Frommel, Emil - Die zehn Gebote Gottes in Predigten - Siebentes Gebot. 1.

Frommel, Emil - Die zehn Gebote Gottes in Predigten - Siebentes Gebot. 1.

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: 2. Mose 20,15.
Du sollst nicht stehlen.

In Christo geliebte Freunde! Wie der Herr schirmend seine Hand über dem Leben des Nächsten, als dem größten irdischen Gut gehalten hatte, sodann über seiner Ehe, als dem nächst größten Gut, das ja sein eigenes Leben in sich schließt, so hält sie der Herr auch über seiner irdischen Habe, wenn er spricht: „Du sollst nicht stehlen.“ Wie Er es ist, der das Leben schenkt, die Ehe einsetzt, so auch ist das Gut, das ein Mensch besitzt, von Gottes wegen sein. Weder dem Ärmsten noch dem Reichsten soll sein Gut angetastet werden. So lehrt uns vor Allem dies Gebot den Besitz eines Menschen als heiliges Recht ansehen; es verbietet alle Versündigung daran und gebietet alle Förderung und Behütung des fremden Gutes und allen rechten Erwerb und Gebrauch des eigenen.

Geliebte! Sind wir voriges Mal hinabgestiegen mit dem Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“ in einen tiefen Sündenschlamm, der nach allen Seiten hin, wie ein totes Meer seine Arme breitet; haben wir weinend unser Angesicht verhüllen müssen vor dem heiligen, reinen Gott; - wer wagt es heute, seine Blicke aufzuschlagen vor diesem Gebot? Oder ist ein Herz unter uns, das da sagen möchte: „Nun heute kann ich ruhig in der Kirche sitzen, es ist mir ein Stein vom Herzen, dass wir an diesem Gebot sind, denn da bin ich unschuldig. Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute, Räuber und Diebe und Ehebrecher?“ Ja es ist wohl wahr, „lieber einen Flucher und Gotteslästerer, lieber einen Ehebrecher will sich ein Mensch nennen lassen, denn einen Dieb.“

Da sollte man meinen, es müsste mit der Ehrlichkeit vortrefflich aussehen in der Welt, und dennoch zeigt sich an diesem Gebot wie fast an keinem, wie sehr das Gewissen in unserem Volk abgestumpft ist. Bei jeder Übertretung anderer Gebote ist wenigstens noch eine Anklage des Gewissen, aber gerade hier im siebten Gebot scheut man sich nicht, seine Sünde vollständig zu rechtfertigen, ja man hat Hand angelegt, dies Gebot ganz auszurotten. Nirgends hat unser Volk so schlechte Sprichwörter erfunden, als gerade um den Diebstahl zu entschuldigen. Das Diebshandwerk ist eine Zunft, die ihre Gesellen überall, bei Hoch und Nieder, im Frack und den Handschuhen bis zu der blauen Bluse herunter hat. Die Einen stehlen mit schönen Worten, die andern mit der Tat; die einen grob, die andern fein; es stehlen die Jungen und die Alten. Müssen wir uns darum wundern, wenn so wenig Segen auf Arm und Reich liegt? O, dass ein Jedes in sein Herz und Haus schaute, sich einmal beugte unter dies Wort des Herrn! Darum lasset uns lernen vom siebten Gebot:

Du sollst nicht stehlen

  1. Wie der Herr uns das Eigentum des Nächsten anzuschauen lehrt.
  2. Wie Er der Versündigung an demselben wehrt.

I. Wie der Herr uns das Eigentum des Nächsten anzuschauen lehrt.

Geliebte! Das, was der Herr hier in Schutz nimmt, sind nicht die himmlischen Güter, denn diese kann ja Niemand Einem rauben noch nehmen; es sind auch nicht die geistigen Fähigkeiten und Gaben, denn auch die kann man einem nicht rauben. Es ist also nichts weiter als das Gut, das Staub und Asche ist, das täglich und stündlich verdirbt, für das Gott seine Stimme erhebt, auf das er solchen Wert legt? Liegt denn so viel daran? Freilich ist es Staub und Asche. Aber höre, die heilige Schrift lehrt sich die Güter recht ansehen; weder zu hoch von ihnen halten, wenn sie sagt: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat,“ noch zu nieder; denn in anderem Sinn hat doch der Herr das Gut dem Menschen gegeben als dem Tier.

Beide brauchen das Gut der Erde, aber soll ich euch den Unterschied sagen, wie das Tier und der Mensch zu den Gütern dieser Erde steht, so kann ich es nicht besser als so sagen: Das Tier ist unsers Herrgotte Kostgänger, der Mensch aber ist nicht nur Gottes Kostgänger, er ist auch sein Verwalter. So setzte Gott den Adam im Paradiese ein zu seinem Stellvertreter, gibt ihm sein Anstellungsdekret mit den Worten: „Herrscht über die Erde und Alles, was darinnen ist, macht sie euch untertan.“ Gott gibt dem Menschen also die Güter der Erde, dass er an ihnen seine Kraft und seine geistigen Gaben brauchen soll; er gibt ihm das Gut, als Mittel zu einem heiligen Zweck, nicht nur, dass er sich selbst damit erhalte, sondern dass er damit schalte und walte, und in Verkehr trete mit seinem Nächsten und Verbindungen knüpfe zum Wohle seines eigenen Hauses und seines Nächsten; ja noch mehr, er gibt es ihm zur Probe seiner Treue in den himmlischen Gütern und als ein Kapital, womit er wuchern soll fürs ewige Leben, wie der Herr sagt: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon. So ihr aber im ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige anvertrauen?“

Wenn so der Herr den Menschen eingesetzt hat zu seinem Verwalter, wenn ihm eine solche Pflicht auferlegt ist, so hat er auch ein heiliges Recht auf das Eigentum; so soll ihm auch Niemand dies Eigentum rauben. „Auch das rechte Geben jetzt ein rechtmäßiges Haben voraus.“ Und darum schützt der Herr dies arme Gut und spricht: „Du sollst nicht stehlen.“

So ists denn der Herr in seiner Gnade, der das Eigentum schenkt. Der Herr macht arm und macht reich; Alles kommt von Gott, Armut und Reichtum, Glück und Unglück. Was rühmst du dich aber? was hast du, das du nicht zuvor empfangen hättest? Da hörst du die Reden: „Ich hab’s erworben und zu Etwas gebracht.“ „Mein Feld hat wohl getragen.“ Sieh doch einmal zu, woher dein Gut kommt. Hasts wohl geerbt zum guten Teil. Was kannst du dafür, dass du in einer feinen Wiege gelegen bist und nicht auf Stroh? Wie magst du prahlen, und jeden der Nichts hat, auch für nichts ansehen? Oder du sagst, „ich hab’s sauer genug erworben, es hat mir kein Mensch einen Kreuzer zu meiner Habe gegeben.“ Aber rechnest du denn nicht den mit hinein, der dir Gesundheit verliehen? Ein Wort von ihm und du bist ein armer Lazarus, der vor der Tür liegt. Wer hat dir den Verstand gegeben? Wie wärs, wenn dich der Herr morgen ins Irrenhaus schickte? Warum gelang dirs mit deinem Verstand und Fleiß? Siehst du nicht Andere, mit noch mehr Gaben und mehr Fleiß denn du, die das nicht erreichen, was dir geglückt ist? Du redest von deinem Pflanzen und Begießen und vergisst, dass weder der da pflanzt noch der da begießt etwas ist, sondern Gott, der das Gedeihen gibt! Oder wenn du meinst, durch deine Ehrbarkeit vor der Welt dir so viel gute Freunde erworben zu haben, wer war es, der dich vor dem Fall bewahrt? „Undank ist der Welt Lohn,“ sagt ihr, wenn einer an euch vorbeiläuft, der euch etwa eine ganze Existenz zu danken hat, und den Hut frech auf dem Kopf behält. Läufst du nicht ebenso mit dem Hut auf dem Kopf an deinem Gott vorbei, der dich oft gegrüßt hat, wenn du auf dich selber deutest und sagst: Ich bin dir nichts schuldig?

Das ist das erste, dass du die Güter ansiehst als Gaben und Geschenke Gottes. Weißt du aber, wer ausgeteilt hat, dann verstehst du auch, wie ausgeteilt ist und wird dich kein Murren und kein Gelüsten überkommen. Denn dass nicht gleichmäßig ausgeteilt ist, das siehst du auf den ersten Blick. Das hat viel böses Blut und Geschrei auf der Welt gemacht. Daher kommt die alte Frage: Warum hat der mehr und ich weniger? Mit dem „Warum“ kommen wir nicht weiter. Auf unser „Warum“ fragt ein Anderer mit seinem „Warum.“ Das ist der Herr, der da sagt: „Habe ich nicht Macht, mit dem Meinen zu tun, warum siehst du scheel, dass ich so gütig bin?“ Oder hat er etwa die Macht nicht, zu tun mit dem Seinen?

„Arme und Reiche müssen sein, der Herr hat sie beide gemacht,“ sagt die Schrift. Hörst dus, der Herr hat sie gemacht und zwar zum Trotz all der Weltverbesserer, die vom Teilen reden, und dem lieben Gott ein Regiment korrigieren wollen. - Der Herr und was für ein Herr? Ein barmherziger Herr, ein weiser Herr. Darum wird auch Er wohl Recht behalten; er ist ein gutes Stück weiser alle du, nämlich so hoch und so weit der Himmel höher ist, denn die Erde. Überall hat Er hingeschrieben, dass Unterschiede sein sollen. Blick hinein in den Himmel, da sind die Erzengel und Engel, die Thronen, Herrschaften und Fürstentümer. Schaue an den Himmel, da ist Sonne und Mond, große und kleine Sterne; siehe auf die Erde und in das Wasser - ist ein Baum, ein Tier, ein Fisch wie der andere? Gerade das Manchfaltige, sagst du, das gefällt mir; nun so lass dirs auch gefallen, dass es in der Welt unter den Menschen nicht einerlei ist. Wie jede Blume und jeder Baum seinen Tau bekommt aus derselben Hand, klein oder groß; jeder Stern, klein oder groß, seinen Glanz hat aus demselben Licht, so schenkt auch derselbe Herr einem Jeden, Reichen und Armen, seine besondere Gabe, mit der Jeder dem Andern dienen soll. Der Reiche bedarf des Armen und seiner Kräfte, und der Arme des Reichtums des Reichen: beide sollen einander helfen. Jedem hat der Herr sein Teil Last dazu beschieden. Du siehst manchen Reichen, dem seine Söhne alles durchbringen; manchen Armen, dem seine Söhne sein Bisschen zusammenhalten und sein Häuslein schuldenfrei machen. Siehst ein manches vornehme Haus, das die Fülle hat, aber du möchtest dein armes nicht dagegen eintauschen; denn drinnen liegen kranke Kinder, und die deinen haben blühende Wangen, wenn sie gleich nur Schwarzbrot haben. In manchem Haus fehlt bei allem Reichtum der Friede Gottes, der über alle Vernunft und über alles Geld geht. Du weißt auch der Reichen Grabschrift: „die Reichen werden schwerlich ins Himmelreich kommen;“ du kennst aber der Armen Verheißung: „den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Weißt du nicht, dass der Witwe Scherflein vor dem Herrn mehr gegolten hat, als der Pharisäer Dukaten? Weißt du nicht, dass die Reichen weit mehr Rechenschaft zu geben haben, denn die Armen? Wer viel hat, von dem wird man auch viel fordern. So hat der Herr Alles ausgeglichen.

Woher kommt also dies Hadern und diese Unzufriedenheit? Daher, weil weder Reiche noch. Arme mehr erkennen wollen, wer das Gut Ihnen geschenkt. Darum fahren die Reichen so stolz her, als ob die ganze Welt nur ihretwegen da sei; o merkt es wohl! durch diesen Hochmut ruft ihr einen Gesellen ins Land, der schon einmal herein gewollt: der heißt der Teiler. So ihr Reichen dieser Welt euch nicht zum Herrn bekehrt, wird euer Reichtum von euch genommen und ihr werdet Bettler auf der Straße werden. So ihr Armen nicht erkennen wollt, wie der Herr auch eure Armut geheiligt hat, so ihr nur hinauf schaut zu den Reichen, statt zu dem reichen Herrn droben, nur scheltet und räsoniert - mit dem Räsonieren werdet ihr nicht reich werden, und mit den Teilungsgelüsten werdet ihr noch elender, als ihr wart. Geliebte! Es gibt einen Herrn, der die rechte Brücke zwischen Arm und Reich ist; wer Den gefunden hat, der wird überreich, wenn er gleich blutarm wäre, der wird arm in sich, wenn er noch so reich wäre. Das ist unser Herr Jesus, der, ob er wohl reich war, um unsertwillen arm geworden, damit wir durch seine Armut reich würden.

Zu Ihm, der nach Reich und Arm seine Hände breitet, müssen beide gehen, dann werden sie Eins werden in Ihm. Die reichen Weisen und die armen Hirten treffen sich an der Krippe des armen und doch reichen Kindes; zum Kreuze kommen die armen Frauen und der reiche Joseph und Nicodemus. Und hier in der Kirche - hier ist ein Wort des Herrn, für Alle ein Kelch, für Alle ein Taufstein mit dem gnadenreichen Wasser. Hier in der Kirche des Herrn ist der rechte Gnadenbrunnen, da Reich und Arm geheilt werden, hier die wahre Gleichheit, die alle falsche Gleichheit verdammt. O, dass dies alle wüssten und im Besitz des gleichen himmlischen Gutes des Nächsten irdische Habe als gottgeheiligtes Eigentum anerkennten, und jedes sich als Haushalter Gottes ansähe! Wenn die Furcht und Liebe Gottes als heilige Wächter um das Eigentum ständen, dann brauchten wir nicht zu reden über das, von dem wir reden müssen um der Sünde willen der Leute, nämlich

II. von der Versündigung an dem Gut und Eigentum des Nächsten.

Geliebte! Die erste Versündigung geschieht dadurch, dass wir „dem Nächsten sein Hab und Gut nehmen.“ Wie tief eingewurzelt ist diese Sünde! Ihr Eltern, welcher Sünde begegnet ihr bei euern Kindern außer der Lüge zuerst? Gewiss dem Diebstahl. Mit dem kleinen, mit der Stecknadel und mit dem Kreuzer fängts an, und dann gehts weiter. Wie der Weg zum Gulden in Arbeit und Sparsamkeit den roten Kreuzern nachgeht, so geht auch der Weg zum Diebstahl des Guldens den roten Kreuzern nach. Der Herr sagt nicht: Große Dinge soll man nicht stehlen aber kleine sind erlaubt zu nehmen, sondern gestohlen ist gestohlen. So du, Kind oder Knecht oder Magd, deiner Herrschaft vorsagst das und jenes habe mehr gekostet und das übrige Geld behältst und wenn es noch so wenig wäre, so ist das gestohlen; dann wirst du auch weiter kommen zum groben Diebstahl zum Einbruch und Raub. Dem Dieb gleich ist der, der um solche Dinge weiß, oder gar das Gestohlene kauft; wie denn unser Volk sagt: „Der Hehler ist nicht besser als der Stehler.“

Das ist so die grobe Art, wer will die feinen Arten alle zählen? „Dass Niemand zu weit greife, sagt der Apostel, noch übervorteile seinen Bruder im Handel“ - wie wird da betrogen! Was Herren in den Büchern, was schlimme Buchhalter, das Vertrauen der Herren missbrauchend, ja was die eigene Kinder oft ihrem Vater in den Büchern korrigieren und radieren, wer will das Alles sagen und ans Licht bringen?

Falsche Waage und falsch Gewicht sind dem Herrn ein Gräuel und jeder Betrug im Handel. Wer sich eines Menschen Einfalt zu Nutze macht, ihm schlechte Ware statt guter anhängt, oder ihn teurer bezahlen lässt denn die Sache wert ist, der ist ein Dieb. - Und wo der Diebstahl im Kleinen nicht geht, da geht er im Großen; dazu gehören die erheuchelten Bankrotte in allen Ständen. Du magst vor weltlichen Gerichten durchkommen, wenn du der Witwen und Waisen Gut, und manche sauer ersparte Summe eines Arbeiters dennoch annimmst, wenn du bereits weißt, dass schon alles verloren ist; magst dir auch dadurch helfen, dass du deiner Frau schnell alles vermachst, du bist dennoch ein Dieb. Es ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass solche öffentlichen Diebe umhergehen dürfen mit stolzem Haupt, weil sie dem Gesetz äußerlich Genüge getan.

Ein Dieb ist der, der da Borgt und dann nicht zahlt, und schon mit dem Gedanken borgt, „der verklagt mich nicht, das erlaubt ihm sein Stand nicht.“ Hättet Ihr in euren Rechnungen nicht solche gottlose Borger? Es gibt aber auch diebische Darleiher, die nicht nur der Armen Not, sondern namentlich auch der jungen Leute Unerfahrenheit benützen und sie in leichtsinniges Schuldenmachen stürzen, so, dass sie sich nicht mehr heraus helfen können. Damit kommen wir herüber an den Wucher. Ach der Herr schaue drein in dies Elend! Wer diesen Jammer gesehen hat auf dem Land und in der Stadt, weiß was ich meine. Der Anfang solcher Bevorteilung geschieht mit ein paar Gulden, und das Ende ist, dass das Vieh aus dem Stall und das Bett aus dem Haus kommt. Siehe solchen Diebstahl durch Wucher, wo man sich nicht schämt, 30 und 50 Prozente zu nehmen, und sie gleich abzieht am Kapital und den Schuldner zur Unterzeichnung zwingt; wo man mit der Frucht zurückhält, bis sie so gestiegen, dass der Arme sie nicht kaufen kann. Gebt Gesetze über Gesetze gegen den Wucher, sie werden wenig helfen; gebt unserem Volk vor allem das Gewissen wieder, seine deutsche Ehrlichkeit, die einst seine Zierde war.

Ein Dieb ist ein Erbschleicher, der die saubere Kunst versteht Verwandte, ja Kinder aus dem Besitz zu treiben; sich unentbehrlich zu machen versteht in den letzten Leidenstagen eines Verwandten, und manches Wort gegen Andere fallen lässt und still damit seinen Zweck erreicht.

Ein Diebstahl am Privateigentum mag immerhin noch Manchem ehrlos scheinen, dagegen da, wo er in irgend einem Amt geschieht, wo es aus dem Beutel des Staates oder der Kirche geht, meint man schon, dass es nicht viel auf sich habe, „das könnten Staat und Kirche schon vertragen.“ O wie vielfach geschieht das. So stiehlt der Untertan durch Schmuggel, durch Umgehung seiner Abgaben, nach deren Angabe er auf Gewissen gefragt wird. Wer als Vormund von Waisen so handelt, dass er reich und die Waisen arm werden, wer in einer Gemeinde sein Amt so benützt, dass er dabei ein reicher Mann wird und die Gemeinde Schulden bekommt; wer sich an den Kassen vergreift, die ihm anvertraut sind; wer nur anfängt, Hand dran zu legen und wenn er tausendmal sich sagte, dass er es wieder hinein tue, der ist ein Dieb. Wer in irgend einem Dienst seine Zeit ihm nicht widmet, seis als Beamter, oder Knecht, oder Magd und dann die Besoldung einstreicht, als ob er Alles getan ist ein Dieb.

Dazu gehören auch die Bettler von Profession, wie wir sie auch unter uns haben, die sich bei jedem Verein melden und behaupten von Niemand Etwas zu erhalten; was sind sie anders als Diebe?

Wer könnte Alles nennen? Der Fluch aber bleibt nicht aus. „Unrecht Gut gedeihet nicht und kommt nicht an den dritten Erben.“ Es muss Alles fort. „Was alte Diebe gebaut, das halten die Jungen nicht unter Dach.“ Es kommt der Fluch auch inwendig. Erst dünkt das unrechte Gut so leicht, und dann wirds so schwer. - Siehst du jenen Mann, der den Beutel trug, den Judas Ischarioth, der ein Dieb war? Siehst du ihn in die finstere Nacht hinausstürzen, er war zum Verräter geworden. Er muss die Silberlinge alle hergeben - und wes ist seine Seele geworden?

Du aber lieber Christ, bist du rein von diesem Gebot? Wäre noch nie ein Blick aus deinen Augen, eine Lust aus deinem Herzen gekommen nach fremdem Gut? Auch deine Blicke, auch deine Gedanken können Diebe sein, wie das neunte und zehnte Gebot sagt. Wer mag uns helfen aus diesem Jammer? Ach nur Der, der uns ewig reich machen kann, nur Der, vor Den wir nichts bringen denn unsere unsterbliche Seele. Er lasse es uns Alle, den Reichsten und Ärmsten empfinden, dass es nur dann selig um uns steht, so wir mit Assaph sagen können: Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Herr, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil! Amen.

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