Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - Vorwort

Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - Vorwort

Vom 1. bis 5. Oktobertag, vor 350 Jahren, bot die Stadt Marburg in Hessen einen Anblick dar, welcher für unsere Zeit befremdend wäre. Ein weltlicher Fürst, der Landgraf Philipp, hatte daselbst die Väter und Begründer der evangelischen Kirchen in Deutschland und in der Schweiz, Luther und Zwingli nebst ihren hervorragendsten geistigen Mitarbeitern, zu sich auf sein festes Schloss zu einem „Gespräch“ eingeladen.

Und welches war der Gegenstand dieses Gesprächs? Eine theologische Frage, die Lehre vom heiligen Abendmahl, die seit Jahren diese Männer und ihre Kirchen entzweite.

Der Landgraf von Hessen hoffte, dass eine persönliche Verhandlung zwischen den streitigen Gottesgelehrten eine Aussöhnung herbeiführen würde.

Gewöhnlich, wenn man auf den Wandbildern Luther, Zwingli, Melanchthon und Andere so einträchtlich beisammen sieht, ist man geneigt zu glauben, dass dem auch also in Wirklichkeit gewesen. Wer aber die Geschichte kennt, der weiß, dass die Reformatoren Deutschlands und der Schweiz gerade in dem Punkte nicht übereinstimmten, welcher, wie man meinen sollte, für alle Bekenner Jesu als der rechte Einigungspunkt anzusehen ist. Wer kennt nicht das schöne Lied Zinzendorf's:

Der du noch in der letzten Nacht,
Eh' du für uns erblasst,
Den Deinen von der Liebe Macht
In's Herz geredet hast:
Erinn're deiner Gläub'gen Schar,
Die sich so leicht entzweit,
Dass deine letzte Sorge war
Der Glieder Einigkeit.

Warum wollen wir in unsern Tagen, wo es des Haders in der Kirche genug gibt, auch noch die Erinnerung an jene alte theologische Fehde auffrischen, und die Hauptszene dieses Trauerspiels, wie man das Marburger Religionsgespräch genannt hat, unsern Lesern vor die Augen führen?

Weil die Geschichte die Lehrmeisterin der Völker ist, und es für Manchen von Nutzen sein kann, zu erfahren, welches die religiösen Vorstellungen unsrer Vorfahren waren, und durch welche Schrift- und Vernunftgründe sie dieselben zu beweisen und gegen abweichende oder gegnerische Ansichten zu verteidigen suchten. Das 350ste Gedächtnisjahr der Marburger Verhandlungen bietet uns dazu eine passende Gelegenheit.

Ein volles Dutzend von Berichten, die von Augen- und Ohrenzeugen herrühren, liegen vor. Wir schließen uns in unserer Schilderung aber hauptsächlich an die noch ungedruckten Mitteilungen an, welche die beiden Straßburger, Kaspar Hedio und Martin Butzer, über das Gespräch hinterlassen haben, weil ihre Berichte am wenigsten bekannt sind und es für unsre elsässischen Leser ohne Zweifel von Interesse sein wird, zuverlässige Stimmen aus dem Elsass selber zu vernehmen. Am meisten kommt hier das Tagebuch in Betracht, welches der Domprediger am hiesigen Münster, Dr. Hedio, unter dem anspruchslosen Titel: „Reise von Straßburg nach Marburg, in Sachen des Abendmahls“, in lateinischer Sprache verfasst hat1).

1)
Dieser Bericht, welcher in einer nicht weniger als 12 eng geschriebene Folio-Seiten umfassenden Abschrift, von Oseas Schadäus Hand, auf der ehemaligen Bibliothek des protestantischen Seminars in Straßburg aufbewahrt wurde, wäre durch den Brand von 1870 für uns verloren, wenn nicht Hr. Prof. Baum dieses Dokument, wie so viele andere, zur Zeit hätte abschreiben lassen. Diese Kopie von Hedio's: „Itinerarium ab Argentina Marpurgum super negotio Eucharistiae“, befindet sich in der großartigen Sammlung von Briefen elsässischer Reformatoren, welche unser unvergesslicher Lehrer als ein Vermächtnis von unschätzbarem Wert der hiesigen Landes- und Universitätsbibliothek hinterlassen hat.
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