Caspari, Karl Heinrich - Des Gottesfürchtigen Freud und Leid - Wochenpredigt über Psalm 32, 1-7.
Psalm 32, 1-7.
1. Eine Unterweisung Davids.
Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind,
Dem die Sünde bedeckt ist.
2. Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zu rechnet,
In des' Geist kein Falsch ist.
3. Denn da ich's wollt verschweigen, verschmachteten meine Gebeine.
Durch mein täglich Heulen.
4. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir,
Dass mein Saft vertrocknete,
Wie es im Sommer dürre wird. (Selah.)
5. Darum bekenne ich dir meine Sünde,
Und verhehle meine Missetat nicht.
Ich sprach: ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen;
Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde. (Selah.)
6. Dafür werden dich alle Heiligen bitten zur rechten Zeit;
Darum, wenn große Wasserfluten kommen,
Werden sie nicht an dieselbigen gelangen.
7. Du bist mein Schirm, du wollest mich vor Angst behüten,
Dass ich errettet ganz fröhlich rühmen könne. (Selah.)
Ihr wollt, Geliebte in dem Herrn, am morgenden Tag zur Beichte gehen und danach das Heilige Abendmahl des Leibes und des Blutes eures Herrn und Heilandes Jesu Christi empfangen. Auf die Frage, was nützt denn solch' Essen und Trinken? gibt uns Luther die Antwort: das zeigen uns diese Worte Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden, nämlich dass uns im Sakrament Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit durch solche Worte gegeben wird. Denn, fährt derselbe fort, wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Vergebung der Sünden wird also als das Erste und Vornehmste hingestellt, was wir im Sakrament des heiligen Abendmahls begehren und empfangen sollen, und ferner Leben und Seligkeit als zwei Güter, die von jener untrennbar seien, und die mit ihr auch schon gewiss und wahrhaftig gegeben sind. So lasst uns denn zur Vorbereitung auf das heilige Abendmahl von unserm Psalm lernen,
was es mit dieser Vergebung der Sünden für eine Bewandtnis habe. Derselbe sagt uns aber
I. wer der Vergebung der Sünden bedürftig ist,
II. wer die Vergebung seiner Sünden erlange,
III. welchen Segen wir an der Vergebung unserer Sünden haben.
I.
Auf den ersten Blick scheint dieser Psalm nicht des Näheren darauf einzugehen, wer denn eigentlich der Vergebung seiner Sünden bedürftig sei. Er fängt bloß damit an, diejenigen glücklich zu preisen, welche Vergebung der Sünden besitzen: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.“ Aber soviel ist offenbar: der Psalmist kennt bloß zweierlei Klassen von Menschen, solche, denen die Übertretungen vergeben sind und die Sünde bedeckt ist, und solche, denen die Übertretungen nicht vergeben sind und die Sünde nicht bedeckt ist; er kennt nur begnadigte und unbegnadigte Sünder. Solche aber, die keiner Vergebung und keiner Barmherzigkeit bedürften, kennt er nicht. Hieraus ergibt sich denn als Antwort auf unsere erste Frage, dass der Vergebung seiner Sünden ein jeder bedarf, wie auch der Apostel sagt: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen.“
Hiervon macht nun die Anwendung auf euch, Geliebte in dem Herrn. Von Übertretungen und Sünden hat jeder von euch seinen Teil auf sich liegen; und sein Teil ist so groß und so schwer, dass er unselig und verloren ist, wenn die Last nicht von ihm genommen wird, sondern auf ihm liegen bleibt. Es hat jeder seine Sünden - Euer Gewissen wird euch des überführen - Sünden, die, wenn ihr nur nicht geflissentlich die Augen davor schließen wollt, euch als Zeugen erscheinen, welche vor dem gerechten Gott euch verklagen; Sünden, mit denen ihr offenbar das Gesetz des Herrn gebrochen habt. Das sind die Übertretungen, von denen der Psalm zuerst redet, und womit er diejenigen Vergebungen meint, um derentwillen man sich vor Gott zu fürchten und, wenn sie zur Sprache kommen, auch vor den Menschen sich zu schämen hat. Dahin gehören die Sünden wider das zweite Gebot, Flüche, wie sie der Zorn ausstößt, Eide, wie sie der Leichtsinn schwört, ganz abgesehen noch von den falschen Eiden, wie sie die Gottlosigkeit schwört; die Sünden wider das dritte Gebot: Schändung des Sonn- und Feiertags durch Arbeit oder Ausschweifung; die Sünden wider das vierte Gebot, wider Vater und Mutter: Unehrerbietigkeit, Ungehorsam, Unbarmherzigkeit und Lieblosigkeit gegen die Eltern; die Sünden wider das fünfte Gebot: Misshandlung, Kränkung, oft von Tag zu Tag sich erneuernde Verletzung von Menschen, die Liebe von euch zu fordern haben; die Sünden wider das sechste Gebot: offenbare oder geheime Unzucht, grobe oder feine Untreue gegen Mann oder Weib, leichtfertiges, unehrbares Wesen, gleichviel ob es sich darin kund gibt, dass man der Lüsternheit dient, oder dadurch, dass man zur Lüsternheit herausfordert; die Sünden wider das siebente Gebot: Unehrlichkeit, Übervorteilung, Geiz und Habsucht; die Sünden wider das achte Gebot: die verleumderische, lügenhafte, scharfe, spitze Rede, die dem Nächsten die Ehre nimmt oder das Herz verwundet. Lasst euer Gewissen reden, lasst die Menschen zeugen, die von euch zu leiden hatten, und dann richtet euch selber, aber nicht nach der Meinung, die ihr selbst von der Größe dieser Übertretungen habt, sondern nach dem einfachen und klaren Zeugnis, welches Gottes Wort darüber ausspricht! Wahrlich, ihr werdet der Übertretungen genug finden, um derentwillen ihr Vergebung bedürft! Der Psalm will aber, dass ihr noch tiefer blickt, dass ihr der Wurzel nachgeht, aus der solche arge Früchte emporschicken. Tut ihr das, dann kommt ihr durch die Betrachtung der Übertretungen auf deren Grund und Ursprung, auf die Sünde. Hier gedenkt des ersten Gebots: Du sollst Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen; hier gedenkt des neunten und zehnten, das da gebietet: Du sollst dich nicht lassen gelüsten; erinnert euch, wie wenig euer Herz seine Schuldigkeit tut, erinnert euch der Gedanken, die weder mit der Furcht, noch mit der Liebe und dem Vertrauen gegen Gott sich vertragen und die doch tagtäglich in euern Herzen sich regen, der Gedanken, die ihr gar oft, statt davor zu erschrecken, noch gehegt und gepflegt habt; denkt an die Leidenschaften, die in eurem Herzen ruhen und die nur angefacht zu werden brauchen, um das Herz in Flamme zu sehen, an die Gelüste, die sich nicht ans Tageslicht wagen, aber in Wort und Werk bald mehr, bald weniger sichtbar ihr Dasein verstecken, und endlich daran, dass der unerbittliche Richterspruch des göttlichen Wortes lautet: „Der Tod ist der Sünde Sold“, und dass jeder Mensch entweder Vergebung erlangen oder diesen Richterspruch an sich muss vollziehen lassen! Ihr werdet dann Ursache genug finden, zu beten: „Herr gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte, denn ich könnte dir auf tausend nicht eins antworten“, und Ursache genug finden, um einzustimmen in das Wort des Psalms: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.“ Wer gehört nun aber zu diesen seligen Menschen? fragen wir zum Zweiten,
II.
wer erlangt die Vergebung seiner Sünden? Gott hat gewollt, dass die Sünde, welche im Leben und Herzen eines jeden Menschen sichtbar ist, bedeckt werde; und er hat hiezu einen ewigen Rat erfunden: er hat Jesum Christum uns gemacht zur Gerechtigkeit, - sein Blut macht uns rein von aller Sünde und seine Gerechtigkeit deckt unsere Übertretung und Sünde zu; wer an ihn glaubt, darf sprechen:
Christi Blut und Gerechtigkeit,
Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor Gott bestehn,
Wenn ich zum Himmel werd' eingehn.
Habt ihr gehört von diesem Sündentilger, von diesem heiligen Hohenpriester, der unsere Sünden geopfert hat an dem Kreuzesholz, von diesem starken König, der aus der Sünde zum Heil hilft? O, ihr habt sicher alle schon von ihm gehört: in dem heiligen Bibelbuche steht von ihm geschrieben, hier in diesem Hause wird er allsonntäglich gepredigt! Was er einst zu dem Schächer gesagt: „Du wirst mit mir im Paradiese sein“, das ist er bereit, auch zu jedem von euch zu sagen; er ist bereit, zu einem jeden zu sagen: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Ihm sind unsere Sünden aufgerechnet worden, damit sie uns nicht zugerechnet werden müssen.
Wem nun werden sie nicht zugerechnet? Unser Psalm sagt es uns: Dem, in dessen Geist kein Falsch ist. „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet, in dessen Geist kein Falsch ist.“ Falschheit ist in euerm Geist, wenn ihr eure Sünden nicht erkennen wollt, wenn ihr über eure Übertretungen leicht hinweggeht, als seien sie gar nicht da oder doch nicht der Rede wert, wenn ihr meint, sie seien hinreichend gut gemacht durch gute Eigenschaften und allerlei des Lobes würdige Taten, wenn ihr euch betrügt über den Zustand eures Herzens, Licht seht, wo nur Finsternis zu sehen ist, guten Frieden habt, wo ihr um Hilfe rufen solltet. Falschheit ist in euerm Geist, wenn ihr eure Sünden nicht bekennen wollt, wenn ihr sie vor Gott ableugnet und den Menschen nicht abbitten wollt, wenn ihr Entschuldigungen dafür sucht, wenn ihr sie klein und gering macht, wenn ihr mit dem Munde sprecht: „Gott sei mir Sünder gnädig“, aber das Herz weiß nichts davon. Falschheit ist in euerm Geist, wenn ihr eure Übertretungen nicht lassen wollt, wenn ihr in wissentlicher Sünde, in Unversöhnlichkeit, Unehrlichkeit, in unzüchtigen Verhältnissen bleibt, einen Groll, einen Grimm, einen Umgang nicht aufgeben wollt, den ihr als sündlich erkennt. Nicht nur, dass ihr eure Sünden alsdann nicht hinweg bringt, sondern sie legen sich von nun an mit doppelter Schwere über eure Seele; denn Gottes Gnade darf man nicht auf Mutwillen ziehen. Kein Falsch aber ist in euerm Geist, wenn ihr sprecht wie David: „Ich bekenne dir meine Sünde, und verhehle dir meine Missetat nicht“, wenn ihr eure Rechnung macht mit euerm Gott, wenn ihr wie der verlorene Sohn mit Reue und Leid vor den Heiland tretet, im Glauben seine Verzeihung und seine Gnade ergreift und mit dankbarem Herzen entschlossen seid, ihm nunmehr in Gehorsam zu dienen, hinfort nicht mehr zu sündigen, sondern voll Ernst seine Rechte und Gebote zu halten. Dann könnt ihr am morgenden Tag auch rühmen wie David: „Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen; da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde.“ Dann werdet ihr auch das Wort verstehen: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, und seine Sünde bedeckt ist.“ Ihr werdet erfahren, welchen Segen wir an der Vergebung unserer Sünden haben; und hierauf lasst uns Drittens
III.
noch unsere Andacht richten.
Unvergebene Sünde ist, wenn das Gewissen einmal aufwacht, wie eine Krankheit, die am innersten Mark des Lebens zehrt, wie eine Last, unter welcher der Mensch sich nicht rühren kann, die keinen fröhlichen Gedanken, keinen Trost, keine Lust zum Guten aufkommen lässt, unter der der Mensch sich muss erdrücken lassen. „Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, dass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.“ Wenn die Sünde vergeben ist, bleibt wohl Beschämung, Demut und Buße zurück im Herzen des Sünders; die Scheidewand aber, die ihn von seinem Gott trennte, ist hinweg; die Angst, die jede gute Stunde ihm vergällte und jeden schlimmen Tag ihm völlig unerträglich machte, die ihn zu keiner Ruhe und zu keinem Frieden kommen ließ, die Ohnmacht, die jeden Versuch sich aufzuraffen vergeblich machte, sind gewichen; er fühlt sich seinem Gott gegenüber nicht mehr als ein Missetäter, sondern als ein, wenn auch unwürdiges, doch begnadigtes Kind; der Bann ist abgetan und der Friede wieder eingekehrt: er kann den Herrn seinen Gott wieder lieben und ihm vertrauen, er hat Kraft und Lust und Licht zu einem neuen Leben. Meint ja nicht, man müsse erst ein neues Leben beginnen, um dann der Vergebung der Sünden teilhaftig zu werden das wäre die verkehrte Ordnung; vielmehr erst Vergebung der Sünden, dann den Frieden Gottes im Herzen, die Gewissheit seiner Liebe und seiner Hilfe, und nunmehr das neue Leben! So lehrt es uns der Psalmist, wenn er spricht: „Dafür werden dich alle Heiligen bitten zur rechten Zeit,“ das ist, sie werden dich alsbald und sogleich um Vergebung ihrer Sünden bitten, ohne sich erst lange mit ihren Sünden und ihrem Sündenmaß zu schleppen. Denen aber, die zur rechten Zeit bitten, kann er die Versicherung geben: „Darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an dieselben gelangen,“ das ist, die Fluten der Leiden, die Wogen der Trübsal werden, wenn sie sich auch gegen Gottes begnadigte Kinder erheben, dieselben doch nicht bedecken, nicht ersticken. Weil sie der Vergebung ihrer Sünden gewiss sind, weil nichts sie mehr von Gott scheidet, so werden sie gutes Muts sein und in Geduld es abwarten, bis die Fluten wieder verlaufen sind. Er wird sie erretten in einer Kürze. In dieser Gewissheit vermögen sie auch in den schwersten Leidenszeiten treulich in ihres Gottes Wegen zu wandeln, ohne zur Rechten oder zur Linken abzubeugen. Keine Verzweiflung kann sich ihrer bemächtigen. Es erweist sich alsdann, dass sie ihren Anker in den Grund eingesenkt haben, welcher ewig hält.
So möge nun der Herr euch verleihen einen Geist, in dem kein Falsch ist, ein Herz, das seine Sünden erkennt, bekennt und beklagt, dass ihrer los sein und fortan nicht mehr sündigen möchte. Dann wird Gott die Last von euch nehmen; die Hand, die jetzt vielleicht schon als eine schwere, strafende Hand auf euch lastet, wird zur heilenden, helfenden Hand werden; euer geängstigtes Herz wird Friede haben und Kraft zu allem Guten, Freudigkeit zu Gott und auf den Tag der Zukunft unseres Herrn Jesu Christi. Da werdet ihr reden wie David: „Wohl dem Menschen, dem die Übertretungen vergeben sind, und die Sünde bedeckt ist.“ Wo Vergebung der Sünde ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Amen.