4) Keßlers Vorlesungen geben unschuldiger Weise Stoff zum Ausbruch der Wiedertaufe in St. Gallen

Als Keßler auf bittliches Ansuchen einiger guten Freunde, die heil. Schrift - wie wir oben gemeldet, - auslegte, und gerade in der Erklärung des 6ten Capitels an die Römer stand, wußte man in St. Gallen von der Wiedertaufe noch gar nichts; ja selbst zu Zürich war diese Schwärmerei noch nicht öffentlich ausgebrochen, sondern trieb ihr Unwesen bloß heimlich. Nun trug sichs zu, als er zur Erklärung der Worte im 5ten Verse kam: „wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christ getaufet sind, die sind in seinen Tod getauft,“ und von der Kraft der Taufe und ihrer Bedeutung, zu sprechen Anlaß nahm, trat Lorenz Hochreutener, ein eifriger aber von Zürich vertriebener Schüler Grebels, auf, und hieß Keßlern schweigen, indem er sagte: ich merke aus deinen Worten, daß du meinest, man soll die Kinder taufen! Ich wüßte gerade jetzt, versetzt Keßler nichts anders, und es befremdet mich sehr, daß jemand wäre, der daran nur zweifeln könnte; auch sehe ich keine Ursache ein, warum sie nicht sollten getauft werden!1) Hochreutener hielt ihm daher die Worte Christi, Matthäi 28, vor: wer glaubt und getauft wird, der wird selig; Kinder wären ja ungläubige, unvernünftige (?) Creaturen, die noch keinen Glauben hätten; auch wär' es ganz einerlei, ob man ein anderes unvernünftiges Stück Vieh, z.E. eine Katze, oder auch nur einen Stock ins Wasser tunkte! Keßler entgegnete: es sey ein sehr großer Unterschied zwischen solchen Creaturen, die Gott zur Nothdurft des Menschen erschaffen, als Vieh, Holz, und Steine, und zwischen denen, die zu dem Reiche Gottes und zum ewigen Leben bestimmt wären, als Kinder, welchen ja nach Christi Versprechen das Himmelreich bereitet sey.

Es erhub sich nun ein langer Streit zwischen beiden, in welchem aber jeder bei seiner Meinung blieb, und dieselbe vertheidigte. Zum Schluß drohete Hochreutener Keßlern mit einer Schrift, welche ihm gewiß hart werden würde zu verdrehen. In der That kam auch nach etlichen Wochen ein Sendschreiben von Zürich, welches den Titel führte: an die Brüder denen Keßler die Schrift auslegt. Diese Schrift hatte Grebeln zum Verfasser, in welcher er die Leute vor Keßlern, als einem falschen Schriftausleger warnt, und zu erkennen giebt, daß alle die Reden, welche Keßler des Teufels halben geredet, auch aus dem Teufel wären. Diese verfürerische Schrift verbreitete sich hin und wieder, und besonders auch in Zürich; zugleich aber mit ihr, der Saame der wiedertäuferischen Lehre. Keßler, den man dieses Schreiben mitgetheilt hatte, ermahnte seine Zuhörer sich an der heil. Schrift zu halten, und bat, sie möchten sich nur dadurch nicht irre machen lassen, da er gesonnen sey, es wieder zu beantworten.. Bei allen dem konnte doch nicht vermieden werden, daß nun unter seinen Zuhörern zwei Partheien entstanden, und viele ihm wohl treu blieben, andere aber sich zu Hochreutenern wendeten. Damals wurde zwar die Sache im Publikum noch nicht allgemein ruchbar, aber um so gefährlicher brach sie im folgenden Jahre (1525) in helle Flammen aus.

1)
Wie so ganz natürlich war Keßlers Verwunderung! Plank in seinem protestant. Lehrbegriff Thl. II, S. 44 u.f. sagt daher mit Recht: Es war in allen bisherigen Religionshandlungen kein Wort von der Kindertaufe berührt worden. Es war Jahrhunderte lang in der Kirche kein Streit darüber entstanden; aber es war würklich eine Lehre, bei der aufgeklärte Menschen leicht auf Schwierigkeiten stoßen konnten.
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