Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - VI. Unser täglich Brod gib uns heute.

Frommel, Emil - Das Gebet des Herrn in Predigten - VI. Unser täglich Brod gib uns heute.

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi, und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: Matth. 6, Vers 11.

Unser täglich Brod gib uns heute.

In Christo geliebte Gemeinde!

Wir stehen an der vierten Bitte im lieben Vaterunser. Die drei ersten „Dein“ haben wir gebetet, es kommen die „Unser“ und „uns“ an die Reihe. Beteten wir die drei ersten recht, brauchten wir nichts anderes zu bitten, wir hätten Alles. Aber der Herr kennt was für ein Gemächte wir sind, er gedenket daran daß wir Staub sind. Darum heißt er uns deutlicher reden von unserm Bedürfniß. Es fängt das Vaterunser gleichsam wieder von vorne an. In den drei ersten Bitten, als wir droben standen wo die Seraphim das Heilig singen, wo der Herr Jesus sein Königscepter schwingt und die Engel den Willen des Herrn thun, da war uns so selig wohl. Aber ein Wort hat der Herr gesagt, das machte uns traurig - da ward die Bitte zur lauten Klage und Anklage: das Wort „auf Erden.“ Wir fühlten's, wir sind nicht daheim. All unser Jammer und Elend, alle leibliche Sorge, alle Schuld, alle Versuchung und Uebel regt sich. Es ist als ob der Herr mit dem Wort: „Auf Erden“ einen hungernden, schlafenden Löwen geweckt hätte. Da sollen wir denn aufs Neue kommen und bitten. Wie wir in den ersten Bitten uns hinaufschwangen zu dem Herrn, so bitten wir jetzt: „Neige dich in Liebe zu uns herab.“ So ist dies Wort „auf Erden“ gleichsam die Brücke von der dritten zur vierten Bitte, wie das vierte Gebot die Brücke von der ersten zur zweiten Tafel ist.

Da steht nun der leibliche Mangel voran. Warum denn nicht der geistliche? Der Herr weiß, daß das die erste Bitte ist, die dem Menschen über die Lippen kommt. Erst will Er die schwere Sorge für den Leib nehmen, denn er weiß, daß wenn sie wie schweres Gewicht an einem Menschenkinde hängt, der fröhliche Aufschwung der Seele gehemmt ist. Darum stellt er sie voran, damit wir recht frisch und wacker dann die drei geistlichen letzten Bitten beten. Die leibliche Bitte soll getragen werden von den sechs geistlichen. Wer getragen wird von zweien sitzt in der Mitte. Also drei geistliche Bitten voran, drei folgen - so wird diese schwere irdische Bitte gleichsam durchgetragen vor den Thron des Herrn.

Ihr habt wohl gedacht: „Nun die ist leicht. Die verstehen wir schon, und haben sie oft gebetet.“ O ja wenn der natürliche Mensch das Vaterunser zu machen gehabt, er hätte sie oben hingestellt. Aber ist sie wirklich so leicht? Wird sie denn, so oft sie gebetet wird, darum auch recht gebetet? Ach meine lieben Freunde, es müßte anders stehen, wenn sie recht gebetet würde. Es müßte das thörichte Rennen und Jagen nach Reichthum aufhören, wo man nur betete ums tägliche Brod; der Neid, der Haß, die Lieblosigkeit müßten schweigen wo man betete: Gib es „uns,“ dir und mir; unsere Zuchthäuser würden nicht so voll sein, wenn jeder sprechen könnte: „Unser Brod gib uns, laß es nicht durch Bettel und Diebstahl erworben sein;“ die Verzweiflung und der Kleinglaube würden sich nicht lagern um so viele Herzen und Häuser, wo der Glaube spräche: gib Du es uns! Die bangen Sorgen müßten schwinden wo man betete „Gib es uns heute.“ Nein, lieben Freunde, es wird nicht recht gebetet. Darum kommt, lernen wir recht beten:

Unser täglich Brod gib uns heute.

Wir fragen:

  1. Was heißt das: täglich Brod?
  2. Was heißt das: gib es uns?
  3. Was heißt das: gib uns unser täglich Brod?
  4. Was heißt das: gib es uns?
  5. Was heißt das: gib es uns heute?

Treuer barmherziger Gott! Wir kommen im Namen deines lieben Sohnes vor dich mit aller unserer Erdennoth und Jammer und mit aller Sorge. Ach Herr du hast es uns ja erlaubt und geboten also zu beten und verheißen, daß du uns wollest erhören! Du kennst eines Jeden irdische Noth besser denn ich sie kenne und weißt wie sie einen Jeglichen drückt. So werfen wir denn alle Sorgen auf dich denn du sorgst für uns. Laß die Armen bedenken, daß du ein reicher Gott bist, laß die Reichen bedenken, daß Ihr Reichthum von Deiner Hand kommt. Nimm uns die Sorge für unsern Leib und gib uns die heilige Sorge für unsre Seele! Amen.

1. Was ist täglich Brod?

In Christo geliebte! Darunter ist das leibliche und irdische Brod zu verstehen. Manche glaubten es geistlich nehmen zu müssen, aber das geistliche Brod liegt ja schon in dem „Dein Reich komme,“ und dann laßt uns nicht geistreicher sein als die Schrift selbst, wie der selige Bengel sagt. Sie ist geistreich genug, und gar oft findet man's daß die, die da meinen der leiblichen Bitte vor lauter Geist nicht zu bedürfen, wenn die Noth kommt, elend und jämmerlich Schiffbruch am Glauben leiden.

Dies Wort umfaßt viel, und doch sehr wenig; es ist eng und doch sehr weit. Hören wir den Katechismus. Er fragt: Was ist tägliches Brod? und antwortet: „Alles was zur Leibesnahrung und Nothdurft gehört: als Essen und Trinken, Kleider und Schuh, Haus und Hof, Aecker, Vieh, Geld, Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und getreue Oberherrn, gut Regiment, gut Wetter, Gesundheit, Friede, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und dergl.“ Dr. Luther erklärt es weiter: Du bittest hier um alles was das tägliche Brod bringt, und gegen Alles, was es nehmen kann. Darum mußt du deine Augen aufmachen, und nicht allein schauen in den Backofen und den Mehlkasten, sondern in Flur und Feld, und das ganze Land. Du sollst nicht allein schauen, daß du Futter und Decke hast, sondern ob auch unter den Leute Friede ist. Darum sollte man billig auf jeden Schild, und unter jedes Königsbild ein Brod setzen, anzuzeigen, daß wir nur wo gute Obrigkeit ist, unser Brod in Frieden essen.

Wohl kommt dir das viel vor, und nicht zum täglichen Brod gehörig, aber sage: Was nützt das tägliche Brod in einem Hause, wenn der Vater oder die Mutter alles durchbringen, wenn die Kinder das Brod mit Füßen treten, und das Gesinde unredlich ist und der Herrschaft das Ihre verschleißt? Was nützt es dich, wenn du krank bist? Denn wenn du das kalte Fieber hast, nützt dich kein Rock noch Bett. Also gehört das Alles dazu. Und doch ist nur um das Wenigste zu beten. Mit dem Worte „Brod“ setzt uns der Herr auf's allernothwendigste. Denn das Brod ist das Nothwendigste, Einfachste unter allen Mitteln. Das sieht man erst wenn man's nicht hat. Mit den Träbern will der verlorne Sohn und mit dem Tropfen Wasser der reiche Mann in der Hölle zufrieden sein. Nehmt einmal das Brod weg, es würde Euch, wenn ihr Alles hättet, nichts munden. Ihr würdet in der Wüste den Edelstein liegen lassen und nach dem Brod greifen. Das Brod ist das herrlichste Bild der Weisheit und Kraft unsers Gottes, darum auch unser Heiland sich das „Brod vom Himmel“ nennt. Darum sagt auch unser Volk „das liebe Brod,“ wie: „der liebe Gott,“ weil es von Ihm allein kommt; und wohl dem Hause, wo man die Kinder straft wenn sie das Brod zertreten, wo es als ein Heiligthum mit Ehrfurcht angeschaut wird. Darum bekommt mit dieser Bitte der irdische Sinn, der Alles vom Besten haben will und im Ueberfluß was seinen Gaumen reizt, der sich Lust- und Luftschlösser vom Reichwerden baut, seinen Todesstoß. Täglich Brod bis hierher und nicht weiter sollst du beten. Nicht um das was man haben kann und nicht haben kann, sondern um das was man haben muß, bittet das Kind Gottes. Mit dem Wort täglich, was so viel ist als nothdürftig schlägt Jesus, den unzufriedenen Sinn, der hinaussorgt und alle Tage was anders haben will. Wiege und Sarg, Anfang und Ende unsers Lebens predigen: „Wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist: Wir werden auch nichts hinausbringen.“ O wie herb klingt in das unersättliche Jagen und die Begier Alles zu haben was man sieht, dies Wort und das Bild unsers Heilandes, der nicht hatte, wohin er sein Haupt hinlegte! Wahrlich, lieben Freunde, wir würden keine heruntergekommene Familien hoch und nieder haben, wenn dieser Sinn der Demuth und die Zufriedenheit mit dem täglichen Brod da wäre. Es wären nicht so viele Klagen da über die schlechten Zeiten. Wohl sind die Zeiten schlecht. Mag wahr sein. Aber die Menschen sind noch viel schlechter als die Zeiten. Es ist doch eigen, daß trotz der schlechten Zeiten, der Luxus, die Vergnügungssucht, die man so oft als erfreulichen Fortschritt preisen hört, in außerordentlichem Maße zunimmt. Wenn das Vergnügen das tägliche Brod im Hause ist, ist's Wunder wenn das wirkliche Brod fehlt? Oder ist nicht Vielen das tägliche Brod zum Eckel geworden, daß es ihnen daheim nicht mehr schmeckt? Schämen sich nicht unsere Meister mit ihren Gesellen zu essen, und die Gesellen mit ihren Meistern! Wie viele Klagen und böse, gottlose Reden hört man von Kindern, denen kein Kleid gut genug, kein Rock fein und modisch genug ist; die Tagelang weinen können, wenn ihnen ein Vergnügen versagt wird, und hört man nicht von Leuten, die lieber Weißzeug und Silber ins Pfandhaus schicken und ihre Kinder darben lassen um einen vergnügten Tag zu haben! Heißt das denn etwa um's tägliche Brod bitten? und dann will man jammern wenn man nichts hat! Doch versteht mich auch recht. Nicht als ob der Mensch nicht mehr haben dürfte, als das tägliche Brod; wir sollen nur um nichts weiter beten. Der Herr aber schenkt in Gnaden mehr als das tägliche Brod. Er hat den Abraham, den Joseph, den Daniel reich gemacht. Aber gerade sie waren es die in dem Herrn allein reich sein wollten. Abraham gibt die Beute zurück: „Du sollst nicht sagen, daß du Abraham reich gemacht habest,“ spricht er. Joseph will nicht durch Sünde, Daniel nicht durch Verläugnung seines Gottes reich werden. Eben darum schenkt Ihnen der Herr mehr als sie brauchen. Salomo, der nur um ein weises Herz bat, wird der reichste unter den Königen Israels. O der Herr gibt jedem mehr als das tägliche Brod!

Aber wenn er Euch mehr gibt, wenn ihr es habt, wollt ihr damit diese Bitte fertig gebetet haben? Geht sie Euch weiter nichts mehr an? Wozu gibt er Euch mehr denn ihr bedürfet? Hier stehet ein Wörtlein, das sagts. Ihr betet ja:

2. Gib uns unser täglich Brod heute!

Du sprichst nicht: „Mein täglich Brod gib mir.“ sondern „unser täglich Brod gib uns.“ Des natürlichen Menschen Grundsatz heißt allerdings: Jeder ist sich selbst der Nächste. Seine Liebe geht nicht so weit der Himmel reicht, sondern so weit sein Hofthor geht. Wo aber das falsche „Mein“ und „mir“ genommen ist, da kommt auch das rechte „Uns“ und „unser.“ Wo wir an einem Tische sitzen im Reiche Gottes da müssen wir auch beten, daß jeder das Seine habe am Tische in der Fremde. Das thut die Liebe, die betet „uns“; während die Demuth betet „täglich Brod.“ Die Liebe ist die Seite des Wesens Gottes, der wir am ähnlichsten werden können. Darum sagt auch der Apostel: „Seid Gottes Nachfolger in der Liebe.“ Wie ein Kind seines Vaters Züge trägt, so sollen auch wir diesen Liebeszug des himmlischen Vaters im Herzen und im Angesicht tragen. Gott freuet sich, wenn seine Creatur lebt und sich freut, ja er gibt dem Menschen noch eine Gehülfin seiner heiligen Freude. Lieber Christ! Ist solcher Liebes- und Freudezug in dir? Kannst du Freude haben, ohne daß sie dein Bruder auch hat? Betest du für Alle, daß sie ihr täglich Brod finden? Betest du für die Kranken die es nicht erwerben können, betest du für die Sterbenden, daß ihnen die Hand nicht fehle die ihnen den Todesschweiß von der Stirne trocknet? Betet ihr für die Reichen, daß sie bleiben im Segen und ihnen zum Segen werde was sie haben, oder steigt der Gifthauch herauf im Wunsche: „Wenn sie nur nichts hätten?“ Betet Ihr für den Fürsten und sein Haus? denn es ist der Völker Ehre wenn sein Fürst hat und reich ist über alle Armen.

Höre! damit wird dem Neid, der Mißgunst und Eifersucht der Todesstoß gegeben. Wie kannst du beten: gib uns, so in dir der Neid sagt: „gib ihm nichts!“ so du dich freuest, wenn seine Familie herunter kommt, wenn dein Nächster seine Kundschaft verliert? siehe, da wird dein Gebet in deinem Munde zum Fluch. Aber in dem Wörtlein „uns“ verpflichtest du dich auch zu geben wo du kannst. Du bist die Hand durch welche Gott gibt. Er hat dir manchen armen Lazarus vor die Thüre gelegt unter deinen Verwandten und Freunden, willst du über ihn hineinsteigen in dein Haus und ihn liegen lassen und Morgens hinstehen und bitten: gib uns unser täglich Brod? Das einzig sichere Capital, das nicht verloren geht, ist das Geld das du den Armen gibst. „Tausend Gulden besitze ich“ sagte jener reiche Kaufmann zu seinem Fürsten, der ihn frug, wie reich er sei. „Nur tausend Gulden?“ sagte der Fürst, „das ist nicht möglich.“ „Doch,“ antwortete der Kaufmann, „denn die habe ich den Armen gegeben, die sind allein mein.“

Aber der Herr will darum noch nicht, daß wir nur von der Gnade der Andern leben. Darum heißt er uns beten:

3. Unser täglich Brod gib uns heute.

Wir sagen und bitten damit: „Gib daß ich es mein nennen könne.“ Unser Brod ist das, was wir auf rechtmäßige Art erwerben und darum auch unser nennen dürfen. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du arbeiten“ das ist Gottes Fluch und Segen zugleich. Wir sind an die Arbeit gebunden, wenn gleich uns Gott auch auf andere Art das Brod geben kann, wie etwa durch Erbschaft rc. rc. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen,“ das sollte man unsern vornehmen und geringen Tagdieben auf die Stirne schreiben. Unser Brod ist es nicht, wenn es zusammen gebettelt ist ohne Noth; unser ist es nicht, wo es gestohlen ist, sei's auf grobe oder feine, gebildete oder ungebildete Art; wenn's durch falsche Waage und Handel, durch erschlichene Erbschaft oder falschen Eid oder Mord - unser auch nicht, wenn's im Spiel oder durch Sabbathschänderei gewonnen ist. Unser ist es nicht, wenn wir uns besolden lassen in welchem Stande es sei, als Beamte oder Dienstboten, und der Herrschaft nicht nur das Geld und die Kräfte, sondern auch die Zeit stehlen. Ach wie vieles könnte ich dir hier noch sagen, wodurch du das Brod, das du issest, nicht rein nennen darfst! Meine Freunde, wie viele solcher Diebe laufen in der Welt herum, vornehme und geringe, die diese Bitte nicht beten können noch dürfen! Und ach wie oft haben wir - du und ich - unser Brod gegessen, wo wir es nicht unser nennen durften! Darum prüfe jeden Kreuzer auf der Gewissenswaage, ob kein Bettel, kein Fluch, keine Thräne, keine Untreue dran hängt, ehe du ihn dein nennst. Ja dies Wörtlein „unser“ ist eine große Gewissensfrage an dich.

Allein es könnte nun manchem der Gedanke kommen, es läge so sehr an seinem Rennen und Laufen, daß er kühnlich sprechen könne: „Unser täglich Brod verdiene ich mir heute!“ Nein. Der Herr lehrt uns beten:

4. Unser täglich Brod gib uns heute!

Das heißt: Laß es mich erkennen, daß das Brod das ich mein nenne, dennoch dein ist, und von dir kommt. Das ist Kern und Stern der vierten Bitte. „Gott gibt täglich Brod wohl ohne unser Gebet auch allen bösen Menschen, wir bitten aber in diesem Gebet, daß er es uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfahen unser täglich Brod.“ Gottes Liebe ist eine allgemeine. Er läßt seine Sonne und seinen Regen kommen auf den Acker des Fluchers, des Trunkenbolds, des Ehebrechers, wie des Kindes Gottes; und die Welt nimmt das hin, wie wenn sich das von selbst verstünde, wie die Fünftausend die der Herr speist, die ihm hernach mit dem „Kreuzige ihn“ danken. „Um des Einen willen erhält Gott die Welt: um Jesu willen; denn mit Ihm hat Er uns alles geschenkt, und läßt die Welt leben, damit sie zum Sohn komme und selig werde. Die Welt hört das - aber es rührt sie nicht. Wie gottlose Kinder alles als schuldigen Tribut nehmen von ihren Eltern, so hält sie das tägliche Brod für etwas sehr geringes, und wer nichts mehr hat, ist in ihren Augen ein erbarmungswürdiger Mensch. Bei ihr ist Alles Natur und Zufall. Da ist's die neue Methode zu pflügen und zu düngen, die den Acker gut gemacht, und die gute Constitution, die den Menschen herausgerissen hat aus der Krankheit, nicht einmal der Doktor kriegt seinen Dank, geschweige denn Gott. Darum ist auch kein Dank bei der Welt, sie ist wie das unvernünftige Thier auf der Weide, das hinnimmt, ohne seinen Kopf aufzuheben und zu fragen, woher das kommt, ohne zu danken. Was glaubt ihr aber, was würden diese selbstgewachsenen Naturweisen sagen, wenn sie ihre ungerathenen Kinder zum Dank aufforderten, und diese ihnen antworten würden: Daß ihr uns erzogen, bei uns gewacht, uns gekleidet habt, das haben wir euch nicht zu danken, das ist Alles Zufall, alles Natur.

Kinder Gottes aber bitten: Laß es uns erkennen, daß Alles aus deiner Gnade kommt! denn sie wissen was die Schrift sagt: Es ist umsonst, daß ihr frühe aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brod mit Sorgen, denn seinen Freunden gibt Er es schlafend, (wenn auch nicht durch den Schlaf). Ach, wenn man diese Augen einmal bekommen hat, daß man Alles was man empfängt, als vom Herrn empfangen ansieht, da geht Einem ein neues Leben auf, man lebt ein doppeltes Leben. Man ist wie ein Blinder, dem die Augen geöffnet sind, der an jedem Grashalm, an jeder Blume und jedem Baume stehen bleibt, und vor Preis und Staunen sich nicht helfen kann; da gehts auf die Kniee und der Mund spricht: „Ich bin zu gering all der Barmherzigkeit und Treue, die der Herr an mir gethan,“ Wenn du das recht kannst, dann wirst du auch recht danken lernen. Am Danken fehlts bei uns. Wenn der Herr geholfen, will uns bedünken, als hätte Er eigentlich doch nicht geholfen, sondern wir. Ist dir's zum Exempel Ernst mit deinem Tischgebet? In der Sprache der Südseeinseln fehlt das Wort „danken“ ganz und gar. Da ist wahr geworden des Apostels Wort über die Heidenwelt: „sie haben ihm nicht gedient als einem Gott noch gedanket.“ (Röm. 1.) Ach dies Wort fehlt auch in vielen Wörterbüchern unsers Christenvolks, In den alten Büchern steht hinten „Gott allein die Ehr“ - durch die neuem heißt's von Anfang bis zu Ende: „Mir allein die Ehr.“ Durch das Danken erhältst du dir den Credit offen bei deinem himmlischen Vater.

Da würde auch wo man recht bittet: gib! das gottlose Murren aufhören und alle Klagen. Du würdest dich finden lernen in seine Wege und erkennen, daß Er Macht hat mit dem Seinigen zu thun. Oder hast du auf Ihn ein Recht? Wenn drei Bettler kämen und dich um ein Almosen angingen, und du läsest ihre Papiere und sprächst mit ihnen, und gäbst dann dem Einen einen Sechser, dem andern einen Groschen und dem dritten einen Kreuzer: wie, wenn jetzt die beiden letzten anfingen über dich zu räsonniren und zu schelten und sprächen: Warum hat der einen Sechser oder der einen Groschen bekommen, was würdest du sagen? Würdest du nicht sagen: habe ich nicht Macht mit dem Meinigen zu thun was ich will? Ist's nicht meine freie Gabe? Nun dein Gott läßt sich sein gutes Recht auch nicht rauben. Aber wir möchten gern in Gottes Regiment greifen. Unserm Verstand nach müßte der arme Lazarus hinein an den Tisch, und der reiche Mann hinaus auf die Schwelle; der Heiland in die goldene Königswiege und Herodes in die Krippe, die Kinder Gottes müßten alles haben und die Gottlosen nichts. Nun ist's aber umgekehrt und du ärgerst dich. Weißt du aber nicht was der 73te Psalm vom Glück des Gottlosen singt? „Sie nehmen ein Ende mit Schrecken.“ Wer ist glücklicher und wahrhaft reicher: Der reiche Mann oder der arme Lazarus? Ach wenn des reichen Mannes falsche Freunde fort und die Kerzen ausgeblasen waren, da war's finster und öde auch in seiner Seele, da war sein Glück vorbei; - aber der draußen hatte Leben die Fülle und keinen Mangel an irgend einem Gut, er war allein und doch nicht ganz alleine. Ist's recht drum zu murren, wenn der Herr läutert und die Seele heilt, indem er den Leib schlägt? Uns irdisch arm macht, um uns himmlisch reich zu machen? Wo willst du's gut haben, hier oder dort? Die Seinigen läutert er mit seiner Strenge und die Kinder der Welt will er oft durch seine Güte zur Buße leiten. Gott in seiner Güte, will allen nur Gutes geben; das Beste und Höchste allen Menschen; aber nicht alle sind empfänglich dafür. Darum kann er so Vielen nur das arme, irdische Gut geben. Gedenke, sagt darum Abraham, daß du dein Gutes empfangen hast in der Welt! Was würde aus den Kindern Gottes werden, wenn sie die Reichen und Vorgezogenen in der Welt wären! Josephs bunter Rock hat ihm viel Herzeleid gebracht. -

Aber du sagst: „ich bete schon so lange „gib“ und empfange doch nichts.“ Höre, hast du auch warten gelernt? Duldet doch der Herr nicht einmal von seiner Mutter ein Zeitvorschreiben. „Meine Stunde ist noch nicht gekommen,“ sagt er dort; wie viel weniger von dir! Du wirst nur gestraft mit deiner Ungeduld. Oftmals ist die Hülfe vor deiner Thüre gestanden, hat zu den Fenstern herein geschaut und den ungeduldigen Menschen gesehen, und ist wieder fort gegangen.

Oder du sagst: „Ich stelle ihm alle Stunden anheim und warte auf Ihn. Aber es kommt keine Hülfe.“ Laß es dir mit dem Worte eines Andern sagen: „Denke dir, du ständest am Ufer des Meeres, sähest zwei Schiffe kommen, das eine schnell segelnd, weil es leichte Ladung hat, das Andere langsam gehend, weil es schwere, köstliche Fracht trägt. Welches Schiffes Eigenthümer wolltest du sein? Des schnellen oder des langsamen? Siehe, wenn der Herr mit doppelter Ladung käme, wenn er deinem Mangel nicht für einmal sondern recht gründlich aufhelfen wollte, willst du vom Ufer weglaufen und sagen: mein Schiff kommt nicht? Als wenn der Herr nicht doppelt helfen wollte, wenn er zum Beispiel dein krankes Kind nicht eher am Leibe gesund macht, bis er auch seine Seele gesund gemacht hat! kannst du nicht eine Stunde warten? O schilt den Morgen nicht vor dem Abend! Ehe es Feierabend wird, ehe du dein Haupt ins Grab legst, schilt deinen Vater im Himmel nicht, der die hungrigen Löwen und Raben speist. Wir müssen nicht mit Gott Geduld haben, sondern Er mit uns. Und Summa Summarum: wenn der Herr fragt: habt ihr je Mangel gehabt, was werden Kinder Gottes, Jünger Christi sagen müssen? Antwort: Herr! nie Keinen.

Mit dem letzten Wörtlein der vierten Bitte will aber der Herr noch den letzten Rest irdischen Sinnes tödten, wenn er sagt:

5. Unser täglich Brod gib uns heute!

Der Herr weiß, daß er es mit schwachen Leuten zu thun hat, die wenn sie auch gleich ihr Vertrauen auf den Herrn setzen, dennoch die Stirne und die Augen umwölkt haben mit trüben Sorgengedanken der Zukunft. Aber sagst du, darf man denn gar nicht in die Zukunft sorgen? soll ich mit denen gehen, die da leben nach dem Grundsatze: Kommt der Tag, bringt der Tag? Nein. Die heilige Schrift schickt die Faulen hin zur Ameise, die arbeitet auch für den Winter, aber sie sorgt nicht. Sie kauft nur den Tag aus und weiter sorgt sie nicht. Nun, jeder Tag hat seine Plage, fülle den nur recht aus und du bist versorgt, Säe wenn's Zeit zum Säen ist, und mache dir weiter keine Sorgengedanken auf die Ernte. Erziehe deine Kinder in der Furcht des Herrn und sorge dich nicht ab, ob sie einmal gerathen und durchkommen werden im Leben. Das Alles ist verkehrt und ganz umsonst noch oben drein. Gib uns heute! lehret der Herr beten. Gott will auch Morgen gebeten sein. Er weiß an jedem heute zu helfen.

Im Hungerjahr 1847 ließ es an einem Morgen einem frommen christlichen Manne, der vier Stunden von Heilbronn lebte, keine Ruhe. Eine Stimme rief ihm immer zu: „du sollst einen Malter Weizen nehmen und forttragen. Es gibt so viele die jetzt nichts zu essen haben, und der Herr wird dir schon zeigen wohin du sollst.“ So zieht er denn fort mit seinem Maltersacke auf dem Schubkarren, geht durch's erste Dorf, sieht überall hin - findet aber Niemand der sein bedurfte, spürt kein inneres Geheiß, dort einzukehren. Er kommt ins zweite Dorf und es ergeht ihm ebenso, und so ins dritte und vierte Dorf, Endlich kommt er müde in der Stadt Heilbronn an. Auch da schaut er die Häuser nach der Reihe an; endlich an einem hohen Hause bleibt er stehen. Da ist's! rief's ihm zu. Er trat in den ersten Stock; da war's nicht. Lauter reiche Leute waren darin. Im zweiten ebenso, endlich stieg er hoch hinauf. Hier muß es sein, rief er, reißt eine Thüre auf, stellt den Sack hinein, und spricht: „Das schickt Euch Euer Herr Gott“ - und geht. Wer war da in der Stube? da lag auf den Knieen eine Wittwe mit sieben Kindern, die mit dem Hungertod rangen, die baten: „Ach Herr heute versorge uns nur!“ Und sie waren versorgt. Wo ein Elias hungert, bleiben die Raben nicht aus. Gib uns heute, ach ja! nicht weiter! denn was ist dein Leben? Ists nicht ein Dampf der kurz währet? Und wie eines Grases Blume die da frühe blühet und des Abends verdorrt? Mit diesem Worte „heute“ zeigt dir der Herr recht deutlich, wie du dein irdisches Leben und deine irdische Bitte anzuschauen hast. Er zeichnet dich als einen Pilger, der heute nicht weiß, ob er nicht Morgen schon am Ziele ist. Er bittet heute für's Brod, denn Morgen braucht er's vielleicht nicht mehr und ißt's schon in der Heimath. Kannst du das vergessen, du Menschenkind? Willst du dich in der Fremde aufhalten? Alles irdische Gut ist nur Reisegeld. Wer wenig hat, braucht wenig tragen. Alle Kleider sind Staubhemden und Pilgerkleider. Hast du mit deinem Reisegeld, mit deinem irdischen Hab und Gut den himmlischen Schatz erworben? Bist du eingekehrt an den Gnadentischen des Herrn und hast deine Seele gespeist und getränkt? Wo ist das himmlische Bürger- und Feierkleid unter deinem Staubhemde? hast du andere Reisegefährten mitgenommen mit deinem Gelde? hast du dir Freunde gemacht mit deinem ungerechten Mammon? Siehe das fragt dich die vierte Bitte und so ist die leibliche doch eine recht geistliche Bitte, die Allem ungeistlichen Begehren, Wünschen und Sorgen den Todesstoß gibt, das irdische Leben nur als eine Brücke ansieht zum ewigen droben. Auch diese Bitte wird erfüllt werden. Wenn am letzten Morgen der Welt die letzten Hausväter unter den Menschenkindern, die Hände falten mit ihren Kindern und beten werden: Unser täglich Brod gib uns heute! und sie hinausziehen aufs Feld oder in den Beruf zur gewohnten Arbeit und mit einander ihr täglich Brod essen werden wie auch sonst im Schweiße ihres Angesichts, da wird der Herr erscheinen in großer Kraft und Herrlichkeit. Dann ist's mit allem Hunger und Durste aus, die tausend und aber tausend Sorgen sind getilgt. Die ihr Seelenheil geschafft und hier mit dem Herrn an seinem Tisch gesessen, werden mit ihm ziehen in seinen Saal. Die Tafeln sind gedeckt, und die Plätze bereit und aufgehoben. Dann den Vater schauen von Angesicht, dem Sohne ans Herz sinken, im heiligen Geiste loben und preisen: das wird das rechte, tägliche Brod dann sein, heute und ewiglich, Amen.

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