Egli, Emil - Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit - Rückblick.

Egli, Emil - Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit - Rückblick.

Unstreitig verdienen die Kämpfe, welche die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit veranlasst haben, auch heute noch gewürdigt zu werden. Wir versuchen, dies auf Grund der gegebenen Darstellung in persönlicher und sachlicher Hinsicht zu thun.

Unter den Führern der Täufer steht Grebel als das geistige Haupt nicht bloss von Zwingli ausdrücklich anerkannt da; er erscheint als solches auch aus seinem Wirken. Wir finden ihn von Anfang unter den Ersten der radical-evangelischen Partei, erkennen ihn nachher als Führer in den Verhandlungen über die Kindertaufe und treffen ihn als Anfänger der Wiedertaufe in Zollikon. Von da an spielt er überall, auch in den Disputationen, eine Hauptrolle und zeichnet sich durch besondere Leidenschaft gegen Zwingli aus. Dabei scheint er unter allen Parteiführern der zielbewussteste und weitsehendste gewesen zu sein und beweist am meisten planmässiges und organisierendes Wirken, indem er Verbindungen nach aussen sucht und die sociale Bewegung zuerst für seine Zwecke aufgreift. Eine vollständige Biographie Grebels wäre eine lohnende Aufgabe.

Gleichsam seinen Dolmetscher für das Volk machte Blaurock. Er tauft die Masse der Anhänger und greift in Wort und That zu den markigsten, oft drastischen und derben Mitteln. Manz, der immer neben Grebel erscheint, zeigt jedenfalls grosse Hartnäckigkeit; im Uebrigen mag er wegen der Kenntnis des Hebräischen unter seinen Gesinnungsgenossen eine wichtige Stellung eingenommen haben und nach seinem Verhältnis zu Grebel etwa zu vergleichen sein mit Leo Judä neben Zwingli, mit Melanchthon neben Luther. Welch bedeutende Männer diese Führer gewesen sein müssen, erkennen wir nicht zum wenigsten aus ihren Anhängern, deren manche, wie ein Hans Müller von Medikon, mehr als gewöhnliche Begabung verrathen.

Es war für Zwingli eine schwere Aufgabe, Leuten, mit denen er doch wieder auf demselben grundsätzlichen Boden stand, entgegenzutreten. Aber ihre völlige Rücksichtslosigkeit auf das praktisch Mögliche liess ihn nicht anders handeln. Manchmal mochte ihn dieses Verhältnis zu seinen einstigen Getreuen schmerzen, und es ist schon deshalb nicht nur glaubwürdig, sondern nicht anders denkbar, als dass er möglichst schonend gegen sie verfuhr, wie z. B. gegenüber Hubmeier. Die Thatsache bleibt freilich, dass zu seiner Zeit Einige um ihres Glaubens willen getödtet wurden; aber ihn deshalb mit Calvin, der Servet hinrichten liess, auf gleiche Linie stellen, ist doch kaum richtig. Idem non est idem. Wir wissen nicht, ob Zwingli seine Billigung zu Todesurtheilen wirklich gab oder auch nur zu geben hatte, wo weltliche Interessen so stark betheiligt waren; jedenfalls hätte er es, anders als Calvin, nur mit schwerem Herzen thun können, doch wieder mit Erbarmen für die Opfer und, wie er einmal selbst äussert, mit Bedauern über den Einbruch in die „religiöse und bürgerliche Freiheit“.

Dabei bleibt anzuerkennen, dass auch die Obrigkeit erst alles Mögliche versuchte, um durch Belehrung und Güte zum Ziele zu kommen. Es kann am Ende Niemand über seinen Schatten springen, und mit Rücksicht auf damalige Aufgaben und Begriffe darf man der Züricher Obrigkeit das Zeugniss nicht versagen, dass sie im Vergleich zu andern Regierungen mit grosser Langmuth gegen die „verirrten Leute“ nur Schritt für Schritt zur Strenge überging. Vor Allem ist nicht zu vergessen, dass zur Zeit der reiner kirchlichen Kämpfe noch keine Hinrichtung vorkam, ja nicht einmal zur Zeit der grossen Gefahr von Seiten der Bauernschaft, sondern erst weit später, als längst staatspolitische Fragen von eidgenössischer Tragweite mitspielten.

Man hat oft behauptet, die Täuferbewegung auf Schweizerboden sei nur als ein Ableger der deutschen zu betrachten. Der gegenseitige Einfluss ist wirklich nicht zu verkennen; aber dass die Täuferei auf Züricher Gebiet doch ein wesentlich selbständiges Gewächs ist, sollte nunmehr feststehen, nachdem ihre Wurzeln bis hinein in die Anfänge reformatorischer Regungen überhaupt nachgewiesen worden sind.

Die Täuferei ist äusserlich unterlegen, und doch hat sie Vieles erreicht. Gegenüber der kirchlichen Richtung von Zollikon trug zwar Zwingli's realer Gedanke einer allgemeinen Kirche für alles Volk den Sieg davon, und die Täuferei von Grüningen scheiterte mit der socialen Bewegung, der sie sich beigemengt hatte, und vollends an den politischen Verwicklungen, die sich dort entspannen; immerhin bildet die Täuferei schon von Anfang an ein Ferment der kirchlichen und staatlichen Entwicklung und ist es im Unterlande durch die Bestrebungen für bessere Zucht und Sitte am erfolgreichsten geworden, wenn auch ihr directer Einfluss auf die Taufordnung, auf die Einführung des Nachtmahls und der Synode mit ihrer Sittencensur, auf den Erlass der Sittenmandate, auf den Ausschluss des Kirchengesang u. s. w. nicht durchweg festzustellen ist; auch wäre wohl Zwingli ohne die Gegner nicht dazu gekommen, eine Zeit lang den Kirchenbann in Aussicht zu nehmen. Wie manchem Gedanken der Täufer erst eine spätere Zeit, wenn auch in anderer Form, gerecht werden konnte oder noch gerecht werden wird, ist hier nicht näher auszuführen.

Ohne Frage zeigen die Grundsätze, von denen die Täufer ausgingen, ein kräftiges Zurückgreifen auf urchristliche Principien an. Nach ihrer Lehre sollte jede Menschenseele, auch die einfältigste, unmittelbar mit ihrem Gott verbunden und darum ein Mensch dem andern gleichberechtigt sein. Kein Gebot irgend einer äussern Autorität kann dem gegenüber in Betracht kommen, was der heilige Gottesgeist mit Macht dem Geistesmenschen sagt, den er erfüllt und der sich ihm völlig unterthan und dienstbar weiss. Darum darf keiner äusseren Gewalt das Recht zugestanden werden, auch dem Geringsten in die Angelegenheiten des inwendigen Menschen hineinzureden. Die Freiheit des Glaubens und des Gewissens soll unbedingt gelten und darum wie der Eid so jeder Zwang in religiösen Dingen unstatthaft sein; Zwang war am Ende auch das geordnete Lehramt und darum die Forderung voller Lehrfreiheit nach Person und Ort in apostolischer Weise ganz folgerichtig.

Aus solcher Lebensgemeinschaft mit Gott ergeben sich sofort wichtige Folgerungen für das sittliche Verhalten des Einzelnen wie für das Leben der Gemeinschaft.

Entspringt schon das Bewusstsein der heiligen Gottesnähe und Gnade aus tiefster Reue über die Sünde, so gilt es für Jeden, durch fortgesetzten Kampf wider dieselbe und unter Gebet das gottgefällige Leben der Kinder Gottes zu führen - und für die Gemeinschaft, durch gegenseitiges „Ermahnen“ eine Gemeinde der Heiligen zu bilden, die sich um Taufe und Abendmahl als die Zeichen der Versöhnung und brüderlichen Liebe sammelt. Zu weit gegangen ist es freilich, wenn das, was Ideal bleibt, die sündlose reine Kirche Gottes, unter Anwendung des Bannes gegen Rückfällige auch sofort in die irdische Wirklichkeit übersetzt werden will; Zwingli greift hier vom Boden der Praxis aus einen wunden Punkt der täuferischen Lehre an. Immerhin ist es begreiflich, wenn die Gegner in ihren Alles auflösenden Freiheitsgelüsten ihn wegen seines Festhaltens an der kirchlichen Ordnung mit Luther und dem Papste auf eine Linie stellen.

Anderseits geht aus dem Gefühl der Gleichheit vor Gott für das Gemeinschaftsleben die Forderung brüderlicher Liebe hervor, die, je unbedingter jene Gleichheit gefasst wird, um so kräftiger zu socialen Begehren sich verkörpert, wie der Abschaffung von Zinsen und Zehnten und alles Wuchers und der Einführung der Gütergemeinschaft. Auch die Lehre, dass das Erdreich des Herrn als des Schöpfers und darum frei sei und so im Grunde Niemand aus einem Lande verbannt werden dürfe, und die andere, dass ein Eingriff in des Nächsten Leben, die „Uebung des Schwertes“, also die Todesstrafe wie auch der Krieg unstatthaft seien, können hier angeführt werden. Allerdings kamen die praktischen Consequenzen nicht Allen gleich deutlich zum Bewusstsein und scheinen auch nicht übereinstimmend und von Allen gleich nachdrücklich gelehrt worden zu sein.

Weitere Folgerungen, wie Beseitigung der Obrigkeit überhaupt, Berechtigung zur Bestattung der Todten an beliebigen Orten, Auffassung der Ehe als reiner Privatsache, Missachtung der Familienpflichten, die da und dort bis zur Verkennung des Ehestand es geführt hat, und wie es scheint auch die Gleichgültigkeit gegenüber der Sonntagsfeier zeigen, wie an einzelnen Punkten jene göttliche Lebensgemeinschaft einer völligen Auflösung der menschlichen nahe kam, und wie sehr Zwingli auch hier das thatsächliche Bedürfnis auf seiner Seite hatte.

Hier mögen noch folgende die Lehre charakterisierende Aussprüche einzelner Täufer ihre Zusammenstellung aus den Acten finden:

1. Ich bin ein Knecht Gottes und meiner selbst nicht mehr mächtig oder gewaltig. Ich habe mich unter den Hauptmann Jesus Christus eingeschrieben and will mit demselben in den Tod gehen; was derselbe mich heisst und mir eingibt, dem werde ich gehorsam sein und dasselbe thun. Lienhart Bleuler von Zollikon.

Was mir Gott in mein Herz gegeben, mag mir Niemand nehmen. Ruotsch Hottinger von Zollikon.

3. Du sollst weder Meine Herren noch Niemanden ansehen und sollst allein thun, was dich Gott geheissen hat. Und was der Mund Gottes geredet, demselbigen sollst nachgehn. Grebel.

4. Keiner Obrigkeit steht zu, das Gotteswort mit „ihrem Gwalt“ zu handhaben, dieweil doch dasselbe frei ist. Jakob Hottinger von Zollikon.

5. Wollet mir mein Gewissen nicht beschweren, dieweil der Glaube eine freie Gabe und Schenkung des erbarmenden Gottes und nicht Jedermanns Ding ist. Das Geheimniss Gottes liegt verborgen und ist gleich einem Schatz im Acker, den Niemand finden kann, er werde ihm denn vom Geist des Herrn gezeigt. So bitt ich euch, ihr Diener Gottes, ihr wollet mir den Glauben lassen frei stehn. Ich weiss wohl, dass der Glaube nicht aufzunehmen ist wie ein Stein. Hans Müller von Medikon.

6. Was Einer bei Treu oder Glauben zusagt, dasselbe soll er auch mit den Werken erstatten und keinen Eid schwören. Hans Brappacher von Zumikon.

7. Kein Ehebrecher, Hurer, Geiziger und Wucherer vermag das Gotteswort zu verstehen. Ruotsch Hottinger von Zollikon.

8. Dieweil der Prädicant so in grosser Hoffart und in so grossem Geiz sich erzeigt, so können wir uns wenig von ihm bessern, sondern wohl ärgern. Caplan Hans von Laupen zu Bülach.

9. Ein Prädicant soll wie die Apostel das Gotteswort verkünden, ohne Seckel und Tasche, und keine Pfründe darum einnehmen. Peter Fuchs von Bülach.

10. Es soll Niemand in den Tempel gehen; er ist mit sündigen Händen gemacht. Die Täufer zu Bülach.

11. Die Kindertaufe ist von Menschen erdacht, und was von dem Menschen kommt, das ist aus dem Teufel. Blaurock.

12. Ob schon der Mensch nicht mehr getauft würde und glaubte an das Leiden Christi, so würde er nichts desto minder behalten. Es steht keine Seligkeit in dem Tauf. Pfr. Ulrich (Zingg von Dürnten?).

13. Das Papstthum kann mit nichts besser niedergelegt werden, denn mit dem Wiedertauf. Grebel.

14. Zwingli, Luther, der Papst und ihresgleichen sind Diebe und Mörder Christi. Blaurock.

15. Meine Herren sehen dem Zwingli durch die Finger und der Zwingli Meinen Herrn. Marx Bosshard von Zollikon.

16. Gott hat geredet: hütet euch vor den falschen Propheten. Nun sind die Pfaffen dieselbigen falschen Propheten; sie haben den Papst mit seiner Lehre verachtet und verschreit, und sitzen sie jetzt in dem Nest. Jakob Falk von Gossau.

17. Man war der Meinung, dass alle Ding sollten gemein sein und zusammen geschüttet werden; und was dann einem Jeden gebreste und anläge, sollte er da dannen vom Haufen nehmen, das so er zu seiner Nothdurft brauchen müsste. Und man war auch der Meinung, dass man gern reiche Leute und (Angehörige) grosser Geschlechter darein gezogen und gebracht hätte. Heini Frei genannt Gigli.

18. Sofern ein Burgermeister und Rath und männiglich zu Zollikon und anderswo an mich und meine Anhänger glauben und uns folgen, so habe ich verkündet, man solle Zins und Zehnten geben und umgekehrt. Blaurock.

19. Ich will das Land nicht räumen nach Meiner Herren Urtheil; denn Gott hat mir das Erdreich also wohl geschaffen als Meinen Herren. Els Baumgartner von Zollikon.

20. Kein Christ schlägt mit dem Schwert und widersteht auch dem Bösen nicht. Manz.

21. Eine Obrigkeit darf mit keinem christlichen Gemüth weder Mörder noch Diebe tödten; aber sie soll dieselben laut den Worten des Paulus zwischen die Wände legen und bis zur Bekehrung verwahren. Hans Bruppacher von Zumikon.

22. Man mag der Obrigkeit mit nichts besser abkommen als mit dem Wiedertauf. Hubmeier.

23. Mein Bruder ist der Meinung gewesen, dieweil das Erdreich frei, seine Frau zu begraben wo das sich begebe. Michel Meier von Nerach.

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