Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - I. Gute Nachbarschaft

Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - I. Gute Nachbarschaft

Als in dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, gleichzeitig und unabhängig von einander, ein Jeder mit den von Gott ihm verliehenen Gaben, Luther in Deutschland, Zwingli in der Schweiz, auftraten, da brachte es schon die geographische Lage des Elsasses mit sich, dass die daselbst beginnende geistige Bewegung nicht nur von Wittenberg, sondern - und in gleichem Maße - auch von Zürich aus angefacht und gestärkt wurde.

Wohl schlugen die Bürger Straßburgs die 95 Thesen Luther's an die Wohnungen ihrer Geistlichen an; wohl jauchzten sie dem Manne freudig zu, der den Mut hatte gegen veraltete Missbräuche anzukämpfen, und lasen fleißig seine Schriften, wie die zahlreichen Nachdrucke derselben in Straßburg, Colmar und Hagenau genugsam bezeugen; wohl wurden Prediger und Laien, die sich der Reform anschlossen, von ihren Gegnern „Lutherische“ genannt. Und doch wehte damals in dem mächtigen und freien Staate Straßburg schon ein Geist, der mit demjenigen Zwingli's viel mehr gemein hatte als mit dem Geiste Luther's, und der bald ganz andere Früchte als in den Kirchen Norddeutschlands bringen sollte.

Wie schon der Volkscharakter, die Denkart, die Sprache des Elsasses, auch die bürgerlichen Einrichtungen auffallende Ähnlichkeiten mit der gleichfalls alemannischen Schweiz darbieten, so zeigen sich auch dem unbefangenen Beobachter zahlreiche Berührungspunkte in der Art und Weise, wie beide Stämme die religiösen Fragen und geistigen Angelegenheiten aufzufassen und praktisch zu lösen pflegen.

In politischer Hinsicht waren die Schweiz und das Elsass auf einander angewiesen, dieses gleichsam als Vorpostenland der Eidgenossenschaft. Obgleich Straßburg dem deutschen Reich verblieb, während die Schweiz davon sich trennte, so bestanden doch die alten gegenseitig geschlossenen Bündnisse in guter Erinnerung.

Als Handelsplatz vermittelte die elsässische Stadt den Verkehr zwischen Süden und Norden, wie zwischen den östlichen und westlichen Ländern, war aber ganz besonders von großer Bedeutung für die Schweiz.

Außerdem fanden damals zwischen den sämtlich einander nahe gelegenen gelehrten Schulen von Basel, Schlettstadt und Straßburg wissenschaftliche Beziehungen und ein reger Austausch der Gedanken statt, ein Umstand, der engere Freundschaften zwischen den Personen selbst hervorrief.

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