Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Erste Betrachtung.

Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Erste Betrachtung.

Jesus aber sprach: Vater! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Luc. 23, 34.

Liebe Freunde! Was die Knechte, die einmal ausgesandt waren, den Heiland zu greifen, den Hohenpriestern und Pharisäern auf die Frage: Warum habt ihr ihn nicht gebracht? antworteten: Es hat nie kein Mensch also geredet, wie dieser Mensch! das mögen wir mit noch größerem Recht von den Worten sagen, die wir aus dem Munde des Herrn in den letzten Augenblicken hören, da er im Angesicht aller Welt den Rath Gottes zu unserer Seligkeit am Kreuze erfüllt. Jedes Wort kann die Überschrift führen: So hat nie kein Mensch geredet! Doch es ist auch kein bloßer Mensch, der hier sein Haus bestellet. Es ist ein Mensch, der seines Gleichen nicht hat; ein Mensch, der zugleich Gott der Herr, der wahrhaftige Gott und das ewige Leben ist.

Schweigen hatte bei unserem Herrn seine Zeit. Da er gestraft und gemartert ward, that er seinen Mund nicht auf. Er schwieg, als man ihn vor Pilatus verklagte, er schwieg vor Herodes. Allein, da er an's Holz genagelt war, so wußte er mit den Mördern zu reden zu rechter Zeit. Jetzt war es Zeit zu sprechen. Und prägen sich die Worte eines Sterbenden den Umstehenden oft unvergeßlich ein, was für ein Gewicht sollten dann für uns die Worte eines sterbenden Gottmenschen haben!

Ja verlanget ihr, daß er einst eure letzten Worte, und, wenn ihr nicht mehr reden könnt, eure letzten Seufzer gnädig anhören möge, so achtet mit Sorgfalt auf das, was sein mit Blut befloßner Mund auch mit starkem Geschrei zu eurem Heil geredet hat.

Jesus aber sprach: Vater! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Mit diesem seinem ersten Wort, das er in seiner Marter am Kreuze geredet, hat er einen Gnadenbrief für die ganze Welt ausgestellet.

„Jesus aber sprach.“ Einem Jesus kommt es zu, Gnade zu ertheilen. Das bringt sein Name mit sich. Als ihm dieser Name in dieser Zeit wirklich beigelegt wurde, so vergoß er sein erstes Blut, und da er starb, versiegelte er denselben mit allen seinen Blutstropfen. Wie würde uns zu Muthe sein, dafern wir von keinem Jesu wüßten, der am Holze hängt? Könnten wir von diesem Kreuze keinen Trost herholen, wenn viel tausend Sünden schrieen, und uns mit Verdammniß dräuten, wo blieben wir denn? Ja er schreibt wahrhaftig einen Gnadenbrief; er unterschreibt ihn mit seinem eigenen Jesus-Namen. Die Schrift ist leserlich. Sie bestehet aus seinem eigenen Blute. Sie ist unveränderlich. Was geschrieben ist, das ist geschrieben. Er bleibt in Ewigkeit. Daher sind wir der Gnade, die wir bei seinen blutigen Füßen empfangen, auch so gar bei der Herrlichkeit seines Thrones versichert. Was ist denn der Inhalt seines Gnadenbriefes?

Jesus sprach: Vater! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!

Hier öffnet sich der Abgrund der ewigen Liebe. Hier höret man die Sanftmuth reden, die ihres Gleichen nicht hat. Seine ärgsten Feinde sind mitten in der Todesangst sein Augenmerk. Man wundert sich wohl, wie es möglich gewesen, daß Gott zu aller Bosheit der Feinde habe schweigen und seine Rache zurück halten können, daß sie diese Werkzeuge der Finsterniß nicht auf der Stelle ergriffen; man höret auf sich zu verwundern, wenn man dies erste Wort der sterbenden Liebe höret. Ja wenn der Priester, der sich selbst zum Opfer darstellet, mit seinem Rauchfasse nicht zwischen dem Lebendigen und den Todten gestanden, und durch seine Fürbitte die Gerechtigkeit nicht aufgehalten hätte, dann würde es sich freilich gezeiget haben, ob die Feinde des Herrn ihren Frevel ungestraft würden ausgeübet haben. Aber da die Gnade, die Barmherzigkeit des Mittlers, der jetzt mit der blutsauren Arbeit beschäftiget war, die Welt zu versöhnen, ins Mittel trat, so wurde, an statt daß die Strafen von rechts wegen an ihnen hätten können vollzogen werden, dem Erbarmen Gottes ein weiter Raum gemacht, sich über dieselbe auszubreiten.

Der Heiland hatte ihnen schon Alles, womit sie ihn beleidiget, von Herzen vergeben. Nun ging seine Sorge dahin, daß sein Vater, dessen Ehre sie auch geschmähet hatten, ihnen gleichfalls vergeben möchte. Vater, heißet es daher, vergieb ihnen. Der Heiland wußte, daß ihn sein Vater allezeit erhörte. Und wie sollte derselbe dem Sohne seiner Liebe, der Freude seines Herzens, der jetzt seinen Rathschluß vollendete, diese Bitte versagt haben? Das war nicht möglich. Da nichts mehr für sie, sondern alles gegen sie war; ja, da sie selbst begehrten, daß das Unglück sie treffen möchte, indem sie schrieen: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder! Matth. 27, 25. so war er allein auf ihrer Seite, und so auf ihr Bestes bedacht, daß er alle Ungnade von ihnen abwendete. Seine Feinde lästern und schmähen. Er segnet, er vertritt sie; er wirket ihnen die Vergebung aller ihrer Sünden aus.

„Vater, vergieb ihnen!“ Ist die Vergebung der Sünden nicht die allergrößte Glückseligkeit, die sich ein Mensch wünschen kann? Ist der Mann nicht selig, dem der Herr die Sünde nicht zurechnet? Röm. 4, 8. Wo diese fehlet, da fehlet Alles. Wo aber Vergebung der Sünde ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Eine solche Glückseligkeit verschaffet der Heiland denen, die ihn hassen. Denn weil er eben darum litt und starb, daß er uns die Vergebung der Sünden erwerben möchte, weil sich sein Leiden auf dies hohe Gut bezog, so war das auch das erste, welches er den Sündern ausbat.

„Vater, vergieb ihnen.“ Sehet da den großen Inhalt des Gnadenbriefes, den die Hände Jesu mit ihrem Blute unterzeichnen! Sehet, wie durch denselben die Sünde zugesiegelt, die Missethat versöhnet, die Handschrift, welche wir wider uns selbst geschrieben hatten, zerrissen wird! Der Heiland wird gehorsam bis zum Tode, und macht die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst. Ebr. 1, 3. Er vermacht uns dies Gut testamentlich, und weil das Testament sich auf den Tod des Stifters beziehet, so können wir nun zum Genüsse der uns in demselben vermachten Seligkeit ohne Anstand gelangen.

„Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Sie verstehen's nicht, was sie in ihrer Raserei sagen, sie sehen es nicht ein, daß sie wider ihr eigen Heil wachen. Es ist außer Streit, daß sie manches wußten.

Es ist aber auch gewiß, daß ihnen vieles unbekannt war; und weil der Heiland dasjenige nur erwog, was sie nicht wußten, so nahm er daraus Anlaß für sie zu bitten, damit ihnen alle wissentliche wie unwissentliche Sünden möchten vergeben werden. Die Unwissenheit hatte bei den Werkzeugen, welche sich bei dem Tode des Herrn gebrauchen ließen, ihre Stufen. Die armen heidnischen Kriegsknechte wußten wohl am wenigsten, was sie thaten. Der Haufe des jüdischen Volks folgte bei seinem Geschrei: kreuzige! kreuzige! seinen Führern, den Schriftgelehrten und Pharisäern. Auch das Volk hatte die Thaten des Herrn gesehen, und seine göttlichen Reden sehr oft nicht ohne Rührung und Ueberzeugung angehöret. Aber seine Führer hatten ihm Staub ins Gesicht geworfen. Pilatus bekannte wohl einmal über das andere: Ich finde keine Ursache des Todes an ihm. Luc. 23, 22. Er wußte, daß die Hohenpriester Jesum aus Neid überantwortet hatten. Matth. 27, 18. Allein er sahe doch nicht in Allem klar. Die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohenpriester selber waren wohl am strafbarsten, da ihr Gewissen ihnen sagte, daß sie Jesum blos aus Haß und Neid verfolgten. Und doch haben sie nicht Alles gewußt, was sie hätten wissen können; denn wenn das wäre, so müßten wir sie von der Fürbitte des Herrn ausschließen. Sie wußten nicht, daß derjenige, der gekreuziget wurde, Gottes Sohn, Gott selbst war. Hätten sie das erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuziget, 1. Cor. 2, 8. Wußten sie, daß sie unschuldiges Menschenblut vergossen, so wußten sie doch nicht, daß es Gottesblut war, das vom Kreuze herabfloß. „Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun“, das ist der Inhalt des Gnadenbriefes, den Jesus am Holze schreibet.

Wem schreibt er aber denselben? Wen geht dies erste gnadenvolle Wort an? Wer ist hier gemeinet? Wir antworten: es ist ein Gnadenbrief für die ganze Welt. Das lehret zuerst das Wort „ihnen“ ganz deutlich: „Vater, vergieb ihnen.“

Es ist nur ein einziges Wort, es hat aber einen großen Umfang. Wir merken hierbei vorher als etwas Besonderes an, daß der Heiland ohne Bedingung bittet. Er hanget keine Klausel an dies Wort. Er sagt nicht: Vater, wenn du willst, so vergieb ihnen. Es heißt nicht: Vater, wenn sie dies oder jenes thun, ihre Sünden bereuen, mich annehmen, sich zu mir bekehren und ein ander Leben anfangen, so vergieb ihnen um dieser ihrer Fassung willen. Nein! sondern dieser Gnadenbrief fasset eine allgemeine unbedingte Absolution und Vergebung aller Sünden in sich.

Wer kann sich nun darauf berufen? Wir glauben, daß alle diejenigen, die damals am Tode des Heilandes Theil nahmen, alle seine Feinde, in dieser Fürbitte eingeschlossen sind. Es fragt sich aber, ob dieselbe auch uns angehe. Wir wollen antworten: Wenn ein Mensch in der Welt, und also auch unter uns, frömmer ist als Judas, als Pilatus, als die Hohenpriester und Schriftgelehrten, als die Kriegsknechte; nicht, wenn er es etwa denket, denn solcher Phantasten giebt es viele, die sich es einbilden, daß sie viel besser wären, als diese Leute, und daß sie, wenn sie an deren Stelle gewesen wären, es so nicht würden gemacht haben, sondern wenn einer wirklich von Natur besser wäre, den geht diese Absolution nichts an. Weil aber keiner von Adams ordentlichen Nachkommen in der That frommer ist, als diese Gottesmörder, indem das Gesetz des Herrn allen ohne Unterschied das Brandmaal an die Stirn setzet: „die Gott hassen!“ 2. Mose 20, 5. so können daher alle Menschen sich dieser Fürbitte getrösten, und der Gnadenbrief ist also auch für uns geschrieben. Alle, die den Heiland ans Kreuz gebracht, die an seinem Tode Schuld haben, sind hier gemeinet. Und wie muß einem Menschen wohl zu Muthe sein, der es nicht für die lange Weile, sondern aus Ueberzeugung singet: „Was ist die Ursach aller solcher Plagen? Ach meine Sünden haben Dich geschlagen!“ wenn er das Wort höret: Es ist vergeben!

Es ist wahr: Wir haben nicht in eigener Person den Fürsten des Lebens getödtet; allein würde es auch wohl einem Menschen sein zugelassen worden, die Hand an seinen Schöpfer zu legen und sich an ihm auf die Art zu vergreifen, wenn er sich nicht selbst so erniedriget, Knechtsgestalt angenommen und sich freiwillig allem diesem Leiden unterworfen hätte? Und würde er sich demselben wohl unterworfen haben, wenn unsere Sünden auf eine andere Weise hätten getilget, und unsere Missethaten ohne sein Blutvergießen hätten können versöhnet werden? Was folget daraus? Unsere Sünden, die Sünden der ganzen Welt haben seinen Tod verursachet. Gehet demnach hin, Mörder des Herrn! Gehet hin, und tröstet euch dessen, daß euch die Absolution gesprochen ist! Er ist für euch Gottlose gestorben, Röm. 5, 6. Freuet euch, Feinde Gottes! Eure Sünden sind weggebracht. Ihr seid die ersten, an welche der Heiland gedacht hat. Ihr stehet oben an unter seinen Geliebten, und er hat sich eurer am ersten erinnert. Sein Herz war voll von Andenken an euch; darum floß sein Mund über zu eurem Heile. So liebt man freilich in der Welt nicht. Aber so liebt Er. Er liebet Sünder, die schnöde Zucht. Er segnet Menschen, die ihm geflucht. Er liebet seine Feinde, er bittet für die, so ihn beleidigen. Leset in diesem Gnadenbriefe die erfüllte Schrift, die Jesaia 53, 12. von ihm geweissaget: daß er für die Uebelthäter gebeten. Höret ihr es, die ihr ihm den Rücken noch zukehret, deren Herz Niemandem verschlossen ist, als ihm, deren Leben unter der strafbarsten Verweigerung des Gehorsams gegen seine Befehle verfließet! So lieb hat er euch gehabt. Ist es auch möglich, daß ihr ohne Nachdenken dabei bleiben könnt? Besinnet euch; denn ihr seid eben gemeinet, wenn er ausruft: Vater, vergieb ihnen.

Doch damit euch kein Zweifel übrig bleibe, so bemerket auch das folgende: Sie wissen nicht, was sie thun. Dies geht uns gleichfalls an. Wir haben gesagt, daß seine wirklichen Mörder von einer Art der Unwissenheit beherrschet worden. Allein eben das ist der Zustand aller Kinder Adams, die in Blindheit und Unwissenheit ihres Herzens geboren werden und dahin gehen.

Selbst unsere Stammeltern, weil sie nicht aus freier vorher gehender Ueberlegung sündigten, sondern vom Satan dazu verführet wurden, wußten nicht, was sie thaten. Daher kann Adam alsbald mit Scham bekennen: ich bin nackend! und es ist nur schade, daß seine hochmütigen Kinder die Sprache so ändern, und sprechen: Ich bin reich, gar satt, und darf nichts. Offenb. 3, 17. Wir Alle, die wir von ihm herstammen, sind unter die Macht der Finsterniß beschlossen gewesen, ehe wir darum gewußt.

Unsere Eltern konnten uns keine andere als eine sündliche und ins Verderben gesunkene Natur anerben, weil sie selbst keine andere hatten. Wir lagen darum wohl von Rechtswegen unter dem Bann und waren Kinder des Zornes, sobald wir das Licht der Welt erblickten. Allein von dem Allen wußten wir doch nichts. Wir leugnen nicht, daß die Menschen gegen das Licht sündigen, wenn sie das Gesetz des Herrn, das nicht nur auf zwei Tafeln gegraben, sondern auch in ihr Inwendiges geschrieben ist, übertreten. Wir behaupten nur, daß sich zugleich eine Art der Unwissenheit dabei offenbare. Könnte Jemand sonst ein solcher Feind von sich selbst sein, und sich immerdar reifer zum Verderben machen? Gegen das Evangelium sündiget ein Jeder so lange in Unwissenheit, bis er dasselbe lieset oder höret. Die nun von dem an doch in ihrer Sünde gegen dies theure Wort fortfahren, von denen kann man auch wohl keine gelindere Gedanken, als diese hegen: Sie wissen nicht, was sie thun. Sollte es anders möglich sein, daß sie ihrem Unglücke mit so schnellen Schritten entgegen eilten? Diese Unwissenheit entschuldiget nun freilich Niemanden, aber das Mitleiden findet dabei doch eher Statt, und daher heißet es: Gott habe die Zeit der Unwissenheit übersehen. Apstlg. 17, 30.

Unsern gebeugten Stammeltern wurde die erfreuliche Botschaft von ihrer und aller gefallenen Menschen beschlossenen Erlösung und Wiederaufrichtung gebracht, ehe sie davon wußten, und sich wohl nichts weniger als das vorstellen konnten. Uns ist im Blute des Lammes das Leben geschenkt, ehe wir darum gewußt. Ehe ein Kind seines Schadens gewahr wird oder von seinem Unglück wissen kann, ist schon das Mittel dazu ausersehen, dadurch ihm geholfen wird. Es wird getauft. Der Geist Gottes wirket den Glauben in ihm und es ist von Stund an selig. Den ruchlosesten Sündern sind ihre Missethaten vergeben, ehe sie es wissen. Und was wird dabei von ihnen gefordert? Nichts, als daß sie es nur, sobald es ihnen verkündiget wird, glauben. So sind sie selig, und von ihrer Seligkeit überzeugt. So hat also die Person des Mittlers, ehe wir es wußten, uns am Kreuze mit diesem Worte vertreten: Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.

Ist nun der Gnadenbrief für die ganze Welt, die unter der Sünde und in der Unwissenheit begraben lag, geschrieben, so werden wir wohl thun, wenn wir uns denselben zu Nutze machen.

Nehmet denselben demnach zuerst hin, als eine Grundfeste des Glaubens von der Vergebung eurer Sünden! Wer auf und an dies Wort gläubig wird, stehet dessen Seligkeit nicht fest? Sünden, die vergeben sind, können uns die auch verdammen? Wer will das sagen? Kann noch eine Schuldforderung an einem Menschen haften, der dies Wort im Herzen, dies Gnadenpatent in Händen und im Gesichte hat? Nennet uns die Missethat, die hier nicht vergeben ist? Laßt euch darum, zum andern, dies Wort ins Herz schreiben, und erfahret dessen Kraft! Wir dringen nicht vergebens auf die Erfahrung der seligen Wirkung dieses Wortes. Was ein Mensch selber empfindet, dessen ist er gewiß. Wenn durch den Glauben an dies gnädige Wort unser Verstand erleuchtet, unser Herz beruhiget, und unsre Seele mit Frieden und Freude erfüllet wird, so wanken wir nicht. Wir stehen auf einem Felsengrunde. Unsre Sünden schreien. Das Gewissen klaget an. Das Gesetz fluchet. Was wollen wir thun? Ja nicht, geliebte Seelen, unsre Zuflucht zu den Lügen nehmen, ja nicht bei uns selbst denken, oder sagen: „Ich danke Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute!“ sondern Gottes Marter in Ehren halten, den Heiland dies sein erstes Wort am Kreuze nicht vergeblich reden lassen, auf der Absolution bestehen, die uns ein für alle Mal gesprochen ist, mit einem freudigen und vollendeten Gewissen, an dem nichts Verdammliches ist, durch die Welt gehen, und uns vor keinen Feinden fürchten.

Wenn ein selbstgerechter, ein frommer, ein tugendhafter Mensch bei sich selbst und in seiner eignen Beschaffenheit, um seines Gebets, Treue, Wachsamkeit, Kampfes, Verläugnung und anderer Werke willen, die er ausübet, Ursachen genug zu finden vermeinet, warum er vor Andern gedenket selig zu werden, so weiß ein Sünder, ein Missethäter, ein Gottloser, der als sein Eigenthum nichts als Sünde und Schande aufweisen kann, keinen andern Grund als diesen zu seiner Seligkeit anzuführen? Und ich bin um dieses Wortes willen selig. Ich tröste mich meines lieben Herren Jesu Christi. Er ist für die Gottlosen gestorben. Er hat für die Sünder gebetet. Das gilt mir! Ich nehme mich dessen an! Herr Jesu, habe ewig Preis und Ehr', wo bliebe ich doch, wenn dies Wort nicht wär'?

Dies ist das Evangelium, das wir so getrost, ohne alle Einschränkung predigen. Die Ehrfurcht, die wir dem Worte unsers Herrn schuldig sind, macht es, daß wir nicht das geringste gute Werk fordern, wenn ihr Antheil an Jesu Tode und an der dadurch erworbenen Vergebung der Sünde haben wollt, sondern wir machen es euch bekannt, daß ihr Antheil daran habt, daß Jesus sein Blut für euch vergossen, daß die Handschrift zerrissen ist, die wider euch war und ans Kreuz geheftet worden, daß euch Gott alle Sünden geschenket, daß euch keine Sünde weiter zugerechnet wird, dafern ihr auch den Heiland selbst gekreuziget hättet, und daß diese Vergebung eurer Missethaten auch vor dem Throne Gottes gilt. Wir versichern euch, daß der Heiland schon am Tage, da er starb, euch einen Gnadenbrief mit seinem Blute geschrieben und alle eure Sünden in die Tiefen des Meeres geworfen habe.

Ihr könnt dies sein erstes Wort zur Sicherheit mißbrauchen; ihr könnt gedenken: „Nun, so ist es gut; weil es also mit der erworbenen Vergebung der Sünden seine Richtigkeit hat, so können wir in Sünden fortfahren, und bleiben, wie wir sind. Wir werden doch selig.“ Ihr könnt den Gedanken nachhängen: „Wohlan, so ist der Weg zum Leben so schmal nicht, als derselbe beschrieben wird. So können wir uns auch seiner Gnade erfreuen, wenn wir ihm gleich unsere Herzen verweigern.“ Ihr könnt also diese trostvolle Wahrheit zum Schutzbriefe eurer Bosheit machen.

So blind sind wir nicht, die wir das Wort des Herrn an euch haben, daß wir das nicht sehen sollten. Was sollen wir machen? Sollen wir sagen: der Heiland hat eure Sünde nicht weggetragen; er hat euch eure Missethaten nicht vergeben; sie liegen noch auf euern Schultern; ihr müsset erst so und so sein, dies und jenes thun; sollen wir Bedingungen machen, da keine zu finden sind? Sollen wir das Testament des Herrn geschickter einrichten, und das Evangelium von der Gnade vorsichtiger predigen, als er es von dem Altare seines Kreuzes geprediget hat? Davor wird uns Gott bewahren. So würden wir das Wort verkehren, darauf er gestorben ist, und seine Wahrheit zur Lüge machen müssen. Was ist denn dabei zu thun? Wir halten uns an die Vorschrift, die wir in Händen haben; euch aber gilt es, die rechten Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn der Diener eines Landesherrn den mit dem Insiegel bekräftigten Pardonbrief einem Uebelthäter überreichet, darf dann jener auch ein Wort darin ändern? Gesetzt aber, der Missethäter handelt so unsinnig, und tritt ihn mit Füßen, wird er dann von seiner Strafe wirklich befreiet? das wisset ihr besser. Wenn ihm derselbe vorgehalten und eingehändiget wird, so muß er ihn fußfällig annehmen. Sind das nicht eure Gedanken, wenn euch euer verwundeter Fürste mit seinen blutigen Händen den Gnadenbrief hingiebt: „Ich will ihn lesen!“ Das müssen die Entschließungen eines armen über seinem Verderben Leide tragenden Sünders sein. „Ich will ihn hinnehmen. Ich will ihn an der Marterstätte abholen. Was würde mir das helfen, wenn ich ihn nicht in Händen hätte? Geben kostet ihm ja kein Sterben. Hat er mich errettet, und mich von dem Zorne befreiet, da der Arm der mit lauter wohlverdienten Strafen gewappneten Gerechtigkeit Gottes schon über mich ausgerecket war, wie vielmehr wird er mich selig machen, da ich versöhnet bin! Hat er mich von meinem Unglücke befreiet, ehe ich dessen bin gewahr worden, wie viel williger wird er nun sein, mich es wissen zu lassen, wie viel ihn das gekostet! Hat er mir alle meine Sünden vergeben, ehe ich es einmal wußte, daß ich ein Sünder war, mit welcher Freundlichkeit, mit wie vielen Liebesbezeigungen wird er mir jetzt nicht mein Absolutionspatent hingeben, damit ich mich darauf steuern, und so lange darauf bauen kann, bis ich ihn sehe, bis meine Augen ihn auf dem Throne erblicken!“ Das ist der Glaube, der Alles erlanget, der sich das zueignet, was für Alle ist. So muß sich unser Glaube bei dieser Gnadennachricht beweisen.

Eben darum wird euch dieselbe verkündiget, und wir haben dabei keine andere Bitte an euch, als daß ihr dies Wort nicht als Menschen-Wort, sondern, wie es wahrhaftig ist, als ein Wort eures sterbenden Gottes annehmet, und die erste Stunde, die beste, so bald ihr es nöthig habt, glaubet. Nicht, als ob das doch eine Bedingung wäre, worauf die Wahrheit der Sache beruhete; nein! es ist Wahrheit, was wir sagen, wenn es auch Niemand unter euch glaubte; sondern darum ist das Glauben an dies Wort so nöthig, weil der Unglaube uns an dem Genusse der Seligkeit hindert, die uns erworben und aus Gnaden zugedacht ist, und weil es die Natur eines Geschenkes mit sich bringet, daß man dasselbe ergreifet, und sich zu eigen macht. Wer nicht glaubt, der ist gerichtet. Und wer das Unglück hat im Unglauben

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