Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - Schluss.

Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - Schluss.

Man hat sich gefragt, ob der Ausgang der Marburger Tage ein anderer gewesen wäre, wenn die herrschende Pest nicht zur Eile und zum Abschluss gemahnt hätte, so dass „die Sache zu kurz erörtert wurde“. Wir glauben es nicht. Melanchthon hatte gewiss Recht, wenn er behauptete, dass „die Gemüter zu beiden Teilen des Sieges zu viel begierig gewesen seien“. Es ist nur allzu wahr, dass Luther von Natur keinen Widerspruch ertragen konnte und seine Abneigung gegen Zwingli, den Ausländer, nie überwunden hat. Letzterer war aber der Mann nicht, der sich durch einen Anderen, er mochte geistig noch so groß sein, einschüchtern ließ; in oft derber und schonungsloser Weise hatte Zwingli seinen Gegner schon seinen Widerwillen fühlen lassen.

Allein die Ursache des Misslingens der in Marburg gepflogenen Unterhandlungen lag noch tiefer. Sie ist darin zu suchen, dass dort zwei scharf ausgeprägte Überzeugungen sich gegenüber standen, und Männer auf einander stießen, die aus ganz verschiedenen Lebensbeziehungen hervorgetreten und eine ganz andere geistige Entwicklung durchgemacht hatten. Luther war in einer unbegrenzten Ehrfurcht vor dem allerheiligen Sakrament aufgewachsen und verblieb darin sein Leben lang; ihn verließ nie eine tiefe Pietät gegen das Althergebrachte und durch Erfahrung ihm Liebgewordene. Auf's Lebhafteste empfand er stets ein Bedürfnis nach etwas Geheimnisvollem in der Religion, und nach einem gewissen Pfand der Sündenvergebung; dies Zeichen und Pfand glaubte er aber sonst nirgends zu finden als im Abendmahl, in der Gegenwart des wahren Leibes und Blutes. Dazu kam noch eine eigentümlich gestaltete Auffassung der Person des Erlösers, welche in der Lehre von der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi gipfelte. - Zwingli's religiöse Grundanschauung hingegen war eine mehr nüchterne, aller Zauberei und allem Aberglauben in den kirchlichen Handlungen abhold. Die Gewissheit des Heils fand er in der unbedingten Gnade Gottes und bewies überhaupt in der Behandlung der heiligen Schrift mehr Verständnis und einen richtigeren Sinn. Es war in der Tat ein anderer Geist1)). Gleichwie der deutsche Reformator acht Jahre früher zu Worms mit den Worten aufgetreten war: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders,“ so hatte er vor der Reise nach Marburg erklärt: „Ich weiß das wohl, dass ich ihnen schlecht nicht weichen werde, kann auch nicht, weil ich so ganz für mich gewiss bin.“ Auch Zwingli konnte und wollte nicht anders als der Wahrheit, wie er sie erkannt hatte, die Ehre geben. Es schien demnach wie die Forderung einer geschichtlichen Notwendigkeit gewesen zu sein, dass man sich nicht verständigte.

Es ist dies immerhin tief zu bedauern. Wir wollen uns nicht daran aufhalten, dass die römische Kirche eine wohl begreifliche Schadenfreude darüber empfand, dass ihre Widersacher nicht hatten einig werden können. Einer ihrer Theologen, der durch seine groben Streitschriften bekannte Cochläus, goss seinen Spott über „die zehen armen Butzer2)“ aus, „die in Uneinigkeit von einander geschieden seien und doch meinten, sie wollten die Welt erobern“. Ein eben so unschädlicher als wohlfeiler Witz. Viel bedenklicher war es, dass das Bündnis der Evangelischen nicht zu Stande kam gerade in der Zeit, wo denselben von Außen her größere Gefahren droheten. Die Teilnehmer des Marburger Gesprächs waren noch nicht in ihrer Heimat angekommen, als Karl V. die Gesandten der deutschen Reichsstände und Städte, welche ihm die Speierer Protestation überbrachten, in Placenz schimpflich behandelte und verhaften ließ, und somit auf das Unzweideutigste seine Gesinnung gegen die „Ketzer“ zu erkennen gab. Der Frieden war bereits mit Frankreich geschlossen. Kurz darauf kam ein Vertrag zwischen dem mächtigen Kaiser und Venedig zu Stande. Im Februar 1530 empfing Karl V. die römische Krone aus den Händen des Papstes und leistete den Schwur, dass er der katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt alle ihre Besitztümer, Ehren und Rechte verteidigen wollte. Dies Alles verhieß nichts Gutes für die Protestanten. Endlich ist es leicht einzusehen, dass durch das Scheitern des ernsten Vereinigungsversuchs in Marburg alle späteren Bestrebungen ähnlicher Art erschwert wurden. Noch lange Jahre hindurch verbrauchte man leider eine kostbare Kraft im unseligen Abendmahlsstreit.

Wer wollte aber verkennen, dass das Gespräch zu Marburg auch gute Früchte getragen hat? Es führte einen Waffenstillstand herbei und der Bruch zwischen Evangelischen und Evangelischen wurde einstweilen noch verkleistert. Zudem kam in den Marburger Vergleichs-Artikeln die Zusammengehörigkeit des deutschen und des außerdeutschen Protestantismus zum ersten Mal zum Ausdruck. In diesen Artikeln, welche auf dem am 16. Oktober 1529 zu Schwabach gehaltenen Konvent umgearbeitet wurden und den Grundstock der Augsburgischen Konfession bildeten, ist im Wesentlichen ein Glauben und ein Bekenntnis ausgesprochen, durch welches Lutheraner und Reformierte gegen die gemeinsamen Feinde, Rom und die Sekten, Front machten.

Der Landgraf konnte schreiben: „Wir sind allesamt Eins im Glauben und bekennen Einen Christum,“ und Zwingli: „Auch diese gute Frucht haben wir von diesem Kolloquium getragen, dass, nachdem wir in den übrigen Lehren der christlichen Religion uns geeinigt, die Päpstler sich keine Hoffnung mehr machen dürfen, Luther werde zu ihnen zurücktreten.“ Auf der andren Seite musste man anerkennen, dass Zwingli sich entschieden von den „Rottengeistern“ und Wiedertäufern losgesagt hatte.

Das Gespräch brachte den Reformierten noch einen anderen Nutzen; ihre Lehre, weil sie bekannter wurde, machte von nun an raschere Fortschritte in Deutschland. Wenn der Landgraf Philipp, am Schlusse des Gesprächs, sagte: „Nun will ich den einfachen Worten Christi mehr glauben als den spitzfindigen Erklärungen der Menschen,“, so war dies offenbar zu Gunsten der Schweizer und der Straßburger gemeint, deren Ansichten dem Fürsten natürlicher und fassbarer erschienen. Er ersuchte sogar Zwingli nach Marburg überzusiedeln und daselbst die kirchliche Organisation Hessens in die Hände zu nehmen.

Von den Theologen, welche für die reformierte Lehre gewonnen wurden, nennen wir, unter Anderen, Lambert von Avignon, der früher unter dem Einfluss Luther's stand, jetzt aber an einen Freund in Straßburg schrieb: „Ich hatte mir fest vorgenommen bei der Erforschung der Wahrheit auf dem Gespräch zu Marburg nicht darauf zu achten, was Dieser oder Jener sagte, sondern darauf, was vorgebracht würde, ohne irgend eine Vorliebe für den Einen oder den Andern. Weg mit allen Menschen, weg mit Luther, damit sie dir nicht ein Hindernis der Erkenntnis seien, welche nur von Gott allein kommen soll… Ich wollte sein wie ein weißes unbeschriebenes Blatt, auf welches der Finger Gottes allein seine Wahrheit verzeichnen sollte. Er hat nun die Lehren, die Zwingli aus dem Worte Gottes entwickelte und verteidigte, in mein Herz geschrieben.“

Ebenso wurden die Straßburger Prediger durch den näheren Umgang mit den Schweizern und mit dem Landgrafen in ihren Ansichten gestärkt, die sie nun auch, zum großen Ärger der Anhänger Luther's in ihrer Stadt, unverhohlen vor dem Volk in Schrift und Wort aussprachen3). Sie gaben deshalb ihr Unionswerk nicht auf.

Allein in den Bestreben die Lehrunterschiede zu mildern, selbst auf Unkosten der Klarheit und Wahrheit, bereiteten sie, ohne es zu wollen, in Straßburg den Boden, auf dem das Luthertum Wurzel fassen und sich entfalten konnte. Während die geistlichen und weltlichen Vertreter der Stadt, auf dem Augsburger Reichstag von 1530, noch ihr Sonder-Bekenntnis, die Tetrapolitana, aufstellten, worin sie von der lutherischen Abendmahlslehre abwichen, so vollzog sich in den folgenden Jahren, hauptsächlich aus politischen Rücksichten, zuerst der äußerliche Anschluss an die lutherische Kirche und sodann die innere Umwandlung in Lehre und Leben.

Der Geist der Wahrheit lässt sich aber nicht dämpfen.

Wer weiß nicht, dass auch bei uns in Stadt und Land die reformierte Auffassung vom Abendmahl wieder aufgekommen ist und täglich um sich greift. Unaufhaltsam wächst die Zahl derjenigen, denen sowohl das religiös erleuchtete Gewissen als eine bessere Schrifterkenntnis die ernstlichsten Bedenken gegen die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl eingeflößt hat, und die nunmehr in dieser heiligen Handlung nichts anderes erblicken, als die dankbare Feier des Todes Jesu durch die Gemeinde, verbunden mit dem heiligen Gelübde, ihm zu leben und einander als Glieder Eines Leibes zu lieben. Diese freieren Christen haben sich mit ihrem Vorkämpfer Zwingli einfach gefragt: „Geist und Essen, wie reimt sich dies?“ und stimmen dem so schönen und wahren Ausspruch Oecolampad's bei: „Die echte Speise der Menschen ist die Erkenntnis der Wahrheit.“

In dem Fortgang der Jahre näherte sich Melanchthon selber der reformierten Ansicht vom Abendmahl, und auch Luther ward milder, obgleich er seinen Standpunkt nie aufgab. Bemerkenswert ist eine Mitteilung, welche Melanchthon eines Tages zwei vertrauten Freunden machte, und die, nach dem eigenhändig aufgesetzten und eidlich beteuerten Zeugnisse des einen Ohrenzeugen, des Predigers Hardenberg, folgendermaßen lautet: „Ehe Luther nach Eisleben zog, wo er starb, hat er Melanchthon zu sich gefordert und ihm gesagt: „Lieber Philipp, ich muss bekennen, in der Sache des Abendmahls ist viel zu viel getan.“ Melanchthon antwortete: „Herr Doktor, so lasset uns eine Schrift stellen, dass die Sache gelindert werde, dass die Wahrheit bleibe und die Kirchen wieder einträchtig werden.“ Darauf Doktor Luther: „Ja lieber Philipp, ich habe oftmals daran gedacht, aber so würde die ganze Lehre in Verdacht kommen; ich will's dem allmächtigen Gott befohlen haben. Tut ihr auch etwas nach meinem Tod.“

Was die einzelnen Menschen nicht tun, das vollzieht die Zeit. Die Gegensätze mildern sich; die evangelische Wahrheit dringt siegreich durch. Wir gehen einer Zukunft entgegen, wo auch dieser Lehrstreit, wie so mancher andere, geschlichtet und klarer erkannt werden wird, dass das Wesen des Christentums in keiner vermeintlichen Rechtgläubigkeit, sondern in einem wahren lebendigen Glauben und in einem geheiligten Wandel bestehe, und dass, über den einzelnen Lehren, es hauptsächlich auf das innere Leben in Gott durch Christum ankomme.

Wird nicht auch wahre Duldsamkeit gegen Andersdenkende als die reife Frucht einer solchen besseren Erkenntnis hervorgehen?

Deutschlands großer Reformator würde heute, wir glauben es fest, die Bruderhand nicht mehr verweigern, sondern seine Stimme mit derjenigen Zwingli's, des einstigen Gegners, vereinigen, wenn dieser, in seinem Gebet um Frieden, mahnt, die Kräfte nicht im Streite zu missbrauchen, sondern sie mit ganzem Ernste auf das Werk der Heiligung zu verwenden.

Frömmigkeit und Frieden, darauf weist ja vor Allem das Mahl des Herrn hin, als die Erinnerungsfeier des für uns erlittenen Kreuzestodes, und die sinnbildliche Darstellung der Geistes- und Lebensgemeinschaft aller Gläubigen in Christo.

1)
Luther war ein altkatholischer Mann, kein modern protestantischer, ungeachtet der größte Reformator. Irgend einen bestimmten Rest von Magie wollte er schlechterdings zurückbehalten im Christentum. (R. Rothe, Kirchengeschichte, Bd. 2, S. 334.
2)
Putzer, eine verächtliche Bezeichnung
3)
Die hinterlassenen Schriften und der Briefwechsel dieser Männer, so wie die Zeugnisse ihrer Gegner erlauben hierüber keinen Zweifel; man sehe, z. B. die Schrift des eifrigen Lutheraners Johannes Pappus, IV. Defensio contra D. Sturmium. 1581. Seite 4; D. Tossanus, Trostschrift. 1578. H. 4, und dessen Verantwortung. 1580. Seite 6; die Straßburger Kirchenordnung. 1598. Seite 22.
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