Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - II. Beileidsbezeugungen.

Erichson, Alfred - Zwingli's Tod und dessen Beurtheilung durch Zeitgenossen - II. Beileidsbezeugungen.

Unter den am raschesten von Außen her in Zürich angelangten Beileidsbezeugungen befand sich ein Schreiben des Straßburger Raths, der „Kriegsherren“ oder XIIIer, vom 21. Oktober, in welchem Hülfe angeboten und in der Zuversicht, „daß der barmherzige Vater den von den V Orten empfangenen Schaden ersetzen wolle“, die Bitte an die Zürcher erging, „sich alles Kleinmuts zu entschlagen und stark in glauben auf ihrem vorhaben zu verharren“.1)

Kaum hatte ein anderer bewährter Freund, Landgraf Philipp von Hessen, von der unheilvollen Schlacht Kunde erhalten, so schickte er am 22. Oktober einen Eilboten nach Zürich und ließ melden: „Es sei ihm eine Schrift zugekommen, des Inhalts, daß dessen Angehörige nach tapferem Kampfe von den V Orten geschlagen worden, daß auch M. Ulrich Zwingli umgekommen sei, was ihm treulich und höchlich leid wäre, wenn es sich so verhielte. In dieser Noth verspreche er seine Hülfe.“2)

Ebenso versicherte Ulrich, Herzog von Württemberg, daß, was er vernommen, ihm, in allen treuwen leid sei und nit weniger dann ob die sach sein eigen wär„ und erklärte sich gleichfalls bereit, den Zürchern „sampt ganzem evangelischem Verstand und nach allem vermögen lybs und guots hilflich und ersprieslich zu sein“. (1. Nov). 3)

Wenn diese Zuschriften die lebhafte Theilnahme beweisen, welche das Unglück Zürich's in politischen Kreisen weckte, so lassen zahlreiche an die Witwe des Reformators, Anna Reinhard, gerichtete Briefe erkennen, mit welchem unaussprechlichen Schmerz der Tod desselben die Herzen der Freunde erfüllte. Es ist rührend zu sehen, wie diese Letzteren, aus Nah und Fern, sich bemühen, der tiefgebeugten Frau Trost zu spenden, sie, die selber des Trostes so sehr bedurften. Diese Briefe, wahre Muster in ihrer Art, welche sowohl ihren Verfassern als dem vielbetrauerten Todten zur Ehre gereichen, können leider ihres Umfangs halber nicht vollständig hier wiedergegeben werden. Mögen einige Auszüge genügen.

Hans Baumann, Pfarrer zu Altstetten bei Zürich, erhebt die an Verzweiflung grenzende Klage: „O meines Leidens! Daß ich den Tod derer erleben mußte, die mich dauern, und deren Fall mich tiefer ängstigt als eigenes schweres Elend! Ach Gott! du hast mir nicht Freunde, sondern Väter genommen. O du unselige Wahlstatt! auf dich falle weder Regen noch Thau, die du ihr Blut getrunken hast!“ (1. Nov.) 4)

Männlicher ist in seinem Schmerz Simprecht Schenk, der Reformator von Memmingen, wenn er am 9. November schreibt: „Ich sollte Euch trösten, und kann es nicht, denn Gott allein vermag's. Wenn ich gedenke, daß solche Leute, wie mein hochliebster. Zwingli, uns entrissen worden, so möchte mein Herz mir brechen. Tröstete mich das heilige, wahrhafte Evangelium nicht, so könnte ich's nicht ertragen. Weil ich aber gewißlich weiß, daß, wie niemand lebendig macht, also auch niemand tödtet, als der Herr, und allein wann, wie, wo und durch wen er will, und seinem Willen niemand Einrede thun mag noch soll, so muß ich den Finger auf den Mund legen, schweigen und den Herrn loben in seinen Werken, denn sie sind Recht und Gerechtigkeit, voll Barmherzigkeit und Güte. Er, der ohne sein Vorwissen keinen Sperling in ein Garn und kein Härlein von unserm Haupte fallen läßt, wie hätte Er mögen vergessen Eures über Gold und Edelgestein edlen Mannes, der sich in seines Gottes Geschäften so ritterlich und allweg unverzagt, auch bis in den kalten Tod gehalten? Was kein Mensch gegen seinen Knecht, wie sollte es Gott thun gegen seinen so theuren Diener? - Haben Viele sich an Christi Tod geärgert, so ist es kein Wunder, wenn über Zwingli's Fall mancherlei scharfe Urtheile sich erheben werden, auch von Etlichen, die sich evangelisch nennen. Die Welt sieht eben nur auf das Sichtbare, der Glaube aber auf das Unsichtbare. Im Sichtbaren sind viele Gottes-Feinde, in mancher Schlacht, auch in dieser, mit den Frommen einerlei Todes gestorben, verblutet und erstarrt. Im Unsichtbaren sind die, welche um der Wahrheit willen ihr Leben geopfert, durch den leiblichen Tod in's ewige Leben eingegangen. Wer an Christum glaubt, hat das ewige Leben. Wenn mein Zwingli aber geglaubt, bezeugen seine Bücher, die bis an den jüngsten Tag reden werden, lauter und gewaltiger als des Hussen Blut. Nein, wir haben ihn nicht verloren. Wenn Ihr Euern Zwingli nicht mehr im Hause, bei den Kindern, bei Euch, auf der Kanzel, in der Lektion, bei den Gelehrten leiblich findet, so seid nicht zu viel traurig, sondern bedenket: er sei im Hause Gottes, dem triumphierenden Jerusalem, bei allen Kindern Gottes … Mußte nicht eben da, wo Christus gekreuzigt, sein Evangelium ausbrechen, nach dem Spruch der alten Lehrer: Der Gläubigen Blut ist der Gläubigen Same? Ist nicht Hussens Asche zu Konstanz nach hundert Jahren aufgegangen? So wird auch der Tod unsers Zwingli wuchern. Mag es sein, daß Etliche zu viel auf ihn gehofft und auf seine persönliche Gegenwart gebaut, und daß mein liebes Zürich sich solcher trefflicher Männer überhoben hat, so ist es auch Gnade von Gott, wenn er uns jetzt demüthigt.“ 5)

An diesen Trostbrief reiht sich derjenige des Augsburger Predigers Michael Keller an: „Wahr ist es, daß hienieden auf Erden kein Besserer hat sterben können, als Euer Ulrich. Aber ich weiß, daß sein Sterben, ja gerade die Art seines Todes, uns und Allen zum Besten dienen wird. Nicht bloß mit seiner Lehre und seinem ganzen Leben hat er dem Vaterland gedient, sondern indem er auch für dasselbe seinen Leib daran gesetzt und sein Blut verspritzt hat. Sein Tod wird noch herrlichere Früchte bringen als sein Leben. Es wird M. Ulrich größer nach seinem Tod, denn er in Leben gewesen ist (I. Petri 4, 13-19). Zwingli lebt in viel tausend Herzen und wird unvergeßlich sein.“ (11. Nov.) 6)

Bald darauf, am 18. November, wurde in das Trauerhaus ein anderes Schreiben gebracht, welches von dem mit der Zwingli'schen Familie eng befreundeten Capito, Probst zu St. Thomas in Straßburg, herrührte. Auch dieser trauert über „den großen Schaden, der allen Kirchen zugefügt worden zu einer Zeit, wo die Freunde des Evangeliums täglich noch Schwereres befürchten mußten“, mahnt aber auch die Witwe des Reformators in ihrem Leid zu bedenken, wie viel Ursache sie habe, Gott zu loben, der ihr einen solchen Gemahl gegeben, „welcher nach seinem Tod bei allen Frommen geehrt und unvergeßlich bleiben wird und dessen Name ihren Kindern zu Nutz kommen soll“. 7)

Bucer schrieb seinerseits an Zwingli's Witwe: „Die Gnad und trost unsers Herren Jesu Christi mit allem das ich ymmer liebs und guts vermag zuvor. Ersame, christliche, liebe Fram. Wie euch anlige und truke der erschröklich fall gemeyner Christenheyt, verlust des so theuren dieners Jesu Christi unsers herren, ewers getrüwen gemahels, mögen wir by uns selb und allen gutherzigen, umb die wir sind und die uns auch täglich klagen, wol abnemen. Wie wöllen wir ym aber thun? Der Herr hat uns gestraffet, und wir habens vil zu wol verdienet. Unserm allerliebsten herren und bruder hat er ruw, uns zur besserung ursach geben wöllen. Er verlasse gnade, das sölichs by uns angehe. Euch, liebe Fraw und schwöster ym herren, bitt ich uffs ernstlichst, wöllent uns verstendigen, worzu wir Euch und den armen wayslin möchten berathen und beholfen syn; daryn wöllen wir uns uffs getrewlichst bewysen.“

„Der brieff halb so ir von uns an Euren getrewen gemahel unsern liebsten herren und bruder noch habet, bitt ich, wöllents nur durchs feur abweg thun, dann obwol etwan manches on ergerniß von meniglich möchte gelesen werden, so sind doch auch darunder, die man unrecht deuten möchte, ob wir wol nichts dann Gottes Eer gesucht und gemeynet haben. Der allmechtig Gott und Vatter alles trostes wöll euch selber trösten und sterken, damit ir dis so schwere creutz ertragen könnt, und alle sachen zum besten anschicken. Uns habt yr mit allem unsern vermögen Euch und den Euren zu dienen bereyt und geneygt. Datum Straßburg uff den 28. November. Martin Bucer, der ewer im herren.“8)

Es waren dies jedoch nicht die einzigen Zeichen inniger Theilnahme und Freundschaft, welche von den guten Nachbarn aus dem Elsaß kamen. In älteren Geschichtswerken 9) werden noch mehrere jetzt unauffindbare Briefe erwähnt, von dem Domprediger Kaspar Hedio und von Matthäus Zell, dem Pfarrer der Münstergemeinde. Die in Schrift wie in Rede gewandte Ehefrau des Letzteren richtete gleichfalls ein eigenhändiges Schreiben an ihre unglückliche Mitschwester. Sie, die zwei Jahre zuvor sich so glücklich geschätzt, die schweizerischen Reformatoren auf der Durchreise nach Marburg in ihrem Hause gastlich empfangen und „den Heiligen Gottes die Füße waschen“ zu dürfen, die auch an ihrem späten Lebensabend für das Andenken Zwingli's gegen die Verunglimpfungen der Lutheraner tapfer eintrat,10) Katharina Zellin, schrieb jetzt von Zwingli: „Ist er gestorben, so ist er als ein Christenheld gestorben, und die ihn geschändt und verbrennt, werden deß brennen. Ich hab' ihn lieb und werth geacht und noch.“11)

Aehnliche Gefühle thun sich in den überaus zahlreichen Epitaphien kund, deren oft überschwänglicher Ton auf den Geschmack der Zeit zurückzuführen ist. Das eine dieser Gedichte hat einen Elsässer, den geschätzten Sapidus aus Schlettstadt, zum Verfasser; ein anderes den früheren Vikar Zell's, Wolfgang Musculus, aus Dieuze in Lothringen.12)

Hieher gehört auch das Schreiben Bucer's an Margaretha Blaurer in Konstanz vom 23. Oktober: „Die gnad des Herrn und alles guts zuvor, christliche liebe jungfraw und schwester. Nun ist es bettens zyt. Das hieß gefallen! Wo die gewaltigen Züricher, wo die große mechtigen Berner, wo der groß huff ym Thurgaw und anderswo, wo unsere bestendigen styffen lieben nachpern die Basler? Ey gon himmel, gon himmel gilt es nu sehen. Galt vor auch. Wyr namen aber dennoch die leyter zu gut. So soll man die Evangelischen reysig machen, so kriegen die waren Christen. Wolan, herr, nit uns, sonder dynem namen gib die eer, loß die heyden nit ymer sagen: wo ist yr Gott? Haben wyrs schon nit recht angriffen, so haben wyrs doch recht gemeint, und ob wyrs schon auch nit ganz recht gemeynt haben, so meynen wir doch, wyr habens recht gemeynt. Mit wyssen wollten wir doch ungern dem herrn zuwider seyn. … Es soll noch Gott nach disem wetter auch wieder lossen die sonnen schynen syner vetterlichen gnad und güte, Wyr hie wollen fester den eysen und stahel syn. Aber wie lang? Byß der herr den wind loßt wegen der bey den Schweißern geweget hat, als dann so wöllen wir eer zerfließen wie anken an der sunnen … der herr sye mit euch. M. Bucer, der ewer ym herrn.“

1)
Zürch. Staatsarchiv, in Strickler's Aktensamml. zur schweiz. Reformationsgesch. IV, S. 125.
2)
Ibid., IV, S. 133.
3)
Ibid., IV, S. 230.
4)
Hottinger, Historia ecclesiastica, VI, 675. Heß, Anna Reinhard, S. 170.
5)
Hottinger, Hist. eccl. VI, 667.
6)
Ibid., VIII, 396.
7)
Ibid., VI, 666.
8)
Original im Kirchenarchiv von Zürich (coll. Simmler). Die Abschrift ist mir durch Herrn Dr. H. Escher gütigst vermittelt worden.
9)
Hottinger, Hist. der Reformation (1708) S. 615. Heß, Anna Reinhard, S. 152.
10)
Briefwechsel mit Rabus (1557) in Füßli's Beiträgen, V, 191 ff.
11)
Baum, Capito und Bucer, S. 482.
12)
Hottinger, Hist. eccl. VI, 677. - „Der armen Frow Zwinglin Klag“ dichtete bekanntlich Usteri auf die dritte Jubelfeier der zürcherischen Kirche im Jahr 1820.
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