Christoffel, Raget - Die von Seite der evangelischen Kirche gegen die Waldenser bewiesene Bruderliebe.

Christoffel, Raget - Die von Seite der evangelischen Kirche gegen die Waldenser bewiesene Bruderliebe.

Ein wehmüthiges Gefühl wird in uns wach beim Niederschreiben des Namens dieser vielgeprüften evangelischen Wahrheitszeugen; denn an denselben knüpft sich die Erinnerung an die grausamen Verfolgungen, die sie um ihres evangelischen Glaubens willen Jahrhunderte hindurch von Seite der römischen Kirche erduldet haben. Aber auf der andern Seite erhebt sich unser Herz voll Dank gegen Gott, daß Er diese „kleine Herde“ trotz der Vertilgungswuth ihrer Feinde durch alle Stürme erhalten hat und sie in unsern Tagen zu einem Segen für ihre Heimath werden läßt.1) Mit dem Dankgefühle gegen Gott für den gnädigen Schutz, den er dieser kleinen Gemeinde in den Tagen der Bedrängnisse hat zu Theil werden lassen, lebt in den Herzen der evangelisch-reformirten Christen in der Schweiz, in Deutschland, Holland und England das freudige Bewußtsein, daß auch ihre Väter, nachdem ihnen in der Reformation das Licht der evangelischen Erkenntnisse aufgegangen, in treuer Liebe sich dieser vielgeprüften evangelischen Glaubensbrüder angenommen und ihnen Belehrung, Hülfe und Trost nach Kräften gewährt haben. Wir wollen hier, indem wir ein paar Blätter aus der Leidensgeschichte der Waldenser entfalten, auch einige Züge der christlichen Liebe, welche die evangelische Kirche gegen sie bethätigte, zeichnen.

Freundlich, wie die Klänge der Glocke an einem Ostermorgen, war für die Waldenser die Kunde, daß die evangelische Wahrheit durch die glaubensvolle Verkündigung der Reformatoren in der Schweiz und in Deutschland so herrliche Siege über das Papstthum feiere; denn jetzt durften sie hoffen, daß auch für sie der langersehnte Tag anbreche, wo sie ihren Glauben frei bekennen und ihn in Gottesdienst und Leben bethätigen durften. Unter dem schweren Drucke, dem sie um ihres evangelischen Glaubens willen Jahrhunderte lang ausgesetzt gewesen, und unter den furchtbaren Stürmen der Verfolgungen, die sie von Seite der päpstlichen Kirche hatten erdulden müssen, waren ihre kirchlichen Einrichtungen vielfach verkümmert und hatten auch ihre Sitten und ihr Glaubensmuth gelitten. Daher fühlten sie um so mehr das Bedürfniß, sich mit den Evangelischen in der Schweiz und in Deutschland in Beziehung zu setzen. Eine Versammlung ihrer Geistlichen zu Merindolle in der Dauphiné beschloß, zwei aus ihrer Mitte, die Prediger Georg Morel und Peter Maison, nach der Schweiz und nach Straßburg abzuordnen, um Verbindungen mit den dortigen evangelischen Theologen anzuknüpfen. In Basel, wo sie im Spätjahre 1530 erschienen, entwarfen sie vor Oekolampad mit der größten Offenheit und Aufrichtigkeit ein Bild ihrer kirchlichen und sittlichen Zustände und gaben Rechenschaft von den Lehren, die bei ihnen verkündiget und geglaubt werden, indem sie des Reformators Urtheil und Belehrung sich darüber erbaten. Unter anderem meldeten sie, daß ihre Gemeindeglieder die Sakramente, weil die Geistlichen der Waldenser dieselben nicht austheilen dürfen, aus den Händen der Diener des Antichrists (der römischen Priester) zu empfangen genöthigt seien. Sie, die waldensischen Geistlichen, müssen sich in dieser Beziehung darauf beschränken, ihren Gemeinden die geistliche Bedeutung der Sakramente zu erklären, daß sie nämlich ihr Vertrauen in keiner Weise auf die antichristlichen Ceremonien setzen und bitten sollen, es möge ihnen nicht als Sünde zugerechnet werden, wenn sie gezwungen würden, die Gräuel des Antichrists mit anzusehen und anzuhören. In einem äußerst liebreichen, väterlichen Schreiben sprach sich Oekolampad noch im gleichen Herbst, den 13. Oktober 1530 über ihre Lehren und Uebungen also aus: Nicht ohne christlich freudige Bewegung habe ich von euerm treuen Seelsorger Georg Morel vernommen, wie es um euern religiösen Glauben und um die Uebung desselben stehe. Ich danke unserm allgütigen himmlischen Vater, daß er in dieser Zeit, wo fast überall dichteste Finsterniß das Erdreich bedecket, und da der Antichrist übermächtig geworden, euch zu solchem Lichte geführt hat. Ich erkenne wahrlich Christum in euch und liebe euch daher als Brüder, und möchte diese meine Herzensgesinnung euch durch die That beweisen. Was wäre ich nicht trotz aller Schwierigkeit bereit zu thun! Für jetzt bitte ich euch, was ich euch in brüderlichem Ernste vorlegen werde, nicht als im Tone hochfahrenden Befehls geschrieben anzusehen, sondern als freundlichen Rath eines Mannes, der an euern Schicksalen den innigsten Antheil nimmt.„ Auf die Uebung, die Sakramente aus den Händen der römischen Priester zu empfangen, übergehend, fährt Oekolampad fort: „Wie vieles ich an euch gutheiße, so ist vieles, daß ich gebessert wünschte. Ihr wisset, daß wir mit dem Herzen glauben zur Gerechtigkeit, mit dem Munde aber bekennen zum Heil, daß hingegen diejenigen, welche sich des Bekenntnisses Christi vor der Welt schämen, einst auch von seinem Vater nicht werden erkannt werden. Weil unser Gott die Wahrheit ist, so will er auch, daß die, welche ihm dienen, ihm in der Wahrheit dienen und ohne Schminke der Heuchelei. Er ist ein eifriger Gott und will nicht dulden, daß wir zugleich am Joche des Antichrists ziehen. Es gibt keine Gemeinschaft zwischen ihm und Belial. Nun aber haben wir gehört, daß ihr aus Furcht vor den Verfolgungen euern Glauben so verheimlicht und verbergt, daß ihr auch mit den Ungläubigen Gemeinschaft haltet und ihren verabscheuungswürdigen Messen beiwohnt, von denen ihr doch euch selbst überzeugt habt, daß der Tod und das Leiden Christi in ihnen gelästert werde, denn da jene sich rühmen, durch ihre Opfer genug zu thun für die Sünden der Lebendigen und der Todten, was bleibt dann übrig, als daß Christus nicht genug gethan habe mit seinem Opfer und daß Christus nicht ist Jesus (d. i. Seligmacher) und der Erlöser, sondern gewissermaßen vergeblich für uns gestorben ist? So wie wir ihres verunreinigten Tisches uns theilhaftig machen, so geben wir uns dar als solche, die zu einem Leibe verbunden sind mit den Gottlosen, wenn auch mit verbittertem Gemüthe. Wenn wir „Amen“ sprechen zu ihren Gebeten, verleugnen wir dann nicht Christum? Welche Todesarten sollten wir uns nicht lieber wählen, welche Henkersqual nicht eher erdulden, ja, in welchen tiefen Schlund der Hölle lieber uns werfen lassen, als wider das Gewissen den Blasphemien der Gottlosen beistimmen. Ich kenne eure Schwäche, aber denen, die sich durch Christ Blut erkauft wissen, geziemt es, tapfer zu sein. Der ist mehr zu fürchten, der die Seele sammt dem Leibe in die Hölle werfen kann. Was sind wir doch für unser Leben besorgt? Soll uns das lieber sein als Christus? Werden wir uns zufrieden geben mit den Lockungen dieses Lebens und nicht lieber zu dem ewigen Frieden eilen? Die Siegerkronen sind ausgestellt, und wir wollen das Angesicht von ihnen wegwenden? Wer wird von der Wahrheit unsres Glaubens sich überzeugen, wenn derselbe nachläßt in der Hitze der Verfolgung? Ich bitte daher, daß der Herr euch den Glauben mehre. Wahrlich lieber möchte ich sterben, als der Versuchung unterliegen. Darum so ermahne ich euch, Brüder, daß ihr die Sache reiflicher erwäget, denn wenn es erlaubt ist, unter dem Antichrist den Glauben zu verheimlichen, so wird es euch auch freistehen, mit den Türken in ihren Moscheen, es wird euch freistehen, mit Diocletian zu den Altären des Jupiter und der Venus zu flehen, und vielleicht mit geringerer Gefahr. Dann wäre es auch dem Tobias erlaubt gewesen, das Kalb in Bethel anzubeten! Wo bleibt dann unsre Hoffnung auf den Herrn? Ich fürchte, daß wenn wir den Herrn nicht nach Gebühr verehren, unser ganzes übriges Leben vom Sauerteig der Heuchelei durchsäuert werde und daß der Herr die Lauen ausspeien werde aus seinem Munde. Wie sollten wir uns des Kreuzes Christi rühmen, wenn wir aus Furcht vor Drangsal den Herrn nicht verherrlichen? Nicht ziemt es sich, Brüder, die Hand vom Pfluge abzuziehen; nicht ziemt es sich, Gehör zu geben den Einflüsterungen des übel rathenden Eheweibes (ich meine des Fleisches), die bei allem, was sie verbietet, doch den Schiffbruch im Hafen herbeiführt. Zum Schlusse ruft er noch aus: „Das Fleisch soll nicht siegen zu seinem eigenen Verderben, sondern besiegt werden zu seinem Heile; denn wenn wir unser Leben auch verlieren um Christi willen, so werden wir es wiederfinden in der Auferstehung der Gerechten zum ewigen Leben, das uns allen durch die Gnade Christi möge verliehen werden. Ich bitte euch, diese brüderliche Vermahnung nicht zu verachten; denn ich wollte nichts reden oder schreiben, von dem ich glaubte, daß Christus nicht dazu stehen werde. Bittet Gott für uns und unsere Kirche, denn wir werden auch euer eingedenk sein im Herrn.“

Diese brüderliche Ermahnung Oekolampads, sowie Belehrungen, die er der waldensischen Gemeinde über Schriftlehre und kirchliche Ordnung zukommen ließ, war von erfreulichen Folgen begleitet, wie dieselben sich auch auf der Synode, die im Sept. des Jahres 1532 im Thale Angrogne gehalten wurde, offenbarten. Immer enger schlossen sich die Waldenser an die reformirte Kirche an, zumal da auch in der Folge die Reformatoren französischer Zunge, wie namentlich Farel, der sprachverwandten Gemeinde mit besonderer Liebe sich annahmen. Durch die „Union der Thäler“, welche im Jahre 1571 zu Stande kam, wurde der Anschluß derselben an die Reformirten zur vollendeter Thatsache.

So heilsam und erfrischend für Lehre und Leben der in ihrer Vereinsamung unter dem Drucke, den die päpstliche Kirche auf sie übte, in mancher Beziehung verkümmerten Gemeinde der Waldenser diese Verbindung mit der kräftig und gesund sich gestaltenden reformirten Kirche war, so sollte sie doch auch für die Vielgeprüften eine Veranlassung neuer Drangsale werden. „Trennen und herrschen“ ist die Losung der römischen Kirche, und daher ist ihr nichts mehr zuwider, als wenn die Evangelischen sich vereinigen und durch Eintracht stark werden. Das Band, welches die Waldenser mit der reformirten Kirche verbinden wollte, sollte gleich, nachdem es geknüpft worden, getrennt werden. So wurde einer der waldensischen Abgeordneten an die Evangelischen in der Schweiz und Deutschland, Peter Masson, auf seiner Rückreise nach der Heimath in Dijon gefangen genommen und hingerichtet. Bald sollte noch ein schwereres Gewitter der Verfolgung über sie ergehen um deswillen, daß sie sich mit den schweizerischen Reformirten in Beziehung gesetzt hatten. Im südlichen Frankreich hatte eine waldensische Gemeinde nördlich von der Durence Einöden in Gärten verwandelt. Ihre Berge reichten bis zu den Felsen, denen die Quelle Vaucluse entspringt. Es war ein Land mit dreißig Dörfern und zwei Städten, Cabrieres und Merindal. Ringsum beneidete man ihr stilles Glück. Das war ihr Verbrechen. Um einen Vorwand zur Verfolgung dieser unschuldigen evangelischen Christen zu finden, wurden sie dem französischen König Franz I. als staatsgefährliche Leute dargestellt. Man mußte nicht genug zu erzählen von ihrem Briefwechsel mit den schweizerischen Reformatoren, durch welche sie sich hatten bestimmen lassen, nicht mehr die Messe zu besuchen, von ihren Verbindungen mit den schweizerischen Republiken, deren Staatsform sie nachahmen wollen, von der Zahl ihrer Waffenfähigen, die schon auf fünfzehntausend gestiegen sei, von der Gefahr, die von ihrer Seite in Kriegszeiten den Städten Aix und Marseille drohe. Franz I., der dem Kaiser Karl V. geschworen, ihm die Reformation unterdrücken zu helfen, wollte seinem Nebenbuhler mit der That zuvorkommen. Schon im Jahre 1540 schrieb der König an das Parlament von Aix und ließ den Waldensern die härtesten Strafen androhen, wofern sie nicht den Glauben ihrer Väter verleugnen und sich dem Papste unterwerfen wollten. Der menschenfreundliche Parlamentspräsident Chassanay wußte die Ausführung des Verfolgungsbefehls fünf Jahre lang zu verzögern; aber nach seinem Tode (1545) führte ihn sein Nachfolger, Jean Meynier, Baron von Oppeda, mit beispielloser Unmenschlichkeit aus. In wenigen Tagen standen von den blühenden Städten und Dörfern nur noch rauchende Trümmer und die Felder, auf welchen selbst alle Fruchtbäume niedergehauen waren, sahen einer Wüste gleich. Von den Bewohnern waren mehr als viertausend unter den ausgesuchtesten Qualen hingemordet und etwa Tausende sahen als Gefangene dem traurigen Lose auf den Galeeren entgegen. Nur wenigen war es gelungen, mit vieler Mühe sich vor den Treibjagden in den Wäldern zu retten und unter tausend Gefahren und Entbehrungen den freien Boden der Schweiz zu erreichen. In Genf, wohin sie kamen, veröffentlichten sie eine Schrift mit dem Motto: „Laß unter den Völkern vor unsern Augen kund werden die Rache des Blutes Deiner Knechte, das vergossen ist“ (Ps. 79).

Die Evangelischen entsetzten sich über diese Gräuelthaten. Calvin, Farel und Viret theilten einander ihre Bekümmernisse mit. An die reformirten Schweizerstädte schrieb Calvin: „Wollet ihr nicht den König bei der Freundschaft, die er euch bezeugt, zu einem andern Verfahren gegen die Bekenner eures Glaubens auffordern? Oder glaubt ihr etwa was Pensionärs2) des Hofes aussagen? Wie unglücklich wären die Frommen, wenn sie nicht den Herrn zum Rächer hätten! So schwer wiegen jämmerliche und leere Verläumdungen, daß unser Zeugniß sie nicht zu entkräften vermag?“ Eine Tagsatzung der reformirten Schweizerkantone erließ hierauf ein dringendes Bittschreiben an den König, daß er doch den armen Leuten Gnade und Barmherzigkeit widerfahren und die Flüchtlinge wieder in ihre Heimath zurückkehren lassen wolle. Franz I. aber erwiderte ihnen in einem hochfahrenden Tone: „Die Waldenser haben nur die wohlverdiente Züchtigung empfangen für ihre Verbrechen. Uebrigens hätten sich die Schweizer gar nicht um das zu bekümmern, was in seinem Königreiche vorgehe, wie es ihm auch gleichgültig sei, was sie in ihrem Lande thun.“ Indessen beunruhigte doch das Andenken an diese Gräuelthaten des Königs Gemüth noch auf dem Sterbebette so sehr, daß er seinem Nachfolger auftrug, den Prozeß noch einmal zu untersuchen. Dieses geschah mit Feierlichkeit vor dem Parlamente zu Paris (1551); aber bis auf einen (den Advokaten Guerin, der noch wegen anderer Verbrechen gehenkt wurde) wußten sich Oppeda und seine Mitschuldigen aus der Sache zu ziehen. Indessen genossen die armen um ihres evangelischen Glaubens willen Vertriebenen im Schoße der reformirten Schweizerkirche die Liebe und Theilnahme, an welcher der Herr die Seinigen erkennt. Nicht freundlicher gestaltete sich das Los der Waldenser, welche die Thäler zwischen Piemont und Savoyen bewohnten, indem auch über sie von Zeit zu Zeit die grausamsten Verfolgungen ergingen. Aber auch gegen sie bethätigten die Fürsten, Obrigkeiten und Völker reformirten Bekenntnisses die herrlichste Bruderliebe. Als der Herzog von Savoyen sich 1565 zu einer blutigen Verfolgung dieser unschuldigen, ihm so treu ergebenen Unterthanen anschickte, sandte der reformirte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz den Johannes Junius mit einem ernsten Vorstellungsschreiben an denselben: „Daß solche Grausamkeit und Tyrannei, so der römische Papst wider gläubige und reformirte Christen verübe, einem christlichen und gerechten Fürsten nicht zu leiden gezieme; daß Henken und Brennen keineswegs die rechtmäßigen Mittel wären, die Religion fortzupflanzen. Er, der Herzog von Savoyen, solle bedenken, wie er dermaleinst vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen und wegen des vergossenen Blutes Rechenschaft ablegen müsse. Die Mißbräuche und Irrthümer der römischen Kirche wären so häßlich, so abscheulich, daß alle diejenigen, welche ihre Seligkeit lieben, hohe Ursache haben, solche zu fliehen; und alle diejenigen, von denen sie deswegen getödtet oder verfolgt würden, wären Gottes Feinde und der ewigen Verdammniß schuldig.“3) Es ist erhebend und sehr wohlthuend, diese Sprache aus dem Munde eines Fürsten gegen einen andern Fürsten zu vernehmen. Auch blieb die Verwendung des reformirten Kurfürsten für die bedrohten Glaubensgenossen in den piemontesischen Bergen nicht ohne Erfolg. Während die blutigen Religionskriege in den übrigen Ländern Europas wütheten, erfreuten sich die Waldenser eine Zeit lang friedlicher Ruhe und Sicherheit, wie auch zuweilen Hochgebirge im freundlichen Sonnenglanze strahlen, während in den Thälern zu ihren Füßen Gewitterstürme toben.

Aber bald sollte dieses Glück des Friedens, das ihnen eine kurze Zeit geblüht, ein schreckliches Ende nehmen. Frankreich, das unter dem schlauen Minister Kardinal Mazarin den Plan gefaßt hatte, Oberitalien zu erobern, wollte die von den Waldensern bewohnten Thäler als stets offene Heerstraße für seine Truppen. Als Entgeld für diese Landschaft bot er dem Herzog von Savoyen Genf und Waadt, welches er für ihn zu erobern sich verpflichtete. Daneben ward bemerkt, daß man jedenfalls, nachdem einmal die calvinische Partei in Frankreich unterworfen worden, diesen in den Abhängen der Alpen verborgenen Herd der Ketzerei vertilgen müsse. Auch Rom bethätigte, wenn auch aus einem andern Beweggrund, einen großen Eifer zum gleichen Zwecke. Durch das große Jubiläum, welches 1650 begangen worden, war namentlich auch in Turin und in Savoyen der Wunsch, die Ketzer zu bekehren, angeregt worden. Dabei wünschte der Papst das Gebiet, welches die Waldenser bewohnten, wenn sie einmal vertilgt seien, den Irländern zu geben, die wegen Niedermetzelung der Protestanten aus ihrer Heimath vertrieben waren. Auf diese Weise wurde der kaum zwanzigjährige Herzog Karl Emanuel II. von Savoyen von Frankreich und vom Papste durch Versprechungen und Drohungen zu einer blutigen Verfolgung seiner evangelischen Unterthanen, ja wenn es nach dem Wunsche seiner Rathgeber gegangen wäre, zu einer gänzlichen Vertilgung derselben bestimmt. So theilte er plötzlich den 22. Januar 1655 den reformirten Familien, die in Saint-Jean, in La Tour und in anderen Dörfern des Lucerner Thales wohnten, den Befehl, binnen drei Tagen ihre Wohnungen zu verlassen und sich in die von ihnen bezeichneten Ortschaften zurückzuziehen. Die bedrohten Waldenser suchten durch eine Deputation beim Herzoge die Zurücknahme dieses Befehls oder doch die Verschiebung des Vollzuges desselben bis zu einer freundlicheren Jahreszeit auszuwirken; aber ihre diesfalligen Bemühungen waren umsonst. Nachdem sie noch eine Verwahrung gegen dieses Verfahren eingelegt, wichen sie der Gewalt und zogen, wie es im Palmbaum4) heißt, „mit Weib und Kind, Groß und Klein, Gesunden und Kranken, dieselben durch Regen und Schnee und Eis mit großem Jammer, Weinen und Seufzen mit sich schleppend.“ Die Wälder und Felsklüfte ihrer Berge wurden ihre Zufluchtsörter. Aber Kälte und Hunger vertrieb sie von da, und die Noth zwang sie bald zu ihren verlassenen Wohnungen zurückzukehren. Hierauf rückte im Frühjahre 1656 ein Heer von 15.000 Mann, darunter ein Regiment angeworbener Irländer5), in die Thäler ein, unter dem Befehl des Marquis von Pianezza. Von diesen durch die sie begleitenden Franciscaner fanatisierten und mit Ablaßbriefen für jede in diesem Feldzuge zu begehende Schandthat versehenen Truppen wurden Gräuelthaten verübt, die selbst diejenigen hinter sich lassen, welche in unsern Tagen in Indien an englischen Frauen und Kindern begangen worden sind. Zwei und zwanzig Dörfer wurden in Asche gelegt. Mit welcher teuflischen Grausamkeit Männer, Frauen und Kinder mißhandelt, geschändet und endlich hingemordet worden, wollen wir aus Rücksichten des Anstandes und aus Schonung des Zartgefühls dem Leser zu schildern unterlassen.6) Einem Geistlichen der Waldenser, Léger, gelang es nach Genf zu entkommen und dort in einer Schrift7), die in verschiedene Sprachen übersetzt und überall verbreitet wurde, den Glaubensgenossen in Europa zu melden, wie der Herzog beschlossen habe, „das Jerusalem des Herrn“ zu zerstören! Schmerz und Trauer erfüllte die Gemüther der Reformirten in ganz Europa bei der Kunde dessen, was ihren Glaubensbrüdern in den piemontesischen Alpen widerfahren war. Diesen Gefühlen liehen die reformirten Cantone der Schweiz und die großbritannische Republik unter Cromwell zuerst dadurch Ausdruck, daß sie die Feier eines Fast-, Buß- und Bettags anordneten.

Milton, der Sänger des „Verlorenen Paradieses“, rief bei der Nachricht von diesem Gemetzel die Gerechtigkeit Gottes in folgender Weise an8):

„Räch' Deine Heiligen, o Herr, die man erschlagen!
Auf Alpenhöh'n zerstreut und kalt liegt ihr Gebein;
Die, als die Väter all verehrten Holz und Stein,
Die Wahrheit hielten rein vererbt aus alten Tagen.
Vergiß sie nicht; schreib! ihre Seufzer in dein Buch,
Sie waren deine Schafe, die in ihrem Pferche
Gemordet Piemonts blutgieriger Scherge;
Vom Felsen stürzt er Mutter, Kind. Es schlug
Auf zu den Hügeln ihre Klag' vom Thal,
Auf zu den Sternen stieg sie von den Hügeln.
Geuß auf Italiens Gefild, - überall,
Wo Priester uns des Himmels Thür' verriegeln,
Das Blut der Märtyrer, streu ihre Asch' umher,
Daß hundertfach aus ihr ein heilig Volk erstehe,
Das, wenn es Dich erkannt aus Deines Sohnes Lehr',
Bald kann entflieh'n dem Babylon'schen Wehe!“

Aber die Theilnahme der reformirten Schweizer Cantone und des Protektors beschränkte sich nicht allein auf Seufzer und Gebete für die bedrängten Glaubensbrüder, sondern sie bethätigten auch ihre Bruderliebe gegen sie durch ihr Bemühen, ihren Bedrängnissen Einhalt zu thun und die ihnen geschlagenen Wunden zu heilen. Cromwell sollte gerade an dem Tage, an welchem er die Nachricht von den Gräuelthaten erhielt, einen Vertrag mit Frankreich unterzeichnen. Er verweigerte es aber, bis daß der Kardinal Mazarin und der König sich verpflichtet hätten, ihn zu unterstützen, um diesen armen Protestanten Recht zu verschaffen. An Mazarin schrieb er: „Erst wenn durch Eure Beihülfe die Waldenser Gewissensfreiheit erhalten haben, weiß ich, daß ich mich auf die Gesinnung des französischen Hofes verlassen kann.“9) Durch seinen Sekretär Milton ließ er an alle reformirten Fürsten und Regierungen schreiben, um sie zu einer gemeinsamen Verwendung für die leidenden Glaubensbrüder in den piemontesischen Bergen zu bewegen. An den Herzog von Savoyen sandte Cromwell Samuel Morland mit einem Briefe, in welchem er sagte, nachdem er ihm die Ungerechtigkeit seines Verfahrens gegen die Protestanten in den Thälern vorgestellt hatte, daß der Schmerz sein Herz zerrissen habe bei der Nachricht von den Leiden der Waldenser, mit welchen er nicht allein durch gemeinsame Bande der Menschheit, sondern auch durch Bekenntniß desselben Glaubens verwandt sei, und die er als seine Brüder betrachten müsse. Er fügt hinzu: „er würde seinen Pflichten gegen Gott, gegen die christliche Liebe, gegen die Religion nicht genügen, wenn er sich nur mit Rührung des Mitleids mit diesen armen Menschen begnügte; ihre Lage sei so beklagenswerth, daß sie das Mitleid selbst der rohesten Menschen erregen müßte; er glaube deshalb alles thun zu müssen, was in seiner Macht stehe, um sie aus ihrem Elende zu befreien.“ Schon waren, als Morland beim Herzoge von Savoyen anlangte, auch die Gesandten der schweizerischen Cantone daselbst, die Namens ihrer Stände gleichfalls in nachdrücklichster Weise sich für ihre bedrängten Glaubensbrüder verwandten. Von Bern waren es Gabriel Wyß und Carl von Bonstetten, von Zürich Salomon Hirzel, von Basel Benedict Socin, von Schaffhausen der Stadtschreiber Jakob Stocker, welche zu dieser Gesandtschaft ausersehen waren. Die Generalstaaten von Holland, sowie die Fürsten von Brandenburg, von Hessen und von der Pfalz sandten dringende Mahnschreiben an den Turiner Hof zu Gunsten ihrer Glaubensgenossen. Um den mündlichen und schriftlichen Fürsprachen für die Waldenser mehr Nachdruck zu geben, ward dem Herzoge eröffnet, daß der englische Admiral Blake auf Weisung Cromwell's mit einer Flotte nach dem Mittelmeere gefahren sei und jeden Augenblick bei Villefranche eintreffen könne, um, womöglich, den bedrängten Glaubensgenossen Hülfe zu bringen oder, wo dieses nicht mehr möglich wäre, dieselben nach Irland hinüber zu führen. Desgleichen drohte auch Bern, wenn der Fürsprache der evangelischen Eidgenossen kein Gehör geschenkt werde, mit einem Heere in die Chablais einzufallen. Da nun auch dem französischen Hofe sehr viel daran lag, den erwähnten Vertrag mit England zum Abschlusse zu bringen, sowie mit der Schweiz, deren Söldner es bedurfte, in Freundschaft zu leben, so erhielt auch der französische Gesandte in Turin, Servient, den Auftrag, den Frieden zwischen dem Herzoge und seinen Unterthanen zu vermitteln, während es doch gerade diese Macht gewesen war, welche das Feuer zur Verfolgung geschürt hatte. In der Verzweiflung hatten jetzt auch die Waldenser die Waffen ergriffen zur Vertheidigung ihres Glaubens und ihres Lebens und waren unter den wackeren Anführern Jayer und Javenel bis Pignerol siegend vorgedrungen. Hier kam nun unter dem Vorsitze Servients durch Vermittelung der Gesandten der protestantischen Mächte und der evangelischen Schweiz der nach diesem Orte genannte Vertrag im August 1655 zu Stande, der den Waldensern ihre religiöse Freiheit zusicherte und ihnen wieder zum Besitze ihrer Bezirke verhalf unter Gewährung einer Abgabefreiheit für fünf Jahre. Solchen Erfolg erzielte die kräftige Verwendung der Evangelischen für die bedrängten Glaubensbrüder in den piemontesischen Bergthälern. Aber die Bruderliebe that noch mehr. Eine Liebessteuer wurde für die Waldenser als Heilmittel für die empfangenen Wunden in den Ländern reformirten Bekenntnisses gesammelt und auf diesem Wege die bedeutende Summe von nahe einer Million Franken zu diesem Liebeswerke zusammengebracht.10) Auf solche Weise bethätigten die Väter ihre Bruderliebe gegen leidende Glaubensgenossen.

Man hätte erwarten dürfen, daß in Folge dieses Vertrages von Bignerol den Waldensern nun eine Zeit der Ruhe und des Friedens angebrochen wäre, aber die augenblickliche Stille, die nun eintrat, glich derjenigen, die dem Sturme auf dem Meere vorangeht. Man streute aus, den Waldensern seien durch auswärtige Mächte bedeutende Geldsummen zur Unterstützung ihrer Empörung gegen ihren Landesherrn geflossen. So hörte man plötzlich wieder von Raub und Todschlag, an den Waldensern durch ihre Feinde verübt, von Gefangennehmung und Hinrichtung einer ihrer Prediger. Die Uebung ihres Gottesdienstes, welche ihnen zugesichert worden, wurde ihnen erschwert und zu St. Jean 1657 gänzlich untersagt. Ihr eifrigster und begabtester Prediger Johann Leger wurde, weil er gegen dieses Verbot in der Schule catechisiert und das Evangelium verkündigt hatte, sogar zum Tode verurtheilt. Er entzog sich dem Vollzuge dieser Strafe durch die Flucht und erwirkte von den evangelischen Orten der Schweiz, von den protestantischen deutschen Fürsten und von Karl II. von England kräftige Fürsprachen beim Herzoge von Savoyen für die schwer bedrängten Waldenser. Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg schrieb im März 1560 an den Herzog von Savoyen und an den König von Frankreich: Da die Leiden und das Elend derer, die mit uns gleichen Glaubens sind, Unser Gemüth tief ergriffen haben, und Uns zur Uebung der Liebespflicht nach recht und Verdienst einladen, so hoffen wir Ewr. Liebden werden Unsere Verwendung für die, welche in des Herzogs Staaten, in den piemontesischen Thälern, mit uns die christliche Lehre bekennen, mit billigem Sinne zulassen.“ Waldensern ließ er anzeigen, daß sie seiner Bereitwilligkeit, sich ihrer nach Kräften anzunehmen, stets versichert sein mögen. Sollten sie genöthigt werden, ihre alte Heimath zu verlassen, so wolle er ihnen in seinen Staaten passende Ländereien zur Bebauung und Wohnstätten einräumen. Diese Verwendungen erzielten keinen günstigen Erfolg; im Gegentheil wurde nun militairische Macht aufgeboten und in die Thäler der Waldenser gesandt, um die widerrechtlich gefällten Verbannungsurtheile zu vollziehen. Das Bild des flüchtigen Legers wurde bei diesem Anlasse an den Galgen gehängt, sein Haus geschleift und an der Stelle, wo dasselbe gestanden, eine Schandsäule mit einer entehrenden Inschrift aufgerichtet. In ihrer Bedrängniß wandten sich die Waldenser wieder an ihre Glaubensbrüder in der Schweiz und ersuchten sie um ihre Verwendung für sie beim Herzoge von Savoyen. Die evangelischen Orte der Schweiz entsandten dann im Einverständniß mit den evangelischen Fürsten Deutschlands, Englands und den Generalstaaten im Juli 1662 den Herrn Dietegen Holzhalb von Zürich nach Turin, um Fürsprache beim Herzoge für die Bedrängten einzulegen. Derselbe antwortete dem Gesandten: „Er könne nicht begreifen, warum eine löbliche Eidgenossenschaft sich so sehr und so viel solcher bösen Leute annehmen möge.“

Die Leiden der Waldenser wurden noch durch den Umstand gesteigert, daß 1661 einer ihrer erbittertsten Feinde zum Gouverneur ihrer Gegend ernannt wurde. Dieser zwang durch seine unmenschlichen Mißhandlungen und Bedrückungen die armen Thalleute zur Vertheidigung ihres Lebens und ihres Glaubens die Waffen zu ergreifen. Es gelang ihnen unter Vermittelung ihrer Glaubensverwandten ihre alten Rechte wieder zu erkämpfen, indessen forderte der Herzog von ihnen eine Summe von über zwei Millionen Franken als Entschädigung für den durch den Krieg verursachten Schaden. Doch stand er auf Zureden der Gesandten der Schweiz und der protestantischen Mächte in der Folge von dieser Forderung ab. Den Waldensern dagegen wurden namentlich von Holland sehr ansehnliche Liebesgaben zugestellt, damit sie sich wieder vom erlittenen Schaden erholen möchten. So steuerte die einzige Stadt Middelburg in Seeland 19,500 holländische Gulden.

Die Hauptverfolgung erging in Folge der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 über die Waldenser. Ludwig XIV. zwang den von ihm abhängigen Herzog Amadeus II. von Savoyen, mit einem Heere, das von 4000 Franzosen unterstützt wurde, ihre Thäler zu überziehen. Nun sollten alle Kirchen der Waldenser niedergerissen, alle ihre Schulen eingestellt werden und alle Bekenner des evangelischen Glaubens innerhalb der nächsten vierzehn Tage bei Strafe der Verbannung oder des Todes öffentlich ihrem Irrthume entsagen. In ihrer Verzweiflung greifen die armen Thalleute wieder zu den Waffen, werden aber gänzlich geschlagen. Eine große Zahl fiel unter dem Schwerte der Sieger; viele fanden in den Flammen, welche ihre Wohnungen verzehrten, den Tod. Zweitausend Kinder wurden ihren Eltern entrissen, um sie katholisch erziehen zu lassen, und vierzehn tausend Erwachsene geriethen in Gefangenschaft, von welchen eilf tausend in den Kerkern starben. Vergebens waren die Bemühungen der Gesandten der evangelischen Orte der Schweiz, dieses Unglück von ihren Glaubensbrüdern in den piemontesischen Bergen abzuwenden. Nach vielen Bitten versprach der Herzog, einige der Gefangenen loszulassen unter der Zusicherung von Seite der schweizerischen Gesandten, daß die evangelischen Orte die losgelassenen Gefangenen gebührend empfangen, sie unter sich vertheilen, auch für ein Unterkommen in entfernten Ländern besorgt sein, inzwischen ihnen weder Waffen noch Munition zur Rückkehr in ihr Vaterland gewähren wollen. So wurden im Anfange des Jahres 1686 einige dieser Gefangenen losgelassen, die sofort ihre Schritte nach der Schweiz lenkten. Später folgten ihnen noch viele Waldenser nach, die dem Tode und der Gefangenschaft entronnen waren. In der evangelischen Schweiz wurden sie freundlich empfangen und unterstützt. Im Jahre 1686 fiel in Zürich zu ihren Gunsten ein Kirchenopfer von 11.953 Gulden 3 Schillingen und einem Heller. Im Jahre 1687 betrug die Liebessteuer für die Waldenser in Zürich 20.678 Gulden 15 Schillinge und 5 Heller. Die übrigen evangelischen Orte der Schweiz haben nach Verhältniß ihrer Größe und ihrer Kräfte gleiche Opfer für diese unglücklichen Glaubensbrüder gebracht. Da noch viele Thalleute und besonders die meisten ihrer Prediger in den Gefängnissen Piemonts schmachteten, so wurde von den evangelischen Orten eine neue Gesandtschaft nach Turin entsandt, um ihre Befreiung und um die Rückgabe der Kinder an ihre Eltern auszuwirken. Allein es gelang dieser Gesandtschaft vom Herzoge nur das Versprechen zu erhalten, die verhafteten Prediger unter der Bedingung freizugeben, daß die Flüchtlinge sich nach entfernten Wohnsitzen begeben sollen. Darauf versammelten sich die Gesandten der evangelischen Orte in Aarau, um sich zu berathen, wie die Vertriebenen bei fremden evangelischen Potentaten und Ständen etwa untergebracht, mit Nahrung und Wohnung versehen und mit freier Uebung ihrer Religion wieder zu einer Gemeinde und zu einem Volke gemacht werden möchten. Es wurde nun am 2. Mai 1687 David Holzhalb, Mitglied des großen Rathes von Zürich nach der Pfalz, zum Kurfürsten von Brandenburg, zum Landgrafen von Hessen und zu den Generalstaaten abgesandt, um nähere Verabredung zur Unterbringung der vertriebenen Waldenser zu treffen. Ueberall zeigte man die größte Bereitwilligkeit sowohl zur Aufnahme dieser Flüchtlinge als zur Erhebung von Liebessteuern zu ihrer Unterstützung. Die Stadt Bremen übergab dem schweizerischen Abgeordneten 1355 Reichsthaler als Ertrag einer Collecte zur Unterstützung der Waldenser. In Haag hatte Holzhalb eine Audienz beim Prinzen von Oranien, der seine Bereitwilligkeit zur Aufnahme der Waldenser erklärte und eine Collecte in seinem Lande zu ihren Gunsten zu erheben versprach. Allein trotz dieser Anerbietung konnten sich die Waldenser nicht entschließen, noch weiter von ihrer Heimath sich zu entfernen, sondern versuchten, von Heimweh nach den Bergen und von Sehnsucht nach den ihnen entrissenen Kindern hingerissen, mit den Waffen in der Hand ihre Rückkehr in das Land der Väter zu erringen. Dieser Versuch mißlang und hätte bald die Schweiz mit Savoyen und Frankreich in einen Krieg verwickelt. Daher mußten nun die Obrigkeiten der evangelischen Cantone ernstlich in die Waldenser dringen, daß sie von den Anerbietungen der protestantischen Fürsten und Staaten Gebrauch machen und sich von den Grenzen Savoyens und Piemonts entfernen sollen.

So machte sich nun endlich den 30. Juli 1688 der erste Zug, 134 Familien, nach Brandenburg auf. Von Basel wurden sie in acht Schiffen bis Geroldsheim gebracht und von hier setzten sie dann ihre Reise zu Wagen weiter fort. In Frankfurt wurden sie, wo sie den 11. August einen Rasttag hielten, von der Prinzessin von Tarent, der Tochter des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, mit 20 Ohm Wein, 400 Pfund Brod und 400 Pfund Fleisch bewirthet. Eine Liebessteuer, die für sie in der französischen und in der deutsch reformirten Kirche gesammelt wurde, betrug 100 Reichsthaler. Sechs Tage später wurde eine zweite Abtheilung von 481 Personen auf gleiche Weise nach Brandenburg befördert. Bis nach Frankfurt begleiteten sie schweizerische und von hier bis Stendal, dem nächsten Ziele ihrer Bestimmung, brandenburgische Commissarien. Die Beförderungskosten wurden zur Hälfte von Kur-Brandenburg und zur Hälfte, nämlich 1187 Gulden 16 Schillinge und 5 Heller, von den evangelischen Cantonen der Schweiz getragen. Etwa 800 Waldenser begaben sich nach der Pfalz, wo ihnen der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Neuburg reiche Ländereien einräumte.

Weniger günstig verliefen die Unterhandlungen um Aufnahme von Waldensern mit Württemberg. Die schweizerischen Cantone hatten den Landvogt Christoph Werdmüller von Zürich mit diesen Unterhandlungen betraut, allein dieselben wurden 11 Jahre lang hingezogen, indem die lutherischen Theologen die Befürchtung äußerten: „Es möchte durch die Waldenser die spitzfindige reformirte Confession in's Land eingeführt werden“. Die juristische Fakultät in Tübingen gab ihr Gutachten dahin: „Man solle die waldensischen Kinder in die lutherischen Schulen schicken, um ihnen nicht allein ihre Muttersprache, sondern auch die welsche Manier und Sitte abzugewöhnen. Auch solle man die Aenderung der Confession von ihnen verlangen“. Endlich scheint sich doch der Administrator Friedrich Carl durch die Bereitwilligkeit, welche andere protestantische deutsche Fürsten zur Aufnahme dieser Unglücklichen bewiesen, beschämt gefühlt zu haben, und gab die Erklärung, daß auch er sie aufnehmen wolle, jedoch unter der Bedingung, daß für jede Familie 2000 Reichsthaler beigebracht und daß sie alle Lebensbedürfnisse, die man ihnen verabreiche, bar bezahlen. Zur Bestreitung dieser Auslagen wurden wiederum Liebesgaben gesammelt. Appenzell a. R., das im Juni 1687 schon 996 Gulden 37 Schillinge und 4 Heller zu diesem Zwecke gesteuert, schickte im April 1688 wiederum 433 Gulden 2 Schillinge und 10 Heller als Ertrag einer Liebessteuer ein. Glarus, das im Juni 1687 die Summe von 1062 Gulden 20 Schillingen und 8 Hellern gesteuert, brachte im Mai 1688 ein neues Opfer von circa 1000 Gulden. In Zürich befanden sich am 15. Juni 1688 an Collectengeldern für die Waldenser 8000 Reichsthaler; eine gleiche Summe befand sich in Bern und in Basel befanden sich 4666 2/3 Reichsthaler. Bremen sandte wieder 1188 Gulden und 52 Kreuzer ein und eine in Holland für die Waldenser erhobene Liebessteuer betrug die Summe von 92.000 Gulden. Als Württemberg 1689 sich bewegen ließ, neue Flüchtlinge aufzunehmen, spendete Schaffhausen 2000 Reichsthaler zu ihrer Unterstützung.

Allein alle Liebe, welche die Waldenser von Seite ihrer Glaubensgenossen erfuhren, vermochte sie nicht ihre Heimath vergessen zu machen und ihre Sehnsucht nach den entrissenen Kindern zu stillen. Als ihnen durch geheime Verbindungen, die sie mit ihren Brüdern in der alten Heimath unterhielten, die Kunde zukam, daß die Nordgrenzen des Herzogthums Savoyen von Truppen entblößt seien, beschlossen sie wieder einen Versuch zur Rückkehr in ihre heimischen Thäler zu wagen. Ungefähr 1400-1500 versammelten sich unter Anführung des Predigers Arnaud am Genfer See, der unter Gebet sie des göttlichen Beistandes versicherte, weil ihr Vorhaben keinen anderen Zweck habe, als „die Ehre Gottes, die Befreiung ihrer Geistlichen und Kinder, die man widerrechtlich festhalte, und die Rückkehr in ihr Vaterland, um daselbst in Ruhe und Frieden Gott zu dienen“. Unter unsäglichen Gefahren und Mühsalen gelang es ihnen durch Heldenthaten, die den glänzendsten, welche die Geschichte aufbewahrt, an die Seite gestellt zu werden verdienen, ihre alte Heimath wieder zu erreichen. Da nun der Herzog von Savoyen sich mit dem Kaiser gegen Frankreich verband, gewährte er den Waldensern die alten Rechte und vollkommene Amnestie für das Vergangene. Alle Waldenser durften jetzt wieder im Lande der Väter sich sammeln. Die Eingekerkerten und die zur Galeere Verurtheilten wurden freigelassen und die Verbannten zur Rückkehr in die Heimath eingeladen. Auch die früher zum Uebertritte zur katholischen Kirche Verleiteten durften wieder frei ihren alten evangelischen Glauben bekennen. Der Prediger und Kriegsmann Arnaud verkündigte wie mit Posaunenschall: „Herbei, das Zion der Alpen wieder aufzubauen. Wahrlich, der Herr ist mit uns!“ Allein die Armen wären, von allen Dingen entblößt, in den verheerten Thälern dem Hungertode verfallen, wenn nicht ihre Glaubensbrüder ihnen wieder Hülfe gewährt hätten. Von Holland, England, aus Brandenburg und aus der evangelischen Schweiz flossen ihnen wieder reichliche Liebesgaben zu. So schien den vielgeprüften Waldensern wieder eine Zeit der Erquickung erblühen zu wollen, aber ihr Glück war leider von kurzer Dauer. Der Herzog schloß Frieden mit Ludwig XIV. und unter dem Einflusse dieses, den Evangelischen so feindlich gesinnten Monarchen, sowie der römischen Propaganda, entzog er wieder die den Waldensern eingeräumten Freiheiten und gab dadurch die Losung zu neuen Verfolgungen. Infolgedessen mußten, ehe das Jahr 1698 zu Ende ging, an 3000 Waldenser auswandern als „Opfer der Uebermacht und der Vorurtheile, um ihr Unglück, sowie, wenn nicht die Bosheit, wenigstens die böse Unwissenheit Derer, welche die Ursache desselben waren, fremden Augen preis zu geben.“ Auch der vielverdiente Arnaud mit noch sechs anderen Geistlichen befand sich unter den Auswanderern. Die Unglücklichen lenkten wieder ihre Schritte nach der Schweiz zu ihren evangelischen Glaubensbrüdern. Diese nahmen sie mit gewohnter Liebe auf und versahen sie mit Wohnungen, Nahrungsmitteln und Kleidern während des Winters 1698 auf 99, obgleich die Ernte des Sommers 1698 eine sehr unergiebige gewesen war und in der Schweiz selbst Noth herrschte. Im Frühling 1699 verwandten sich Abgeordnete der evangelischen Orte der Schweiz beim Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg um Aufnahme von Waldensern in seinem Lande. Allein, obgleich er selbst dazu sehr geneigt und besonders der Vetter des Herzogs, Prinz Friedrich August, den Waldensern sehr gütig war, wußten doch die lutherisch gesinnten Geistlichen die Gewährung des Gesuches einige Zeit zu verhindern. Doch gelang es endlich dem holländischen Gesandten Valkenier durch sein energisches Auftreten die Bedenklichkeiten zu heben, und so wurde die Aufnahme der Unglücklichen zugestanden, immerhin unter der Bedingung, daß sie von der Schweiz aus unterstützt würden und also dem Lande Württemberg nicht zur Last fielen. Die evangelischen Cantone der Schweiz gaben jedem Geistlichen 10 Thaler, jedem Erwachsenen 6 und jedem Kinde 5 Reichsthaler als Reisegeld. Ueberdies gaben sie noch 12.000 Gulden zur Begründung ihrer Colonien. Valkenier vertheilte noch 3000 Gulden unter sie, die ihm zu dem Zwecke aus Holland zugekommen waren. Dieser warme Freund der Waldenser hatte auch für Aufnahme von Abtheilungen derselben in Baden, Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und Hessen-Homburg mit günstigem Erfolge sich verwendet. Sämmtliche Waldenser-Gemeinden in Württemberg und in den deutschen Nachbarstaaten bildeten mit der französischen Colonie in Canstadt eine Synode. Längere Zeit wurden diese Gemeinden durch Geistliche aus ihrer alten Heimath versehen. So war Arnaud auch noch 12 Jahre lang Pfarrer der zwei Gemeinden Dürrmenz und Schoenberg, sowie Moderator sämmtlicher Colonien. Er starb nach einer segensreichen Wirksamkeit den 8. Sept. 1721 als ein achtzigjähriger Greis. Sieben Geistliche dieser Waldenser Gemeinden mit ihren Schullehrern wurden von England und vier von Holland besoldet; die Uebrigen wurden von dem Landesherrn und von den Colonien unterhalten.

Der Herzog von Savoyen bereute nun bald, daß er sich durch seine ungerechten Maßnahmen seiner treuen Unterthanen beraubt habe, namentlich als er sich in einen Krieg gegen Frankreich 1703 verwickelte. Unter Zusicherung von Glaubens- und Gewissensfreiheit - „daß Jeder den Bewegungen seines Gewissens folgen könne“ berief er sie wieder in ihre alte Heimath zurück. Allein bald hatten Diejenigen, welche diesem Rufe folgten, Ursache, diesen Schritt zu bereuen, indem nach dem Frieden von Utrecht 1713 die Verfolgungen gegen sie mit neuer Wuth losbrachen. Zwar legten die protestantischen Mächte kräftige Fürsprachen für die Unglücklichen beim Herzog von Savoyen ein; allein der Erfolg solcher Verwendungen war gewöhnlich nur ein vorübergehender. So wurden sie bei Strafe von 10 Thalern angehalten, alle Feiertage der Katholiken mitzufeiern und mit vielerlei Quälereien geplagt, um ihren Uebertritt zur katholischen Kirche zu erzielen. - In ihrer Bedrängniß wandten sich die schwer Heimgesuchten an ihre Glaubensgenossen in der Schweiz und baten sie um Verwendung zu ihren Gunsten, „da ihre Kirche und der kleine Rest ihres Volkes ohne Hülfe untergehen müsse.“ Sofort, den 24. April 1724 setzten die Schweizer den König von Preußen von der Sachlage in Kenntniß und unterstützten nachdrücklich das Schreiben der Waldenser Geistlichen, in dem diese also sich äußern: „Wenn die Kirchen der piemontesischen Thäler, dieser kleine Ueberrest der alten Waldenser, durch eine Erfahrung verschiedener Jahrhunderte wissen, was es heißt, für den Namen Jesu Christi leiden, so haben sie auch den Trost gehabt, zu sehen, daß Fürsten desselben Glaubens die Güte gehabt haben, Antheil an ihren Interessen zu nehmen; ja, einige dem letzten und traurigen Schiffbruche entronnene Trümmer haben in den Staaten Ew. Majestät eine sichere Zuflucht gefunden, wo sie mit Wohlthaten überhäuft worden sind.“ Hierauf erzählen sie ihre letzten Erlebnisse, und schildern die Gefahr, welche für sie in Folge obiger Bestimmung erwachsen. „Das alles“, fahren sie fort, „zielt deutlich, wenn auch ganz in der Stille, auf den Untergang dieser Kirchen, welcher ohne Beistand unvermeidlich ist. Darum nehmen wir uns die Freiheit, uns in tiefster Demuth vor dem Throne Ew. Königl. Majestät niederzuwerfen, Sie bittend, wie wir denn Sie bitten bei den Leiden unseres Heilandes und Erlösers, der alles auf seine Rechnung nimmt, was man seinen Gliedern erweist, die er erkauft, und in deren Person er gewisser Maßen selbst leidet, uns diese Gnade zu bezeigen, uns in unsern gegenwärtigen Verhältnissen mit einem königlichen und wirksamen Andenken zu begünstigen, wie das so christliche Erbarmen, der so glühende Eifer, das so exemplarische Mitleid, die vollkommene Klugheit Ew. Königl. Hoheit es an die Hand geben werden“. Der König vereinigte sich mit England und Holland zu einer nachdrücklichen Verwendung für die schwer Bedrängten, die wenigstens vorübergehend mit einem günstigen Erfolge bekrönt ward. Die öffentlichen Verfolgungen hörten für einige Zeit auf. Ein Zeitgenosse, Keysler, schildert ihre Lage mit folgenden Worten: „An äußerlicher Uebung ihrer Religion hindert sie Niemand, nur ist in jedem Kirchspiele auch eine katholische Kirche angelegt. In Turin werden die Waldenser und absonderlich die Kinder, so sich freiwillig angeben, um zum römischen Glauben überzutreten, in einem besonderen Hause unterhalten und unterrichtet.“

Trüber wurde ihre Lage mit dem Jahre 1730, indem Victor Amadeus II. kurz vor seinem Rücktritte von der Regierung eine heftige Verfolgung gegen sie verhängte. Unter dem 7. April meldeten die evangelischen Eidgenossen dem preußischen Monarchen, daß die Bewohner des Thales Prazelas den Befehl erhalten haben, „innert kurz angesetzter Frist entweder die katholische Religion anzunehmen oder das Land mit Hinterlassung des Ihrigen zu räumen, und daß bereits eine große Anzahl dieser Flüchtlinge in Genf angelangt sei“. Friedrich Wilhelm I. legte nun auf Ersuchen der Schweizer ein kräftiges Fürwort für die bedrängten Glaubensgenossen beim Herzog von Savoyen ein, der seine Maßnahmen mit geheimen Bestimmungen des Utrechter Friedens zu entschuldigen suchte, die ihm Frankreich gegenüber dazu verpflichteten. Zwar trat Victor Amadeus II. im September 1730 von der Regierung zurück und sein Sohn Carl Emanuel III. folgte ihm darin, aber die Lage der Waldenser wurde dadurch nicht besser, wenn schon die evangelischen Stände auch bei ihm gleich beim Antritte seiner Regierung sich für sie verwendeten. Durch die Verfolgungen, welche von 1730 auf 1731 über sie ergingen, wurden wiederum 840 Waldenser genöthigt, ihre alte Heimath zu verlassen. Zunächst wandten sich dieselben nach der Schweiz, wo sie von ihren Glaubensgenossen auf's liebreichste aufgenommen und verpflegt wurden. Hierauf gingen einige von ihnen nach Preußen, andere nach Hessen-Darmstadt und an 400 von ihnen nach Holland. Diese wurden Alle durch die Schweizer, die sich für ihre Aufnahme in den genannten Staaten verwendet hatten, anständig mit Reisegeld versehen. In Holland ward in 370 Städten eine Collecte für die Waldenser veranstaltet, welche die bedeutende Summe von 308.199 holländische Gulden betrug, Amsterdam allein steuerte 132.695 Gulden.11) Einen Theil dieser Gelder ward nach Genf zur Unterstützung der Waldenser in der alten Heimath übersandt und der Rest wurde zu einem Fonds angelegt, dessen Verwaltung die Synode zu Deventer 1734 den Kirchen zu Amsterdam, Haag, Rotterdam und Delft übertrug.

Die Lage der Waldenser in ihrer alten Heimath war fortwährend eine traurige, obgleich sie gegen ihren Landesherrn die größte Treue bewiesen. Auch beim Anbruche der französischen Revolution ließen sie sich durch keine Versuchungen zum Aufstande gegen ihren rechtmäßigen Herrn verleiten; im Gegentheile kämpften sie tapfer zur Vertheidigung Savoyens gegen das eindringende französische Heer der Republik. Aber während ihre mehrbare Mannschaft zur Vertheidigung des Vaterlandes unter den Waffen stand, zettelten die katholischen Geistlichen einen Plan zum Untergange der Ihrigen zu Hause. In der Nacht vom 14. auf 15. Mai 1794 sollten alle wehrlosen Waldenser in ihren Wohnungen ermordet werden. Der Plan ward aber vor seiner Ausführung verrathen und durch die zurückkehrende wehrbare Mannschaft vereitelt.

Unter der Herrschaft Napoleons I. ging ihnen dann eine bessere Zeit auf, indem derselbe ihre Tüchtigkeit und Treue achtete und ihre Religion und Gewissensfreiheit beschützte.

Als aber 1814 der König Victor Emanuel I. nach einem sechszehnjährigen Exile vom sardinischen Throne Besitz nahm, fingen die alten Quälereien und Intriguen wieder an, sich gegen die armen Waldenser geltend zu machen. Aber die protestantischen Mächte traten auch mit Erfolg als Beschützer derselben auf. Namentlich erwarb sich der preußische Gesandte Graf Waldburg-Truchseß große Verdienste um die Waldenser. Durch seine und des englischen Gesandten Vermittlung ward ihnen die Wiederbenutzung der Kirche St. Jean bewilligt und den waldensischen Geistlichen eine Staatsbesoldung von 500 Fr. zugesichert, wozu noch 400 Fr. aus England kamen und 4000 Fr. jährlich aus Holland zur Unterhaltung der Schulen. Höchst beachtenswerth ist auch die unterm 30. April 1816 ertheilte Bewilligung zur Bildung einer Bibelgesellschaft, die sogleich vielfache Unterstützung von mehreren Schwestergesellschaften empfing. Indessen drückte doch die Waldenser in Folge der Kriegsjahre noch bittere Armuth, daher bewilligte der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen auf Bericht seiner Gesandten zur Abwehr der dringenden Noth ein Geschenk von 2000 Thlrn.

Ein dringendes Bedürfniß für die Waldenser war die Errichtung eines eigenen Hospitals für ihre Kranken, da dieselben gewöhnlich nur unter der Bedingung der Abschwörung ihres Glaubens in die königlichen Hospitäler Aufnahme fanden. Den vereinigten Bemühungen des englischen Ministers Canning und des Grafen Waldburg-Truchseß gelang es, unterm 10. Januar 1824 von Carl Felix die Erlaubniß zur Erbauung eines eigenen Spitals für die Waldenser auszuwirken.

Zur Erbauung und Einrichtung dieses Hospitals bethätigte sich wieder die christliche Bruderliebe auf die schönste Weise. Die evangelischen Eidgenossen steuerten 84.000 Franken, der russische Kaiser Alexander I. übersandte ein reiches Geschenk; Preußen hatte eine Collecte von 21.915 Thaler dazu veranstaltet; in Bremen, Darmstadt, Stuttgart wurden Liebessteuern gesammelt und Frankreich, Holland, England, Schweden, Dänemark unterstützten das Unternehmen durch großmüthige Gaben. So kam es, daß, obgleich zur ersten Einrichtung des Spitals zu la Tour 105.000 Frs. in die Thäler gesandt wurden, noch Capitalien unter besonderer Verwaltung in Holland, England und Preußen zurückgelegt werden konnten, und bald nachher die Gründung einer Filialanstalt zu Pomaret möglich ward.

Im Jahre 1827 wurde von England nach einer zwanzigjährigen Unterbrechung den Waldensern das zur Verbesserung der Pfarrbesoldungen bestimmte, von der Königin Maria von England, Gemahlin Wilhelm's III. gestiftete Stipendium von 8600 Franken wieder ausbezahlt, und um die gleiche Zeit daselbst ein Fonds von 15.000-16.000 Franken für Heranbildung junger Geistlichen zusammengelegt. Darauf beschloß die Synode, daß jeder im Dienste stehende Pfarrer statt 523 nur 300 Franken Gehaltzulage erhalten solle. Die übrigen 2900 Franken sollen zu Pensionen für dienstunfähige Pfarrer und Pfarrwitwen und zur Errichtung zweier neuen Pfarreien an den abgelegenen Orten Roderet und Masel verwendet werden. hält nun jeder Pfarrer eine Besoldung von 400 bis 600 Gulden und jede Pfarrwitwe eine Pension von 300 bis 400 Franken. Alte und kränkliche Pfarrer werden ebenfalls pensioniert.

Auch zur Hebung des Schulwesens der Waldenser wurden in diesem Jahrhunderte große Opfer gebracht. Aus den Zinsen einer holländischen Stiftung, die jährlich 916 Franken betragen, wurde in La Tour zunächst eine Lateinschule gegründet, die später zu einem Gymnasium und zu einer Bildungsanstalt für Theologie Studierende erweitert wurde. Der edle Engländer W. St. Gilly, Kanonicus zu Durhaus hat zu Gunsten eines dort zu errichtenden theologischen Seminars auf die gesammten Einkünfte seiner bedeutenden Gründe verzichtet. Ein anderer Engländer Oberst Beckwith, der in der Schlacht von Waterloo ein Bein verloren, hat den größten Theil seines bedeutenden Vermögens zur Förderung und Hebung des Schulwesens unter den Waldensern geopfert. Die meisten der 70-80 Schulen sind durch ihn ins Leben gerufen oder wenigstens dotiert worden. Daher steht an dem von ihm gegründeten Schulhause von St. Jean die Inschrift: „Wer immer diesen Weg geht, segne den Namen des Obersten Beckwith“! Die wallonischen Kirchen in den Niederlanden haben in dem Jahre 1842 die Summe von 12.967 und im Jahre 1846 diejenige von 13.082 Franken den Waldensern zur Verbesserung der Pfarrer- und Schullehrerbesoldungen zukommen lassen. Zum gleichen Zwecke haben auch der Gustav Adolf-Verein und der protestantisch-kirchliche Hülfsverein ihnen schon schöne Gaben zugewendet.

Während die Waldenser mit den Gaben der christlichen Bruderliebe durch die Stürme der Zeiten bis auf unsere Tage erquickt wurden, ist ihnen nun in ihrer äußern Stellung ein freudigeres Los zu Theil geworden. Den 17. Februar 1848 ward durch den verstorbenen König Carl Albert ihr Freibrief veröffentlicht: „Die Waldenser sind befugt, alle bürgerlichen und politischen Rechte unserer Unterthanen zu genießen, die Schulen innerhalb und außerhalb der Universitäten zu besuchen und academische Würden zu erlangen. In Bezug auf die Ausübung ihres Gottesdienstes und die von ihnen geleiteten Schulen tritt keine Veränderung ein. Wir entkräften jedes Gesetz, welches gegenwärtiger Urkunde zuwiderlaufen würde“.12)

Unter dem Schutze der Glaubens- und der Gewissensfreiheit ziehen ihre Prediger schon durch Italien, das Evangelium als das Heil des einzelnen Menschen, wie aller Völker, verkündigend. Wir gedenken, daß der Herr sein Wort auch an ihnen wahr werden läßt: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist euers Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben!“ Luc. 12,32.

Der Leiden, welche ihre Väter erduldet, gedenken sie jährlich durch Gedächtnißfeier, welche sie abwechselnd je an einer Stätte begehen, an welcher dieselben gekämpft und gelitten. Wir geben hier noch zum Schlusse eine kurze Schilderung der Feier, welche sie am 18. August 1859 begingen: „Für dieses Jahr war die Ciompet Matte zum Festorte bezeichnet. Hier, wo sich die nicht am wenigsten blutige Seite der Waldenser-Geschichte abspielte, wollten die Nachkommen der Glaubenshelden, die da geblutet, sich versammeln. Tausende waren gekommen und doch glaubte man auf der Wiese nur eine einzige Familie versammelt, so brüderlich herzlich war das Zusammenleben, so treu und warmgefühlt der Händedruck. Es wurde, doch ohne ein Wort der Intoleranz zu verlieren, jener blutigen Zeiten gedacht, wo ihre Nachbarn ringsum gegen das Häuflein Urchristen auszogen, um dasselbe zu vernichten, und doch unverrichteter Dinge wieder umkehren mußten. Es wurde auch der Jetztzeit gedacht, die es so weit gebracht, daß in diesem Lande jeder seinen Gott offen nach seiner Weise und seiner Herzensmeinung verehren darf. Und als die Männer ihre Hüte abnahmen und die Frauen ihre Hände falteten, und sie insgesamt einen Dankchoral anstimmten, der von den Alpenwänden zehnfach wiedertönte, so war es eine unvergleichliche Scene, in welche im Hintergrunde der vom Alpenglühn rothstrahlende einsame Bergriese Mont Viso gar wunderbar hereinleuchtete. Einstmals hatte der Alte auch geglüht, aber es war vom Widerschein der um ihn herum brennenden Waldenser-Dörfer; heute antworteten seine Schluchten mit einem Donner für die Glaubensfreiheit.“

1)
„Sowie alles Unkraut die Lilie des Thales bis jetzt nicht hat ersticken können, so werden alle Verfolgungen des Bösen diese Lilie nicht vernichten“. Leger.
2)
Pensionärs wurden in der Schweiz die durch Jahrgelder zur Förderung der Interessen der benachbarten Fürsten und namentlich auch zur Lieferung von Söldlingen erkauften einflußreichen Männer genannt. Weil die Reformatoren, namentlich Zwingli, gegen diese Landesverderber ankämpften, so waren auch die Pensionärs die hartnäckigsten und gefährlichsten Feinde der Reformation in der Schweiz.
3)
Nach der Darstellung im Palmbaum.
4)
Palmbaum, christliche Wahrheit Seite 488.
5)
„Welche man sonder Zweifel zu dieser Expedition darum als die bequemsten erwählet, weilen sie dergleichen Blutbad an den Engländern schon früher geübt hatten.“ Palmbaum S. 488.
6)
Man vergleiche Palmbaum S. 489 sowie: Der Protektor Cromwell von Merle d'Aubigné, übersetzt von Papst, S. 270.
7)
Histoire des Vendois, par Léger (témoin oculoire
8)
Nach der Uebersetzung Papst's in Merle d'Aubigné's Protektor Cromwell.
9)
Vuilliemin's Geschichte der Eidgenossenschaft, III. Band, Seite 100
10)
Nach Merle d'Aubigné in seiner Biographie Cromwell's hat England allein über eine halbe Million Franken gesteuert, nämlich Cromwell für sich 2000 Pfd. Sterling. Die Schweizer steuerten 18,000 Gulden.
11)
Wie großartig die Unterstützungen waren, die den Waldensern gewährt wurden, ergibt sich auch daraus, daß Zürich nur aus den öffentlichen Kassen ohne die Privatsteuern von 1683-1710 die Summe von 125.545 Gulden ihnen spendete.
12)
Siehe „Neujahrsblätter von der Hülfsgesellschaft in Zürich“, Jahrgänge 1848-52, verfaßt von Diacon Felix von Orelli
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