Diedrich, Julius - Das siebente Wort am Kreuze: Vater! in Deine Hände befehle ich Meinen Geist.

Diedrich, Julius - Das siebente Wort am Kreuze: Vater! in Deine Hände befehle ich Meinen Geist.

Ev. St. Lucä 23, 46.

Jesus hat am Kreuz gesprochen: „Es ist voll, bracht“, und darauf hat Er ein freudiges Herz und gutes Gewissen: Er hat ja Seinen Lauf in der Niedrigkeit vollendet und Sein Leidenswerk ausgeführt. Darauf stirbt Er. Und doch ist hier des Sterbens viel weniger als in Gethsemane, da Er mit dem Tode rang und der blutige Schweiß von Seinem Angesichte in's nasse Gras hinabtröpfelte, und da Er am Kreuze rief: Mein Gott! Mein Gott! warum hast Du mich verlassen? Der Tod war schon bezähmt und ganz bezwungen, als Jesus Sein Haupt neigte und verschied. Er hat Sein Werk vollendet: Er ist zum Schlusse und zur Ruhe gekommen, so muß auch Sein Triumph nahe sein. Er ist ohne Zweifel und Bangigkeit und in voller sichrer Gewißheit darüber, wohin Er geht. Er wußte, daß Ihm der Vater hatte Alles in Seine Hände gegeben, und daß Er von Gott gekommen war und zu Gott gieng. Er sprach: Ich bin vom Vater ausgegangen und kommen in die Welt, wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater (Joh. 16, 28). Da konnte Ihm der Tod nicht mehr bitter sein, brachte er Ihn doch nicht in unbekannte Wüsteneien; sondern in den Schooß des Vaters, wo Er am allerbekanntesten war. Ach möchten wir doch einst so sterben können! Ja Jesus ist darum vor uns gestorben und hat darum auch Seines Herzens letztes Wort laut ausgerufen, daß auch wir einst, wenn unser Stündlein kommt, ausrufen können: Vater, in Deine Hände befehle ich Meinen Geist. - Und das soll uns nichts fernes, fremdes und unerreichbares sein; sondern Jesus redet diese Worte aus Davids Psalm (31). Er redet mit menschlicher Stimme und menschlichem Ausdruck, und Er hat diesem Davidsworte erst zu seinem rechten und vollen Inhalte dadurch verhelfen, daß Er es aus Seinem Herzen gesprochen hat. David wußte nicht so, was er sagte, wie wir es jetzt wissen können, nachdem wir dieselben Worte am Kreuze vom verscheidenden Jesu vernommen haben. Nun wissen wir, woher solche Worte kommen und worauf sie für uns gehen; wir sollen sie auch bei unserm Abscheiden im Herzen haben, dann wird uns gewiß nicht bange sein. Was haben aber diese Worte auf sich? Was hat nicht das Eine Wort „Vater“ hier auf sich! - Sehet, uns wird Gottes Vaterschaft oder, was dasselbe ist, unsre Kindschaft oft so leicht verdunkelt, wenn wir etwas leiden müssen. Ja sogar, wenn wir eigentlich gar nicht leiden, sondern neben unzähligen Wohlthaten Gottes leiblicher und geistlicher Art eine oft nur eingebildete Entbehrung erfahren, oder wenn wir eines verderblichen Genusses uns enthalten sollen, da will unserm fleischlichen Sinne schon Gott nicht mehr Vater scheinen. Das ist recht nach des alten Adams Art. Ein ganzes Paradies hatte er von Gott und was die Hauptsache war, er war des vertrautesten Umganges mit Gott Selbst gewürdigt, dennoch wollte er Gott eines einzigen, zu seinem eignen Besten ihm verbotnen Baumes wegen nicht mehr seinen Vater sein lassen; sondern hielt Ihn für einen mißgünstigen Tyrannen. Macht uns das Entbehren überflüssiger, ja schädlicher Sachen schon verdrossen und unlustig zum Gebete und zum Umgange mit Gott, dann sind wir gewiß, wie jeder gestehen muß, recht treulose Kinder. Aber treulos sind wir auch, wenn wir wirklich am Fleische oder auch an der Seele leiden, und wollen nun nicht Gott unsern Vater sein lassen. Züchtigt nicht jeder vernünftige Vater sein Kind, das er lieb hat? Was soll denn Gott mit uns anfangen? Durch die Sünde sind wir zum Tode verderbt, soll Er uns nun ohne Hülfe im geistigen Tode lassen? Soll Er den Tod des Sünders mit ansehen, soll Er nicht wünschen und schaffen, daß der Sünder sich bekehre und lebe? Ja, wenn Er uns ließe, dann würde Er wirklich aufhören, Vater zu sein. Aber weicht denn die Sünde vor lauter Liebkosungen? Muß man nicht am Fleische leiden, damit man auch nur frech zu sündigen aufhöre? Machen uns lauter gute Tage, d. h. Fleischestage, nicht übermüthig und Gottes selbst verachtend? Was soll da Gott mit uns thun? Und will Er uns nicht unsre Sünde in Christo vergeben? Will Er uns nicht mit den eigentlichen Todesstrafen verschonen, indem Er nur das Fleisch hier züchtigt? Ach wie sollten wir Gott danken, wenn Er uns hier so väterlich in der Zeit straft, damit wir die Ewigkeit gewinnen!

Ja seht, wir lassen uns so leicht, wo doch Gottes Liebe so sonnenklar ist, von der Kindschaft abführen; Jesus litt wirklich unschuldig für andere, für uns, für Seine Feinde und Mörder. Ihm war aber deßhalb Sein Leiden nicht abschreckend und verdrießlich; sondern darum gerade ist es Ihm recht werth und herrlich gewesen, Leiden ist gerade desto schöner, je unschuldiger es jemand trägt: und das muß ein fehlloses, fleckenloses Lamm sein, das der Welt Sünde tragen, sühnen und zudecken soll Es ist eine große Täuschung, wenn jemand meint, unschuldig zu leiden und ist zugleich über sein Leiden verdrossen. Die Verdrossenheit zeigt schon die Gottentfremdung unzweifelhaft an und wer Gott entfremdet ist, der ist wohl sein eigner Gott und kann nie mehr unschuldig leiden. In Jesu Leiden ist Seine Unschuld, d. h. nicht bloß Seine Fehllosigkeit, sondern Sein williger Gehorsam gegen den Vater und Seine unendliche barmherzige Liebe gegen uns, welches beides Ihn gar nicht verdrossen werden ließ, von unendlicher Herrlichkeit. Von Jesu haben es Seine Heiligen gelernt. Darum spricht Stephanus: „Herr Jesu! nimm meinen Geist auf!“ Er kniete aber nieder und schrie laut: „Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht!“ Und als er das gesagt, entschlief er. (Apg. 7.) Ach, Gott gebe uns auch einst ein so seliges Entschlafen, daß wir den Himmel offen sehen und mit der ganzen bösen Welt in Frieden fertig seien.

Unserm HErrn Jesu ist Gott immer Sein Vater geblieben, auch in dem bittersten Leiden, auch im Thore des Todes, denn Ihn hat das Leiden nicht irre gemacht. Ja in Seinem menschlichen Bewußtsein ist Ihm die Vaterschaft Gottes erst durch Sein Leiden auf's Höchste verklärt worden. Darum spricht Er kurz vor Seiner Marter: Nun ist des Menschen Sohn verkläret, denn Gott ist verkläret in Ihm (Joh. 13, 31). Nun erfährt Er ja recht die Liebe des Vaters zu den verlornen Brüdern, da Er für uns so große Schmerzen duldet. Des Vaters Liebe ist in Christi Menschheit, da sie am Kreuze hängt, auf's Höchste verklärt, und wo könnten wir Gottes Liebe wohl deutlicher sehen, als am Kreuze, da der Vater Seinen Sohn zu uns Seine Arme ausbreiten läßt? Der Vater ist die Liebe, und der Sohn ist die Liebe, und der Heilige Geist ist der Geist der Liebe; aber des dreieinigen Gottes Liebe feiert ihren höchsten Sieg auf Golgatha, wo sich Jesus für uns darbringt: damit erweist Er sich als der wahrhaftige, wesenhafte Sohn des ewigen Vaters. Darum hat Er in den Tagen Seiner Menschheit noch nie so „Vater“ gesagt wie diesmal: Ja, Er hat Gott ganz zum Vater und zu Seinem Urbilde und Er ist ganz Sohn und Ebenbild und nun ist Sein Vater-rufen lauter Triumphgeschrei über Sünde, Tod und Teufel. - Sehet, solche Herrlichkeit ist nun durch Jesum in der Menschheit vorhanden und uns gegeben. Durch Ihn sind wir mit Gott also versöhnt, daß wenn wir durch den Glauben in Ihm sind, wir auch zu Gott Vater sagen können, wie Er zu Ihm Vater gesagt hat: und so oft wir also im Glauben „Vater“ sagen, ist es auch lauter Siegesjubel über Sünde, Tod und Teufel. -

II.

„In Deine Hände befehle ich Meinen Geist“ spricht der HErr, und mit diesen Worten schwebt Er auch schon hinüber. Der natürliche Mensch hat Furcht vor Gottes Händen, denn er mag von nichts anderm als von seinen eignen Händen abhängig sein. Es ist ihm verdrießlich, von andern und zwar von allmächtigen Händen noch hören zu müssen, und weil er so sein eigner Gott sein will, darum muß es ihm auch schrecklich sein, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Wer noch sein eigner Herr und Gott sein will, der denke nie im Frieden sterben zu können. Wo dein Geist nie sonst geruht hat, dahin denke ihn auch bei deinem Sterben nicht wahrhaft befehlen zu können, weder wird er dort an>genommen, noch wird er da bleiben wollen. Wer nur immer in sich selbst gelebt und geruht hat, wohin will sich der befehlen, wenn er. stirbt? - Sehet, Jesus ist von Ewigkeit im Schooße des Vaters gewesen: von dort her ist Er gekommen, nicht in die Fremde zieht Er nun, sondern in Seine vertrauteste Heimath, wo Er alles kennt und alles liebt und wo Ihn auch alles kennt, liebt und ehret. Jesus hat an Gott ja Seinen Vater, Seinen ewigen Grund, aus welchem Er von Ewigkeit her geboren ist. Darum ist Er ganz sicher in solchem gewohnten und geliebten Grunde; diesem Vater stellt Er alles heim, Er weiß, daß Sein Fleisch wird sicher liegen, Er weiß, daß der Vater Seine Seele nicht in der Hölle lassen, noch Ihn, Seinen Heiligen, verwesen lassen kann. So ist Er der rechte, wahre David und König in Ewigkeit. Sehet, welche heilige Ruhe müssen wir hier an dem Kreuze kennen lernen, welches noch so eben von wilden Volkshaufen und giftigen Spöttern umgeben war! Mitten darin steht die heilige Ruhe Gottes und triumphirt über Alles. Sehet, von diesem Kreuze her soll sie auch uns in unsre Herzen kommen, daß sie uns auch im Todeskampfe nicht verlasse, sondern sich dann erst recht sieghaft bewähre.

Da der HErr Seinen Geist in des Vaters Hände befiehlt, so meint Er Sein ganzes Leben. An Ihm ist alles Geist und all Sein Reden und Handeln, auch Sein Ruhen war Geist und Leben. Er ist der Geist, und wo Sein Geist ist, da ist Freiheit. Sein ganzes Wissen, Denken und Wollen, Sein ganzes Werk versenkt Er in den Vater, denn von dem Vater her hatte Er es alles. Sein Wort war nicht Sein, sondern Seines Vaters und Sein Wirken ist alles Gottes Wollen und Sagen. Darum giebt Er Sich und all Sein Wesen und Werk in den Vater: und so stellt Er alles Dem heim, der da recht richtet. So wird denn auch der Vater alles ausrichten: das Werk ist ein ewiges, das in Gott befohlen ist, und muß auch zur herrlichsten Vollendung kommen. Und wir sind Christi Werk, geschaffen und genährt von Seinem Geiste und so sind wir auch dem Vater mit befohlen. Das ist uns ein großer Trost in allen unsern Kämpfen und Nöthen, Ruht nun Jesu Geist in dem Vater, so muß auch Sein Leib sicher geborgen sein, denn je nachdem die Seele geborgen ist, darnach ist auch der Leib versehen und versorgt, mag Er auch kalt in's Grab gelegt werden, und eine Zeit hoffnungslos scheinen. Mit Seinem Geiste hat Er auch uns nach Leib und Seele in des Vaters Hände befohlen, denn Sein Geist hat Sein Wirken und Schaffen an uns durch Sein Wort und Er spricht: Meine Schafe hören Meine Stimme und Ich kenne sie und sie folgen Mir, und Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen und Niemand wird sie Mir aus Meiner Hand reißen. Der Vater, der sie Mir gegeben hat, ist größer denn alles und Niemand kann sie aus Meines Vaters Hand reißen. - Jesus hat einen merkwürdigen Kreislauf vollendet. Er ist aus göttlicher Majestät in unsre Niedrigkeit gekommen und mit unsrer Menschheit zum Vater zurückgegangen, so hat Er uns zu Sich geholt und uns in des Vaters Schooß gebettet.

Dahin sollen wir täglich unsre Zuflucht nehmen und dort täglich alle unsre Lasten durch Bekenntniß unsrer Sünden ablegen und immer wieder ein gereinigtes Herz und frohen Sinn und heilige Ruhe empfangen. Dann gebrauchen wir Sein Blut recht, das uns mit Gott versöhnt. Thun wir aber das nicht, so verachten wir schon Sein Blut. So wissen wir denn nun, wo Jesus zu Hause ist, wo Er für uns bittet und wo Er uns die Stätte bereitet hat, daß wir darin täglich ruhen: und sind wir darin recht heimisch geworden, dann wissen wir auch unsern Weg (Joh. 14), den die Seele ohne Zweifel nimmt, wenn sie aus dieser Welt geht, Jesus ist unser Weg, den wir einhalten. Und wenn der Tod kommt, ist's nicht mehr Tod, sondern lauter selige Ruhe, der wir lange sehnlich warteten und nach der Ruhe herrlicher Triumph. Dann haben wir Charfreitag ausgefeiert und es ist ewig Ostern, Dann hat alles Kämpfen und alle Anfechtung auf immer ein Ende: Unsicherheit und Bangigkeit sind auf immer entflohen und in unsers Vaters Hände befehlen wir mit Freuden unsern Geist, den Jesus der HErr, welcher der Geist ist, erst wahrhaft zum Geiste gemacht hat.

Gebet. O HErr Jesu! Dir danken wir, daß Du uns die Ruhestatt unsrer Seelen im Schooße Deines Vaters bereitet hast, daß wir dahin für alle Ewigkeit fröhlich gehen können. Gieb uns Deinen Geist, daß wir schon jetzt täglich immer heimischer durch Dein Wort in Dir und Deinem Vater werden, daß diese Welt uns die Fremde und Dein Himmel unsre tägliche Zuflucht sei. Nimm Du unsern Geist täglich an, daß wir zuletzt zuversichtlich sprechen! HErr Jesu, nimm unsern Geist auf, der Du mit dem Vater in Einigkeit des Heiligen Geistes lebest und regierest Ein wahrer Gott in Ewigkeit. Amen.

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