16) Die wahnsinnigen Brüder Leonhard und Thomas Schugger

So traurig schon jetzt die Abwege waren, auf welche diese Leute gerathen, und die Labyrinthe, in welche sie sich verirrt hatten, so war doch das Maaß ihrer Ausschweifungen noch nicht voll; sie fielen noch tiefer in die Geistesverwirrung hinein, und scheueten sich nicht, unter dem schändlichsten Mißbrauch frommer Reden: - es sei des Herrn Wille - Gott thue es durch sie - einander sogar zu morden. Auch eine solche Gräuelscene müssen wir noch in Kurzem schildern.

Oberhalb der Stadt, auf Mühleck, wohnte ein 80 jähriger Greis, Namens Schugger, dessen ganze zahlreiche Familie, von dieser verderblichen Schwärmerei angesteckt war. Sein Sohn, Thomas, gab sich für einen Propheten aus, lehrte und predigte von einer höhern Vollkommenheit und behauptete, daß die Wiedertäufer in einer solchen Freiheit ständen, daß ihnen keine Sünde mehr schade, sondern sie wären durch den Tod in die Freiheit hindurch gedrungen, daß es ihnen gleich gelte, ob sie hinfüro Gutes oder Böses thäten1); all ihr Thun und Lassen, Werke und Handlungen, wären Werke des Vaters! Da er nun als Lautenschläger bei Lustbarkeiten mit seinem Instrumente aufspielte, trieb er bei solchen Anlässen viele Leichtfertigkeiten, die er alle unter dem Schein der Freiheit und einer neuen Vollkommenheit vertheidigen wollte. ER machte z.B. Andern weiß: er kenne die Leute am Geruch, ob sie zu seiner Parthei gehörten oder nicht.

Er hatte noch einen Bruder, Namens Leonhard, der ein höchst einfältiger und den Schwärmereien seines Bruders blindlings ergebener Mensch war; dieser kam einst herab in die Stadt, trat zu denen am Markt befindlichen Stadtknechten, und bat den einen um seinen Amtsstock; dagegen wolle er ihm seinen Stock und sein Schwert geben. Nach einigen darüber gewechselten Worten willigte jener ein, und gab ihn Leonharden. Mit diesem begab er sich nun zum Bürgermeister, warf auf dem Wege dahin den Stock in die Höhe, und schrie vor allem am Markte versammelten Volke: das ist zwar ein Gewaltsstecken, aber es ist nicht der rechte, der rechte wird noch kommen. Endlich lief er mit demselben nach Hause, und ließ sein Schwert und Stecken im Stich, zerbrach den Stock in mehrere Stücken, und verbrannte sie zum Zeichen, daß der Stadtrath wegen Verfolgung der rechten Christen - unter denen er nämlich die Wiedertäufer verstand, seine Gewalt verlieren, und wenn er nicht Buße thun würde, gleich dem Stock im ewigen Feuer verbrannt werden sollte.

Am Abend dieses Tages, es war in der ersten Hälfte des Monats Hornung 1526, kamen die sämmtlichen Geschwister dieser Familie mit ihren Männern und Frauen und mehrern andern Wiedertäufern in Thomas Schuggers Hause zusammen. Diesen predigte nun Thomas, und legte ihnen die Schrift aus. Leonhard, der sich auch unter ihnen befand, verfiel wieder in seinen Paroxismus, und brach in seltsame Geberden aus. Er legte sich z.B. unter den Ofen, redete nichts, that nichts, sondern stellte sich, als wenn er ein Hund wäre, kroch auf allen vieren hervor, und da er sonst von Angesicht und Person verunstaltet war, machte er sich dadurch nur noch häßlicher. Sein Bruder Thomas schlug ihn oft stark mit einem Bengel, indem er dazu sagte: er müsse den Hund züchtigen; er ließ sich einen Strick bringen, band dem Bruder die Füße zusammen, zog ihn in die Höhe, ließ ihn plötzlich wieder auf den Boden fallen und dies litt der wahnsinnige Leonhard um so geduldiger, weil er dadurch glaubte seine völlige Ergebung in den Willen des Vaters an den Tag zu legen.

Nun ergriff Thomas ein bloßes Schwert, und setzte dies seinem Bruder, bloß mit drei Fingern haltend, mit der Spitze auf den Augstern, und drehete es dreimal herum, wobei Leonhard so still und unbeweglich blieb, und alles geduldig litt, was sein Bruder mit ihm vornahm. Dies alles sollte seine große Gelassenheit in Gott bedeuten, die in allem still hält, was ihm begegnete. Hierauf ließ Thomas Eßig und Galle bringen, und gab sie dem Leonhard zu trinken, worauf dieser sich übergab. Auf solches ließ er Jedermann aus der Stube gehen, und ohne dem alten Vater und den beiden Brüdern blieb Niemand darinnen. Was sie nun jetzt thaten, wußte man nicht, nur so viel sah man nachher, daß alle drei mit Blut bespritzt waren, ohne daß man jedoch eine Wunde irgend bei einem gesehen hätte.

Hierauf ließ Thomas ein Kalb in der Stube tödten, zerhackte es in vier Theile, und hieng sie an die vier Ecken des Hauses auf. Solchen und ähnlichen Unsinn trieben sie noch mehr bis an den folgenden Tag. Am Morgen aber, da sie bei einander saßen, sprach Leonhard zu seinem Bruder Thomas: „Es ist der Wille des himmlischen Vaters, daß du mir mein Haupt abschlagest.“ Thomas antwortete: o meine l. Geschwister, kniet alle nieder und betet mit Ernst, daß der Vater den Willen für das Werk nehme. Wie aber Leonhard auf dem Boden lag, strich ihm Thomas von der Galle in den Mund; da sprang er auf unter großem Schweiß, sprang dreimal gewaltig gegen die Diele, und sprach: Vater, ist's dein Wille, so nimm diesen Kelch von mir, aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Da vermahnte ihn Thomas, er sollte auch niederknien und beten, daß der Vater den Willen für die Werke nehmen wolle. Er kniete also nieder, faltete beiden Hände zusammen, und sprach wie vor: dein Wille o Vater geschehe! Thomas stand hinter ihm, und sagte auch: Vater etc. Leonhard sprach: Amen. Hierauf zog Thomas seinen Degen, und schlug Leonharden seinem leiblichen Bruder, den Kopf damit ab; und dies im Angesicht des Vaters und aller Geschwister.

Um dieses unversehenen und unerwarteten Brudermordes willen, erschraken die anwesenden Personen sehr. Thomas aber zog seine Laute alsbald hervor, danksagte Gott, und psalmirte, als wenn er eine herrliche That verrichtet hätte. Hierauf nahm er den Kopf und entseelten Leichnam, warf beide in den Webkeller hinab, und lief im Hemd in der Stadt umher. Als er an das Haus des D. Joachim v. Watt kam, forderte er zuerst zu essen und zu trinken, was man ihm auch gab, und sagte oft zu sich selbst, wie wohl unverständlich: er thue es nicht mehr, er hab's ihm gegeben. Aus diesen unverständlichen Reden sah D. Watt deutlich, daß dieser Mensch nicht recht bei sich selbst sei, und ließ seinen Nachbar den Diakon. Johannes Vogler, herbeirufen, und da er dem Geistesverwirrten einen Rock hatte umgeben lassen, bat er den Geistlichen, daß er ihn heim begleiten möchte. Als er das gethan, und ihn zur Ruhe gebracht, kam das Geschrei in die Stadt und vor den Burgermeister, daß Thomas Schugger seinen Bruder umgebracht habe. Ohne Verzug schickte man die Stadtknechte in dessen Wohnung; diese führten ihn in's Gefängnis, und nachdem man die Kundschaft von seinem Vater und Brüdern aufgenommen, wurde er 8 Tage nachher vor das Hochgericht gestellt. Er wollte aber die That nicht anders bekennen, wie wohl man ihn dreimal an der Folter aufgezogen hatte, als daß er am Ende sagte: er habe es zwar gethan, aber Gott durch ihn.“ Als ihm nun, der Gewohnheit gemäß, das Urtheil öffentlich am Markte vorgelesen ward, so bat er ernstlich, man möchte ihm noch einen Tag sein Leben fristen; da man ihm aber darin nicht willfahrete, ergab er sich drein, ließ sich ausführen, starb aber darauf, dass er seine That nicht aus sich selbst, sondern (welche eine Vermessenheit) aus der Kraft Gottes verübt habe. Der ihn auströstende Prediger fragte ihn: ob er glaube, daß ihm seine Sünden durch Christum vergeben wären? hierauf gab er zur Antwort: er dürfe es nicht glauben, denn er wisse es, daß sie ihm vergeben wären, und beugte fröhlich seinen Hals dar. Seine Anhänger aber wollten diese Mordthat als billig und recht vertheidigen, und keineswegs als eine schändliche Handlung antasten lassen.

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Abermals eine unverkennbare Aehnlichkeit zwischen diesen Fanatikern, und denen in unsern Tagen! war dies nicht ganz die Sprache der Wildespucher?
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