Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - XI. Butzers Abschied von Straßburg.

Erichson, Alfred - Martin Butzer, der elsässische Reformator - XI. Butzers Abschied von Straßburg.

Martin Butzer hatte des Tages Last und Hitze getragen, und als nun der Abend sich neigte, da wurden die Schatten immer länger und dunkler.

Manchen treuen und tüchtigen Mitarbeiter sah er von seiner Seite scheiden. Um letzten Sonntag im Februar 1546 musste er seinen Zuhörern im Münster den Tod Luthers ankündigen. Zwei Jahre später ward ihm die traurige Pflicht, dem treuen Vater Zell, der ihm, in schwerer Drangsalsstunde, Haus und Herz geöffnet und ihm zu seiner Lebensstellung und gesegneten Wirksamkeit verholfen hatte, das letzte Lebewohl nachzurufen.

Wie andere Reformatoren, erfuhr auch Butzer manche Enttäuschung. Er hatte einst im Feuereifer der Jugend sich vorgenommen, das Reich Gottes in Straßburg zu verwirklichen, und er musste klagen: „Ich bekenne, dass wir des Orts das vorgesetzte Ziel in der Gemeinschaft und gemeinen Besserung des Leibes Christi nicht erlangt haben.“ Freilich durfte er hinzufügen: „Wir streben diesem Ziele nach, so viel Gott einem jeden Gnad verleiht, und Gott Lob, nicht ohne Frucht bei vielen lieben Christen.“

Als aber in den vierziger Jahren Abgeordnete der mährischen Brüder ihn besuchten und ihm die Sittenreinheit ihrer Gemeinden schilderten, konnte er sich der Tränen nicht erwehren im Hinblick auf die Stadt, für die er willig sein Herzblut vergossen hätte.

Am Abend ist es nicht allein kühl, - der Mensch fühlt sich einsam in der Welt. Dieses bittere Gefühl blieb ihm nicht erspart, als er mehrere Kanzeln der Stadt mit Leuten besetzt sah, die einen andern Geist, als die ersten Väter der Straßburger Reformation, hatten. Jeder freieren Regung abhold, auf das Wort des Meisters in Wittenberg schwörend, glaubten diese Eiferer, das Heil der Kirche nicht ohne Glaubenszwang und starre Formeln fördern zu können. Über den einen derselben, Johann Marbach, den er selber nach Straßburg berufen hatte, äußerte sich Butzer: „Das ist ein übermütiger Theolog, er wird der Kirche viel schaden; es wird nicht lange dauern, so wird er das verwirren, was wir hier aufgebaut haben“. Nichts destoweniger bewahrte er ihm seine väterliche Freundschaft bis an's Ende, aber die Zukunft sollte lehren, wie sehr seine Befürchtungen begründet gewesen.

Von einer andern Seite noch stiegen drohende Gewitterwolken auf. Der zwischen dem Kaiser und den evangelischen Reichsständen Deutschlands ausgebrochene Schmalkaldische Krieg, den zu verhindern Butzer alle Kräfte angestrengt hatte, war durch die Niederlage der Letztern bei Mühlberg (1547) entschieden worden. Nun dachte der Sieger dem konfessionellen Zwiespalt ein Ende zu machen; bis aber Mittel und Wege dazu gefunden, sollte ein auf dem Reichstag zu Augsburg (1548) verfasstes Reichsgesetz, das „Interim“ (d. h. unterdessen), eine für Protestanten und Katholiken gemeinsame Religionsform einführen und den katholischen Gottesdienst, da wo er abgeschafft, wieder herstellen. Dieses Ziel glaubte Karl V. leichter erreichen zu können, wenn einflussreiche protestantische Theologen die Hand dazu bieten würden, und gerade auf Butzers Zustimmung legte er großes Gewicht. Er beschied ihn im September 1548 nach Augsburg. „Es ist für uns die Zeit der Prüfung gekommen“, sagte Butzer, und machte sich auf den Weg, nicht ohne sein Testament niedergeschrieben zu haben; was er zu tun hatte und was ihn erwartete, stand ihm klar vor der Seele. „Protestieren wider ihrer Majestät Gebote, die gegen die wahre christliche Religion ergangen waren, und wodurch die papistischen Irrtümer gelehrt und befestigt würden“, das war sein fester Entschluss: „Der Herr gebe den Seinen einzusehen, wie viel besser es sei mit Christo alles verlieren, hier und in Zukunft.“ Weder die katholischerseits versuchte Bestechung, noch die Drohung mit dem Scheiterhaufen vermochte ihn zum Wanken zu bringen. „Der alt' böse Feind mit Ernst er's jetzt meint.“ Wahrlich, dieses Lutherwort sollte Butzer jetzt mehr als je erfahren. Aber eben so entschieden wie der Held von Worms sich geweigert hatte zu widerrufen, weigerte sich nun der Straßburger Reformator das Interim zu unterschreiben.

Seine Mannespflicht war erfüllt; aber schon waren auch Befehle gegeben, ihn zu verhaften. Schleunigst verließ er Augsburg und eilte durch das von Spaniern besetzte Württembergische Gebiet nach Straßburg.

Hier fand er den Magistrat in größter Besorgnis: sollte die Stadt das Interim annehmen, oder konnte sie es wagen, alleinstehend, der stärkeren Macht sich zu widersetzen? Der Kaiser drohte. Er machte Butzer und den mutigen Pfarrer von Jung St. Peter, Paul Fagius, für die Zögerung des Rates verantwortlich, da beide sich auf der Kanzel Ausfälle gegen das Interim erlaubt und Butzer seine Schrift: „Summarischer Vergriff christlicher Lehre“, ein Zeugnis unentwegten Festhaltens am Evangelium veröffentlicht hatte.

Die eingeschüchterten Väter der Stadt hielten auf dem Rathaus Sitzung nach Sitzung; man redete hin und her und kam endlich auf den Gedanken, den beiden Predigern zu bedeuten, dass man es gern sehen würde, wenn sie sich auf einige Zeit aus der Stadt entfernen möchten. In Folge dessen wurde ihnen ein Urlaub nebst einem Zehrgeld und einer Pension bewilligt ,,bis Gott Gnade gebe dass es besser würde, dass man sie wieder an der Hand haben möchte“, wie es im Ratsbeschluss vom 2. März 1549 heißt. Zugleich wurde ihnen geboten, mittlerweile sich in ihren Predigten „bescheidenlich“ zu halten, um keine Unruhe „im Volk anzustiften“. Hierauf antwortete Butzer, er habe wohl gedacht, dass es also kommen würde, habe aber stets nur gelehrt, was er „der Schrift gemäß fand.“ Er hielt seine letzte Predigt und akademische Vorlesung, und blieb dann, bis er seine Familienangelegenheiten geordnet, noch einige Tage in dem Hause der Witwe Zells.

Aber nun wohin? Freistätte und Anstellung wurden ihm durch Melanchthon in Wittenberg, durch Myconius in Basel, durch Calvin in Genf, durch den evangelischen Erzbischof Cranmer in England angeboten. Er entschied sich für letzteres Land, mit dem er schon längst in Beziehung stand.

Am 6. April früh morgens sah man einen Nachen sich vom Fischerstaden lösen: er trug Butzer, Fagius, den jungen Negelin, den nachherigen Pfarrer von St. Wilhelm, den französischen Prediger Valerand Poulain, der als Dolmetscher dienen sollte, und einen englischen Diener.

Gleich Geächteten verließen sie die Stadt. Nach einer kurzen Fahrt fanden sie bestellte Pferde, und unter größter Vorsicht, um den kaiserlichen Soldaten zu entgehen, ritten sie durchs Land bis nach Heiligenstein. Von da ging es über das Gebirg auf einsamen Pfaden. Ein letztes Mal mag Butzer auf den Höhen der Vogesen seinen Blick über die Ebene nach seinem Geburtsort und dem Straßburger Münster gerichtet und dann mit einem „Gott befohlen!“ sein liebes Heimatland verlassen haben.

So rasch wie möglich durcheilten sie Lothringen und glaubten sich erst in Frankreich außer Gefahr. Zwölf Tage nach ihrem Weggang von Straßburg, treffen wir sie in der ersten englischen Stadt, Calais, woselbst sie durch eine Deputation der Bürger begrüßt und durch Gesandte des Erzbischofs von Canterbury abgeholt wurden. Vor der damals nicht gefahrlosen Überfahrt schickten sie noch Briefe und Grüße in die alte Heimat.

Daselbst war Trauer und Wehklagen unter vielen Frommen. „Die Entfernung Butzers war der härteste Schlag für uns,“ schrieb der Schulrektor Sturm nach Dänemark, das ebenfalls einen Ruf an Butzer erlassen hatte, „wir können es nur mit dem tiefsten Schmerz beklagen, dass der Mann, welcher mit unter den Ersten war, die hier die wahre Religion und Lehre des Evangeliums begründet haben, der Haupturheber und Begründer unserer gelehrten Schule, so hat von uns scheiden müssen, und es ist uns, als ob Religion und Frömmigkeit mit ihm dahingegangen wären. In dieser Trauer gereicht es uns gewissermaßen noch zum Trost, dass der Rat, welcher ihn entlassen, nicht minder schmerzlich den Verlust empfindet, als wir selbst, und dass man jetzt, da er weg ist, ihn mehr vermisst, und die Liebe, die man zu ihm trug, sich größer offenbart, als sie während seiner persönlichen Anwesenheit zu sein schien. Auch tut es unsern Herzen wohl, dass er von so vielen Seiten begehrt und eingeladen worden, und wir trösten uns, ihn an einem Ort zu wissen, wo die Ernte für das Evangelium groß und ein solcher Arbeiter wie Butzer vor allen Dingen von Nöten ist.“

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