Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - V. Der zweite Gesprächstag. - Der Anteil der Straßburger.

Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - V. Der zweite Gesprächstag. - Der Anteil der Straßburger.

Mit einem Mut und einer Beharrlichkeit, die nicht anders als bewundert werden können, nahm man das Gespräch, Sonntags den 3. Oktober, wieder auf. Neue Beweisgründe von Bedeutung kamen jedoch nicht vor; waren doch die Meisten in dem Federkrieg, der seit Jahren währte, beiderseits schon vorgebracht worden.

An den Schluss der vorigen Diskussion anknüpfend, legte Zwingli dar, dass der Leib Christi begrenzt, folglich an einem bestimmten Ort sein müsse. „Gott kann machen,“ entgegnete Luther, „dass ein Leib, auch mein Leib, nicht an einem Ort sei. Der Himmel, das Weltall ist auch ein Körper, und doch an keinem bestimmten Ort. Die Sophisten (Philosophen) geben mir hierin recht.“

Zwingli: Es steht euch, Herr Doktor, übel an, dass ihr zu den Sophisten fliehen müsst. Der Sophisten achte ich gar nicht. Ob aber der Himmel an keinem Ort sei, das gebe ich den Verständigen zu ermessen…. Was hat übrigens der Himmel mit dem Leib Christi zu schaffen? Beweiset mir, dass der Leib Christi an vielen Orten zugleich sei.

Luther: Damit beweise ich's, dass geschrieben steht: das ist mein Leib. Das Sakrament wird an vielen Orten genossen; da man in demselben nicht allein Brot genießt, sondern den wahren Leib Christi, so ist folglich der Leib Christi an vielen Orten.

Hierauf warf Zwingli seinem Gegner vor, dass er sich in einem Zirkelschluss bewege und seinen Satz durch etwas beweise, das erst noch bewiesen werden müsse. „Ist Christus im Brot, setzte er hinzu, so ist er da als an einem Ort. Da hab ich euch, Herr Doktor!“

Luther: Er sei an einem Ort oder nicht, das befehle ich Gott. Es genügt mir, dass Christus sagt: das ist mein Leib.

Zwingli: Eure Antwort ist ein häderiger1) Zank. Mit demselben Recht könnte ein Streitsüchtiger vorbringen, dass Jesus am Kreuz zu seiner Mutter gesagt hat: „Sieh das ist dein Sohn!“ und würde nicht hören wollen, wenn man ihm auch genugsam erklärte, es sei vom Apostel Johannes die Rede, sondern immer nur schreien: „Nein, nein, ihr müsst mir die Worten bleiben lassen, die lauten dürr und klar: Sieh deinen Sohn, sieh deinen Sohn, sieh deinen Sohn!“ Was ist aber dies für eine Beweisführung? Also tut ihr, Herr Doktor, auch. Sagt uns doch heiter heraus: Ist der Leib Christi an einem Ort?

Der schwäbische Reformator Brenz fiel ein: „Er ist ohne ein Ort.“ Zu derselben Behauptung nahm auch Luther seine Zuflucht.

Oekolampad sprach: „Aus euren Worten, dass der Leib Christi im Sakrament sei nicht als an einem Ort, schließen wir, dass er nicht leibhaftig da ist, nicht als ein wahrhafter Leib, dessen Eigenschaft ist an einem Ort zu sein. Und habt ihr also eure Lehre vom Sakrament selber lätz2) gestellt.“

Hier hieß der Landgraf die Streitenden aufbrechen, um sich an seiner Tafel durch Speise und Trank zu stärken.

Die Diskussion des Nachmittags, an welcher fast nur Luther und Oekolampad sich beteiligten, trug dasselbe Gepräge, wie die vorhergehenden.

Der schweizerische Theolog drang unablässig, aber freundlichst, in Luther, dass dieser ihm doch erklären möge, wie der Leib Christi im Sakrament sei. Wenn nicht räumlich, nicht wie an einem Ort, wie denn? Und rückte somit dem Gegner immer näher auf den Leib.

Luther aber, der nach Marburg mit dem Vorsatz gekommen war „schlechterdings nicht zu weichen“, blieb unbiegsam hinter dem Bollwerk des Buchstabens verschanzt. „Die Schrift sagt nichts gegen uns,“ behauptete er, „und die ganze Christenheit nimmt mit uns an und bekennt: Gott könne außer dem Raum handeln… Wohl ist das Abendmahl das Zeichen eines heiligen Dings; dass es aber ein bloßes Zeichen sei, das ist mir schwer anzunehmen.“

„Das Sakrament ist für uns nicht ein bloßes Zeichen,“ erwiderte Oekolampad, „auch wir nehmen an, dass der Leib Christi in demselben durch den Glauben gegenwärtig sei.“

Man schien hiermit sich um etwas genähert zu haben; klar war es aber nicht. Beide Teile deuteten die Worte in verschiedenem Sinn.

Die Aussprüche der Kirchenväter über das Abendmahl, namentlich diejenigen Augustin's, welche für und wider in reichlichem Maß angeführt wurden, brachten auch nicht mehr Licht in die Sache. „Wir höreten ihnen, erzählt ein Ohrenzeuge, schier den ganzen Tag zu, bis sie die Stellen aus den Kirchenvätern suchten, lasen und verteutschten, was gar langweilig zu hören war. Luther bemerkte, dass Augustin noch jung gewesen sei, als er die Worte schrieb, die gegen seine Ansicht geltend gemacht wurden, und dass dieselben dunkel seien oder gar nicht vom Abendmahl handelten. Dieser Bischof warne übrigens selbst davor, dass man seine Schriften wie Evangelien ansehe. Den alten Lehrern solle man auch nur Glauben schenken, insofern sie mit dem Worte Gottes übereinstimmten. „Wir selber,“ erklärte Oekolampad, „messen den Kirchenvätern keine allzu große Wichtigkeit bei. Wir führen sie nur deshalb an, damit man männiglich sehe, dass wir nicht eine neue Lehre haben. Wir bauen nicht auf sie, sondern auf das Wort Gottes.“

Schließlich konnten beide Teile sich des Gefühls nicht mehr erwehren, dass es besser wäre die Unterredung abzubrechen. Den Anfang dazu machte Luther, indem er sagte: „Weil ihr nicht auf meine Meinung und Seite treten könnt, so erkläre ich, dass, so wie unser Text euch nicht beugt, es uns ebenso geht mit euren Erörterungen. Ich für mein Teil bleibe bei meinem Glauben und kann nicht weichen.“

Zwingli: Wir haben denn doch angezeigt, dass wir nicht leichtfertig, noch ohne Ursache und große Bewegung, auf unsre Meinung gekommen sind.

Luther: Wir wissen es allzu wohl, dass ihr groß Ursache gehabt; die Sache ist aber darum nicht besser… Wollt ihr noch weiter etwas vorbringen? Nein, antworteten die Schweizer, da ihr die vorgebrachten Gründe nicht habt annehmen wollen, so werdet ihr das Nachfolgende noch viel weniger annehmen.“

Der Kanzler Feige mahnte abermals zum Frieden und bat die Gottesgelehrten, Mittel und Wege zu suchen, um einig zu werden.

„Ich weiß kein anderes Mittel,“ erwiderte Luther, „als dass sie Gottes Wort die Ehre geben und glauben mit uns.“

Die Schweizer hingegen bestanden darauf, dass sie die Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl weder begreifen noch glauben könnten.

Da sagte Luther kurz: „So wollen wir euch fahren lassen und dem gerechten Gerichte Gottes befehlen, der wird es wohl finden, wer Recht hat.“

Oekolampad konnte sich nicht länger mehr halten: „Wir wollen dasselbe auch tun und euch fahren lassen.“

Luther, als ob er, von dieser Antwort betroffen, eingesehen hätte dass er zu weit gegangen, wurde freundlicher, dankte Oekolampad, dass er genau und gründlich seine Meinung dargestellt, und dankte auch Zwingli, „der etwas herber gewesen,“ und bat ihn: er wolle ihm verzeihen, wenn er selber heftig gegen ihn gewesen sein sollte. „Er Luther sei eben auch von Fleisch und Blut.“

„O nehmt doch, flehte Oekolampad, nehmt, um Gottes Willen, Rücksicht auf den betrübten Zustand der Kirche.“

Zwingli richtete ebenfalls an Luther die Bitte: er möge ihm seine Herbheiten zu gut halten, und bezeugte, feuchten Auges und bewegter Stimme, wie er von jeher die Freundschaft der Wittenberger sehnlichst gewünscht habe und noch suche. „Wahrlich, beteuerte er, es gibt in ganz Frankreich oder Italien keine Männer, die ich lieber zu sehen gewünscht habe als euch.“

„Bittet Gott, dass er euch bekehre,“ sprach Luther mit der früheren Härte. Oekolampad gab ihm diese Ermahnung zurück: „Bittet auch ihr Gott, denn ihr habt dessen ebenso von Nöten.“

Jetzt erhob sich der hochangesehene Vertreter Straßburgs, Jakob Sturm von Sturmeck, und wandte sich an den Landgrafen Philipp mit den Worten: „Gnädiger Herr! Doktor Luther hat im Anfang dieses Gesprächs Einiges vorgebracht, welches einer Stadt Straßburg zu Unehren könnte gedeutet werden, wie nämlich bei uns nicht richtig über die Dreifaltigkeit, die Person Christi und andere Artikel des Glaubens gepredigt werde. Wenn ich, der ich durch Ratsbeschluss mit zwei unsrer Prediger hierher gesandt bin, hier schwiege und diese Anklage unverantwortet ließe, so müssten wir mit zwei oder vier aufgebürdeten Irrtümern statt einem (in der Abendmahlslehre) nach Hause gehen. Ich bitte daher Eure Herrlichkeit, Martin Butzern zu erlauben, auf die Vorwürfe zu antworten und dieselben zu widerlegen.“

Nach kurzer Beratung wurde Letzterem das Wort gestattet. Butzer legte summarisch die Lehre der Straßburger über die angefochtenen Punkte dar. Dann begehrte er von Luther, dass dieser Zeugnis gebe, ob diese Lehrweise recht sei oder nicht. „Traun nein!“ sprach Luther, „was bekümmert's mich, wie ihr in Straßburg lehret. Ich habe eure Predigten nicht gehört. Ich will nicht euer Lehrmeister sein, ihr habt meine Schriften und mein Bekenntnis… Man sieht es allzu gut, dass ihr nichts von uns gelernt habt; wir möchten auch ungern solche Jünger haben.“ Darauf fragte Butzer, ob Luther ein Bruder sein wolle zu ihnen oder ob er dächte, dass sie irreten; so möge er's anzeigen, damit man es verbessere. Aber auch das verweigerte Luther hartnäckig und sprach: „Ich bin euer Herr nicht, euer Richter nicht, euer Lehrer auch nicht; so reimt sich unser Geist und euer Geist nicht zusammen, sondern es ist offenbar, dass wir nicht einerlei Geist haben. Ich überliefere euch dem Gerichte Gottes.“ Nicht allein der Fürst, sondern auch die anderen Zuhörer missbilligten laut diese Lieblosigkeit. Allein mehrmals noch mussten die Schweizer und die Straßburger aus Luther's Mund die Worte hören: Ihr habt einen andern Geist, denn wir.

1)
aufrürisch, beissig, böse, grämisch
2)
verdreht, ungeschickt
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