Christoffel, Raget – Lebensbilder - IV. Baldo Lupetino aus Albona, Provinzial der Franziskaner in Venedig und seine Leidensgefährten.
1. Baldo Lupetinos Heimat und evangelische Bewegung in derselben.
Beim Anbruch der Reformation durften Doge und Rat von Venedig stolz sich rühmen, über den vierten Teil der Länder zu gebieten, welche zur Zeit, da Christus geboren ward, dem römischen Kaiser Augustus gehorchten. Auch die mit Olivenhainen erfüllte und mit den herrlichsten Saatfeldern und Fruchtbäumen aller Art reich geschmückte Halbinsel Istrien, jetzt eine Perle des österreichischen Kaiserreiches, stand damals unter der Herrschaft der stolzen Königin des adriatischen Meeres. Hier entfaltete sich im zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts unter der Wirksamkeit ausgezeichneter Männer eine evangelische Bewegung, welche zu schönen Hoffnungen für den Sieg der Reformation unter den Bewohnern derselben berechtigte. Der Erste, welcher in diesem evangelischen Sinn unter seinen Landsleuten wirkte, war der Franziskaner Baldo Lupetino. Er entstammte einer adligen Familie in Albona, unweit Pola in Istrien. Sein Geburtsjahr fällt noch wahrscheinlich auf den Schluss des fünfzehnten Jahrhunderts. Über seine Jugendzeit und über den Gang seiner geistigen Entwicklung während derselben hat uns die Geschichte keine nähere Kunde aufbewahrt. Immerhin bekundet sein Eintritt in den Franziskanerorden sein ernstes Streben sowohl nach wissenschaftlicher Bildung, als nach sittlicher Vervollkommnung im Sinn und Geist der römischen Kirche, indem die Mitglieder desselben damals größtenteils sowohl durch gelehrte Bildung, als durch strenge Befolgung ihrer Ordenspflichten sich von den übrigen Mönchsorden vorteilhaft auszeichneten. Wohl war dieser sittliche und wissenschaftliche Ernst, welchen viele Mitglieder dieses Ordens damals betätigten, auch die Ursache, dass die Lehren und Grundsätze der Reformatoren, wie wir es bereits in der Lebensbeschreibung Mollios gesehen haben, bei ihnen einen so freudigen Anklang fanden. Namentlich ward auch von den ernsten Franziskanern die Lehre: „dass der Mensch nicht durch das Verdienst der Werke, sondern allein durch den Glauben an Jesum Christum gerecht und selig werde“, mit besonderer Vorliebe erfasst und verkündigt. Anfangs glaubten die Männer, welche diesen von der Kirche in „halber Verborgenheit gehaltenen Edelstein“, wie der Kardinal Pole diese Lehre nennt, wieder zur verdienten Anerkennung zu bringen sich bestrebten, nur in Übereinstimmung mit der römischen Kirche zu handeln, zumal da Männer, welche hohe Würden in derselben bekleideten, wie die Kardinäle Contarini, Sadolet und Pole in dieser Lehre mit ihnen übereinstimmten. So hatte namentlich Contarini in einem kleinen Traktat sich entschieden also ausgesprochen: „Ich halte dafür, dass man nach der Lehre Christi und der heiligen Schrift nur behaupten darf, dass wir allein uns auf die uns aus Gnade geschenkte Gerechtigkeit Christi und nicht auf die eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit verlassen dürfen. Denn diese unsere Gerechtigkeit ist unvollkommen und mangelhaft und vermag uns nicht vor täglich sich wiederholenden Sünden zu bewahren; daher wir auch täglich bitten müssen: „Vergib uns unsere Sünden.“ Die uns geschenkte Gerechtigkeit Christi ist allein eine wahre und vollkommene, in der wir allein vor Gott bestehen können. Auf diese müssen wir uns daher allein als auf eine feste und unbewegliche Säule stützen und um ihretwillen allein dürfen wir zuversichtlich glauben, vor Gott gerechtfertigt zu werden. Diese ist jener köstliche Schatz der Christen, um dessentwillen der, der ihn findet, Alles verkauft, um sich ihn zu erwerben. Sie ist die köstliche Perle, für die Einer Alles hingibt, nachdem er sie gefunden. So schreibt der Apostel Paulus Philipp. 3,8.9: „Ich achte Alles für Schaden und für Unrat, auf dass ich Christum gewinne und in ihm erfunden werde; dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze, sondern die aus dem Glauben an Christum kommt, nämlich die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ Denjenigen aber, die sich auf ihre eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit stützen, wird in der Offenbarung (3,16) gesagt: „Weil du aber lau bist, und weder kalt, noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: „Ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf nichts; und weist nicht, dass du elend bist und jämmerlich, arm, blind und bloß. Ich rate dir, dass du Gold kaufest, das mit Feuer durchläutert ist, dass du reich werdest; und weiße Kleider, dass du dich bekleidest, und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße; und salbe Seine Augen mit Augensalbe, dass du sehen mögest.“ Und an einer anderen Stelle (2,17): „Ich werde dir geben einen neuen Losstein, in welchem ein neuer Name eingeschrieben steht, den Niemand kennt, als wer ihn empfängt. Das ist der Name Christi, den wahrlich Niemand kennt, als wer ihn empfängt. -“ In gleichem Sinn, in welchem sich Contarini hier über diese Lehre äußert, verkündigte auch Baldo Lupetino, nachdem er selbst den Frieden der Seele im Glauben an Christum gefunden, dieselbe mit großem Nachdruck und Erfolge, und zwar sowohl in der italienischen, als in der slavonischen Volkssprache. So begann in Istrien und in den Grenzgebieten dieser schönen Halbinsel durch die Wirksamkeit dieses Mannes eine hoffnungsvolle evangelische Bewegung sich zu entfalten.
Dieselbe wurde in der Folge durch zwei Männer weiter gefördert, welche mit der bischöflichen Würde bekleidet waren. Pietro Paolo Vergerio, Bischof von Capo d'Istria, entstammte einer alten adeligen Familie dieser seiner Vaterstadt. Nachdem er in seiner Jugend eine gründliche wissenschaftliche Bildung empfangen, begab er sich nach Rom, um daselbst am päpstlichen Hof eine angemessene Stellung zu suchen. Hier nahm ihn Clemens VII. unter seine Hausgenossen auf und sandte ihn später als Nuntius nach Deutschland, damit er Luther und seine Anhänger zur Rückkehr in den Schoß der römischen Kirche zu bewegen versuche. Dieser Versuch misslang ihm zwar vollständig, ohne dass er deswegen beim Papst in Ungnade gefallen wäre. Auch von Paul III. ward Vergerio in der Folge als Nuntius zu dem Gespräch von Worms abgeordnet und nach seiner Rückkehr nach Italien zur Belohnung seiner dem Papst geleisteten Dienste von diesen zum Bischofe von Capo d'Istria ernannt. Indessen wurde er auch durch geheime Ausspäher am römischen Hof der Ketzerei verdächtigt, weil er sich gegen die Protestanten zu nachgiebig erwiesen und unehrerbietig über einzelne Lehren und Einrichtungen der römischen Kirche sich ausgesprochen habe. Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, nahm er sich vor, in einem Buch die Lehren und Grundsätze der römischen Kirche gegen die Angriffe der Protestanten zu verteidigen. Zu diesem Zweck las er die Schriften der Reformatoren und prüfte die darin enthaltenen Lehren im Licht der heiligen Schrift. „Ich griff die Sache,“ äußerte er sich selbst darüber, mit hohem, ernstlichem Fleiß an, verwandte viele Mühe und Arbeit darauf und wie ich ganz emsig daran arbeitete und deshalben die Stellen und Sprüche der heiligen Schrift, welche die Widersacher des Papstes für sich anwenden, fleißig betrachtete und ihren Sinn erwog, begann mein Herz und Verstand sich zu verändern und zu öffnen, also, dass ich fast in allen Artikeln anders gesinnt und in meinem Gewissen überwunden wurde. Lernet und erkennet, dass ich mich unterstand, wie Paulus vor seiner Bekehrung, wider den Stachel zu löcken, wider die unüberwindliche Wahrheit zu fechten, und wider Christum, den Sohn Gottes, zu streiten.“
„Ach, allmächtiger Vater im Himmel, Dir sei in Ewigkeit Lob, Ehre und Dank gesagt, dass Du aus lauter Gnaden eben zu der Zeit, da ich Dein ärgster Feind war und um mich wider Dich zu setzen, ein so gottloses Werk und einen so frevelhaften Kampf beginnen wollte, mich mit so hoher und köstlicher Gabe begabt und mir den teuren Schatz des Glaubens verliehen und Deinen geliebten Sohn Jesum Christum geoffenbart und dadurch mir ins Herz das Pfand verliehen hast, dass ich Dein Kind, ein Bruder und Miterbe Christi in Deinem ewigen seligen Reich geworden sei.“
Nachdem der Bischof von Capo d'Istria auf diese Weise selbst zu Christo sich bekehrt fühlte, gedachte er jenes Wortes Christi an Petrum: „Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder“ (Luk. 22, 32) und ging zu seinem Bruder Giambattista Vergerio, Bischof von Pola, der damals noch eifrig den Lehren und Satzungen der römischen Kirche ergeben war, Dieser entsetzte sich daher über die ketzerischen Lehren, zu welchen sich sein Bruder bekannte und für die er auch ihn zu gewinnen suchte; aber nach und nach siegte auch in seinem Herzen die evangelische Wahrheit über die Macht der Gewohnheit und der Vorurteile. „Es ist die reine, lautere Wahrheit,“ schreibt Pietro Paolo darüber, „dass mein lieber frommer Bruder, der Bischof von Pola, bald nach mir durch mich zur Erkenntnis der rechten evangelischen Wahrheit gelangte. Dieselbe fasst und liebt er auch von ganzem Herzen und mit rechtem Geist; daher er auch gelehrte Männer verordnet hat, welche mit unverzagtem Mut und mit freudigem Geist zu Pola und im ganzen Bistum die erkannte Wahrheit predigen.“
Nun erst fühlten sich die beiden Brüder ihrer Bischofswürde vor dem Herrn auch würdig. Sie fingen nun an, alles Volk von Istrien in Kirche und Haus zu unterweisen in den Heilslehren des evangelischen Glaubens. Das auf den Leuchter gestellte Licht der evangelischen Wahrheit strahlte immer heller und vertrieb die Nebel des Aberglaubens und der Vorurteile. Das Volk pries Gott für die Gabe seines Wortes, durch welches sich ihre Seelen erquickt fühlten.
Das waren die Männer, durch welche der Herr in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die hoffnungsreich sich entfaltende evangelische Bewegung in Istrien hervorrief.
2. Baldo Lupetino als Franziskaner-Provinzial in Venedig und seine evangelischen Freunde daselbst.
Baldo Lupetino erwarb sich durch seine Gelehrsamkeit, wie durch seine Rechtschaffenheit und Pflichttreue in dem Maß das Zutrauen seiner Ordensgenossen, dass er zum Provinzial seines Ordens im Gebiet Venedigs erwählt wurde. In dieser Eigenschaft musste er in Venedig seinen Wohnsitz nehmen. Wie wir bereits in den Lebensbeschreibungen Mollios und Algieris gesehen haben, blühten hier, wie in anderen Städten Oberitaliens, die zur Herrschaft Venedigs gehörten, kleinere und größere evangelische Gemeinschaften, welche sich in der Stille aus der heiligen Schrift und aus den Werken der Reformatoren erbauten. Lupetino war nun in seiner evangelischen Entwicklung so weit, dass er mit diesen evangelischen Gemeinschaften in Verbindung trat und sie durch seinen Einfluss und durch sein Ansehen förderte. In seiner Eigenschaft als Provinzial hatte er die beste Gelegenheit durch Predigten wie in der Seelsorge im evangelischen Sinn zu wirken. Immer entschiedener verkündigte er die Rechtfertigung allein aus dem Glauben an Christum, ganz im Sinn und Geist der deutschen und Schweizerischen Reformatoren. Vorzugsweise wirkte er im evangelischen Sinne auf die Mitglieder seines Ordens. Auf seinen Rat änderte Mattheo Flacio, ein Verwandter von ihm, seinen Entschluss, in den Franziskaner-Orden zu treten und begab sich statt dessen nach Wittenberg, wo er in der Folge ein eifriger Verteidiger der reinen lutherischen Lehre und Richtung wurde. Indem Baldo Lupetino auf diese Weise immer entschiedener sich den evangelischen Gemeinschaften in Venedig anschloss und sie förderte, kam er in Verbindung mit zwei anderen ausgezeichneten Männern, die vom gleichen Streben erfüllt waren. Baldassare Altieri aus Aquila, einem neapolitanischen Städtchen in den Abruzzen gebürtig, war wahrscheinlich, wie Pomponio Algieri, als Studierender in Padua, mit der evangelischen Wahrheit bekannt und von ihr ergriffen worden. Von dem Augenblick an, da er die beseligende Kraft des Evangeliums an seinem eigenen Herzen erfahren, weihte er sein ganzes Leben und Streben der Verbreitung der evangelischen Wahrheit und der Unterstützung und Beschützung der Bekenner derselben. Um dieses Streben besser betätigen zu können, trat er zunächst als Sekretär in den Dienst des englischen Geschäftsträgers in Venedig. Später ließ er sich von den Teilnehmern des schmalkaldischen Bundes zu ihrem Geschäftsträger ernennen. Unter dem Schutz, welchen ihm diese Stellen gewährten, konnte er auch in sehr wirksamer Weise zu Gunsten seiner evangelischen Glaubensgenossen in Venedig und in den benachbarten Städten sich betätigen. Der Dritte, mit welchem sich Baldo Lupetino zur Förderung der evangelischen Gemeinschaften in Venedig verband, war der frühere päpstliche Protonotar Pietro Carnesecchi aus Florenz, der unter Clemens VII. eine so einflussreiche Stellung in Rom einnahm, dass es allgemein hieß, „die Kirche werde mehr durch Carnesecchi, als durch Clemens regiert.“ Nach dem Tod dieses Papstes begab sich Carnesecchi zunächst nach Neapel, wo er ein Mitglied der „seligen Gesellschaft“ des Valdez wurde. Nachdem er von diesem außerordentlichen Mann in die Geheimnisse des Glaubens an Christum und eines ihm geweihten Lebens eingeleitet worden, begab er sich eine Zeit lang nach Frankreich, wo er durch den Umgang mit den glaubenstreuen Protestanten in seiner evangelischen Richtung weiter gefördert und bekräftigt wurde. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich nahm er seinen Wohnsitz in Padua und wirkte offen und entschieden zu Gunsten seiner evangelischen Glaubensgenossen. Indem sich diese drei ausgezeichneten Männer, Lupetino, Altieri und Carnesecchi, zur Förderung der evangelischen Wahrheit und zum Schutz ihrer Bekenner mit einander verbanden, wurden sie mit Recht von den evangelischen Gemeinschaften in Venedig und in den benachbarten Städten als ihre Säulen betrachtet. Wie hoffnungsvoll es um die evangelische Angelegenheit damals daselbst stand, geht aus folgender Stelle eines Briefes hervor, den Altieri Namens der evangelischen Gemeinschaften Venedigs, Vincenza und Treviso an Luther richtete: „Würde uns, wie bei Euch, die freie Predigt des göttlichen Wortes gewährt, welchen Zuwachs würde dann das Reich Christi nicht an Gläubigen und an christlicher Liebe erhalten! Wie viele Prediger würden alsdann nicht auftreten, um Christum dem Volke nach der Wahrheit zu verkünden! Wie viele Propheten, welche jetzt aus allzu großer Verzagtheit in den Ecken lauern, würden dann nicht hervortreten! Die Ernte ist wahrlich groß, allein es sind keine Schnitter vorhanden. Ihr wisst, welchen Zuwachs Eure Kirchen durch das ihnen bewilligte Interim erhielten, dessen Ihr Euch, wie wir vernehmen, drei Jahre lang zu erfreuen hattet, und welches weite Feld dadurch dem Evangelio geöffnet wurde. Nehmt Euch der allgemeinen Sache liebreich an, und sucht uns die nämliche Begünstigung zu erwirken. Bemüht Euch aufs Äußerste, dass wir, die wir täglich um Christi willen leiden, des Trostes teilhaftig werden, der in Christo ist; denn es ist unser sehnlicher Wunsch, dass Gottes Wort verbreitet werde.“ Eine Zeit lang glaubte man hoffen zu dürfen, dass der Senat selbst für die Sache des Evangeliums sich entscheide. Daher ermahnte ihn Melanchthon in einem an Dogen und Senat gerichteten Schreiben, sich von römischen Fesseln frei zu machen: „Eine solche Sklaverei,“ schreibt er unter Anderem, „Sollte sicher nicht geduldet werden, um des Friedens willen genötigt zu sein, alle Irrtümer derjenigen gut zu heißen, welche über die Kirche gesetzt sind. Vorzüglich sollten Gelehrte in der Freiheit beschirmt werden, ihre Meinungen auszudrücken und zu lehren. Da Eure Stadt die einzige in der Welt ist, die sich einer seit mehreren Zeitaltern erhaltenen eigentlichen aristokratischen Regierung erfreut, so geziemt es ihr, gute Menschen in ihrer Denkfreiheit zu beschützen und der schreienden Ungerechtigkeit, welche an anderen Orten verübt wird, entgegen zu wirken. Ich kann mich deshalb nicht enthalten, Euch zu ermahnen, Eure Sorgfalt und Euer Ansehen zur Förderung des göttlichen Ruhmes anzuwenden; ein Gott sehr gefälliger Dienst!“ Aber auch in Rom blieb die evangelische Bewegung nicht unbeachtet. Von daher ertönte die Klage, „dass Seine Heiligkeit aus den eingehenden Berichten mit herzlichem Leidwesen vernommen, wie in mehreren Gegenden Italiens die verderbliche Ketzerei Luthers nicht allein unter Laien, sondern auch unter Priestern und Klostergeistlichen in einem so hohen Grade eingerissen sei, dass Einige von ihnen in ihren Reden, Unterhaltungen und, was noch schlimmer ist, in ihren öffentlichen Predigten die Menge mit diesem Übel anstecken, und zum Vorschub der Ketzerei, zum Anstoß der Schwachen und zum Nachteil des katholischen Glaubens, den gläubigen Christen Ärgernis geben, die unter dem Schutz der römischen Kirche stehen und nach ihren Vorschriften leben.“ So wurden denn auch die so hoffnungsvoll sich entfaltenden evangelischen Gemeinschaften im weiten Gebiet der Republik vom Sturme der Verfolgungen heimgesucht und die herrlichen Männer, welche diese evangelische Bewegung betätigt, fielen als Opfer ihrer Glaubenstreue oder waren genötigt, zur Rettung ihres Lebens und ihrer Überzeugung das Vaterland flüchtig zu verlassen. -
3. Die Verfolgungen der Evangelischen in Venedig und in den zu dieser Republik gehörigen Gebieten werden immer allgemeiner und planmäßiger betrieben.
Einzelne Verfolgungen und Bestrafungen von Evangelischen kamen zu allen Zeiten auch im Venetianischen vor, wie solches auch die Leidensgeschichte des Pomponio Algieri bekundet. Im Allgemeinen wurde aber längere Zeit eine gewisse Religionsfreiheit aufrecht erhalten. In der Folge aber verschwand auch der letzte Schein derselben. Der Verfasser des großen „Märtyrerbuches“ bemerkt darüber Folgendes: „So gut es Anfangs mit der Religionsfreiheit im Gebiete der Republik stand, so schlimm ist es in der Folge geworden. Als der Vater der Lüge bemerkte, dass diese Freiheit ihm immer mehr zum Nachteil gereiche, hat er angefangen, die Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Domherren und dann die Vornehmsten vom Adel und andere Personen, so wegen ihrer Tugenden zum Regiment gelangen und auf welche andere sehen, an sich zu ziehen und sie einzunehmen, damit nachher durch solche Mittel die päpstliche Tyrannei desto besser in gedachter Stadt eingeführt und erhalten werden möchte.“ Namentlich nahm der Papst von der Versammlung des Konziliums zu Trient (1545) Veranlassung, ein langes und in ernsten Ausdrücken abgefasstes Breve an den Senat von Venedig zu erlassen, in welchem er zunächst diese erlauchte Behörde wegen ihres Eifers für die Religion und wegen ihrer Anhänglichkeit an den heiligen Stuhl belobte. Dagegen beklagte er sich laut über das Benehmen der Unterbeamten in den der Republik unterworfenen Gebieten. Anstatt den ihnen gewordenen Befehlen Folge zu leisten, dulden sie das öffentliche Bekenntnis der lutherischen Lehre im Angesicht ihrer Herren und des allgemeinen Konziliums, welches dermalen vorzüglich in der Absicht versammelt sei, um die Ketzereien auszurotten. Se. Heiligkeit ersuchte daher den Dogen und die Senatoren dringend, jene Magistrate ernstlich anzuweisen, ihre bisherige Nachlässigkeit wieder gut zu machen und den geistlichen Behörden zur Ergreifung und Bestrafung der Ketzer allen möglichen Beistand zu leisten. Der Senat willfahrte diesem Gesuche und erließ die strengsten Befehle zur Anzeige und Bestrafung der Ketzer. „Binnen acht Tagen sollten alle gegen den katholischen Glauben gerichteten Bücher eingeliefert werden, bei Strafe als Ketzer angesehen und behandelt zu werden und unter Verheißung einer Belohnung für die Angeber.“ Diese Nachgiebigkeit des Dogen und Senates gegen den römischen Stuhl gewährte dem päpstlichen Legaten alle Freiheit zur Betreibung seiner Verfolgungen der Evangelischen. Namentlich richtete er seine Aufmerksamkeit auf die evangelische Bewegung in Istrien und auf die Wirksamkeit der beiden bischöflichen Brüder Vergerii. Zu dieser Zeit reichten die Mönche von Capo d'Istria eine Klage wegen Ketzerei gegen ihren Bischof beim päpstlichen Legaten della Casa in Venedig ein. „Das ist ein arges Gesindel,“ schrieb Pietro Paolo über diese Mönche. Ich habe sechs oder acht von den Brüdern fortschicken und das Franziskanerkloster von dem der Clarissinnen, mit welchem es fast unter einem Dach war, absperren lassen. Ich habe ferner jenem überaus frechem Betrug, welchen die Gregorianer sich erlaubt hatten, indem sie eine Erscheinung der heiligen Maria di Campi vorgaben, dadurch ein Ende gemacht, dass ich die Drei, welche sie gesehen und mit ihr gesprochen zu haben behaupteten, mit dem Insul auf den Esel setzen ließ.“ Man kann sich denken, welche Erbitterung solche Maßnahmen bei den Mönchen wachriefen. Ihre Anklage gegen den verhassten Bischof fand beim päpstlichen Legaten freudigen Anklang. Sogleich wurde eine Kommission, an deren Spitze sich ein gewisser Fanatiker Annibale Grisonio befand, nach Istrien zur Untersuchung der Angelegenheit abgesandt. Diese betrieb ihr Geschäft mit solchem eilfertigen Eifer, dass sie binnen vierzehn Tagen mehr als achtzig Zeugen verhörte. Grisonio drang in Capo d'Istria, wie in einer eroberten Stadt, in die Wohnungen der Bürger ein und suchte nach verbotenen Büchern. Von der Kanzel herab schleuderte er in einer langen Predigt den päpstlichen Bannstrahl gegen diejenigen, welche sich weigern sollten, die des Luthertums Verdächtigen anzugeben. Denjenigen, welche sich reuig bezeigen und aus freiem Antrieb bei ihm um Gnade bitten würden, sicherte er eine glimpfliche Bestrafung zu; wer aber nicht freiwillig bekenne, was er verbrochen, und nachher von Anderen verzeigt werde, habe den Tod auf dem Scheiterhaufen als Strafe zu erwarten. Indem er in die Häuser drang und jeden einzelnen Bewohner derselben besonders verhörte, versetzte er Alles in Furcht und Schrecken. Denjenigen, welche bekannten, das neue Testament in der Volkssprache gelesen zu haben, befahl er, sich künftig solcher gefährlichen Gewohnheit bei schwerer Strafe zu enthalten. Den Reichen legte er geheime Bußen auf und die Armen nötigte er zum öffentlichen Widerruf. Anfangs ließen sich nur wenige kleinmütige Personen verleiten, sich selbst und ihre Bekannten anzugeben; allein bald bemächtigte sich die Bestürzung der Menge und Jedermann fürchtete, dass ihm sein Nächster im Angeben zuvorkomme. Die Bande der Blutsverwandtschaft und der Dankbarkeit wurden nicht mehr geachtet. Der Sohn schonte weder seinen Vater noch das Weib ihren Gatten, noch der Schützling seinen Beschützer. Als durch solche Maßnahmen die Aufregung in Capo d'Istria aufs Höchste gestiegen war, hielt Grisonio an einem hohen Festtag im reichsten Ornat in der Domkirche die Messe. Nach derselben bestieg er die Kanzel und redete die dichtgedrängte Versammlung also an: „Es ergehen schon seit einigen Jahren Heimsuchungen über Euch, welche bald Eure Olivenwälder, bald Eure Saatfelder, bald Eure Weingärten empfindlich treffen. Über Euer Vieh ist die Seuche gekommen und Eure Nahrung ist verkümmert. Wer hat also diese Übel verschuldet? Wer anders, als Euer Bischof und die anderen Ketzer, die unter Euch sind? Auch dürft Ihr keine Milderung Eures Elendes erwarten, als bis diese bestraft worden sind. Warum steht Ihr nicht auf und steinigt sie sogleich?“ Diese Rede entflammte die Menge zu wilder Verfolgungswut. Um nicht ein Opfer derselben zu werden, musste der Bischof Pietro Paolo Vergerio eine Zeit lang sich verborgen halten. Sein Bruder aber, Giambattista Vergerio, Bischof von Pola, starb mitten in der Verwirrung, welche diese Aufreizungen hervorgerufen hatten. Allgemein wurde geglaubt, dass sein Tod durch Gift, welches die Römlinge ihm beigebracht, veranlasst worden sei. -
Obgleich das Ergebnis der Untersuchungen gegen den Bischof von Capo d'Istria der Art ward, dass auch seine ärgsten Feinde kein weiteres Strafverfahren gegen ihn begründen konnten, so musste er dennoch zu seiner Sicherheit seinen Sprengel verlassen und bei seinem Freund, dem Kardinal Hercules Gonzaga von Mantua zunächst eine Zufluchtsstätte suchen. So ward die hoffnungsvolle evangelische Pflanzung in Istrien mit roher Hand zerstört und die Bewohner der schönen Halbinsel des Segens des Evangeliums beraubt. Aber auch in Venedig selbst und in den zu dieser Republik gehörenden Städten und Gebieten Oberitaliens wurden die Evangelischen immer heftiger verfolgt. Baldassare Altieri schrieb darüber an Antistes Bullinger in Zürich folgendermaßen: „Die Verfolgungen nehmen hier alle Tage zu. Es sind viele verhaftet worden, von denen man mehrere auf die Galeere geschickt, Andere zu ewiger Gefangenschaft verdammt hat, und wieder Andere haben sich, leider! aus Furcht vor der Strafe zum Rücktritt verleiten lassen. Viele sind auch mit Weib und Kindern verwiesen worden, während eine noch größere Zahl entflohen ist, um ihr Leben zu retten. Die Sachen sind dahin gekommen, dass ich anfange, für mich selbst zu zittern; denn ob ich gleich früher im Stande gewesen bin, Andere in diesen Zeitstürmen zu beschützen, so habe ich jetzt alle Ursache zu besorgen, dass man mir dieselben harten Bedingungen auferlegen wird. Allein es ist der Wille Gottes, dass dieses Volk durch solche Trübsal heimgesucht werde.“ Übereinstimmend mit Altieri schildert der graubündnerische Staatsmann Friedrich von Salis die damalige Lage der Evangelischen in Venedig in folgender Weise: „In dieser Republik, wie überhaupt in ganz Italien, wo der Papst im Besitz der sogenannten geistlichen Gerichtsbarkeit ist, sind die Gläubigen der strengsten Inquisition unterworfen. Den Inquisitoren ist volle Gewalt gegeben, Jeden bei der geringsten Anzeige ergreifen und foltern zu lassen und, was noch schlimmer als der Tod ist, ihn nach Rom zu schicken.“ Keine Verdienste, kein Ansehen, noch selbst kirchliche Würden vermochten einen der Ketzerei Verdächtigen vor den Verfolgungen der Inquisition zu beschützen. So ward der Bischof von Bergamo, Vittore von Soranzo, ins Gefängnis geworfen, und zwar nach dem Zeugnis Vergerios, um keiner anderen Ursache willen, als „weil er sich seines Sprengels getreulich angenommen, seine Liebe und Anhänglichkeit für die Lehre des Evangeliums bewährte und seinen Abscheu vor dem Aberglauben zu erkennen gab.“ Wie in Istrien wurden auch in Venedig und in den zu dieser Republik gehörigen Städten und Gebieten Oberitaliens die evangelischen Gemeinschaften durch die rohe Gewalt der Inquisitoren größtenteils zerstört und unterdrückt und die herrlichen Männer, welche sie gepflanzt und mit dem Wort des Lebens erbaut, wurden entweder gezwungen, zur Fristung ihres Lebens das Land zu verlassen oder ins Gefängnis zu wandern, um später den Märtyrertod zu erdulden. Vergerio floh nach Graubünden, wo er eine Zeit lang das Predigtamt in einer evangelischen Berggemeinde bekleidete. Altieri verbarg sich in Calcinato bei Bergamo, wo er im August 1550 im Herrn sanft entschlief. Carnesecchi nahm seine Zuflucht zu seinem Jugendfreunde Cosimo II. in Florenz, um von diesem später mit ehrloser Verletzung der Freundespflicht an Pius V. ausgeliefert zu werden und in Rom den Märtyrertod zu erdulden. Baldo Lupetino aber ward in Venedig ins Gefängnis geworfen, in welchem er zwanzig Jahre lang schmachtete, um endlich den Märtyrertod in den Wellen des adriatischen Meeres zu finden. - Die Römlinge jubelten über den Sieg, den sie über die stolze Königin des adriatischen Meeres errungen. Aber aus diesem Jubelgeschrei vernahm man eine furchtbare Stimme heraus, die wie eine Posaune des Weltgerichtes in Schauer erregenden Tönen vor dem Abfall vom Herrn der Herrlichkeit warnte. Wir wollen an dieser Stelle auch diese Warnung vernehmen und beherzigen.
4. Francesco Spiera.
Unter den Männern, welche in der Prüfungsstunde sich schwach bewiesen und durch die Drohungen des Inquisitors zum Widerruf der bekannten evangelischen Wahrheit sich haben bestimmen lassen, nimmt Francesco Spiera die erste Stelle ein, weil er die furchtbarsten Gewissensqualen wegen dieser Verleugnung des Evangeliums erdulden musste. Er war Rechtsgelehrter und Sachwalter in Citadella, einer kleinen Stadt nahe bei Padua, und scheint sich in der Führung seines Berufes mancherlei Ungerechtigkeiten haben zu Schulden kommen lassen; denn er ruft später in einer Selbstanklage also aus: „Seht, wie böse ich gewesen bin! Von heftiger Geldgier besessen, trachtete ich nach unrechtmäßigem Gewinn, verfälschte die Urteilssprüche durch alle Arten von Betrug und ersann sogar selbst neue Ränke, um das Recht zu beugen. Die gute Sache, die ich zu führen übernommen hatte, betrieb ich entweder mit arger List, oder ich verkaufte sie an die Gegenpartei; die verwerfliche verteidigte ich mit dem Aufgebot aller meiner Kräfte, bestritt wissentlich die offenkundige Wahrheit und unterschlug, was mir zu treuen Händen anvertraut worden war.“ Dieses Unwesen mochte er bis in sein vierundvierzigstes Altersjahr fortgesetzt haben, als er in sich schlug und dasselbe zu bereuen anfing. Es war um dieselbe Zeit, als zum ersten Mal die Predigt des reinen Evangeliums in sein Ohr und in sein Herz drang. Mit großer Heilsbegierde griff er nun nach der Bibel und las Tag und Nacht darin. Daneben verschaffte er sich auch andere theologische Bücher aus älterer und neuerer Zeit und studierte sie mit allem Fleiß, bis ihm das Licht der evangelischen Erkenntnis aufging und er im Glauben an Christum den Frieden der Seele gefunden hatte. Bald fühlte er sich berufen, die neugewonnene Erkenntnis der evangelischen Heilswahrheit auch anderen mit zuteilen. Zunächst lud er einige Freunde und Nachbarn zu sich und redete mit ihnen von der Vergebung der Sünden durch Christum Jesum, von der Gewissheit des Glaubens und von der Hoffnung der ewigen Seligkeit, welche Gott um seines lieben Sohnes willen allen Menschen anbiete. Seine Unterredungen hatten den besten Erfolg, indem seine Freunde und Nachbarn durch dieselben auch für die evangelische Wahrheit gewonnen wurden. Bald trieb sein Eifer ihn in die Öffentlichkeit hinaus, so dass er auf den Straßen und öffentlichen Plätzen, wo er nur Menschen versammelt sah, das Evangelium zu verkündigen sich gedrungen fühlte. Auch hier hatte seine Predigt den größten Erfolg, so dass bald durch dieselbe in allen Gassen, Säulengängen, Winkeln und ringsum auf dem Markt die heiligen Flammen, welche Christus vom Himmel gebracht, zu leuchten begannen. Besonders strömten die Armen ihm zu und es war, als würde das Evangelium ihnen allein gepredigt.
Die Römlinge aber waren wütend über den Abfall des Francesco Spiera und über den Erfolg seiner öffentlichen Verkündigung der evangelischen Wahrheit. Die Geistlichen eilten nach Venedig und verklagten ihn beim päpstlichen Legaten della Caja wegen seiner Äußerungen über das herrschende Verderben in der römischen Kirche, über die Autorität des Papstes, sowie über das Fegfeuer und über andere Lehren und Einrichtungen der Kirche. Sie stellten ihm vor, wie sehr durch diesen Mann das Ansehen der Mönche sowohl, als der Priester in den Augen des Volkes, welches dergleichen vernehme, herabgewürdigt werde. Wenn demselben nicht sofort Schranken gesetzt würden, so dürfte es bald zum Äußersten kommen, weil dieser Mann sowohl wegen seiner großen Bibelkenntnis, die er sich in so kurzer Zeit erworben habe, als auch wegen seiner ungemeinen Beredsamkeit und anderer Gaben, durch welche sich die Menge so leicht blenden lasse, bei dem Volk in sehr großem Ansehen stehe. Der Legat war im höchsten Grade entrüstet über die ihm berichteten Tatsachen und beschloss den Francesco Spiera vor sich führen zu lassen, wozu ihm der Senat von Venedig bereitwillig seine Mitwirkung zusagte.
Francesco, welchem diese Vorgänge nicht unbekannt geblieben waren, fing an über seine Lage ernstlich nachzudenken, indem er sich die ihm drohende Gefahr nicht verhehlen konnte. Ein furchtbarer Kampf erhob sich in seinem Innern, indem Geist und Fleisch über die Herrschaft in ihm stritten. „Was zauderst du dich zu entscheiden?“ sprach der erstere, „wirf die Verzagtheit weg und ziehe die Waffenrüstung des Glaubens an; entschlage dich der ängstlichen Besorgnisse, Gott wird für dich sorgen. Wo ist deine christliche Tapferkeit und Beständigkeit? Es handelt sich um die Ehre Christi; darum sollst du ihn auch unerschrocken bekennen, so wird er auch dein bester Fürsprecher sein und dir eingeben, was du reden sollst… ja er kann sich selbst aus Banden und Martern erretten. Musst du aber den Tod erleiden, so wartet deiner die herrlichste Belohnung im Himmel. Was siehst du hier, das sich mit der ewigen Seligkeit vergleichen ließe? Bedenke auch, welches Ärgernis du durch deine Untreue geben würdest und fürchte die ewige Verdammnis. Ist aber dein Fleisch schwach, so flieh lieber nach einem entlegenen sicheren Ort, als den Herrn der Herrlichkeit zu verleugnen und deine ewige Verdammnis zu verschulden.“
Dagegen wandte nun sein Fleisch ein: „Francesco, bedenke wohl, was du tust! Diese Ratschläge werden sich unfehlbar ins Verderben stürzen. Du wirst deine mit so vieler Mühe erworbenen Güter verlieren und ewige Schmach über dich und über die Deinigen bringen; denn hässlich und verabscheuungswert ist der Name eines Ketzers. Du wirst die grausamsten Martern erdulden müssen, indem man dich nach unsäglichen Qualen mit der grausamsten und entehrensten Todesstrafe belegen wird. Schauderts dir nicht vor den mit Unrat angefüllten Gefängnissen? vor den Ruten und dem bluttriefenden Beil des Henkers? vor den schrecklichen Flammen des Scheiterhaufens? Woher diese deine trotzige Vermessenheit, da doch von Natur allen Geschöpfen Liebe zum Leben eingepflanzt ist? Wo ist deine Liebe zu den Deinen, namentlich zu deinen unschuldigen Kindern? Willst du, der Urheber ihres Lebens, ihnen selbst die Möglichkeit rauben, ihr Leben zu fristen? Denn deine mühsam erworbenen Güter werden teils dem Staatsschatz zufallen, teils eine Beute des päpstlichen Legaten werden. Willst du nur Schmach und Schande auf die Deinen vererben und der Henker deiner eigenen Kinder werden, die noch dereinst als Zierden des Staates und als Stützen der Kirche Gott und den Menschen dienen können? Ja du selbst kannst, wenn du dich am Leben erhältst, noch Vielen dienen und eine Zierde deiner Vaterstadt sein. Darum sei nicht so töricht und grausam gegen die Deinen und gegen dich selbst, sondern folge mir und gehe hin zum Legaten und widerrufe freiwillig Alles, was du gegen die Lehren und Einrichtungen der römischen Kirche gedacht, gesprochen und gelehrt hast.“
Das Fleisch siegte. Weich gestimmt durch die Vorstellungen seiner Angehörigen und Freunde reiste er nach Venedig zum päpstlichen Legaten. Als dieser nun ihm mit schweren Strafen, mit der Konfiskation seiner Güter und mit dem Feuertod drohte, schwur er jede Abweichung von der Lehre der römischen Kirche und Alles, was er gegen den päpstlichen Stuhl geredet, ab, und bat demütig um Vergebung. - Dieser Widerruf wurde sofort von den Notaren zu Papier gefasst und von ihm, trotz der Warnung seines Gewissens, unterzeichnet. - Darauf erhielt er von seinem geistlichen Richter die Weisung, am folgenden Tage nach seiner Vaterstadt zurückzukehren und dort in der Kirche von einem erhöhten Platz aus öffentlich die vom Legaten vorgeschriebene Abschwörungsformel, ohne nur eine Silbe davon abzuweichen, für alle verständlich zu wiederholen.
Kaum war dieses geschehen und kaum hatte er seinen geistlichen Richter verlassen, so befiel ihn schmerzliche Reue. Der Geist sprach zu ihm in der Stimme des erwachten Gewissens: „Was hast du getan, Unglücklicher?… Eine Handschrift hast du dem Stellvertreter des Papstes ausgestellt: besiegle sie nicht durch eine zweite Verleugnung. Willst du das ewige Leben dem zeitlichen opfern? Weib und Kinder mehr lieben als Christum, deinen Herrn? Achtest du die Meinungen der Welt höher als die Ehre vor Gott? Hat das irdische Gut für dich mehr wert, als das Heil deiner unsterblichen Seele? Bedenke, was Christus für dich erduldet hat und ob du nicht um seinetwillen auch dem Fleisch und seiner Lust entsagen solltest? Beherzige wohl jenen Spruch: „Leiden wir mit ihm, so werden wir auch mit ihm herrschen.“ Du bist nun den Händen der Menschen entronnen und frei; darum verlass lieber Weib und Kinder, ja die ganze Welt, nur nicht die Wahrheit! Tue Buße, so wird sich der Herr deiner erbarmen. Wache, dass du nicht wieder fallest und von der Schwachheit des Fleisches bis zur Bosheit des Geistes fortschreitest!“
Allein das Fleisch trug abermals den Sieg davon. Nach seiner Rückkehr nach Citadella begab er sich gleich zum Stadtvorsteher und erklärte sich bereit, seinen früheren bekannten Glauben öffentlich abzuschwören. Noch am gleichen Abend überbrachte ihm ein Priester die ihm vom Legaten vorgeschriebene Abschwörungsformel. Am folgenden Tage widerrief Francesco Spiera nun in Gegenwart der Geistlichkeit, des Stadtvorstehers und mehr als zweitausend Anwesenden vom erhöhten Platz in der Kirche: „Alles, was er unlängst geglaubt und gelehrt, und was der Lehre der römischen Kirche widerstreite, indem er reumütig bekenne, dass er geirrt habe und betrogen worden sei; jetzt sei er wieder auf den Weg des Lichtes und der Wahrheit zurückgekehrt und wünsche wieder in den Schoß der römischen Kirche aufgenommen zu werden.“ Dieser Wunsch wurde ihm gewährt, nachdem er noch eine Buße von dreißig Dukaten erlegt hatte.
Kaum war er aber in sein Haus zurückgekehrt, so fühlte er wieder die furchtbarsten Gewissensbisse. „Ich hörte,“ erzählt er, „die entsetzliche Stimme: „Verruchter Mensch! Du hast mich verleugnet, mir den Bund aufgekündigt und den Fahneneid gebrochen! Weiche von mir, du Abtrünniger! erleide die Strafe deines Frevels, die ewige Verdammnis!“ Ich erbebte an Leib und Seele und sank, wie vom Blitz getroffen, fast leblos zusammen. „O!“ rief ich aus, wenn ich noch wäre, was ich einst gewesen, wenn ich durch Gottes Barmherzigkeit wieder in den Stand der Gnade zurückversetzt würde, so wollte ich die Drohungen der Tyrannen verachten und mit hohem und ungebeugtem Mute jede Art von Qualen erdulden und Christum allein vor Augen und im Herzen tragen und ihn mit jauchzendem Mund bekennen, bis die Flammen meinen Odem erstickten und diesen Leib in Staub und Asche verwandelten!“
In seinen Gewissensqualen stiegen alle Sünden, die er von Jugend auf begangen, wieder vor seinem Geist auf und die furchtbarste Verzweiflung bemächtigte sich seines Gemütes. Nun bereuten auch seine Hausgenossen und einige von seinen Freunden, ihn zum Widerruf geraten zu haben. Andere hofften, dass er in Padua am Grabe des heiligen Antonius durch ein Wunder dieses Heiligen Genesung finden möchte. Nach dem Rat dieser Letzteren gingen sein Weib und seine Kinder mit dem unglücklichen Spiera nach Padua, wo sie bei einem ehrbaren Bürger Giacomo Nardini freundlich Aufnahme fanden. Aber Antonius verrichtete kein Wunder an diesem Unglücklichen und seine Gewissensqualen folterten ihn hier in gleicher Weise, wie in Citadella. Die Professoren der berühmten Hochschule und die Ärzte der Stadt, welche zu Rat gezogen wurden, gaben ihr Gutachten über den Krankheitszustand Spieras dahin ab: „Es sei zu vermuten, dass der Tiefsinn, in welchen ihn seine Tat gestürzt, alle seine Sinne verwirrt habe; in Folge davon seien auch die bösen Säfte in seinem Körper aufgeregt worden und steigen qualmartig bis zum Sitz der Einbildungskraft und der Vernunft empor, wodurch letztere notwendig verdunkelt werden müssten. Für den Augenblick wollen sie seine Eingeweide durch gelinde Mittel zu reinigen suchen.“ - Spiera aber rief auf dieses Gutachten aus: „Ihr Armen, wie sehr seid Ihr im Irrtum! Ich leide an keiner Krankheit, welche durch menschliche Kunst geheilt werden kann! Einer Seele, welche durch die Erkenntnis ihrer Sünde und durch die Last des göttlichen Zornes niedergeschmettert ist, hilft weder Trank noch Pflaster; für sie gibt es nur einen Arzt, Christum, nur ein Mittel, das Evangelium.“ - Er lag darnieder, ohne krank zu sein und war entschlossen, sich durch Enthaltung aller Nahrung den Tod zu geben. Um dieses zu verhindern, mussten ihm zweimal des Tages die Hände auf den Rücken gebunden werden, um ihm mit Gewalt ein Ei oder etwas Brühe beibringen zu können. Evangelische Männer, wie namentlich Pietro Paolo Vergerio und Dr. Gribaldus besuchten ihn und suchten ihn durch den Trost des Evangeliums aufzurichten. Sie verwiesen ihn auf die Barmherzigkeit Gottes, die unendlich größer sei, als alle unsere Sündenschuld, „da Er ja wolle, dass allen Menschen geholfen werde.“ „Nur den Auserwählten“, erwiderte er, „nicht den Verworfenen, die eine Todsünde begangen haben und zu welchen ich gehöre.“ Auf die Bemerkung, dass alle, die an Christum glauben, zu den „Auserwählten“ gehören, dieweil es geschrieben stehe: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben,“ und dass auch der Apostel Paulus bezeuge: „es sei ja gewisslich wahr und ein teures, wertes Wort, dass Christus Jesus gekommen sei in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen er der vornehmste sei,“ erwiderte Spiera: „Ihr habt gut Anderen raten; denn Ihr gehört zu den Gesunden; aber ich, ich kann nicht glauben, weil ich aus der Gnade gefallen bin. Ich bin verdammt wie Kain, Saul und Judas, ja ich habe sogar noch Ursache, diese zu beneiden. Meine Bosheit ist größer, als Gottes Barmherzigkeit; denn ich habe mit Wissen und Willen Christum verleugnet. Ich fühle auch in mir, dass Er mich verstockt, und dass ich nicht mehr an ihn glauben kann. Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen; den Gottlosen gereicht Alles zum Verderben: Natur, Freunde, Feinde, Tod und Sünde. Meine eigenen Kinder sind mir zum Verderben geboren. Mit Grausamkeit drangen sie mir die unwillkommenen Nahrungsmittel auf: ich sehne mich, dieses Leben zu verlassen; sie aber wollen mich mit Gewalt am Leben erhalten.“ Seine Freunde verwiesen ihm solche vermessene Reden und baten ihn, sich nicht aufs Neue gegen Gott so schwer zu versündigen, indem er seiner Gnade Schranken setzen wolle. „Denkt an den Apostel Petrus, dieses Vorbild aller Bekenner,“ sprach Gribaldus, „er hat seinen Heiland, von dem er so viele Liebeszeichen empfangen hatte, dreimal verleugnet, aber im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit auch seine Verschuldung unter Tränen bereut und Vergebung erlangt. Denkt an den Schächer, der noch im letzten Augenblick um einer einzigen guten Regung willen zu Gnaden angenommen worden ist. Wisst ihr nicht, dass die Hand des Herrn nie verkürzt worden, ja dass Er die Geduld und Barmherzigkeit selber ist? Ruft Ihn nur von Herzen an, so wird Er Euch gnädig sein; denn der feste Grund Gottes muss bestehen: „Von diesem zeugen alle Propheten, dass sie in seinem Namen Alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“ Ich habe viele gekannt, die sich noch schwerer als Ihr versündigt hatten und die in die äußerste Verzweiflung gefallen waren, und dennoch durch Gottes Gnade und durch den Zuspruch christlicher Freunde wieder aufgerichtet worden sind und in Frieden dahin gefahren; warum solltet auch ihr nicht an die unendliche Barmherzigkeit Gottes glauben, an welcher ja kein Mensch verzweifeln darf, selbst wenn er die Sünden der ganzen Welt begangen hätte!“ Auch Vergerio sprach ihm freundlich zu: „liebster Francesco, nehmt die Worte des Herrn Doktors zu Herzen; in ihm hat Euch Gott einen Boten seiner Barmherzigkeit gesandt. Warum glaubt Ihr nicht? Hat Gott Euch seinen Sohn geschenkt, wie sollte er Euch mit ihm nicht Alles schenken?“ - Spiera antwortete: „Ich glaube Alles, was Ihr sagt; die Teufel glauben auch und zittern. Mir nützt Alles nichts, denn meine Sünde ist zum Tode. Petro wurde vergeben, nicht weil er weinte, sondern weil der Herr ihn ansah. Meiner hingegen erbarmt er sich nicht, mich sieht er nicht an und will mich nicht mehr ansehen. Darum kann ich nicht weinen und muss notwendig schließen, dass ich ein Verworfener bin. Denn ich fühle, dass kein Trostgrund in meiner Seele haften kann, sondern nur Qual und Marter. Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!“ Als ihn Jemand fragte: „Hast du denn freiwillig oder nur gezwungen abgeschworen?“ erwiderte er: „Darauf kommt es gar nicht an; denn Christus will auf keine Weise verleugnet sein, indem er ohne alle Einschränkung spricht: „Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Scheint der Herr dieses Wort nicht gerade mit Bezug auf mich gesprochen zu haben? Heißt es ferner nicht Ebr. 6: „Es ist unmöglich, dass die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des heiligen Geistes, wo sie abfallen, wiederum sollten erneuert werden zur Buße.“ Und steht nicht endlich Ebr. 10 geschrieben: „Dass, so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, wir forthin kein anderes Opfer mehr haben für die Sünde, sondern dass ein schreckliches Gericht unser wartet?“ Mir spricht Paulus hier das Urteil, von mir schreibt Petrus: „Es wäre ihnen besser, dass sie den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt hätten; denn dass sie ihn erkennen und sich kehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist.“… Als ich zuerst in Venedig meinen Widerruf unterschrieb und ihn dann in Citadella öffentlich bestätigte, sprach beide Malen der Geist zu mir: „Schreibe nicht, bestätige nicht!“ Ich aber habe dem Geist widerstanden und es getan; und noch in demselben Augenblicke fühlte ich einen Streich, der gegen meine Willenskraft und gegen mein leibliches Dasein geführt wurde, so dass ich nun weder mehr hoffen, noch am Leben bleiben kann….. Zeigt mir doch einen Ort, wohin ich mich flüchten, einen Hafen, in welchen ich einlaufen kann! Ihr verweist mich an Gottes Barmherzigkeit; aber Gott hat mich verworfen! Ihr sprecht von der Gnade und Fürbitte Christi; ich aber habe Christum verleugnet! Ihr heißt mich glauben; ich aber kann es nicht! Nichts von dem, was Ihr redet, tröstet mich; Eure Rede ist für mich tote Gesetzespredigt. Wie kann Einer Gott lieben von ganzem Herzen, wenn ihm nicht Gott selbst dazu Kraft und Gnade verleiht?
Darauf sprach Vergerio zu den Anwesenden: „Geliebteste Brüder! Ich sehe, dass unser Zuspruch nichts fruchtet. Nur ein wirksames Mittel bleibt uns noch übrig: unsere Fürbitte! Lasst uns mit einem Mund und aus einem Herzen den ewigen Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi anrufen, dass Er diesem Armen seine Schuld vergeben und das Licht seines Erbarmens aufgehen lassen wolle um seines eingebornen Sohnes willen! Alle warfen sich auf die Knie und beteten inbrünstig um seine Errettung. … Aber sein Geistes- und Gemütszustand blieb derselbe. „Wenn Ihr betet,“ sprach er, so wird Eure Fürbitte Euch Segen bringen; aber an mir bleibt sie wirkungslos. Den armen Verstoßenen muss Alles zum Verberben gereichen; selbst das Wort Gottes. Ich spüre, dass es mir ein Geruch zum Tod ist, dass es meine Qual und Verzweiflung mehrt, so oft ich dasselbe höre. O ich Unglücklicher!“ Dann wandte er sich an die Umstehenden und sprach zu ihnen im weichsten Ton unter einem Strom von Tränen: „Meine Brüder! achtet und beherzigt wohl, was ich Euch sage. Schätzet doch die Gaben Gottes höher, als ich es getan; lernt an meinem Fall auf Eurer Hut zu sein! Denkt nicht, es sei ein Leichtes, ein Christ zu sein!… Seid standhaft und tüchtig zur Verteidigung des Evangeliums; ja wenn es nötig ist, zum Bekenntnis desselben bis in den Tod! Denn ein Christ muss männlich und stark, unbesiegbar und unüberwindlich sein; er muss allewege die himmlische Lehre freimütig bekennen, sie bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen und mit seinem Leben besiegeln. Wer das nicht kann, der ist kein Christ! Ihr wisst, dass Christus selbst gesagt hat: „Wer Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Söhne, Töchter, Verwandte, Häuser, Äcker, Weinberge und Anderes mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert!“
Solche und ähnliche Äußerungen vernahm man täglich aus dem Mund dieses Unglücklichen. Vergerio rief dabei aus: „Wahrlich, wenn die Studenten nicht alle Vorlesungen versäumen, um dieses Trauerspiel zu sehen, so sind sie ganz stumpfsinnig!“ -
Als seine Familie nun sah, dass Francesco auch in Padua auf keine Besserung hoffen dürfe, beschloss sie mit ihm nach Citadella zurückzukehren. Am Abend vor der beschlossenen Abreise besuchte ihn noch Vergerio, um von ihm Abschied zu nehmen. Spiera sprach: Mit aller meiner Verzweiflung und wenngleich den Verstoßenen und Verdammten Alles zum Schaden ausschlägt, danke ich Euch für Eure Liebesdienste, die Ihr mir erwiesen. Segne Euch Gott mit allem Guten!
Am folgenden Morgen machte Spiera noch einen Versuch, mit einem Messer sich zu entleiben, wurde aber an der Ausführung dieses Vorhabens durch seine Söhne verhindert. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Citadella starb er, ohne dass man über die näheren Umstände, unter welchen sein Tod erfolgte, Genaueres erfahren hat. Nach dem allgemeinen Gerücht darüber ist der Arme in hartnäckiger Verbitterung gegen Gott hingestorben.
Gewaltig war der Eindruck, den diese Vorgänge mit Spiera auf die Evangelischen, wie auf die Römlinge machte. Für die Ersteren waren sie eine ernste Mahnung, „Treue ihrem Heilande zu bewahren, bis zum Tode!“ Für die Letzteren waren sie eine Stimme des Gerichtes, die ihnen zutönte: „Wer aber ärgert dieser Geringsten Einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist!“
5. Baldo Lupetinos und seiner Leidensgefährten Märtyrertod.
Wenn unser Herz schmerzlich berührt wird von dem furchtbaren Schicksal, das sich der unglückliche Spiera durch seine Untreue gegen seinen Herrn und Heiland bereitete, so wird es um so freudiger gehoben durch den Hinblick auf die vielen glaubensvollen Zeichen der Wahrheit, welche ihre Treue mit ihrem Märtyrertod besiegelt haben. Lange sträubte sich zwar Sie Königin des adriatischen Meeres, wegen Bekenntnisses des Evangeliums Jemanden in ihrem Gebiet mit dem Tod bestrafen zu lassen. Doge und Senat beschränkten sich darauf, einzelne wegen Ketzerei Verklagte auf besonderes Verlangen an Rom zur Bestrafung auszuliefern, und andere dagegen zu ewiger Gefangenschaft oder zur Galeere zu verurteilen. Endlich siegte auch in dieser Beziehung das päpstliche Rom, das nach dem Tod der Evangelischen dürstete. Die Todesart, zu welcher man die Evangelischen in Venedig verdammte, war die des Ertränkens. In der grauenvollen Stille der Mitternacht wurden die Gefangenen aus ihren Zellen geholt, und von einem einzigen Priester begleitet, welcher die Stelle des Beichtvaters vertrat, in eine Gondel gesetzt, und über die beiden Kastell hinaus in die See gerudert, wo ein anderes Boot auf sie wartete. Es wurde sodann ein Brett von einer Gondel auf die andere gelegt, auf welcher der Gefangene, der gefesselt und an dessen Füßen ein schwerer Stein befestigt war, gesetzt wurde. Auf ein gegebenes Zeichen fuhren die Gondeln auseinander und der Unglückliche wurde so in die Tiefe versenkt. Mit Baldo Lupetino saßen noch viele Evangelische in den Gefängnissen Venedigs, welchen diese Todesart beschieden war. Die Geschichte hat einige Namen auf bewahrt und ihre bewiesene Glaubenstreue bis zum Tode befundet. Im Buche des Lebens glänzen gewiss noch Tausende, die aus dem Gedächtnis der Menschen entschwunden sind. Unter denjenigen, deren Märtyrertod uns die Geschichte meldet, begegnet uns zuerst Julio Guirlando von Treviso.
Dieser legte, als er wegen seines Bekenntnisses der evangelischen Wahrheit gefangen genommen und vor seine Richter gestellt worden, ein mutiges und freudiges Zeugnis seines Glaubens an Christum ab. Hierauf wurde er am 19. Okt. 1562 zum Tode verurteilt und Nachts darauf in einer Gondel zwischen den zwei Schlössern hinausgeführt, damit er ihn durch Ertränken in den Wellen des Meeres erdulde. Auf seiner Fahrt redete er mutig und freudig vom Grund seines Glaubens, der ihn auch im Angesicht des Todes nicht verzagen lasse. Seine Rede scheint auf den Hauptmann, der die Gondel führte, Eindruck gemacht und in ihm Teilnahme für den Verurteilten erweckt zu haben. Daher sprach zu ihm Guirlando freundliche Abschiedsworte und drückte seine Hoffnung aus, ihn einst droben wieder zu sehen. Indem Julio seine Seele in die Hände des Herrn empfahl, fuhren die Gondeln auseinander und ließen ihn in die Tiefe versinken. Er stand erst in seinem vierzigsten Jahr, als er den Tod erlitt.
Antonio Richetto von Vizenza war mit Guirlando befreundet und gleichfalls um seines evangelischen Glaubens willen ins Gefängnis geworfen worden. Da er jedoch in hohem Ansehen stand, so versuchten die Senatoren durch verschiedene Mittel und Verheißungen ihn zum Widerruf des von ihm bekannten evangelischen Glauben zu bewegen. Sie erboten, ihm nicht allein die Freiheit, sondern auch sein ganzes Vermögen, von dem ein Teil verkauft und ein anderer verpfändet war, wiederzugeben, wenn er nur sich wieder zu der römischen Kirche bekennen wolle. Seine Glaubenstreue und Standhaftigkeit wurde noch auf eine härtere Probe gestellt. Sein Sohn, ein Knabe von zwölf Jahren, den man zu ihm ins Gefängnis gelassen hatte, fiel ihm zu Füßen und bat ihn in den flehentlichsten Ausdrücken, das ihm gemachte Erbieten anzunehmen und sein Kind nicht zu einer Waise zu machen. Richetto aber antwortete darauf: „Er sei als wahrer Christ verbunden und verpflichtet, wenn es Gottes Ehre erfordere, weder nach seinen Gütern, noch nach seinen Kindern, noch nach seinem Leben zu fragen. Darum sei er auch fest entschlossen, den Tod um der Ehre Gottes willen zu erleiden. Als ihm der Gefangenwärter eines Tages in der Absicht, ihn hierdurch zum Rücktritt zu bewegen, erzählte, dass einer seiner Kameraden nachgegeben habe, erwiderte er bloß: „Was geht das mich an?“ Auch in der Gondel und auf dem Brett behielt er seine Standhaftigkeit, betete für diejenigen, die ihn aus Unwissenheit töteten und empfahl seine Seele dem Heiland. Er starb am 15. Febr. 1566,
Francesco Spinola von Mailand wurde, weil er ein Priester war, schärfer vernommen, als seine Genossen. Er wurde dreimal vor die Richter gebracht, wobei einmal der päpstliche Legat und eine Menge der vornehmsten Geistlichen zugegen waren. Mit dem Feuertod bedroht, bekannte er sich mutig und offen zu den evangelischen Glaubenslehren und ließ sich umständlich gegen die ungerechten Anmaßungen des Papstes, sowie gegen die Lehre vom Fegfeuer und die Anrufung der Heiligen aus. Während einer Krankheit, welche ihm seine lange Gefangenschaft zugezogen hatte, erpresste man ihm einige Zugeständnisse, allein bei seiner Wiederherstellung nahm er solche sogleich wieder zurück. Ihm wurde dasselbe Grab in den Wogen des adriatischen Meeres, wie seinem Vorgänger, zu Teil. Bevor er den 31. Januar 1567 diesen Märtyrertod erlitt, wurde er noch seiner priesterlichen Würde entkleidet.
Der Ausgezeichnetste von Allen aber, welche zu Venedig um ihres evangelischen Glaubens willen den Tod erleiden mussten, war der ehrwürdige Franziskanerprovinzial Baldo Lupetino. Wie wir bereits oben erwähnt, wurde dieser treffliche Mann nach einer segensreichen Wirksamkeit im Dienste des Evangeliums auf Betreiben des päpstlichen Legaten in Venedig ins Gefängnis geworfen. Nach dem Berichte seines Neffen Mattheo Flacio wurde er nahe an zwanzig Jahre in demselben festgehalten. Während dieser Zeit legte er ein unerschrockenes Zeugnis für das Evangelium Christi ab. „Seine Gefangenschaft,“ fährt Flacio fort, „und seine Glaubensmeinungen wurden hierdurch nicht allein in dieser Stadt und beinahe ganz Italien, sondern auch in ganz Europa bekannt, und die evangelische Wahrheit dadurch weiter verbreitet. Zwei Dinge mögen unter andern als ein Zeichen einer besonderen Waltung der Vorsehung Gottes in Rücksicht dieses Mannes während seiner Gefangenschaft angesehen werden.“
„Erstens, dass sich die deutschen Fürsten öfters, doch ohne Erfolg, für seine Freiheit verwendeten, und zweitens, dass sich der päpstliche Legat, der Inquisitor und sogar der Papst selbst mit aller Macht und durch wiederholte Vorstellungen bemühten, ihn als einen berüchtigten Ketzer zum Feuer verdammt zu sehen.“
„Dies wurde jedoch vom Dogen und Senat verweigert, die ihn, als er zuletzt zum Tod verurteilt wurde, von der Bestrafung durch das Feuer, vermöge eines eigenen Dekretes, befreiten.
„Es war der Wille Gottes, dass er diese lange Zeit für sein Evangelium zeugen sollte, und dass er, wie ein ans Kreuz Gehefteter, gleichsam erhöht, der Welt die Wiederherstellung des Christentums und die Erscheinung des Antichrists verkündigen sollte. Endlich besiegelte dieser gottesfürchtige und vortreffliche Mann, den weder Drohungen, noch Verheißungen erschüttern konnten, seine Lehre durch ein unerschrockenes Martyrium und vertauschte die lange Qual eines Gefängnisses mit dem Grab im Wasser.“ Das ist die einzige Nachricht, die wir über die lange Gefangenschaft und über den Tod dieses herrlichen Zeugen für die evangelische Wahrheit haben. Wir schließen unsere Zeichnungen der „Lebens- und Leidensbilder evangelischer Märtyrer Italiens“ mit den Worten der Offenbarung Johannis 12,11:
„Sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses, und haben ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod.“