Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - VI. Der Ausgang der Verhandlungen. Die Entstehung der Marburger Bekenntnisschrift. - Die Heimreise.

Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - VI. Der Ausgang der Verhandlungen. Die Entstehung der Marburger Bekenntnisschrift. - Die Heimreise.

Was sollte der Landgraf unter diesen Umständen anfangen? Er hatte sich vorgenommen, die Theologen nicht zu entlassen „ehe etwas gewisses vom Nachtmahl des Herrn erörtert und beschlossen oder der eine oder der andere Teil überwunden sei“. In Marburg aber herrschte seit einiger Zeit eine aus England kommende pestartige Krankheit, bekannt unter dem Namen „das große Sterben“ oder „der englische Schweiß“, welche Deutschland wie ein Feuer durchstrich und täglich zahlreiche Opfer forderte. Es war deshalb nicht rätlich, so viele ihren Kirchen und Gemeinden unentbehrliche Rüstzeuge noch länger in der schreckenvollen Stadt aufzuhalten. Ehe der Landgraf jedoch dieselben entließ, versuchte er nochmals ob nicht, auf dem anfangs schon eingeschlagenen Wege der Privatunterhandlungen, Etwas zu Gunsten der Eintracht erreicht werden könnte.

Zuerst bot er, am 4. Oktober, seine Gäste einzeln auf sein Zimmer. Stundenlang unterhielt sich der 25jährige Jüngling mit den Männern, welche als die gelehrtesten und die frömmsten ihrer Zeit angesehen wurden, drang in einen Jeden, flehte, mahnte, warnte auch, wie man es nur von einem reiferen Alter erwartet hätte. „Der fromme Fürst, berichtet Martin Butzer, hat alles aufgeboten um die Eintracht unter uns herzustellen, die wir von Gottes- und Rechtswegen bei Anderen die Eintracht zu schaffen verpflichtet sind.“ Die landgräflichen Räte waren in derselben Weise tätig.

Sodann mussten die Theologen mit einander sich besprechen; Luther und Melanchthon traten mit den Schweizern zusammen; Butzer und Hedio mit Brenz, Osiander und Jonas. Als Hedio auch zu Luther gerufen wurde, erinnerte der geschichtskundige Straßburger unter Anderm daran, dass die abend- und morgenländischen Kirchen dereinst, trotz ihrer Spaltung, zum Zeichen der Gemeinschaft sich das Brot der Eucharistie zugesandt hatten. „Ihr vergesset,“ antwortete Luther, „dass der gegenwärtige Händel unendlich größer ist.“ Über seine Unterredung mit Melanchthon teilt Hedio mit: „Wenigstens sagte und tat dieser, als ob er's versuchen wollte die Sache zur Vereinigung zu bringen.“

Als die Schweizer und die Straßburger darum baten, dass man sie als Brüder, d. h. als Glieder einer Kirche annehmen und halten möge, wie sie selber zu tun sich bereit erklärten, wies sie Luther unerbittlich ab, obendrein noch höhnisch erklärend: „es nehme ihn Wunder, dass sie ihn, dessen Lehre vom Sakrament sie für falsch hielten, als einen Bruder erkennen wollten. Sie müssten wohl selbst nicht viel auf ihre Lehre halten.“ Er wollte ihnen wohl Liebe und Freundschaft gewähren, keineswegs aber Brüderschaft oder kirchliche Gemeinschaft, woran, als Vorbedingung des erstrebten politischen Bündnisses, es den Oberländern gerade am meisten gelegen war. „Lieber Herr Käth, schrieb Luther an seine Ehefrau, wisset, dass unser freundlich Gespräch ein Ende hat. Heute handelt der Landgraf ob wir könnten eins werden, oder doch gleichwohl, so wir uneins bleiben, dennoch uns als Brüder und Christi Glieder unter einander halten. Da arbeitet der Landgraf heftig. Aber wir wollen des Brüderns und Glieders nicht, friedlich und gut wollen wir wohl.“ Doch hören wir auch was Martin Butzer, in einem Brief an den Constanzer Prediger Blaurer, über diese Angelegenheit Merkwürdiges berichtet: „Es hat dem Herrn gefallen, dass Luther und die Seinen, ich weiß nicht von welchem Geist getrieben, keine andere Eintracht mit uns haben wollten, als sie mit den Türken und Juden haben; dass es dahin kam, dazu hat Melanchthon beigetragen, indem er vor allen Andren auf das Hartnäckigste gegen uns schürete. Als Luther einmal drauf und dran war, die Hand zu reichen, hat er ihn sofort zurück gezogen. Philippus ist eben dem Kaiser und Ferdinand hold.“ Dass Melanchthon die Gunst Karls V. und des Königs Ferdinand einer Aussöhnung mit den schweizerischen Republikanern bei weitem vorzog, und zwar, wie er glaubte, im Interesse des deutschen Protestantismus, das wusste der scharfsinnige Straßburger Prediger wohl; er stand deshalb auch nicht an, Melanchthon für das Misslingen der Unterhandlungen verantwortlich zu machen. Ein tiefer Schmerz erfüllt seine Seele so oft er daran zurückdenkt, welche Rolle dieser Mann, in dem er sonst „ein ausgezeichnetes Werkzeug Gottes“ erblickte, in Marburg gespielt hat. „Denn, fragt er, was kann ärger sein, als der Eintracht der Kirche also zu widerstehen, wie Melanchthon zuerst auf dem Reichstag zu Speier, dann in Marburg getan hat. Gott gebe ihm einen besseren Geist!1)

Beim gemeinschaftlichen Mittagsmahl wiederholte der Landgraf seine Friedensermahnungen. Luther sprach vor und nach der Mahlzeit das Gebet; „arme Schüler“ standen nach damaliger Sitte um die Tische herum und antworteten mit einem deutschen Vater-Unser. Als man an die Bitte kam: „Geheiligt werde dein Name!“ setzte Luther hinzu: „und dass unser Name für Tausend Teufel verdammt werde!2))“ Die Wittenberger wünschten, dass Hedio einige Zeit in ihrer Stadt zugebracht hätte. Es folgte mancherlei Unterhaltung, z. B. über die Gelehrten und wer der Gelehrteste in der Versammlung sei. Melanchthon sprach von Plato und den Philosophen, Luther von der Einfalt der Kinder; er war ziemlich heiter. Als von Erasmus, dem gelehrten Gegner der Reformation, die Rede war, meinte Luther: Erasmus würde im Tod verzweifeln. Gleich nach dem Essen kam Fürstenberg, der das Wort anführte: der Mensch wird durch den Glauben und nicht durch die Werke gerecht. Einer der Gäste erinnerte an das Sprichwort: „der ist ein feiner Mann, der aus Holder Abbrechen3) machen kann“, damit wollte er wahrscheinlich sagen, wie schwer es sei Theologen verschiedener Meinung unter einen Hut zu bringen.

Der Landgraf hatte dies ja zur Genüge erfahren müssen. So dürften aber dennoch, erklärte er, seine Gäste nicht auseinander gehen und damit die Zusammenkunft nicht ganz unfruchtbar sei, ergriff er noch in der Letzten Stunde ein Mittel, welches die Schweizer ihm angeraten hatten, es sollte nämlich „zur Verhütung weiterer Irrtümer und Uneinigkeit“ eine gemeinsame Bekenntnisschrift aufgesetzt werden.

Luther, dem diese Arbeit übertragen wurde, setzte sich an dieselbe mit den Worten: „Ich will die Artikel auf's Allerbeste stellen, sie werden sie doch nicht annehmen.“ Er täuschte sich, denn die 15 Vergleichs-Artikel, die er in deutscher Sprache verfasste, wurden noch an demselben Tage, nach einigen wenigen Wortveränderungen und Erläuterungen, von Allen angenommen und unterschrieben und erschienen am anderen Tage schon im Druck. Butzer sagte zwar später: „Wir würden, wenn wir die Feder geführt hätten, Manches anders ausgedrückt haben,“ aber so groß war die Friedensliebe der Oberländer, dass sie in manchen Punkten sich fast zu nachgiebig zeigten. Es kam ihnen wenig an auf die menschliche Form und Ausdrucksweise, in welcher göttliche Wahrheiten gefasst werden sollten.

Die 14 ersten Artikel, über welche man sich verständigte, handelten von der Dreieinigkeit, von der Erbsünde, dem Glauben, der Rechtfertigung, dem Worte Gottes, der Taufe, usw. Die Abweichungen von dem römischen Bekenntnis und von den wiedertäuferischen Sekten wurden sorgfältig vermerkt; ein 15ter Artikel aber, das Abendmahl betreffend, ließ die ganze Verschiedenheit der Auffassung unter ihnen selbst bestehen. Man war darin einstimmig, dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi geistlich genossen werde, aber nicht in der Frage, „ob Christus auch leiblich im Brot und Wein sei“. Die Einigung hierüber sollte der weiteren Erleuchtung durch den heiligen Geist überlassen bleiben.

Der großmütige Fürst war es, der es noch durchsetzte, dass in diesen Artikel der Satz aufgenommen wurde: „Ein Teil soll gegen den anderen christliche Liebe erweisen.“ Die sächsischen Theologen aber begehrten die Bedingung hinzuzufügen „so viel es das Gewissen eines jeden erlauben kann“, und obgleich der Landgraf inständig bat, dass man diese Worte weglasse, weil ja keines Christenmenschen Gewissen darin etwas Bedenkliches finden könne, christliche Liebe zu erweisen, bestanden sie hartnäckig auf ihrer Forderung.

Beide Teile gelobten in Gegenwart des Fürsten, nichts gegen einander zu schreiben ohne gegenseitige Mitteilung und Bewilligung, den Frieden zu lieben, zänkisches Wesen und Ärgernis zu verhüten. Dies war auch Alles, was erreicht wurde, und half wenig, denn nur zu bald begann wieder das „heftige und scharfe Schreiben“.

Die Zeitgenossen, scheint es, hatten sich die Zusammenkunft der Theologen viel sturmvoller erwartet; sie würden sonst nicht hervorgehoben haben, wie leutselig das Gespräch verlief, wie man keine andere Anreden vernahm als: Liebster Herr, Ew. Liebden, und wie von einer Spaltung oder Ketzerei kein Wort erwähnt wurde, so dass man hätte meinen sollen, Luther und Zwingli wären Brüder, und nicht Widersacher. Nur einer der Berichterstatter nennt das Gespräch einen sehr hitzigen Kampf.

Bemerkenswert ist das Urteil, welches ein Anhänger Luther's über die Teilnehmenden abgibt: „Um Zwingli ist etwas bäurisches und stolzes; Oekolampad ist von besonders gutem und freundlichem Gemüt; Hedio hat nicht minder Freundlichkeit und guten Kopf; Butzer hat verschlagene Fuchsart; sie sind alle gelehrte Leute.“

Am 5. Oktober reichte man sich freundschaftlich die Hand zum Abschied, woraus wir aber nicht schließen dürfen, dass die Gemüter ausgesöhnt waren. In früher Morgenstunde ritt der edle Fürst von seiner Bergfeste herab und verließ Marburg, mit dem schmerzlichen Gefühl in der Seele, dass er um eine große und schöne Hoffnung ärmer geworden. In Wittenberg zurückgekehrt, unterdrückte Luther so gut er konnte seinen Missmut, und rühmte nachher in einer Predigt und in Briefen, dass seine Gegner sich unglaublich gedemütigt hätten und widerlegt worden seien. Die Letzteren schrieben sich gleichfalls den Sieg zu. Der Graf Wilhelm von Fürstenberg gab den Oberländern das Geleit bis hinauf gen Straßburg. Diese durch Herzens- und Geistesgemeinschaft verbundenen Männer besprachen sich auf der achttägigen Reise noch viel darüber, wie sie nun ferner die Sache des Evangeliums verteidigen und retten möchten. Nach einer Abwesenheit von sechs Wochen und drei Tagen langte endlich Zwingli wieder in Zürich an, wo böse Zungen ausgebreitet hatten, dass der Teufel ihn geholt habe. Bei aller Betrübnis über den Misserfolg seiner Sendung nach Marburg tröstete sich der Gottesmann mit dem Bewusstsein, „dass er rein vor Gott gehandelt habe. Die Nachwelt, hoffte er, wird es bezeugen.“ Zwei Jahre später hauchte er auf dem Schlachtfeld von Kappel seine edle Seele aus.

1)
Briefe Butzer's an Ambrosius Blaurer, vom 18. Oktober 1529, 26. Januar und 4. März 1530 (im Archiv des St-Thomasstiftes).
2)
In derselben ihm eigenen Weise äußerte sich Luther ein anderes Mal: „Ich bitte, man wolle meines Namens geschweigen, und sich nicht Lutherisch, sondern Christen heißen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein; wie käme denn ich armer Madensack dazu, dass man die Kinder Christi sollte mit meinem heillosen Namen nennen. Nicht also. Lasset uns tilgen die parteiischen Namen, und Christen heißen.“ (Treue Vermahnung an alle Christen. 1522. Luther's Werke, Ausgabe Walch, Bd. X, Seite 420.
3)
Das heißt Lichtputzen, zum Abbrechen des Dochts.
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