Chemnitz, Martin - Perikope für den zweiten Sonntag nach Ostern, oder Misericordias Domini.

Chemnitz, Martin - Perikope für den zweiten Sonntag nach Ostern, oder Misericordias Domini.

Joh. 10, 12-16.

Wenn Christus sich hier den guten Hirten nennt, so thut Er das mit Recht, denn Er ist der Erzhirte unsrer Seelen, 1. Petri 2,25., und jener große Hirte der Schafe, Ebr. 13,20., der von Anfang und von Ewigkeit war und welchen Gott ausgeführt hat von den Todten durch das Blut des ewigen Testaments. Denn wie wir durch die Kraft Seines Wortes erschaffen sind, so sind wir auch in Ihm erwählt, berufen und innerhalb der Schafhürde der Kirche versammelt. Daher singt denn auch David Ps. 100,3.: „Erkennet, daß der HErr Gott ist; Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst, zu Seinem Volk und zu Schafen Seiner Weide.“ Und weil Er der wahre Hirte ist, so wollte Er auch von solchen Vorvätern, die Hirten waren, abstammen; denn unter den Stammvätern Christi werden Matth. 1,20. Abraham, Isaak und Jakob genannt, dessen Söhne 1 Mos. 47, 3. dem Pharao sagen: „Deine Knechte sind Viehhirten, wir und unsre Väter.“ Auch David, der König, war ein Hirte und „Gott nahm ihn von den Schafställen und holte ihn von den säugenden Schafen, daß er Sein Volk Jakob weiden sollte und Sein Erbe Israel“, Ps. 78,70.71., also daß wir in der That von Christo aussagen können, Er sei ein Hirte von Geburt, von vier Vorvätern abgestammt, die gleichfalls Hirten waren.

Wenn Er aber hier mit sonderlichem Nachdruck von sich sagt: „Ich bin der gute Hirte“, so weiset Er vornehmlich gleichsam mit ausgestrecktem Finger auf Cap. 34. des Propheten Hesekiel hin und will sagen: Ihr Hohenpriester, Priester, Pharisäer und Schriftgelehrten prahlet zwar daher, daß ihr die Hirten des Volkes Gottes seid und allein das Recht habet, sowohl zur Gemeinschaft der Synagoge zuzulassen, als von ihr auszuschließen, welche ihr wollet; aber der Prophet Hesekiel hat auch schon vor Alters beschrieben, V. 2-4., was für Hirten ihr sein würdet, nämlich solche, die sich selbst weiden, das Fett fressen, mit der Wolle sich kleiden und das Gemästete schlachten, aber die Schafe selber nicht weiden, der Schwachen nicht warten, die Kranken nicht heilen, das Verwundete nicht verbinden, das Verlorene nicht suchen, das Verirrte nicht holen, sondern streng und hart über sie herrschen. Da verheißt nun Gott, V. 22.23., an eurer Statt einen andern Hirten, indem Er spricht: „Und ich will meiner Herde helfen, daß sie nicht mehr sollen zum Raube werden, und will richten zwischen Schaf und Schaf; und ich will ihnen einen einigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David; der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein.“ Dieser von Gott verheißene Hirte nun bin ich, ähnlich wie Jes. 40,11. dasselbe verheißen war.

Weil es aber nicht genügt, zu behaupten und sich des zu rühmen, daß Er der gute Hirte sei, sondern Noth ist, dasselbe auch zu beweisen, so führt Christus diesen Beweis aus drei Gründen. Der erste ist genommen von der Treue. Es ist nämlich die Pflicht des guten Hirten, seine Schafe zu beschützen und zu weiden. Beides leistet der HErr JEsus Seinen Schafen. Erstens schützt Er sie, weil der gute Hirte Sein Leben läßt für die Schafe, was ja bei uns Christen keines Beweises bedarf; denn aus der Leidensgeschichte erhellt überflüssig, wie Christus Sein Leben für uns gelassen habe. Da nämlich der höllische Wolf, der Teufel, unsern Seelen und Leibern nachstellte, ja uns bereits ganz von Gott abgerissen hatte, also daß nicht nur Alle wie Schafe in der Irre gingen, Jes. 53,6., sondern bereits in seinem höllischen Rachen steckten, sie zum ewigen Verderben zu verschlingen, so kam Christus, der Heiland, stellte sich diesem Wolfe entgegen und gab sich in den Tod, ja senkte sich bis zur Hölle hinab; und gleichwie ein Hirt aus dem Rachen des Löwen zwei Schenkel oder ein Ohrläpplein herausreißet, Amos 3,12., also riß uns Christus aus dem Verderben; und wie David von sich bezeugt, daß, während er die Herde seines Vaters weidete, ein Löwe und ein Bär gekommen seien, und ein Schaf mitten aus der Herde weggetragen, er selbst aber sie verfolgt, die Beute ihnen entrissen, den Löwen erwürget und beide getödtet habe, 1 Sam. 17,34.35.: also hat unser himmlischer David, Christus, Sein vom Teufel geraubtes Volk aus dessen Rachen und Klauen wieder herausgerissen und folglich bewiesen, daß Er wahrhaftig der gute Hirte sei. Daran erinnerte denn auch Christus Seine Jünger nach der Einsetzung des Abendmahls, Matth. 26,31., indem Er den Spruch Sacharja 13, 7. anzog: „Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.“ Deshalb preiset Paulus mit Recht Röm. 5,6. diese wundersame Liebesthat Christi, daß Er für Gottlose gestorben sei, da sonst kaum jemand für einen Gerechten sterbe.

Zweitens weidet aber auch Christus Seine Schafe; denn Er ist gekommen, daß sie Weide finden, daß sie ein- und ausgehen, daß sie das Leben und volle Genüge haben. Die Weide der Schafe in diesem Leben ist die Lehre des göttlichen Wortes und vornehmlich die Lehre des Evangelii, die allen Menschen verborgen war und die Christus, aus dem Schoße des Vaters hervorgehend, uns geoffenbart hat; in ihr legt Er uns vor das Brod des Lebens; und wer davon isset, wird nicht hungern in Ewigkeit; in ihr reicht Er uns auch dar das Wasser des Lebens und von dem Leibe dessen, der davon trinket, werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Zu dieser Weide gehört auch die Gemeinschaft des hochheiligen Leibes und Blutes des HErrn unter dem gesegneten Brode und Kelche des heiligen Abendmahls; desgleichen der innerliche Trost des Heiligen Geistes in allen Trübsalen, der uns niemals irgendworin schwach dahinsinken läßt. Fürwahr, wenn wir dieser heilsamen Weide in diesem Leben beraubt würden, so würden wir allerdings auf dem Wege verschmachten. Im künftigen Leben aber wird Gott endlich Seine Schafe weiden auf den besten Auen und daselbst werden sie in sanften Hürden liegen und fette Weide haben auf den Bergen Israel, Hesek. 34,14., auf solchen Triften, welche kein Auge gesehen hat und deren Lieblichkeit und Anmuth keines Menschen Herz begreifen kann. Eingehen und Ausgehen bedeutet, nach hebräischer Redeweise, in allen Handlungen des Lebens einen glücklichen und gesegneten Fortgang haben, wie von David gemeldet wird, daß er vor Israel und Juda ein- und ausging und Alle ihn lieb hatten, 1 Sam. 13,16.

Christus also ist jener HErr, der es bewirkt, daß unser Eingang und Ausgang gesegnet sei, 5 Mos. 28,6., d. i. daß wir in allen Handlungen des Lebens nirgends anstoßen, sondern, wohin wir uns wenden, unsre Sachen glückselig von Statten gehen. Augustin deutet jene Redensart geistlich, nämlich derartig, daß er unter dem Eingang den Eintritt in die Kirche versteht, welcher durch die Taufe, als das Sacrament der Einweihung, geschieht, unter dem Ausgang aber den Abschied von dieser Welt zu dem himmlischen Vater, so daß also Christus jener HErr sei, der unsern Eingang bewahrt von nun an bis in Ewigkeit.

Endlich weidet Christus Seine Schafe also, daß sie „das Leben und volle Genüge haben“. Diese Worte lassen einen zwiefachen Verstand zu. Der eine ist dieser, daß Christus gekommen sei, damit Seine erlöseten Schafe in diesem Leben Seiner Wohlthat genießen durch die Gnade, in jenem aber volle Genüge haben durch die Herrlichkeit und durch die Anschauung der göttlichen Majestät. Der andere Verstand ist dieser, daß Christus deshalb gekommen sei, damit die kranken und todten Schafe zuerst von Ihm das Leben haben, nach dessen Erlangung sie darnach in allerlei Tugend wachsen und also wandeln, daß sie, nach Pauli Ermahnung, immer völliger werden, 1 Thess. 4,1. Augustin zieht jenen Verstand vor, daß nämlich die Schafe Christi das Leben haben, indem sie in die Kirche eingehen, und volle Genüge, indem sie aus dieser Zeit in das ewige Leben gelangen.

Wenn die Kinder dieser Welt solches hören und vernehmen, daß sie auf ein anderes Leben gewiesen werden, damit ihnen wohl sei, so wünschen sie sich lieber das Schränklein des Fortunatus und volle Kammern, die einen Vorrath nach dem andern herausgeben, Ps. 144,13., in diesem Leben zu haben. Die Christen aber sollen deß eingedenk sein, was Christus sagt: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Marc. 8,36. Denn darin allein ist unser ganzes Heil, das zeitliche sowohl als das ewige, beschlossen, daß JEsus Christus unser Hirte sei. Unter diesem Hirten wird uns nichts mangeln, Ps. 23,1., daher denn auch Assaph sagt Ps. 73,25.26.: „Wenn ich nur dich habe, o HErr, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil.“ Und abermals singt David Ps. 144,15.: „Wohl dem Volke, deß der HErr sein Gott ist.“

Der zweite Beweisgrund, daraus Christus erweis't, daß Er der gute Hirte sei, ist genommen von Seiner treuen Sorgfalt für die Schafe. Deshalb sagt Er: „Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen.“ Das Wort Erkennen aber zeigt nicht nur eine äußerliche Kenntniß an, sondern begreift zugleich die fleißige Sorge und Bewachung, nicht allein den liebreichen Affect Seines Herzens, sondern zugleich auch die Wirkung desselben, daher Er auch hinzufügt: „Wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater.“ Der Vater aber kennt den Sohn sicherlich also, daß Er Ihn für Seinen natürlichen Sohn anerkennt, umfaßt, liebt und um alle Seine Werke und Leiden herzlich Sorge trägt und sie gutheißt, auch wenn „Er Sein Leben für die Schafe läßt“, d. i. wenn Er unter dem Drucke des Kreuzes Seine Seele aushaucht, und begraben, und nicht für einen Menschen, sondern für einen Wurm und ein Fegopfer gehalten wird. Wiederum kennet der Sohn den Vater, weil Er anerkennt, daß Er Alles von Ihm habe und empfangen habe, und daß Er Ihm theuer und werth sei und der Vater herzlich für Ihn sorge, wenngleich die ganze Welt Ihn noch so heftig verfolge. Dieses ist das Erkennen zwischen Vater und Sohn und also ist auch das zwischen Christo und Seinen Schafen. Christus erkennt Seine Schafe derartig, daß Er weiß, sie seien vom Vater von Ewigkeit erwählt und Ihm zur Erlösung und Beseligung gegeben; denn der HErr kennet die Seinen, 2 Tim. 219., deshalb verschafft Er ihnen denn mit treuer Liebe und Sorgfalt, was zu ihrer Seligkeit Noth ist.

Die Schafe wiederum kennen Christum, indem sie Ihn als den ihnen vom Vater gegebenen Hirten und Erlöser anerkennen, dem sie Alles verdanken, was sie Gutes in diesem Leben haben und in dem andern noch empfangen werden, bei dem sie auch einzig und allein Alles suchen sollen, was irgend zur Seligkeit nothwendig ist. Denn Er ist ja eben der gute Hirte, der Seine Herde erlöset hat nicht mit vergänglichem Gold oder Silber, sondern mit Seinem theuern Blute, 1 Petri 1,18. Dieses ist der wahre Sinn der Worte Christi, also daß nicht Noth ist, spitzfindig zu disputieren, wie doch wir Menschen Christum so vollkommen zu erkennen vermöchten, als dieser Gott, den Vater, kennt. Denn aus andern Stellen erhellt klärlich, daß in solchen Vergleichungen die Aehnlichkeit nur theilweise stattfinde und nicht in allen Gliedern vorhanden sei. Es ist aber nützlich, noch etwas genauer zu erwägen, wie Christus Seine Schafe kenne. Er kennt sie nämlich nicht nur von Außen nach der Farbe, Größe und andern äußerlichen Zeichen, sondern vielmehr von Innen, als der Herzen und Nieren erforscht. Daher heißt es Joh. 2,24.: „Er bedurfte nicht, daß jemand Zeugniß gäbe von einem Menschen; denn Er wußte wohl, was im Menschen war.“ So sagt Er Joh. 6,70. von Judas, daß er ein Teufel sei, weil er Ihn verrathen werde; und Luc. 8,46. wird gemeldet, daß Er wußte, wer Ihn angerührt hatte, wiewohl dieses ganz heimlich geschehen war. Es möge also jeder zusehen, wie er sein Leben einrichte, damit er nicht die allsehenden Augen dieses Hirten beleidige.

Und damit Er um so gewisser Seine Schafe kenne und ihrer pflege, so bezeichnet Er sie mit dem Rothstift Seines Blutes in der Taufe und zwar zu dem Ende, wie Er später sagt, damit Ihm niemand Seine Schafe aus Seiner Hand reiße. Sonst heißt es wohl im Munde der Leute: „Der Wolf verschlingt auch die gezeichneten Schafe“; aber hier geschieht dieses nicht, sondern, wie der Würgengel an den Häusern der Kinder Israel vorüberging, da er das Blut des Passahlammes an der Ueberschwelle und den beiden Pfosten erblickte, also kann keine teuflische Gewalt diese mit dem Blute Christi bezeichneten Schafe Christi verletzen, ja selbst den Tod überdauert dieses Zeichen des Blutes Christi, daher Er denn auch aus der Hand des Todes Seine Schafe befreien wird, Hos. 13,14.

Der dritte Beweisgrund, daraus Christus bewährt, daß Er der gute Hirte sei, ist genommen von der Sorgfalt, durch welche Er Seinen Schafstall erweitert. Davon sagt Er: „Und ich habe noch andere Schafe; die sind nicht aus diesem Stalle; und dieselben muß ich herführen und sie werden meine Stimme hören.“ Er spricht hier eigentlich von der Berufung der Heiden, welche damals noch Fremde waren, und nicht von dem Schafstalle oder der Versammlung der Gläubigen aus den Juden. Christus ging zwar nicht persönlich zu den Heiden aus, damit Er sie zur Gemeinschaft Seiner Kirche beriefe; denn nach Röm. 15,8. war Er ein Diener der Beschneidung um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. Deshalb sagt Er auch Matth. 15,24.: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel“, und deshalb untersagt Er auch den Aposteln, bei ihrer ersten Sendung, auf der Heiden Straße zu gehen, Matth. 10,5. Allein nach Seiner Auferstehung befahl Er ihnen, daß sie ausgingen in alle Welt und das Evangelium predigten aller Creatur, Marc. 16,15. Denn nach dem Zeugniß des Johannes ist Christus deshalb gestorben, daß Er die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammenbrächte, Joh. 11,52.

Aus jenen Worten Christi lernen wir auch:

1) daß es nur eine Kirche sei, welche Christi Schafstall ist; denn wie nur eine Arche in der Sündfluth, ein Tempel bei den Juden war, wie nur eine Braut Christi, ein Leib desselben, ein Weinstock und ein Haus ist, welche die Kirche darstellen: also ist auch nur eine Kirche; und wer von dieser abirrt und in der Verbannung lebt, der geht in Ewigkeit verloren, weil außer der Kirche kein Heil ist.

2) daß wohl in Acht zu nehmen sei, daß wir diesen Schafstall Christi weder in zu enge Grenzen einschließen, noch ihn zu weit ausdehnen. Jenes wollten einst die Juden, Ap. Gesch. 10,2., die übel damit zufrieden waren, daß Petrus zu dem Hauptmann Cornelius und den Heiden hineingegangen war; desgleichen thun heutzutage die Papisten, welche die Kirche an den römischen Stuhl binden. Der ungeschickten Erweiterung der Kirche machen sich Solche schuldig, welche behaupten, daß Jeder in seiner Religion selig werde, wenn er nur in guter Absicht Gott diene, als ob die Kirche ein Stall von Hunden und Schweinen sei und die Vermischung mit allerlei wilden Thieren zulasse. Deshalb, obgleich die Kirche katholisch genannt wird, so ist dennoch zu wissen:

3) daß die Glieder der Kirche an das Wort des Evangelii gebunden seien, weil „die Schafe Christi Seine Stimme hören“. Solche daher, die irgend das Evangelium entweder nicht hören, oder verachten oder verfolgen, erkennt Christus nicht für Seine Schafe an; denn durch kein anderes Mittel, als durch die Predigt des Evangelii, führt Er die fremden Schafe herzu. Es können jedoch jene Worte Christi auch auf die von ihrem Hirten abgeirrten Schäflein angewendet werden; denn für die Wiederbringung derselben wendete Christus allen Fleiß an, wie Er auch David und Petrus wiederbrachte; ja nach Luc. 15, 4. läßt Er auch die neunundneunzig in der Wüste und sucht das einzige verlorene Schäflein. Er selbst wäscht zuerst die schmutzigen Schafe im Wasserbad der Taufe; Er stärkt und kräftigt die schwachen durch Seinen Leib und Blut im Abendmahl; die leichtfertigen und übermüthigen, die sich in unwegsame Wildnisse stürzen, zieht Er durch den Haken des Kreuzes zu sich zurück; die Kranken heilt Er durch mancherlei Trübsale; und wenn ein großes Unglück bevorsteht, so treibt Er sie in die Schlafkammer des Todes, damit sie auf diese Weise in den himmlischen Schafstall gelangen und das Uebel nicht sehen, welches über die kommt, so auf Erden wohnen, wie von Josia gesagt ist 2 Chron. 34,28. Dieser Treue eines so großen Wohlthäters lasset uns nimmer vergessen, sondern mit David singen aus Ps. 146,1.2.: „Lobe den HErrn, meine Seele! ich will den HErrn loben, so lange ich lebe, und meinem Gotte singen, weil ich hier bin.“

Aus all diesem ist aber auch offenbar, wie gar lieblich und voll Trostes es sei, daß Christus sich grade den Namen eines Hirten beilegt. Er hätte sich ja auch einen König oder Fürsten nennen können, weil Er auch Solche in Seinem Geschlechtsregister hat, aber Er zog den Namen eines Hirten vor, weil Er auf diese Weise Seine stetige Sorgfalt um uns besser ausdrücken konnte. Alle andern Arbeiten haben ihren Wechsel und Stillstand; die aber des Hirten nicht also: seine Arbeiten und Sorgen dauern ununterbrochen fort, bei Tag und bei Nacht, zu festlicher und anderer Zeit.

Die Anwendung nun von dem Obigen auf treue Diener des Wortes und Hirten der Gemeinden, die dieses Erzhirten Knechte sind, ist diese, daß sie auch hieraus lernen, was ihres Amtes sei und wie sie Christo nach' ahmen sollen.

1. Zum Ersten nämlich sollen sie zur Zeit der Noth, im Kriege, in der Pest und in Verfolgungen auch bereit sein, ihr Leben zu lassen für die Schafe. So war Paulus nach 2 Cor. 7,3. bereit, mit seinen Corinthern sowohl zu leben, als zu sterben; und Ap. Gesch. 15,25. gab das Concil zu Jerusalem dem Barnabas und Paulus dieses Zeugniß, daß sie ihre Seelen dargegeben hätten für den Namen unsers HErrn JEsu Christi. Die Papisten rühmen, daß sie mehr als dreißig römische Päbste aufzählen könnten, welche ihr Blut für das Evangelium von Christo vergossen haben und mit dem Märtyrerkranze gekrönt worden sind. Nun ist freilich wahr, daß vor tausend und mehr Jahren deren allerdings gewesen sind; wo aber sind sie heute? Aus der Historie können im Verlaufe von einigen Jahrhunderten mehr als sechzig aufgezählt werden, welche die Zeugen der evangelischen Wahrheit getödtet und also nicht des eigenen, sondern des fremden Blutes eine so große Masse vergossen haben, daß Johannes die Babylonische Hure trunken gesehen hat von dem Blute der Heiligen und von dem Blute der Zeugen JEsu, Offenb. 17,6. Es mögen daher die Hirten lernen, ihre Schafe zu lieben, und sie nicht leichtfertig, verlassen; denn die, welche zur Zeit der Verfolgung, oder der Seuchen, oder des Krieges ihre Herden verlassen, werden mit Recht zu den Miethlingen gezählt.

2. Zum Andern sollen die Hirten auch ihre Schafe kennen. Dieses achte niemand für unmöglich, außer vielleicht in volkreicheren Städten, wo jedoch gleichwohl der Hirte viel ausrichten wird, wenn er einigen Fleiß anwendet. Er soll also billig wissen, ob ein Schaf schwach oder stark sei, und wenn es siech und wund ist, ob es verbunden sei oder nicht? Deshalb sollen es die Zuhörer nicht übel aufnehmen, wenn ihre Pastoren z. B. sorgfältig nachforschen, ob sie fleißig seien im Gebrauche des heiligen Abendmahls oder nicht? Denn solches ist ihres Amtes, und Gott droht, daß Er von ihren Händen das Blut derer wiederfordern wolle, welche durch ihre Sorglosigkeit verloren gehen, Hesek. 3, 18. Und um auch hierin den Fleiß der Hirten zu erforschen, dazu dienen die Visitationen der Gemeinde und die Katechismus-Prüfungen der Jugend. 3. Zum Dritten sollen sie sich auch Mühe geben, daß sie die Kirche erweitern und die Irrenden zum Schafstall Christi zurückführen; Papisten, Calvinisten und andere Schwärmer, sowie Solche, die ein gottloses Leben führen. Dieses geschieht 1) durch sorgfältige Predigt des Wortes nach 2 Tim. 4,2.: „Predige das Wort, halte an, es sei zur rechten Zeit oder zur Unzeit, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre“; desgl. 1 Petri 5,2.: „Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist, und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern williglich, nicht um schändliches Gewinns willen, sondern von Herzensgrund“; 2) durch nützliche Schriften, worin die Argumente der Gegner gründlich widerlegt werden und der Weg der Wahrheit kräftig gezeigt wird; 3) durch fromme Gebete, wenn wir Christum anrufen, daß Er selbst nach Ps. 68,34. Seinem Worte Kraft gebe und daß Er durch Seinen Geist die Irrenden bekehre; 4) durch ein gutes Exempel, wie Paulus, Tit. 2,7., und Petrus, 1 Petri 5,3., fordern, daß die Diener des Wortes Vorgänger der Gläubigen und Vorbilder der Herde seien; denn Viele, die das Wort nicht hören, werden durch das heilsame Beispiel gezogen; 5) durch ernste Bestrafung, wenn Solche, die vor Allen gesündigt haben, auch vor Allen gestraft werden, 1 Tim. 5,20. So schreibt auch Paulus an die Corinther 1 Cor. 4,21.: „Was wollet ihr? Soll ich mit der Ruthe zu euch kommen, oder mit Liebe und sanftmüthigem Geiste?“

Christus aber nennt sich nicht nur wesentlich und eigentlich den guten Hirten und weis't es auch nach, sondern Er seht sich darin zugleich dem Miethling entgegen. Dieser nun unterscheidet sich von den Fremden, Dieben und Mördern, deren Christus früher Erwähnung thut, darin, daß er, so lange ruhige und gefahrlose Zeit vorhanden ist, das Evangelium auch aufrichtig lehrt, gleich einem treuen Hirten. Sobald sich aber das Unwetter der Verfolgungen erhebt, so weicht er bald von dannen.

Daher sagt Augustin: „Den Hirten sollen wir lieben, vor dem Räuber uns hüten, den Miethling dulden; denn so lange ist dieser nützlich und heilsam, als er den Wolf nicht sieht, auf dessen Anblick er entflieht, und dann ist er zu meiden. Oft hängt die aus der Wurzel des Weinstocks entsprungene Traube unter den Dornen. Die Traube pflücke, aber hüte dich vor den Dornen, daß sie die pflückende Hand nicht verletzen.“

Doch wir müssen den Miethling etwas genauer besehen. Es gibt nämlich Viele, welche unter diesem Namen Alle begreifen, welche für Lohn in der Kirche lehren und aus ihrem Amte ihren Lebensunterhalt suchen. Hätte aber Christus diese darunter verstanden, so hätte Er niemals, indem Er Matth. 10,10. die Apostel zum Lehren aussandte, gesagt: „Der Arbeiter ist seines Lohnes werth.“ Auch hätte Paulus, 1 Cor. 9,14., nicht geschrieben: „Der HErr hat befohlen, daß, die das Evangelium verkündigen, sollen sich vom Evangelio nähren.“ Vielmehr wird hier ein Miethling genannt: 1) ein Solcher, der sich für Geld eine kirchliche Pfründe erkauft, wie z. B. der Jude Menelaus sich von Antiochus die Würde des Hohenpriesters für 300 Talente erkaufte, 2 Maccab. 4,24., und fast alle folgende Hohenpriester bis auf Christi Zeiten ihre Stellen von den Römern kauften, so daß diese Benennung mit Recht auf diese Priester paßte, welche alle Miethlinge waren. Aehnlicher Weise ist auch heutzutage unter dem Pabstthum nichts gebräuchlicher, als daß die Geistlichen ihre Pfründen von einander kaufen, obgleich ihre eigenen Canones es verbieten. Es mögen sich auch die Unseren hüten, daß ihnen nicht mit Recht jene Worte, die vielfach im Munde des Volkes sind, können nachgesagt werden: „Die schmierenden Narren kriegen die besten Pfarren“; 2) ein Solcher, der allein um des Lohnes willen das kirchliche Lehramt sucht, das er durchaus nicht übernehmen würde, wenn er auf andere Weise bequemer leben und mehr erwerben könnte; 3) ein Solcher, der ohne irgend eine gewichtige und gerechte Ursache, nur um des höheren Einkommens und Ansehens willen, so oft als möglich sein Kirchspiel wechselt und es überall durch die Thal beweis't, daß er nichts anders suche, als viel Geld zusammen zu scharren.

Von diesem Miethling sagt Christus dreierlei aus:

1. „daß ihm die Schafe nicht eigen seien“. Es möchte aber jemand sagen: Auch die wahren Hirten sind nicht Eigenthümer der Schafe, da alle Auserwählte, die darunter verstanden sind, allein Christi Eigenthum sind, und deshalb sage denn auch Christus Joh. 21,17. zu Petro nicht: Weide deine, sondern weide meine Schafe! Antwort: Weil Christus selbst und all das Seine unser ist, deshalb sind es auch die eigenen Schafe, welche Christus einem jeden Unterhirten in seinem ordentlichen Amte zum Weiden befohlen hat; und deshalb nennt Petrus solche Schafe „die Herde, so euch befohlen ist“. Wer daher die, welche der HErr seiner Treue vertraut hat, also für die Seinen erkennt, daß er denkt, es komme die Zeit, da er dem Erzhirten von ihnen Rechenschaft zu geben gehalten sei, deß sind die Schafe eigen. Wer dieses aber vernachlässigt, der ist, nach Christi Wort, ein Solcher, deß die Schafe nicht eigen sind.

2. „daß er der Schafe nicht achte“, nämlich wegen seines Geizes. Solche sind viel eher Mehl- als Seelsorger und mehr Hauswirthe, als Seelenhirten. Es kümmert den Miethling nicht, ob seine Zuhörer in der Gottseligkeit zunehmen oder abnehmen? ob sie zum Abendmahl gehen oder nicht? ob Aergernisse in die Gemeinde hereinbrechen? ob die Sünder stufenweise ermahnt und aus den Stricken der Sünde herausgerissen werden? Es genügt auch dem Miethling, wenn er aus Postillen irgend eine Predigt zusammenbringt, die er also einrichtet, daß er die Gunst der Menschen behalte.

3. „daß er den Wolf kommen sieht und die Schafe verläßt und flieht, und der Wolf die Schafe erhaschet und zerstreuet“.

Wer zur Zeit der Pest und anderer Seuchen oder des Krieges oder der Verfolgungen die Schafe verläßt, der vermehrt die Zahl der Miethlinge. Ein treuer Pastor aber zu Pestzeiten ahmt dem Aaron nach, der, 4 Mos. 16,48., zwischen Todten und Lebendigen stehend, für das Volk flehte, also daß die Plage wich. Desgleichen besuchte auch Jesaias seinen König Hiskias, obgleich er an einer bösen Drüse todkrank daniederlag, Jes. 38,1. Nicht minder blieb auch Augustinus bei seiner Gemeinde in Hippo, während der Belagerung der Vandalen. So ist sicherlich auch der ein Miethling, welcher schweigt und die Irrlehre nicht straft, und seine Zuhörer nicht warnet, wenn er einen ketzerischen Wolf einbrechen sieht, sollte dieser auch den Talmud der Juden und den Alkoran der Mohamedaner vortragen. Desgleichen ist ein Pastor unter die Miethlinge zu zählen, der da schweigt und die Sünden solcher Kirchkinder nicht straft, die ein gottloses und lüderliches Leben führen, weil sie etwa Leute von Ansehen sind, und wenn sie beleidigt würden, schaden könnten. Davon sagt Augustin: „Du schließest den Schuldigen nicht aus, weil du fürchtest, daß er dein Feind werde und dir schade, wenn er könne, und deshalb schweigst du und strafest nicht; du siehst den Wolf kommen und fliehst; mit dem Leibe bist du da, mit der Seele bist du geflohen.“ Aehnlich sagt Gregorius: „Der Miethling flieht, nicht indem er den Ort wechselt, sondern indem er seinen Dienst entzieht.“ Christus hält also nicht die für Miethlinge, die etwas Irdisches besitzen; denn den Priestern im Alten Testament gab Er selbst weitläuftige Besitzungen, dann die Erstlinge, die Zehnten und andre Opfer; sondern dieses tadelt Er, daß die Priester ihren Bauch, aber nicht die Seelen ihres Volks pflegten. Und dahin gehört auch die ausführliche Klage Gottes wider die untreuen Priester und Miethlinge in Hesek. 34.

Von dem Wolfe zu reden, ist es Thatsache, daß da, wo ein Schafstall ist, Wölfe herumstreifen, um die Schafe zu rauben und zu verschlingen. So hat auch Christi Schafstall seine Wölfe. Der Hauptwolf ist der Teufel, von welchem es 1 Petri 5,8. heißt: „Euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge.“ Weil er aber nicht selbst leiblich umhergehen und die Menschen verführen kann, so stiftet er von den Dienern des Wortes etliche an, die seine Wolfsnatur anziehen und ihm die Schafe verführen helfen. Daher sagt Paulus Ap. Gesch. 20, 29.: „Das weiß ich, daß nach meinem Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die der Herde nicht verschonen werden“, und fügt hinzu, was das für Leute sein werden: „die da verkehrte Lehre reden“. Wer also die Lehre Christi fälscht, wer Seine einfältigen Worte durch menschliche Glossen verdreht, wer die Schäflein Christi vom Wege der Wahrheit abkehrt auf Irrthümer, der gehört zu den Wölfen. So war 1500 Jahre hindurch in der Kirche Christi eine völlige Uebereinstimmung in Bezug auf den Genuß des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl, über JEsu Eintreten durch verschlossene Thüren, über die Erwählung der Gläubigen. In diesen letzten Zeiten stunden ohne alle Noth Leute auf, die verkehrte Lehre redeten und die Kirche beunruhigten. Diese können sicherlich nicht von den Wölfen ausgenommen werden. Wölfe heißen also alle falschen Lehrer, von welchen auch Christus sagt Matth. 7,15.: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Zu diesen kommen hinzu die tyrannischen Verfolger, die mit offener Gewalt feindselig hereinbrechen. Der schädlichste Wolf nach dem Teufel aber ist der römische Antichrist, welcher die Kirche sowohl mit falscher Lehre als mit Verfolgungen ansicht. -

Zwei Dinge schreibt Christus dem Wolfe zu: 1) daß er die Schafe erhaschet, 2) daß er sie zerstreuet. Er erhascht die Schafe, indem er sie vom Wege des Heils abführt durch abergläubische Irrthümer und durch Laster, oder, so sie ihm nicht folgen wollen, sie tödtet. Er zerstreuet sie, indem er die Einigkeit der Kirche durch mancherlei Secten zerreißt, oder die gottesdienstlichen Versammlungen verhindert, so daß die Schafe nicht zum Gehör des Wortes zusammenkommen können, welches das einzige, höchst nöthige Band ist, die kirchliche Gemeinschaft zu erhalten.

Es bliebe nun noch übrig, genau zu betrachten, wem Christus Seine Nachfolger vergleiche und warum Er solches thue? Denn Er vergleicht sie nicht den Hunden, welche neidisch und zornmüthig sind, nicht den Katzen, welche hinterlistig beißen und schaden, nicht den Schweinen, die sich im Schlamme wälzen, nicht den Pfauen, welche stolz, nicht den Wölfen, die gefräßig, nicht den Bären, welche niemand getreu sind, sondern den Schafen. Dadurch aber will Er uns unser Elend vor Augen legen, damit wir bedenken, in welchem kläglichen Zustande wir stecken, bevor wir zu dem Schafstall der Kirche Christi herzugeführt werden. Im Anfange zwar waren wir von Gott rein und gesund erschaffen, in Heiligkeit und Gerechtigkeit. Da wandelten wir aus den gesegneten Auen des Paradieses; wir waren Gott angenehm und schliefen gleichsam in Seinem Schoße. Sobald aber der Teufel uns überredete, daß wir wie Gott sein würden, wenn wir auf ihn hörten und von dem verbotenen Baume äßen, so wandten wir alsbald unserm Hirten den Rücken und verließen Ihn.

Deshalb trieb uns nun auch unser Hirte, gerechter Weise, aus dem Paradiese, und nachdem Er an die Pforte desselben die Cherubim zur Wacht gestellt hatte, so wollte Er, daß wir beständig davon ausgeschlossen seien. Wie also ein von der Herde abirrendes Schaf so lange in der Wüste umherschweift, bis es in die Gewalt des Wolfes geräth: also irren wir in der Wüste dieser Welt herum, bis es mit uns aus ist. Deshalb heißt es : „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg“; dieser Weg aber ist nicht der Weg der Wahrheit, sondern der der Ungerechtigkeit und des Verderbens; es sind ungerechte und schädliche Wege, solche, die dahin führen, daß die, welche sie wandeln, endlich wie Schafe in der Hölle liegen und der Tod sie naget, Ps. 49,15., denn sie sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, so in ihnen ist, und durch die Blindheit ihres Herzens, Ephes. 4,18.

Lasset uns also die unermeßliche Güte Gottes erkennen, daß Er uns Seinen Sohn zum Hirten gegeben hat, der durch das Evangelium, als durch ein Hirtenhorn, die Irrenden ruft, in der Schafschwemme des Taufsteins uns wäscht, mit dem Röthel Seines Blutes uns zeichnet, und uns Raum und Stätte in Seinem Schafstall, in Seiner heiligen, christlichen Kirche, gewährt, daß wir mit ebenso freudigem Muthe und fröhlichem Herzen wie David singen können: „Der HErr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Wir haben daher wohl zu bedenken, wie wir gegen eine so große Güte uns dankbar beweisen wollen, damit wir nicht denselben Vorwurf, wie die Juden, hören müssen, 5 Mos. 32,6.: „Dankest du also dem HErrn, deinem Gott, du toll und thöricht Volk? Ist Er nicht dein Vater und dein HErr? Ist's nicht Er allein, der dich gemacht und bereitet hat?“ und V. 15.: „Da er aber fett und satt war, ward er geil. Er ist fett und dick und stark geworden und hat den Gott fahren lassen, der ihn gemacht hat; er hat den Fels seines Heils gering geachtet.“

Es ist also hier am Orte, die Art und Natur der Schafe zu betrachten und nachzuahmen, was wir in der Kürze thun wollen.

1. Zuerst nämlich ist es freilich ein schlimmes Ding an den Schafen, daß sie aus Einfalt so leicht vom Hirten und der Herde abirren und, einmal verirrt, sich immer weiter verlieren; doch ist es dagegen wieder löblich an ihnen, daß, wenn sie der Hirte wieder sucht und ruft, sie sich denn leicht finden lassen, und wenn er ihnen dann Salz und Wermuth in die Krippe legt, damit sie sich wieder an den Schafstall gewöhnen, sie dies denn williglich annehmen und nicht zurückstoßen.

Also mißfällt es freilich Gott und Er straft uns ernstlich, wenn wir sündigen, aber wenn wir durch das Wort bußfertig zurückkehren, dann ist Freude im Himmel, Luc. 15,7., und da folgt denn auch das Salz und der Wermuth des Kreuzes, das wir mit Geduld annehmen müssen. So bekennt alsbald der gefallene und von Nathan wieder gesuchte David, daß er wider den HErrn gesündigt habe, 2 Sam. 12,13., und der Zöllner im Tempel schlägt an seine Brust und bekennt sich als einen Sünder, Luc. 18,13., und Solche, die also reumüthig zurückkehren, sind Gott lieb und angenehm. Der Welt Art ist freilich, daß sie, so schwer sie auch sündige, doch als keine Sünderin erscheinen will, so wie Gott über die Juden klagt Jer. 8,4.: „So spricht der HErr: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? wo ist jemand, so er irre geht, der nicht gerne wieder zurechtkäme? Noch will ja dies Volk zu Jerusalem irre gehen für und für; keiner ist, dem seine Bosheit leid wäre und spräche: was mache ich doch?“ Ganz anders aber sind die Frommen gesinnt. David sagt Ps. 141,5.: „Der Gerechte schlage mich freundlich und strafe mich; das wird mir wohlthun, als ein Balsam auf meinem Haupte.“

2. Es ist auch löblich an den Schafen, daß sie so genau ihren Hirten kennen; denn wenn auch tausend Männer zusammen dastünden, so würde aus allen heraus das Schaf den rufenden Hirten kennen. So sollen wir Christen unsern Hirten JEsum Christum kennen, sowohl in Hinsicht auf Seine Person als auf Sein Amt, daß Er sei unser Hirte und Erretter, der uns von Bären und Löwen, vom Teufel und von der Hölle erlöset habe. In dieser Erkenntniß Christi ruht das Fundament unsers Heils, wie Christus selbst gesagt hat Joh. 17,3.: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich, daß du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen.“ Und bei Jesaias sagt Gott Cap. 53,11.: „Durch Sein Erkenntniß wird Er, mein Knecht, der Gerechte, Viele gerecht machen.“ Desgleichen Jer. 9,23. und 1 Cor. 1,31.: es rühme sich nicht der Weise, der Starke, der Reiche, sondern wer sich rühmet, der rühme sich, daß er mich wisse und kenne. Die Heiden machen viel Rühmens mit ihrem Spruche: „Kenne dich selbst!“ und in der That ist auch etwas dahinter. Du Christ aber füge hinzu: „erkenne auch deinen Heiland, JEsum Christum!“ denn Beides ist hoch nöthig und nütze, wie Augustin Beides verbindet, indem er betet: „Verleihe mir, gütiger JEsu, dich und mich zu erkennen.“ Wenn du Christum wohl erkennst, so hast du zur Genüge, auch wenn du das Uebrige nicht weißest; wenn du aber Christum nicht erkennst, so hast du nichts, wenn du auch allerlei Anderes lernst.

3. Unter allen Eigenthümlichkeiten der Schäflein ist fast diese die vornehmste, daß sie die Stimme ihres Hirten lieben und sie gern hören, sonderlich wenn sie auf die Weide und zu den Wasserquellen geführt werden. Also soll sicherlich ein Christ die Stimme Christi, seines Hirten, gern hören und sich fleißig auf der Weide Christi finden lassen; seine Lust sei am Gesetze des HErrn, und er denke demselben andächtig nach Tag und Nacht, Ps. 1,2. So bezeugt David von sich Ps. 119,24.: „Ich habe Lust zu deinen Zeugnissen, die sind meine Rathsleute“; desgleichen Ps. 19,11.: „Die Rechte des HErrn sind köstlicher denn Gold und viel feines Gold; sie sind süßer denn Honig und Honigseim.“ Der Gottlosen Glückseligkeit ist in ihren Reichthümern und Wollüsten, also daß sie singen: „Der Kirch' zieh' ich die Schenke vor.“ Aber der Frommen Glückseligkeit ist im Hause des HErrn, wie David singt Ps. 26,8.: „HErr! ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnet.“ Desgleichen Ps. 27,4.: „Eines bitte ich vom HErrn, das hätte ich gern, daß ich im Hause des HErrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des HErrn und Seinen Tempel zu besuchen“; vergl. Ps. 84,2., Ps. 122,1. Wenn jemand auf diese Weise Christi Stimme lieb hat, so liebt ihn Christus wiederum; Joh. 14,23.: „Wer mich liebet, der wird mein Wort hallen und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Die Verächter des Wortes aber werden von Christo verworfen werden, wie Hosea sagt Cap. 4,6.: „Mein Volk ist dahin, darum, daß es nicht lernen will; denn du verwirfst Gottes Wort, darum will ich dich auch verwerfen.“ Und am jüngsten Tage wird Christus selbst sprechen, Matth. 7,23.: „Weichet von mir, ihr Uebelthäter, ich habe euch noch nie erkannt.“

4. Die Schafe folgen dem Hirten, wenn er voranschreitet. Also sollen billig die Christen die Stimme ihres Hirten nicht nur hören, sondern derselben auch mit der That, dazu sie ermahnt werden, folgen. Und dies sollen sie nicht nur thun gegen Christum, den Erzhirten, sondern auch gegen Seine treuen Diener und Knechte, davon Paulus 1 Tim. 5,17. schreibt: „Die Aeltesten, die wohl vorstehen, die halte man zwiefacher Ehre werth.“ Eine größere Ehre aber können ihnen die Zuhörer nicht erzeigen, als wenn sie ihrer Lehre und Strafe, Ermahnung und Zurechtweisung Raum geben. Deshalb sagt Ebr. 13, 17. Paulus wiederum: „Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, auf daß sie das mit Freuden thun und nicht mit Seufzen; denn das ist euch nicht gut.“ Wenn also irgendwann Schwärmer die treuen Hirten bei ihren Zuhörern verächtlich zu machen trachten, so sollen diese sie durchaus nicht hören, ja sie nicht grüßen (2 Joh. 10.), sondern vor ihnen fliehen und keine Gemeinschaft mit ihnen haben, damit nicht die bösen Geschwätze die guten Sitten verderben; ja nicht einmal auf die Aussprüche der eigenen Vernunft in geistlichen Dingen sollen sie hören.

5. Die Schafe sind auch ihren Besitzern und durch diese allen Andern nützlich und gedeihlich. Die Hungrigen nähren sie mit ihrem Fleische, die Durstigen tränken sie mit ihrer Milch; mit ihrem Dünger befördern sie die Fruchtbarkeit der Aecker; die Betrübten erquicken sie durch die aus ihren Därmen bereiteten Saiten; die Nackenden kleiden sie mit ihrer Wolle und halten also die Regel des Täufers ein: „Wer zween Rocke bat, der gebe dem, der keinen hat“, Luc. 3,11. Auf dieselbe Weise sollen denn auch die Christen gegen einander gesinnt sein, daß nicht Einer Alles an sich raffe, sondern Andern auch etwas übrig lasse; und den, welcher diese Nutzbarkeit und Wohlthätigkeit nachahmt, wird nach Matth. 25,40. Christus am jüngsten Tage loben. Deshalb ermahnt denn auch Paulus Ebr. 13,16.: „Wohlzuthun und mitzutheilen vergesset nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl.“ Desgleichen Ps. 112,5.: „Wohl dem, der barmherzig ist und gerne leihet“; V. 9.: „Er streuet aus und gibt den Armen; seine Gerechtigkeit bleibet ewiglich“; ferner 2 Cor. 9,7.: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“; und Ps. 41,1.: „Wohl dem, der sich des Dürftigen annimmt.“ Dieses und Anderes sind nun Früchte des Glaubens, die Christus von uns begehrt, damit wir nicht nur Hörer, sondern auch Thäter des Wortes seien, Jac. 1,22. Denn daraus wird erkannt, daß solche Hörer den Samen des Evangelii in ein feines, verständiges Herz aufgenommen haben und Früchte bringen in Geduld, Luc. 8,15.

6. Die Schafe halten sich auch sauber und rein, und ahmen nicht den schmutzigen Säuen nach, die sich in jeder Schlammpfütze wälzen. Also befleißigen 'sich die Christen der Reinigkeit in Geberden, Worten und Thaten, nach Matth. 5,8.: „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“; desgl. Ebr. 12,14.: „Jaget der Heiligung nach, ohne welche wird niemand den HErrn schauen“; ferner 1 Thess. 4,3.: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung.“

7. Die Schafe sind auch demüthig und prangen nicht stolz einher, wie die Pferde; sie sind nicht stolz auf ihre Wolle, wie die Pfauen auf ihr Gefieder; sie klettern nicht in die Höhe, wie die Ziegen. Also sollen auch die Christen mit einem geringen Loose zufrieden sein; denn welche hoffärtig in die Höbe streben, möchten leichtlich mit dem Phaeton und Ikarus in die Tiefe hinabgestürzt werden. Deshalb ermahnt Cap. 3, 20. Sirach sehr wohl: „Je höher du bist, je mehr dich demüthige, so wird dir der HErr hold sein; denn der HErr ist der Allerhöchste und thut doch große Dinge durch die Demüthigen.“ Sie sollen sich billig der Thür zu ihrem Schafstall anbequemen, welche, wie wir hören, Christus ist, der selbst von sich sagt, Matth. 11, 29.: „Lernet von mir; denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig.“ So werden auch in den Schafställen nicht hohe und erhabene Pforten, sondern niedrige und gedrückte Thüren gefunden.

8. Groß ist auch die Einfalt der Schaflein; denn sie haben nichts von der Verschlagenheit und List des Fuchses an sich: also sollen auch die Christen die einfältige Aufrichtigkeit lieben, nicht Anderes mit dem Munde bekennen und wiederum Anderes im Herzen verbergen, sondern ihre Rede sei: Ja, ja, nein, nein, Matth. 5,37. Solches Schäflein war der Patriarch Jakob, der treu und aufrichtig mit seinem ungerechten Schwätzer Laban handelte, wiewohl ihm dieser zehnmal seinen Lohn veränderte, 1 Mos. 31,41. Auch Hiob hat in der Schrift das Zeugniß, daß er ein Mann gewesen sei schlecht und recht, Hiob 1, 1. Die rechten Christen mögen daher aus Ps. 25, 21. beten: „Schlecht und recht, das behüte mich, denn ich harre dein.“

9. Die Schafe sind auch mit trocknen und magern Weiden zufrieden; ja wenn sie auf allzufette Triften gerathen, so werden sie leicht krank, also daß ihre Lungen und Leber anfangen in Fäulniß überzugehen. Also sollen auch die Christen keinen Ueberfluß an irdischen Dingen begehren, sondern zufrieden sein, wenn sie Nahrung und Kleider haben, 1 Tim. 6,8. Denn wenn der Reichthum zu sehr gefällt, so pflegen die Menschen ihr Herz daran zu hängen, Ps. 62,11., und dann beginnt alle Frömmigkeit in ihnen flau und faul zu werden. Deshalb lehrt uns Salomo Sprüchw. 30,8. also zu beten: „Armuth und Reichthum gib mir nicht; laß mich aber mein bescheiden Theil Speise dahinnehmen; ich möchte sonst, wo ich zu satt würde, verleugnen und sagen: wer ist der HErr? oder wo ich zu arm würde, möchte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen.“

10. Das Schaf ist auch ein geselliges Thier, hält sich gern zur Herde, thut niemand Schaden und stößt weder mit der Stirne, noch mit den Hörnern, wie die stößigen Böcke. Also eilen die Christen mit Andern gern zur Kirche, um daselbst als Gemeinde die Stimme ihres Hirten zu hören. Darum ermahnt Paulus Ebr. 10,25.: „Lasset uns nicht verlassen unsre Versammlung.“ Denn sobald ein Schaf von der Herde sich absondert, so wird es um so leichter vom Wolfe erhascht: also kann auch ein Christ, der ein nachlässiger Hörer des Wortes ist, sehr leicht von dem umhergehenden höllischen Löwen verschlungen werden. Auch im bürgerlichen Verkehr sollen die Christen friedliebend sein und alle unnöthigen Streitigkeiten fliehen, eingedenk des Ps. 133,1., da es also lautet: „Siehe, wie fein und lieblich ists, daß Brüder einträchtig bei einander wohnen.“ Und ferner der Stelle Phil. 2,2.: „So erfüllet meine Freude, daß ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habet, einmüthig und einhellig seid, nichts thut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demuth achtet euch unter einander, einer den andern, höher, denn sich selbst.“

11. Was das Schaf auf der Weide genießt, das käuet es darnach in Ruhe daheim wieder. Also soll ein Christ in der Kirche lernen und die Nahrung der heilsamen Lehre einnehmen, daheim aber mit seinen Kindern und Hausgenossen dieselbe wiederholen. Also bewahrte Maria, Luc. 2,19. das gehörte Wort und bewegte es in ihrem Herzen.

12. Wenn den Schäflein etwas Widriges begegnet, so blöken sie laut und verrathen auf diese Weise ihre Furcht. Also sollen die Christen in allen ihren Trübsalen ihr Vaterunser und Gott! erbarme dich meiner, erschallen lassen und des Gebets und der Danksagung nimmer vergessen; denn also lehret sie Gott selbst Ps. 50,15.: „Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ Desgleichen Paulus 1 Thess. 5,17.: „Betet ohn Unterlaß; seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christo JEsu an euch.“

13. Endlich sind die Schafe geduldig und schaden weder mit den Zähnen noch mit den Klauen; sie haben keine Hörner wie der Stier, keinen Rüssel wie der Elephant, keinen Stachel wie der Scorpion. Alles Ungemach des Wetters, Hitze, Kälte, Regengüsse, Hagel, Schnee erdulden sie ohne Widerstreben; ja selbst wenn sie zur Schlachtbank geführt werden, bleiben sie stumm, daher denn auch Christus Jes. 53,7. solchem Schafe verglichen wird. Also soll denn auch ein Christ geartet sein, daß er Allen zu nützen, niemand zu schaden trachtet. Auch das Unwetter aller Trübsale und Verfolgungen soll er geduldig ertragen, und wenn um Christi willen der Tod zu erleiden ist, soll er nicht widerstreben, weil Christus ihn vom ewigen Tode erlöset hat; denn das ist gewißlich wahr, wenn wir mit Christo sterben, so werden wir auch mit Ihm leben; und wenn wir mit Ihm dulden, so werden wir auch mit Ihm herrschen.

Unser Erzhirte JEsus Christus gebe allen Christen durch Seinen Geist Gnade, daß sie sich als fromme Schäflein erzeigen, Sein Wort lieben, recht glauben, gottselig leben, das Kreuz geduldig tragen und endlich mit allen Auserwählten in das Haus des HErrn versammelt werden.

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