, die dich quälten und noch quälen, in alle die Sorgen auf's Zukünftige, die dich schrecken, mache dir klar, was dir auf Erden die schönsten Freuden so getrübt und die herrlichsten Gemeinschaften zerrissen, lass die Angst vor dem Tode in dir lebendig werden und mache dir klar, dass die Ewigkeit nichts ist wie ein finsterer Abgrund, - lass dein Gewissen zu Worte kommen und dir, ohne Schonung, alle deine Sünden vorhalten, von deinen Jugendsünden an bis auf diesen Tag; höre aufrichtig seine verklagenden Stimmen an, schaue zitternd in die flammenden Wolken der Heiligkeit Gottes, die über deinem Haupte stehen, mache dir recht klar die innere Öde und Leere, Zerrissenheit und Armut deines Herzens und wie deine Seele so voll ist von Sehnsucht nach Liebe und Frieden und Leben und Herrlichkeit, und Freude und Gemeinschaft und wie dennoch die ganze schöne große Welt solche Sehnsucht nicht stillen konnte, - ja, dein ganzes inneres Lebensbild, mache es dir so recht lebendig und hell, und all das unendliche Wehe in der Welt um dich her, denke recht darüber nach und dann stehe auf, nimm deine Harfe zur Hand und singe mit hoher Stimme: „Ehre sei Gott in der Höhe! Mir ist heute ein Heiland geboren!“ Und dann schaue sich im Glauben als einen Menschen, der in vollkommener Lebensherrlichkeit, in göttlicher Heiligkeit und himmlischer Schönheit vor Gottes Throne steht und inmitten der verklärten Gemeinde in das ewige Halleluja einstimmt. Schaue den neuen Himmel und die neue Erde, darinnen Gerechtigkeit wohnet, da kein Seufzen der Kreatur, kein Grauen des Todes, kein Leid, Geschrei und Schmerzen mehr sind, da dann in allen Kreaturen, im ganzen Universum das Wort Fleisch geworden, da dann Alles, was menschlich groß und lieblich ist, zu seiner Vollendung und Vollkommenheit geführt, da dann in diesem neuen Universum selige und heilige Menschen als Priester des ewigen Vaters schalten und walten. Dahin zielt's, auf nichts Geringeres, die himmlischen Heerscharen auf Bethlehems Fluren singen: „Euch ist ein Heiland geboren.“

Freilich, wer auf das sieht, was vor Augen ist, wer sich stößt an der göttlichen Torheit und Niedrigkeit, für den ist das Ereignis, das wir heute feiern, so geringfügig und nichtssagend, wie kaum auszusprechen ist. In einem elenden orientalischen Dorf, in einem Viehstall dieses Dorfes, wird von der Frau eines Zimmermanns ein Kind geboren, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt. Nur die Armut ist außergewöhnlich, sonst ist hier dasselbe, was in jeder Minute auf Erden oftmals geschieht. Nichts ereignet sich über dieser Geburt, was des Berichtens wert wäre; wir hören im Geist die Stimme eines weinenden Kindes, das ist Alles. Nicht einmal ein Wort, das in dem Stall geredet ist, hat man uns überliefert. Und doch ist das, was wir da sehen, der Anfang des Königreichs Jesu Christi, welches schon jetzt auch auf das Erdenleben gewaltigere Wirkung ausgeübt hat wie alle Kultur und Zivilisation, Kunst, Wissenschaft und Weltweisheit zusammengenommen, der Anfang des Reiches, dessen Ende und Vollendung der neue Himmel und die neue Erde sein werden, die ewiglich bleiben, erfüllt von einem verklärten Menschengeschlecht.

Wie ganz anders fangen doch große Dinge in der Welt an! So ist z. B. gerade der heutige Tag auch der Stiftungstag eines anderen Reiches. Treten wir im Geist ein in die herrlichen Hallen der St. Peterskirche zu Rom. Es ist am 1. Weihnachtstage des Jahres 800. Der majestätische Dom ist dicht erfüllt von einer glänzenden Versammlung; da strahlen hohe geistliche und weltliche Würdenträger aller Völker Europas. Und vor ihnen Allen thront König Karl, den wir jetzt den Großen nennen. So eben hat der Papst Leo III. mit vielem Pomp die Messe gelesen, jetzt ertönen die Klänge eines erhabenen Hymnus. Da tritt der Papst hinter dem purpurnen Vorhang heraus; in seiner Rechten hält er eine goldene Krone und setzt sie auf das Haupt des Königs. In diesem Augenblick ist Karl zum Weltenherrscher, zum Kaiser des „heiligen römischen Reiches“ gekrönt. Die höchste geistliche und die höchste weltliche Macht auf Erden haben einen Bund geschlossen. Ein Schauer geht durch die riesige Versammlung und ergriffen von der Gewalt des Augenblicks rufen die Tausende wie aus einem Munde: „Leben und Sieg, Karl dem Erlauchten, dem von Gott gekrönten, friedeliebenden römischen Kaiser!“ Und bald flog die Kunde von dieser Geschichte als eine frohe Botschaft über den Kreis der Erde.

Welch ein Unterschied zwischen dieser großartigen Szene und dem, was in dem Stall geschah! Wie wichtig schien die Kaiserkrönung für das Heil der Menschheit, wie unbedeutend die Geburt im Stall zu Bethlehem! Wenn die höchsten Gewalten sich vereinigten um den Frieden der Welt zu machen, da konnte es ja nicht fehlen! Was konnte man aber hoffen von jenem Zimmermannskindlein im Stall? Und doch, aus jener Kaiserkrönung und aus dem Bunde zwischen Kaiser und Reich ist unsäglicher Jammer für viele Völker in vielen Jahrhunderten entsprossen, von der Krippe in Bethlehem aber ist ein stiller Strom des Lebens und des Friedens ausgegangen in die Lande der Welt und wohin er kommt, da wird das Bittere süß, da wird das Zerrissene geheilt, das Getrennte geeint, - da wandeln sich Tränen der Verzweiflung in Freudentränen, da wandelt sich die Trübsal in Herrlichkeit, - da leuchtet in die hoffnungslosesten, trostlosesten Herzen ein starker siegender Hoffnungsstrahl. Und was weiter kommt? Freude ohne Maß! Wir wollen's nicht deuten und künden, aber bei dem Herrn Jesu kommt das Beste zuletzt. Für heute lass dir's nur einmal recht durch Mark und Bein gehen, dass du einen Heiland hast und dass dir schon geholfen ist, wenn du nur wirklich dir willst helfen und dich willst heilen lassen. Nicht wahr, du willst? Warum wolltest du in Sünden sterben? Lerne heute sprechen: „Mein Heiland!“

Allein Gott in der Höh sei Ehr'
Und Dank für seine Gnade,
Darum dass nun und nimmermehr
Uns rühren kann kein Schade;
Ein Wohlgefall'n Gott an uns hat
Nun ist groß Fried' ohn' Unterlass,
All' Fehd hat nun ein Ende.

Am zweiten Weihnachtstage. 26. Dezember

Und Simeon sprach zu Maria: Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.
Lukas 2,35.

Wer kennt nicht die schöne Sage von dem heiligen Christophorus? Das war ein stolzer riesenhafter Recke, der hatte sich vorgesetzt, er wollte nur dem größten Herrn auf Erden dienen. So kam er zu vielerlei Patronen, da er immer merkte, dass Einer sich vor dem Andern fürchte. Endlich meinte er den Mächtigsten und Stolzesten gefunden zu haben, bis eine Gelegenheit kam, da sich befand, dass auch dieser sich fürchte, nämlich vor dem Teufel. So ging denn Christophorus in des Teufels Dienst. Aber noch war er nicht am Ziele seiner Fahrten. Als nämlich eines Tages der Teufel einen weiten Umritt machte, um ein Kreuzesbild herum, auch nicht leugnen konnte, dass er den Gekreuzigten fürchte, beschloss Christophorus von Stund an Christo zu dienen. Allein, der war nicht so leicht zu finden und zu greifen. Von einem frommen Einsiedler wurde der Riese endlich belehrt, es würde Christo wohlgefällig sein, wenn er über einen gewissen reißenden Strom die Pilgrimme herüber und hinüber trage und vor Gefahr des Ertrinken hüte. Christophorus war manches Jahr treu und geduldig in diesem schweren Amte, doch war sein Verlangen groß, nun endlich auch einmal seines Herrn Christi selber ansichtig zu werden.

Da, in einer finsteren Sturmesnacht, tönte eine sanfte, helle Stimme über den Strom: „Opherus, hol über!“ Der Mann stand gelassen auf und watete durch den Strom. Ein kleiner lieblicher Knabe empfängt ihn hier mit der Frage: Ob er sich wohl getraue, ihn durch das Wasser zu tragen? Lächelnd und wie spielend hob der Riese das Kind auf seine mächtige Schulter und begann seine Fahrt. Aber was war das? Schwerer und schwerer wurde das Kindlein über dem Tragen; Mark und Bein zitterten dem Riesen, auf der Stirne stand ihm der Schweiß und hätte es ihm der Stolz nicht verboten, er hätte vor Angst geschrien. Mühsam erreichte er das andere Ufer und legte das Knäblein auf den Boden. Aber ein neues Wunder geschah. Das Kind verwandelte sich in eine hohe, heilige, lichte Gestalt voll Erhabenheit und Majestät, und siehe, die Weltkugel lag in seiner Hand. Da ahnte Christophorus, dass er seinen Herren selber getragen, und anbetend sank er nieder und sprach: „Dir wollte ich dienen und helfen, und nur leicht erschienest Du mir. Aber Du bist mir überschwer geworden. So flehe ich Dich an inbrünstig: hilf Du mir, so ist mir geholfen allezeit!“

Ja, so erging es nicht nur dem Christophorus! Wir Alle, die wir Christo dienen wollen, versinken in den Fluten, wenn nicht Er uns dienet. Denn tief und wunderbar sind seine Pfade und sein Weg führet durch große Wasser, und nur durch Ihn bleiben wir bei Ihm. Das wollen wir heute verstehen lernen, da wir gestern den freudenreichen Glanz der Christgestalt, die alle Kreaturen erleuchten, durchleuchten und beseligen will, geschaut haben.

Wir finden heute die Eltern Jesu mit ihrem Kindlein im Tempel, um es dem Herrn darzubringen nach dem Gesetz. Große, zukunftsreiche Worte hat der alte Simeon über dem Kindlein weissagend geredet. Dann aber heftete sich sein Blick auf die Mutter und er segnete sie (o wunderbarer Segen!); „Auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen.“

Wie wird das jugendliche Weib angstvoll zusammengefahren sein bei diesem fast grausig klingenden Wort des ehrwürdigen Alten! Bis dahin hatte sie von Engeln und Menschen nur süße, begrüßende, heilverheißende Stimmen gehört. Sie war selig gepriesen worden und hatte sich selbst selig gepriesen, dass sie des Messias Mutter werden sollte. Auch was so eben der alte Simeon über ihrem Kindlein geweissagt hatte (V. 29-32), konnte nur die stolzeste, heiligste Freude in ihr wecken. Und nun so ein Wort: „Auch durch deine Seele wird ein Schwert gehen!“ Was konnte man Schrecklicheres sagen? Ach, nur zu bald sollte sie erfahren, dass Simeon Wahrheit geredet hatte. Von dem Tage an, da sie ihr geliebtes Kind in finsterer Nacht vor dem Schwerte des Tyrannen in's Heidenland retten musste, bis dahin, wo sie als mater dolorosa (Schmerzensmutter) unter dem Kreuz ihres Eingeliebten stand, hat ihr die Sonne der Gnade manchmal den Schein verloren und oft hat sie des Schwertes denken müssen, davon Simeon redete. Es war für die Mutter Maria wie ein innerer Tod, dass sie allen besonderen Ansprüchen auf ihr Kind entsagen und es der ganzen Welt überlassen musste. - Aber nicht nur als Mutter empfand sie jenes Schwertes Bitterkeit, sondern auch als Israelitin. Samt allen Gläubigen jener Zeit hatte auch sie einen schnellen und glänzenden Siegesgang des messianischen Reiches gehofft. Und nun wurde der König zum Opferlamm, und nun weihte er seine Getreuen, die mit ihm herrlich triumphieren wollten, zum Tode. Wenigen nur wurde der Heiland „zum Auferstehen“, Unzähligen zum Fall, zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. (V. 34). Das wurde je länger je mehr offenbar. Die Nationen tobten gegen den Gesalbten des Herrn und am schlimmsten wütete Israel selbst. O das waren harte Wege für die Jünger, darüber haben sie sich alle geärgert und nur weil ihre Liebe stärker war wie ihr Glaube, haben sie sich wieder zurechtgefunden. Aber manches Schwert ging dabei durch ihre Seele.

Gar tiefsinnig hat die Kirche den heutigen Tag dem Andenken Stephani, des ersten Märtyrers Christi, geweiht. Dicht neben dem neugeborenen König steht der erste Blutzeuge; zu einem gewissen Zeichen, dass die Entwicklung des Christusreiches durch Blut und Tränen hindurchgehe und dass der Friedefürst dennoch vorerst nicht gekommen sei, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Wer die Welt kennt, wer das Menschenherz kennt, wer in seinem eigenen Herzen täglich und immer wieder den Widerstreit gegen das Wort von der züchtigenden Gnade findet, der begreift das.

Und ergeht es nicht Unzähligen, die in den Weg Christi eingegangen sind, eben also wie der Maria? Der Anfang ist so lieblich und so freudenreich, aber dann kommt das Schwert. Wenn du, lieber Leser, ein verwahrlostes Kind als dein Kind annehmen würdest, nicht wahr, zuerst würdest du alles Mögliche tun, es an dich zu fesseln, ihm Vertrauen und Liebe zu wecken, und manche Unart und Torheit würdest du übersehen und ungestraft lassen? Dann aber, wenn dein Herz erst des Kindes Herz gefunden hat, dann beginnt die Erziehung. - So ist's bei dem Herrn. Haben wir nach langem Ringen, Suchen, Zweifeln endlich verstanden, was das ist, dass wir Ihn zum Heiland haben, so lässt er erst seine ganze Holdseligkeit und Freundlichkeit in's Herz hinein strahlen. Wir irren aber sehr, wenn wir denken, das werde so von Freude zu Freude, von einer seligen Erkenntnis zur andern fortgehen und wir würden so selbstverständlich fortwachsen in's himmlische Leben hinein. O nein, ganz anders ist sein Weg! Nun erst, nachdem er es uns innerlich angetan hat, dass wir nicht mehr von Ihm los können, nun kann Er schon etwas mit uns wagen Es kommt die bittere Schule, die in die Tiefe führt. Man meinte sich schon zu kennen, aber ach, wie muss man nun vor den inneren Offenbarungen des Geistes zu Schanden werden und erröten! Nun führt er uns hinein in die Erkenntnis so mancher geheimen Eitelkeit, so mancher inneren Unwahrhaftigkeit, so mancher verborgenen Lieblosigkeit, dass wir über uns selbst erschrecken! Nun stellt er uns hin vor so manche alte Schuld, die wir längst vergessen, an so manche finstere Stelle unseres vorigen Lebens, davon wir gar nicht wussten. Wie Vieles muss nun an's Licht gezogen und enthüllt werden, was wir, ohne es zu merken, so klüglich verhüllt hatten. Da werden wir zu Nichte über so manchem, das wir für Tugend hielten, was auch die Menschen mit hohem Lobe priesen, und müssen bekennen: Es war nur Fleisch und Eigengerechtigkeit, Eigenwillen, übertünchtes Grab. - Ja, da erfährt man dann, was es heißt, „seine Seele verlieren“, was es heißt, wenn Jehovah spricht: „Ich will sitzen und schmelzen.“

Und um uns in diese schaurigen und doch so heilsamen Tiefen der Selbstverdammnis hineinzuführen, dazu müssen denn gar oft allerlei schwere Trübsale dienen. Auf dass wir uns selber finden und den Herrn finden und von dem Eitlen uns lösen, greift unser himmlischer Erzieher meist da ein, wo es am allerwehesten tut. Nicht wahr? so manche süße Hoffnung brach dir zusammen, seit du in der Schule Jesu warst; so manche liebe köstliche Blume, die du dir im Sonnenschein Gottes groß gezogen hattest, welkte dahin! Du aber konntest dir nicht denken, dass dein Jesus so hart mit dir fahren werde. Du sagtest ihm das auch: „Mein Heiland, mein König, der du sitzest auf dem Thron der Herrlichkeit und dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, - das kannst, das wirst du nicht tun!“ Und du rangest, flehtest, weintest, - klagtest, trotztest, zagtest auch wohl, aber das Schreckliche geschah doch und du standest, an den Trümmern deines Glückes.“ Ja, da fuhr auch durch deine Seele das Schwert der Maria; es ist nimmer stumpf geworden.

Aber wo Gottes Schwert ist, da ist auch Gottes Balsam. Sei getrost! du hast das erfahren und wirst es erfahren. Ist das Kindlein auch schwer bis zum Versinken hin, völlig wirst du doch nicht versinken, du lieber Christophere! Und so du nur stille hältst und auf ihn blickst, wirst du mitten im Leid seine Stimme hören, die dir redet von dem seligsten Ziel und ewigen Heil und Herrlichkeit; und wirst zu Zeiten wunderbar erhoben werden durch den Vorschmack der Kräfte und Güter der himmlischen Welt, und wirst manchmal schon hier im Erdenleben noch erkennen, dass gerade in den Ereignissen, wo dir alle Erdenhoffnung zu versinken schien, dass grade da deine tiefsten Hoffnungen erfüllt wurden, und wirst daraus eine gewisse, freudenreiche Verheißung nehmen, dass endlich noch Alles, Alles mit dir und den Deinen und dem ganzen Reich des Herrn auf Erden zu einem seligen Ziel kommen wird und alle Klagen endlich auslaufen müssen in ein großes, wunderbares, nimmer verklingendes Halleluja.

Das Kreuz ist dennoch gut,
Obgleich es wehe tut:
Der gute Gott es gibet,
Drum muss es sein geliebet;
Ei fasse guten Mut!
Was bitter ist im Munde,
Ist innerlich gesunde;
Es ist so gut, so gut.

Am 27. Dezember.

Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet?“
Matth. 21,16.

Man hört oft sagen: „das Weihnachtsfest gehört den Kindern“. Solche Rede lautet ja recht freundlich, ist aber dennoch eine sehr unvorsichtige und gefährliche Rede. Es soll doch zunächst dem Kind, dem einen, das in Bethlehem geboren wurde, gelten. Und es ist gar traurig, wenn es geschieht, dass am Weihnachtsfest über den Kindern das heilige Kind, in dem allein wir über unsern Kindern Licht und Frieden haben, vergessen wird. Das ist arg und so ist es doch in unzähligen Familien. Die Kinder sind die Poesie des Weihnachtsfestes, sagt man.

Und es widmen sich in diesen Tagen ihren Kindern auch Die, die sonst, (wie sie meinen) nie Zeit dazu haben, und in den Berichten über das Weihnachtsfest spielen die lieben Kinder immer die Hauptrolle. Was an und für sich sehr schön wäre, wird dadurch schlimm, wenn man darüber nicht zu dem einen Kind, das über alle Kinder und für alle Kinder ist, durchdringt.

Das aber ist wahr, dass Jesus der größte Freund der Kinder gewesen ist, und das ist auch wahr, dass Der erst die wahre Freude an seinen Kindern hat, wer sie in ihm hat. Darum soll auch in den folgenden Andachten einmal ganz besonders von den Kindern die Rede sein.

Ja, seit unser Heiland und König auf dem Schoß der Maria ein armes Menschenkindlein geworden ist, seitdem sind die Kinder auf Erden ganz außerordentlich im Werte und in der Achtung gestiegen. Es ist über sie und über die jungen Mütter von Bethlehems Krippe aus ein Zauber ausgegossen, der vorher nicht über ihnen gewesen ist.

Wie mag auch jenes furchtbare Ereignis, da so viele Kinder um seinetwillen den Tod erlitten (Matth. 2), wie mag das Jesu mitleidiges Herz mächtig zu den Kleinen hingezogen haben! Jedenfalls sehen wir, dass Jesus überall den Kindern große Zärtlichkeit beweist. Wir wollen hier nur darauf hindeuten, wie es ihm nicht genug war, das Töchterlein des Jairus zu erwecken; nein, mit einer mütterlichen Zärtlichkeit sorgt Er auch dafür, dass es sogleich, nach seinem kurzen Todesschlaf, etwas zu essen bekommt. (Mark. 5,43.)

Und Er, dem sonst die Menschen, seine lieben Jünger nicht ausgenommen, so viel Not und Kummer machten, hat an den Kindern nur Freude erlebt und sie immer geliebkost, gelobt und geschützt. Das sehen wir auch aus obigem Wort, wo Jesus von dem Lob aus dem Mund der Unmündigen, das heißt also Derer, die noch keinen Mund haben, so dankbar redet. Zum letzten Mal war Er eingezogen in die heilige Stadt, umtönt von dem Halleluja Israels. Aber aus seinen Augen strömen Tränen, von seinen Lippen tönen tiefe, bange Klagen, in seiner Hand hält er die Geißel. So kommt Er in den Tempel. Hier erwartet ihn eine Kinderschar. Die jubeln Ihm das „Hosianna! Hosianna!“ entgegen, so wie sie's auf der Straße oder auch von ihren Müttern gehört hatten. Jedenfalls hatten diese Letzteren ihre Freude daran. Nicht aber die neidischen, unkindlichen, selbst klugen Priester und Schriftgelehrten. Sie meinten, es sei schicklich, dass Jesus den Kindern Schweigen gebiete, da diese doch nicht verstünden, was sie sagten. Aber da kamen sie schlecht an. Ausdrücklich bezeugt Jesus, dass solches Lob der Kinder Ihm lieblich und kostbar sei. Dass sie so freudig jauchzten, als sie in sein Angesicht voll himmlischer Hoheit und Milde hineinschauten, das ist ein unmittelbarer, wenn auch unbewusster Ausfluss ihrer Sehnsucht zum Heiland hin. Verstanden sie auch nicht, was sie riefen, so zog sie doch ein ahnungsvolles Verlangen zu dem Mann, dessen Lob sie sangen.

Und wahrlich, wir brauchen unseren Kindern nur von Jesu zu erzählen, brauchen ihnen nur das Bild des Heilandes, wie Er „umherzog und wohltat“, so recht lebendig und warm vor Augen zu führen, so lesen wir auch in ihren freudestrahlenden Augen etwas von dem Hosianna, das vor 18 Jahrhunderten die israelitischen Kinder in den Marmorhallen des Tempels erschallen ließen. Und das Hosianna, das wir in die Herzen der Kinder pflanzen, es wird dann wieder auf ihren Lippen eine Himmelsmacht werden, die unsere Ohnmacht und Trägheit durchbricht und uns der göttlichen Kindschaft näher bringt. Aber - aber! wir können nicht geben, was wir nicht haben. Wie steht's mit dem Hosianna in unserem eigenen Herzen? O, dass wir beten lernten mit Inbrunst und aus der Tiefe:

Lass mich deinen Ruhm
Als dein Eigentum
Durch des Geistes Licht erkennen,
Stets in deiner Liebe brennen
Als dein Eigentum,
Allerschönster Ruhm.

Am 28. Dezember.

Sie brachten auch junge Kindlein zu ihm, dass er sie sollte anrühren. Da es aber die Jünger sahen, bedroheten sie die.
Lukas 18, 15.

Selig die Mütter, die es zuerst erkannten, dass in der Liebe und Gemeinschaft Christi ihrer Kinder sicherer Hort und Zuflucht sei! Selig die Mütter, die es erkannten und erkennen, dass Alles, was die reiche, herrliche Welt gibt, dennoch ihren Kindern kein bleibendes und vollkommenes Glück schaffen kann; - dass auch die treueste, hingebendste Mutterliebe dennoch viel zu ohnmächtig ist und den geliebten Kindlein keinen Schild vorhalten kann, der sie vor den Pfeilen der Sünde und der Hölle schützt. Ach, der stärkste Arm des Vaters und die weichste, zarteste Mutterhand können dennoch den geliebten Kindern Jammer und Herzeleid nicht abwenden. Sie können sich ja selbst nicht einmal helfen und retten; wie sollten sie nun gar noch ihrer Kinder Heiland sein können. Sie wissen ja nicht einmal, ob sie morgen noch bei ihnen sind, vollends können sie nicht der Kinder Leben sichern. Ja, wir pressen sie wohl an's Herz und entsetzlich ist uns der Gedanke, dass sie vielleicht bald von uns scheiden müssen. Aber ein Tag sagt es dem andern, dass die lieblichsten Blumen am schnellsten welken, und dass es vor Nacht leicht kann anders werden, wie es am frühen Morgen war. Und nun, was das innerliche betrifft? O, wie wächst da, aller der besten Erziehung zum Trotz, eine Saat auf, eine Saat der Sünde und Selbstsucht, davor uns graut. Dem stehen wir ohnmächtig gegenüber und ohnmächtig dem ganzen Lebensverlauf der Kinder, der trotz all unseres Sorgens, Fürsorgens und Spekulierens total in Finsternis liegt. Was kann uns da trösten als dies Eine, dass wir unsere Kinder dürfen an des Heilands Herz legen? Dank den galiläischen Frauen, die es zuerst wagten, nicht nur für sich allein, sondern mit ihren Kindern zu Jesu zu kommen!

Die lieben Apostel sind treuherzig und kindlich genug, uns zu erzählen, dass sie dafür kein Verständnis hatten. Sie hielten es förmlich für eine Art Beleidigung ihres Meisters, dass man ihm zumutete, sich auch mit den Kindern zu befassen, und Torheit schien es ihnen, zu glauben, dass auch die Kinder schon für die Segnungen Christi empfänglich seien. Wäre es auf sie angekommen, sie hätten die Frauen samt den Kindern mit Protest heimgeschickt.

Jesus aber hatte längst die Mütter gesehen, die Ihn verlangend suchten; wie Er denn überall und allezeit Die schon von ferne erblickt, die zu Ihm wollen. Nun wandelt sich die Szene. Die Apostel, die eben gedroht haben, werden nun bedroht; die Mütter, die getadelt wurden, empfangen hohes Lob; die Kinder, die verscheucht wurden, ruhen nun bald an Jesu Herzen und werden von ihm gesegnet. Lasst uns dieses Bild immerdar vor Augen haben und wohl bedenken, dass wir die Aufgabe, die uns mit der Gabe der Kinder gestellt ist, nur dann lösen, wenn wir sie zu Jesu führen. So beweisen wir ihnen die höchste Liebe, so weben wir auch das stärkste Liebesband zwischen uns und den Kindern. Eine Mutter, die nicht über und mit ihren Kindern betet, beraubt sich damit selbst der edelsten und nachhaltigsten Freuden; sie begibt sich aber eben damit auch der größten Macht, auf das tiefste, heiligste Innere der Kinder zu wirken. Und was gibt es Herrlicheres, als die Kinder in die heilige Poesie der biblischen Geschichten einzuführen und vornehmlich sich mit ihnen zu den Füßen Jesu hinzusetzen? Die Väter, die Mütter, die das verstehen, weil sie es sich erbeten haben, die werden für sich selbst den größten Gewinn erwerben. Sie werden beten lernen mit den betenden Kleinen, sie werden kindlich werden und jung bleiben mit den Kindern, sie werden grade so der göttlichen Kindschaft näher kommen.

Gott, lass dein Heil uns schauen,
Auf Nichts Vergänglich's trauen,
Nicht Eitelkeit uns freu'n;
Lass uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Am 29. Dezember.

Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes.
Lukas 18,16.

Ist das eine Erlaubnis oder ist's ein Befehl? Wohl Dem, dem es selige Erlaubnis ist und dem es nicht befohlen zu werden braucht. Wer aber die Kinder will zu Jesu führen, der muss sich auch selbst mitbringen und vorher, schon bei Ihm gewesen sein! Wo's so ist, aber auch nur da, macht sich die religiöse Erziehung von selbst; denn was uns selbst das Teuerste und Höchste ist, das erstreben wir auch für unsere Kinder. Andererseits, nur so viel wir uns selbst von Jesu Geist erziehen lassen, nur so viel sind wir auch fähig, unsere Kinder in seine Liebe zu leiten. Was die Kinder um sich her sehen und fühlen, die festen Ordnungen, Sitten und Gebräuche des Hauses, das erzieht sie mehr als die Worte, die man ihnen sagt. Das gilt aber auch vornehmlich von der religiösen Seite der Erziehung. Die ganze geistige Luft, die im Hause weht und die also das Kind atmet, die macht's. Ob Vater und Mutter wirklich Menschen sind, die ein Gebetsleben und Ewigkeitsleben führen, ob sie wirklich die Sünde als ihren größten Feind hassen und bekämpfen und allem Guten nachjagen, - ob sie durch ihren Glauben stille, glückliche, friedenreiche Menschen sind und in dem Frieden, den Jesus gibt, miteinander sinnen und sorgen, leiden und wirken, - ob sie unter der Zucht Gottes stehen und von seinem Geist sich regieren lassen - das Alles fühlt ein Kind viel eher, als es davon sagen kann. Und an dem wahrhaften christlichen Geist und an der christlichen Ordnung des Hauses rankt sich die zarte Kindesseele in die Höhe, wie der schwankende Efeu am starken Eichbaum. Wenn ein Kind innerlich erfährt, dass seine Eltern durch ihr Glaubensleben tüchtig und glücklich sind, stark im Leiden und demütig im Glück und allewege fröhlich in Hoffnung, so wird dieser Eindruck durch die späteren Anfechtungen, Zweifel und Stürme der Welt wohl überflutet, aber nicht leicht ausgelöscht werden können. Kurzum, das Christentum muss den Kindern vorgelebt werden, sonst hat das Vorbeten keinen Wert. Wie ernst wird uns aber bei solchen Erwägungen die Frage, ob denn Jesu Leben und Jesu Liebe auch wirklich in uns, den Eltern und Erziehern, sind?

Ein Prediger saß am Bett seines sechsjährigen Söhnleins; das lag im Sterben. Es hatte auch Todesahnung, aber nichts von Todesangst. Lächelnd sagte es, die schon brechenden Augen aufschlagend: „Vater, ich glaube, ich gehe jetzt in den Himmel;“ als handele es sich um einen schönen Spaziergang oder eine fröhliche Kindergesellschaft. Der Vater fragte: „Hast du denn auch den Herrn Jesum lieb?“ „Ja, erwiderte der Knabe, ich habe Ihn lieb, aber hast du ihn auch lieb?“ Und dem Vater, ob er gleich schon Jahrzehnte lang an Jesum gläubig geworden war, hat doch die einfältige Frage des sterbenden, lächeln: den Kindes Mark und Bein erschüttert. Das Kind des Predigers hat mit seiner Frage gewaltiger gepredigt, wie viele Prediger. Und auch wir Alle, die wir auf Kinder wirken sollen, Väter, Mütter, Lehrer, Lehrerinnen, Pflegerinnen der Kinder, wir Alle wollen die Frage des Kindes als eine Frage Jesu selbst an uns nehmen: „Habt ihr mich auch lieb?“ Nur dann, wenn wir ehrlich, ob auch zitternd, antworten können: „Ja, Herr, du weißt, dass wir dich lieb haben,“ - nur dann sagt er auch zu uns: „Weidet meine Lämmer!“

Liebe, die für mich gelitten,
Und gestorben in der Zeit,
Liebe, die mir hat erstritten
Ew'ge Lust und Seligkeit,
Liebe, dir ergeb' ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

Am 30. Dezember.

Herr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.
Lukas 2,29.30.

Das Jahr rollt dahin mit rasender Eile. Und dieses Hinschwinden des Jahres ist nur ein starkes Zeichen von dem Hinschwinden unseres ganzen Lebens. Es predigt uns mit lauter Stimme, dass wir unerbittlich und wie im Fluge der Ewigkeit entgegengehen, dass wir Gäste und Fremdlinge auf Erden sind und hier unten keine bleibende Stätte haben. „Du lässest die Menschen dahinfahren wie ein Strom“, betete Moses schon (Psalm 90,5); ja wir Alle fahren dahin. Aber wohin und wie? Selig, wer mit dem alten Simeon jubilieren kann: „Herr, du lässest deinen Diener in Frieden fahren.“

Wer fährt denn in Frieden hin durch die Pforten des Todes?

Der gewiss nicht, der da meint, mit dem Tode sei alle Existenz aus. Das ist ein Gedanke, der Einen wahnsinnig machen könnte, wenn man ihn durchdenkt. Er ist auch so entsetzlich, dass allermeist auch die größten Spötter und Atheisten, wenn sie an der Leiche ihrer Geliebten stehen, aller ihrer Theorie zum Trotz, gerne von Unsterblichkeit und Wiedersehen hören und reden. - Die aber fahren auch nicht in Frieden hin, die nur eine unbestimmte Hoffnung, für ihre Hoffnung aber eigentlich keinen anderen Grund haben, als dass sie es wünschen. Auch alle Ahnungen helfen da nicht aus; hier kann nur Gewissheit Trost schaffen. „Fragst du mich, woher ich komme? (sagte jener Weltweise), so antworte ich: Ich weiß es nicht. Fragst du mich, wohin ich gehe? Ich weiß es nicht. Aber ich sehe den Himmel voller Sterne und die Herzen der Menschen voll von Ahnungen des Himmels.“ Das ist schön und ergreifend geredet, aber solche ferne blitzende Ahnungen geben keinen Frieden. - Auch Die haben selbstverständlich keinen Frieden, die von der Existenz eines Himmels und einer Hölle fest überzeugt sind, in Betreff ihrer selbst aber sagen: „Wohin mein Weg führt, himmelwärts oder höllenwärts, das muss die Zukunft lehren.“

„Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,“ so jubiliert der alte Simeon erst, als er das Christuskindlein auf seinen Armen hält und den Heiland Gottes schaut. In dem „nun“ liegt, dass eben jetzt etwas möglich wird, was vorher unmöglich war. Und doch war Simeon „fromm und gottesfürchtig“ und hatte sein Leben lang auf den Trost Israels gewartet. Aber so wenig er, wie irgend Einer der großen alttestamentlichen Glaubenshelden hatte in seiner Frömmigkeit und Gottesfurcht den Frieden gefunden, die Gewissheit, mit Gott so unverbrüchlich Eins zu sein, dass Tod, Teufel, Sünde und Hölle sie nimmermehr von Ihm, dem Vater der Herrlichkeit und dem Urgrund alles Lebens, scheiden könnten. Nun, da er in dem Christuskindlein die Hoffnung Israels erfüllt sieht; nun, da er, ohne sich zu stoßen an der Torheit und Niedrigkeit der göttlichen Offenbarung, das Wort Heiland aussprechen kann, nun wird das Herz des alten Mannes verjüngt und adlergleich schwingt es sich auf zu dem Throne seines Gottes.

Die Sage erzählt gar tiefsinnig, dass der alte Simeon bereits blind gewesen, bei der Annäherung des Christuskindes aber sehend geworden sei. So ist's jedenfalls im Geistlichen gewesen. Zum wahren Schauen der Herrlichkeit und Liebe Gottes, zum klaren Blick in ein seliges Jenseits kommt auch das Auge der edelsten, frommsten Gottesknechte erst, wenn ihnen Jesus als der Heiland enthüllt wird.

Nun, lieber Leser, das Jahr rollt hin; wer weiß, ob's nicht dein letztes ist. Jedenfalls, auch wenn dir noch mehrere Jahrzehnte beschieden wären, ist's doch das köstlichste Ding und das nötigste Ding, dass man weiß: Es sei früh oder spät, dass ich hinfahre, aber, wann es auch sei, ich fahre im Frieden hin, denn meine Augen haben das Heil in Christo gesehen. Zum lichten Vaterhaus geht meine Bahn, mitten hindurch durch das Gebrause des Lebens, mitten hindurch durch die rauschenden, schauerlichen Wasser des Todes, - dennoch zum Vaterhaus, denn ich habe in Jesus den Vater gefunden!“ O flehe du so redlich, wie Simeon flehte, dass der Heiland sich dir offenbare; suche Ihn, wie Simeon Ihn suchte, liebe und lobe Ihn, wie Simeon Ihn liebte und lobte, nachdem er ihn gefunden, so wird auch deines Lebens Sylvester einmal eine „Hinfahrt im Frieden“ sein.

Lange hab' ich mich gesträubt,
Endlich gab ich nach:
Wenn der alte Mensch zerstäubt,
Wird der neue wach.
Und so lang du dies nicht hast
Dieses „stirb und werde!“
Bist du nur ein armer Gast
Auf der trüben Erde.

Sylvester.

(Die Menschen sind auf den Erdboden gelegt) dass sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten.
Apostelg. 17,27.

Wer sich Tag um Tag Notizen darüber gemacht hat, was ihm während des verflossenen Jahres Alles begegnet ist und was er Alles erlebt hat, der wird, wenn er's heute einmal durchsehen will, ein gar buntes Durcheinander finden. Von Geschäften aller Art, häuslichen Leiden, erfüllten Hoffnungen, schmerzlichen Todesfällen, Hochzeiten und allerlei Freudenfesten, von vergeblichen Arbeiten, Dienstbotennöten, von erwünschtem und unerwünschtem Besuch, von Zahnweh und allerlei Wehleides und der Seele, von kleinen Ausspannungen und großen Verdrießlichkeiten, von Liebe und Undank der Menschen, von Konzerten, Kirchgängen, Ehrenbezeugungen, Sorgen um die Kinder, bitteren Demütigungen, Verlusten usw. usw. wird er da ein ellenlanges Register finden. Dies wirre Durcheinander, worin man doch zugleich ein monotones, gleichmäßiges Wellenschlagen spürt, ist das Bild des durchlebten Jahres, ja im Ganzen aller durchlebten Jahre.

Da kommt Einem nun billig die Frage: Was soll denn das Alles? Was ist der Zweck von all diesem Arbeiten, Ruhen, Rennen, Laufen, Lachen, Weinen, Hoffen, Enttäuscht werden, Lieben, Leiden, Lernen, Verlernen, Gewinnen, Verlieren? Warum sind wir eigentlich in der Welt?

Man sollte meinen, keine Frage liege näher als diese und zumal am Sylvester könne kein Mensch daran vorbei. Dennoch, wie unglaublich es ist, so ist es doch wahr, dass unzählige Menschen sich diese Frage niemals stellen. Sie träumen so stumpfsinnig ihr Leben hin, tun, was getan werden muss, genießen, was sich ihnen zum Genuss darreicht. Geht Alles bequem, so sind sie behaglich, geht's schwer, so machen sie ein düsteres Gesicht. Andere scheinen zu glauben, dass der Zweck des Lebens sei, „die uns verliehene Zeit zu vertreiben“, wie man einen Feind vertreibt. Sind die Stunden lustig und schnell hingeflogen, haben sie sich „die Zeit wundervoll vertrieben“, dann sind sie ganz zufrieden. Fehlt's an Zeitvertreib, so langweilen sie sich und andere Leute noch dazu. Mit der Uhr in der Hand schauen sie missmutig dem langsam hintreibenden Zeitstrom zu und warten auf Wellen, die ihnen Zeitvertreib bringen. - Andere arbeiten und schaffen unermüdlich im Schweiße ihres Angesichtes um allerlei irdischer Ziele willen. Reich zu werden, um Macht zu haben, reich zu werden, um dann ungestört genießen zu können, Ehre, Lob und Ansehen von den Menschen zu nehmen, eins von diesen Stücken, ober auch alle zugleich zu erwerben, ist ihr Lebensideal. Die Einen von diesen schauen verbittert dem Strom der Zeit nach; sie haben trotz allem Ringen doch ihr Ziel nicht erreicht.

Andere haben erreicht, was sie wollten, und nun sehen sie, dass sie dennoch unbefriedigt, arm und leer sind im Herzensgrund. Aber, es sei damit wie es sei, jedenfalls kann das Leben nicht seinen Zweck in sich selber haben. Paulus, da er auf den Areopag in Athen vor den gebildetsten Menschen der Erde redete, - vor den Gliedern des Volkes, das am fleißigsten gesucht und am glücklichsten gefunden hatte, vor den Gliedern des Volkes, das so hohe irdische Ziele erreicht hatte wie kein anderes, das auch eine glänzende Gabe zum Genließen hatte, unter einem ewig heiteren Himmel, umgeben von einer lachenden Natur und von aller Herrlichkeit menschlicher Kunst, ich sage, Paulus wagt es auch vor dieser Versammlung als den eigentlichen Zweck des Lebens der Menschen auszusprechen: dass sie „den Herrn suchen sollen, ob sie wohl ihn fühlen und finden möchten.“ Damit gibt er zu verstehen, dass auch das glänzendste, tätigste Leben so lange ein verfehltes sei, bis der Mensch mit dem persönlichen Gott persönliche Fühlung gewonnen und Ihn als seinen Gott gefunden habe.

Wie steht es nun darin mit dir, lieber Leser? hast du in deinem vergangenen Leben, hast du auch in dem Jahr, das wir heute beschließen, Gott gesucht und gefunden? Verstecke dich nicht dahinter, dass Gott ja unsichtbar, du aber ein sinnliches Wesen seiest und also Gott nicht finden könnest. Das sind nur unnoble und unlautere Ausflüchte. Frage dich lieber, (denn das wird ehrlicher sein): Gab es je in meinem Leben eine Zeit, wo ich wirklich darüber aus war, Gott zu fühlen und zu finden? Gab es eine Zeit, wo ich mit dem ernsten Willen, mit der heiligen Energie, die einer so großen Sache würdig sind, alle meine andern Pläne und Arbeiten von diesem einen höchsten Projekt beherrschen ließ: Ich will und muss Gott finden? Gab es eine Periode, wo du oft mit Gott allein warest, um mit ihm allein zu reden, und wo du Alles, Alles wegzuräumen bemüht warest, wovon du ahntest, dass es das Fühlen und Finden Gottes erschweren könnte?

O ja, ich weiß wohl, deren sind Wenige, die schlankweg erklären, dass sie mit Gott ein für allemal nichts zu tun haben wollten. Deren sind Wenige, die nicht manchmal gute Vorsätze und Ansätze nehmen. Aber sie bringen nicht durch. Bald hört man: „Es fehlt an Zeit!“ Die wunderlichen Leute! es fehlt ihnen doch nicht an Zeit zum Atmen. Sie sollten lieber sagen, es fehlt an Ewigkeit; die ewigen Bedürfnisse schlafen noch in uns. - Andere dringen tiefer ein, aber sie kehren um, da sie Gott näher kommen. Sie merken, dass Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, Selbsterkenntnis und Selbstgericht, ja eine reelle Lösung von dem eigenen Ich, ineinander fallen. Und davor graut ihnen.

Und doch ist das grade der Anfang aller wahren Gemeinschaft mit Gott, dass wir vor Gott total zu Nichte werden; denn nicht eher kann sich uns die Herrlichkeit und liebe Gottes in Christo Jesu enthüllen, bis wir in uns zu Schanden und vor Gott zu Bettlern geworden sind. Dann nur fahren wir im Frieden hin aus der Zeit in die Ewigkeit oder auch aus dem alten in's neue Jahr, wenn wir, wie jener alte Simeon, Gott in dem Menschenkind Jesus erschauet haben. Das ganze Leben ist ja ein unaufhörliches Suchen, Finden und wiederum Verlieren; so geht's immer auf's Neue weiter und das ist ein trostlos Ding. Kein Verlust folgt aber mehr, wenn wir die eigene Seele verloren und Gott als unsern Vater gefunden haben; denn in Ihm haben wir alles und in Ihm wird auch der Verlust zum Gewinn.

Schatz von ew'gem Wert,
Schatz von Gott geehrt,
Ach, zu oft durch Lust und Sorgen
Vor des Menschen Blick verborgen,
Sei du mein Gewinn,
Sonst fahr' Alles hin.

1)
Anmerkung. Wir haben den folgenden Festbetrachtungen eine weitere Ausdehnung gegeben, da in diesen Tagen doch mehr Zeit zum Lesen vorhanden ist; vornehmlich aber auch um Derer willen, die, aus irgend welchen Gründen, verhindert sind, dem öffentlichen Gottesdienste beizuwohnen. Der Verfasser.
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