Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - II. Die Reise nach Marburg und die Ankunft.

Erichson, Alfred - Das Marburger Religionsgespräch ... - II. Die Reise nach Marburg und die Ankunft.

Am 3. September, zur Nachtzeit, verließ Zwingli die Stadt Zürich mit einem einzigen Begleiter. Es geschah im Geheimen, weil er befürchtete, dass der um ihn besorgte Rat ihm die Reise verbieten möchte; Ziel und Zweck derselben verhehlte er sogar seiner Frau. Erst am andern Tag gab er Kunde von sich und seinem Vorhaben; sofort wurde ein Ratsbote ihm zum Geleite nachgesandt, nebst einem Diener und Kriegsknechten. In Basel gesellten sich zu ihnen Oekolampad und ein Ratsherr. Da es für Evangelische gefahrvoll war, durch das österreichische Gebiet des Ober-Elsass zu reisen, fuhr man gemeinschaftlich auf einem Kaufmannsschiffe, in 13 Stunden, den Rhein hinab nach Straßburg. „Man hat uns hier unsäglich Zucht und Ehre bewiesen,“ rühmte Zwingli. Die Schweizer logierten im Haus des trefflichen Münsterpfarrers Matthäus Zell, dessen Ehefrau Katharina noch in späteren Jahren mit Freuden und mit Stolz erzählte, wie sie während dieses lieben Besuchs 14 Tage lang Magd und Köchin gewesen, und, nach dem Schriftausdruck, den Heiligen die Füße gewaschen. Der Charakter von Maria und Martha, berichtete einer der Gäste, wäre in ihrer Person vereinigt. Sonntags den 12. September, Morgens, predigte Zwingli im Münster über „die erkannte Wahrheit und was man ihr schuldig sei“, mit großem Ruhm von Jedermann. Nachmittags predigte Oekolampad über „die neue Kreatur in Christo und den Glauben, der durch die Liebe tätig ist“ (Gal. 5,6). Die Schweizer mussten sich in unserer Stadt gar heimisch fühlen, denn Alles, in Kultus und Lehre, sah reformiert aus wie bei Ihnen. Man zeigte ihnen, unter anderen Merkwürdigkeiten die Münsterbibliothek, worin Hedio für Zwingli eine Stelle aus Beda venerabilis abschrieb, welche in der Diskussion zu Marburg verwertet werden sollte. Luther rüstete sich seinerseits auf den Kampf, indem er in Wittenberg eine öffentliche Disputation über das Abendmahl halten ließ. Nicht weniger aber als die theologische Streitfrage war die politische Angelegenheit, das Zustandekommen eines „christlichen Burgrechts“ oder Bündnisses zwischen den evangelischen Städten, Gegenstand der in Straßburg gepflogenen ernsten Gespräche. Zwingli schrieb nach Haus, dass man doch diese Sache eifrigst und eiligst betreiben möge; er bat auch „seine Herren“ leihensweise um 20 Kronen, damit er sich ein Pferd kaufen könne. Der Straßburger Magistrat befahl dem Stettmeister Sturm und den beiden Predigern Butzer und Hedio sich ebenfalls reisefertig zu machen.

Am 19. September, es war ein Sonntag, um 6 Uhr Morgens, hatten alle den Fuß im Stegreif und so zog diese „Schar von Rittern des Geistes“ mit freudigem Mute zu den Toren der Stadt hinaus. Fünf Kriegsknechte waren ihnen vom Rat mitgegeben worden. Nach genossenem Morgenimbiss auf dem Straßburgischen Schloss Kochersberg, wurde noch an demselben Tag die ebenfalls der Stadt gehörige Feste Herrenstein, bei Neuweiler, erreicht, wo die Geleitsmannen des Herzogs von Zweibrücken die Reisenden erwarteten. An den folgenden Tagen ging es weiter, über Berg und Tal, durch Abwege und Wälder, aber sicher und heimlich, an Bitsch und Zweibrücken vorbei, nach Hornbach, Lichtenberg, Meißenheim und St-Goar am Rhein. Dort standen 40 hessische Reiter zum Empfang bereit. Rasch wurde die Reise über Brechen, bei Selters, und Gießen nach Marburg fortgesetzt, woselbst man Montags den 27. September, gegen 4 Uhr Abends, wohlbehalten ankam. Der Landgraf bewillkommnete die Theologen in eigener Person, Jeden bei Namen nennend, und bot ihnen die Gastfreundschaft in seinem Schloss an. Sie waren fast immer zur Tafel des Fürsten geladen; dieser war gar freundlich und gesprächig, bald heiter, bald ernst.

Dienstags hielt Oekolampad eine Predigt über die Worte des Psalms 2: „Warum toben die Heiden und die Leute reden so vergeblich?“ Am Mittwoch musste Zwingli die Kanzel besteigen. Unser Hedio, der schon einmal nach der Mahlzeit die „Ermahnung“ gehalten hatte, predigte am Donnerstag über den Text: „Stehet im Glauben, seid fest und unbeweglich“ (1 Kor. 16,13). Während dieser Predigt, „die der Hochschule von Marburg sehr wohlgefiel“, kamen auch Luther und Melanchthon mit ihren Begleitern an. Ihre Verspätung hatte ihren Grund darin gehabt, dass, ehe sie es wagten die Grenzen des hessischen Landes zu überschreiten, sie noch zuvor einen feierlichen Geleitsbrief begehrt hatten, was der Landgraf ihnen sehr übel nahm.

Nach dem Frühstücke machte Oekolampad den neu Angekommenen seine Aufwartung; desgleichen Butzer und Hedio. Als Luther den Brief des mit ihm befreundeten Rechtsgelehrten Gerbel von Straßburg, den ihm Hedio überreichte, gelesen hatte, bemerkte er: „Der schreibt von guten Leuten; wenn ihr also seid, so steht die Sach' desto baß.“ Zu Butzer sagte er lächelnd und mit dem Finger drohend: „Du aber bist ein Schalk und ein Nebler“. Melanchthon aber redete den Hedio mit dem in der Lateinischen Sprache ungewöhnlichen Sie an, und sprach: „Es freut mich sehr Sie zu sehen; Sie sind Hedio.“

Ein Professor der Medizin in Marburg, der sich auch in der Dichtkunst versuchte, Euritius Cordus, begrüßte in einem lateinischen Gedicht „die erlauchten Fürsten des Wortes“, die zusammen gekommen waren, „den scharfsinnigen Luther, den freundlichen Oekolampad, den edelmütigen Zwingli, den frommen Schnepf, den beredten Melanchthon, den tapfern Butzer, den treuherzigen Hedio“, u. s. w., und schloss mit den Worten: „Die Kirche fällt euch weinend zu Füßen, fleht euch an und beschwört euch bei den Eingeweiden Christi, die Sache mit reinem Ernst, zum Heile der Gläubigen zu unternehmen, einen Beschluss zu Stande zu bringen, von dem die Welt sagen könne, er sei vom Heiligen Geist ausgegangen.“

Zur Charakteristik dieser Kirchenversammlung wird es nicht unnütz sein, sich das Alter der hier zusammengetretenen Männer zu vergegenwärtigen. Sie standen alle noch in der Kraft der Jahre; der Jüngste unter ihnen war der Landgraf, welcher nur 25 Jahre zählte; Melanchthon war 32 Jahre alt, Hedio 35, Butzer 38, Jakob Sturm 40; Zwingli und Luther standen in ihrem 46sten und Oekolampad im 47sten Lebensjahr.

Mehrere dieser Männer, namentlich die Häupter der deutschen und der schweizerischen Reformation, Luther und Zwingli, sahen sich in Marburg zum ersten Male von Angesicht. Sie wohnten alle in dem über der Stadt reizend gelegenen fürstlichen Schloss, und wurden ganz „königlich bewirtet“. Zur Abhaltung des Religionsgesprächs wurde ein großes, neben dem Schlafgemach des Landgrafen gelegenes Zimmer hergerichtet, und dem Fürsten lag gewiss der Gedanke nahe, dass ein mehrtägiger traulicher Umgang unter einem Dach dazu beitragen könnte, die Gemüter seiner Gäste miteinander auszusöhnen1).

1)
Nach einer teilweisen Zerstörung der Feste „Marburg“, im 30jährigen und im 7jährigen Krieg und unter Napoleon I., dienten in unserm Jahrhundert die noch erhaltenen Gebäulichkeiten als Strafanstalt bis 1866, wo das Hessische Staatsarchiv in denselben untergebracht wurde.
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