unbekannt - Eines Reformirten Votum für die Union zwischen den beiden evangelischen Schwesterkirchen.
Aus dem Jahre 1720.
Vorbemerkung.
Dieses Votum ist, ohne den Namen des Verfassers, in einem zu Zürich bei J. I. Lindinner gedruckten Tractate auf uns gekommen. Der Titel des Tractates lautet vollständig: „Einhellige und tröstliche Grundlehre der protestirenden Kirchen samt einer Vermahnung und einem Gebete“. An der Stirne trägt diese Schrift das Motto: „Lasset uns nach einer Regel, darin wir gekommen sind, wandeln, und gleich gesinnt sein. Phil. 3,16“. - Der ernste, herzliche Ton, in welchem dieses Schriftchen abgefaßt ist, die eindringliche Weise, in welcher dasselbe die Union beider evangelischen Schwesterkirchen empfiehlt, die trefflichen und jedem friedliebenden Christen so einleuchtenden Gründe, die für dieses heilsame Werk darin entwickelt werden, sind Eigenschaften, welche wohl eine neue Herausgabe desselben rechtfertigen. Und ist es zudem nicht von Wichtigkeit, die tiefen und mannichfachen Wurzeln immer völliger zu erkennen und immer klarer an den Tag zu legen, die die heilige Unionssache schon Jahrhunderte, ehe sie zu einer bestimmten, geschichtlichen Erscheinung gelangte, in den Gemüthern der gläubigen Evangelischen geschlagen hat? Ja, fürwahr! auch das historische Geworden - sein, auch die historische Berechtigung fehlt der Union nicht. Welchem besondern Anlasse oder Grunde dieses Schriftchen sein Dasein verdankt, wissen wir eben so wenig als wer dessen Verfasser ist. Indessen lassen uns die besondern Zeitumstände, unter welchen dieser Tractat erscheint, auch auf den besondern Grund seiner Abfassung schließen. Die zürcherische Kirche hatte so eben (1719) die Gedenkfeier ihres zweihundertjährigen Bestandes mit vielem Segen begangen, und da ist wohl mancher auch an jenen Grundsatz Zwingli's, den er seinem großem Gegner in Marburg gegenüber geltend machte, erinnert worden: „Wir wollen in Allem, worin wir übereinstimmen, unsere Einheit bekennen und in den übrigen Punkten nicht vergessen, daß wir Brüder seien. Es wird niemals Friede in der großen Kirche herrschen, wenn nicht, unbeschadet der großen Lehre von dem Seligwerden durch den Glauben in untergeordneten Dingen Verschiedenheit der Ansichten stattfinden darf“. Diesen Grundsatz hat selbst der Verfasser der formula consensus (II) Prof. Joh. Heidegger in Zürich nicht verleugnet: „Die Einigkeit des Glaubens, schreibt er, ist in dieser streitenden Kirche nicht vollkommen, sondern zuweilen mit vielen Mängeln behaftet. Unser Wissen ist Stückwerk. Derjenige wird selig, der nur an Christum glaubt, Gott und seinen Nächsten liebt, seine irrigen Meinungen nicht für Götzen hält und sich befleißigt, dem Worte Gottes, soweit er selbiges verstehen kann, zu folgen“. Nach dieser Vorbemerkung lassen wir das Votum folgen:
1.
Wir Protestirende haben durch besondere Gnade Gottes und durch den rühmlichen Eifer unserer Vorfahren abgeworfen das schwere und unerträgliche Joch der Menschensatzungen, als da sind: die Anrufung der Heiligen, der Bilderdienst, die Verehrung der vermeinten Reliquien, das Gebet und der Gottesdienst in fremder, unverstandener Sprache, der andachtslose, nur in Worten und abgezählten Gebeten bestehende Rosenkranz, die beschwerlichen und köstlichen Wallfahrten, die Ohrenbeichte, die auferlegten Bußen, die Erkaufung von Ablaßbriefen, der Schrecken des Fegfeuers, die trostlosen und doch so kostspieligen Seelenmessen, das im Unterschiede der Speisen bestehende Fasten, die geldfressenden Klöster u. s. w. Dieses und Anderes, wodurch die Menschen an Seele, Leib und Gut gekränkt, gequält und geschädigt werden, haben wir glücklich von uns entfernt und abgelegt.
2.
Wenn nun ihrer Zwei, welche lange Zeit in einem Gefängnisse gesessen und viel Uebels mit einander gelitten und ausgestanden haben, lebelang gute Freundschaft mit einander halten, einander rathen und dienen, wo sie es können und mögen, und wenn sie sich einmal veruneinigen, bald wiederum Freunde werden, da ja der Mundschenk des Pharao ein schlechtes Lob hat, daß er seines Mitgefangenen, des Josephs, so bald vergaß, was sollen denn die thun, welche so lange unter der Seelentyrannei gefangen gelegen, und endlich gleiche Gnade Gottes in ihrer Erlösung empfangen haben? Sind sie nicht verpflichtet, Gott dem Herrn zu danken, wie einst Israel, da sie ausgezogen waren aus dem Diensthause Egyptens? Ist es aber nicht eine große Undankbarkeit, wenn die Erlösten des Herrn einander reißen und beißen? Thut man dadurch nicht den Vätern die größte Unehre an, die Gut und Blut daran gesetzt haben, daß wir zu der Gewissensfreiheit gelangten, in der wir durch Gottes Gnade stehen?
3.
Wir Protestirenden halten das heilige Wort Gottes, die Schriften des Alten und Neuen Testaments für die einige Regel und Richtschnur unseres Glaubens und Lebens, und verwerfen die, welche dieses Wort verkleinern, als sei es unlauter, dunkel und unvollkommen; welche es dem gemeinen Manne zu lesen verbieten, und also dem, der in den Himmel wandeln will, das Licht und den Wegweiser hinwegnehmen und Gott hindern wollen, wenn er mit dem Menschen reden will; welche den armen Seelen die Seelenspeise hinwegnehmen und sie mit den Kleien der Menschensatzungen, der Erkenntnisse der Päpste und Concilien u. s. w. abspeisen.
4.
Welch einen hohen Dank sind denn wir unserem Gotte schuldig, wir, die wir von Natur im Finstern saßen und wohneten im dunkeln Lande? Welch einen Dank, daß, da der allergeringste Theil unter uns des Herrn Wort in seiner Grundsprache versteht, Er uns dasselbe in der Muttersprache lesen und predigen läßt? Und da es zuvor unter einem Scheffel verborgen und mit nichtigen Menschensatzungen bedeckt gewesen, selbiges so gemein, ja bei Einigen gar zur Verachtung geworden ist?
5.
Wäre es nicht ein unvernünftig Ding, wenn ihrer Zwei in finstrer Nacht auf einem schlüpfrigen und gefährlichen Wege wandeln, und sie hätten das Glück, einen getreuen Wegweiser zu finden, der ihnen mit einer Laterne vorleuchtete, - sie aber einander stoßen und schlagen und endlich der Laterne einen Stoß geben, daß sie in Stücken zerbrechen und das Licht auslöschen würde? Was könnte uns Protestirenden begegnen, wenn wir fortfahren wollen, einander grimmig anzufeinden? Wollen wir denn in Gefahr setzen das Wort unseres Vaters, in welchem er uns sein Herz öffnet; die Stimme unseres Hirten, die uns vom Irrwege zurückrufet, die allgemeine Arznei wider alle Uebel, das ausgerüstete Zeughaus wider alle Feinde unserer Seelen, das Zeugniß der so großen Liebe Gottes?
6.
Wir Protestirende haben diese Grundlage unseres Glaubens: Christus ist unsere einige Gerechtigkeit, er ist unser einiger Erlöser, oder wie Paulus schreibt Röm. 10,4: „Christus ist des Gesetzes Ende, wer an ihn glaubt, der ist gerecht“. Und von diesem Erlöser glauben wir, daß er sei Gottes eingeborner Sohn und sei durch seine Geburt und Menschwerdung Immanuel, Gott mit uns, Gott-Mensch geworden; daß die göttliche und menschliche Natur wahrhaftig und versöhnlich vereinigt, also, daß Christus Gott und Mensch in einer Person sei und sei diese Vereinigung also geschehen, nicht daß eine Natur in die andere sei verwandelt worden, oder daß eine Natur die andere verschlungen habe, sondern daß jede Natur in der Vereinbarung ganz und unverletzt geblieben und jede ihre wesentliche Eigenschaft behalten. Und also steht beiderseits dieser Grund steif und fest, daß der ganze Herr Christus Gott und Mensch in einer Person allenthalben gegenwärtig, allwissend und allmächtig sei. Denn die Person Christi hat alle diese Eigenschaften, nicht aber eine jede. Natur, also daß freilich der ganze Christus hienieden auf Erden ist, aber nach seiner Gottheit und Gnade, nach seinem Geiste und nach seinen Gaben. Desgleichen, daß Christus unser Mittler, Hohepriester und König sei und bleibe nach beiden Naturen, und daß die Anrufung Christi auf die ganze Person Christi, die Gott und Mensch ist, gerichtet werden solle.
7.
Weil wir, die Friedliebenden, beiderseits auf dem jetzt gemeldeten guten Grunde bestehen können, Lieber, was nützt es denn, sich trennen um subtiler, einem frommen Christen zur Seligkeit zu wissen nicht nöthiger Fragen willen; da doch in diesem und anderm geheimnißreichen Artikel der Ausspruch Pauli gilt: „Unser Wissen ist Stückwerk“. Wenn Etliche aus einem Schiffbruche gerettet und glücklich an's Land gekommen, einen richtigen Weg auf einen Felsen, der am Meere stünde, fänden, aber auf dem Felsen anfingen, wild herumzuspringen und einander zu stoßen und zu schlagen, und sich also selbst wieder in's Meer stürzen würden, dürfte man nicht von ihnen sagen: „das ist die Strafe für euren Undank, ihr seid selbst Schuld an Eurem Verderben? So lehrt auch die protestirende Kirche nichts Anderes, als uns durch unsern allerheiligsten Glauben auf Christum, den Felsen des Heils, gründen; dabei läßt es auch ein frommer, gläubiger Protestant verbleiben, hält sich an seinen Immanuel und glaubt und weiß, daß er ein wahrer Mensch hat sein müssen, damit er leide, und wahrer Gott, damit er überwinde; Mensch, damit er die Strafe, die wir verschuldet, leide, Gott, damit er die Strafe ertragen und auferstehen könne; Mensch, damit er mit seinem Tode das Heil erwerbe, Gott, damit er uns das erworbene Heil zueigne; Mensch, damit er durch Annehmen unseres Fleisches und Blutes unser Bruder würde, Gott, damit er uns durch seinen Geist sich gleichmache. Daran laß dir genügen, Heilsbegieriger, und überlaß Schulgefechte und Wortzänke denen, die ihre Lust daran haben.
8.
Darum hält sich ein frommer, heilsbegieriger Protestant einfach an dem, was Paulus schreibt 1. Cor. 3,11: „Einen andern Grund kann Niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Er sucht keine andere Gerechtigkeit, keinen andern Mittler und Fürsprecher, kein anderes Verdienst, keine andere Genugthuung, kein anderes Sühnopfer, keine andere Reinigung von Sünden, als allein bei Christo, sintemal in keinem Andern Heil ist, auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden“, Apostgesch. 4,12. Er hält sich steif und fest an diesem einigen Erlöser, dieweil derselbe ist der Anfänger und Vollender unserer Seligkeit, Alles in Allem, als in welchem wir haben die Versöhnung mit Gott wider unsere Sünden, das Lösegeld wider die Schuld und Strafe der Sünden, die Begnadigung von dem Zorne Gottes, die Freiheit aus der Gefangenschaft, die Erledigung aus dem Kerker, den Fürsprecher wider die Anklage des Gewissens, den Lehrer in unserer Unwissenheit, das Licht in der Finsterniß, den Führer auf unserm Wege, und den Vorkämpfer in unserm Kampfe, den Herzog unserer Seele und den Vollender unseres Glaubens in unserer Schwachheit, die Wahrheit in unserem Irrthume, die Auferstehung und das Leben aus dem Tode, das Brod des Lebens in unserem Seelenhunger, das lebendige Wasser im Seelendurste, das Gold in der Armuth, das Kleid gegen die Schande unserer Blöße, die Augensalbe gegen unsere Blindheit, den Frieden in unserer Unruhe, die Ruhe der Seele in unserer Arbeit und Mühe, den Schild in unserem Streite und endlich in unserer Sterbestunde den, der unsere Seele aufnimmt in das ewige Leben. - Wohl dir darum, protestirender Christ, wenn du dich allein an Jesu, den Gekreuzigten, hältst und mit Liebe den umfassest und Frieden mit dem hältst, der ein gleiches mit dir zu thun gesinnt ist.
9.
Die Protestirenden verharren auch unentweglich bei dem Grundsatz: Die Gnade und die Ehre Gottes über Alles zu erheben. Reden sie von der Vorsehung, so geschieht solches in dem Sinne, daß Gott es alles weislich und gerecht regiere, daß Er keine Gemeinschaft mit der Sünde habe, obwohl Er auch dieselbe so weislich regiert, daß er aus dem Bösen etwas Gutes zu ziehen weiß, wie ein erfahrener Arzt aus dem tödlichen Gifte die heilsamste Arznei zu bereiten weiß. Es bekennen auch die Protestanten, daß Gott sich gegen den Sünder als einen gerechten Richter erzeige, dessen Gericht wir aber nicht zu genau erforschen sollen, sondern bei dem wir ausrufen müssen: „Gott, Herr, Du bist gerecht und Deine Gerichte sind gerecht!“ Reden die Protestanten von der Beständigkeit der Gläubigen und von dem Werke Gottes in den Auserwählten, so gestehen sie, daß der Mensch, wenn er sich selbst überlassen bliebe, nichts anders als straucheln und fallen könnte; daß aber Gottes Gnade so mächtig sei, daß er die, welche er selig machen will, halte und erhalte, so daß sie nicht aus seiner Gnadenhand fallen, sondern das Ende ihres Glaubens, der Seelen Seligkeit erlangen. Reden die Protestanten von der ewigen Gnadenwahl, so glauben sie, daß Gott beschlossen habe, den Sündenfall des Menschen zuzulassen, aber sich dann wiederum des menschlichen Geschlechtes erbarmt, und deswegen beschlossen, den armen Sünder zu berufen, ihm die Gnade des Glaubens und der Buße zu verleihen, damit er durch die Gnade Gottes zum ewigen Leben gelangen möge. Sie schreiben ihr Heil und ihre Seligkeit allein der Gnade Gottes zu und verwerfen alle Dienste der Werkheiligen. Denn obgleich die Protestirenden darin ungleicher Meinung sind, daß die Einen wollen, Gott habe zuerst beschlossen, den Glauben zu verleihen und dann die Seligkeit, die Andern dagegen, Gott habe zuerst beschlossen, die Seligkeit zu geben und dann den Glauben, so halten wir doch einhellig bei dieser Grundlehre, daß Glaube und Buße gleiche Dinge seien, die Gott von Ewigkeit her denen zu verleihen beschlossen habe, die er heilig und selig machen will. Sie halten sich an Pauli Lehre Eph. 2, 8.9: „Aus der Gnade seid ihr selig geworden, durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme“.
10.
Lieber, was bedarf es weiter Forschens? Wenn ein König seinen aufrührerischen Unterthanen Gnade erzeigt, so nehmen sie dieselbe mit Freuden an, preisen die Güte des Königs und streiten nicht miteinander darüber, was der König dabei für Gedanken gehabt haben möchte, was er zuerst oder zuletzt beschlossen, oder wie weit sich die Gnade in seinen Gedanken erstreckt habe, sondern jeder nimmt die Gnade mit hohem Danke an, hütet sich und befleißt sich, die Gnade des Königs auch zu behalten. So hält auch ein friedliebender Protestant dafür, es sei Gott nicht gefällig, wenn wir darüber hadern und zanken, wie Gott von Ewigkeit her Alles beschlossen, was Er von diesem oder jenem beschlossen, oder was zuerst oder zuletzt, wie weit und auf wie viele Menschen sich seine Gnade erstrecke, sondern er ruft mit Paulo, der die Lehre der ewigen Gnade Gottes besser verstanden als wir: „O welch eine Tiefe des Reichthums, beides, der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Rathgeber gewesen?“ Röm. 11, 33.34. Und so wirket ein friede- und heilsbegieriger Protestant sein Heil mit Furcht und Zittern, und trachtet dahin, daß er gewiß werde, er gehöre auch zu denen, welche vom Vater zu Christo gezogen werden, daß sie erlöst werden.
11.
Wenn dann der Satan daher kommt und einem reuigen und bußfertigen Sünder einflüstern will, Gott habe sich seiner nicht erbarmt, so widersteht dieser dem Satan und sagt: Kein Mensch hat Ursache, sich selbst unter die zu zählen, die Gott von seiner Gnade ausgeschlossen und verworfen hat. Die Schrift sagt zwar: Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet„ Matth. 22,14, aber sie erklärt nicht, welche dieselben seien, sondern sie sagt vielmehr, Gott wolle, daß allen Menschen geholfen werde und daß alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, 1. Tim. 2,4, und, „daß Gott die Welt also geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn dahin gegeben, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ Joh. 3,16, und „wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ Joh. 6,47. Dieses sind allgemeine Verheißungen ohne Beschränkung, in welchen Gott seinen Willen gegen alle Gläubigen bezeugt, daß er jeden derselben aufnehmen wolle, der zu Ihm komme, dem Evangelio glaube, Buße thue und Ihn im Geiste und in der Wahrheit anrufe. Und Christus ruft: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ Matth. 11,28. Darüber denkt ein gläubiger Protestant also: dieweil mir Gott seine Gnade anbietet, mich zur Buße und zum Glauben ermahnen läßt, so habe ich keine Ursache, mich selbst auszuschließen oder zu denken, daß ich von Gott verstoßen sei. Es soll auch und kann kein Mensch von andern Leuten, wie gottlos dieselben auch seien, vor ihrem Ende schließen, daß sie verworfen seien, denn es geht mit dem Berufen der Auserwählten ungleich zu, der Eine wird früher, der Andere später berufen. Der heute noch ein Saulus ist, kann morgen ein Paulus und ein auserwähltes Rüstzeug des Herrn Christi werden. Viel weniger soll Einer solches von sich selbst schließen und so grausam gegen sich selbst handeln. Ein jeder gläubige Protestant erinnert sich, wie Gott ihn in der heiligen Taufe in seinen Bund aufgenommen und versiegelt hat, und zweifelt nicht, Gott wolle sein liebreicher Vater sein, ihn in seinem Gnadenbunde bewahren, ihn durch seines Sohnes Geist und Blut von Sünden reinigen, heiligen und durch seinen Geist kräftig in ihm wirken. Er erwäget, welche herrliche Wohlthaten Gott ihm von Jugend auf erwiesen, und daß er ihm seine Gnade in seinem Worte verkündigen läßt und schließt, daß Gott wolle, daß er selig werde. Ist das nicht tröstlich? Ist das nicht eine genugsame Versicherung der Gnade Gottes? Wäre es nicht die größte Ungerechtigkeit gegen Gott, wenn man sich daran nicht genügen lassen, sondern anstatt sich dessen zu trösten, sich stets mit fürwitzigen Fragen und Grübeleien quälen wollte?
12.
Es halten die Protestirenden für eine besondere hohe Gnade Gottes, daß Er uns nicht allein in seinem heiligen Worte seine Gnade verschreiben, sondern daß Er auch an den geschriebenen Brief dieses Wortes die Siegel und Pfänder der heiligen Sacramente gehängt hat, und uns also durch zwei Dinge seiner unendlichen Liebe versichert. Und zwar stimmen sie in Bezug auf das heilige Abendmahl darin überein: 1) daß es eine Mahlzeit sei, bei der nicht der Leib, sondern die Seele gespeist werde, durch eine gläubige Umfassung des theuren Verdienstes Christi. 2) Daß uns in dieser Mahlzeit nicht nur die äußern Zeichen, Brod und Wein vorgestellt werden, sondern auch der wahre Leib Christi, so für uns in den Tod gegeben, und sein heiliges Blut, so für uns am Stamme des Kreuzes vergossen worden. 3) Daß aber der Leib und das Blut Christi nicht durch eine grobe fleischliche Nießung, wie man ein Stück Fleisch mit den Zähnen verbeißt, genossen werden, sondern in dem und mit dem der Gläubige das heilige Brod ißt und den heiligen Trank trinkt, wird seine Gnade durch die äußerlichen Gnadenzeichen gestärkt, daß er versichert wird, so gewiß er dieser Zeichen theilhaftig werde, so gewiß habe ihm Christus mit seinem dahingegebenen Leibe und mit seinem vergossenen Blute Verzeihung der Sünden und ewiges Leben erworben. 4) Daß das leibliche Essen ohne das geistliche Niemandem zur Seligkeit nütze, sondern schädlich und den Gläubigen mit den Ungläubigen gemein sei. 5) Daß das Brod sacramentlich der wahre Leib, und der Wein sacramentlich sein heiliges Blut sei, d. h. auf die Art und Weise, wie Gott die heiligen Sacramente Alten und Neuen Testaments eingesetzt, daß sie seien sichtbare und wahre Zeichen der unsichtbaren Gnade und daß wegen der sacramentlichen Vereinigung in dieser heiligen Handlung beide, das Zeichen und die Bezeichnung beisammen seien und zugleich ausgespendet und empfangen werden. 6) Daß die heiligen Zeichen, Brod und Wein, nicht nur Zeichen seien, die Etwas bedeuten, sondern sie auch versiegeln und im rechtmäßigen Gebrauche dem Gläubigen wirklich auch das mittheilen, was uns Christus mit seinem dahingegebenen Leibe und mit seinem vergossenen Blute erworben hat. Diesem werden alle friedliebenden Protestanten beistimmen, sowie 7) darneben einhellig verwerfen alle Abgötterei, so mit der Anbetung der Hostie getrieben wird. Desgleichen verwerfen sie mit einhelliger Stimme das Meßopfer, halten sich an dem einen ewig gültigen Opfer Jesu Christi, da er sich Einmal am Stamme des Kreuzes geopfert und mit diesem einigen Opfer vollkommen für unsere Schulden bezahlt und hiermit alle anderen Sühnopfer aufgehoben, wie denen dieses wohlbekannt ist, die den Brief an die Hebräer gelesen haben.
13.
Wo gibt es noch einen Protestirenden, der diesem nicht beistimmte, und sich, wenn er anders die Wahrheit und den Frieden liebt, damit nicht begnügte? Lieber, wenn ein großer Herr einigen gemeinen Leuten eine große Mahlzeit zurichten lassen würde und sie ob der Mahlzeit miteinander zu zanken anfingen, wäre das nicht dem Herrn ein großer Schimpf? Was sollte Gott auf die Protestirenden halten, denen er die Abgötterei des Brodes des Herrn abgenommen, wenn sie, da Er ihnen eine so liebliche, herzerquickende und glaubenstärkende Mahlzeit bereitet, beständig miteinander zanken würden über Dinge, die nicht zu ergründen sind? Denn wie Gott bei den äußeren Zeichen in den Herzen der Menschen wirke und wie Christi Fleisch und Blut uns zur Speise werden, davon können wir nicht mehr reden als stammelnde Kinder. Gottes Wirkung durch den Glauben, die Wirkung des Verdienstes Christi im Herzen, die Mittheilung dieses Verdienstes sind solche Dinge, von welchen wir sagen müssen: „Welcher Mensch weiß, was in dem Menschen ist, denn nur der Geist des Menschen, der in ihm ist“? 1. Cor. 2, 11. Von der Kraft des Verdienstes Christi, seines dahingegebenen Leibes und vergossenen Blutes empfindet der Gläubige mehr, als er es aussprechen kann. Daß die frommen Alten auch also gedacht, beweisen sie mit dem Sprüchlein: „Das Wort hören wir, die Kraft und Wirkung empfinden wir, die Art und Weise verstehen wir nicht, die Gegenwart glauben wir“.
14.
Ist es nicht genug, liebe protestirende Brüder, wenn ein Jeder sich befleißt, diejenige Gnade, die der Herr Jesus bei seiner Tafel anbietet, mit Glauben anzunehmen, von Herzen alles Wortgezänke verabscheut, und dafür hält, wenn er zum hochwürdigen Sacramente gehe, so anerbiete ihm Gott alle Schätze, die Christus mit seinem dahingegebenen Leibe und mit seinem vergossenen Blute erworben habe, der gläubige Communicant verpflichte sich aber gegen Gott und gegen seinen Erlöser mit einem Eidgelübde, daß er als ein Erlöster leben wolle, und daß er, nachdem er die heilige Mahlzeit genossen, fürbas wandle nach dem Berge Gottes gegen den Himmel, auf dem Wege des Glaubens und auf der Straße der Frömmigkeit.
15.
Endlich, Ihr Protestirende, könnet Ihr den tröstlichen und seligen Schluß bei eurer Religion machen: „Ich weiß, daß mich Gott von Ewigkeit her geliebet, ich weiß, daß er seinen Sohn für mich dahin gegeben, ich weiß, daß sein Blut ein vollkommenes Lösegeld für meine Sünden ist, ich weiß, daß er um meiner Sünden willen gestorben und um meiner Gerechtigkeit willen auferstanden ist, ich weiß, daß er sitzet zur Rechten Gottes und mich vertritt, ich weiß, daß er meinen Leib am jüngsten Tage auferwecken, ja ich weiß, daß er meine Seele in der Stunde des Todes, ohne Versuchen einigen Gerichts, aufnehmen wird in seinen väterlichen Schoß. Und das weiß ich gewiß, weil Gott dieses in seinem Worte versprochen hat allen Denen, die da glauben und Buße thun. Ich weiß es gewiß, weil ich meine Seligkeit allein in Gottes Gnade und Barmherzigkeit suche und in dem theuren Verdienste Jesu Christi, welcher versprochen hat, alle die aufzunehmen, welche also zu ihm kommen. Ich weiß es gewiß, weil ich mich selber kenne, mein sündiges Wesen verabscheue und mich in die Wunden Jesu verberge, damit ich in denselben Heil finde. In diesem Vertrauen will ich vor Gottes Gericht erscheinen, weil ich versichert bin, daß Ihm durch den Tod seines Sohnes für mich genug gethan sei. Bin ich schwach, bin ich ein großer Sünder, je mehr ich klage, je mehr ich traure und weine, desto mehr wird sich mein gütiger Vater über mich erbarmen, und Jesus, mein Heiland, wird den nicht hinausstoßen, der zu ihm kommt und jammert: Ach ich habe gesündiget im Himmel und vor dir und bin nicht werth, daß ich dein Kind heiße! - Sind der Trübsale viele und schwere, so sind sie für mich doch nur väterliche Züchtigungen; Gott hilft mir sie tragen, und sie sind nicht zu rechnen gegen die Herrlichkeit, so an den Kindern Gottes soll geoffenbaret werden. Darauf will ich mich mit Frieden niederlegen und schlafen, eingedenk der tröstlichen Verheißung meines Heilandes Joh. 5,24: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch, wer mein Wort höret und glaubet Dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in's Gericht, sondern ist vom Tode in's Leben hindurchgedrungen“. Habt Ihr, Protestirende, nicht einen so tröstlichen Glauben? Ist es nicht billig, daß Ihr in dem, wozu Ihr gelangt seid, im Glauben und in der Liebe auch wandelt?