Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Zweite Folge - Die Geognosie und die biblische Schöpfungsgeschichte.

Ebrard, Johannes Heinrich August - Der Glaube an die heilige Schrift und die Ergebnisse der Naturforschung - Zweite Folge - Die Geognosie und die biblische Schöpfungsgeschichte.

Stäfa, den 3. November 1855.

Lieber Heinrich! Lang ist's her, daß Du kein Lebenszeichen mehr von mir erhalten hast. Und doch war ich so viel und oft, gerade in den letzten Wochen, in meinen Gedanken mit Dir beschäftigt, Längst drängte es mich, von der großen schönen Reise, die ich im August und September durch Württemberg, Franken, Böhmen, Sachsen, Thüringen, Hessen, und den ganzen Rhein herauf gemacht, Dir zu erzählen. Daß dies nicht bloßer Vorsatz geblieben, bezeugen Dir die beifolgenden Blätter, welche die Beschreibung meiner Reise enthalten. Ich wollte Dir nicht eher schreiben, als bis ich Dir diesen Aufsatz fertig ausgearbeitet und gefeilt überschicken könnte, und das hat mich Zeit gekostet. Aber noch etwas anderes sollte reif werden, bevor ich Dir schriebe. Erschrick nicht, ich beabsichtige nichts geringeres, als Dich abermals mit biblisch-naturwissenschaftlichen Fragen zu quälen, und um diese Fragen in einer Weise stellen zu können, die mich in Deinen Augen nicht blamiert, mußte ich erst mancherlei studieren.

Ich bin Geognost geworden. Lache nicht, Heinrich! Auf meiner Reise bin ich es geworden.1) Wie oft kleinliche Umstände tief eingreifen in das geistige Leben des Menschen! Ich war in Ulm, besah mir mit Entzücken das kolossale, unvergleichliche und (meinem Geschmack nach) in seiner großartigen Einfachheit unübertroffene Münster, und hatte den Nachmittag dazu bestimmt, die Festungswerke ein wenig zu betrachten. Es kam aber ein so entsetzlicher Regen, daß es zur reinen Unmöglichkeit wurde, zwischen den Mauer- und Erdarbeiten in dem fettigen Boden fortzukommen. Ich begnügte mich also mit dem Anblick einer Courtine, und kehrte in den Gasthof zurück. Was nun anfangen? Der Bahnzug, der mich noch nach Augsburg hätte bringen können, war eben abgefahren. Der Wirth kam meiner langen Weile zu Hülfe, und schlug mir vor, die Petrefaktensammlung des Herrn Finanzrath Eser in der Realschule zu besuchen. Ich hatte in meinem Leben um Petrefakten mich nie bekümmert, konnte mich auch nicht erinnern, je welche gesehen zu haben. Unter andern Umständen würde ich denn wohl auch an dieser Sammlung vorübergegangen sein, nach dem alten Spruch: ars non habet osorem nisi ignorantem („verstündst du was davon, fändst du Geschmack daran“). Diesmal aber trieb mich, wie gesagt, die Langeweile. Ich ging hin. Ich gestehe aber ehrlich: sogleich der erste Anblick dieser fossilen Knochen, versteinerten und verkohlten Wurzeln, Hölzer, Blätter, Tannzapfen, dieser Unzahl verschiedener Muscheln, Ammonshörner, Schnecken, dieser Zähne, Schädel und sonstigen Knochen von Rhinozerossen, Bären, Hirschen und andern, nicht mehr vorkommenden Säugethieren, dieser Gerippe seltsam gestalteter Fische und noch seltsamerer crocodilartiger Thiere elektrisirte mich. Da ich nun einmal gewohnt bin, alles sogleich auf die Bibel zu beziehen, so fuhr mir augenblicklich der Gedanke durch den Kopf, daß das wohl Ueberbleibsel der Thiere sein möchten, die in der Sündfluth ertrunken seien. Mein guter Stern bewahrte mich aber, diesen Gedanken nicht laut werden zu lassen, wodurch ich mich gründlich würde blamiert haben. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ich betrachtete mir also diese Gegenstände möglichst stille, aber doch mit einer Aufmerksamkeit, die dem Custos oder Conservator der Sammlung nicht entging. Dieser freundliche und zuvorkommende Mann, ein Herr Dr. R.** (er ist Oberreallehrer), hatte die Güte, ungefragt mich auf manche besondere Seltenheit aufmerksam zu machen. Und so bekam ich denn den Muth, ihn um Auskunft zu bitten, wo dies und jenes einzelne Stück gefunden worden sei, und namentlich in welcher Lage, ob im Schlamm, im Erdboden, oder von Felsen umschlossen. Obgleich ihm meine gänzliche Unwissenheit in diesen Dingen keinen Augenblick verborgen bleiben konnte, so war er doch so gütig, mich auf eine recht klare und faßliche Weise zu belehren. Er machte mich auf die Eintheilung der ganzen Sammlung aufmerksam. Zuerst führte er mich zu der letzten Abtheilung, wo lauter Versteinerungen aus den ältesten Gebirgsarten, welche überhaupt Petrefakten enthalten, aus dem „Uebergangsgebirge“ und dem „Steinkohlen- und Kupferschiefergebirge“ enthalten seien, und zeigte mir, wie hier die Natur gleichsam mit den ersten unvollkommensten Versuchen von Organismen beginne, mit krebsartigen wunderlichen Thieren (Trilobiten), eigenthümlich symmetrisch gestalteten zweischaligen Muscheln (Terebrateln), merkwürdigen Strahlthieren (Crinoiden), die ich ohne seine Belehrung für Pflanzen würde gehalten haben, und dann mit einer wirklichen Pflanzenwelt, die aus Torfmoosen, riesengroßen Schachtelhalmen und ebenso baumhohen Farrenkräutern bestand. Sodann führte er mich zu den Versteinerungen aus den nächstältesten Gebirgen. Die Triasformation (bunter Sandstein, Muschelkalk, Keuper) enthielt verschiedene, ebenfalls noch ziemlich unvollkommene Pflanzenreste, dagegen im Muschelkalk neben den Terebrateln schon Ammonshörner, Pectiniten (kammartig streifige und fein ausgezackte zweischalige Muscheln), wendeltreppenartige einschalige Muscheln, Polypen, Schwämme und dergl. Die abermals jüngere Juraformation fesselte nun aber ganz insbesondere meine Aufmerksamkeit. Da waren vor allem die Gerippe von eidechsen- oder crocodilartigen Thieren („Saurier“ nannte er sie), welche bald statt der Füße Floßfedern, einen langen Schwanz, langen spitzigen Kopf mit furchtbaren Zähnen und großen Augenhöhlen (Ichthyosaurus), bald einen entsetzlichen langen Schwanenhals (Plesiosaurus) hatten, ja auch solche, deren monströs verlängerte kleine Zehe am Vorderfuß oder der Hand länger war, als der ganze Arm, und wovon mir Dr. R.* sagte, daß eine Flughaut (wie bei den Fledermäusen) daran gewachsen gewesen sei (Pterodactylus). Außerdem enthielt diese Jura-Abtheilung eine Unzahl der wunderschönsten verschiedenartigsten Ammonshörner, Austern, Pectiniten und noch ein sehr sonderbares Thier, die Belemniten, mit deren Beschreibung ich Dir nicht beschwerlich fallen will, da Du sie besser kennst als ich. Ueberhaupt wirst Du lächeln über meine Beschreibung. Aber ich erzähle Dir ehrlich, was ich gesehen und was ich dabei gelernt habe. Du sollst schon sehen, warum ich so ausführlich bin. Die Fische des Jura waren schon mehr den jetzigen ähnlich, als die des Uebergangsgebirges. Auch sollen sich, wie Dr. R.* mir berichtete, in dieser Gesteinart bereits Palmenstämme versteinert finden, von denen die Sammlung jedoch keinen enthielt. Wir kamen nun zum Kreidegebirge, dem jüngsten. Das Interessanteste, was in der Kreide sich hier und da findet: Gerippe von Vögeln, war in der Ulmer Sammlung zwar nicht vertreten (nach der Rückkehr von meiner Reise habe ich aber in der Sammlung der Zürcher Universität einige Vogelgeripp-Abdrücke auf Olarner Schiefern mit Augen zu sehen die Freude gehabt) - dagegen sah ich mancherlei Corallcn, Seeigel, Ammonshörner, versteinerte Regenwürmer, Greifmuscheln (Gryphäen) u. a. Mein gütiger Führer belehrte mich indessen, daß in der Kreide sich auch bereits Abdrücke von vollkommeneren Pflanzen (Dicotyledonen) z. B. Ahorn- und Weidenarten, finden.

Noch war ein Theil der Sammlung zu sehen übrig; allein ich unterbrach hier meinen freundlichen Lehrer mit einer Frage, die mich schon lange gedrückt hatte. Er hatte, wie bemerkt, von älteren und neueren Gebirgsformationen gesprochen; ich fragte ihn, woher man denn wissen könne, daß das eine Gebirg älter sei als das andere. Aus seiner Antwort ersah ich, daß meine Frage sehr ungeschickt gewesen; denn er belehrte mich, daß er nicht von dem höhern oder niedern Alter solcher vereinzelter, geographisch und für das Laienauge auffallend hervortretenden Gebirge (wie z. B. die Alpen, der Schwarzwald, das Fichtelgebirg, der Böhmerwald u.s.w.) geredet habe (obwohl auch das Alter dieser im eigentlichen Sinne sogenannten „Gebirge“ sich ziemlich sicher bestimmen lasse), sondern von dem höheren oder geringeren Alter jener Gesteinsarten oder Formationen, welche da und dort in verschiedenen Gebirgen sich finden, aber gar nicht bloß in eigentlichen Gebirgen vorkommen, sondern wie übereinanderliegende Zwiebelschaldecken die ganze Oberfläche des Erdballs umschließen. „Alle diejenigen Formationen“, so sprach er, „aus welchen die Versteinerungen kommen, die ich Ihnen bis jetzt gezeigt habe, also die Uebergangs-, Kupfer-, Trias-, Jura- und Kreideformation, müssen sich durch Niederschlag aus dem Wasser gebildet haben. Denn mit und in dem Schlamm sind ja überall eine Menge von Muscheln, Fischen, Sauriern u. dgl. niedergeschlagen und begraben, die nur im Wasser gelebt haben können. Wie jetzt noch auf dem Grunde des Meeres eine Schlammschichte niederschlägt und allmählich erhärtert, und wie jetzt noch Muschelschaalen und Fischgerippe in Menge in diesem Meeresgrunde begraben werden, so und in noch potenzierterem Maßstabe muß dies in den ältesten ersten Perioden, als die Erdrinde sich zu bilden anfing, der Fall gewesen sein. Als die Uebergangsformation als Bodensatz des Meeres sich bildete, muß noch fast die ganze Erdoberfläche mit Meer bedeckt gewesen sein, wie das schon daraus hervorgeht, daß es nur Reste von Algen (Seetang) und von Fischen und Conchylien sind, welche in dieser Formation sich finden. Unmittelbar nachher müssen aber bereits einzelne, wenn auch noch sumpfige Landstrecken das Meer überragt haben. Auf ihnen bildeten sich jene riesenhaften Torflager, welche - vom Wasser ausgelaugt - als Steinkohlenlager sich erhalten haben, mit ihren kolossalen Schachtelhalm- und Farrenkraut-Bäumen und Wäldern. Wo sich Steinkohlenlager finden, liegen sie über der Uebergangsformation, unter dem Kupferschiefer. Unter der Uebergangsformation finden sich nirgends Steinkohlen, sondern da kommt überall gleich das sogenannte Urgebirg (Granit, Gneiß, Glimmerschiefer). Daher wissen wir also, daß die Kohlenformation sich später gebildet hat, als die Uebergangsformation.

„Ebenso (fuhr er fort) ist es mit den folgenden Formationen. Mehr und mehr trat das Land hervor, jedoch so, daß Strecken, welche zuvor Festland gewesen, nachher wieder unters Meer versunken sind. Daß sie Festland gewesen, sieht man aus den Landpflanzen und Landthieren, die sie enthalten; daß sie später wieder unter's Meer gesunken, geht daraus hervor, daß sie von späteren, jüngeren Formationen (also neuen Niederschlägen) bedeckt sind. Die Oberfläche der Erde muß also in einer sanft auf- und abwogenden Bewegung sich befunden haben - ähnlich, nur freilich etwas stärker, wie jetzt noch ein langsames Sinken der holländischen, ein Steigen der norwegischen und peruanischen Küste beobachtet wird. Im Allgemeinen aber behält es seine Richtigkeit, daß das Festland im Laufe der Zeit mehr und mehr zunahm. Die Kreideformation, die jüngste, zeigt sich nur an wenigen Stellen der Juraformation aufgelagert, weil zu der Zeit, als die Kreide niederschlug, nur mehr wenige Stellen des jetzigen Festlandes von Meeren oder Binnenseen bedeckt waren. Eine größere Strecke bedeckt schon die Juraformation. Wo sie aufhört, tritt unter ihr der Keupersandstein hervor, unter diesem der Muschelkalk u.s.w. Würden Sie z. B. von hier (Ulm) nach Göppingen reisen, so würden Sie von hier sanft aufwärts steigen; denn die Schichten des Jurakalkes sind schräg gelagert, so daß Sie von hier nach Nordwest sanft ansteigen. Ehe Sie Göppingen erreichen, hören die jüngeren oberen Schichten des sogenannten weißen Jura auf, und der ältere braune Jura mit seinen Eisenkieseln und Adlersteinen tritt darunter hervor; vor Göppingen hört auch dieser auf, und der älteste, schwarze Jura, der sogenannte Lias, tritt unter dem braunen Jura hervor. Legen Sie ein schwarzes, ein braunes und ein weißes Buch auf einander; legen Sie sodann unter das eine Ende des schwarzen Buches ein kleines Klötzchen, so daß die Bücher in schräge Lage kommen, und das braune und das weiße ein Stück herabrutschen - so haben Sie nun an diesen drei Büchern, deren je eines unter dem andern hervorkommt, ein Bild der Art, wie die drei Theile der Juraformation unter einander hervorkommen. - Reisen Sie nun aber von Göppingen weiter, der Fils entlang, so tritt alsbald hinter Göppingen der Keupersandstein - als ein viertes, noch weiter unten liegendes Buch zu Tage, und hinter Stuttgardt der Muschelkalk, und wenn Sie von da nach Baden-Baden reisen, kommen hinter und unter dem Muschelkalk die Schichten des bunten Sandsteines hervor. So ist es aber nicht bloß in Württemberg, sondern ebenso in Franken. Wenn Sie nach Nürnberg oder Bamberg kommen, werden sie den Westabfall des Jura im Osten wie eine Mauer stehen sehen. Zwischen Nürnberg und Bamberg treten unter ihm die obersten Lagen des Keupersandsteins (theilweise noch von Liaskalk bedeckt) heraus, und bilden jene niedlichen Anhöhen bei Erlangen und bei Pinzberg, welche von Osten her sanft ansteigen, und gen West steil abfallen. Unter diesen wiederum kommen die tieferen Keuperschichten hervor, die den Steigerwald bilden; auch diese steigen von Osten sanft an, und fallen gen Westen, bei Castell und Kitzingen, steil ab. Dort treten nun die welligen Höhen des Muschelkalk herauf, der sich bis über Würzburg hinaus, bis Carlstadt und Kissingen hin, erstreckt. Bei dem Bade Kissingen kann man wie mit dem Lineal den bunten (gewöhnlich rothen) Sandstein verfolgen, der unter dem Muschelkalk herauskommt. Kissingen gegenüber am Bergabhang liegen zwei Gartenwirthschaften dicht nebeneinander; beim Tiroler- und Schweizerhaus genannt; die erstere liegt auf Muschelkalk, die andere bereits auf buntem Sandstein; die Grenzlinie beider Formationen geht in schräger Linie zwischen beiden, wie mit dem Messer abgeschnitten, die Höhe hinan.“

„Aber in meinem Vaterlande, der Schweiz“, warf ich ein, „habe ich doch von dieser regelmäßigen Aufeinanderfolge der einzelnen Formationen noch nie etwas bemerkt.“ „Ja das glaube ich Ihnen“, erwiderte er. „Gerade in den eigentlichen wirklichen Gebirgen (denn die rauhe Alp und der Frankenjura, sowie die Höhen des Keuper, Muschelkalk und bunten Sandstein in Württemberg, Franken, Baden „und der Pfalz sind mehr Landrücken als wirkliche „Gebirge) gerade in den Gebirgen ist jene Regelmäßigkeit durchbrochen und gewaltsam gestört. Was man so eigentliche Gebirge nennt - steile hohe Kämme und Spitzen - die sind durch Hebung entstanden, durch Kräfte, die ohne Frage mit denen der jetzigen Vulkane verwandt waren, und diese Hebungen der Gebirge unterscheiden sich wenigstens dem Grad und der Art nach als local beschränkte aber desto gewaltsamere, von jenen älteren, sanfteren, allmählichen Hebungen und Senkungen ganzer Länderstriche. Nachdem jene geschichteten Formationen sich niedergeschlagen hatten, wurde die Erdrinde stellenweise und strichweise durch Kräfte der Tiefe zerbissen, ältere (vielleicht auch während der Hebung durch die vulkanische Hitze veränderte) Felsmassen wurden emporgetrieben, hoben die geschichteten Gesteine, stellten sie steilrecht auf, durchbrachen sie hin und wieder, oder stürzten sie wild übereinander. So sehen Sie in den Centralalpen, z. B. in der Schöllinenschlucht am Gotthard, die Granitmassen des Urgebirgs emporgedrungen und himmelhoch aufgethürmt; die geschichteten Gesteine (dort hauptsächlich den sogenannten Alpenkalk) rings um die Granitgebirge her mehr oder minder steilrecht aufgelagert. Je höher und kühner das Gebirg, um so wilder und verworrener die Störung der ursprünglichen Ordnung. Bei Heidelberg ist der Kaiserstuhl ebenfalls gehoben, ebenso der Hochberg und Trifels „bei Annweiler; beide aber nur unbedeutend: die Gneißmassen erscheinen nur am Fuß der Berge; sie haben den bunten Sandstein nur gehoben, nicht durchbrochen. - Mit gewaltigeren Hebungen waren auch gewaltigere Fluthen verbunden. Diese furchtbaren Fluthen, in Verein mit der vulkanischen Gewalt, zertrümmerten und zermalmten ganze Berge, und wälzten das zertrümmerte Gestein dann wieder in Wälle zusammen, von deren Größe Sie sich einen Begriff machen werden, wenn ich Ihnen sage, daß der berühmte Rigi in Ihrem Vaterland, desgleichen der Roßberg, welcher Goldau verschüttet hat, ebenso der Speer bei Wesen, und die ganze Albiskette nichts anderes als solche Trümmerwälle (sogenannte Molasse) sind. Man nennt die Periode dieser Hebungen und Ueberschwemmungen (die aber in verschiedenen Zeitpunkten nach einander erfolgt sein müssen) im allgemeinen die Tertiärzeit, und hier haben wir nun noch diejenigen Thier- und Pflanzenreste zu betrachten, welche in den Molassen und sonstigen Anschwemmungen der Tertiärperiode sich finden.“

Ich betrachtete nun auch diesen letzten Theil der Sammlung mit großem Interesse, und entnahm aus dem, was ich theils selber sah, theils von dem freundlichen Dr. R. beifügen hörte, daß in dieser Periode die Thier- und Pflanzenwelt unserer jetzigen bereits sehr ähnlich war, daß namentlich das Säugethier hier auftritt, und zwar neben Bären, Hyänen, Pferden, Tapiren u.s.w. auch ganz merkwürdige, jetzt nicht mehr vorkommende, theils dem Faulthier, theils dem Rhinoceros an Bau ähnliche Gattungen. Er erzählte mir endlich auch, daß in den Braunkohlengruben bei Horgen sowie in denen der hohen Rhone ganze Wälder aus der Tertiärzeit seien aufgefunden worden. Dort haben sich die Blätter, zum Theil auch die Früchte, so schön erhalten, daß unserm Professor Heer in Zürich eine Bestimmung der Bäume möglich geworden, welche diesen urweltlichen Wald gebildet haben. Mehrere Cypressenarten (Callitris und Taxodium) waren die vorherrschende Holzart; dazwischen kamen prächtige Ahornbäume, Eichen, Nußbäume, und zehn verschiedene Weidenarten vor. Im Schatten dieser Bäume stand die Preißelbeere, Moose und Farrenkräuter. Noch ließen sich die Stellen unterscheiden, die von Sümpfen und Bächen durchzogen waren; denn da zeigten sich noch wohlerhalten die Sumpfgräser und Rohrkolben in Gesellschaft von versteinerten Wasserschnecken.

Wie staunte ich, als ich davon hörte. Diese hohe Rhone mit ihren Matten und Sennhütten liegt meinem Fenster gerade gegenüber, und nie hätte ich geahnt, daß sie eine solche Merkwürdigkeit in ihrer Tiefe berge. Du kannst Dir wohl denken, daß ich nach meiner Rückkehr sogleich unsern lieben Professor Heer aufgesucht, und nicht minder auch jene Gruben besucht habe.

Doch so weit sind wir noch nicht, und ich will Dir in der Ordnung erzählen. Es dunkelte, als ich die Eser'sche Sammlung verließ. Ich hatte eben noch Zeit, auf Dr. R.'s Empfehlung zu einem Manne zu gehen, der in einem kleinen Häuschen an der alten Stadtmauer wohnt und mit Petrefakten handelt, um mir zum Andenken an diesen merkwürdigen Nachmittag ein paar niedliche Heringe aus der Kreideformation (von Kirchberg au der Iller) nebst verschiedenen Muscheln zu kaufen. Die Nacht aber konnte ich nicht schlafen. Die versteinerten Thiere in der Tiefe der Gebirge gingen mir in meinem Kopfe herum, und machten ein solches Getöse, daß ich keine Ruhe fand. Du meinst, ich scherze? Nein, nein.

Es war ein ernstlicher heißer Kampf zwischen dem bibelgläubigen Christen und dem Naturkundigen, zwischen dem, was Gottes Wort mir berichtete, und dem, was ich mit meinen Augen gesehen. Die Bibel erzählt, daß am dritten Schöpfungstag das Festland vom Meer geschieden worden sei, und darnach die Pflanzen geschaffen worden, und am fünften Schöpfungstage die Fische, kriechenden Thiere und Vögel, und am sechsten die Säugethiere. Der Augenschein lehrt uns dagegen, daß schon bei der Entstehung der Gebirgsformationen, die einst unter dem Meere sich bildeten und jetzt tief unter der Oberfläche der Gebirge und Ebenen begraben liegen, Pflanzen und Thiere nebeneinander vorhanden waren, und daß sogleich neben den ersten Anfängen des Pflanzenreiches auch Fische, Couchylien, und sehr frühzeitig auch schon Säugethiere vorgekommen seien. Wie ist das nun zu vereinen?

Ich gestehe Dir, die Sache bewegte und beunruhigte mich so, daß ich nach Mitternacht, um endlich einzuschlafen, mich auf die Seite - und zugleich auf die Meinung warf, daß das alles, was die Herren Naturforscher da von verschiedenen Formationen und Versteinerungen in denselben schwatzten, am Ende doch nur auf Täuschung beruhte, und daß diese Versteinerungen am Ende doch nur auf der Oberfläche der Erde sich fänden und Ueberbleibsel der Sündfluth seien. Ich faßte den Plan, nicht mit der Eisenbahn über Augsburg, sondern zu Fuße der rauhen Alp entlang nach Nürnberg zu reisen; befriedigt durch diesen kühnen Gedanken schlummerte ich sanft ein, trat im Traum sogleich wirklich meine Turnfahrt an, und fand in der That die schönsten Mastodonten- und Bärenskelette neben versteinerten Palmen, Farrenkräutern, Muscheln und Ichthyosauren auf der Oberfläche des Erdbodens zerstreut oder in leichtem Sand begraben. Mit dem freudigen Gefühl, daß ich nunmehr alle Naturforscher glänzend widerlegen wollte, erwachte ich. Natürlich hatte ich nun aber um so weniger Ruhe, bis ich wirklich durch den Augenschein mich würde überzeugt haben, wer Recht habe. Ich schickte also meinen Koffer voraus nach Nürnberg, packte meine Reisetasche, und machte mich bei dem herrlichsten Wetter auf, die rauhe Alp zu durchwandern. Welche Kreuz- und Querzüge ich da gemacht, findest Du in der anliegenden Reisebeschreibung ausführlich erzählt. Ich bin nach Boll und an andere interessante Plätze gekommen, ich habe keinen Steinbruch am Wege undurchforscht gelassen, aber - aber - es sah in der Wirklichkeit ganz anders aus als in meinem Traum! Ich lernte sehr bald und ohne Mühe den weißen, braunen und schwarzen Jura und vollends den Keuper unterscheiden, und überzeugte mich ebenso schnell, daß die Thier- und Pflanzenreste nicht auf der Oberfläche lagen, sondern tief im Gesteine selbst sich befanden und in der That vor der Entstehung dieses Gesteins lebend existiert hatten. Der Widerspruch zwischen Bibel und Natur war mir also nicht gelöst, sondern verschärft.

So kam ich, Anfang September, in die prächtige alte Stadt Nürnberg, wo ich vierzehn Tage mich aufhielt. Ich bestellte mir sogleich nach meiner Ankunft bei einem Buchhändler den fünften Theil der Bridgewater-books übersetzt von Werner, den Dr. R. in Ulm mir zu weiterer Belehrung empfohlen hatte. Er enthält eine populär geschriebene Geognosie- und Petrefaktenkunde, von dem ebenso christlichen als gelehrten und tüchtigen, berühmten englischen Naturforscher Dr. Buckland verfaßt. Ich schmachtete nach dem Aufschluß, den ich da finden würde. Aber erst nach sechs Tagen kam das Buch, und weitere sieben Tage war es beim Buchbinder, so daß ich es erst den Tag vor meiner Abreise erhielt. In dieser Wartezeit lenkte sich in einem Freundeskreise das Gespräch einmal ungesucht auf den Gegenstand, der mich so tief beschäftigte. Ich legte meinen Scrupel offen dar. Ein junger Candidat war sogleich bereit, mich von demselben zu befreien. Das erste Kapitel der heiligen Schrift, so versicherte er, solle keine Offenbarung über die Entstehung der Erde sein, sondern enthalte bloß eine Ueberlieferung der Anschauung, die die ersten Menschen über die Entstehung der Erde sich gebildet hatten. Ihre Anschauung richtete sich zuerst auf das Verhältniß der mannichfaltig gegliederten Außenwelt zum Menschen. Adam sah die Erde, seine Wohnstätte, und damit die Erde seine Stätte werden konnte, mußte sie den Himmel über sich haben, und festen Boden, und Pflanzen zur Nahrung. Die Pflanzen sind an die Scholle gebunden, die Gestirne dagegen bewegen sich, aber in festen Bahnen; die Thiere bewegen sich frei, und zwar die Fische und Vögel in Wasser und Luft, die vierfüßigen Thiere gleich dem Menschen auf der Erde. So bildete sich für Adam die Anschauung, daß Gott zuerst Himmel und Erde, dann Festland und Pflanze, dann die Gestirne, darauf die Vögel und Fische und zuletzt die Säugethiere sammt dem Menschen müsse geschaffen haben.

„So hätten wir also“, fiel ein älterer Herr ein, nachdem der Candidat geendet hatte, „in dem Anfangskapitel der heiligen Schrift nichts weiter, als eine subjektive Träumerei Adam's, eine auf keiner objektiven Wahrheit beruhende, derselben vielmehr widersprechende, also falsche und verkehrte Vermuthung Adam's: so und so könnte etwa Gott die Welt geschaffen haben. Sehr geistreich war diese Vermuthung keinenfalls, da der gute Adam die verschiedenen Klassen der Dinge nach der sehr wunderlichen Kategorie der größeren oder geringeren Beweglichkeit classificiert und die Gestirne mitten zwischen die Pflanzen und Thiere hineinrangiert haben soll. Besonders übel kommt der zweite Schöpfungstag dabei weg, von welchem man gar nichts erfährt. Ehrlich gesagt, wenn man einmal zu einer rationalistischen Erklärung von 1 Mos. 1 seine Zuflucht nehmen will, so gefällt mir immer die noch besser, daß die Scheidung des Lichtes aus dem Dunkel, die der Luft aus dem flüssigen Chaos, und die des Festlandes aus dem Wasser, die Grundeintheilung bilden, und daß dann die drei folgenden Tage den drei ersten parallel laufen, indem am 4. das Licht in den Gestirnen gleichsam individualisiert wird, am 5. das Wasser mit Fischen, die Luft mit Vögeln, am 6. das Festland mit Säugethieren bevölkert wird. Wie am Ende des dritten Tages die Pflanze als das erste lebendig-individuelle die erste Schöpfungshälfte schließt und den Uebergang zur zweiten Hälfte bildet, so tritt am Ende dieser, nämlich des sechsten Tages, im Menschen das erste geistig-persönliche Leben auf. So wäre 1 Mos. 1 ein Philosophem, aber doch wenigstens ein geistvolles.“

„Und sollte es wirklich nur ein Philosophem sein?“ rief ich aus. „Sollte Gottes Wort nicht mit einer göttlichen Offenbarung von oben nach unten, sondern mit schwachen Anfängen der von unten nach oben sich hinaufarbeitenden menschlichen Erkenntniß - und zwar einer bei aller Geistreichheit irrigen Erkenntniß beginnen? Nimmermehr kann ich das glauben!“

„Auch ich bin weit entfernt von dieser Ansicht“, versetzte der ältere Herr. „Ich hege vielmehr die Ueberzeugung, daß ein wirklicher Widerspruch zwischen dem geoffenbarten Schöpfungsbericht und den Ergebnissen der Naturwissenschaft gar nicht vorhanden ist.“

„Und wie gelingt es Ihnen, beide zu vereinen?“ versetzte ich. „O geben Sie mir Licht, und erlösen Sie mich von dieser Qual.“

„Die Sache würde uns jetzt zu weit führen“, sagte er, „und die übrige Gesellschaft würde sich langweilen. Ich will Ihnen morgen ein Buch schicken, worin Sie volle Belehrung finden werden.“

Er hielt Wort. Den andern Morgen in aller Frühe erhielt ich „Andr. Wagner's Geschichte der Urwelt.“ Begierig verschlang ich dies mit großer Gelehrsamkeit geschriebene Werk, kann aber nicht sagen, daß ich mich dadurch beruhigt gefühlt hätte. Vor allem fand ich hier eine Frage weitläufig besprochen, die mir bis dahin ganz unbekannt gewesen, nämlich den Kampf zwischen dem sogenannten „Neptunismus“ und „Plutonismus“. Wagner entschied sich für den ersteren, wonach alle Gebirgsarten, das Urgebirg eingeschlossen, aus Wasser oder breiignasser Flüssigkeit entstanden sein sollen, und bekämpfte den Plutonismus, nach dessen Voraussetzung die Erde zuerst ein feuriger Ball gewesen sein soll, auf welchen erst später, als er langsam erkaltete, eine Menge von Dämpfen niedergeschlagen seien und das Meer gebildet hätten, auf dessen Grunde sich dann die geschichteten Gesteine niedergeschlagen hätten. Ich gestehe Dir ehrlich, diese Streitfrage interessierte mich wenig. Der Plutonismus erschien mir als eine Hypothese und zwar als eine absurde. Ich hielt mich einfach an das, was ich mit Augen gesehen hatte, an jene aus dem Wasser niedergeschlagenen, von versteinerten Fischen und Muscheln wimmelnden Juraschichten. Andrerseits konnte ich nicht begreifen, warum man leugnen wolle, daß nach der Bildung dieser neptunischen Schichten die einzelnen Gebirgskämme durch vulkanische Kräfte gehoben seien. Bei diesem Glauben blieb ich stehen, und ließ die Plutonisten und Neptunisten Plutonisten und Neptunisten sein! Mir lag es nur an der einen Frage: wie ist es mit der Bibel zu vereinen, daß schon vor und während der Bildung des Festlandes Pflanzen und Thiere - und zwar alle Classen gleich anfangs nebeneinander vorkommen?

Und hierauf fand ich bei Wagner zwar eine Antwort, aber keine solche, welche mich auf die Dauer hätte befriedigen können. Diejenigen Pflanzen und Thiere (dies ist seine Meinung), welche wir versteinert in den Gebirgen finden, sind nicht dieselben, von welchen 1 Mos. 1 die Rede ist. Jene in dem Gestein begrabenen Organismen waren bloße Ansätze, gleichsam erste Versuche, sie waren nicht zum Bestehen, sondern dazu bestimmt, sogleich wieder verschlungen zu werden. Ja, „ob jenen problematischen Wesen eine kürzere oder längere Lebensfrist vergönnt war, wissen wir nicht.“ (Wagner S. 186.) Von ihnen schweige die Bibel völlig; die ganze Bildung aller Gebirgsformationen vom Urgebirg an bis zu der tertiären Molasse gehöre in den Anfang des dritten Tages. Am Ende des dritten, am fünften und sechsten Tag werde sodann die Erschaffung der jetzigen, zum Fortbestehen bestimmten Pflanzen - und Thierwelt erzählt.

So Wagner. Erlaube mir, daß ich in Kürze Dir meine Bedenken gegen diese Ansicht darlege. Für's erste stört mich schon das entsetzlich unsymmetrische Verhältnis wonach die jahrtausendelange allmähliche Bildung der Gebirge durch Niederschlag in einen der Schöpfungstage zusammengepreßt werden muß, die verhältnißmäßig gewiß sehr rasche Entstehung der jetzigen Pflanzen- und Thierwelt aber auf den weiten Raum vom Ende des dritten bis zum Ende des sechsten Tages auseinandergelegt sein soll.

Wagner nimmt freilich keine allmähliche Entstehung der Formationen durch consecutive Niederschläge, sondern eine rasche simultane Bildung aus einer Breimasse an, die so dick gewesen sei, daß verschiednerlei Brei (hier Kalkbrei, daneben Sandbrei u.s.w.) dicht nebeneinander sich befand, ohne sich zu vermengen. War aber diese Masse so dick, wie konnten denn Thiere darin leben? Wagner hält es freilich für problematisch, ob jene Pflanzen und Thiere wirklich gelebt haben. Aber das ist nun der andere Punkt, der mich zum allerentschiedensten Widerspruch nöthigt. Ich habe in der Eser'schen Sammlung die Jahrringe an den Braunkohlen gezählt. Sind diese Bäume gewachsen oder nicht? Ich habe die Blattabdrücke der Farrenkräuter auf den Steinkohlen bewundert. Haben diese Farrenkräuter mitten in der Tiefe des Schlammbreis entstehen können? Ich habe selbst ein versteinertes Holz nebst einem versteinerten Wurm gefunden, dessen eine Windung durch das Holz hindurchgeht (die Windung ist mit gelbem Mergel gefüllt, während das Holz steinhart ist); der Wurm hat sich hindurchgefressen; hat dieser Wurm gelebt oder nicht? Ich habe seither die versteinerten Excremente fossiler Hyänen, ich habe im Bauch eines fossilen Raubfischskelettes das ebenso fossile Skelett eines von ihm verschlungenen kleineren Fisches gesehen; haben diese Hyänen und Raubfische gelebt oder nicht? Im Brei können sie nicht gelebt haben. Es muß also dabei bleiben, daß die geschichteten Gesteine langsam und nach einander aus dem hellen klaren Meere niedergeschlagen sind, und daß neben dem Meer auch bereits Festland existierte, wie Dr. R. in Ulm es mir erklärt hat. Damit bin ich aber so weit, wie zuvor. Lieber aber will ich den Widerspruch als einen zur Zeit noch ungelösten mit mir herumtragen, als bei einer gekünstelten und gezwungenen Lösung mich beruhigen.

Und auch, was ich in Buckland fand, war von diesem Vorwurfe nicht frei. Ich bekam das Buch den Tag vor meiner Abreise, und fand kurz nachher mitten in der fränkischen Schweiz an einem Regentage Muße, es durchzulesen. Es ist ein treffliches Buch, voll der anziehendsten Detailbelehrungen, aber im Hauptpunkt so wenig befriedigend als Wagner. Buckland schiebt die ganze Entstehung der Gebirgsformationen in den zweiten Vers hinein. „Die Erde ward wüst und leer“, damit soll die Revolution der Tertiärperiode bezeichnet sein, und im Sechstagewerk soll alsdann das Hervorgehn der Erde aus dieser Revolution und das Entstehen der jetzigen Pflanzen- und Thierwelt erzählt werden-. Hienach wäre am ersten Schöpfungstage das Licht nicht geschaffen worden, sondern es wäre, nachdem es zuvor ziemlich dunkel gewesen, nur wieder helle geworden, am dritten wäre wieder festes Land aus der allmählich verlaufenden oder verdampfenden Tertiärfluth hervorgetreten, am vierten der Himmel so helle geworden, daß man wieder Sonne, Mond und Gestirne sehen konnte, u.s.w. Dabei beruhige sich, wer da mag! Ich kann's nicht.2)

Und so bin ich denn noch immer in der Klemme, lieber Freund! Ich habe auf meiner Reise noch vieles gesehen, was mir meine früheren Beobachtungen bestätigt hat, habe auch die Hebung der Gebirge, die Zerreißung und Verwerfung der Schichten so handgreiflich und deutlich gesehen, als man sie nur sehen kann; ich habe noch manche wissenschaftliche Werke über den Gegenstand (von Elie de Beaumont, Brogniart, v. Leonhard, Goldfuß, Bronn u. a.) gelesen - aber meine Frage ist noch ungelöst. Du, lieber Heinrich, bist beides, ein gründlicher Kenner der Geognosie und ein gläubiger Christ; Dir muß diese Frage schon entgegengetreten sein, und ich kann es mir nicht anders denken, als daß Du ohne eine befriedigende Lösung derselben nicht würdest existieren können. So komm denn Deinem von Unklarheit und Zweifel gepeinigten Freunde zu Hülfe, und sei im voraus versichert der herzlichen Dankbarkeit

Deines Georg.


Winterthur, den 5. November 1355.

Mein theurer Georg!

Glückliches Menschenkind, daß Du nicht erst durch die Confusion verworrener und schiefer Darstellungen und untermischter Hypothesen Dich zur klaren und richtigen Anschauung der geognostischen Verhältnisse durcharbeiten mußtest, sondern wie von einem freundlich hellen Stern sogleich in die einfache Reihe der großen unbestreitbaren Thatsachen hineingeführt wurdest!

Deine Reisebeschreibung hat mich in hohem Grade erfreut, aber mehr noch Dein Brief. Noch vor kurzem völliger Laie, hast Du im Sturmschritt Dich mitten hineingearbeitet in das weite aber herrliche Feld der Geognosie, und nun stehst Du und fragst: Wie verhalten sich diese Werke Gottes zu dem Worte Gottes?

Allerdings auch ich habe mir diese Frage frühzeitig vorlegen müssen. Aber auch ehe ich diejenige Lösung gefunden, die mich jetzt befriedigt, war meine Unruhe nicht so groß, als die Deine. Die Ursache lag in folgendem.

Für's erste war ich deß gewiß, daß jene Eingangspforte der göttlichen Offenbarung, 1 Mos. I, sicherlich nicht dazu von Gott bestimmt war und ist, den Naturforschern die Arbeit und das Nachdenken zu ersparen. So entschieden ich darin mit Dir gegen den offenen und den verhüllten Rationalismus einverstanden bin, daß jenes Kapitel nicht bloß das Denkmal einer menschlich subjektiven Anschauung der ersten Menschen, oder der Speculation eines alten Philosophen enthält, so fest ich vielmehr als Christ daran halten muß, daß dasselbe eine Offenbarung Gottes über die Entstehung der Welt enthält (sei es nun, daß diese Offenbarung schon dem Adam gegeben und von ihm herab traditionell fortgepflanzt - sei es, daß sie in dieser Fülle und Ausführlichkeit erst Mosen gegeben wurde) - so gewiß bin ich doch, daß hier Gott nicht dasjenige geoffenbart hat, was für den Naturforscher als solchen interessant, sondern dasjenige, was in religiöser Beziehung von entscheidender Wichtigkeit ist.

Nun ist aber die Art, wie der Mensch sich die Schöpfung vorstellt, in der That von entscheidender Wichtigkeit für die Art, wie er sich den Schöpfer denkt. Aller todte rationalistische Supernaturalismus (wie z. B. am krassesten der Muhammedanismus), denkt sich Gott als einen todt und fremd neben der Welt draußen stehenden, lediglich transmundanen. Gott soll, wie ein Uhrmacher eine Uhr macht und dann aufzieht, so die Welt gemacht und als Uhrwerk aufgezogen haben und sie nun - laufen lassen. Der Pantheismus umgekehrt denkt sich Gott als eine schlummernde bewußtlose Weltseele. Die Welt soll sich aus sich selbst heraus entwickelt haben, und das bewußtlose, von niemanden vorgeschriebene Naturgesetz, wonach diese Entwicklung vor sich ging, beliebt man „Gott“ zu nennen. (Der richtigere Name wäre „Baal“) Weder jener rein transzcendente Allah, noch dieser rein immanente Baal ist aber der wahre lebendige Gott. In der heiligen Schrift hat sich uns der Gott geoffenbart, welcher zwar einerseits als der ewige, allmächtige, der da ist, der Er ist, keiner Welt, sondern nur des Sohnes und heiligen Geistes bedarf, um Gott zu sein; und der die Welt durch seinen freien Willen aus Nichts geschaffen, und in der Zeit und mit der Zeit in's Dasein gerufen hat - welcher nun aber nicht wie ein muhammedanischer Allah draußen stehen geblieben ist, sondern mit seinen vier Kräften (Offenb. 4, 6) und sieben Geistern (Offenb. 4, 5) in sein Geschöpf eingegangen ist, und dasselbe durchdringt und durchwaltet wie er will, bald das Geschaffene erhaltend, bald neuschöpferisch eingreifend; bald durch das Erschaffene selber wirkend und seinen Rath hinausführend, bald neue, bis dahin nicht dagewesene Kräfte und Gaben spendend. So erscheint er uns auch 1 Mos. 1 bei der Erschaffung selber. Er hat ein Gebiet des Lichtes und von vorn herein vollendeten Lebens, den Himmel, und ein zweites Gebiet, die zur allmählichen Entfaltung bestimmte Erde geschaffen. Die letztere ging als ein noch unentwickeltes Chaos von Stoffen und Kräften aus seiner Hand hervor, 1 Mos. 1, 2; sechs neue schöpferische Einwirkungen des frei-wollenden Gottes waren erforderlich, um aus ihr das zu machen, was sie jetzt ist. Gott bediente sich dabei des bereits geschaffenen, um neues zu schaffen; er gebot der Erde, Gras und Kraut hervorgehen zu lassen, dem Wasser, sich mit Fischen zu bevölkern, dem Festlande, Säugethiere „hervorgehen zu lassen“. Immerhin aber bedurfte das Wasser oder die Erde des besonderen Schöpferwortes und der mittelst desselben neu verliehenen, zuvor nicht vorhandenen Schöpferkraft, um Fische resp. Säugethiere producieren zu können. Ohne diese Impulse, ohne diese Eingriffe und Einwirkungen des lebendigen Gottes würde das Meer nie Fische, die Erde nie vierfüßige Thiere haben hervorbringen können. Die Erde hat sich nicht aus eigner Kraft zu dem entwickelt, was sie geworden ist.

Und nun finde ich für's zweite, daß mit diesem religiös-wichtigen Kern und Hauptinhalt von 1 Mos. 1 die Resultate der Geognosie auf's genaueste übereinstimmen. Es hat noch vor wenig Jahrzehenten Naturforscher gegeben, und gibt deren hin und wieder noch, die da geträumt haben, aus dem Urschlamm habe sich zuerst eine einfache Pflanzenzelle so allmählich, mir nichts, dir nichts, gebildet, aus ihr eine Faser, eine Flechte, allmählich ein Moos; daraus seien nach und nach vollkommnere Pflanzen geworden; eine andere Faser habe sich zum Infusionsthier entwickelt, dies zum Polypen und Echiniten, dieser zum Wurm, der Wurm am Ende zum Muschelthier, dies zum Krebs, der Krebs zum Käfer und Schmetterling, ein anderes Muschelthier zum Fisch oder Vogel, ein drittes zur Maus, diese zur Katze, die Katze zum Löwen oder Pavian, der Pavian zum Orangutang, der letztere zum Naturforscher entwickelt - nun diesen Unsinn widerlegt niemand besser als die Geognosie. Uns zum Troste, nicht zur Beunruhigung, zeigt sie uns schon in den ältesten Uebergangsschichten neben den Zoophyten und Muscheln auch Krebse, Fische, Eidechsen, und bald im Jurakalk auch schon Bienen und Schmetterlinge. Laß Dir mittheilen, was unser trefflicher Prof. Heer in seiner Rede zur hundertjährigen Jubelfeier der Zürcher naturforschenden Gesellschaft hierüber spricht: „Die jetzige Schöpfung ist die vollkommenste, sie besitzt die am höchsten entwickelten Organismen. Es findet also mit der Annäherung an unsere Schöpfung eine Fortentwicklung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen, eine Potenzierung der Natur statt. Diese faßt man indessen gar verschieden auf. Ich will nicht reden von jener Ansicht von der Umwandlung der Typen, daß allmählich im Laufe der Zeit eine Steigerung von der niedrigsten Pflanze weg bis zum Menschen hinauf stattgefunden, und daß also die Formentypen der Natur im steten Flusse begriffen seien; denn diese Ansicht widerspricht so sehr aller Vernunft wie Erfahrung, daß sie keine ernste Berücksichtigung verdient. Dagegen hat jene andere Ansicht, daß zwar die Typen fortbestehen, daß aber eine solche gleichmäßige Stufenfolge in der Entwicklung der Natur stattgefunden, daß je ein vollkommneres Glied auf ein unvollkommneres gefolgt sei… von jeher viele und auch geistreiche Anhänger gebunden. Allein auch dieser Ansicht widersprechen unsere Erfahrungen. Es steht gegenwärtig unumstößlich fest, daß schon in den allerältesten Erdschichten, aus denen man organische Reste kennt, neben den Pflanzen auch die vier Haupttypen des Thierreichs auftreten Es fand nicht eine allmähliche gliedweise Steigerung der Natur statt, sondern, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine ruckweise, indem Zeitenweise Gottes Schöpferkraft in anderer Weise sich offenbarte als in anderen Zeiten. Zeitenweise ruft sie eine ganze Welt von Pflanzen und Thieren neu in's Dasein, während sie in anderen Zeiten sich in der Erneuerung der schon gebildeten Formen, in der Wiederholung derselben durch die Vermittlung der geschaffenen Wesen manifestiert. Die Gedanken Gottes verkörpern sich in der Schöpfung also zeitenweise unmittelbar, zeitenweise mittelbar, welche beiden Formen der Fleischwerdung göttlicher Gedanken uns aber gleich unbegreiflich sind.“

Lieber Georg! Klingt dies Wort unseres ebenso wissenschaftlich tüchtigen als frommen Naturforschers nicht wie ein Ja und Amen zu dem, was uns die Offenbarung Gottes 1 Mos. 1 im allgemeinen sagt? Wie mit Einem Schlage sehen wir in der Uebergangsformation eine beginnende Thierwelt auftreten - „gleichsam prophetische Arten“, wie Heer S. 44 sagt, „deren Typus erst in folgenden Schöpfungszeiten zur vollen Entwicklung kommt“. Wir sehen diese Schöpfung durch eine mehr oder minder plötzliche Katastrophe vernichtet und begraben werden; eine neue Periode beginnt, und mit ihr eine neue in sich abgerundete Welt anderer, anders organisierter Wesen. Und so geht es fort. Zweierlei ist dabei augenfällig. Einmal, daß aus den chemischen Gesetzen (welche kaum zur Erklärung der Entstehung der Steinmassen hinreichen) sich die Entstehung solcher Welten lebender Organismen gerade so wenig erklären läßt, als es heute möglich ist, auf chemischem Wege unter der Retorte eine Pflanze, oder ein Thier, oder einen Homunculus zu Stande zu bringen, - daß hiezu vielmehr Beseelung nothwendig war, und Seelen nur durch des lebendigen Gottes Allmacht geschaffen werden konnten.3) Zweitens, daß, wie Heer sagt (S. 45): „wenn wir die Pflanzen und die Thiere aller Schöpfungsperioden zusammenstellen, sie sich zu einem harmonischen Ganzen, zu einem Systeme verbinden“, so daß z. B. frühere untergegangene Perioden die Bindeglieder zwischen den jetzigen Classen und Gattungen enthalten, und die Lücken, die scheinbar jetzt in dem System der Organismen vorhanden sind, ausfüllen, so daß also die verschiedenen Schöpfungen verschiedener Perioden als nach einem einheitlichen vollkommen bewußten Schöpfungs-Plane angelegt erscheinen, womit der Schöpfer sich als der selbstbewußte persönliche, weise und lebendige manifestiert hat.

Ist das nicht schon der Herrlichkeit genug? Lange Zeit war mir es genug, mich völlig dabei zu beruhigen. Ich betrachtete 1 Mos. 1 als eine Offenbarung, welche an einzelnen gleichsam herausgegriffenen Beispielen uns belehren wolle über die Art, wie Gott bei der Erschaffung verfahren habe, ohne uns jedoch über die Reihenfolge seiner Schöpfungen einen näheren Aufschluß zu gewähren. Diese Reihenfolge, so dachte ich, sollte uns nicht geoffenbart, sondern von uns durch Forschen und Nachdenken gefunden werden. Genug wenn wir erfuhren, daß die Welt sich weder von sich selbst heraus entwickelt habe, noch von einem steifen Allah, wie ein Uhrwerk verfertigt und aufgezogen worden, sondern daß er in ihr wirksam gewesen, und ihr Kräfte zur eigenen Entwicklung verliehen habe, immer aber so, daß er dabei fort und fort über ihr stand, und stoß- und ruckweise in ihre Entwicklung durch Verleihung neuer Kräfte und Impulse eingriff. Genug, wenn Schrift und Natur gleichermaßen ihn bei der Erschaffung als denselben darstellen, als den er nachher bei der Erlösung sich erwiesen, als den lebendigen El Schaddai, welcher sein Geschöpf erhält und nichtsdestoweniger Wunder thut.

Aber, lieber Georg, so beruhigend mir schon diese Ueberzeugung sein mußte, so habe ich doch die Freude, Dir melden zu können, daß ich seit acht Jahren bereits noch eine weit durchgreifendere und tiefere Uebereinstimmung zwischen 1 Mos. 1 und den Ergebnissen der Geognosie - eine Uebereinstimmung, die sich auch auf die Reihenfolge der Schöpfungen erstreckt - kennen gelernt habe. Der, dem ich diese Kenntniß verdanke, ist nicht Naturforscher von Fach, sondern Theologe. Du mußt mir aber verzeihen, wenn ich von den dringendsten Geschäften geplagt, für heute hier abbreche, und Dich auf einen nächsten Brief vertröste, der nicht lange soll auf sich warten lassen. Bis dahin in Liebe

Dein Heinrich.


Winterthur, den 7. November 1855. Lieber Georg!

Meinem Versprechen gemäß lasse ich heute die Fortsetzung meines vorgestern abgebrochenen Briefes folgen.

Von den Jahren 1845-47 ist in Zürich eine kirchliche Zeitschrift: „Zukunft der Kirche“ erschienen, die Dir wohl nur darum unbekannt geblieben ist, weil Du erst seit vier Jahren in unserm Canton Dich angesiedelt hast. Der dritte Jahrgang derselben enthält einen längeren Aufsatz in drei Artikeln: „Die Weltanschauung der Bibel und die Naturwissenschaft.“ Leider habe ich diesen Jahrgang in dem Augenblick verliehen, sonst würde ich Dir ihn mitsenden. Es soll später geschehen. Einstweilen theile ich Dir den Kern- und Grundgedanken mit.

Sowie 1 Mos. 1 der Mond unserer Erde erwähnt, die Jupiters- und Saturnsmonde aber mit Stillschweigen übergangen sind, weil allerdings der Zweck jener Offenbarung nicht dieser war, den Astronomen und Naturforschern überhaupt das eigne Forschen, Arbeiten und Nachdenken zu ersparen, so enthält auch jene Offenbarung keine Aufschlüsse über das Detail der Bildung der Erdoberfläche und der nach einander auftretenden Organismen. Gleichwohl aber kann und darf diejenige Reihenfolge der Schöpfungen, welche 1 Mos. 1 geoffenbart wird, keine falsche, keine bloß fingierte sein; sie muß der objektiven Wirklichkeit entsprechen, so nämlich, daß sie den Gang der objektiv wirklichen Geschichte der Erdbildung und ihrer Organismen nach den Hauptumrissen angiebt.

Verlassen und vergessen wir nun einmal das erste Kapitel der Genesis, und befragen wir die Geognosie! Wie würde sich die Geschichte der Erde und ihrer Organismen darstellen, wenn die Ergebnisse der Geologie nach ihren Hauptumrissen kurz zusammengefaßt werden sollten?

Ich glaube, ein Geognost, welcher dieser Ausgabe sich unterzöge, würde nicht bloß auf die Qualität, sondern auch auf die Quantität und Menge der in den einzelnen Formationen vorkommenden organischen Reste Rücksicht nehmen. Er würde von den spärlichen, sehr selten und vereinzelt vorkommenden organischen Resten in der Uebergangsformation völligen Umgang nehmen; dagegen würde die Steinkohlenformation ihm als ein wirkliches wichtiges epochemachendes Hauptglied erscheinen. Da sind es nicht einzelne sporadische Organismen, die hier und da auftreten; da zeigt sich vielmehr die Erdoberfläche, so weit sie (als flaches sumpfiges Terrain) aus dem Meer hervorragte, bedeckt mit einer Riesenvegetation, von deren kolossalen Verhältnissen wir uns kaum mehr einen Begriff zu machen vermögen. Statt Worten mögen Zahlen reden. England verbraucht durchschnittlich im Jahre etwas über 677 Millionen Centner Steinkohlen. Die Steinkohlenformation tritt nur an einem verhältnißmäßig nicht sehr breiten und großen Strich an der Ostküste Englands zu Tage (im übrigen Lande ist sie von jüngeren Formationen überlagert und bedeckt). Nun ist aber in den bis jetzt bebauten Kohlenbergwerken Englands, unter der Voraussetzung, daß der jährliche Kohlenbedarf sich gleich bleibe, das Vorhandensein eines Vorrathes für 500 Jahre nachgewiesen. Also an jener, verhältnißmäßig so sehr kleinen Strecke ein Quantum von 338.500 Millionen Centner Steinkohlen! Analog sind die Verhältnisse in andern Kohlendistrikten, z.B. an der Saar und an der Ruhr. Die sämmtlichen organischen Ueberreste aus der Uebergangsperiode sammt den Thierüberresten aus der Kohlenperiode erscheinen, mit dem Quantum dieser Vegetation verglichen, geradezu als verschwindende Größe. Will man also die dominierenden Hauptglieder in der Reihe der Schöpfungen Gottes aufführen, so muß man sagen: nachdem zuerst Strecken Landes aus dem Meere hervorgetreten waren, war die erste massenhaft und dominierend auftretende Welt von Organismen eine Welt von Pflanzen. Gerade so lesen wir es aber 1 Mos. 1, 9-13. Mit der „Sammlung der Wasser an besondere Oerter, daß man das Trockene sehe“, wird eben dort ganz natürlicherweise das erste Hervortreten von Festland aus der Fluth gemeint sein. Daß hernach noch viele Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche stattfanden, daß Strecken Festlandes wieder von Wasser bedeckt, andere gehoben wurden, wird ja damit nicht ausgeschlossen. Dies Detail brauchte aber auch nicht erzählt zu werden. Ebensowenig wird erzählt, daß es nicht dieselben Pflanzenindividuen und nicht dieselben Genera und Species von Pflanzen waren, in welchen die Pflanzenwelt von nun an sich fortsetzte; das Detail der weiteren Ausbildung der Pflanzenwelt wird übergangen; genug daß von jenem 1 Mos. 1, 9 ff. bezeichneten Zeitpunkt an 1) ein Unterschied von Land und Meer da war und sich (unter verschiedenen Modificationen) von da an forterhielt, und 2) eine Pflanzenwelt da war und sich (unter verschiedenen Modificationen) von da an forterhielt.

Gehen wir nun weiter! Die organischen Reste im bunten Sandstein, sowie die im Keupersandstein, erscheinen ihrer Menge nach wiederum äqual Null, und sind wesentlich nur schwache Fortsetzungen der einmal geschaffenen Pflanzenwelt. Dagegen tritt zwischen buntem und Keupersandstein, im Muschelkalk, zum erstenmale massenhaft eine Thierwelt auf, und zwar Polypen, Corallen, Radialen, Terebrateln, Muscheln, Schnecken und auch bereits Saurier (Eidechsen). Diese Ueberreste sind in unglaublicher Menge vorhanden, so daß ganze ungeheure Steinmassen oft ganz aus den Ueberresten der Schalen jener Thiere zu bestehen scheinen. Welch' ein Gewimmel von Thieren muß in jenen Gewässern gewesen sein, aus welchen der Muschelkalk niederschlug! Die Juraformation erscheint uns alsdann lediglich als die zweite, nur noch vollkommnere und massenhaftere Periode dieses Auftretens der „webenden und lebendigen Thiere, die da leben und weben und vom Wasser erreget werden“ (1 Mos. 1, 20-21); es treten andere, neue Gattungen und Arten auf, aber der Hauptcharacter der Bildungsperiode bleibt derselbe. Der Muschelkalk und der Jura sind so recht eigentlich die Geburtsstätte der Wasserthiere, und es sind namentlich auch jene Riesensaurier, welche damals ihre höchste, nachher nie wieder erreichte Ausbildung erlangt haben. In welcher unglaublichen Menge diese Thiere dort vorkommen, davon wirst Du Dich ja selbst durch den Augenschein überzeugt haben. Ich meinestheils habe Steinbrüche im Liaskalk besucht, wo ich blindlings in den nächsten besten Mergelhaufen greifen durfte, und gewiß sein konnte, wenigstens ein Dutzend Belemniten in der Hand zu haben. Die Liaskalksteine selbst waren an ihrem Bruch förmlich schattiert und gestreift von der Menge der eingewachsenen Belemniten. Ebenso enthielt in Jurakalkbrüchen jede Handvoll Mergel Dutzende von Ammonshörnern. Ja die ganze obere Juraformation stellt sich als ein großes Korallenriff dar. Wie also in der Steinkohlenformation das Pflanzenreich massenhaft und dominierend auftritt, so im Muschelkalk und der Juraformation das Reich der schwimmenden und kriechenden Wasserthiere von den Polypen und Korallen an herauf durch die Schaalthiere bis zu den Fischen und Sauriern. Genau so lesen wir es 1 Mos. 1, 20 ff.

Aber die Vögel? fragst Du. Daß die Gerippe der Vögel sich nicht so gut erhalten konnten, als die der Eidechsen und als die Muschelschalen, ist begreiflich. Die Wasserthiere lebten im Wasser oder Schlamm und wurden alsbald nach ihrem Verenden im Schlamm begraben, vom Schlamm durchdrungen und so durch Versteinerung erhalten. Die Vögel, auf dem trockenen Festlande lebend, verwesten. Wir dürfen also von vornherein nicht erwarten, massenhafte Spuren von Vogelgerippen zu finden, und aus diesem Befunde keine falschen Schlüsse gegen ein massenhaftes Vorgekommensein von Vögeln ziehen. Vereinzelte Spuren von Vögeln kommen aber in der That in derselben geognostischen Periode vor. Schon in der Triasformation (in Connecticut) hat man Fußspuren von riesengroßen straußenartigen Vögeln gefunden. In der sogenannten Wealdenformation (zwischen Jura und Kreide) hat man Knochen von Sumpfvögeln, in der Kreideformation Reste von Vögeln überhaupt gefunden.

So lehrt uns denn also die Geognosie: 1) alsbald nach der ersten und erstmaligen Scheidung von Meer und Festland das Auftreten einer Riesenvegetation, 2) dann in der Periode der wiederholten sanften Hebungen und Senkungen ganzer Länderstrecken - in der Periode des Spieles zwischen Wasser und Land - ein massenhaftes Auftreten der Wasser- und kriechenden Thiere, und daneben ein Auftreten der Vögel. - Ist uns nun im dritten und im fünften Schöpfungstage ein richtiges oder ein unrichtiges Bild von den Hauptepochen der Schöpfung gegeben?

Es folgte nun endlich jene Periode, wo an die Stelle jener sanften, wiegenden Hebungen und Senkungen solche Eruptionen traten, welche mit den jetzigen vulkanischen Ausbrüchen bereits weit mehr Verwandtschaft zeigen, als mit der sanften Hebung oder Senkung ganzer Küsten und Länder. Die Erde kreißte; an bestimmten Stellen wurden die markierten Gebirge gehoben; die alten Schichten (das Werk des Wassers) wurden durch Kräfte der Hitze und des Dampfes gesprengt, gehoben, durchgebrochen, und das nicht ohne neue aber gewaltsame Fluthen, welche ganze Berge zertrümmerten und Rigi-Hohe Trümmerwälle aufdämmten. Und hier tritt - während mittlerweile die Pflanzen- und niedere Thierwelt unserer jetzigen bereits sehr ähnlich geworden - zuerst das Säugethier massenhaft und dominierend und in vollkommener Ausbildung auf. Vereinzelte Spuren von Säugethieren (Kiefer eines Beutelthieres) kommen schon im Jura vor; aber diese vereinzelten Ansätze verschwinden völlig gegen dies Auftreten einer fertigen Welt von Säugethieren, welche uns erst in der Molasse begegnet. Halten wir nun fest, daß, 1 Mos. 1 nicht alle möglichen vereinzelten Detailvorkommnisse erzählt, sondern die großen Hauptepochen charakterisiert werden sollen, so werden wir anerkennen müssen, daß auch der gelehrteste Geognost hier nicht anders reden könnte, als 1 Mos. 1, 24 f. geredet wird. Die Periode, in welcher die Welt der Säugethiere geschaffen wurde, scheidet sich von der der Steinkohle und der des Muschelkalk und Jura sammt der Kreide klar und deutlich als eine dritte Hauptepoche.

Daß aber das Menschengeschlecht noch jünger sei, hat Niemand bezweifelt.

Und nun nimm noch den merkwürdigen Umstand hinzu, daß die in der Kohlenformation vorkommenden Pflanzenarten in allen Zonen der Erde die nämlichen sind, daß also in der Kohlenperiode ein klimatischer Unterschied auf Erden noch nicht bestand, und die Erde nur durch ihre eigne Wärme, noch nicht durch die Sonne, erwärmt wurde, - daß hingegen in der Trias- und Juraformation die Spuren klimatischer Unterschiede eintreten, - so schiebt sich in der Naturforschung wie in der Bibel zwischen die Kohlenperiode (1 Mos. 1, V. 9-13) und die Trias-Jura-Kreide-Periode (V. 20-23) die Organisation der jetzigen siderischen Verhältnisse unsers Erdkörpers (V. 14- 19) ein.

In der Hoffnung, daß Du nun vollständig beruhigt sein werdest, bin ich in alter Liebe

Dein Heinrich.

Nachschrift. Zur Vervollständigung meines obigen kurzen Abrisses schicke ich Dir ein neuerdings erschienenes Werk, dessen Lektüre mir sehr viel Freude gemacht, und das von Fachmännern mit Recht als eine wissenschaftlich sehr tüchtige, gründliche und besonnene Arbeit gelobt wird. Es ist die „Schöpfungsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung des biblischen Schöpfungsberichtes“ von Prof. Dr. Friedrich Pfaff (Frankfurt und Erlangen bei Heyder und Zimmer 1855). Ohne jene Abhandlung in der „Zukunft der Kirche“ zu kennen, kommt Pfaff (S. 615) auf das wesentlich gleiche Resultat. Wenn man die Ergebnisse der Geologie in wenige übersichtliche Sätze zusammenfassen wolle, so müsse man, was die organische Schöpfung betrifft, sagen, daß dieselbe mit dem Pflanzenreiche begann; diesem folgte das Thierreich und zwar zunächst nur Wasserthiere, dann die Landthiere, besonders die Säugethiere und endlich der Mensch. Vergleichen wir diese Uebersicht mit dem Schöpfungsberichte der Bibel, so finden wir, daß derselbe so genau der chronologischen Ordnung nach mit dem ebenangegebenen übereinstimmt, als es nur erwartet werden kann.“ Und nun: vale!

1)
Es bedarf wohl nicht erst der Bemerkung, daß dies nur vom fingierten Briefsteller Georg, nicht vom Verfasser gilt. Der letztere hat sich von früher Jugend an eingehend mit Mineralogie und Geognosie beschäftigt.
2)
an dieser Stelle geht es außerdem auch noch um die Übersetzung von Vers 2 des Schöpfungsberichtes - da hier jedoch die Diskussion anhand des hebräischen Textes geführt wird und ich den hebräischen Text nicht schreiben kann, habe ich diese Zeilen weggelassen. AJ
3)
Die Frage, ob bei der geschlechtlichen Fortpflanzung die Seelen der Nachkommen creatione oder e traduce entstehen, berührt uns hier nicht. Nur das ist gewiß, daß bei der ersten Erschaffung organischer Wesen die Seelen nicht durch einen chemischen Prozeß aus unorganischen, todten Stoffen sich bilden konnten.
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