Danichius, Hilarion - Auf Sexagesimä.

Danichius, Hilarion - Auf Sexagesimä.

„Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Luc. 11, 28.

Wie der Hunger ein Zeichen leiblicher Gesundheit ist, gerade so ist nach Chrysostomus die Liebe zum Worte Gottes das gewisseste Anzeichen der Gesundheit der Seele. Sie ist das zuverlässigste Kennzeichen der Auserwählten nach dem Ausspruche Christi: „Wer von Gott ist, der höret Gottes Wort.“ „Die Seele verlangt nach dem Worte,“ sagt Bernhard, „um ihm bei zustimmen und sich zu bessern, um sich erleuchten zu lassen und an Erkenntniß zuzunehmen, um sich darauf zu stützen und in der Tugend und Weisheit fortzuschreiten.“ Wohlan, Gottes Haus bietet uns Gelegenheit Gottes Wort zu hören. Versäumet sie nicht, daß nicht zu späte Reue über euch komme. Umsonst wird das Wort dargeboten, umsonst nehmet es an; wenigstens verachtet es nicht. Gott will, daß einer den andern lehren, einer den andern hören soll. Wer aber für sich allein so klug ist, daß er auf keinen andern Lehrer hören will, als auf sich selbst, der zeigt, daß er mehr Einbildung, als Bildung hat. Wenn ich euch einen Spiegel verschaffte, vermittelt dessen ihr täglich die angeborenen Mäler und Fehler in euren Gesichtern zugleich wahrnehmen und abthun könntet, so würdet ihr den sehr hoch halten. Das Wort Gottes ist ein Spiegel, es ist ein Licht: „Dein Wort ist meiner Füße Leuchte.“ Durch den häufigen Verkehr mit Gottes Worte erlangt die Seele Selbsterkenntniß, lernt die Weisheit. Von einem alten Philosophen erzählt man, er habe mit so großer Begier nach der irdischen Weisheit seines Lehrers gelechzt, daß ihn dieser nicht einmal mit dem Stocke von sich wegjagen konnte. Schlage mich, sprach er, aber lehre mich. Freilich ist's nicht genug, das Wort Gottes zu hören, man muß es auch bewahren. Selig sind, die es hören und bewahren. Mit den Ohren wird es gehört, im Herzen wird es bewahrt, und durch die Werke wird der Zweck des Wortes erfüllt. So seid nun Thäter des Wortes und nicht Hörer allein, damit ihr euch selbst betrüget. Was hier Jakobus jagt und räth, muß auch gethan werden. Darum ist ein Tag für die Predigt da, sechs aber, um der Predigt nachzuleben. Wenn ich einen jeden von euch einzeln fragen würde, ob er selig werden wollte, so würde die Antwort lauten: Ja freilich, will ich! Denn wenn nach dem Ausspruche eines Philosophen alle Menschen von Natur nach Wissen Verlangen tragen, so tragen sie noch viel größeres Verlangen nach der Seligkeit, nicht allein nach der himmlischen, die aus dem Schauen des Gottes fließt, der das höchste Gut und die lauterliche Liebe ist, sondern auch nach der irdischen, die darin besteht, daß man in guten Werken nach tugendlicher Vollkommenheit trachtet. Laßt mich an einem einzigen Ausspruche der heiligen Schrift diese Seligkeit erweisen. „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Wenn die Königin Saba die selig preist, die Salomonis Weisheit hörten, wie viel mehr sind die selig zu preisen, die Gottes Wort hören. Es wäre ein wunderbares und fast unglaubliches Wort, wenn es nicht die Wahrheit selbst gesagt hätte: „Selig sind, die Gottes Wort hören.“ Es heißt nicht: die es predigen oder lehren, sondern, „die es hören.“ Was ist leichter als hören? Das Lehren hat seine Gefahr, das Hören ist ohne alle Beschwer. Und doch gibt es Menschen, die auch das schwer finden. Wenn sie mir sagten: Wir können nicht wachen, nicht schweigen, nicht beten, nicht predigen; das könnte ich wohl glauben. Wenn sie aber jagen: Wir können das Wort Gottes nicht hören, wer sollte das glauben? Es wird hier keine große Arbeit, kein wiederholtes Lesen verlangt, nur das Ohr sollen wir darbieten. „Höre Israel, und sei stille.“ Der Herr redet, höre. Willst du das noch nicht, so laß dir das Wort des Propheten Jeremias durchs Herz gehen, der da ruft: „Land, Land, Land, höre des Herrn Wort.“ Zu dreien Malen ruft er das Land, auf das Wort des Herrn zu hören und den Geist des Lebens in sich aufzunehmen. Maria setzte sich zu Jesu Füßen, und hörte seiner Rede zu. Wir müssen auch zu den Füßen des Herrn sitzen und schweigend sein Wort hören. Wie geschrieben steht: „Er wird einsam sitzen und wird schweigen.“ Was heißt schweigen und einsam sitzen anders, als von irdischen Geschäften feiern und den Geist auf himmlische Dinge richten? Denn schwerlich vermag sich der Geist mitten im Geräusch des Weltverkehrs so leicht zu Gott zu erheben, als wenn er vom Gelärm der Menschen weit abgeschieden ist. Gott ruft die Seele in die Einsamkeit, um dort im Verborgenen mit ihr zu reden. Der himmlische Bräutigam ist eifersüchtig und duldet keinen Nebenbuhler. „Siehe, ich stehe vor der Thür und klopfe an.“ Wenn er allein ist mit der Seele, will er an ihr das Heilswerk treiben. Wenn die Seele still und allein sitzt, dann soll sie vernehmen, was der Herr in ihr reden will. „Höre Israel und sei stille.“ Diese beiden Stücke müssen mit einander verbunden sein. Niemand kann zugleich hören und reden. „Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ seufzt der Prophet Jeremias. Nichts ist leichter, als hören; Arbeit und Gefahr bringt es, das Wort des Herrn predigen. Zum Hören gehört Stillschweigen. Das ist der Wille Gottes, daß sich einer vom andern lehren lasse. Maria merkt auf Christi Worte. Vergeblich aber wird im Gedächtniß bewahrt, was nicht auch im Leben bewahrt wird. Schließlich, wer für sich selbst so weise ist, daß er keinen andern Lehrmeister, als sich selbst, hören mag, der zeigt mehr Einbildung, als Bildung. Siehe doch, Christus lehrt, Maria sitzt und schweigt und hört. Willst du wahrhaft fromm sein, so eile zu schweigen und zu hören. Was soll ich hören? Ich will hören, was der Herr in mir redet. Der Herr ist's, der da redet; wer wollte nicht hören, wer wollte nicht schweigen? Es gibt viele Lehrer der Beredsamkeit und Geschwätzigkeit, keinen einzigen der Schweigsamkeit, als nur allein Gott. Gott will, daß wir schweigen, wenn er redet, also lehrt er die Wissenschaft des Schweigens, die nicht darin besteht, einfach nichts zu reden, sondern die Zeit für's Reden und die Zeit für's Schweigen genau abzuwägen, zur rechten Zeit zu reden und zur rechten Zeit zu schweigen. Wehe dem, der da schweigt, wo er nicht schweigen sollte! Wehe denen, die da reden, wo sie nicht reden sollten! Maria saß und schwieg, sie schwieg und hörte! Wüßten wir doch, was sie hörte! Ein holdseliges Wort war es, das sie so sehr anzog und abzog, daß sie gar nicht mehr an zeitliche Dinge dachte. Darum wird sie auch von ihrer Schwester Martha beim Herrn wegen Nachlässigkeit verklagt. Wüßten wir doch, was sie hörte! Es war ein Wort, süßer als Honig und Honigseim, das sie so fesselte.

Vielleicht, daß er gesagt hat: Höre, Maria, das Wort! Das Wort, das im Anfang bei Gott war, dies Wort spricht zu dir. Allüberall sollst du verehren die Majestät dieses Wortes; dies Wort, das Alles erfüllt und allgegenwärtig ist, sollst du bewundern und anbeten; da es nach seiner Kraft allmächtig, nach seiner Größe unendlich, nach seiner Güte über Alles erhaben, sollst du es allüberall auf's höchste bewundern und anbeten. Siehe, ich bins, der dich erschaffen hat. Siehe, ich bin's, der dich erkauft hat. Siehe, ich bin's, der dich berufen und geheiligt hat. Mir mußt du nachfolgen, mich anbeten, mich bewundern. Siehe, ich bin's, dessen Rathschlüsse erschrecklich, dessen Gerichte gerecht, dessen Gedanken unausforschlich sind. Mich mußt du allerwegen fürchten, mich verehren, vor meinen Gerichten erzittern, für meine Wohlhatten mir Dank sagen. Siehe, ich bin's, dessen Wort die lautere Wahrheit, dessen Wege eitel Heiligkeit, dessen Erbarmen ohne Ende ist; gegen Schächer bin ich voller Geduld, gegen Reuige voll Sanftmuth. Siehe, ich bin der Herr über Leben und Tod, ich gebe das ewige Leben denen, die Gutes gethan haben, denen aber, die Böses gethan haben, die ewige Verdammniß. Dein Lebelang sollst du solche Gedanken erwägen und bewegen, in ihnen weben und leben.

Solche und ähnliche Worte vom Worte des Lebens mochte wohl Maria in ihr verlangendes Herz aufnehmen, und hat dieselben hernach die ganze Zeit ihres Lebens bei sich bewegt und ihnen nachgelebt. So laßt uns Sorge tragen, meine Brüder, daß wir unsere Berufung nicht versäumen, daß wir jenes eine Nothwendigste nicht hintansetzen und am minder Nothwendigen hangen bleiben. Als wir nun Zeit haben, laßt uns das Theil erwählen, das nicht von uns genommen wird, sondern bleibet ins ewige Leben. An den einzelnen Mitteln dazu fehlt es uns nicht. Wir wollen sie brauchen, sie zähe festhalten. Wir haben alle unsere stillen Stunden; wir wollen sie nicht versäumen, wie etliche pflegen, vielmehr wollen wir sie festhalten, und das um so mehr, je mehr der himmlische Bräutigam Alle liebt, die also thun, je mehr er ihnen durch seinen traulichen Umgang dieselben zu versüßen gewohnt ist. Wer aber seine stillen Stunden haßt, der wird nach und nach auch das Gebet, das geistliche Nachdenken und die fromme Betrachtung hassen lernen. Wir wollen ferner, so sehr wir nur können, alle Gelegenheit zu geistlosem Geschwätze meiden. „Ich bin gleichwie ein Pelikan in der Wüste,“ sagt der Prophet. Gleichwie nämlich der Pelikan, der Adler und andere edle Vögel die Gemeinschaft der Menschen zu meiden und nach öden, himmelanstrebenden Felsen ihre Zuflucht zu nehmen pflegen, so pflegen sonderlich weise und stille Seelen den lauten Verkehr der Menschen zu meiden und gegen alle Beunruhigung der Seele und des Herzens durch die Welt die Einsamkeit wie einen friedlichen Hafen zu suchen. Ich lege die Hand auf meinen Mund, ich will schweigen und ihn nicht aufthun, und will hören, was der Herr mir zu sagen hat. Wir wollen nicht mit leerem Gerede die kostbare Zeit verderben, die wir viel besser auf die Förderung unsers Heils verwenden können. Laßt uns vielmehr reinen Herzens Gott schauen, und seine Majestät anbeten, bewundern und preisen. Lasset uns voll Ehrfurcht erkennen seine verborgenen und wunderbaren Gerichte, die er über die Menschen verhängt. Lasset uns mit tiefstem Danke seine Wohlthaten, mit denen er uns in jedem Augenblicke über schüttet, fortwährend im Gedächtniß tragen. Zuletzt endlich lastet uns mit sehnlichem Verlangen warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes, und immer in Gedanken behalten und immer vor Augen setzen jenen Augenblick voller Schrecken, da die Ewigkeit beginnt.

Wahre Frömmigkeit begehrt als einzigen Gnadenlohn für ihre Arbeit nur die unvergängliche und unzugängliche Herrlichkeit, ohne welche dies so arme und so kurze Leben nichts hat und nichts bietet, das der Arbeit und Mühe werth wäre. Gewiß wären wir Christen die elendeten unter allen Menschen, die es unter dem Himmel und unter der Sonne gibt, wenn wir hier im Leiden stehen müßten und für später keine Hoffnung auf reiche Vergeltung haben dürften.

Wollen wir nicht undankbar sein und heißen, so dürfen uns die oben aufgezählten und die andern zahllosen Wohlthaten seiner göttlichen Liebe nicht vom Munde und vom Herzen kommen, damit der heiligen Gedanken ohne Unterlaß sich hingebende Geist nicht durch die Bilder dieser Welt und Zeit gleichwie mit Ruß beschwärzt wird. Leicht verachten wir das Geringe, Vergängliche und Irdische, wenn wir voll Glaubens nach dem Höchsten, Ewigen und Himmlischen streben. So laßt uns jetzt die Finsterniß verlassen, um nachher ins Licht einzugehen. Laßt uns vom hohen Meere in den Hafen einlaufen, nach elender Knechtschaft in seliger Freiheit aufathmen. Der verächtliche und vergängliche Schimmer flüchtiger und trügerischer Güter soll uns hier nicht festhalten, sondern mit vollen Freuden soll unser Geist hinübereilen in das Leben, das kein Verderben kennt, in das wahrhaft selige Leben durch die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, der mit dem Vater und dem heiligen Geiste lebt und regiert Gott über Alles. Amen.

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