Christoffel, Raget - Die Befreiung der glaubensfesten ungarischen Prediger und Lehrer von den neapolitanischen Galeeren durch ihre reformirten Glaubensbrüder. Im Jahre 1667.

Christoffel, Raget - Die Befreiung der glaubensfesten ungarischen Prediger und Lehrer von den neapolitanischen Galeeren durch ihre reformirten Glaubensbrüder. Im Jahre 1667.

Kaiser Leopold I. hatte die Ungarn durch gewaltsame, ihre nationalen Grundrechte gefährdende Maßregeln tief verletzt, so daß einige katholische Magnaten, wie der Palatin Vesselenni Peter und Niclas Zriny, Franz Nasdady u. A. auf einem Convente zu Neusohl eine Verschwörung wider ihren kaiserlichen Landesherrn anzettelten. Ihr Vorhaben ward jedoch noch vor der Ausführung entdeckt und vereitelt, indem die Häupter der Verschwörung mit ihrem Leben für dieselbe büßen mußten. Allein die Jesuiten, die selbst unter der Decke das Unternehmen mit angesponnen hatten, leiteten die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Protestanten hin, und diese wurden nun als Urheber der Verschwörung verfolgt. Zunächst wurden die protestantischen Geistlichen und Lehrer von der Verfolgung getroffen, indem ihre Bedränger wähnten, daß, wenn die Hirten geschlagen seien, ihre Herden sich von selbst zerstreuen oder in die Hürde der päpstlichen Kirche mit hinein leiten lassen würden. Nachdem der Titularbischof von Großwardein und Propst von Zips den Evangelischen mehrere Kirchen hatte wegnehmen lassen und in einem besonderen Buche dargethan, daß weder Lutheraner noch Calvinisten in Ungarn geduldet werden dürfen, wurde der größte Theil der protestantischen Lehrer und Geistlichen 1673 durch ein erzbischöfliches Gericht zu Preßburg in die Verbannung geschickt. Vor allen wurden die Begabtesten und die Muthigsten unter ihnen von diesem Lose getroffen. Im gleichen Jahre erging eine andere Vorladung an die Prediger und Schullehrer durch den Graner Erzbischof Georg Szelepeseyi. An dreihundert erschienen, an welchen nun alle Mittel der Gewalt versucht wurden, um sie zum Geständniß zu bringen, daß sie Empörer seien und das Reich verwirren. Wollten sie der Strafe für diese ihnen zur Last gelegten Verbrechen entgehen, so blieb ihnen nur die Wahl, entweder ihren evangelischen Glauben, den sie bisher verkündiget, zu verleugnen, oder ihrem Amte zu entsagen und in die Verbannung zu gehen. Einige erlagen der allzugroßen Versuchung und traten zur katholischen Kirche über, viele wählten die Verbannung; die standhaften Bekenner aber, deren Zahl auch nicht klein war, wurden zum Feuertode verurtheilt, dann aber zu lebenslänglicher Gefangenschaft begnadigt. „Da wurde der Stecken des Treibers bei der auferlegten Frohnarbeit, die Peitsche des Henkers zum beliebten Bekehrungsmittel, und wo alle diese Mittel nicht fruchteten, blieb die Galeere die letzte Station, auf die man die Unglücklichen verwies, wenn nicht der Tod schon früher ihrem Elende ein Ende machte“.1) Nachdem diese standhaften Dulder für die evangelische Wahrheit alle Qualen2), die ihre grausamen Peiniger erdenken konnten, in den verschiedenen Festungsgefängnissen ihres Vaterlandes erlitten hatten, wurden sie um fünfzig Thaler per Kopf als Sclaven nach Neapel auf die spanischen Galeeren verkauft. So wurden sechsunddreißig aus der Festung Leopoldstadt und zwanzig aus einer anderen Stadt, und einige noch aus anderen Festungen herausgeführt und unter dem Namen türkischer Sclaven mit schweren Fesseln belastet, auf Umwegen theils zu Wagen, theils zu Fuß über Berg und Thal fortgeschleppt unter einer Bewachung von achthundert Mann. Das Blut, das aus ihren wunden Füßen rann, bezeichnete ihre Spuren auf den Straßen. Zu Nacht sperrte man sie wie Herden Schafe in Ställen zusammen. Nicht alle vermochten die Mühsalen dieser Reise bis zum traurigen Ziele derselben zu ertragen. Zwei durch Gelehrsamkeit und Verdienste ausgezeichnete Greise erlagen den großen Leiden und Beschwerden, indem der eine auf einem Wagen sein Leben aushauchte, der andere aber, nachdem ihn zwei Genossen seines Elendes ein Stück Weges weit getragen hatten, todt auf dem Wege hinstürzte. Beide ließ man unbegraben liegen. In Triest wurden dreißig dieser glaubensfesten Edlen, nachdem man sie noch vergeblich durch Drohung und Versprechungen zur Verleugnung ihres evangelischen Glauben zu bewegen versucht hatte, ihres Haares und Bartschmuckes, der Zierde des Ungarn, beraubt, am Kopfe gebrandmarkt und so in das Sclavenregister eingetragen und dann an die Räderbänke der Galeeren je zwei und zwei zusammen gefesselt. Das Gleiche geschah mit den Anderen zu Neapel. Hier sollten diese standhaften evangelischen Dulder nach dem Willen ihrer Feinde für die Glaubenstreue bis zu ihrem Tode büßen. Allein anders hatte Gott mit ihnen beschlossen, der das Seufzen der Gebundenen höret und die Gefangenen erlöst.

Damals lebte in Neapel ein reformirter Kaufmann, Wels mit Namen, dem das Elend und die Leiden seiner Glaubensgenossen tief zu Herzen gingen. Von Mitleiden für dieselben ergriffen, beschloß er, alle Kräfte, die ihm zu Gebote standen, zu ihrer Befreiung in Bewegung zu setzen. Er schilderte zu dem Ende mit glühenden Zügen das traurige Los und die Leiden dieser edlen Märtyrer für ihre evangelische Ueberzeugung und rührte mit seinen Klagen seine vielen Bekannten in der Nähe und in der Ferne, in Venedig, in der Schweiz und in Deutschland, indem er sie um Hülfe zur Befreiung dieser Opfer des Glaubenshasses anflehte. Mit ihm verband sich zu diesem edlen Zwecke sein Freund Zaffi, ein venetianischer Arzt, der insbesondere über sich nahm, die Zürcher und durch dieselben die übrigen reformirten Schweizer zur Hülfeleistung für die unglücklichen Glaubensbrüder aus Ungarn zu bewegen. Die Bemühung dieser Edlen ward auch mit dem schönsten Erfolge bekrönt, denn damals wurden die Herzen der Glieder unserer nach Gottes Wort reformirten Kirche vor allem durch Bruderliebe und Mitleiden gegen ihre so vielfach verfolgten Glaubensbrüder bewegt. Die reformirte Schweiz steuerte nicht allein fünfzehntausend Gulden zum Loskaufe dieser Unglücklichen, sondern Zürich verwandte sich auch bei dem sich dort aufhaltenden holländischen Gesandten, daß er die zur See damals so mächtigen Generalstaaten zum Mitwirken bei der Befreiung dieser ungarischen Märtyrer bewege. Auch hier fand der Hülferuf williges Gehör; denn das traurige Los dieser Edlen, sowie das Schicksal ihrer verwaisten Gemeinden und ihrer der Väter und Versorger beraubten Familien ging ihren Glaubensgenossen in ganz Europa tief zu Herzen. So wurden durch Holland sowohl mit dem Könige von Ungarn als mit dem spanischen Oberherrn von Neapel Unterhandlungen zum Loskaufe dieser Unglücklichen angeknüpft. Als diese Verhandlungen sich in die Länge zu ziehen drohten, ließ Holland seinen heldenmüthigen Admiral de Ruyter mit einer Kriegsflotte vor Neapel hinfahren, wodurch die Unterhandlungen schnell zum erwünschten Ziele gefördert wurden. Die Befreiten lenkten nun zunächst ihre Schritte nach Zürich, woher sie in ihren Trübsalen nicht allein leibliche Erquickung und Hülfe empfangen, sondern auch viele geistige Stärkung und Ermunterung in Trostschreiben, welche die dortigen Geistlichen ihnen zusandten.

Den 29. Mai 1676 langten hier noch fünfundzwanzig dieser Märtyrer an, denn die Uebrigen waren theils auf den Galeeren theils auf der Reise eben gestorben. Mitleid und Neugier, Bewunderung und Freude setzten ganz Zürich in Bewegung beim Erscheinen dieser standhaften Dulder, unter welchen mancher durch Gelehrsamkeit und Verdienste ausgezeichnete Mann sich befand. Jeder wollte die seltenen Männer sehen, von deren Leiden und unbesiegtem Glaubensmuthe er so viel gehört, deren unerschütterliche Standhaftigkeit über Schmerz und Schande so herrlich gesiegt hatte. Mit bewundernder Theilnahme betrachtete man die Brandmale an ihren mißhandelten Körpern, als Denkmale ihrer Leiden für die evangelische Wahrheit. Man beeilte sich, sie zu speisen und neu zu bekleiden und durch vielfältige Erweisungen christlicher Theilnahme und Bruderliebe sie ihre überstandenen Leiden vergessen zu machen. Gerührt durch diese Güte, die ihnen nach der Wohlthat der Befreiung noch erwiesen wurde, statteten sie ihren innigsten Dank, namentlich dem Professor Heidegger ab, denn dieser war es vorzüglich gewesen, der die Zürcherische Obrigkeit, den holländischen Gesandten und die Geistlichkeit in allen reformirten Ständen zur Auswirkung ihrer Befreiung in Bewegung gelegt hatte. Die lateinische Antwort Heidegger's auf ihre Danksagung ist uns noch aufbewahrt geblieben und wir erlauben uns, sie hier beizusetzen3): „Kaum kann ich glauben, daß Ihr es seid, daß ihr noch lebet, ach Ihr, mit welchem Namen will ich Euch begrüßen, der Eurer Frömmigkeit würdig wäre! - Knechte, Kämpfer, Bekenner Jesu Christi, Väter, Brüder! - Freude und Beklemmung erfüllen abwechslungsweise unsere Herzen, wenn wir Euch ansehen, die Ihr vor uns stehet wie Auferstandene aus dem Grabe, oder wie Engel vom Himmel gesandt! Lange schon hat die Kunde von der Verfolgung unserer Glaubensbrüder in Ungarn unsere Ohren und Herzen durchbohrt, wir hörten mit inniger Betrübniß, wie Eure Gemeinden zerstreut wurden, und wie Ihr, Vielgeprüfte, dafür büßen mußtet, daß Ihr Eure Kirchen nicht verrathen wolltet, weil ihr nicht Herrn, sondern Diener derselben waret. Schauer ergreift uns, wenn wir daran denken, und unsere Nachkommen werden die Wahrheit der Geschichte von der Größe der Unmenschlichkeit nicht glauben wollen. Als Ihr hoffnungslos im tiefsten Sammer schmachtetet, da riß Euch Gott aus der Tiefe des Meeres und die rasselnden Ketten fielen von Euren Gliedern. Dank sei dem Retter vom Tode, der Eure Leiden endigte und die Thränen, welche die Rechtschaffenen für Euch vergossen, trocknete. Wohl uns, daß wir Euch sehen und Euch kennen, Ihr Sieger über Trübsal und Tod! Wohl uns, daß wir Euch brüderlich umarmen können! Eurer Standhaftigkeit und Eurer wundervollen Errettung freuen sich die Väter unseres Landes und die ganze Bürgerschaft mit uns. Unsere seligen Väter haben stets gerne Verfolgte aufgenommen; kommt auch Ihr zu uns und seid unsere theuren Gäste und Freunde! Unsere Gebete sollen nie ohne den heißen Wunsch gen Himmel steigen, daß Gott Eurer verwaisten Gemeinden sich erbarme und das Feuer der Verfolgung lösche“!

Der Rath von Zürich wußte ebenfalls seine diesen christlichen Duldern erwiesenen Wohlthaten durch eine ehrenvolle Auszeichnung derselben zu erhöhen. Man führte sie aufs Rathhaus, wo Sedelmeister Escher an der Spitze eines Ehrenausschusses mit herzlichen Worten das Mitleiden mit ihren Schicksalen und die Freude über ihre Errettung ausdrückte. - Ihr Elend habe sie inniglich betrübt, und daher haben sie mit Freuden das Ihrige zu ihrer Errettung beigetragen. „Unser gnädiger Herr Bürgermeister“, schloß er, „und ein wohlweiser Rath versichern Euch, daß sie ferner Lieb und leid mit Euch und Euren Gemeinden gemein haben wollen und mit aufrichtigem Eifer, was zur Wiederherstellung und Erbauung derselben dienen möchte, als getreue Religionsgenossen und Glaubensbrüder beitragen“! Hierauf wurde den werthen Gästen im Wirthshause zur Schnecke auf Kosten der Stadt ein Mahl bereitet, an welchem auch die Glieder des Rathes und Gelehrten von Zürich Theil nahmen. Die Geistlichen nahmen die befreiten Märtyrer gastfreundlich in ihre Häuser und an ihren Tisch. Von Seite des Rathes und der Bürgerschaft wurden ihnen überdies noch sehr ansehnliche Geschenke an Kleidern, Geld und anderen Dingen, deren sie bedürftig waren, verabreicht. Noch blieb indessen den Vielgeprüften die Rückkehr in ihr Vaterland und zu ihren Gemeinden und Familien versagt, und erst ihre Nachkommen durften sich dieser Gunst erfreuen, als es Gott gefiel, durch den hochherzigen Raiser Joseph II. den österreichischen Landen, die unter dem Gewissenszwange und Geistesdruck so viel gelitten, Glaubensfreiheit zu Theil werden zu lassen. - Die vielgeprüften ungarischen Geistlichen fürchteten sich jedoch, auf die Länge ihren edelmüthigen Wohlthätern in Zürich lästig zu werden, und so zog ein Theil von ihnen zu anderen Glaubensbrüdern, die sie eben so freundlich und gerne aufnahmen, wie die Zürcher; vierzehn von ihnen hingegen blieben in Zürich. - So handelten unsere glaubensvollen Vorfahren aus Bruderliebe gegen ihre um des gemeinsamen Glaubens willen verfolgten Brüder! Wir aber wollen beten, daß der Herr nach seiner Gnade sich der Heimath dieser Märtyrer, sowie der Stätte ihrer Leiden erbarmen und den nach Freiheit ringenden Ungarn und Italiänern in der Erkenntniß der evangelischen Wahrheit und im Glauben an Christum das wahre Heil und die rechte Freiheit erblühen lassen wolle; denn nur wen der Sohn frei macht, der ist wahrhaft frei.

Nachtrag: 1708 den 13. Mai steuerte Zürich der reformirten Gemeinde Puchow in Oberungarn 100 Louisd'or.

1)
So Hagenbach in seiner geschichtlichen Entwickelung des evangelischen Protestantismus. Zweiter Theil, S. 122.
2)
Die Gefangenen mußten „die heimlichen Gemächer und andere unreine Oerter ausräumen, wozu ihnen nicht einmal Schaufeln zugelassen wurden, als an deren Statt sie sich der bloßen Hände bedienen und den Unflat anfassen mußten“. Ihr Hunger und Durst war oft so unerträglich, daß sie zur Stillung desselben zu den ekelhaftesten und unnatürlichsten Dingen griffen. Man strafte jeden gutherzigen Menschen, der aus Mitleid ihnen ein Stück Brod zuwarf oder einen Trunk Wasser reichte. Palmbaum.
3)
Nach dem Zürcherischen Neujahrsblatt der Gesellschaft der Herren Gelehrten auch der Chorherren 1785. Diesem Blatte ist auch sonst mancher Zug zu obiger Darstellung entnommen.
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