Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - II. Persönliche Beziehungen.

Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - II. Persönliche Beziehungen.

Als einer der ältesten gehörte diesem Kreis der Gelehrte Beatus Rhenanus in Schlettstadt an, eine Zierde der damaligen Wissenschaft. Aus dem reichhaltigen Briefwechsel zwischen ihm und Zwingli genüge Folgendes: „Ich weiß,“ schrieb Rhenanus an Zwingli, der im Jahre 1518 in Maria Einsiedeln evangelisch zu predigen angefangen hatte, „ich weiß, dass du dem Volke die reine Weisheitslehre Christi aus den Quellen selbst, nicht entstellt durch scholastische Auslegung, sondern in der Weise eines Augustin, Ambrosius, Cyprian und Hieronymus lauter vorträgst. Wollte Gott, die Schweiz hätte viele Männer deiner Art! dann wäre es nicht länger unmöglich unserm Volk bessere Sitten einzupflanzen. Dasselbe ist gewiss nicht unverbesserlich; hätte es nur Prediger, die Christum lehren könnten und wollten.“ Im Jahr 1519 schrieb er: „Ich bewundere deine Entschlossenheit, die uns in dir einen Mann aus den Zeiten der Apostel vor Augen stellt. Einige schelten, lachen, drohen, schmähen; aber du duldest dies Alles, mit wahrhaft christlicher Gelassenheit. Dieser Weg, den du gehst, lieber Zwingli, ist der richtige. Ich lobe dich, dass du eine so durchaus gute und heilsame Sache mit Klugheit angefangen hast, aber noch mehr, dass du so unverrückt vorangehst.“

Ein anderer Schlettstadter, der wirksame Schulmann Sapidus, den Zwingli während seines Aufenthalts auf der Hochschule zu Basel, bei Beginn des Jahrhunderts, schätzen gelernt hatte, bat den Reformator im Jahr 1523 um gefällige Aufnahme eines jungen Gelehrten, mit den Worten: „Empfange ihn so, dass er inne wird, er sei von einem Christen als Christ einem Christen empfohlen worden.“

Mit Zwingli saß auch Konrad Pellikan, aus Ruffach, zu den Füßen des vortrefflichen Lehrers Wyttenbach in Basel. Für diesen Mann, in dessen treue Seele er geschaut hatte, verwandte sich der Reformator späterhin aufs eifrigste, indem er ihn als Lehrer der hebräischen Sprache nach Zürich 1526 berufen ließ. Ich kann nicht mit der Feder ausführen, begrüßte er seine Ankunft, wie sehr du von uns Allen gewünscht wirst. Eile mit Macht zu uns. Ich rede im Namen des Herrn und für dessen Sache. Ich öffne dir mein Haus, geh' ein und aus, wie du Lust hast. Ich weiß, dass ich dir nicht Großes zu versprechen brauche, der du gelernt hast, Geringes für sehr groß zu nehmen, aber ich verspreche mich dir ganz samt allen Guten und Gelehrten dieser Stadt.„ Ein gewiss für Beide ehrendes Zeugnis.

Aus derselben Zeit stammt die Freundschaft Zwingli's mit Leo Judä, eines Priesters Sohn aus Gemar, der mit ihm an demselben Tage die Magisterwürde in der Philosophie erworben hatte. Zuerst Zwingli's Nachfolger in Einsiedeln, sollte Judä ihm bald nach Zürich als Gehilfe am Großmünster folgen. Die hierüber empfundene Freude fand Ausdruck in folgenden markigen Worten: „Bald wird auch der nach Gerechtigkeit dürstende Löwe (Leo) da sein, mit der gewaltigen Stimme, der kleine Mann, aber mit großem Heldenmut!“

Mit den Namen Hedio, Capito und Martin Butzer nennen wir unter den ferneren Freunden Zwingli's ein Dreigestirn von Männern, die ganz besonders berufen waren in unserm Heimatland als Vermittler Zwingli'scher Denkart erfolgreich zu wirken.

Es war zu Pfingsten 1518 - sechs Monate nachdem Luther durch seine 95. Thesen den kräftigsten Anstoß zur Reformation gegeben hatte - als sich unter der Menge der Zuhörer Zwingli's in der Wallfahrtskirche zu Einsiedeln Kaspar Hedio, aus Ettlingen, damals Vikar an einer Basler Kirche, befand. Auf Grund von Lukas 5,24 wies der Prediger auf den Menschensohn hin, durch den allein Sünden vergeben werden können. Darüber schrieb Hedio später an Zwingli: „Deine schöne, gelehrte, ernste, eindringliche und evangelische Predigt vergegenwärtigte mir die Kraft der alten Gottesgelehrten. Sie begeisterte mich dermaßen, dass ich anfing mich an dich anzuschließen und mit Bewunderung zu dir aufzuschauen. Ich wollte mit dir sprechen, aber ehrfurchtsvolle Scheu hielt mich zurück, und ich ritt mit Betrübnis davon.“ In demselben Brief gibt sich auch die größte Besorgnis kund, dass die im Jahr 1519 in Zürich wütende Pest den in seinen neuen Wirkungskreis kaum eingetretenen Zwingli ergriffen und an den Rand des Grabes gebracht habe: „Denn wer trauert nicht, ruft Hedio aus, wenn die Posaune des Evangeliums verstummt, wenn der Retter des Vaterlands, der mutige Herold der Wahrheit, in der Fülle der Kraft, so zu sagen im ersten Aufblühen hinsinkt!“ Wie atmete Hedio aber auf, als die frohe Botschaft in Basel eintraf, man dürfe wieder Gutes hoffen. Die Bitte an Zwingli, „ihm zu erlauben, sein Freund zu sein, oder doch der Schatten eines Freundes,“ wurde dem guten Manne gewährt; er fand allezeit in Zwingli einen willigen Berater und Beisteher. Da er selbst seinen Zuhörern das Evangelium Matthäi zu erklären gedachte, wünschte er zu erfahren, in welcher Ordnung der Zürcherische Prediger dasselbe getan hatte: „Ich bin eben nur ein Nachahmer, und am liebsten folge ich dir und Leuten deiner Art.“ Ja, er bat sich 1520 geradezu Zwingli's handschriftliche Anmerkungen über das genannte Evangelium aus. Ein anderes Mal beteuerte er: „Was durch Predigten auszurichten ist, will ich treulich tun. Christum. will ich vor den Menschen bekennen. Zwingli ermahnet mich unaufhörlich mit den kräftigsten Gründen dazu, er hat meinen Mut sehr vermehrt.“ Vom kurmainzischen Hof aus, wo Hedio sich eine Zeit lang aufhielt, schickte er wiederholt vertrauliche Mitteilungen an Zwingli über die Kämpfe, die 1520 entbrannt waren. „Der Bapst hetzt Petrus und Paulus, alle Engel im Himmel und alle Kreaturen der Welt gegen Luther und seine Anhänger auf. Man solle sie totschlagen, sengen und verbrennen. O du freies Deutschland, wo ist unsere Freiheit? Nicht einmal die Zunge ist mehr frei! Grimmige Feinde haben sich gegen uns verbündet; auch wir müssen uns an einander schließen.“ Dieser Bund befestigte sich immer mehr, als Hedio Domprediger zu Straßburg ward und sich nun ganz in den Dienst des Evangeliums stellte.

Wahrscheinlich wohnte auch Zwingli, als Wolfgang Capito, aus Hagenau, im Jahr 1504 zu Basel die Doktorwürde in der Theologie erhielt, diesem akademischen Akt bei, denn der künftige Reformator war damals noch als Hilfslehrer an einer Basler Schule tätig. Indessen erst zwölf Jahre später traten sich die beiden Männer näher. Freisinnig und weitherzig wie sie waren, fühlte sich der eine zu dem andern natürlich hingezogen. Während Capito in Basel durch seine Predigten und Vorlesungen über Theologie Aufsehen erregte, erhob Zwingli schon seine entrüstete Stimme gegen den vom Franziskanermönch Samson feilgebotenen Ablass und gegen den Kultus der wundertätigen Madonna des weitberühmten Wallfahrtsortes Einsiedeln. Sie hatten öfters Unterredungen. „Ehe Luther erschien, erzählt uns Capito, waren Zwingli und ich, selbst damals schon als er noch in Einsiedeln war, unter uns einverstanden, dass der Papst fallen müsse; denn bei uns beiden war es Licht geworden und hatte sich aus dem Umgang mit Erasmus und aus dem Lesen guter Bücher ein reifes und festes Urteil über den Stand der Dinge gebildet.“ Die ruhige Art, in welcher Zwingli an die Neuerungen Hand anlegte, hatte Capito's volle Zustimmung. Die bestehenden Sitten und Gebräuche sollen zwar reformiert, aber nicht umgestürzt werden. „Fahre du fort, wie du gewohnt bist, in der Lauterkeit und Milde, wodurch Christus den glänzendsten Triumph über die Welt davon getragen hat. Ich habe meine Gedanken in den Busen des Freundes ausschütten wollen. O dass ich es in deiner Gegenwart tun könnte! Wie freudig würde ich dich empfangen!“

Martin Butzer, aus Schlettstadt, und Ulrich Zwingli trafen sich zum ersten Mal persönlich im Jahr 1528. Aber früher schon hatten gemeinsame Interessen und gegenseitige Achtung sie mit einander bekannt gemacht. Im Juni 1521 empfahl Butzer dem Zürcher Leutpriester einen unbekannten Menschen, „in der Gewissheit, dass wer das Evangelium so kräftig predigt wie Zwingli und einen so christlichen Wandel führt wie er, seinen Nächsten, ohne Ansehen der Person, wer er auch sei, lieben würde.“ An ihn auch wandte Butzer sich in eigener Angelegenheit, bei ihm Trost und Hilfe suchend, als er sich 1523 mit seiner Ehefrau nach Straßburg hatte flüchten müssen. Zwingli sollte ihm und seinem Unglücksgefährten, dem Pfarrer Motherer aus Weißenburg, eine Anstellung in der Schweiz verschaffen. Diese Bitte zu gewähren war nicht nötig; Butzer fand in Straßburg selbst einen Unterhalt und Wirkungskreis. Allein man sucht nur bei denen Beistand, welchen man sein zutrauen schenkt, und schon hatte sich ein solches unbeschränktes Zutrauen zu Zwingli der Seele Butzer's bemächtigt. „Du vermagst alles über Capito, schrieb er an ihn, und ich bin dir ganz ergeben und verschrieben in dem Herrn.“ Immer größer wurde auch der briefliche Verkehr zwischen Beiden. Alles was sie beschäftigt, kommt zur Sprache: die Organisation der Kirche und des Schulwesens, theologische Erörterungen, schriftstellerische Arbeiten, Familienereignisse, und dergleichen mehr. Butzer war sieben Jahre jünger als Zwingli, ihm aber wohl an Gelehrsamkeit und Arbeitskraft, Umsicht und Eifer ebenbürtig; ein gemeinschaftlicher Grund, auf dem ein Freundschaftsverhältnis erwuchs, das auch im späteren Leben ungetrübt sich erhalten sollte.

Außer diesen genannten Männern begegnen wir noch anderen Persönlichkeiten, deren Beziehungen zu Zwingli, wenn auch weniger interessant, nicht mit Stillschweigen übergangen werden dürfen; so z. B. Matthäus Zell, dem volkstümlichsten aller Straßburger Pfarrer, von dessen Bild das seiner wackeren Ehehälfte Katharina Schütz unzertrennlich ist, und so auch Symphorian Pollio, den Zwingli nie zu grüßen vergisst.

In Laienkreisen treffen wir den Juristen Nikolaus Gerbel, den Stettmeister Jakob Sturm von Sturmeck und den Ammeister Kniebs an.

Gerbel schwur zwar nicht höher als bei Luther, und verblieb sein Leben lang der zwinglischen Richtung mehr als abhold, weshalb er in der Stadt vereinzelt stand. Nichtsdesto weniger spricht er 1526 in einem Empfehlungsschreiben von der Freundschaft, die ihn an Zwingli bindet. Die hervorragende Stellung Sturm's als Stettmeister und oftmaliger Gesandter brachte ihn, wie natürlich, in vielfache Beziehung zu dem Reformator und Staatsmann der Schweiz. Was Nikolaus Kniebs betrifft, so erhielt derselbe im Jahr 1524 ein Schreiben von Zwingli, worin er des Eifers wegen beglückwünscht wird, mit welchem er, allen Hindernissen zum Trotz, durchschlagenden Reformen die Hand bietet, aber auch die Mahnung lesen durfte, samt seinen Mitbürgern, „standhaft zu bleiben und sich nicht wieder unter das Joch knechten zu lassen.“

Dieses Schreiben überbrachte ein Straßburger, Gervasius Schuler, der, nachdem er Haus- und Tischgenosse Zwingli's und Helfer an einer Zürcher Kirche gewesen, in seine Vaterstadt zurückkehrte und bald darauf, zu Ostern 1525, auf die Empfehlung Zwingli's hin, eine Anstellung als Prediger in Bischweiler fand. „Bei uns, in Zürich, hatte ihm Zwingli bezeugt, hat er Vielen geholfen Kinder Gottes zu werden. Der kleine Mann, von großem und unerschrockenem Geiste, hat die Weisheit, die von Oben ist, aufs Tüchtigste inne.“

Dass Zwingli den von Capito ihm zugedachten Ehrentitel „eines Bischofs aller Kirchen“ wohl verdiente, beweist, unter Anderm, seine Fürsorge um Mülhausen. In dieser seit 1515 in einen „ewigen Bund“ mit der Eidgenossenschaft eingetretenen und von der Schweiz aus zu den kirchlichen Neuerungen angeregten Stadt waren in Folge dessen große Unruhen ausgebrochen. Zwingli ermahnte die dortige „christliche Kilch und Gemeind“ 1524 in einer ihr zugeeigneten Schrift, zur Geduld und Standhaftigkeit. „Liebe, starke Diener Gottes, stehet fest! Der unserm Streit zusieht, ist nicht blind, schaut auch nicht etwa zum Fenster hinaus, sondern er überblickt alle Lande und alle Geschöpfe; er wird euch, die ihr um seines Namens willen streitet, nicht übersehen…. Gott wolle euern Glauben mehren, alsdann wird die Welt erfahren, dass Gott die Niedrigen erhöht.“ Mülhausen schloss sich 1534 dem Basler Bekenntnis (auch Mülhauser Konfession genannt) an und ist bis heute eine reformierte Stadt verblieben. In seiner Zuschrift nennt Zwingli Nikolaus Prugner, der den Mülhausern zuerst gepredigt hatte: „teuern und unsern geliebten Arbeiter im Evangelium Christi“

Als dieser die oberelsässische Stadt später wieder verlassen musste, wandte er sich nochmals vertrauensvoll an Zwingli, der aufs Neue ihm bereitwilligst seine Hilfe angedeihen ließ. Schickten doch darauf hin die Straßburger den Prugner als Prediger nach Benfeld. Ebenso unstet als kenntnisreich, gefiel sich aber Prugner auch hier nicht und zog sich 1527 die Weisung des Zürcher Freundes zu, „vorläufig doch auszuharren und nicht, dem Hunde in der Fabel gleich, den Bissen für das Bild hinzugeben; jeder habe Feinde…“

Zu den Freunden Zwingli's gehörte endlich Erasmus Fabricius, Archidiakonus am Großmünster zu Zürich, den Georg von Württemberg in's Elsass kommen ließ, um die Reformation in seiner Herrschaft Reichenweyer-Forburg einzuführen. Es darf uns deshalb nicht befremden, dass dieser Prediger und sein ebenfalls in der Schweiz ausgebildeter Nachfolger, Matthias Erb, dem neu eingerichteten Kirchenwesen in jener Gegend ein reformiertes Gepräge aufdrückten, das sich auf längere Dauer erhielt.

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