Frommel, Emil - Die zehn Gebote Gottes in Predigten - Viertes Gebot. 2.

Frommel, Emil - Die zehn Gebote Gottes in Predigten - Viertes Gebot. 2.

Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Text: 2. Mose 20,12.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebst im Land, das dir der Herr dein Gott gibt.

In Christo geliebte Freunde! Vor dem vierten Gebot sind wir vorigen Sonntag schon einmal gestanden. Wir haben gesehen, wie der Herr darin die Eltern zu seinen Stellvertretern weiht und einsegnet, haben uns freuen müssen, dass die Eltern eine solche Krone vom Herrn empfangen haben. Aber traurig hat uns dies Gebot auch gemacht, weil wir so viele Eltern sahen, die nicht als Stellvertreter Gottes wandeln noch handeln, und so viele Kinder, die ihre Eltern verachten und erzürnen und ihre Würde mit Füßen treten. Traurig hat es uns gemacht, als der Unsegen und Fluch, der aus der Übertretung kommt, vor unserer Seele stand. Die Heilige Schrift, dies große heilige Bilderbuch der Kinder Gottes malt uns solche Strafe mit lebendigen Farben. Dort zieht Ham weg, der Sohn Noahs, der seinen Vater verspottet, mit dem Fluch des Vaters auf sich und seinen Kindern; dort liegt vom Stuhl gesunken unter dem Tor der Hohepriester Eli, der seine väterliche Würde vergessen und seine Söhne hatte wandeln lassen im Rat der Gottlosen und der Gesellschaft der Spötter; er hat die Nachricht erhalten, dass die Bundeslade geraubt, seine Söhne gefallen sind in der Schlacht und sein Haus verwaist und verwüstet ist; dort hängt am eigenen Haar am Eichbaum zwischen Himmel und Erde, Davids Kind, Absalom; die Nägel und Spieße, die er durch seinen Ungehorsam und Empörung in seines Vaters Herz gedrückt, haben sich gegen ihn gewandt; durch Joabs Hand endet sein Leben. Beider Missetat, des Vaters und des Sohnes, hatte der Herr heimgesucht, denn auch Davids Ehebruch und Ärgernis wird bestraft durch Absaloms Empörung.

Aber die Schrift redet nicht allein von der Übertretung des Gebotes und seinem Fluch, sie redet auch in ihrem Wort von der rechten Erfüllung desselben und seinem Segen; sie sagt nicht allein wie mans nicht machen soll, (das können ja Viele), sie sagt auch wie mans machen soll. Sie malt uns fromme Eltern vor Augen und treue, gehorsame Kinder, auf denen des HErrn Segen ruht. Da schaut denn heute hinein, ihr lieben Eltern, kommet und lernt von dem, dessen Stellvertreter ihr seid, von dem Gott, der der rechte Vater ist im Himmel und auf Erden; lernt seine heilige Erziehungskunst, seine bewährten Mittel, lasst von ihm Euch weisen das heilige Ziel, zu dem ihr Eure Kinder führen sollt. Und ihr Kinder, lernt von dem Jesus, der um unsertwillen ein armes Kind ward und in allem als ein treues, gehorsames Kind erfunden; über dem sein himmlischer Vater den Himmel öffnete und rief: „Du bist mein Sohn an dem ich Wohlgefallen habe,“ der aber auch seinen irdischen Eltern untertan war und sie liebte bis zum Tod am Kreuz; damit die selige Verheißung dieses Gebotes auch über uns, über Eltern und Kindern in Erfüllung gehe, „vom Langleben in jenem Lande, das uns der Herr geben wird.“ Schauten wir das letzte Mal wie die Würde der Eltern von Eltern und Kindern verletzt wird, so lasst uns noch einmal das Wort uns vorhalten: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren! und für diesmal schauen

  1. Wie der Eltern Würde und Amt von ihnen selbst recht angeschaut und geführt wird.
  2. Wie der Eltern Würde und Amt auch von den Kindern recht erkannt und heilig gehalten wird.

1. Wie der Eltern Würde und Amt von ihnen selbst recht angeschaut und geführt wird.

Meine lieben Freunde! Das vergangene Mal haben wir gesehen, wie nicht die natürliche Liebe, nicht die natürliche Dankbarkeit, sondern der Herr die Eltern zu seinen Stellvertretern gesetzt hat. Wie wird nun ein Elternpaar diese Würde recht bewahren und behaupten? Nicht wahr dadurch zuerst, dass sie sich als Gottes Stellvertreter ansehen und erkennen. Damit ist ein schweres, heiliges Amt auf ihre Schultern gelegt. Es gibt aber für einen Menschen, der ein schweres Amt hat, nichts Besseres, als dass er sich täglich seine Instruktion, sein Gelöbnis vorhält, das er vor dem Antritt dieses Amtes abgelegt hat. Das spornt, das treibt ihn zur Treue, vornehmlich aber zur Frage „Wo bekomme ich die Kraft her, das zu tun, was mein Amt von mir verlangt?“ Sage dir es darum, lieber Vater und liebe Mutter, jeden Morgen selbst: Gott hat mich zu seinem Stellvertreter gesetzt; Er wird einst Rechenschaft fordern. Mein Kind ist wohl mein, aber zu allererst Dein; du hast es mir anvertraut, zu Dir soll es einst kommen, dein Kind und ein Engel an deinem Throne soll es einst werden, dazu hast du mich berufen! Nun du treuer Gott, hilf mir, wache du besser denn ich, Wächter Israels, hüte du, Hirte deiner Schafe! Siehe! wenn du so mit deinem Gott des Morgens redest, da wird er mit dir und deinen Kindern sein, wie mit Mose und seinem Volk. Wenn Mose um seines Amtes willen an den Kindern Israel, mit seinem Gott geredet hatte, glänzte sein Angesicht, darum dass er mit dem Herrn geredet hatte; ja es glänzte also, dass das Volk ihn fürchtete. So wirds mit dir sein. Wenn du auf den heiligen Bergen Gottes des Morgens früh in deinem Kämmerlein warst, da wird auf deinem Angesicht und deinem ganzen Wesen ein Glanz der Herrlichkeit deines Gottes liegen, darum, dass du mit dem HErrn geredet hast, und über deine Kinder wird eine geheimnisvolle Scheu kommen, sie werden den HErrn in dir fürchten und lieben.

Wer sich so aufs Neue jeden Tag im verborgenen Kämmerlein einsegnen und sich weihen lässt zu seinem heiligen Amt, wer so täglich ins Allerheiligste geht mit seinem Gott zu reden, der tritt dann auch in der Kraft des Herrn mit seinem Bekenntnis hervor. Denn dadurch, dass Vater und Mutter sich öffentlich vor den Kindern zu ihrem Herrn bekennen, dass auch die Kinder im ganzen Wesen, im Tun und Lassen ihres Vaters und ihrer Mutter schauen, dass sie wirklich mit Gott verbunden sind, das erhält den Glanz um der Eltern Haupt licht und hell. Wenn Vater und Mutter des Morgens vor und mit den Kindern sich beugen vor dem Wort des Herrn, wenn der Vater als ein Priester des Herrn Sein Wort liest und auslegt; wenn das Kind es merkt, dass sein Vater und seine Mutter selbst dem Wort Gottes folgen, dann beugt es sich auch gern unter Ihr Wort. Das gibt den Eltern eine gewaltige Macht, wenn die Kinder in dem Vater nicht nur den Vater schauen der ihnen das leibliche Brot bricht, sondern auch den Priester Gottes, der da geistliche Gaben mitteilt aus dem Schatz Gottes. Welche Macht liegt in dem Gebet eines Vaters, das er vor den Kindern betet, wie wird da des Kindes Herz stille vor dem HErrn! Ja der sanfte Hirtenstab, das Wort Gottes, unter dem ein Vater seine Kinder weidet, ist zugleich ein rechtes, goldenes Königszepter mit dem er auch regiert. Das bedenkt liebe Eltern! Haltet darum nicht gering vom Hausgottesdienst, noch von eurem Kirchgang. Je fester Ihr in Gott steht, umso fester sitzt eure Krone auf dem Haupt. Je mehr Ihr euch zu Ihm haltet, umso mehr hält Er sich zu Euch. Ein Fürst lässt seinen Gesandten nicht im Stich, wenn nur der Gesandte treu an seinem Fürsten hängt und nichts anderes als sein Gesandter sein will.

Allein damit ist noch nicht alles getan. Mit dem Mund muss nun auch der ganze Wandel zusammenstimmen. Man darf nicht des Morgens ein Priester Gottes und den Tag über ein Götzendiener sein, sondern es gilt allenthalben, im Großen wie im Kleinen, sich zu beweisen als ein Diener Gottes. Die schönsten Worte, die ein Mensch redet, werden zu Nichte gemacht durch böse Taten; eine Unwahrheit, eine Lüge, eine Unredlichkeit, ein Zorn mit heftigem Schimpfwort, eine grobe Ungerechtigkeit, ein trunkener Zustand des Vaters, ein leichtsinniges Wort der Mutter richtet im Kind an Gehorsam und Ehrerbietung zu Grunde, was Jahrelang durch Worte aufgebaut worden ist. Kinder können das nicht fassen, wenn Wort und Wandel der Eltern auseinanderfällt. Oder habt ihrs nie erfahren, liebe Eltern, dass Eure Kinder gefragt haben: „Ihr habt doch so gesagt, und jetzt sprecht und tut ihr nicht so?“ Ein Kind steckt ohnehin voller Fragen, legt sie ihm nicht noch mehr in den Mund. Bedenkt das Ärgernis, das ihr gebt! Es ärgert sich das Kind dann nicht an Euch, sondern an der Sache, die ihr vertretet! Es ist oftmals kein Wunder, wenn Kinder gläubiger Eltern alles Christentum über Bord werfen, weil sie dadurch geärgert sind, dass der Eltern Wort nicht mit ihrem Wandel zusammenstimmt. So bittet den HErrn, dass er euren Fuß, euren Mund, Hand und Augen bewahre, dass ihr die Kinder nicht ärgert; ja bitte Jedes recht ernst: „Um der Kinder willen bewahre mich!“ Wo Ehegatten das beten, da wird auch die rechte Einigkeit zwischen ihnen bei der Erziehung der Kinder nicht fehlen. Wenn der eine Teil von Euch fehlt, zu hart oder zu gelind ist, lassts vor den Kindern bei der Strafe oder der Nachsicht bewenden; zankt Euch nicht vor ihnen über Erziehungskunst; aber wenn Ihr allein seid, dann sprecht in Liebe darüber und haltet Euch den Fehler liebreich vor. Das sind, lieben Freunde, die ersten kräftigsten Mittel Eure elterliche Würde zu bewahren. Ohne solche innerliche tägliche Stärkung in derselben vor dem Angesicht des Herrn, ohne solches eigene Voranwandeln in der Furcht des Herrn, bleibt alles Erziehen nur äußerliche Zucht, die den inwendigen Menschen wenig trifft, die eine Zeitlang hält und dann wie loser Kalk abfällt. -

Wo aber Eltern also stehen in ihrer göttlichen Würde, braucht man ihnen noch viel Ratschläge über die Erziehung ihrer Kinder zu geben? Werden sie nicht von ihrem großen Gott und seiner Erziehungskunst Etwas gelernt haben? Ja werden sie nicht auf dem Weg, den Gott mit ihnen gegangen, sich etwas gemerkt haben für den Gang, den sie mit ihren Kindern gehen sollen? Gewiss. In Schrift und Erfahrung werden sie die besten Aufschlüsse finden. Ihr wisst, man hat so viel geredet von Erziehungskunst, von den verschiedenen Arten Kinder zu erziehen, hat dicke Bücher darüber geschrieben, und sich gezankt und gestritten wer Recht hätte. Es gibt aber ein Wort, das freilich alt und Manchem vielleicht zu alt ist, das enthält Alles, was man über Kinderzucht sagen kann. Es warnt vor dem Abweg, zeigt den rechten Weg und das rechte Ziel. Möchtest du diese goldene Erziehungsregel wissen, so lass dichs nicht verdrießen und schlage den Epheserbrief auf, da steht sie im sechsten Kapitel und heißt: „Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern zieht sie auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn.“ Darin ist Alles gejagt. Wodurch ein Kind zum Zorn gereizt wird, glaube ich nicht mehr wiederholen zu müssen, da wir in der vorigen Predigt von solchen Eltern gehandelt haben, die durch schlimmes Beispiel, durch harte, ungerechte und launige Behandlung, durch Spott, (wovor ich euch besonders warnen möchte) durch Vernachlässigung und falsche Liebe ihre Kinder zum Zorn reizen, die Liebe aus ihren Herzen reißen und sie erbittern. Ich wende mich daher gleich zum andern Wink, der im apostolischen Wort den Eltern gegeben ist; denn nur als einen solchen möchte ich ihn Euch mit wenigen Worten ans Herz legen. „Ziehet sie auf,“ mahnt der Apostel. Darin liegt allerdings auch die Pflicht der Eltern, ihre Kinder leiblich zu versorgen; sie nicht als eine schwere Last, sondern als köstliche Gabe des Herrn anzusehen; es für Freude zu erachten, im Schweiß des Angesichtes das Brot zu erwerben und es mit ihnen zu teilen. „So Jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide.“ Sie etwas lernen zu lassen, dass sie mit ihrer Hände Arbeit sich ernähren können, einerlei ob sie nun reiche oder arme Kinder sind, ist die Pflicht jedes christlichen Vaters. Eine rechte gründliche Bildung, aber keinen schlechten, glänzenden Firnis von Bildung gib deinem Kind als bestes irdisches Kapital mit. Es gibt ja nichts Elenderes, als wenn ein Sohn nichts anderes gelernt hat als mit seines Vaters Namen oder Reichtum prahlen. Du magst auch, lieber Vater, ihnen Etwas erwerben, dass sie einen leichteren Anfang haben. Sei darin nicht allzu hart. Mancher Vater verlangt von seinem Sohn, dass er sich mühe und plage im Anfang seines eigenen Haushalts, hat ihm aber eine Erziehung geben lassen, die nichts von solcher Arbeit gewusst hat. Das ist unbillig. Kurz, das Sorgetragen für das irdische Auskommen deiner Kinder ist erlaubt und geboten. Aber nur mache dahinter keinen Punkt, als ob nun damit auch alles schon getan wäre. Viele Eltern halten hier inne; sie ziehen ihre Kinder auf zum irdischen Fortkommen, zur irdischen Geschicklichkeit und weltlichen Bildung; legen sich beruhigt nieder und sagen: „Nun kann ich meine Augen ruhig schließen.“ Sagst du das auch, lieber Vater und liebe Mutter? Ich hoffe Nein. Es heißt ja nicht: „Zieht sie auf zum Fortkommen, zur Bildung,“ sondern „Zieht sie auf zum HErrn.“

Das ist das Endziel. Wehe dir und deinem Kind, wenn du ihm nichts anderes hinterlassen kannst, als ein paar Goldstücke, die ihm die Diebe nehmen können und jedes Falliment ihm rauben kann, und das echte Gold des Glaubens dem Kind in sein Leben mit zu geben vergessen hast! Mit dem zeitlichen Fortkommen kommt man noch nicht in den Himmel, und mit der äußerlichen Bildung allein kommt man auch nicht hinein. Der Herr wird einst dein Kind nicht fragen: Wie viel fremde Sprachen hast du gekonnt? sondern: Hast du die Sprache gelernt, die hier im Himmel gilt, die Sprache, mit der du mein Herz rühren kannst? Weltliche Bildung ist eine silberne Schale, die rechte Bildung nach der HErrn Bild ist der goldene Apfel darin. Schön ists, wenn beides beieinander ist; aber traurig ists, wenn man eine silberne Schale hat und einen faulen Apfel darin. Lieber eine irdene und hölzerne Schale, lieber wenig Bildung und den goldenen Apfel darin. Ein Kind bilden ohne es nach dem Herrn im Herzen zu bilden, das heißt aus einem Wolf einen Fuchs machen. Feiner und schlauer ist der Fuchs allerdings, aber um weniges besser als der Wolf. „Zum Herrn ziehen,“ das heißt sie so erziehen, dass sie einst vor des Herrn Thron in sein himmlisches Reich taugen, und dort bestehen können.

Dazu gibt der Apostel ein doppeltes Mittel an, nämlich Zucht und Vermahnung. Das sind auch die beiden Hausmittel Gottes. Der Zucht bedürfen wir, sowie die Kinder; denn wir sind kein Geschlecht, das von selbst in den Wegen des Herrn ginge, das der Zurechtweisung und der Strafe nicht bedürfte. Gott, der das Menschenherz in seinem tiefsten Grund kennt, hat gesagt: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf;“ auf diesen Hauptsatz gründet Er seinen ganzen Gang und seine Erziehung mit dem gefallenen Menschen. Darum muss er mit seinem Ernst kommen, muss jäten auf dem Herzensacker, und neuen guten Samen hineinstreuen. Darum gebietet er, die Kinder in Zucht und Strenge zu erziehen, ihnen nicht den Willen zu lassen, und sagt: Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.“ Aber Gott könnte Unrecht haben. Es sind ihrer Viele aufgestanden, die gemeint haben tiefer in das Menschenherz zu schauen als er, und fanden, dass es eigentlich ganz leidlich darin aussehe. Darum solle man kein Kind strafen, sondern nur gehen und sich frei entwickeln lassen, es werde schon von selbst das Rechte treffen und wenn es fehle, durch sich selbst zurechtkommen. Glaubt ihr das auch, liebe Eltern? Wer hat Recht von den Beiden? Wer sein eigenes Herz recht kennt, wer sich mit einem offenen und erbarmenden Blick in ein Kinderherz senkt, der wird finden, dass die Sünde wohl noch nicht zur Macht geworden, aber dass der Keim und der Anfang dazu im Herzen liegt. Mancher Vater wird nicht nur sein leibhaftiges Ebenbild im Kind sehen, sondern auch seine leibhaftigen Sünden und Fehler. Darum, wenn er sein Kind lieb hat, so wird er mit allem Ernst aus seinem Herzen herauszureißen suchen, was Böses darin steckt. Er wird den bösen Eigenwillen, den Ungehorsam, den Trotz zu brechen suchen, indem er ihm nicht seinen sündigen Willen, sondern Gottes heiligen Willen entgegensetzt, und dem Willen des Kindes gleichsam ein heiliges Bett gräbt, darin er fließen soll; denn mit dem Brechen des eigenen Willens ists nicht allein getan, wenn nicht ein heiliger Wille eingepflanzt wird. Damit sollst du früh anfangen; es ist wahr was ein Vater gesagt hat: Man muss mit dem Ziehen anfangen, wenn das Kind in den Windeln liegt. Da wo das Kind aber dem Gebot des Vaters nicht gehorcht, hat er die ernste Pflicht sein Kind zu strafen. Liebe und Strafe schließen sich nicht aus, sondern im Gegenteil recht ein; es gibt gar keine rechte Liebe, wenn sie nicht am rechten Orte strafen kann. Gott ist die Liebe; aber seine Strafen schreibt er mit gewaltiger Hand in die Geschichte hinein; der Heiland war die Liebe, aber seine Liebe zürnte auch, nicht über die Sünder, sondern über die Sünde; neben den neun Seligpreisungen stehen auch die neunmal Wehe. Aber strafen sollst du, lieber Vater, wie Gott straft; das heißt so, dass das Kind. deine Liebe durchfühlt; dass es inne wird, du habest es nicht aus Hass oder Zorn, sondern als Stellvertreter Gottes aus seiner heiligen Notwendigkeit heraus gestraft. Darum soll auch nach der Strafe Alles Nachzürnen und Nachtragen aufhören, sowie auch Gott, wenn sich der Sünder gebeugt hat, sein Antlitz wieder zu ihm wendet. Wo du aber in weichherziger Liebe Sein Kind nicht weinen sehen kannst, wo die Mutter dem Vater in den Arm fällt, so der Vater es mit Recht straft, da lass dir sagen: Du wirst dir samt deinen Kinde ein andere schärfere Zuchtrute aufbinden. Die Welt wird dein Kind ziehen, und du wirst das Lehrgeld zahlen. Wer keinen Stecken hat für sein Kind im zehnten Jahre, wird keinen Stock finden der dick genug ist, um 18 in seinem achtzehnten Jahre im Zaum zu halten. Aber, wie oben gesagt, die Zucht muss mit der Liebe gehen. Darum sagt Luther schön und recht: „der Apfel muss auf der Rute liegen,“ und unsere Vorväter sprachen: „ die Rute muss mit dem Vaterunser umwickelt sein.“ So steht neben der Zucht die Vermahnung zum Herrn. Ich meine damit nicht, dass man die Kinder den ganzen Tag über anpredigen soll. Es sind viele Eltern die da sagen es nützt eben nichts an meinen Kindern; ich predige ihnen den ganzen Tag, aber sie hören nicht. Vielleicht, Geliebte, gerade deswegen, weil es zu viel geschieht. Ein Wort im rechten Ernst ist besser, denn viele Worte. Wenn ihr aber, wie wir es am Anfang sehen, damit euer Tagwerk anfangt, dass ihr mit den Kindern betet, ihnen das Wort des Herrn mitteilt, dann bedarf es des Tags über nur eine Erinnerung an das Wort, das am Morgen geredet ward; eine Mahnung an den allmächtigen heiligen Gott kurz und ernst gesagt, und das sind wird genugsam fühlen, was ihm damit gesagt ist. Umso mehr wird aber das Kind sich leiten lassen und das Wort der Vermahnung annehmen, je mehr es aus einem recht liebenden, aus einem um das zeitliche und ewige Heil des Kindes bekümmerten Herzen herauskommt.

Darum, liebe Eltern, bitte ich Euch, gönnt in rechter christlicher Liebe euern Kindern eine Statt in eurem Herzen, schenkt ihnen den größten Teil eurer freien Zeit, und lasst sie es fühlen, dass sie auf dem weiten Erdenrund keine treuere Freunde als Euch finden; dann wird das Band kindlicher Liebe, wenn Eure Kinder selbstständig geworden sind, nicht locker, wie es sehr oft geschieht, sondern es wird ein Band der innigsten Freundschaft, deren Weihe die Kindesliebe ist, die Euch bis in euer Alter trägt. Zieht Ihr sie so zum Herrn, dann werdet Ihr sie einst auch bei dem Herrn treffen. So aber bei aller Treue euer Kind dennoch missraten solle, wenn es von Euch ginge wie der verlorene Sohn - glaubt dem Wort des Herrn: „Das Gebet des Gerechten vermag viel, so es ernstlich ist.“ Auch nach Eurem Tod ist des Herrn Hand nicht zu kurz. Gedenkt des Wortes, das ein Bischof zu der Monica sagte, der Mutter des großen Kirchenvaters Augustinus, der damals ein verlorenes Kind war, um das sie sechzehn Jahre lang gerungen hatte: „Ein Sohn so vieler Gebete kann nicht verloren gehen.“ Jedes ungeratene Kind zieht seine Eltern selbst zum HErrn und treibt ins Gebet; jedes wohlgeratene Kind zieht die Eltern zum HErrn durch die unverdiente Gnade. Ja, das ist ein seliger Dienst, den der HErr uns durch die Kinder leistet, dass wir, während wir sie zum HErrn ziehen, selber inniger zu Ihm gezogen werden; ja zu Ihm auch gezogen werden, wenn er ein teures Kind fordert und an sein Herz nimmt. Denn was will er damit anders als ein Band trennen, das an die Erde uns knüpft, um damit unser Herz fester an Ihn und seinen Himmel zu binden? - Stellt eure Würde und euer Amt euch so vor Augen liebe Eltern? dann dürft ihr auch hoffen, dass

II. auch eure Würde von den Kindern recht anerkannt und heilig gehalten wird.

Das gibt dem Kind das rechte Ehren ins Herz, wenn es wirklich merkt und spürt, wie Vater und Mutter sich als Stellvertreter Gottes ansehen und beweisen. Es ist dann eine Scheu vor dem Amt und Würde der Eltern im Kind, die sein Tun und Lassen leitet, denn es fürchtet und liebt den Herrn in ihnen. Da wird es auch das erfüllen, was der Katechismus sagt: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herrn nicht verachten noch erzürnen, sondern dieselben in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert halten, dieweil uns Gott durch ihre Hand regieren will.“ In Ehren halten heißt, ihr göttlich Amt ansehen und um solches Amtes willen, ihnen alle gebührende Achtung und Ehrfurcht erweisen. Diese innere Hochachtung kann sich zu keiner Zeit verleugnen und zeigt sich auch äußerlich in Worten und Gebärden und in der Tat. Da wird zunächst ein Kind seinen Eltern alle gebührende Achtung vor den Menschen erweisen. So heißt es von Salomo, als seine Mutter zu ihm kam, um etwas von ihm zu bitten: „Und der König stand auf und ging ihr entgegen und betete sie an und setzte sich auf seinen Stuhl. Und es ward des Königs Mutter ein Stuhl gesetzt, dass sie sich setzte zu seiner Rechten.“ Da wird ein Kind, wenn die Eltern reden, demütig schweigen und nicht mit dem heutigen jungen Geschlecht Alles besser wissen wollen alle sie; und selbst, wenn sie Unrecht hätten, viel lieber schweigen, als das letzte Wort haben wollen. Ja dieses Ehren wird auch fortdauern, wenn das Kind schon erwachsen und selbstständig ist. In allen wichtigeren Dingen wird es um den Rat seiner Eltern bitten. Vor Allem aber wird es den entscheidendsten Schritt seines Lebens nicht ohne der Eltern Rat, Einwilligung und Segen tun, nämlich den seiner Ehe. Sie seien die ersten, denen das Kind den Zug seines Herzens offenbart. Und auch in späteren Jahren mag ein Kind von seinem Vater bekennen, was jener Kurfürst, Johann von Brandenburg, der in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten seinen Vater um Rat frug, bekannt hat: „Dass sein Vater in seinem kleinsten Glied mehr Einsicht habe, als er mit seinen sämtlichen Räten in ihren Köpfen und Leichnamen.“ Und wenn auch die Eltern alt und wunderlich geworden wären, so wird ein rechtes Kind es niemals vergessen, was es ihnen schuldig ist.

„Ihnen dienen und gehorchen“ sagt der Katechismus weiter. Der Dienst der Eltern soll den Kindern etwas Seliges sein, den Eltern Gleiches vergelten, „das ist wohlgetan und angenehm vor Gott.“ Kann doch ein Kind niemals seinen Eltern das vergelten, was sie an ihm getan. So war einst im Braunschweigischen eine Witwe schwer krank geworden. Ihre einzige Tochter war in der Stadt in einem guten Dienst. Als sie von der Krankheit der Mutter hörte, machte sie sich auf, verließ den Dienst, um ihre Mutter zu pflegen. All ihr erspartes Geld brachte sie mit, um ihre Mutter zu versorgen. Als auch der letzte Heller ausgegeben war, und Niemand ihr helfen wollte, schlich sie sich während die Mutter schlief, leise von ihrem Bett weg, versetzte ihr Sonntagekleid für zwei Taler, und holte die Mittel, die der Mutter verordnet worden waren. Von alle dem aber erfuhr die Mutter kein Wort bis sie selbst mit ihrer Tochter zur Kirche wollte, und merkte, dass das Sonntagekleid ihr fehle. Siehe, das heißt den Eltern dienen! Wo man aber willig den Eltern dient, da fehlt auch der rechte Gehorsam nicht, der ohne Widerrede und ohne böses Gesicht der Eltern Befehl erfüllt. Denn einen freudigen Gehorsam will der Herr haben gegen seine Stellvertreter, nicht jenen sauren, dem mans am Gesicht, am langsamen Gang ansieht, aus welchem Herzen er herauskommt. Wie willig ist doch Isaaks Gehorsam, der sich stille binden und auf den Altar legen lässt, dass er geopfert würde. Da ist kein Murren und keine Widerrede. Und wahrlich, solch ein Opfer ist doch wohl von keinem Kind verlangt worden. Wo ein Kind recht steht, da hat es auf seinen Lippen nicht das böse Wort, das schon so viel Unheil in der Welt angerichtet hat, nämlich das Wörtlein: warum. Dieses Warum fragen ist der Anfang alles Ungehorsams, und der Tod alles freudigen Gehorsame. Allerdings dann, wenn Eltern etwas verlangen, was wider Gottes Gebot und Wort ist, darf ein Kind nicht folgen und muss in diesem Fall sprechen wie der Heiland: „Wer ist mein Vater, und wer ist meine Mutter? Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Vater und meine Mutter.“ Aber hüte dich, liebes Kind, dass du deinen eigensinnigen Kopf nicht mit Gottes Willen verwechselst. Man redet so manchmal vom Willen Gottes, wo im tiefsten Grund doch nur der eigene Wille spricht. Aber wo der Eltern Wille launig ist und wunderlich, da hat das Kind kein Recht, deswegen den Gehorsam aufzukündigen. Denn es steht geschrieben: „Ihr Kinder seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn!“ Das heißt, nicht um der Menschen willen, sondern um des Herrn willen. Das Kind soll wegschauen von den launigen Eltern auf den Herrn, der in heiliger, stets sich gleich bleibender Liebe regiert, ihn bitten und sagen: „Du Herr hast mir ja meine Eltern gegeben, und nicht ich, und darum gib mir Freudigkeit, ihnen in allen Dingen zu folgen.“

Wo aber Eltern von dem Herrn wirklich abgefallen sind, da hat das Kind nicht als Richter oder Ankläger wider sie aufzutreten, sondern als ein Fürbitter vor Gottesthron mit stillem Seufzen dieses Kreuz zu tragen und sich zu demütigen unter Gottes gewaltige Hand. Aber wissen soll es, dass, wie der Eltern Gebet für die Kinder nicht leer zurückkommt, so auch kein Kindesgebet verloren ist. Vor wenigen Jahren legte ein kleines Kind von vier Jahren solche Fürbitte ein. Als seine Eltern nämlich in hitzigen Streit geraten waren und zuletzt der Mann sein Weib durch das ganze Haus verfolgte mit Schlägen, kamen sie in eine abgelegene Stube, wo jenes Kind auf den Knien lag und unablässig rief: „Ach lieber Heiland, mach meinen Vater und meine Mutter wieder gut.“ Betroffen standen sie still und reichten sich weinend die Hände. Siehe, hat sich nicht der Herr aus dem Mund der Unmündigen ein Lob zubereitet? „Sie lieb und wert halten“ ist das letzte, wozu der Katechismus ermahnt. Dazu gehört, dass man die Eltern bis zu ihrem legten Atemzug als ein teures Gut ansieht, nie als eine Last sie betrachtet, sondern sich freut, wenn sie der Herr uns lange lässt und die Gelegenheit gibt, ihre Liebe zu vergelten. Da gehen Einem auch die Eltern über alle Ehren in der Welt und schämt man sich ihrer nicht. In der Zeit des siebenjährigen Krieges stand bei einem Husarenregiment der Rittmeister Kurzhagen. Bei der Rückkehr aus dem Krieg rückte er an der Spitze seiner Schwadron in dem Ort ein, wo er ehemals als gemeiner Husar gestanden hatte. Seine beiden alten Eltern, in Bauerntracht gekleidet, erwarteten ihn auf dem Markt, denn sie hatten ihn in ein paar Jahren nicht gesehen. Sobald Kurzhagen sie sah, sprang er vom Pferd, übergab dem Lieutenant die Schwadron, ging auf seine Eltern zu und umarmte sie öffentlich. Er behielt sie nachher lebenslang bei sich, und ließ sie stets an seiner Tafel essen, wenn auch vornehme Gäste da waren. Darüber hielt sich einmal ein Offizier auf, dass Bauern bei dem Herrn Rittmeister zu Tisch wären. Kurzhagen sagte: „Wie sollte ich nicht den ersten Wohltätern meines Lebens danken? ehe ich des Königs Rittmeister wurde, war ich ihr Kind.“ Diese Geschichte kam vor die Ohren des Generals Ziethen. Da musste Kurzhagen einmal alle Offiziere der Garnison zu sich einladen.

Bei der Tafel fragte Ziethen: Wo sind Ihre würdigen Eltern? Lassen Sie sie gleich herkommen, um meinethalben ja nicht von der Tafel wegbleiben. Denn die alten Eltern hatten dies Mal gewünscht, nicht am Tisch zu erscheinen. Ziethen ging selber hin, holte sie, setzte sich in ihre Mitte, drückte dem alten Vater traulich die Hand, nahm dann ein Glas in die Hand, und stand mit den Worten auf: Meine Herren, auf das Wohl dieser würdigen Alten, der braven Eltern eines braven und verdienstvollen Sohnes, der es beweist, dass ein dankbarer Sohn mehr wert ist als ein hochmütiger Rittmeister. Kurzhagen wurde später zum Ritter des Verdienstordens ernannt und der König Friedrich der Zweite lud ihn einmal zur Tafel. Da fragte der König, vielleicht um seine Gesinnung zu prüfen: „Von was für einem Haus stammt er ab?“ „Von gar Keinem Ew. Majestät; erwiderte der Rittmeister, meine Eltern sind bloß Landleute aber ich möchte sie um keine andere Eltern in der Welt vertauschen.“ „Das heißt edel gedacht,“ sagte der König, wehe dem, der klein genug ist, sich seiner Eltern und Verwandten zu schämen, der ist kein edler Mann und kann auch keiner werden.“

Bis zum Grab geht solche Liebe mit, wie Joseph einst als Jakob gestorben war, auf seines Vaters Angesicht fiel und über ihm weinte und ihn küsste. Wo solches alles ein Kind tut, da bleibet auch die Verheißung nicht aus, da der Herr spricht: „Dass du lange lebst im Lande, das dir der Herr dein Gott gibt.“ Diese Verheißung ist wörtlich zu nehmen als eine irdische Verheißung, denn die Gottseligkeit hat nicht nur die Verheißung jenes, sondern auch dieses Lebens. Hier schon zeigt es sich, dass der Eltern Segen den Kindern die Häuser baut. Auf geheimen Wegen kommt der Segen der Eltern; auch wenn sie längst nicht mehr da sind, so ist es, als ob ihr Geist und ihre Gebete als köstliches Erbteil in des Kindes Haus und Gut, wie ein unsichtbarer Schatz, verborgen lägen.

Ach, dass doch Beides, des Herrn Ernst und Güte, Eltern und Kinder triebe, dies Gebot zu erfüllen! denn wie es das erste Gebot ist, das Verheißung hat, so ists auch das Gebot, dessen Übertretung am schnellsten den Fluch nach sich zieht. Wie dies Gebot eines Landes Wohlergehen verheißt, so seine Kinder sich danach richten; so ruht des Landes Fluch und Ruin in der Verachtung dieses Gebotes. So kommt denn ihr Eltern, wir wollen uns noch einmal weisen zu dem, der uns mehr geliebt denn Vater und Mutter, der sich selbst für uns dahingegeben und Sein Blut für uns gelassen; der in den Tagen Seines Fleisches Tränen und starkes Geschrei für uns geopfert hat und uns stets auf seinem hohenpriesterlichen Herzen trägt! Lasst uns an Seiner Liebe die rechte Liebe für unsere Kinder lernen. Ihr Kinder aber, und auch ich mit Euch, lasst uns aufschauen auf den Herrn, der, ob Er wohl Gottes eingeborner Sohn war, dennoch Seinen irdischen Eltern untertan war; der am Kreuz sterbend Seiner Mutter nicht vergaß und sprach: „Weib, siehe, das ist dein Sohn.“ Wenn wir so von Ihm gelernt haben, dann werden Eltern und Kinder nicht als gegenseitige Ankläger vor Gottes Thron sich treffen, sondern an jenem großen Tag, wo über alle verlorenen, den Eltern ungehorsamen Söhnen und Töchtern das gerechte Urteil gehen wird, können dann Väter und Mütter, die ihre Ehrenkrone bewahrt, ihre Kinder, die ihnen gehorsam waren in dem Herrn, mit leuchtendem Auge dem Herrn entgegen führen und sprechen: „Siehe Herr, hier sind die, die du mir gegeben hast, und ich habe deren keines verloren!“ Amen.

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