Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - IV. Die gemeinsamen Kämpfe.

Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - IV. Die gemeinsamen Kämpfe.

Die Vorliebe für zwinglische Art und Wesen kam in den für den Protestantismus so verhängnisvollen Lehrstreitigkeiten über das Abendmahl noch deutlicher zu Tage.

Im Gegensatz zur katholischen Auffassung lehrte zwar Luther: Brot bleibt Brot, Wein bleibt Wein; aber für ihn sollte der wahre Leib und das wahre Blut Christi im Abendmahl, leiblich und nicht bloß geistlich, gegenwärtig sein und mit dem Mund genossen werden.

Zwingli hingegen sah im Abendmahl die Gedächtnisfeier des Todes Christi, und wollte nur eine geistige Gegenwart des Herrn annehmen, wenn er auch nebenbei zugibt, dass Christus sich den Gläubigen auf eine geheimnisvolle Weise mitteile. In der Einsetzungsformel: „das ist mein Leib, das ist mein Blut,“ erklärte er das Wörtlein „ist“ im Sinne von: „bedeutet.“

Letztere Ansicht teilten aber auch Butzer und Capito nebst ihren Amtsbrüdern; für sie war das Nachtmahl eine sinnbildliche Handlung, „zur Stärkung des rechten Glaubens, des Dankes und des Gehorsams gegen Gott, der Liebe gegen den Nächsten und der himmlischen Hoffnung.“ Das Fleisch ist kein nütze, lehrten sie. Unsern Glauben sollen wir mit des Herrn Brot und Wein durch das Gedächtnis seines Leibes und Blutes allein speisen…„

Damit war Luther Um so weniger zufrieden, als er eben gerade in diesen Streitigkeiten die Zustimmung der Stadt Straßburg, wegen ihres großen Einflusses, für seine Ansicht gern gewonnen hätte. Die Zürcher aber hatten ein ähnliches Interesse, und deshalb entstand nun ein wahrer Kampf um die straßburgische Kirche.

Karlstadt, der zuerst gegen Luther's Abendmahlslehre auftrat, hatte im Jahr 1524 in Straßburg eine freundliche Aufnahme gefunden; obgleich die Prediger hierüber Erklärungen nach Wittenberg schickten, - oder gerade deshalb, richtete der Wittenberger Doktor, der keine abweichende Meinung ertragen konnte, ein Warnungsschreiben an sie, „sich vor dem Schwarmgeist zu hüten“: „Nun ich bin euer Prediger nicht, sagte er bitter, Niemand ist mir auch schuldig zu glauben.“ Capito aber berichtete gleichzeitig an Zwingli: „Butzer, der früher der Ansicht Luthers mehr ergeben gewesen, stimmt jetzt mit Händen und Füßen deiner Ansicht bei“ (31. Dez. 1524). Und Zwingli versäumte auch keine Gelegenheit, seine Gesinnungsgenossen in seiner Auffassung zu bestärken. Ein von seiner Hand geschriebener Brief vom 13. Sept. 1525, der zu den Schätzen des Thomasarchivs in Straßburg gehört, schließt mit der Mahnung: „Bleibt fest gegen diese Götzen: Fleisch, Blut, Brot, Wein!“ Auf eine abermalige Freundschaftsbeteurung der Straßburger durch die Absendung eines der Ihrigen nach Wittenberg, erteilte Luther die Antwort: „es tue ihm leid, dass diese Männer von ihm abfielen, aber er könne das Gericht Gottes nicht hindern… Einer oder der Andere müsse des Teufels sein… Sie nehmen das Licht der Vernunft für das Licht des heiligen Gottes.“ Trotz aller harten Worte, die von dieser Seite laut wurden, wollte man aber nicht mit Luther brechen, sondern hoffte noch immer, wenn auch mit Beibehaltung gleichberechtigter Ansichten, sich mit ihm verständigen zu können.

Die zu diesem Zwecke angestellten Versuche zeugen von eben so großer Friedensliebe als bewunderungswürdiger Beharrlichkeit. Einerseits bat man Zwingli, seinen Gegner sanft zu behandeln und in ihm ein auserwähltes Werkzeug Gottes zu erblicken. „Wollte Gott, schrieb andererseits Butzer in seiner Vorrede zu Luther's Postille, du kennetest Zwingli näher, du müsstest entweder den heiligen Geist lästern oder Christum in ihm erkennen und verehren.“ Indessen erweiterte sich doch die Kluft zwischen Wittenberg und Straßburg immer mehr. „Alle unsere Prediger, schrieb Butzer an Zwingli, im Mai 1526, verwerfen entschieden die Anbetung im Abendmahl, und Lehren, es sei ein Zeichen und weiter nichts.“ Über Luther äußerte sich derselbe in einem Brief an Landschad von Neckarsteinach (22. Oktober 1526): „kein Verständiger wird ihm zugeben, dass er überall das Rechte getroffen… Der Luther ist uns groß, und mehr denn groß, hat aber Petrus können straucheln, dass ihn Paulus vor Allen strafen musste, es mag wahrlich dem Luther auch geschehen.“ Die Veröffentlichung der Hauptschrift Zwingli's über das Abendmahl erregte 1527 in Straßburg Freude und Bewunderung und ließ Butzer die Worte schreiben: „So sehr ich von dir Vortreffliches erwartet habe, so hast du doch meine Erwartung noch weit übertroffen.“ Die Kunde von dem einträchtlichen Zusammenwirken Capito's, Butzers und Zwingli's auf der Disputation von Bern, Anfangs 1528, sowie die Berichte des Juristen Gerbel über die Fortschritte des Zwinglianismus in Straßburg, trugen dazu bei, die Erbitterung Luthers noch zu steigern.

Das Maß war voll. Luther veröffentlichte sein „großes Bekenntnis vom Abendmahl,“ eine Schrift, die sowohl gegen die Straßburger als gegen die Schweizer gerichtet war. Butzer der sie eine „gotteslästerliche“ nannte, besserte nichts durch eine milde und versöhnliche Antwort; im Gegenteil. Zwingli ward aber wieder die Mahnung: „Nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern Luther als einen in Zorn geratenen Bruder ruhig und besänftigend zu behandeln.“ Im Grunde genommen, schrieb Capito an ihn, nützt uns dieser Zorneseifer, denn er beleidigt die Freunde, die Luther durch seine Autorität noch an sich festhielt, und stärkt die Unsrigen.“

Der Bruch mit Wittenberg war vollständig.

Eine Vereinigung aller Evangelischen wäre nötiger als je gewesen. Auf dem Reichstag zu Speier, im April 1529, kam mit Hilfe der überwiegenden katholischen Partei ein Beschluss zu Stande, der die früheren, der Religionsfreiheit günstigen „Abschiede“ aufhob und gegen welchen die Anhänger der Reformation, Fürsten und Städte, worunter auch Straßburg, energisch aber erfolglos protestierten. Seiner übrigen Feinde, des Papstes, des Königs von Frankreich und der Türken ledig, schickte sich der katholische Kaiser Karl V. an, den Neuerungen entschieden ein Ziel zu setzen, wäre es auch durch gewalttätige Maßregeln. Immer lebhafter fühlten die protestantischen Mächte das Bedürfnis eines gegenseitigen Schutz- und Trutzbündnisses, doch nur, nach damaliger Anschauung, auf Grund durchaus gleichartiger religiöser Gesinnung. Als ein unüberwindliches Hindernis erschienen namentlich Luther die bestehenden Lehrdifferenzen.

Wäre aber die Übereinstimmung in der Lehre nicht herzustellen? Etwa durch eine persönliche Verhandlung zwischen den streitenden Gottesgelehrten? Diese Hoffnung erfüllte gleichzeitig den Landgraf Philipp von Hessen, Zwingli, Capito und Sturm von Sturmeck, und bewog sie zur Tat zu schreiten. Monate lang bekamen die Briefboten vollauf zu tun zwischen Marburg in Hessen, Straßburg und Zürich. Sturm, der Staatsmann, warb um die Zustimmung Zwingli's, persönlich an der Zusammenkunft Teil zu nehmen. Es galt ferner den Ort derselben zu bestimmen. Einen Augenblick schien die elsässische Stadt sich am besten dafür zu eignen; auch war ferner die nicht gefahrlose Reise nach dem definitiv gewählten Marburg, und noch anderes mehr anzuordnen, bis endlich, an einem Septembertag desselben Jahres, wie Zwingli und seine Begleiter, unter welchen den Basler Reformator Oekolampad, in der Wohnung des Münsterpfarrers Matthäus Zell, in der Bruderhofgasse, versammelt finden.

Die Schweizer waren in dreizehn Stunden, von Basel aus, den Rhein herunter nach Straßburg gefahren, und verweilten nun daselbst zwei volle Wochen, mit ernsten theologischen und politischen Fragen beschäftigt und trauten Verkehr mit alten und neuen Freunden pflegend. „Man hat uns hier unsäglich Zucht und Ehre bewiesen,“ rühmte Zwingli, und die treffliche Pfarrfrau Katharina erzählte noch an ihrem Lebensabend mit Stolz und mit Freude, wie sie in jenen Tagen Magd und Köchin gewesen, und nach dem Schriftausdruck „den Heiligen die Füße gewaschen“. Die Gäste fühlten sich gewiss auch heimisch in einer Stadt, wo Alles reformiert aussah wie bei ihnen zu Haus. Sonntags, den 12. September, stand Ulrich Zwingli auf der vor Zeiten für Geiler von Kaisersberg im Münster erbauten Doktorkanzel, und predigte „über die erkannte Wahrheit und was man ihr schuldig sei“. Seine nicht sehr starke Stimme ging dennoch zu Herzen, denn es war Geist und Leben darin. Man führte die Gelehrten in die an Schätzen reiche Münsterbibliothek, wo Hedio für Zwingli aus einem alten Buche eine Stelle abschrieb, die in der bevorstehenden Diskussion mit Luther benutzt werden sollte.

Die Reisegesellschaft, an welche sich, außer Butzer und Hedio, auch der Stettmeister Sturm, auf Befehl des Magistrats, anschloss, ritt ernst und still am 19. September, einem Sonntagmorgen, unter Begleitung bewaffneter Soldaten, zu den Toren der Stadt hinaus. Folgen wir ihnen bis zu dem straßburgischen Schloss Kochersberg, wo ein Frühstück genossen wurde, und zum ersten Nachtquartier, der ebenfalls der Stadt gehörigen Feste Herrenstein, bei Neuweiler. Noch ehe die Sonne hinter den Vogesen unterging, konnte von dort aus der Blick über einen großen Teil unseres Elsasses schweifen, hinüber zum Schwarzwald, und hinab bis zur Pfalz. Vergeblich mochte zwar das Auge die Schweizerberge im Süden gesucht haben; allein die Gedanken der Gottesmänner umfassten noch andere Länder als man überschauen durfte. Dass doch überall das Licht des Evangeliums leuchten, Frieden und Eintracht herrschen möchte! Zwingli betete, wohl auch laut vor seinen Reisegefährten: „Erfülle, du Schöpfer, Herr und Vater Aller, wir bitten sich darum, uns mit deinem milden Geiste und vertreibe allen Nebel des Unverstandes und der Leidenschaften. Mach Ende dem Zank und der blinden Wut. Ach, während wir streiten, versäumen wir nach der Heiligung zu ringen, die du von Allen forderst.“ An den folgenden Tagen ging die Reise weiter fort, über Berg und Tal, durch Abwege und Wälder, an Bitsch und Zweibrücken vorbei, nach St. Goar und über den Rhein, bis am 27. September Marburg, der Ort der Zusammenkunft mit den norddeutschen Theologen, erreicht ward.

Es begann nun eine achttägige Arbeit, in öffentlichen Versammlungen und Privatgesprächen. Redlich standen die Straßburger den Schweizerischen Brüdern zur Seite; heftig wurde hin und her über die Bedeutung des Liebesmahls gestritten. Luther wich nicht von der Ansicht, dass Christus leiblich und räumlich in Brot und Wein gegenwärtig sei. „Wohl ist er gegenwärtig, behaupteten die Gegner, aber durch den Glauben.“ Der durch den Landgrafen unterstützten inständigen Bitte von Seiten der Schweizer um die Bruderhand und um Aufnahme in die evangelische Gemeinschaft schenkte Luther kein Gehör; er übergab die Andersdenkenden „dem gerechten Gerichte Gottes“. Als Jakob Sturm, im Namen seiner Stadt, die gegen die Lehrweise ihrer Prediger erhobenen Anschuldigungen zur Sprache brachte, ward ihm die Antwort Luthers: „Was bekümmert's mich, wie ihr in Straßburg lehret? Ich will nicht euer Lehrmeister sein, ihr habt meine Schriften und Bekenntnisse. Man sieht nur allzu gut, dass ihr nicht von mir gelernt habt; ich möchte auch ungern solche Jünger haben.“ Nicht glücklicher war Butzer, als er die Lehre der Straßburger darlegte und sich Luther's Urteil darüber erbat. Allen Oberländern insgesamt galt endlich das in der Tat wahre Wort: „Ihr habt einen andern Geist, denn wir,“ und daraus, dass Luther die dargebotene Hand seines Hauptgegners Zwingli zurückstieß, konnten auch dessen Reisegefährten aus Süden leicht merken, woran sie selber waren…. Alle auf dieselbe Linie gestellt. Damit jedoch die Zusammenkunft nicht ganz unfruchtbar ausging, ließ der Fürst durch die Theologen eine Bekenntnisschrift aufstellen und von Alen unterschreiben. Wohl verständigte man sich über 14 Artikel; in dem 15ten, das Abendmahl betreffend, tat sich die grelle Verschiedenheit der Auffassung wieder kund.

Vergessen wir aber nicht, dass dieser erste, wenn auch Leider verunglückte Versuch, die Einheit der Kirchen herbeizuführen, doch seine gute Wirkung hatte und der gemeinschaftlichen Arbeit der Schweizer und der Straßburger schließlich zu verdanken ist.

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