Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - VI. Der Tod Zwingli's. Sein Andenken in Straßburg.

Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - VI. Der Tod Zwingli's. Sein Andenken in Straßburg.

In der Voraussetzung, dass die römische Kirche eher eine politische Macht als eine religiöse Gemeinschaft sei, versuchte Zwingli, nicht nur durch die weiter oben beschriebenen politischen Bündnisse, sondern auch durch die Gewalt der Waffen im engeren Vaterland der freien Verkündigung des Evangeliums Bahn zu brechen. Sein Ideal war die Einheit der Schweiz in Glauben und Staatsform. Langwierige Unterhandlungen zwischen den reformierten und den fünf katholischen Kantonen hatten nur zum Krieg geführt. Hierauf beziehen sich die Worte eines Briefes Butzer's, vom 25. Sept. 1531, des letzten, den er an Zwingli abschickte: „Eine friedliche Vergrößerung unseres Bundes ist mir lieber als ein blutiger Sieg über die fünf Orte. Wäret ihr doch gerade auf die Sache losgegangen oder hättet sie aufgeschoben! So hat es aber Gott gewollt, der wird euch den erwünschten Ausgang geben.“

Am 11. Oktober fiel Ulrich Zwingli in der Schlacht bei Cappel, ein Opfer seines Eifers für die evangelische Sache und ein Märtyrer seines geistlichen Amtes, der Hirt inmitten seiner Herde.

Von Mülhausen aus, dessen Soldaten auf der Seite der Zürcher Bürger gestritten und somit das gegenseitige Bündnis mit dem Blut besiegelt hatten, verbreitete sich die Schreckensbotschaft rasch durch das Elsass bis nach Straßburg: „Welchen Lärm wird es nun geben, jammert Martin Butzer, und wie wird unser Evangelium heruntergemacht werden! Wie wird man ausposaunen: Derjenige (nämlich Luther) habe nicht falsch prophezeit, der uns des Münsterischen Geistes beschuldigte!“ und schließt einen längeren Bericht über die Katastrophe, an seinen Freund Blaurer, mit den Worten: „O des Unheils! So hat der Herr uns vergolten! Suchen wir Trost bei Christo, der unsere Sache augenblicklich nur deshalb verlässt, um uns zu demütigen.“ Von Seiten des Straßburger Rats, welcher Hilfe anbot, und von den vielen Freunden gingen Briefe und Zeichen inniger Teilnahme nach Zürich ab. Capito trauert über den großen Schaden, der allen Kirchen zugefügt worden ist, mahnt aber auch die Witwe des Reformators, in ihrem Leid zu bedenken, wie viel Ursache sie habe, Gott zu loben, der ihr einen solchen Gemahl gegeben, welcher nach seinem Tode bei allen Frommen geehrt und unvergesslich bleiben wird.„ Butzer schrieb seinerseits an Zwingli's Witwe:

„Die Gnad und trost unsers herren Jesu Christi mit allem das ich ymmer liebs und guts vermag zuvor. Ersame, christliche, liebe Fraw. Wie euch anlige und truke der erschrödlich fall gemeyner Christenheyt, verlust des so theuren dieners. Jesu Christi unsers herren, ewers getrüwen gemahels, mögen wir by uns selb und allen gutherzigen, umb die wir sind und die uns auch täglich klagen, wol abnemen. Wie wöllen wir ym aber thun? Der Herr hat uns. gestraffet, und wir habens vil zu wol verdienet. Unserm allerliebsten herren und bruder hat er ruw, uns zur besserung ursach geben wöllen. Er verlasse gnade, das fölichs by uns angehe. Euch, liebe Fraw und schwöster ym herren, bitt ich uffs ernstlichst, wöllent uns verstendigen, worzu wir Euch und den armen wayslin möchten berathen und beholfen syn; daryn wöllen wir uns uffs getrewlichst bewysen… Der almechtig Gott und Vatter alles trostes wöll euch selber trösten und sterken, damit ihr dis so schwere creutz ertragen könnt, und alle sachen zum besten anschicken. Uns habt yr mit allem unsern vermögen Euch und den Euren zu dienen bereyt und geneygt. Datum Straßburg uff den 28. November. - Martin Bucer, der ewer im herren.“

Weder Hedio noch Zell, noch dessen Ehefrau, Niemand wollte zurückbleiben. Letztere schrieb: „Ist Zwingli gestorben, so ist er als ein Christenheld gestorben, und die ihn geschändt und verbrennt, werden des brennen. Ich hab ihn lieb und wert geacht und noch.“ Der schon genannte Schlettstadter Sapidus und ein früherer Vikar Zell's, Musculus aus Dieuze in Lothringen, verfassten Trauergedichte im überschwänglichen Ton jener Zeit, und in Zürich selbst nahm in alter Treue Leo Judä durch Wort und Schrift das Andenken des Freundes vor aller Welt in Schutz. Ursache dazu war genug vorhanden.

Es waren nicht bloß die Katholiken, die den Namen Zwingli verunglimpften, auch die lutherischen Gegner wollten in seiner Todesart ein Strafgericht Gottes sehen, das den Streit über das Sakrament zu Gunsten Luther's entscheiden sollte! Ja, selbst bisherige Anhänger des schweizerischen Reformators fingen an, allerlei Bedenken gegen das Eingreifen desselben in die Politik und gegen die Anwendung weltlicher Mittel zur Förderung der Wahrheit aufzuwerfen; sogar seine persönliche Gegenwart auf dem Kampfplatze wurde ihm zum Vorwurf gemacht. Hören wir Butzer in seiner Bestürzung: „Ich achte zwar das Schauspiel eines bewaffneten Bischofs nicht für so unwürdig, wenn der Krieg auf einen Befehl Gottes begonnen worden und es bis zum Äußersten gekommen ist. Ich glaube aber, diesmal hat der Willen des Herrn gefehlt. Die Waffen sollen das Letzte sein, wozu Christen ihre Zuflucht nehmen.“ Auch die vielen Anfragen, die von allen Seiten, aus der Pfalz und aus Schwaben, nun an die Straßburger Geistlichen gelangten, „was sie denn von Zwingli's Schicksal hielten,“ beweisen, dass man wohl wusste, wie nahe diese Letzteren dem Gefallenen im Leben gestanden. Ihre Pflicht sollte es vornehmlich sein, ihn gegen die Anschuldigungen und Schmähungen zu verteidigen.

Nur allzu wahr ist es, dass Luther selbst seinen früheren Gegner noch im Tode verfolgte: „Das ist das Ende des Ruhmes, den die Schweizer durch ihre Lästerungen gegen das Abendmahl Christi erstreben. . . Nun sehen wir zum zweiten Mal das Gericht Gottes, zuerst Müntzer, jetzt Zwingli .. Gott selbst hat sie verdammt, und damit angezeigt, wie er solcher Lehre feind sei.“ So Luther wörtlich. Butzer aber blieb seiner Friedensliebe und seinem Vermittleramt treu. Er suchte einerseits die Freunde zu besänftigen: die Ausfälle solcher heftigen Leute dürfe man nicht so auffassen, wie wenn sie von ruhigeren Gemütern kämen… Die Verdammung so trefflicher Männer wie Zwingli und Oekolampad trage er in Geduld, in der Überzeugung, dass der Eifer an Gottes Wort Luther dazu treibe.“ Andererseits bat er inständig die Zürcher zu schweigen, oder wenigstens nur mit Ruhe und Schonung zu antworten. Noch in anderer Weise verwandte man sich in Straßburg für den Ruf und das Andenken Zwingli's. Von hier aus, und nicht ohne Erfolg, forderte 1534 der Professor Bedrotus die Zürcher auf, das Leben ihres Reformators zu beschreiben. Ferner beschwerte sich Butzer beim Landgrafen von Hessen, dass, trotz des früher zu Marburg gegebenen Versprechens, die Lutheraner mit den Verunglimpfungen nicht einhielten. Dazu führte noch der Magistrat beim Herzog Ulrich von Württemberg die Klage, „dass etliche Prediger des Fürstentums M. Ulrich Zwingli und D. Oekolampadius selig gar unfreundlich und mit Namen antasteten, Schwärmer, Bildstürmer und dergleichen schalten . .“ (1535).

Man hätte gewiss aus dem Mund der alten Freunde und Gesinnungsgenossen Zwingli's ein mutigeres Wort der Missbilligung für Luther's Benehmen erwartet. Die vertraulichen Briefe enthalten allerdings manch bittere Klage und scharfen Tadel. Besser aber wäre ein offener Vorwurf von Angesicht zu Angesicht gewesen. Nur eine vom Lobe Zwingli's erfüllte Vorrede, die Butzer einer Ausgabe Zwinglischer Briefe im Jahr 1536 voransetzte und die ihrem Verfasser in hohem Maße Luther's Unzufriedenheit zuzog, kann als ein öffentliches Zeugnis der Freundschaft gelten; es blieb aber das einzige.

Schon waren andere Zeiten angebrochen. Aus politischen Gründen war die straßburgische Kirche allmählich auf die Seite des Luthertums getreten und hatte, neben ihrem eigenen Bekenntnis, das augsburgische angenommen und 1536 die „Wittenberger Konkordie“ unterschrieben. Unterwürfigkeit und äußerste Schonung gegen Luther schien geboten; zu vermeiden war besonders die Gefahr, in Folge eines Zerwürfnisses aus der Gemeinschaft der Kirchen Deutschlands wieder herauszufallen und so, nach bereits geschehener Loslösung von der Schweiz, auch in Deutschland vereinzelt dazustehen.

Trotzdem erhielten sich noch Jahre lang die freundschaftlichen Bande zwischen der Schweiz und dem Elsass. Schweizer Studenten besuchten die neu errichtete und schon weltberühmte Straßburger Hochschule. Mit besonderem Wohlgefallen und Liebe ruhte der Blick der Lehrer auf Wilhelm Zwingli, dem Sohn des Reformators, der zehn Jahre nach des Vaters Tod zu ihren Füßen saß. Dass demselben die beste Gastfreundschaft in den Häusern zu Teil ward, lässt sich wohl denken. Der hoffnungsvolle Jüngling wurde aber von der Pest ergriffen, die im Jahr 1541 Tausende von Opfern in Straßburg forderte. Nach Anwendung aller menschlichen Mittel, zuletzt noch durch seine Lehrer aufs Land zum Pfarrer Kaspar in Waffeln heim geschickt, starb er daselbst, am 18. September, „eines frommen Todes und bei vollem Bewusstsein“ wie Betrodus nach Basel berichtete. So ruhen denn die Gebeine des Sohnes des großen Zwingli in elsässischer Erde.

Seine Lehrer Bedrotus und Capito erlagen wenige Wochen später demselben Übel. Müde und nach wohl vollbrachtem Tagewerk ging Matthäus Zell im Jahr 1548 zu seines Herrn Freude ein; im April 1549 schied der friedliebende Butzer nach England, um in seiner Stadt die in Folge des Interim ausgebrochenen Unruhen durch seine fernere Gegenwart nicht zu vermehren. Hedio starb 1552, und als im folgenden Jahr auch Jakob Sturm, unserer Reformatoren trefflicher Mitarbeiter in weltlichem Stand und Staate, zu seinen Väter versammelt wurde, blieben nur noch wenige Vertreter des alten, geistesfreien und weitherzigen Geschlechts in den Mauern unsrer Stadt zurück.

Bereits standen auf den Kanzeln jüngere Prediger, solche von denen Capito dereinst gesagt: „er habe nur wenig Hoffnung zu ihnen“, und deren einer, Marbach, sich in einer Zuschrift an den Magistrat, vom 26. April 1571, rühmte, „es sei gottlob kein Zwinglischer Blutstropfe in ihm“. Sie schienen ihren Ehrgeiz darein zu setzen, weit mehr die Fehler und Mängel Luther's nachzuahmen, als das Gute und Große, das an dem Manne war, und pflegten, um dem Volk die reine Lehre zu empfehlen, die Todesart Zwingli's als ein schreckendes Beispiel darzustellen. Katharina Zell ergriff noch in hohem Alter die Feder, um den lutherischen Heißspornen die Meinung zu sagen, wie sie es verdienten. Von einem derselben, Ludwig Rabus, schreibt sie in ihrem Brief an die ganze Bürgerschaft Straßburgs„ (1557). „Er meint den jetzt seligen Ulrich Zwingli, durch welchen Gott viel Guts im Schweizerland hat ausgericht und gehandlet, den er zuletzt in Schmach, aber zur Freud seiner und Gottesfeinde hat lassen umkommen, wie auch seinen Sohn Christum selbst. Ist er darum ein Ketzer? Nein freylich, es müsste sonst auch Christus und seine Apostel, ja auch viel zu unserer Zeit, so das Feld verloren und in ihrer Feinde Hände kommen sind, Ketzer seyn.“

Zu Straßburg, in der Züricher Straße, auf dem jetzt überwölbten Rheingießen, wo im Jahr 1577 das „glückhafte Schiff“ mit den wackeren Bürgern Zürich's und ihrem noch warmen Hirsebrei gelandet hatte, steht seit einigen Tagen, in Form eines verzierten Brunnens, ein bescheidenes Denkmal zur Erinnerung an jenen hier unvergesslichen Freundschaftsbeweis aus alter Zeit. Auch soll die Erkenntlichkeit für die seitens der Schweiz, in der schweren Not von 1870, unserer Stadt erwiesene Teilnahme und Hilfe in diesem Denkmal einen Ausdruck finden.

Den Protestanten sagt es noch mehr. Unwillkürlich lenkt es unsere Blicke auf jene anderen Schweizermänner hin, die, wie wir gesehen haben, vor vierthalb Jahrhundert ebenfalls den Rhein hinab der Stadt Straßburg zusteuerten, nicht jedoch um ihre Kraft und Kunst in friedlichem Waffenspiel zu erproben, sondern um als Streiter Christi, in Gemeinschaft mit den Gesinnungsgenossen, für die hohen Interessen des Glaubens und der Religion einzustehen.

Vieles hat sich seit jenen Zeiten verändert.

Im vollsten Sinne ist die Freiheit zur Wirklichkeit geworden, welche die Väter der Stadt im Jahr 1530 auf ihre Fahne geschrieben: „Niemand wird in unserer Stadt dem Luther Zwingli oder dem Papst zu glauben gezwungen, noch etwas hierin zu halten erkannt, sondern einem Jeden sein Glauben frei gelassen.“ Und sonst ist noch Vieles besser geworden.

Aber dennoch drohen Gefahren allerseits dem Protestantismus; noch hat er nach links und rechts schwere Kämpfe zu bestehen; Spaltungen herrschen in der eigenen Kirche, und nicht weniger wichtige Fragen als die über das Abendmahl beschäftigen und trennen die Geister.

Mit Freuden begrüßten wir deshalb vor einigen Monaten unter der Schar von Männern der Wissenschaft, deren Standbilder die Zinnen des neuen Straßburger Universitätsgebäudes krönen, auch die Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin. Da stehen sie nun, von Meisterhand, in reinem Vogesensandstein gemeißelt, als ob sie Wache hielten über Stadt und Land.

Schlichte Bürger, gelehrte Professoren, strebsame Jünger, wir Alle schauen auf zu Euch, Ihr Ritter des Geistes, und danken Gott, dass wir Euch die Unsrigen nennen dürfen. Von hoher Stätte prediget Ihr uns von Freiheit der Gedanken, von Wahrheitsliebe und Fortschritt, von festem Mannesmut und kindlichem, gottergebenem Glauben!

Da stehst Du, auch unser Zwingli, neben unserm Luther, als ob Euch im Leben nichts getrennt hätte. Im Sinne einer höheren Einheit gilt von Euch beiden: „Ein Herr, Ein Glaube, Ein Gott und Vater Aller!“

In frommer Erinnerung steht aber auch jener „Haufe von Zeugen“, die dereinstigen Mitarbeiter Luther's und Zwingli's, die Mitgenossen ihrer Hoffnung, und nicht die letzte Stelle gebührt den Vätern und Begründern der evangelischen Kirche unseres Heimatlandes. Ihre Namen, Butzer, Capito, Zell, Hedio, Sturm und andere, reihen sich wie von selbst in diesen Gedenkblättern um den Namen Zwingli. Auch sie haben die Gabe, die ihnen gegeben war, zum Wiederaufbau der Kirche Christi treu verwendet.

Was würdet Ihr sagen, Ihr Helden der Vorzeit, beim Anblick unserer heutigen, Euch allen damals so gleich lieben straßburgischen und elsässischen Kirche? Was würdet Ihr sagen zu unseren heutigen Aufgaben und Bestrebungen zu unseren Parteibündnissen und Kämpfen? - Würdet Ihr nicht, auf das hohe Ziel, das Euch vorgeschwebt, hinweisend, die Wahrheit und die Heiligung als das Eine, was Not tut, hinstellen und Allen, Freunden wie Gegnern, dasselbe Wort zurufen:

„Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid Alle Brüder!“

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