Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 3. Montag nach Epiphanias bis 3. Sonntag nach Epiphanias

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 3. Montag nach Epiphanias bis 3. Sonntag nach Epiphanias

Montag nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in Dem, das meine Vaters ist?
Lukas 2,49.

Kehren wir noch einmal zu diesem ersten Wort unseres Heilands, das uns überliefert ist, zurück, so erkennen wir hier schon, was sein ganzes späteres Leben uns predigt, nämlich, dass die Dinge, die wir die übernatürlichen nennen, für ihn die natürlichsten von allen sind. Das Göttliche, das Himmlische ist für ihn die Sphäre, die Ihn auch mitten im Getümmel der diesseitigen Welt allenthalben umgibt, die Sphäre. darin er allein ganz frei und fröhlich Atem holen kann. Auch der Mann Jesus, der mitten im Sturm des Lebens drin steht, spricht von dem Vater im Himmel so vertrauensvoll, so natürlich wie ein Kind. Er ist ihm nichts Fremdes und Fernes, sondern das Nächste und Natürlichste von Allem. Das geoffenbarte Wort ist ihn der Liebeshauch aus Gottes Mund. Mit dem Vater zu reden, ist ihm das Selbstverständlichste von Allem; ein höheres Bedürfnis gibt es für ihn nicht. In allem seinem Leiden war dies, dass der Vater bei ihm war, was ihn tröstete, und alle Wunder, die er verrichtet, beruhen auch nur auf der immerwährenden Verbindung zwischen ihm und seinem Vater. wurde Jesus auch, allezeit erhört“ (Joh. 11,42.), weil sein Herz allezeit Eins war mit Gottes Herzen.

Wir dagegen ach, ach! wie müssen wir uns herausreißen und herausquälen aus uns selbst, bis wir uns einigermaßen versetzt fühlen „in Das, was des Vaters“ ist! Das Übernatürliche ist uns schier das unnatürliche geworden! - Die Sünde hat unser Angesicht in den Staub der Erde gelehrt, so dass wir von Haus aus dem göttlichen Licht- und Freuden-Leben gar entfremdet sind. ja auch, nachdem Jesus einen neuen Lebenstrieb und Lebensgrund in uns eingesenkt hat, - wie furchtbar wirkt der fleischliche Natursinn in Alles hinein! Wie schwer wird es, auch nur einige Minuten mit wahrer Sammlung zu beten, so dass unsere ganze Seele Gebet ist! Wie fliegen, gleich wildem Gevögel, alsobald aus unserer Phantasie und Gedankenwelt allerlei fremde Gedanken in das Heiligtum des betenden Herzens hinein! - Wie sauer wird es uns, auch einer guten, kurzen und praktischen Predigt vom Anfang bis zu Ende zu folgen, - wie sauer wird es uns daheim, eine einzige stille halbe Stunde dem Wort Gottes ganz zu schenken, ohne abzuschweifen! In eine interessante Reisebeschreibung oder Kriegsgeschichte dagegen können wir uns leicht Stunden lang versenken, ohne irgendwie abzuschweifen. - Wie schwer kommen wir ferner dazu, Anderen gegenüber von göttlichen und geistlichen Dingen in einer natürlichen, ungezwungenen Weise zu sprechen, zumal wenn diese Anderen noch nicht mit uns denselben Weg gehen! Ist's nicht so? Wir geraten dann entweder so leicht in einen falschen Eifergeist oder gar in ein gesetzliches Poltern, oder aber unsere Worte sind so geschraubt, so peinlich, so unnatürlich, als ob wir gestohlene Ware an den Mann bringen wollten; es ist, als schämten wir uns das auszusprechen, was uns doch der süßeste Heimatlaut sein sollte.

Wem ist das schwer, wen drückt das, wen quält das, dass er so ein elender Mensch ist, so „fleischlich unter die Sünde verkauft“? Nun, Der trete zu Jesu hin, immer wieder hin, immer kindlicher, immer näher, immer aufrichtiger, immer sehnsuchtsvoller hin und rufe dann aller Natur zum Trotz: „Ich danke Gott durch Jesum Christum!“

Sieh' doch aber uns're Ketten,
Wie wir mit der Kreatur
Seufzen, ringen, schreien, beten
Um Erlösung von Natur,
Von dem Dienst der Eitelkeiten,
Der uns noch so harte drückt,
Ungeacht der Geist in Zeiten
Sich auf etwas Besseres schickt.

Dienstag nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen untertan.
Lukas 2,51,

Die unscheinbare Knospe der heiligen Jesus-Blume hatte sich erschlossen; sie hatte wunderbaren Duft gegeben und ungeahnte Schönheit geoffenbart. Jesus hatte Worte voll Ewigkeitsweisheit und Himmelstiefen geredet. Vor seinem ahnenden prophetischen Geist hatte sich eine ungeheure Aussicht eröffnet. Mit Staunen hatten die Schriftgelehrten diesen Knaben angeblickt; seinen Eltern hatte er sich geistig weit überlegen gezeigt. Was wird nun folgen? Wie wird sich Jesus nun zu seinen Mitmenschen, insonderheit zu seinen Eltern stellen? Lukas antwortet ganz trocken: „Er war ihnen untertan“. Wahrlich, so hätte kein Mensch auf Erden das Bild Jesu weitergezeichnet, wenn er es nach seiner Phantasie und nach seinen zeitlichen Gedanken gemacht hätte. Wir Alle hätten nach diesem Vorgange im Tempel ein neues beginnen lassen. Aber als sei es etwas Selbstverständliches - ohne ein „trotzdem und alledem“ einzuschieben, - berichtet Lukas: Er war ihnen untertan. Das ist eine entzückende Einfalt der biblischen Schriftsteller, dass sie die tiefsten Geheimnisse so anspruchslos hinstellen; aber nicht, damit wir darüber weglesen, sondern damit wir unseren Geist dahinein versenken sollen.

Von dem heiligen Berg, da seines Vaters Haus stand und da Er seinen Vater gefunden, wie nie ein Mensch in Gott seinen Vater fand, wandert Jesus still und willig mit seinen armen Eltern in das armselige Nazareth, wo man ihn nicht verstand, wo eine sehr gemeine Weltluft wehte, wo seinem suchenden, dürstenden Geist von Außen her gar wenig Anregung und Speise geboten wurde. Nur einmal in jedem Jahr zog er in der Mitte seiner Landsleute hinauf zur heiligen Stadt. Übrigens lebte er die 18 Jahre, ehe er hervortrat vor das Volk Israel, still und verborgen in den bescheidensten Verhältnissen. „Er war seinen Eltern untertan“, das war die Überschrift über jeden Tag aller dieser Jahre, da er aus einem Knaben ein Jüngling, aus dem Jüngling ein Mann wurde.

Denkt euch diesen reichen Geist, in dem die höchsten, Zeit und Ewigkeit umspannenden, Gedanken auf und niederwogten, denkt ihn, wie er seiner Mutter, die früh zur Witwe wurde, als ein treuer Sohn zur Seite stand, mit Rat, Tat, Trost und Hilfe in guten und bösen Tagen immer ihren Willen erfüllend. Er war der Hausvater, was Fürsorge und Arbeit betrifft; sonst aber demutsvoll und ehrerbietig wie das liebste Kind, dabei immer bedacht sie zu erfreuen und durch neue Liebe zu überraschen. Denkt euch diesen reichen Geist, wie er Tag um Tag im Schweiß seines Angesichtes sorgen muss, dass Alle, die im Hause sind, Brot zu essen haben. Da seht ihn, wie er den Bauern Pflüge und Eggen macht, Scheunen und Ställe repariert, - und dabei immer fröhlich, freundlich, zufrieden und seinen Eltern untertan. Nicht wahr, da blicken wir Alle beschämt zu Boden? Ja, lasst uns nur auf den Boden blicken, ja in den Staub heruntersinken, denn dieses Kleinsein ist die höchste Größe und Majestät, das fühlen wir Alle. Dann aber lasst uns aufstehen und betend sprechen: Jesu, lass uns Dir folgen!“

O ihr Söhne und Töchter, die ihr durch die Güte und Aufopferung eurer Eltern mehr gelernt, mehr Bildung erlangt habt, wie diese, spiegelt euch in diesem „untertan“ des Größten aller Erdensöhne! Ach, wie oft findet man es, dass Söhne, die ihren Eltern geistig überlegen sind, sich ihrer nun schämen, sich über sie hinwegsetzen, sie bekritteln und korrigieren in einer Weise, die Einem das Blut in die Stirn treibt. Ja, wie oft geschieht es, dass Kinder, die zu einem christlichen Leben erweckt sind, (während die Eltern noch in den alten Wegen wandeln,) sich über die Eltern erheben! Statt durch doppelte Demut und durch Beweisung aller wahren Tugend den Eltern tatsächlich zu beweisen, dass das Christentum glücklich mache, statt dessen spielen sie den Bußprediger, führen harte richterische Reden und maßen sich an allerlei Neuerungen vorzuschlagen, die ihnen als Kindern gar nicht zustehen. Solche soll man auf Jesum hinweisen, der alle Gebote Gottes gehalten hatte von seiner Jugend an, der an seinen Eltern so manche Schwachheit sah und den sein eigenes Gewissen nie verklagte; dennoch wird sein ganzer Wandel in den 30 ersten Jahren seines Lebens verfasst in das eine Wörtlein „untertan“. Hier frage dich, bin ich ein Christ? Denn Christ sein heißt nicht gut-reformiert oder -lutherisch sein, heißt nicht Christo nachsprechen, heißt nicht: Inspirationen, Erfahrungen, Entzückungen haben, heißt nicht diese und jene Werke treiben, nein, Jesu Nachfolger sein durch Kraft der Jesusliebe, das heißt Christ sein. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Lasst uns mit Jesu ziehen,
Seinem Vorbild folgen nach.
In der Welt der Welt entfliehen
Auf der Bahn, die Er uns brach;
Immer fort zum Himmel reisen, \ Irdisch noch schon himmlisch sein,
Glauben recht und lieben fein,
In der Lieb' den Glauben weisen,
Treuer Jesu, bleib bei mir,
Gehe vor, ich folge dir!

Mittwoch nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Er war ihnen untertan.'
Lukas 2,51.

Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu. Lukas 16,10. Die verschiedenen Verehrer Christi legen gar auf verschiedene Seiten seiner Person und seines Wirkens den Hauptton. Die Einen sprechen immer nur von der neuen heiligen Lehre, von der Aufklärung über Gott und Menschen, die er uns gebracht habe. Andere können nicht schnell genug auf Golgatha ankommen; hört man sie, so ist's, als ob Jesus nur gelebt hätte, um zu sterben. Davon, dass Jesus, ehe er lehrte und ehe er öffentlich wirkte und litt, schon in aller geräuschlosen Stille fort und fort ein wahrhaftes, Heilig-menschliches, gottgefälliges Leben seinen Mitmenschen vorgelebt und durch seinen Wandel dargestellt hat, davon wird selten geredet. Und doch hat Jesus, um das Volk zu lehren, nur drei Jahre gebraucht, dreißig Jahre aber dazu, Tag um Tag, durch den Wandel ohne Wort, der Welt zu beweisen, was das heiße: Mitten in der Welt, doch allewege sein in dem, was des Vaters ist

Nachdem Jesus so drei Jahrzehnte lang dargestellt hatte, was Tugend sei, darnach sprach er: „Folget mir nach!“ Nachdem er sich so lange begnügt hatte nur mit Werken zu reden und sonst zu schweigen, begann er nun auch mit Worten zu zeugen. Was das heißt: „Im kleinen treu sein, um für das Größte tüchtig zu werden,“ - zu diesem seinem späteren Wort hat Jesus selbst durch sein sanftmütiges, geduldiges, freudiges Stilleben in den unscheinbarsten Verhältnissen, Arbeiten, Umgebungen zu Nazareth die beste Auslegung geliefert.

Wie Mancher denkt: Ach, ich bin nicht in den rechten Kreisen; ich werde nicht verstanden, nicht anerkannt, man taxiert mich nicht hoch genug; - wie Mancher denkt: Ich habe nicht den rechten Posten und Beruf in der Welt; stünde ich da und da, ah, wie ganz anders könnten sich meine Talente entfalten, wie ganz anders könnte ich etwas schaffen! - Was sagt Solchen der Herr Jesus, der sich dreißig Jahre in Nazareth, dem ordinären Bauerndorf, gefallen ließ? Antwort: Sei treu im Kleinen! fülle die Stelle, wo du von Gott hingestellt bist, erst recht aus; werde deinem Beruf, mag er auch noch so gering sein, erst einmal gerecht, beweise deine Sanftmut, Geduld, Beharrlichkeit und Dankbarkeit, - dann wird sich das Weitere finden. So grade wirst du für's Große reif werden und dein Vater im Himmel wird wohl die Zeit ersehen, dich dahin zu führen.

Das war der Sinn, den Jesus bewies. Er sprach mit Samuel: „Gehorsam ist besser denn Opfer“. Ihm schien es göttlicher und heiliger in Nazareth getreulich die Kindespflichten zu erfüllen und sich als einen fleißigen Zimmermann und getreuen Nachbarn zu beweisen, als, im Widerstreit gegen diese Pflichten, sich hochbegeistert an den glänzenden Tempelgottesdiensten zu beteiligen und sich im Verkehr mit den großen Gelehrten und Kirchenfürsten theologisch zu bilden. „Gehorsam ist besser denn Opfer,“ so sagte er und so tat er. Er lebte den Nazarenern vor, wie man bei saurer Arbeit doch ein Leben mit Gott führen und sein Herz für die tiefsten und heiligsten Dinge immerdar offen haben könne; er lebte ihnen vor, wie man der liebenswürdigste Mensch sein und doch keines Menschen Knecht sein könne; wie man ganz und gar zufrieden sein und dabei doch ein viel Höheres erstreben könne; usw.

So lebte Jesus erst dreißig Jahre lang, was er dann lehrte. Wenn er nun sprach zum Beispiel: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihr ihnen;“ oder: „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu“; „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist,“ - so mussten Alle, die ihn gesehen hatten oder eben jetzt sahen, sagen: Was Er sagt, das ist Er auch. Die Sanftmut, die Herzensreinheit, das Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, das Alles war nie in einem Menschen also wie in Ihm, und dass es selig und frei und glücklich macht, das hat man auch je und je an Ihm gesehen. Ja, wahrlich, Er hat Recht so zu sagen.

Uns aber ermahnt der Apostel Petrus: „Geht hin und verkündigt die großen Tugenden Des, der Euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ Wie denn verkündigen? Ich sage weiter nichts; ich weise auf Jesum hin: Erst darstellen und schweigen, dann verkündigen und zeugen!

Stiller Jesu, wie dein Wille
Dem Willen deines Vaters stille
Und bis zum Tod gehorsam will;
Also mach auch gleichermaßen
Mein Herz und Willen dir gelassen,
Und stille meinen Willen gar;
Mach' mich dir gleichgesinnt
Wie ein gehorsam Kind,
Still und folgsam, Jesu, Jesu,
Hilf mir dazu,
Dass ich fein stille sei wie Du.

Donnerstag nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Jesus nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen.
Lukas 2,52.

Falls jemand denken möchte, durch das geringe Leben in Nazareth seien die himmlischen Adlergedanken und heiligen Ideale, die zu Jerusalem in des Vaters Haus geweckt wurden, allmählig wieder gedämpft und Jesus sei in der nüchternen Alltäglichkeit des Lebens von jener geistigen Höhe heruntergestiegen, - den belehrt das obige Wort eines Besseren; „Jesus nahm zu“. Das gilt von jedem Tag der achtzehn Jahre nach der ersten Reise zum Osterfest. Ebenso ist schon Vers 40 mit starkem Nachdruck von dem unmündigen Jesuskind gesagt: „Es wuchs und ward stark im Geist“. Lukas fordert also, dass wir damit vollen Ernst machen. Jesus war nicht von vorne herein was er werden sollte, nein, er musste es durch stetiges Wachsen und Zunehmen werden. Leiblich und geistig musste er durch dieselben Entwicklungsstufen hindurch gehen wie jedes andere Menschenkind. Da war nichts von Allmacht, Allwissenheit, verborgener Gottesmajestät und geheimem Weltregiment, wie auch liebe Christen träumen. Da war nichts von göttlichen Eigenschaften, außer dass er durch geheimnisvolle göttliche Zeugung entstanden und dadurch die Macht und Möglichkeit gegeben war, den Anfechtungen der Sünde durch den Glauben zu widerstehen, während ihr alle, auch die edelsten Söhne des ersten Adam, erliegen musstet.

Übrigens war Jesus ganz und gar Fleisch von unserem Fleisch und Bein von unserem Bein, versucht allenthalben, gleich wie wir. Nicht das ist seine Größe, dass er nicht fallen konnte, sondern dass er in der Versuchung dennoch allenthalben obgelegen und ohne Sünde geblieben ist. Jener Christus aber, der unter dem armen Pilgerkleid Gottes Herrlichkeit verborgen trägt, ist eine Scheingestalt, ein Heiland ohne Trost, der uns ewig fern bleibt, und die Mahnung, ihm nachzufolgen, wäre ein bitterer Hohn. Nein, was Jesus wurde, wirkte und litt, das geschah durch den Gehorsam des Glaubens, der sich auf jedem Punkt in den heiligen Willen des Vaters einsenkte. Darum hat ihn auch Gott erhöht und Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, darum hat Gott ihm gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

Lukas sagt nun zunächst, dass Jesus an Alter zugenommen habe. Das scheint nun eine sehr überflüssige Bemerkung zu sein. Allein das griechische Wort bedeutet auch die menschliche Natur. Wir dürfen hier wohl auf die ganze leiblich-geistige Entwicklung, soweit sie vor Augen tritt, hinweisen. Sie war also bei Jesu eine harmonische, gleichmäßig fortschreitende, ohne dass eine Übereilung oder ein Stilstand, Verwirrung, Bruch oder Riss hineinkamen. Jesus war nicht ein frühreifes Wunderkind, wie's denn Kinder von wenigen Jahren gegeben, die schon große musikalische Virtuosen oder Sprachmeister gewesen sind. Auf solche unnatürliche Frühreife folgt in der Regel eine gar traurige Erschlaffung des Geistes, der dann wie ausgelebt und ausgebrannt erscheint. So war Jesus nicht. Lernend und arbeitend nahm er an Leib und Seele gleichmäßig und allmählig zu. Während unsere Kinder so leicht missmutig werden, wenn sie nicht recht voran können, oder eitel und übermütig, wenn Alles so leicht und glatt von Statten geht, so überwand Jesus die Schwierigkeiten durch stille Geduld und Beharrlichkeit, den Übermut aber durch Demut und Gottespreis.

Weiter sehen wir bei unzähligen Kindern, dass gerade in den Jahren, die dem zwölften folgen, plötzlich ein erschreckender Stillstand eintritt. Sie werden unlustig, unkindlich, störrig, untüchtig sich zu sammeln, - Leib und Seele scheinen wie vom Wurm gestochen. Ach, so sieht man manche liebliche Menschenblume, wie sie bald schlaff die Blätter hängen lässt. Was ist das? Zuweilen sind's nur leibliche Leiden, öfter aber geheime Jugendsünden, die das Mark des Lebens zerfressen. Darüber ließe sich ein gar schaurig und traurig Lied singen. O, ihr Eltern, Lehrer, Erzieher, achtet wachend und betend auf die ersten Anfänge, warnt die Kinder, betet mit ihnen, kämpft mit ihnen, stellt ihnen vor allen Dingen das heilige Bild des Jesusknaben und Jünglings vor Augen, der allen Angriffen der Sünde gegenüber sprach: Wie sollte ich ein so großes Übel tun und wider Gott, meinen Herrn, sündigen? Weißt du nicht, (scheußliche Sünde) dass ich sein muss in dem das meines Vaters ist? - So hat Er gesiegt und durch ihn sollen wir siegen, die nach Erlösung schreien.

Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens!
Sieh wie die Finsternis dringet herein;
Wie sie ihr höllisches Heer nicht vergebens
Mächtig aufführet, mir schädlich zu sein!
Lass mich eindringen in's göttliche Wesen,
So wird mein Geist, Leib und Seele genesen.

Freitag nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Jesus nahm zu an Weisheit.
Lukas 2, 52.

Das ist mehr als: „an Verstand“, und vollends mehr wie „an allgemeiner Bildung“. Heutzutage zielt die meiste sogenannte Bildung, sowohl der Knaben wie der Mädchen, nur darauf, die Verstandeskräfte zu schärfen und vor allen Dingen dahin zu führen, dass man von allem Möglichen so viel weiß, um ein Bisschen mitraisonnieren zu können. Über dem bunten Vielerlei kommt es schwer auf irgend einem Punkte zu rechter Tiefe, und die originalen Meister werden immer seltener. Desto häufiger ist bei den routinierten Leuten Eitelkeit und innere Leere. - Die wahre Weisheit ist das Eindringen in die Tiefe und Verborgenheit der Dinge, in die Mächte und Gewalten, die im Geheimen wirken. Darum sind Gotteserkenntnis und Erkenntnis des menschlichen Herzens aller Weisheit Anfang. Indem wir Gott erkennen, lernen wir erst uns selbst verstehen. Wer aber alles wüsste und kennte sich selber nicht, der ist und bleibt ein Narr mit aller seiner Wissenschaft. Wer noch so viel gelernt hat, kennt aber das menschliche Herz nicht, der ist unfähig auf die Menschen zu wirken. Die Herzen unserer Mitmenschen aber erkennen wir dadurch, dass wir uns selbst erkennen und dann mit offenem Auge das Leben um uns her betrachten. So drang auch Socrates, der weiseste Mann des Altertums, immer wieder auf Selbsterkenntnis; zugleich aber führte er seine Schüler auf den Markt, auf die Straße, zum Hafen, zum Exerzierplatz; ließ sie das Leben anschauen, knüpfte mit allen möglichen Menschen an und offenbarte ihnen so, was das für verborgene Beweggründe und Triebe seien, die durch die Sichtbarkeit enthüllt wurden. Ach, wie viel könnte unsere gegenwärtige Bildung und Verbildung hier lernen, wie ist unsere heutige Bücherweisheit dem wirklichen Leben so entsetzlich entfremdet! Wie wenig wird die Weisheit gezeugt, die auf das Innere dringt, um dann von Innen nach Außen zu gelangen!

„Jesus nahm zu an Weisheit“. Das geschah vornehmlich durch das verborgene Leben mit seinem Vater, durch die Hingebung an seinen Geist und Willen. Der lautere Geist Jesu, der nie durch die Sünde getrübt und verfinstert war, tat eben deshalb wunderbare Blicke in die göttliche Wahrheit und in das Wesen aller Dinge. Unaufhaltsam durchdrangen ihn die Strahlen des göttlichen Lichtes; das heilige Gotteswort aber war die tägliche Speise seiner Seele, es war aber auch zugleich die heilige Fackel, die ihm die ganze Welt erleuchtete, das ganze innere und äußere Leben der Menschen. Mit diesen aber lebte er in der ungezwungensten, herzlichsten Gemeinschaft, Leid und Freud', Arbeit und Ruhe mit ihnen teilend, immer mitten drin in dem frischen, vollen Menschenleben, mit seinem tausendfachen Wechsel. So gelangte er zu der Weisheit, die in's Verborgene schaut, vornehmlich auch hinein in die Tiefen und Untiefen des Menschenherzens, wie's einem Lehrer und Erzieher, Heiland und Versöhner der Menschheit notwendig war.

Mit Staunen sehen wir nachher, als Jesus sein messianisches Amt antritt, wie alles Menschenwesen klar und offenbar vor seinen Augen daliegt. Er ist tief eingedrungen in das geheime Sinnen und Planen, er hat das innere Lust- und Sorgengetreibe wunderbar belauscht. Jedem Menschen gegenüber trifft er sogleich das verborgene Pünktlein, so dass jeder merkt: „ich bin entdeckt, ich bin entlarvt“, oder auch „ich bin verstanden, bin erhört, ehe ich redete“. So fährt denn sein Wort bald wie ein zündender, vernichtender Blitz in die Herzen, bald senkt sich's hinein wie ein heilender Himmelsbalsam oder wie ein Leben weckender Frühlingsstrahl; überall aber und immer ist's die vollkommene Weisheit, die uns in Jesu begegnet, überall finden wir auch, wie er das Getreibe des menschlichen Herzens und Lebens belauscht hat. Wie schildert er das erstickende Sorgengetreibe einerseits und andererseits das narrenhafte Plänemachen ohne Gott; wie trifft er die scheinfromme Heuchelei und Selbstbetrügerei mit zermalmendem Wort und wiederum, wie tief schaut er in den Jammer einer nach Errettung schreienden Seele hinein; wie versteht er es, in dem Bild des verlorenen Sohnes den Leichtsinn von Millionen und aber Millionen samt den entsetzlichen Folgen dieses Leichtsinnes zu schildern, und wiederum wie unvergleichlich stellt er in jenem Priester und Leviten, die an dem totwunden Mann vorübergehen, die Kaltherzigkeit der menschlichen Natur dar! Doch lassen wir das, denn jeder Blick in die Evangelien lässt uns in Jesu eine Weisheit schauen, wie nie auf Erden Weisheit war.

Diese Weisheit aber ist ihm nicht vom Himmel als eine fertige Gabe in seine Seele gesenkt, nein, er hat sie errungen, erbetet, erarbeitet durch ein stetes Aus- und Eingehen in dem Tempel der Wahrheit Gottes, durch ein wahrhaftiges Aufschließen seiner Seele gegen die Strahlen des Lichtes Gottes, die ihm Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit erhellten. Und so gewiss Jesu Jünger Licht und Salz der Erde sein sollen, so gewiss sollen sie ihm auch in seiner Weisheit ähnlich werden. Nimmst du, der du dich Jesu Jünger nennst, zu an Weisheit? Wenn aber nicht, - warum denn nicht? Das prüfe selbst - aber ehrlich!

Aller Weisheit höchste Fülle
In dir ja verborgen liegt,
Gib nur, dass sich auch mein Wille
Fein in solche Schranken fügt,
Worinnen die Demut und Einfalt regieret
Und mich zu der Weisheit, die himmlisch ist, führet.
Ach wenn ich nur Jesum recht kenne und weiß,
So hab' ich der Weisheit vollkommenen Preis.

Sonnabend nach dem 2. Sonntag nach Epiphanias.

Jesus nahm zu an Gnade bei Gott und den Menschen.
Lukas 2, 52.

Das Wort will Manchen schlecht einleuchten. Zwar das, dass Jesus mehr und mehr der Menschen Wohlgefallen erwarb, begreift man noch leicht. Immer mehr wurde man in Nazareth aufmerksam auf diesen eben so sanften wie festen, eben so ernsten wie freundlichen liebenswürdigen und dienstwilligen Jüngling, der Jedermann wohlzutun beflissen war und doch Niemand weh tat. Denn die Tugend an und für sich wird auch von Denen geschätzt, die nichts von ihr besitzen. Oft hörte man die Bauersleute in Nazareth sagen: „So Einer ist nicht wieder; wahrlich, die Maria hat ein seltenes Glück mit ihrem Sohn“. - Freilich, er hatte seine Privatansichten, seine eigentümlichen Ideen, wie man sagte; er enthielt sich manches Dinges, das doch Allen löblich schien; er urteilte oft ganz anders wie alle Welt; er war oft ernst, wenn alle lachten, und Anderes, worüber jeder Nachbar jammerte, focht ihn gar nicht an. Aber der wunderliche Jüngling war so liebenswürdig und gut, dass man ihm seine Eigenheiten gern nachsah. Anders wurde freilich die Sache, als er sein heiliges Schweigen brach, als er anfing zu zeugen und auch seinen Landsleuten nicht vorenthielt, dass ohne durch Buße und Wiedergeburt kein Weg zum Himmelreich führe. Da wandte sich das Blatt und hätten sie gekonnt wie sie wollten, sie hätten den Zimmermannssohn in den Abgrund gestürzt (Lukas 4,29). Das kann ja auch heute noch jeder wahrhaftige Christ erfahren, wie er gerne ein Leben des Glaubens führen kann mitten in der Welt des Unglaubens, ja, eine Zeitlang dabei recht beliebt sein. Schnell aber wandelt sich die Stimmung bei Vielen, wenn er, ob auch noch so sanft, zart und demütig, seinen Nachbarn enthüllt: „Auch ihr müsst umkehren, wenn ihr nicht im Tod bleiben wollt“.

Wir verstehen also, dass Jesus zunahm an Gnade bei den Menschen. Wie aber konnte er zunehmen an Gnade bei Gott? War nicht über ihm, dem sündenreinen Menschen, fort und fort Gottes vollkommenes Wohlgefallen? Und wenn es so war, wie konnte er denn zunehmen an Gnade? Aber hat nicht ein Schüler, der immer seine Pflichten treulich erfüllte, das volle Wohlgefallen seines Lehrers? Und steigt nicht doch noch dieses Wohlgefallen, wenn der Lehrer erfährt, dass jener Schüler heimlich seinen schwächeren Mitschülern fortgeholfen hat, damit auch sie dahin kommen, wohin er selbst schon gekommen ist? Oder, nehmen wir an, dass eine Mutter nie über Ungehorsam und Lüge bei ihrem Kind zu klagen hatte, - wird nicht doch das sind in der Liebe der Mutter wachsen, wenn sie hört, dass es die schwersten und lockendsten Versuchungen zu Ungehorsam und Lüge durchgemacht und doch ritterlich bestanden hat? So nahm auch Jesus zu an Gnade bei Gott je länger und je mehr er das Gute und Heilige in sich befestigte und zum inneren Heiligtum machte, je länger und je mehr er auf allen Punkten und in allen Versuchungen die Anfechtung zur Sünde überwand, so dass es mehr und mehr eine Natur-Unmöglichkeit für ihn wurde zu sündigen. O, dass wir an ihm lernten, allezeit einwärts und himmelwärts unser Auge zu richten nach seinem heiligen Vorbilde, bis wir durch Macht seiner Gnade herankommen zu dem vollkommenen Mannesalter Christi, da jeder Schatten von Sünde unmöglich, da Heiligkeit unserer Seele Leben und lichte Gottesherrlichkeit unser Kleid sein wird.

Nun, so gib, dass meine Seele
Auch nach deinem Bild erwacht,
Du bist ja, den ich erwähle,
Mir zur Heiligung gemacht.
Was dienet zum göttlichen Wandel und Leben
Ist in dir, mein Heiland, mir Alles gegeben.
Entreiße mich aller vergänglichen Lust;
Dein Leben sei, Jesu, mir einzig bewusst.

Am 3. Sonntag nach Epiphanias.

Der Herr kennt die Seinen.
2. Timoth. 2,19.

Nur Die, die der Herr kennt, sind des Herrn, aber Er weiß auch Die zu finden, die Ihm und nicht sich selbst angehören, die Ihm und nicht der Sünde dienen wollen. Nicht diese und jene Kirche oder Partei kennt Er, sondern die Seinen. Keine Kirche auf Erden hat das Monopol und Patent des Seligmachens; keine Kirche kann dir die Seligkeit garantieren deswegen, weil du ihr treues Glied bist; wo aber eine Kirche dennoch solche Versicherung geben wollte, so löge sie eben.

Alle Kirchen auf Erden sind nur Werbeplätze und Bildungsanstalten für das Reich Gottes, das durch alle Kirchengemeinschaften, Sekten und Parteien hindurchgeht. Je lauterer und ungeschminkter aber in einer Kirche der Heilsrat Gottes und der Weg zum Frieden in Jesu verkündigt wird, desto mehr erfüllt sie ihren Zweck und desto mehr hat sie ein Recht, sich christlich und evangelisch zu nennen. Nicht Lutheraner, Katholiken, Baptisten, Reformirte, nicht auch Orthodoxe, Liberale und Pietisten kennt der Herr, - nein die Seinen, die sein Eigentum geworden sind, die kennt Er und nur die.

Schafft dir das Trost oder Angst? Ja, Er erkennt anders wie die Menschen. Durch alle fromme Phrasen, salbungsvolle Bekenntnisse, hochkirchliche Formen, glänzende Werke, Schminken und Mäntelchen aller Art schaut Er hindurch bis auf den innersten, tiefsten Grund der Herzen. Wird Er dich ehrlich finden? Ach wie Mancher, der vor den Leuten als ein großer Heiliger gilt, wird von Ihm nicht erkannt werden (Matth. 7,22 f.; 25,40 ff.).

Dagegen wird Er Manchen, den selbst gute Christen noch für ein Weltkind ansehen, als Einen der Seinen erkennen. O, wie Viele, die nur einige Körnlein der Wahrheit kennen, oder die (wie z. B. die meisten Katholiken) das seligmachende Evangelium mit so viel verwirrendem, trübendem Beiwerk empfangen haben, - wie viele Solcher, die aber treu sind mit dem Erkannten, stehen vor Gott höher wie Diejenigen, die das ganze Kapital der himmlischen Wahrheit besitzen, aber nicht damit wuchern zur Selbsterneuerung. Ja der Herr kennt so manches irregeleitete Streben, unklare Suchen, Tasten, Tappen, Verlangen und Ringen und weiß es nach seinem inneren Wert zu deuten und zu schätzen. Er sieht und zählt die Tränen, die in stillen Stunden aus manchem Auge zu Gott hinauf geweint werden und die kein Mensch sieht und ahnt. Er weiß auch die Seufzer Derer zu dolmetschen, die Kanaan meinen aber Kanaans Sprache noch nicht reden, und es kann nicht fehlen, Er wird jeden dürstenden Hirsch zur Quelle leiten.

Es wird einmal ein großes Verwundern geben, wenn der Tag erscheint, da Gott der Herr seine Bücher aufschlägt und die Register seiner Kinder offenbar macht. Darum „richte Niemand vor der Zeit“; nur sich selbst richte Jedermann, das ist immer an der Zeit. „Abtreten von der Ungerechtigkeit“, das ist die Sache für einen Jeden, der den Namen Christi, ohne ihn zu entwürdigen, nennen will. Je aufrichtiger Einer in Christi Nachfolge darauf bedacht ist, desto mehr trägt er das Siegel der Gotteskindschaft. Und da gilt es nicht nur die groben Bären und Auerochsen, sondern die kleinen Füchse und huschigen Schlangen, die den Weinberg des Herzens verwüsten, einzufangen und zu töten.

Was bei Dir Ungerechtigkeit ist, ist vielleicht sehr fein oder gar fromm und liebenswürdig nach der Menschen Schätzung; der Herr aber, der die Seinen erziehen will, wird es Dir schon offenbar machen durch seinen Geist, wenn du es erst wissen willst. Aber gib Acht! Denn ob du an den Geist dieser Welt mit einer schweren Kette oder nur mit einem Zwirnsfaden festgebunden bist, es ist dieselbe Gefangenschaft, so lange du nicht den Zwirnsfaden zerreißt.

Es kennt der Herr die Seinen
Und hat sie stets gekannt,
Die Großen und die Kleinen
In jedem Volk und Land.
Er lässt sie nicht verderben,
Er führt sie aus und ein;
Im Leben und im Sterben
Sind sie und bleiben sein.

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