Fénelon, François de Salignac de La Mothe - Fromme Betrachtungen für alle Tage des Monats

Fénelon, François de Salignac de La Mothe - Fromme Betrachtungen für alle Tage des Monats

Begleitwort.

Es war im Sommer 1879, da hat der selige Pfarrer Dr. Weber (Neuendettelsau und Polfingen) auf der lutherischen Konferenz zu Nürnberg als ein sterbender Mann seinen Amtsbrüdern das Gewissen geschärft mit einem Weckruf zur Zucht am Altare Gottes. Kurz darauf ist er heimgegangen in die ewigen Hütten.

Von den neun hinterlassenen, damals noch unversorgten Kindern hat der älteste Sohn Hermann des Vaters Leibeselend geerbt und ist, nachdem er kaum das Studium der Theologie begonnen und wenige Jahre in der französischen Schweiz zugebracht, als Jüngling von der Lungenschwindsucht hingerafft worden. In seiner Leidenszeit hat er sich unter anderem mit der Lektüre Fénelon'scher Schriften zu seinem Troste beschäftigt und manches daraus ins Deutsche übersetzt.

Hier folgt nun eine Übersetzung der frommen Betrachtungen für alle Tage des Monats. Zunächst seien sie ein Gruß des verewigten Jünglings an seine hinterbliebenen acht Geschwister. Aber auch andere Christen werden sich erquicken an den einfachen, herzlich frommen Worten des französischen Erzbischofs (gest. 1715), des edeln, ganz aufs Innerliche gerichteten, frommen Katholiken, den seine eigene Kirche, so treu er ihr auch war, nicht tragen mochte.

Wer mit uns eins ist in der Wertschätzung. der Pflege des innerlichen Lebensmitten in dieser veräußerlichten Zeit und wer das paulinische „alles ist euer“ in rechter Weise üben will, der sei uns gegrüßt mit dem Gruß ökumenischer Liebe in Christo. Neuendettelsau, im März 1888.

F. Meyer, P., Rektor des Diakonissenhauses daselbst.

Einleitung aus dem Wandsbeker Boten.

Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht und sein innerstes Wesen sehnt sich nach dem Vollkommenen, Ewigen und Unendlichen, als seinem Ursprung und Ziel. Er ist hier aber an das Unvollkommene gebunden, an Zeit und Ort, und wird dadurch gehindert und gehalten, und von dem väterlichen Boden getrennt.

Und darum hat er hier keine Ruhe, wendet und mühet sich hin und her, sinnt und sorgt, und ist in beständiger Bewegung zu suchen und zu haben, was ihm fehlt und ihm in dunkler Ahnung vorschwebt.

Da er sich aber nicht anders als in und mit seinem Hindernis bewegen kann, so ist sein Mühen umsonst und vergebens, was er auch tue und welchen Fleiß er auch anwende. Er kann, rundum in seinem Zirkel, Entdeckungen machen, viel und mancherlei finden, Schönes und Nützliches, Scharfsinniges und Tiefsinniges, aber zu dem Vollkommenen kann er, sich selbst gelassen, nicht kommen; denn er bringt, wie gesagt, gerade was ihm im Wege ist und hindert, in alles mit, was er beginnt und tut, und kann nicht über sich selbst hinaus.

Soll er zu seinem Ziel kommen, so muss für ihn ein Weg einer andern Art sein, wo das Alte vergeht und alles neu wird, wo das Hindernis, das ihm im Wege ist und hindert, und das er selbst nicht abtun kann, durch eine fremde Hand abgetan; und er, nicht sowohl belehrt, als verwandelt und über sich und diese Welt gehoben, und so der vollkommenen Natur teilhaftig wird.

Und diesen Weg, der das Geheimnis des Christentums ist, lästern und verbessern die Menschen, und wollen lieber auf ihrem Bauch kriechen und Staub essen.

Er ist aber darum nicht weniger groß und heilig, und darum nicht weniger wert, dass, wer sich des Odems in seiner Nasen bewusst ist, alles für nichts achte und Vater und Mutter verlasse, um hinein zu schauen und sein teilhaftig zu werden.

Wenn nun gleich hier mit „Weisheit“ und „Kunst“ nichts ausgerichtet ist, und die Gabe Gottes nicht um Geld und um keine zeitliche Gesinnung verkauft wird, und der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben; so kann er sich doch, durch eine gewisse fortgesetzte Behandlung und Richtung seiner selbst empfänglicher machen und der fremden Hand den Weg bereiten.

Von diesem Wegbereiten und empfänglich machen rc. handelt der Erzbischof Fénélon in den hier übersetzten Werken, und teilt darin, nicht als ein Klügling und Urteiler des Weges und als Menschen zu gefallen, sondern als einer, der die Sache versucht hat und dem an seiner und anderer Menschen Seligkeit gelegen ist, seine Erfahrungen und seinen Rat einfältig und unbefangen mit. Und es kann nicht fehlen, ob er es wohl eigentlich für die Christen seiner Konfession geschrieben hat und die der andern in einigen Punkten verschiedener Meinung sind, dass nicht alle, denen Ein Kampf verordnet ist und die Eine Hoffnung und Einen Jesum Christum haben, ihn gern und mit Nutzen lesen werden.

Und vielleicht werden selbst von den Nichtchristen und Unchristen einige durch die Milde und den Ernst dieses liebenswürdigen Schriftstellers veranlasst, ihren Weg noch einmal in Überlegung zu nehmen, so sehr sie auch glauben, desselben gewiss zu sein.

Die Geschichte des griechischen Jünglings ist bekannt: der kam, auch seines Weges und seines Glückes gewiss, das Haar nach dem Sinn der Zeit mit Rosen bekränzt, in den Hörsaal eines Weisen, der von dem unsterblichen Geist, der im Menschen ist und von seinem wahren Glück redete. Und als er ihm eine Zeit lang zugehört hatte, riss er heimlich und verstohlen eine Rose nach der andern herunter und warf sie an die Erde.

Matthias Claudius.

1. Tag. Wie wenig Glauben die Welt hat.

Luk. 18,8: „Doch, wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, dass ER auch werde Glauben finden auf Erden?“

Wenn Er jetzt käme, würde Er Glauben bei dir finden? Wo ist dein Glaube? Wo sind seine Merkmale? Glaubst du, dass dieses Leben nur ein kurzer Übergang zu einem besseren ist? Bedenkst du, dass man mit Jesu Christo leiden muss, bevor man mit Ihm herrschen kann? Betrachtest du die Welt als ein Trugbild und den Tod als den Eintritt zu den wahren Gütern? Stammt dein Leben aus dem Glauben? Beseelt er dich? Genießest du die ewigen Wahrheiten, die er dir bietet? Speisest du deine Seele damit ebenso sorgfältig, als du deinen Körper mit zuträglicher Nahrung versiehst? Gewöhnst du dich daran, alle Dinge nur mit den Augen des Glaubens zu betrachten? Nimmst du alle deine Urteile in die Zucht des Glaubens? Weit entfernt in kraft des Glaubens zu leben, lässt du ihn in deinem Geist und Herzen ersterben. Du urteilst als ein Heide, ebenso handelst du. Wer den wahren Glauben hätte, würde der handeln wie du?

Trage Sorge, das Reich Gottes möchte dir genommen und anderen gegeben werden, die seine Früchte besser zu gewinnen wissen. Der Glaube, wenn er in und unter uns herrscht und regiert, ist dieses Reich Gottes. Wohl dem, welcher Augen hat, dies Reich zu sehen. Fleisch und Blut vermögen es nicht. Der natürliche Mensch in seiner Weisheit ist blind dafür und will es sein. Gottes verborgenes Wirken ist ihm ein Traum. Um die Wunder dieses innerlichen Reiches zu sehen, muss man wiedergeboren werden, und um wiedergeboren zu werden, muss man sterben. Das aber kann die Welt nicht zugeben. Lass nun die Welt verachten, verdammen, lass sie sich lustig machen, so lang sie will, dir ist es geboten, zu glauben, und die himmlische Gabe zu genießen. Wir wollen, o Herr! zu der Zahl deiner Auserwählten gehören, und wir wissen, dass niemand dazu gehört, der nicht deine Lehre zur Richtschnur seines Lebens macht.

2. Tag. Es gibt nur einen Weg zum Himmel.

Matth. 7,13: „Gehet ein durch die enge Pforte.“

Nur mit Gewalt kannst du in das Reich Gottes eintreten, im Sturm musst du den Sieg davontragen, wie über eine Festung. Die Pforte ist enge; man muss den Leib der Sünde darben lassen, man muss sich erniedrigen, sich beugen, sich hindurchzwängen, sich klein machen. Das weite Tor, durch welches die Menge zieht, und das ganz offen steht, führt zum Verderben. Alle breiten und glatten Wege müssen dich beängstigen. Wehe dir, wenn die Welt dir zulacht, und dein Weg dir lieblich erscheint! Niemals taugst du besser für das jenseitige Leben, als wenn du übel taugst für das diesseitige. Hüte dich also wohl, der Menge zu folgen, die den breiten und bequemen Weg wandelt! Du musst die Spuren der Minderzahl, die Schritte der Frommen, den steilen Pfad der Buße suchen, musst die Felsen erklettern, im Schweiß deines Angesichts die sicheren Orte gewinnen und gewärtig sein, dass der letzte Schritt des Lebens noch eine gewaltige Anstrengung kostet, um in die enge Pforte der Ewigkeit einzutreten.

Gott hat dich erwählet nur, damit du ähnlich würdest dem Bilde seines Sohnes. Du musst dich an ein Kreuz heften lassen, wie Er, verzichten auf sinnliche Freuden, wie Er, und still ergeben sein im Schmerz, wie Er. Aber wie bist du verblendet! Losreißen möchtest du dich von jenem Kreuze, das dich vereint mit deinem Meister. Du kannst das Kreuz nicht verlassen, ohne Jesum den Gekreuzigten zu verlassen. Das Kreuz und Er sind unzertrennlich.

Lasst uns doch leben und sterben mit dem, der gekommen ist, uns den wahren Weg zum Himmel zu zeigen, und nur die Sorge soll uns beseelen, unser Opfer möchte nicht sein Ziel und Ende auf demselben Altar finden, auf welchem Er das seinige vollendet hat! Leider! alle unsere Versuche und Anstrengungen in diesem Leben bringen uns nur immer mehr auf den breiten Weg und entfernen uns von dem einen, der zum Himmel führt. Wir wissen nicht, was wir tun. Wir begreifen nicht, dass das Geheimnis der Gnade die Seligkeit mit den Tränen verbindet. Jeder Weg, der zu einem Throne führt, ist köstlich, wäre er mit Dornen besät. Jeder Weg, der zu einem Abgrund führt, ist schrecklich, wäre er auch mit Rosen bedeckt. Man hat zu leiden auf dem schmalen Wege, aber man ist fröhlich in Hoffnung. Man leidet, aber man sieht den Himmel offen; man leidet, aber man will auch leiden; man liebt Gott und man wird wiedergeliebt.

3. Tag. Die wahre Frömmigkeit.

Jak. 1,26: „Wer selbst sein Herz verführet, des Gottesdienst ist eitel.“

Wieviel Täuschung in der Frömmigkeit! Bei den einen besteht sie allein in der Menge der Gebete, bei den andern in der großen Zahl äußerer Werke, welche geschehen, um Gott zu verherrlichen und dem Nächsten mit Hilfe beizustehen. Bei einigen beschränkt sie sich auf den beständigen sehnlichen Wunsch, ihr Heil zu schaffen, bei andern auf große Entsagungen. Alle diese Dinge sind gut, sie sind sogar bis zu einem gewissen Grad notwendig. Aber du täuscht dich, wenn du darein Grund und Wesen der Frömmigkeit verlegst. Jene Frömmigkeit, welche dich heiligt und dich ganz und gar Gott weiht, besteht darin, Alles zu tun, was Er will und Alles, was Er von dir wünscht, genau in der Zeit, an den Orten und unter den Verhältnissen, in welche Er dich stellt, zu vollbringen. Alle deine Bemühungen, alle deine noch so glänzenden Werke werden nur dann belohnt werden, wenn du den Willen des höchsten Meisters getan hast. Der Knecht, der dir dient, könnte Außerordentliches in deinem Hause leisten; aber wenn er nicht täte, was du wünschest, würdest du ihm doch keinen Dank für seine Handlungen wissen und dich mit Recht darüber beklagen, dass er dir schlecht diene.

Die völlige Hingabe fordert nicht nur, dass du den Willen Gottes tust, sondern dass du ihn mit Liebe tust. Gott liebt es, dass man Ihm mit Freuden gebe; in allem, was Er dir vorschreibt, ist es immer das Herz, was Er fordert. Ein solcher Meister verdient wohl, dass man sich glücklich schätze, ihm anzugehören. Diese Hingabe muss in gleicher Weise sich in allen Lagen bewähren, mögen diese dir missfallen, mögen sie Anstoß bei dir erregen, mögen sie deinen Absichten, Neigungen und Plänen zuwiderlaufen; sie muss dich fertig machen, dein ganzes Gut, Vermögen, deine Zeit, deine Freiheit, dein Leben und deinen guten Ruf daran zu geben. Wenn du in solcher Bereitschaft sie verwirklichst, dann hast du wahre Frömmigkeit. Aber da der Wille Gottes dir oft verborgen ist, so hast du noch manchen Schritt der Entsagung und des Todes zu tun: diesen im Gehorsam zu vollbringen, und zwar in blindem Gehorsam, der aber weise ist in seiner Blindheit, ist allen Menschen zur Bedingung gemacht. Der Erleuchtetste unter ihnen, der, welcher am geschicktesten ist, die Seelen zu Gott zu ziehen, der am fähigsten ist, sie zu Ihm zu leiten, muss selbst geleitet werden.

4. Tag. Halbe und unvollkommene Bekehrungen.

Die Leute, welche Gott entfremdet waren, glauben sich Ihm sehr nahe, sobald sie anfangen, einige Schritte zu tun, sich ihm zu nähern. Die gebildetsten und aufgeklärtesten Menschen befinden sich darüber in derselben Unwissenheit und naiven Beschränktheit, wie der Bauer, der glaubt, am Hofe in Gunst zu stehen, weil er den König gesehen hat. - Du vermeidest die Laster, welche Abscheu erregen, du beschränkst dich auf ein weniger verdammliches, aber immerhin lockeres, weltliches und ausgelassenes Leben. Du urteilst alsdann über dich nicht nach dem Evangelium, das du allein zur Richtschnur nehmen darfst, sondern vergleichst in deinem Urteil das gegenwärtige Leben mit dem, welches du ehemals geführt hast. Es fehlt dir dann nur noch, dass du dich selbst in den Himmel erhebst und dich über alles, was zu deiner Seligkeit zu tun übrig bleibt, in Sicherheit einwiegst. Ein solcher Zustand ist vielleicht bedenklicher als sittenloses Leben, das Ärgernis gibt. Dieses würde das Gewissen beunruhigen, würde den Glauben wachrufen, und dazu antreiben, irgend eine große Anstrengung zu machen; während jene Veränderung nur dazu dient, die heilsamen Gewissensbisse zu ersticken, das Herz in einem falschen Frieden zu beruhigen und die Schäden unheilbar zu machen.

Du sagst: „Ich habe ziemlich genau die Schwächen meines vergangenen Lebens gebeichtet, ich lese gute Bücher, ich höre bescheidentlich die Messe und ich bete, meine ich, ziemlich gerne zu Gott. Ich vermeide wenigstens die groben Sünden; aber ich gestehe, dass ich mich nicht genug erweckt fühle, um zu leben, wie wenn ich der Welt nicht mehr angehörte, und um nichts mehr mit ihr gemein zu haben. Die Religion wäre zu hart, wenn sie so ehrbare Charaktere verwürfe. All eure heutigen ausgesuchten Forderungen der Frömmigkeit gehen zu weit, und sind mehr geeignet, zu entmutigen, als zum Guten zu reizen.“ Solche Rede ist die eines lauen Christen, der das Paradies recht billig haben möchte, und der nicht in Anschlag bringt, was man Gott schuldig ist, noch was der Besitz des Paradieses denen gekostet hat, die ihn erlangt haben. Ein Mensch von solchem Charakter ist von einer gänzlichen Bekehrung weit entfernt. Er kennt augenscheinlich weder den hohen Ernst des Gesetzes Gottes, noch die Pflichten der Buße. Man kann glauben, dass, wenn Gott es ihm anvertraut hätte, das Evangelium zu schreiben, die Eigenliebe sicher mäßigere Forderungen zu erfüllen hätte. Aber das Evangelium ist unveränderlich und nach ihm sollen wir gerichtet werden.

Nimm sobald als möglich einen sicheren Führer und fürchte nichts so sehr als Schmeichelei und Täuschung.

5. Tag. Der „gute“ Geist.

Luk. 11, 13: „Euer himmlischer Vater wird seinen guten Geist denen geben, die ihn darum bitten werden.“

Es gibt nur einen guten Geist, den Geist Gottes. Der Geist, der uns vom wahren Gut entfernt, so scharfsinnig, so angenehm, so geschickt er auch sein mag, um uns vergängliche Güter zu verschaffen, ist nur ein Geist der Täuschung und des Irrtums. Wer möchte wohl auf einem glänzenden und prächtigen Wagen einherfahren, der in einen Abgrund führt! Der Geist ist nur geschaffen, um zur Wahrheit und zum höchsten Guten zu leiten. Es gibt nur den guten Geist Gottes, weil nur Sein Geist es ist, der uns zu ihm führt. Verzichte auf den deinigen, wenn du den Seinigen haben willst. Glücklich der Mensch, der sich entkleidet, um überkleidet zu werden, der seine leere Weisheit mit den Füßen tritt, um die göttliche Weisheit zu besitzen.

Es ist ein großer Unterschied zwischen einem schönen Geist, einem großen Geist und einem guten Geist. Der schöne Geist gefällt durch seine Anmut, der große Geist erregt Bewunderung durch seine Tiefe, aber nur der gute Geist macht selig und glücklich durch seinen inneren Wert und seine Rechtbeschaffenheit. Passe deine Ideen nicht denen der Welt an. Verachte den Witz ebensosehr, als die Welt ihn schätzt; nichts ist leerer als der Witz, der in einer gewissen Fertigkeit, glänzende Gedanken zu erzeugen, besteht. Man macht sich einen Götzen aus seinem Witz, wie eine Frau, welche Schönheit zu besitzen glaubt, sich einen Götzen aus ihrem Gesichte macht. Man spiegelt sich in seinen Gedanken. Man muss nicht nur jenen falschen Glanz des Geistes, sondern auch die menschliche Klugheit verschmähen, wie ernst und nützlich sie auch erscheinen, um wie die Kindlein zur Einfalt des Glaubens zu gelangen, zur Reinheit und Unschuld der Sitten, zum Abscheu vor der Sünde, zur Demut und zur heiligen Torheit des Kreuzes.

6. Tag. Geduld im Leiden.

Luk. 21,19: „Fasset eure Seelen mit Geduld.“

Die Seele verliert ihre Fassung, wenn sie der Ungeduld nachgibt, während sie in der Unterwerfung ohne Murren sich im Frieden fasset und Gott besitzt. Ungeduldig werden, heißt: wollen, was man nicht hat, und nicht wollen, was man hat. Eine ungeduldige Seele ist ihrer Leidenschaft überlassen, weder Vernunft noch Glauben halten sie zurück. Wie schwach, wie verblendet! Solange man das übel will, das man leidet, gibt es gar kein Übel. Warum daraus ein wahres Übel machen, indem man aufhört es zu wollen? Der innere Friede beruht nicht im Gefühl, sondern im Willen. Man bewahrt ihn inmitten des bittersten Schmerzes, solange der Wille fest und ergeben bleibt. Frieden haben wir hier unten, wenn wir das Widerwärtige annehmen und ertragen, nicht wenn wir der Leiden überhoben sein wollen.

Wenn man dich klagen und murren hört, so erscheint es, als seist du die unschuldigste Seele auf der Welt, und man tue dir schreiendes Unrecht, dass man dich nicht in das irdische Paradies eintreten lässt. Erinnere dich doch alles dessen, was du gegen Gott getan hast, und du wirst zugeben, dass Er Recht hat. Sprich zu Ihm mit derselben Demut wie der verlorene Sohn: „Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir.“ Ich weiß, wie ich vor deiner Gerechtigkeit dein Schuldner bin, aber ich habe die Kraft nicht, ihr zu genügen. Wenn du mirs anheim stelltest, würde ich mir nur schmeicheln, mich nur schonen und an mir selbst zum Verräter werden mit meiner Schmeichelei. Aber deine barmherzige Hand wirkt, was ich sichtlich niemals den Mut haben würde zu tun. Sie schlägt mich aus Güte. Gib, dass ich ihre heilsamen Schläge geduldig ertrage. Das Geringste, was der Sünder tun kann, wenn er wahrhaft empört ist gegen sich selbst, ist, die Buße auf sich zu nehmen, die er nicht die Kraft hätte, zu wählen.

7. Tag. Ergib und füge dich in den Willen Gottes.

Matth. 6,10: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.“

Alles geschieht hier unten, ebenso wie im Himmel durch den Willen und die Zulassung Gottes, aber den Menschen gefällt dieser Wille nicht immer, weil er mit ihren Wünschen selten übereinstimmt. Lieben wir ihn und nur ihn, so machen wir aus der Erde einen Himmel. Wir danken dann Gott für alles, für die guten wie für die bösen Tage, da die bösen gute werden, wenn Er sie sendet. Wir murren nicht mehr über das Walten seiner Vorsehung, wir finden sie weise, wir beten sie an. O Gott! Was anderes. kann ich im Lauf der Gestirne, in der Ordnung der Jahreszeiten, in den Wechselfällen des Lebens erblicken, als deinen sich vollziehenden Willen? O dass er sich auch an mir erfüllte, dass auch ich ihn lieben und er mir alles erleichtern möchte. Möchte ich den meinigen gänzlich aufgeben, um den deinen in mir zur Herrschaft zu bringen, denn du, o Herr, hast ja doch zu befehlen, ich zu gehorchen.

Mein Jesus, du hast gesagt, als du von dir selbst sprachst im Hinblick auf deinen himmlischen Vater, dass du „allezeit tust, was ihm gefällt“, Joh. 8,29. Lehre mich das Ziel, wohin dieses Beispiel mich führen soll. Du bist mein Vorbild. Alles hast du auf Erden getan nach dem Wohlgefallen des Vaters, der auch mein und dein Vater genannt sein will. Wirke in mir, wie in dir selbst nach des Vaters Wohlgefallen. Möchte ich doch unzertrennlich mit dir vereint nach nichts mehr fragen als nach des Vaters Willen. Nicht nur das Gebet, die Unterweisung, das Leiden, die Erbauung, sondern auch das Essen, der Schlaf, die Unterhaltung, alles habe nur den einen Zweck, ihm zu gefallen. Dann wird unser ganzer Wandel geheiligt werden, alles wird in uns ein beständiges Opfer, Gebet ohne Unterlass, Liebe ohne Aufhören sein. Wann, o Herr, werden wir in diesem Zustand erfunden werden? Führe uns in Gnaden dahin, zähme und unterjoche durch deine Gnade unsern aufrührerischen Willen; er weiß nicht was er will, und nur nach deinem Willen zu leben, ist wahrhaft gut.

8. Tag. Der Nutzen des Gebetes.

1. Thess. 5,17: „Betet ohne Unterlass.“

Unsre Abhängigkeit von Gott ist derart, dass wir nicht allein Alles für Ihn tun, sondern auch ihn um die Mittel bitten sollen, Ihm zu gefallen. Dieser glückliche Zwang, in allen unsern Nöten zu Ihm unsere Zuflucht zu nehmen, soll uns nun und nimmer unbequem sein, sondern im Gegenteil unsern ganzen Trost ausmachen. Welches Glück, dass du voll Vertrauen zu Ihm reden, ihm dein ganzes Herz öffnen und durch das Gebet in einem herzlichen Verkehr mit ihm sein darfst. Er lädt dich ein, Ihn zu bitten. „Urteilet“, sagt der heilige Cyprian, „Er uns nicht die Güter verleihen wird, um die Ihn zu bitten Er uns lockt“. Bete also im Glauben und verliere nicht die Frucht deiner Gebete durch eine hin und her schwankende Ungewissheit (durch Zweifel), die wie Jakobus (1,6) sagt, „uns unbeständig macht“. Glücklich deine Seele, wenn sie sich tröstet im Gebet mit der Gegenwart ihres Bräutigams. „Wenn einer unter euch“, sagt der heilige Jakobus 5,13, „in Traurigkeit ist, so soll er beten“, um sich zu trösten. Aber wie unglücklich sind wir, wir finden nur Langweile in dieser himmlischen Beschäftigung! Unsere lauen Gebete sind die Quelle unserer übrigen Untreue.

Matth. 7,17: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Wenn wir, um Reichtum zu erlangen, nur zu bitten brauchten, wie eifrig, wie beharrlich, wie ausdauernd würden wir bitten! Wenn wir, um einen Schatz zu finden, nur zu suchen brauchten, ganze Ländereien würden wir aufwühlen! Wenn wir, um in den Rat der Könige und in die höchsten Ämter einzutreten, nur anzuklopfen brauchten, wie energisch würde man uns wohl klopfen hören! Ja, was tun wir nicht, um ein falsches Glück zu finden! Was für Zurücksetzungen und Widerwärtigkeiten ertragen wir nicht für ein Phantom weltlichen Ruhmes! Wie mühen wir uns ab um elender Vergnügungen willen, von denen uns nichts zurückbleibt als Gewissensqual! Der Schatz der Gnade ist das einzige wahre Gut, und das einzige, das wir einer Bitte nicht für wert halten, das einzige, das abzuwarten uns verdrießt. Aber wir müssen eben ohne Unterlass anklopfen. Denn Jesus Christus wird sich nicht untreu in Seinem Worte, – nur wir in unserem Verhalten.

9. Tag. Achte auf die Stimme Gottes.

Joh. 6,69: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“

Auf Jesum Christum sollst du hören. Auf die Menschen darfst du nur insoweit hören und ihnen vertrauen, als Christus mit Seiner Wahrheit und Seinem Vorbild sie erfüllt. Bücher sind nur dann gut, wenn sie dich das Evangelium lehren. Wohlan, suche diese heilige Quelle. Jesus Christus hat nur gesprochen und gehandelt, damit du auf Ihn hören sollst und aufmerksam Sein Leben bis ins Einzelne zu ergründen suchest.

Wir unglücklichen Menschen! Laufen unsern eignen Gedanken nach, die nur eitel und leer sind, lassen die Wahrheit selbst außer Acht, die durch ein einziges Wort uns zur ewigen Seligkeit zu verhelfen imstande ist. - Darum sprich, göttlich „Wort“, unerschaffenes und für mich fleischgewordenes Wort! Gib, dass meine Seele deine Stimme vernehme! Sage alles, was du willst; ich will alles, was dir gefällt.

Man sagt oft, dass man gerne wissen möchte, was man zu tun hat, um in der Tugend vorwärts zu kommen, aber sobald der Geist Gottes es uns lehrt, fehlt uns der Mut, es auszuführen; du empfindest wohl, dass du nicht bist, was du sein solltest; du siehst dein Elend, es wird alle Tage neu; - aber man meint, schon viel zu tun, wenn man sagt, dass man selig werden wolle. Verachte jeden Anlauf des Willens, der nicht alles zu opfern imstande ist, was dich auf deinem Wege zu Gott aufhält. Halte nicht länger die Wahrheit zurück in den Fesseln deiner schmachvollen Feigheit! Höre auf das, was Gott dir eingibt! Prüfe den Geist, der dich treibt, ob er von Gott kommt; und nachdem du ihn erkannt hast, spare nichts, um ihm Genüge zu tun. Der Psalmist bittet Gott nicht bloß, dass Er ihn „seinen Willen lehre“, sondern, dass Er ihn lehre „denselben zu tun“. (Ps. 143,10.)

10. Tag. Nutzen des Kreuzes.

Gal. 5,24: „Welche Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden.“

Je mehr du das Kreuz fürchtest, desto mehr das muss man daraus schließen, hast du es nötig. Lass den Mut nicht sinken, wenn die Hand Gottes dir Schweres auferlegt. Du sollst die Größe deiner Sünden an der Stärke der Heilmittel bemessen, die dein geistlicher Arzt gegen sie anwendet. Du musst sehr übel daran und Gott muss sehr barmherzig sein, dass Er trotz der Schwierigkeit, dich zu bekehren, sich die Mühe nicht verdrießen lässt, dich zu heilen. Bereite dir gerade aus deinem Kreuz eine Quelle der Liebe, des Trostes und Vertrauens und sprich mit dem Apostel (2 Kor. 4,17): „Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige, über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“, die dein Lohn sein soll. Selig sind, die da weinen, und mit Tränen säen, denn sie werden mit unaussprechlicher Freude ewiges Leben und ewige Seligkeit ernten.

Gal. 2,19: „Ich bin mit Christo gekreuzigt“, sagte St. Paulus. Mit dem Heiland werden wir ans Kreuz geheftet; und Er hält uns daran durch Seine Gnade. Um Jesu willen wollen wir ja nicht das Kreuz verlassen, weil er unzertrennlich von ihm ist. O anbetungswürdiger, leidender Leib, wir bringen nunmehr ein und dasselbe Opfer mit dir; wenn du mir dein Kreuz gibst, gib mir auch den Geist deiner Liebe und Hingabe; bewirke, dass ich weniger an mein Leiden denke, als an das Glück, mit dir zu leiden. Was leide ich, das du nicht auch gelitten hättest? oder vielmehr, was leide ich, wenn ich wagen darf, mich mit dir zu vergleichen? O, feiger Mensch, schweig! Blicke deinen Meister an und erröte! Herr, gib mir deine Liebe, dann werde ich das Kreuz nimmer fürchten. Wenn ich alsdann noch Hartes und Schmerzliches erdulde, so werde ich davon wenigstens nicht mehr zu erdulden haben, als ich gerne zu ertragen bereit bin.

11. Tag. Sanftmut und Demut.

Matth. 11,29: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“

O Jesus, du gibst mir diese Unterweisung in der Demut und Sanftmut. Jeder andere, der mir sie lehren wollte, würde meinen Widerspruch reizen. Ich würde an jedem anderen Unvollkommenheiten finden und mein Stolz würde nicht verfehlen, sich dies zu Nutze zu machen. Also du selbst musst mich unterweisen. Aber was sehe ich, mein teurer Meister? Du würdigst mich der Unterweisung durch dein Beispiel. Welches Vorbild! Ich habe nur zu schweigen, anzubeten, nur mich völlig zu erniedrigen, nur dich nachzuahmen. Wie! Der Sohn Gottes steigt vom Himmel herab auf die Erde, nimmt einen Leib des Staubes an, stirbt an einem Kreuz, um mich über meinen Stolz erröten zu machen. Der, welcher alles ist, wird zunichte, und ich, der ich nichts bin, will alles sein, oder ich will wenigstens, dass ich alles zu sein scheine, was ich nicht bin. Lüge, Torheit, schamlose Eitelkeit! teuflischer Dünkel. Herr, du sagst nicht zu mir: „seid sanftmütig und demütig“, sondern du sagst, dass du sanftmütig und demütig bist. Es sollte genügen, zu wissen, dass du es bist, um nach einem solchen Vorbild zu schließen, dass wir es sein sollen. Wer möchte wagen, nachdem du es uns gelehrt, uns davon loszusagen? Sollte es etwa der Sünder sein, der so vielmal durch seinen Undank verdient hat, durch deine Gerechtigkeit niedergeschmettert zu werden?

Mein Gott, du bist beides zusammen, sanftmütig und demütig, weil die Demut die Quelle der wahren Sanftmut ist. Der Stolz ist immer hochfahrend, ungeduldig, bereit sich zu erbittern. Der, welcher sich selbst aufrichtig verachtet, lässt sich getrost verachten. Wer glaubt, dass man ihm nichts schuldig sei, hält sich niemals für verletzt. Wir besitzen die wahrhaft tugendhafte Sanftmut nicht von Natur, das ist nur Weichlichkeit, Indolenz oder Verstellung. Um sanftmütig gegen die anderen zu sein, muss man erst sich selbst entsagen. Du fügst hinzu, mein Heiland, „sanft und von Herzen demütig“. Das ist nicht ein Sicherniedrigen, das nur im Verstande durch Überlegung geschieht, es ist vielmehr eine Neigung des Herzens, das heißt eine Erniedrigung, mit der der Wille übereinstimmt und welche er liebgewinnt, um Gott zu verherrlichen; es ist ein völliger Untergang jeglichen Vertrauens auf seinen eigenen Geist und auf seinen natürlichen Mut, um seine Heilung allein nur Gott zu verdanken. Sein Elend sehen und darüber in Verzweiflung sein, das heißt noch nicht demütig sein; das ist im Gegenteil ein Trotzen des Stolzes, das noch schlimmer ist, als der Stolz selbst.

12. Tag. Die Fehler des Nächsten.

Gal. 6,2: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Jesu Christi erfüllen.“

Die Liebe geht nicht so weit, dass sie von uns verlangt, wir sollen die Fehler des andern niemals sehen, da müsste man uns die Augen ausstechen; aber sie fordert von uns, dass wir es vermeiden, aus freien Stücken ohne Not unser Augenmerk darauf zu richten, und dass wir nicht blind seien für das Gute, während wir so klar über das Böse sind. Man muss uns immer daran erinnern, was Gott über kurz oder lang aus der niedrigsten und unwürdigsten Kreatur machen kann; uns erinnern, wieviel Grund wir haben, uns selbst zu verachten; und endlich bedenken, dass die Liebe sogar das Niedrigste umfasst, weil sie ganz klar mit göttlichem Blick sieht, dass die Verachtung der andern etwas Hartes und Hochfahrendes hat, das den Geist Jesu Christi ertötet. Die Gnade lässt sich nicht blenden über das, was Verachtung verdient, aber sie trägt es, um auf die geheimen Pläne Gottes eins zugehen. Sie lässt sich nicht hinreißen zu verächtlichem Abscheu noch zu natürlicher Ungeduld. Keine Verderbtheit setzt sie in Staunen, keine Unfähigkeit stößt sie zurück, weil sie nur auf Gott rechnet, und weil sie überall, außer ihm, nur Nichtiges und Sünde sieht.

Ist der Umstand, dass dein Nächster schwach ist, ein guter Grund, ohne Schonung mit ihm zu verfahren? Du, der du dich beklagst, dass man dich leiden lässt, glaubst du, dass niemand von dir zu leiden habe? Du, der du so empört bist über die Fehler des Nächsten, bildest dir ein, vollkommen zu sein? Wie würdest du erstaunt sein, wenn alle die, denen du zur Last bist, plötzlich schwer auf dir lasten würden! Aber selbst wenn du auf Erden deine Rechtfertigung fändest, kann nicht Gott, der Allwissende, der dir so viele Dinge vorzuwerfen hat, mit einem einzigen Worte dich aus der Fassung bringen und dir Halt gebieten? Und kommt dir niemals in den Sinn die Angst, Er möchte dich fragen, warum du gegen deinen Bruder nicht ein wenig Mitleid übest, während Er, dein Meister, gegen dich so überschwänglich barmherzig ist?

13. Tag. Eins ist not.

Luk. 10,41 : „Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; Eins aber ist not.“

Wir meinen tausenderlei Geschäfte zu haben, und haben im Grunde doch nur eines. Wenn dieses getan wird, findet Alles andere seine Erledigung, wenn es nicht getan wird, wird Alles andere, welchen Erfolg es auch zu haben scheint, haltlos zusammenfallen. Warum also sein Herz und seine Sorge so sehr teilen! Auf jene einzige Aufgabe, die ich auf Erden habe, will ich von nun an meine Aufmerksamkeit ganz und allein richten. Strahl göttlichen Lichtes, ich will in jedem Augenblick ohne Unruhe, je nach den Kräften meines Leibes tun, was die Vorsehung auf meinem Lebensweg mir auferlegen wird. Ich werde das übrige ohne Schmerz daran geben, weil das Übrige nicht meine Sache ist.

Joh. 17,4: „Himmlischer Vater, ich habe das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.“ Ein jeder von uns sollte sich in den Stand setzen, an dem Tage, wo er wird Rechenschaft geben müssen, ebenso sprechen zu können. Ich soll das, was jeden Tag nach Gottes Befehl mir zu tun sich darbietet, als das Werk ansehen, das Gott mir auferlegt, und dasselbe auf eine Gottes würdige Weise zu tun mich befleißigen, das heißt, mit Sorgfalt und innerem Frieden. Ich soll nichts versäumen, über nichts mich ereifern, denn es ist gefährlich, ebensowohl Gottes Werk nachlässig zu betreiben, als auch dasselbe aus Eigenliebe und in einem falschen Eifer sich zu eigen zu machen. Dann verrichtet man seine Handlungen in seinem eigenen Geist, man tut sie schlecht, man erbittert sich, wird hitzig und will durchaus Erfolg sehen. Die Verherrlichung Gottes ist der Deckmantel, unter den sich der Selbstbetrug verbirgt. Die Eigenliebe unter der Maske des Eifers ist niedergeschlagen und verdrießlich, wenn sie kein Glück hat. Gott, gib mir die Gnade, treu im Handeln und unbekümmert um den Erfolg zu sein. Meine einzige Aufgabe ist es, deinen Willen zu wollen und mich zu sammeln in dir, sogar mitten in dem, was ich tue: Deine Sache ist es, meinen schwachen Anstrengungen die dir wohlgefällige Frucht zu verleihen; keine, wenn du es nicht willst.

14. Tag. Die Vorbereitung auf den Tod.

Luk. 12,20: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wes wird es sein, das du bereitet hast?“

Man kann nicht genug die Verblendung der Menschen beklagen, dass sie nicht an den Tod denken wollen und sich von einer unvermeidlichen Sache abwenden, die man sich zu einer segensreichen machen könnte, wenn man daran dächte. Für diejenigen, welche am Leben hängen, ist nichts so schrecklich als der Tod. Es ist sonderbar, dass eine Jahrhunderte lange Vergangenheit uns über Gegenwart und Zukunft nicht ein zuverlässigeres Urteil an die Hand gibt, noch uns zu größerer Vorsicht mahnt. Wir sind vernarrt in die Welt, wie wenn sie niemals vergehen sollte. Die Erinnerung an die, welche heute noch auf der Bühne dieser Welt die größte Rolle spielen, wird mit ihnen untergehen. Gott lässt alles im Abgrund einer tiefen Vergessenheit vergehen, und die Menschen noch mehr, als alles übrige. Die Pyramiden Ägyptens sieht man heute noch, ohne dass man den Namen ihres Erbauers bestimmt kennt. Was richten wir denn aus auf der Erde, und wozu soll das angenehmste Leben dienen, wenn es durch weise und christliche Lehren uns nicht zu einem sanfteren und glücklicheren Tode führt?

Matth. 24,44: „Darum seid bereit, denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr es nicht meinen werdet.“ Dieses Wort ist an uns persönlich gerichtet, in welchem Alter und welchem Stand wir auch sein mögen. Und doch machen alle, bis zu den Frömmsten hinauf, Pläne, die ein langes Leben voraussetzen, selbst dann, wenn es im Begriff steht, zu enden. Wenn man in der äußersten Not einer unheilbaren Krankheit noch auf Heilung hofft, welche Hoffnungen hat man nicht bei voller Gesundheit? Aber, woher kommt es, dass man so hartnäckig auf das Leben hofft? Weil man es mit Leidenschaft liebt. Und woher kommt es, dass man den Tod so weit hinausschieben möchte? Weil man weder das Reich Gottes, noch die Herrlichkeit des zukünftigen Lebens liebt. O! ihr Menschen, trägen Herzens, die sich nicht über die Erde erheben können, wo sie doch nach ihrem eigenen Geständnis elend daran sind. Die rechte Art, sich für den letzten Augenblick bereit zu halten, ist die, alle andern Augenblicke gut auszunützen und auf jenen jederzeit gefasst zu sein.

15. Tag. Die ewigen Hoffnungen.

1 Kor. 2,9: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben.“

Welcher Unterschied zwischen dem, was wir auf Erden tun, und dem, was wir für den Himmel hoffen! Die ersten Christen freuten sich ohne Aufhören angesichts ihrer Hoffnung, jeden Augenblick glaubten sie, den Himmel offen zu sehen. Kein Kreuz, keine Schmach, keine Marter, noch grausamer Tod war imstande, sie abwendig zu machen. Sie kannten die unendliche Liebe, welche solche Schmerzen ausgleichen wird; sie glaubten, nie genug leiden zu können; sie waren begeistert vor Freude, wenn sie irgend einer tiefen Demütigung für würdig erachtet wurden. Und wir träge Seelen kennen das Leiden gar nicht, weil wir keine Hoffnung kennen. Durch das geringste Kreuz werden wir niedergeschlagen, und oft sogar durch jenes, das uns aus unserem Stolz, aus unserer Unklugheit und unserer Empfindlichkeit erwächst.

Ps. 125,5: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Man muss säen, um zu ernten. Dieses Leben ist bestimmt, um zu säen, im Jenseits sollen wir die Frucht unserer Werke genießen. Der irdische Mensch, feige und uns geduldig, möchte ernten, bevor er gesät hat. Wir möchten, dass Gott uns tröste und uns die Wege ebne, um uns zu Ihm zu führen. Wir möchten Ihm dienen, vorausgesetzt, dass es uns wenig koste. Viel hoffen und nicht eben viel leiden, darauf zielt unsere Eigenliebe ab. Werden wir in unserer Verblendung es niemals einsehen, dass das Himmelreich Gewalt leidet und dass nur diejenigen Seelen, die Gewalt tun und den Mut haben, sich zu überwinden, allein würdig sind, es zu erlangen? Lasst uns also weinen hienieden, denn glückselig die, welche weinen, wehe aber denen, die da lachen! Matth. 11,12. Wehe denen, die ihren Trost an dieser Welt haben; es wird die Zeit kommen, wo jene eitlen Freuden zu Schanden gemacht werden. Die Welt ihrerseits wird dann weinen, aber „Gott wird alle Tränen von unsern Augen abwischen“. Apok. 21,4.

16. Tag. Unser tägliches Brot.

Luk. 11,3: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“

Was für ein Brot ist das, mein Gott? Es ist nicht nur der Unterhalt, welchen deine Vorsehung uns für die Notdurft des Lebens gibt; es ist auch noch die geistliche Speise der Wahrheit, die du jeden Tag der Seele gibst. Es ist ein Brot, das uns für das ewige Leben Speise gibt, das uns Wachstum verleiht und die Seele in den Glaubensprüfungen stark macht. Du gibst es jeden Tag wieder neu; du gibst nach innen und außen gerade das, was die Seele braucht, um sich zu fördern in dem Leben des Glaubens und in der Selbstverleugnung. Ich habe also nur dies Brot zu essen und nur mit opferwilligem Sinn alles anzunehmen, was du mir in meinem äußeren Leben und im Innern meines Herzens Bitteres zu tragen gibst. Denn alles, was mir im Lauf des Tages widerfährt, ist mein tägliches Brot, vorausgesetzt, dass ich mich nicht weigere, es aus deiner Hand zu nehmen, und für mich Kraft daraus zu ziehen.

Der Hunger verleiht den Speisen den Geschmack und lehrt uns ihren Nutzen. Warum haben wir nicht Hunger und Durst nach der nach der Gerechtigkeit? Warum sind unsere Seelen nicht hungrig und durstig, wie unsere Körper? Ein Mensch, der der Speise überdrüssig geworden ist und sie nicht zu sich nehmen kann, ist krank. Ebenso siecht unsere Seele dahin und sucht weder, dass sie sich sättige, noch dass sie die Speise empfange, die von Gott kommt. Die Speise der Seele ist die Wahrheit und die Gerechtigkeit. Das Gute erkennen, davon erfüllt werden, darin fest werden, das ist das geistliche Brot, das himmlische das wir essen sollen. Lasst uns doch davon essen und Hunger danach haben! Lasst uns vor Gott wie bettelnde Arme sein, die ein wenig Brot erwarten! Unsere Schwäche und unsere Ohnmacht lasst uns empfinden, wehe, wenn wir die Empfindung dafür verlieren! Lesen wir, beten wir, mit jenem Hunger unsere Seelen zu nähren, mit jenem brennenden Durst uns zu erquicken an dem Wasser, dessen Quelle bis in den Himmel sich ergießt. Wir sollen nur die eine hohe und dauernde Sehnsucht nach der Unterweisung haben, die uns würdig macht, die Wunder des Gesetzes Gottes zu entdecken. Jeder empfängt jenes heilige Brot nach dem Maße seines Verlangens, und dadurch macht man sich bereit, oft und in würdiger Weise das wahrhaftige Brot des Abendmahls nicht nur körperlich (äußerlich), wie es viele tun, sondern in dem Geiste zu empfangen, der das Leben bewahrt und vermehrt.

17. Tag. Der Friede der Seele.

Joh. 14,27: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden geb' ich euch, ich gebe nicht, wie die Welt gibt.“

Alle Menschen suchen den Frieden, aber sie suchen ihn nicht da, wo er ist. Der Friede, welchen die Welt hoffen lässt, ist ebenso verschieden und entfernt von demjenigen, welcher von Gott kommt, als Gott selbst verschieden und entfernt ist von der Welt; oder vielmehr die Welt verspricht den Frieden, aber sie gibt ihn niemals. Sie bietet einige vorübergehende Vergnügungen, aber diese kosten mehr als sie wert sind. Jesus Christus allein kann den Menschen zum Frieden bringen. Er versöhnt ihn mit sich selbst, Er bändigt ihm seine Leidenschaften, Er setzt seinen Wünschen Schranken, Er tröstet ihn durch die Hoffnung auf ewige Güter, Er gibt ihm die Freude in dem heiligen Geist, Er lässt ihn selbst im Schmerz jene innere Freude schmecken. Und wie die Quelle, welche ihn erzeugt, unversiegbar ist, und wie der Grund der Seele, wo er wohnt, der Bosheit der Menschen unerreichbar ist, wird er für den Gerechten ein Schatz, welchen niemand ihm entreißen kann.

Der wahre Friede besteht nur im Besitz Gottes, und der Besitz Gottes wird hienieden nur gefunden in Unterwerfung unter den Glauben und in Gesetzesgehorsam. Der eine wie der andere unterhält im Grund des Herzens das Feuer einer reinen und ungefärbten Liebe. Halte dich fern von allem Verbotenen, beschneide alle deine unerlaubten Wünsche, banne allen Eifer und alle Unruhe, sehne dich nur nach Gott und suche nur Gott, so wirst du den Frieden schmecken; du wirst ihn schmecken trotz der Welt. Was macht dich so unruhig? Armut, Schmach, Misserfolge, inneres und äußeres Kreuz? Betrachte dies alles in der Hand Gottes als wahre Gunst, die Er an Seine Freunde austeilt und woran Er nach Seiner Gnade dich teilnehmen lässt. Alsdann wird die Welt für dich ihr Antlitz ändern und nichts wird dir deinen Frieden nehmen.

18. Tag. Trügerische Freuden.

Predig. Sal. 2,2: „Ich sprach zum Lachen: Du bist toll, und zur Freude: Was machst du?“

Die Welt freut sich, wie die Kranken, die im Wahnsinn sind, oder wie die, welche im Schlaf angenehm träumen. Man kann keinen dauernden Bestand darin finden, wenn man sich an ein leeres Gemälde, ein hohles Bild, einen flüchtigen Schatten oder eine vergängliche Gestalt hängt. Man freut sich nur, weil man sich in Täuschung befindet, nur weil man meint, viel zu besitzen, selbst dann, wenn man nichts besitzt. Beim Weckruf des Todes wird man sich mit leeren Händen finden und Scham empfinden über seine Freude. Wehe dann denen, die in dieser Welt einen falschen Trost haben, der sie ausschließt vom wahren Trost! Lasst uns ohne Unterlass zu der eitlen und flüchtigen Freude, die die Welt dir eingibt, sprechen: „Warum täuschest du mich so gröblich?“ Unsere selige Hoffnung allein ist geschickt, uns Freude zu verleihen. Alles übrige, das nicht darauf gegründet ist, ist nur ein Traum.

Joh. 4,13. „Wer von diesem Wasser trinken wird, den wird wieder dürsten.“ Je mehr man von den verdorbenen Wassern der Welt trinkt, desto durstiger wird man. Je mehr man sich dem Schlechten ergibt, desto mehr unruhige Wünsche gebiert das Herz. Der Besitz des Reichtums reizt nur den Durst danach. Der Geiz und Ehrgeiz sind noch viel mehr unzufrieden über das, was sie nicht haben, als sie Genüge haben an dem, was sie besitzen. Der Genuss des Vergnügens erschlafft nur die Seele, er verdirbt sie und macht sie unersättlich. Je mehr man sich gehen lässt, ein desto lockereres Leben möchte man führen.

Es ist leichter, sein Herz in einem Zustand der Inbrunst (brünstiger Liebe) und der Buße zu bewahren, als es zurückzubringen und zu beherrschen, wenn es einmal auf der schiefen Ebene des Vergnügens und lockeren Lebens sich befindet, Wachen wir also über uns selbst, hüten wir uns, von einem Wasser zu trinken, das unsern Durst nur vermehren würde. Bewahren wir unser Herz mit Vorsicht, aus Furcht, die Welt und ihr eitler Trost möchten es verführen und es schließlich nur der Verzweiflung überlassen, sich betrogen zu haben.

19. Tag. Fromme Tränen.

Math 5,5: „Selig sind die da weinen, denn sie sollen getröstet werden.“

„Welche neue Art von Tränen!“ sagt der heilige Augustin „sie machen diejenigen, welche sie vergießen, glücklich. Ihr Glück besteht darin, dass sie betrübt sind, dass sie seufzen über die uns umgebende Verderbnis der Welt, über die Fallen, von denen wir umstellt sind, über den unerschöpflichen Grund von Verderbtheit mitten in unserem Herzen. Die Furcht, Gottes Liebe zu verlieren, uns zu entfernen von dem schmalen Wege, ist ein großes göttliches Geschenk. Diesen Grund haben die Tränen der Frommen. Wenn man in Gefahr ist, seinen kostbarsten Besitz, ja sich selbst zu verlieren, so ist es schwer, sich zu freuen. Wenn man nur Eitelkeit, nur Verirrung, Ärgernis, nur Vernachlässigung und Verachtung Gottes, den man liebt, sieht, so ist es unmöglich, nicht betrübt zu sein. Lasst uns also weinen, da unsere Augen so viel Ursache zum Weinen finden: unsere Traurigkeit wird Gott erfreuen. Er selbst wirkt sie in uns, Seine Liebe lässt unsere Tränen fließen, Er selbst will kommen und sie abwischen.

Man vernimmt wohl, wie Jesus Christus sagt: „Wehe euch, die ihr lachet!“ und man will doch lachen. Man hört ihn sagen: „Wehe euch Reichen, die ihr euern Trost in dieser Welt suchet!“ und man sucht immer weiter nach Reichtum, Er sagt: „Selig sind, die da weinen“ und man fürchtet nichts so sehr als Tränen. Wir müssen hienieden nicht nur die Gefahren unserer Lage beweinen, sondern alles, was eitel und verderbt ist. Weinen wir über uns selbst und unsern Nächsten! Alles was wir sehen nach innen und außen kann unsern Geist nur betrüben, ist nur Versuchung und Sünde. Alles verdient Tränen. Das wahre Unglück ist das, dass wir Dinge lieben, welche die Liebe so wenig verdienen. Wie viel Ursache zum Weinen! Es ist das Beste, was man tun kann. Selige Tränen, die die Gnade wirket, die uns Ekel empfinden lassen über die Vergänglichkeit der Dinge und in uns die Sehnsucht nach den ewigen Gütern wecken.

20. Tag. Die Klugheit der Welt.

cf. 1 Kor. 1,21.
Röm. 8,6: „Fleischlich gesinnet sein ist der Tod.“
(Luther.)

Luc. 16. Die Klugheit der Kinder der Welt ist groß, wie Jesus Christus uns im Evangelium versichert, und sie ist sogar oft größer, als die der Kinder Gottes, aber es findet sich in ihr trotz allem, was sie Glänzendes und Blendendes hat, ein erschrecklicher Mangel; nämlich der, dass sie allen denen den Tod gibt, die sie zur Richtschnur ihres Lebens machen. Jene Klugheit, die sich hin und her windet, und fruchtbar ist in Spitzfindigkeiten, ist der göttlichen Klugheit feind, die immer in Geradheit und Einfalt wandelt. Aber was nützen den Klugen der Welt alle ihre Geistesgaben, da sie sich schließlich in ihren eigenen Fallstricken gefangen finden? Der heilige Apostel Jakobus gibt jener Klugheit den Namen: „irdisch, menschlich und teuflisch“; „irdisch, weil sie ihre Sorge auf den Erwerb und Besitz der irdischen Güter beschränkt; „menschlich“, weil sie nur danach strebt, den Menschen alles, was ihren Leidenschaften schmeichelt, zu bieten, und sie in die sinnlichen Vergnügungen zu stürzen; „teuflisch“, weil sie mit dem ganzen Geist und Scharfsinn des Teufels auch seine ganze Bosheit besitzt. Man bildet sich ein, alle anderen mit ihr zu betrügen und man betrügt doch nur sich selbst.

Wie blind sind also alle die, welche sich weise dünken und nichts von der Weisheit Jesu Christi besitzen, die allein den Namen Weisheit verdient. Sie laufen in tiefer Nacht hinter ihren Phantomen her. Sie sind wie solche, die sich plötzlich aus ihrem Traum erwacht fühlen, und sich einbilden, dass alle Vorstellungen ihres Traumes Wirklichkeit besitzen. Ebenso werden alle Großen der Erde, alle Weltweisen, alle Menschen, die durch die falschen Vergnügungen sich bezaubern lassen, enttäuscht. Nur die Kinder Gottes wandeln im Lichte der reinen Wahrheit. Was haben die Menschen, die von ihren eitlen und ehrgeizigen Gedanken voll sind, zu erwarten? Die Verdammnis, auf alle Fälle den Tod, das Gericht Gottes und die Ewigkeit. Das sind die großen Ereignisse, die immer näher rücken und jenen Weltmenschen entgegengehen und doch sehen sie dieselben nicht. Ihr Scharfblick sieht alles voraus, ausgenommen den unvermeidlichen Zusammensturz und die Vernichtung alles dessen, was sie erstreben. O ihr Toren! Wann werdet ihr die Augen dem Lichte Jesu Christi öffnen, der euch die Nichtigkeit aller irdischen Größe aufdecken wird!

21. Tag. Das Gottvertrauen.

Ps. 118,8: „Es ist gut, auf den Herrn vertrauen, und sich nicht verlassen auf Menschen.“

Du verlässt sich alle Tage auf schwache Freunde, auf unbekannte Menschen, auf untreue Diener und du scheust dich, auf Gott zu vertrauen. Die Unterschrift eines Beamten beruhigt dich über deine Habe und das ewige Evangelium vermag dich nicht zu beruhigen? Die Welt macht dir Versprechungen, und du glaubst ihr, Gott schwört dir und du willst ihm kaum Glauben schenken. Welche Schmach für Ihn! welches Unglück für dich! Versetzen wir alles zurück in die gehörige Ordnung! Tun wir mit innerer Ruhe, was von uns abhängt. Seien wir unbedingt gefasst auf alles, was von Gott kommt. Unterdrücken wir alles Ungestüm der Leidenschaft, alle Unruhe, die sich verbirgt hinter dem Namen Verstand oder Eifer. Wer so handelt, macht Wohnung in Gott und wird unbeweglich wie der Berg Zion.

Das Vertrauen, selig zu werden, muss noch höher und sicherer sein. Phil 4,13. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ Als ich glaubte, alles zu vermögen, vermochte ich nichts; und jetzt, da es mir scheint, dass ich nichts vermag, fange ich an, alles zu vermögen. Glückliches Unvermögen, das mich in dir, mein Gott, Alles finden lässt, was mir in mir selbst mangelte! Ich rühme mich der Schwachheit und der Trübsal meines Lebens, da sie mich über die ganze Welt und über mich selbst enttäuschen. Ich muss mich glücklich schätzen, von einer so barmherzigen Hand vernichtet zu werden, da ich gerade durch diese Vernichtung werde überkleidet werden mit Deiner Kraft, geborgen sein werde unter Deinen Flügeln und umgeben von jenem besonderen Schutze, den du ausbreitest über deine Kinder, die demütig von niemand etwas erwarten, als von Dir.

22. Tag. Die Tiefe der göttlichen Barmherzigkeit.

Was zögerst du, dich in die Tiefe dieses Abgrundes zu werfen? Je mehr du dich mit liebevollem Vertrauen darin verlierst, desto mehr wirst du imstande sein, selig zu werden. Gib dich Gott rückhaltlos hin und fürchte nichts. Er wird dich lieben und du wirst ihn wieder lieben. Seine Liebe, die jeden Tag wächst, wird dir alles übrige ersetzen. Er wird ganz allein dein Herz erfüllen, welches die Welt berauscht, hin- und hergetrieben und beunruhigt hatte, ohne es jemals erfüllen zu können. Er will dir ja nur abnehmen, was dich unglücklich macht, Er will dich nur die Welt nichts achten lernen, was du vielleicht schon tust, Er will dich dahin bringen, dass du die meisten Dinge, die du zwar ausrichten kannst, aber nur schlecht anstatt gut, in einen Zusammenhang mit Ihm bringst. Alles bis zu den geringfügigsten Handlungen eines einfachen und gewöhnlichen Lebens wird sich zum Trost, zum Lohn und Segen wenden. Du wirst den Tod im Frieden herankommen sehen, er ist für dich verwandelt in den Anfang unsterblichen Lebens. Weit entfernt dich zu berauben, wird er dich überkleiden, wie St. Paulus sagt, mit Allem, und alsdann wirst du sehen die Tiefen der göttlichen Barmherzigkeit, die deine Seele erfahren hat. 2 Kor. 5,4.

Denke doch vor Gott an die Erfahrungen dieser unendlichen Barmherzigkeit, an diejenigen, welche du schon kennst, an die innere Erleuchtung, die Jesus dir geschenkt, an die guten Gesinnungen, die er in dir gewirkt, an die Sünden, die Er dir vergeben, an die Fallstricke der Welt, vor denen Er dich bewahrt, an die außerordentliche Hilfe, die Er dir bereitet hat. Suche, dass dein Herz weich werde durch die Erinnerung an alle jene kostbaren Beweise Seiner Güte. Nimm dazu noch den Gedanken an das Kreuz, das Er dir auferlegt hat, um dich zu heiligen; denn auch darin findet sich noch viel Reichtum, den Er aus der Tiefe seiner Schätze gezogen hat, und den du ansehen musst als auserlesenes Zeugnis Seiner Liebe. Möchte der Dank für die Vergangenheit dir das Vertrauen für die Zukunft einflößen! Sei überzeugt, verzagte Seele, dass Er dich zu sehr geliebt hat, um dich nicht auch ferner zu lieben. Misstraue nicht Ihm, sondern nur dir selbst. Erinnere dich des Wortes St. Pauli 1 Kor. 1,3: „Dass Er der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes ist.“ Er trennt diese beiden Dinge bisweilen. Der Trost mag weichen, aber die Barmherzigkeit bleibt ewig: Er hat dir das Liebliche und Ansprechende an Seiner Gnade genommen, weil du das Bedürfnis hattest, gedemütigt zu werden und dafür bestraft zu werden, dass du anderswo eitlen Trost gesucht hast. Auch diese Züchtigung zeigt noch eine neue Tiefe Seiner göttlichen Barmherzigkeit.

23. Tag. Das sanfte Joch Jesu Christi.

Math 11,30: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“

Möge das Wort „Joch“ uns ja nicht er: schrecken. Wir tragen wohl seine Last, aber Gott trägt sie mit uns, und Er trägt mehr als wir, weil dieses Joch von zweien getragen werden muss und das Seinige und nicht das Unsrige ist. Jesus Christus macht uns dieses Joch lieb. Er macht es durch die innere Freude an der Gerechtigkeit und Wahrheit sanfter; Er breitet reines Entzücken über die Tugenden aus, und lässt uns die falschen Vergnügungen zum Ekel werden. Er hält den Menschen aufrecht im Kampf gegen sich selbst, entreißt ihn seiner ursprünglichen Verderbnis und macht ihn stark trotz seiner Schwäche. O du Kleingläubiger, was fürchtest du? Lass Gott walten; überlass dich Ihm. Du wirst zu kämpfen haben, aber du wirst den Sieg davontragen und nachdem Gott selbst zu deinen Gunsten gekämpft hat, wird Er dich mit Seiner eigenen Hand krönen. Du wirst weinen; aber deine Tränen werden süße sein, denn Gott selbst wird sie in seiner Huld dir abwischen. Du wirft dich deinen herrischen Leidenschaften nicht mehr hingeben dürfen; aber, wenn du freimütig deine Freiheit opferst, wirst du dafür eine andere wiederfinden, die die Welt nicht kennt, die aber kostbarer ist, als alle Macht der Könige.

Wie verblendet sind jene, welche fürchten, sie möchten sich zu sehr mit Gott einlassen. O versenken wir uns in Seinen Schoß. Je mehr man Ihn liebt, desto mehr liebt man auch alles, was Er uns tun heißt; Seinen Willen. Solche Liebe tröstet uns in unseren Verlusten, sie lindert unser Kreuz, sie macht uns los von allem, dessen Liebe uns Gefahr bringt, sie bewahrt uns vor tausenderlei Gift, sie zeigt uns eine Barmherzigkeit, die auch durch alles Elend hindurch, das wir erdulden, noch wohl tut, sie deckt uns selbst im Tode eine Herrlichkeit und ewige Seligkeit auf. Wie können wir Furcht haben, uns zu sehr mit ihm zu erfüllen? Ist denn das ein Unglück, wenn wir entlastet werden von dem schweren Joch der Welt und die leichte Last Jesu Christi tragen? Fürchten wir denn, wir möchten zu glücklich sein, zu sehr los und ledig von uns selbst, frei von den Launen unseres Stolzes, der Gewalt unserer Leidenschaften und der Tyrannei der trügerischen Welt?

24. Tag. Die falsche Freiheit.

2 Kor. 3,17: „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit.“

Die Liebe zur Freiheit ist eine der gefährlichsten Leidenschaften des menschlichen Herzens und bei dieser wie bei allen anderen Leidenschaften geschieht es, dass sie diejenigen, welche ihr folgen, täuscht und sie anstatt der wahren Freiheit die härteste und schmachvollste Sklaverei finden lässt. - Wie nennst du das, was in der Welt sich zuträgt? Was hast du nicht zu erleiden, um das Ansehen jener Leute zu schonen, die du verachtest? Was kostet es dich nicht, um deine Leidenschaften zu bemeistern, wenn sie zu weit gehen, und wieder, um jene zu befriedigen, denen du nachgeben willst, um alle deine Mühe zu verbergen, um den Schein zu wahren, der dich vielleicht drückt und dir lästig ist? Ist etwa das die Freiheit, die du so sehr liebst, die dirs so schwer macht, sie Gott zu opfern? Wo ist sie denn? Zeige sie mir! Ich sehe überall nur Zwang, unwürdige und niedrige Knechtschaft, beklagenswerte Notwendigkeit, sich zu verstellen. Man verweigert Gott seine Person, der uns doch nur haben will, um uns zu retten, und gibt sich der Welt hin, die uns nur haben will, um uns zu tyrannisieren und zu verderben.

Man bildet sich ein, dass man in der Welt nur seinen Willen tue, weil man nur den Hang seiner Leidenschaften, durch die man fortgerissen wird, empfindet: aber rechnet man denn auch den entsetzlichen Überdruss, die tödliche Langeweile die Täuschungen, die vom Vergnügen unzertrennlich sind, die Demütigungen, die man in den höchsten Stellungen zu ertragen hat? Nach außen hin lacht Alles, aber im Innern ist Alles voll Kummer und Unruhe. Man glaubt frei zu sein, wenn man nur allein von sich selbst abhängt. Törichter Irrtum? Gibt es einen Stand, wo man nicht von ebenso viel Herren als Personen, mit denen man in Beziehung steht, abhängig wäre? Gibt es etwa einen, wo man nicht immer noch mehr von den Fantasien eines andern, als von seinen eigenen abhinge? Der ganze Umgang im Leben ist nur Zwang, infolge der Unfreiheit, die der Wohlanstand auferlegt, und infolge der Notwendigkeit anderen zu gefallen. Übrigens sind unsere Leidenschaften schlimmer, als die grausamsten Tyrannen. Wenn man ihnen nur halb folgt, muss man stündlich mit ihnen handgemein werden und darf niemals einen einzigen Augenblick aufatmen. Sie verraten sich; sie zerreißen das Herz, sie treten die Gesetze der Ehre und Vernunft mit Füßen, und sprechen niemals: Es ist genug. Wenn man ihnen sich gänzlich überlässt - wohin soll dieser reißende Strom führen? Es schaudert mich, es auszudenken. Gott, bewahre mich vor dieser verhängnisvollen Knechtschaft, welche die menschliche Frechheit sich nicht schämt, Freiheit zu nennen. In Dir allein ist man frei, Deine Wahrheit wird uns frei machen und wird uns erfahren lassen, dass herrschen gerade „Dir dienen“ heißt.

25. Tag. Der Entschluss, Gott anzugehören, muss ein voller und ganzer sein.

Apg. 9,6: „Herr was willst Du, dass ich tun soll.“

Da sagte St. Paulus, als er auf wunderbare Weise zu Boden geworfen und durch die Gnade des Heilands, den er verfolgte, bekehrt ward. Ach wie sehr haben auch wir Ihn verfolgt durch unsere Untreue, durch unsere Launen, durch unsere Leidenschaften, welche Seine Barmherzigkeit an unserem Herzen gestört haben! Endlich hat Er uns niedergeworfen durch Drangsal, hat unsern Stolz zunichte und unsere fleischliche Klugheit zu Schanden gemacht; Er hat unsere Eigenliebe erschüttert. Lasst uns darum mit völliger Unterwerfung sprechen: „Herr, was willst Du, dass ich tun soll?“ Bis jetzt hatte ich mich Dir nur unvollkommen zugewandt, ich hatte tausenderlei Verzögerungen angewandt und versucht, noch alles mir nur Mögliche zu retten, mich zu bewahren aus dem inneren Zusammenbruch, den meine Bekehrung bedingte. Aber jetzt bin ich zu allem bereit und Du sollst der uns umschränkte Herr meines Herzens und meines Wandels sein.

Es genügt indes nicht, dass die Hingabe eine allgemeine sei; das würde nichts nützen, wenn sie mit solcher Allgemeinheit und Unsicherheit sich begnügte, ohne ins Kleine zu gehen und zur Tat sich herabzulassen. Der heilige Augustin sagt: Nur zu lange schleppen wir mit uns einen unbestimmten und für das Gute von Sehnsucht erfüllten Willen. Der Wille vollkommen zu werden, kostet nichts. Denn die Vervollkommnung erheischt die Tat. Sie muss uns über alle zeitlichen Dinge gehen, die uns am teuersten sind und die wir mit dem lebhaftesten Eifer verfolgt; und man darf nicht etwa weniger für Gott tun wollen, als man für die Welt tut. Erforschen wir unser Herz. Bin ich fest entschlossen, Gott meine festesten Freundschaften, meine eingewurzeltsten Gewohnheiten, meine vorherrschendsten Neigungen, meine angenehmsten Vergnügungen zum Opfer zu bringen?

26. Tag. Man möchte sich gerne mit Gott abfinden.

1. Kön. 18,21: „Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?“ u. Matth. 6,24: „Niemand kann zweien Herren dienen.“

Man weiß wohl, dass man Gott dienen und Ihn lieben muss, wenn man selig werden will, aber man möchte in Seinem Dienst und Seiner Liebe alles Lästige entfernen und nur das Angenehme daran lassen. Man möchte Ihm dienen, aber unter der Bedingung, dass man Ihm nur Worte und Zeremonien, und dazu kurze, zu geben habe, deren man bald müde und überdrüssig ist. Man möchte Ihn lieben unter der Bedingung, dass man mit ihm zusammen und vielleicht noch mehr als ihn, Alles, was Er gerade nicht liebt und verdammt an der Eitelkeit der Welt, lieben könne. Man möchte Ihn unter der Bedingung lieben, dass jene blinde Selbstliebe keine Einbuße erleide, die ja bis zur eigenen Vergötterung geht, und uns nicht nur verhindert in steter vertrauensvoller Abhängigkeit von Gott, für welchen wir geschaffen sind, zu leben, vielmehr Gott von uns abhängig sein lassen möchte, wo wir Ihn nur als eine tröstende Aushilfe schätzen, wenn die Kreaturen uns im Stiche lassen. Man möchte Ihm unter der Bedingung dienen und Ihn lieben, dass man sich der Liebe zu Ihm auch schämen dürfe, und sie wie eine Schwäche verborgen halten, ja dass man über Ihn erröten könne als über einen Freund, der unserer Liebe nicht würdig; dass man Ihm nur gewisse religiöse Äußerlichkeiten darbringe, um das Ärgernis zu vermeiden und nach dem Willen der Welt zu leben, und Gott nur dann etwas zu schenken, wenn die Welt selbst es erlaubt. Was ist das für ein Dienst, welch eine Liebe!

Gott erkennt keinen anderen Bund mit uns an, als den, der sich auf unseren ersten Bund in der Taufe bezieht, wo wir versprochen haben, allem zu entsagen, um Ihm anzugehören, und auf das erste Gebot des Gesetzes, wo Er rückhaltlos unser ganzes Herz, unsern ganzen Geist und all unsere Kräfte fordert. Kann man in der Tat Gott aufrichtig lieben und noch so viele Rücksichten auf die Welt haben, die seine Feindin ist, über die Er so schrecklichen Fluch ausgesprochen hat. Kann man Gott lieben und fürchten mit Ihm zu vertraut zu werden, aus Angst man habe ihm alsdann Vieles zu opfern? Kann man Gott lieben und sich damit zufrieden geben, ihn nicht gröblich zu verletzen, ohne es sich Mühe kosten zu lassen, ihm zu gefallen, Ihn zu verherrlichen, Ihm mutig, so oft jeder Tag Gelegenheit gibt, die Inbrunst und Aufrichtigkeit unserer Liebe zu bezeugen? Gott ist schranken- und rückhaltlos in Seiner Hingabe an uns, und wir wollen tausenderlei uns von Ihm reservieren. Gibt es so gemeine Naturen auf der Erde, die sich damit begnügen würden, so von uns geliebt zu werden, wie wir schamlos genug verlangen, dass Gott sich mit unserer Liebe zufrieden gäbe?

27. Tag. Nütze die Zeit aus!

Gal. 6,10: „Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes tun.“ Joh. 9,4: „Die Nacht kommt, da Niemand wirken kann!“

Die Zeit ist kostbar, aber man kennt ihren Wert nicht; man wird ihn jedoch erkennen, wenn es nicht mehr am Platze ist, davon Nutzen zu ziehen. Unsere Freunde verlangen sie von uns, wie wenn es nichts wäre, und wir geben sie hin in derselben Weise. Oft ist sie uns zur Last, wir wissen nicht, was damit anfangen, wir sind verlegen darum. Der Tag wird kommen, wo uns keine Viertelstunde schätzbarer und wünschenswerter erscheint, als alle Glücksgüter der Welt. Gott, der freigebig und herrlich in allem ist, lehrt uns durch die weise Einrichtung Seiner Vorsehung, mit welcher Umsicht wir unsere Zeit ausnützen sollten, da er uns niemals zwei Augenblicke zusammen gibt, und uns den zweiten nur so bewilligt, dass er den ersten zurückzieht und den dritten in seiner Hand behält mit der gänzlichen Ungewissheit, ob wir ihn erlangen werden. Die Zeit ist uns gegeben, um auf die Ewigkeit vorzubereiten, und die Ewigkeit wird nur zu lange sein, um den Verlust der Zeit zu beklagen, wenn wir sie missbraucht haben.

Unser ganzes Leben gehört Gott ebenso wie unser ganzes Herz. (Das eine wie das andere) Beide sind nicht zu viel für Ihn; Er hat sie uns nur gegeben, um Ihn zu lieben und Ihm zu dienen. Entreißen wir ihm also nichts davon. Wir können nicht in jedem Augenblick große Dinge ausrichten, aber wir können doch immer solche tun, die unserem Zustand angemessen sind. Durch Schweigen, Leiden und Beten, wenn wir nicht gezwungen sind, nach außen hin zu handeln, bringen wir Gott viel dar. Ein widriger Zufall, ein Widerspruch, ein Murren, eine Ungerechtigkeit, die man im Hinblick auf Gott auf sich nimmt und erduldet, sind wohl eine halbe Stunde Gebetes wert, und man verliert seine Zeit nicht, wenn man inzwischen Sanftmut und Geduld übt. Aber dazu muss ein solcher Verlust unvermeidlich sein und wir dürfen ihn uns nicht durch unsern Fehler verschaffen. So ordne also deine Tage, und kaufe die Zeit aus, wie St. Paulus sagt, fliehe die Welt und überlasse ihr die Güter, die die Zeit nicht wert sind, die sie uns kosten. Lass dahinten die Vergnügungen, die unnützen Verbindungen, die Herzensergüsse, die der Eigenliebe schmeicheln, die Unterhaltungen, die den Geist nur zerstreuen und (zu nichts führen) nutz- und zwecklos sind. Du wirst Zeit für Gott finden und nur diejenige ist wohl angewandt, die für Ihn verwendet ist.

28. Tag. Gott ist gegenwärtig.

Gen. 17.1: „Wandle vor mir und sei fromm.“

Das sagtest Du Herr, zum frommen Abraham: und wahrlich, wer vor dir wandelt, ist auf der Bahn zur Vollkommenheit. Man entfernt sich aus dieser heiligen Bahn nur, wenn man Dich aus den Augen verliert, und aufhört Dich in Allem zu sehen. Ach, wohin gehe ich, wenn ich Dich nicht mehr sehe, der Du mein Licht bist, und das einzige Ziel, dem alle meine Schritte zustreben müssen. Das Mittel sich niemals zu verirren ist, Dich anzublicken bei allen Schritten, die man tut. O lichtvoller Glaube inmitten der Finsternis, die uns umgibt. O, Blick voll Vertrauen und Liebe, die ihr den Menschen zur Vollkommenheit führt. O Gott! ich sehe nur Dich! Dich allein suche ich und betrachte Dich in allem, was meine Augen zu erblicken scheinen! Es fesselt meine Aufmerksamkeit wahrzunehmen, wie deine Vorsehung alles geordnet hat. Mein Herz wacht nur für Dich inmitten der Geschäfte, Pflichten und Gedanken, die mich beschäftigen und zwar nur zu dem Zweck, um deinen Befehlen zu gehorchen. So ist denn meine Aufgabe, meine ganze Aufmerksamkeit nur Dir zu gehören, du erhabener und einziger Gegenstand meines Herzens, selbst dann wenn ich gezwungen bin, meine Arbeit zu teilen, so wie Dein göttlicher Wille es vorschreibt. O! was könnte ich in jenen gemeinen Geschöpfen ansehen, wenn Du aufhörtest, mich für sie zu verwenden, und wenn ich aufhörte, Dich darin zu sehen!

So habe ich denn beschlossen, meine Augen „Zu den heiligen Bergen erhoben“ (Ps. 121) zu halten, von denen ich meine ganze Kraft und all meine Hilfe erwarte. Es wäre vergeblich, wollte ich mich einzig bemühen, auf meine Füße zu blicken, um mich von den unzähligen Fallstricken, die mich umgeben, zu befreien. Die Gefahr kommt wohl von unten, aber die Befreiung kann nur von oben kommen: Dorthin erheben sich meine Augen, um Dich zu sehen. Ohne Dich, o Herr, sucht alles auf dieser Erde, sowohl was in mir, als was außer mir sich findet, mich zu Fall zu bringen. Auf dich allein richten sich meine Augen und mein Herz. Ich will nur Dich sehen, ich hoffe nur auf Dich.

Meine Feinde belagern mich ohn Unterlass; meine eigene Schwäche erschreckt mich, aber Du hast die Welt für Dich und für mich überwunden und Deine allmächtige Kraft wird in meiner Schwachheit mächtig sein.

29. Tag. Gottes Liebe zu uns.

Jerem. 31,3: „Ich habe dich je und je geliebt.“

Gott hat, um uns zu lieben, nicht gewartet, bis wir etwas wären, sondern vor aller Zeit und sogar bevor wir das Wesen hatten, das wir besitzen, dachte Er an uns und hatte nur den Gedanken, uns Gutes zu tun. Was Er in der Ewigkeit beschlossen, das hat Er in der Zeit ausgeführt. Seine wohltätige Hand hat jede Art von Gütern über uns ausgebreitet. Weder unsere Untreue, noch unser Undank, die wir ihm fast ebenso oft bewiesen, als Seine Huld uns zu Teil ward, haben es vermocht, die Quelle Seiner Gaben versiegen zu lassen und den Lauf Seiner Gnade aufzuhalten. O Liebe ohne Anfang, die du mich geliebet seit unbegrenzten Zeiten, selbst damals, als ich sie nicht empfinden und erkennen konnte! Liebe sonder Maßen, die Du mich zu dem gemacht hast, das ich bin, und mir noch unendlich mehr verspricht! Liebe ohn Unterlass und ohne Wandel, welche meiner Verderbnis bittere Wasser nicht haben erlöschen können. Muss ich nicht durchdrungen sein von Dank und zärtlicher Liebe zu Dir, wenn ich noch ein Herz habe?

Aber was sehe ich? Einen Gott, der sich selbst dahingibt, nachdem Er alles darangegeben hat, einen Gott, der auch meine Nichtigkeit, bis zu welcher ich durch meine Sünden gesunken bin, nicht scheut, um mich zu suchen; einen Gott, der Knechtsgestalt annimmt, um mich aus der Knechtschaft meiner Feinde zu befreien; einen Gott, der arm wird, um mich reich zu machen; einen Gott, der mich ruft, der mir nachgeht, wenn ich ihm entfliehe; einen Gott, der unter Qual und Marter stirbt, um mich den Armen des Todes zu entreißen und mir ein seliges Leben zu schenken. Und doch will ich oft weder von Ihm, noch von dem Leben, das Er mir darbietet, etwas wissen. Wofür würde man wohl einen Menschen halten, der einen andern so liebt, wie Gott uns liebt? Und welchen Fluch sollte hienach nicht der verdienen, welcher unseren Herren Jesus Christus nicht liebt! (1. Kor. 16,22.)

30. Tag. Unsere Liebe zu Gott.

Luther: „Ps. 73, 25. Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.“

Wenn wir zu Gott sagen, dass wir Ihn von ganzem Herzen lieben, ist es oft nur eine Redensart, ein leeres Geschwätz. Man hat uns in der Kindheit gelehrt so zu sprechen, und wir tun es weiterhin, wenn wir groß sind, ohne oft recht zu wissen, was wir sagen. O die Liebe zu Gott besteht darin, dass wir keinen anderen Willen haben, als den Seinigen, Sein heiliges Gesetz treulich beobachten und Abscheu vor der Sünde haben; dass wir lieben, was Jesus Christus geliebt hat, nämlich Armut, Demütigung und Leiden aller Art; dass wir hassen, was Christus gehasset hat, nämlich die Welt, die Eitelkeit und die Leidenschaften. Kann man glauben, dass man einen Gegenstand liebt, ohne den Wunsch zu haben, ihm ähnlich zu werden. Die Liebe zu Gott besteht darin, dass wir Freude empfinden an unserem Verkehr mit ihm, dass wir den heißen Wunsch haben, heimzukommen zu Ihm, und dass wir nach Ihm seufzen und uns sehnen. Wie falsch ist jene Liebe, die sich nicht darum kümmert, den Gegenstand ihrer Liebe auch sehen zu wollen.

Der Heiland ist gekommen, um ein göttliches Feuer auf die Erde zu bringen, und sein Wunsch ist, das Feuer brennete schon, und möchte alles verzehren (Luk. 21,49). Aber die Menschen leben in einer totähnlichen Kälte, sie lieben ein Häufchen klingendes Metall, ein Haus, einen Namen, einen Titel, der in der Luft schwebt, ein Phantasiegebilde, das sie guten Ruf nennen. Sie lieben eine Unterhaltung, ein Vergnügen, das vergeht. Nur für Gott bleibt ihnen gar keine Liebe übrig. Aber alles erschöpft sich auch für die verächtlichsten Kreaturen. Werden wir niemals das Glück der göttlichen Liebe schmecken? Wie lange ziehen wir die mit Gift behafteten Geschöpfe vor? Gott! regiere in uns trotz unserer Untreue! O dass das Feuer deiner Liebe alles andere Feuer in uns auslöschte. Was können wir außer Dir der Liebe Wertes sehen, das wir nicht in vollkommener Weise in Dir finden, der Du die Quelle alles Guten bist?

Gib uns die Gnade, Dich lieben zu dürfen, und wir wollen nichts anderes mehr, als Dich lieben und wollen Dich ewig lieben.

31. Tag. Wirkungen der göttlichen Liebe in uns.

Ps. 73,26: „So bist doch du Gott allzeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

Ist es möglich, Dich, mein Gott, zu erkennen und Dich nicht zu lieben, der Du an Schönheit, Tugend, Größe, Macht, Güte, Freigebigkeit, Herrlichkeit, an jeder Art von Vollkommenheit, und, was mich am nächsten berührt, an Liebe für mich alles übertriffst, was die geschaffenen Geister begreifen können? Die Ehrfurcht und die Ungleichheit zwischen Dir und mir müssten mich, scheint es, zurückhalten; aber Du erlaubst es mir, und das ist zu wenig gesagt, Du befiehlst mir sogar, Dich zu lieben. Dann allerdings, o Herr, kenne und besitze ich mich nicht mehr. Heilige Liebe, die Du meine Liebe getroffen hast, und in Deiner eigensten Person Dich selbst für mich verwundet hast, komme und heile mich, oder vielmehr mache die Wunde, die Du mir geschlagen, noch tiefer und schärfer. Trenne mich von allen Geschöpfen, sie sind mir zuwider, und belästigen mich; du allein bist mir Genüge, ich will nichts mehr, als Dich.

Wie! man sollte sagen können, dass die törichten Liebhaber der Erde ihre tollen Leidenschaften bis zu der äußersten Feinheit und Glut steigern und man sollte dich nur schwach und mit Maß lieben! Nein, mein Gott, die weltliche Liebe darf den Sieg über die göttliche Liebe nicht davontragen. Zeige darum, was Du über ein Herz vermagst, das ganz Dir angehört. Der Zutritt steht dir offen, die geheimen Falten desselben sind dir bekannt. Du weißt, wessen deine Gnade fähig ist, darin zu erwecken. Du erwartest nur meine Zustimmung und die meiner Freiheit. Beides sei Deine Zugabe tausend und abertausendmal. Nimm alles; handele als Gott; entzünde mich; verzehre mich. Ich schwache und ohnmächtige Kreatur habe Dir nichts zu geben, als meine Liebe. Mehre sie Herr und mache sie Deiner würdiger. O! wenn ich fähig wäre, für Dich große Dinge zu tun! O wenn ich viel Dir zu opfern hätte! Aber es ist ein nichts, alles was ich vermag. Alles, was ich von nun an will, sei, mit Seufzen und inniger Sehnsucht Dich zu lieben und zu sterben, um noch mehr zu lieben.

Allgemeines Gebet: Für unser Seelenheil.

Mein Gott, ich glaube an Dich, aber gib mir einen starken Glauben; ich hoffe auf Dich. aber gib mir eine sichere Hoffnung; ich liebe Dich, aber gib mir verdoppelte Liebe; meine Sünden sind mir leid, aber gib mir noch gründlichere Buße. – Dir, der Du mein A und mein O, mein Anfang und mein Ende bist, nahe ich in Anbetung und mit Sehnsucht; dir danke ich, dass Du ohne Unterlass mir wohltust, Dich rufe ich an als meinen höchsten Fürsprecher.

Mein Gott, lenke und richte mich nach Deiner Weisheit, erfülle mich mit (mache mich zum Gefäß) Deiner Gerechtigkeit, tröste mich nach Deiner Barmherzigkeit und beschütze mich mit Deiner gewaltigen Hand.

Dir, mein Gott, weihe ich meine Gedanken, meine Worte, meine Werke, meine Leiden, damit ich von nun an nur an Dich denke, nur von dir rede, nur nach Deinem Willen handle und nur für Dich leide.

Herr, ich will Deinen Willen, weil Du ihn willst, ich will ihn so wie Du ihn willst, und so viel Du ihn willst.

Ich bitte Dich, erleuchte meinen Verstand, entzünde meinen Willen, reinige meinen Leib und heilige meine Seele.

Mein Gott, hilf mir, dass ich meine vergangenen Sünden büße (bereue), dass ich die Anfechtungen der Zukunft siegreich überwinde, die mich beherrschenden Leidenschaften in Zucht halte, und die Tugenden übe, die mir ziemen.

Erfülle mein Herz mit inniger Liebe zu Deiner Güte, mit Abscheu vor meinen Fehlern, mit Eifer für meinen Nächsten und mit Verachtung für die Welt. O Herr, präge mir tief ein, dass ich meinen Vorgesetzten untertan, liebreich gegen meine Untergebenen, treu gegen meine Freunde und nachsichtig gegen meine Feinde sei.

Hilf mir, dass ich die Wollust in mir ertöte, den Geiz durch Almosengeben überwinde, den Zorn durch Sanftmut, die Lauheit durch innige Frömmigkeit.

Mein Gott, gib mir Klugheit (Weisheit) in meinen Unternehmungen, Mut in Gefahren, Geduld in Trübsal und Demut im Glück.

Lass mich niemals vergessen, bei meinen Gebeten auch innerlich gefasst zu sein, für meines Leibes Nahrung Maß zu halten, in meinem Berufe gewissenhaft und in meinen Entschlüssen ausdauernd zu sein.

Herr lass mich eifrig darauf bedacht sein, immer ein gutes Gewissen zu haben, ein bescheidenes Äußeres, eine erbauliche Unterhaltung und ein maßvolles Betragen.

Lass mich ohne Unterlass bemüht sein, meine Natur zu zähmen, die Wirkung der Gnade zu fördern, das Gesetz zu halten und die Seligkeit zu erlangen.

Herr, decke mir auf, wie klein diese Welt und wie groß der Himmel, wie kurz die Zeit und wie lang die Ewigkeit ist. Gib, dass ich mich auf meinen Tod vorbereite, dass ich dein Gericht fürchte, der Hölle entgehe und endlich das Paradies erlange durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen!

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