Caspari, Karl Heinrich - Des Gottesfürchtigen Freud und Leid - Caspari - Wochenpredigt über Psalm 130.

Caspari, Karl Heinrich - Des Gottesfürchtigen Freud und Leid - Caspari - Wochenpredigt über Psalm 130.

Der 130. Psalm.

1. Ein Lied im höhern Chor.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.

2. Herr, höre meine Stimme,
Lass deine Ohren merken
Auf die Stimme meines Flehens.

3. So du willst, Herr, Sünde zurechnen,
Herr, wer wird bestehen?

4. Denn bei dir ist die Vergebung,
Dass man dich fürchte.

5. Ich harre des Herrn, meine Seele harrt,
Und ich hoffe auf sein Wort.

6. Meine Seele wartet auf den Herrn,
Von einer Morgenwache bis zur andern.

7. Israel hoffe auf den Herrn,
Denn bei dem Herrn ist die Gnade,
Und viel Erlösung bei ihm.

8. Und er wird Israel erlösen
Aus allen seinen Sünden.

Unser vorgelesener Psalm ist ein Bußpsalm.

Er enthält das Bekenntnis Davids, des Knechtes Gottes, das Bekenntnis eines Sünders; er enthält das Gebet Davids, das Gebet eines Mannes, der da weiß, dass Gott die Hoffärtigen straft. Es ist der Hilferuf einer gläubigen, jedoch von ihrer Sünde geängsteten Seele, kein Schrei der Verzweiflung, wie ein Kain ihn ausstößt, der nur von Sünde weiß und nicht von einer Vergebung der Sünde; sondern ein Ruf beides der demütigen, aufrichtigen Buße und zugleich des unverzagten Glaubens, wie beides jener dem Heiland wohlgefällige Zöllner zusammenfasst in die fünf Worte: „Gott sei mir Sünder gnädig!“

Seit Alters pflegte man sich mit diesem Psalm in unserer evangelischen Kirche zur Beichte vorzubereiten, weil das ganze Wesen der Buße, die Gott angenehm ist, darin ausgedrückt ist. Wir wollen auch heute, wo ihr zu Beichte und Abendmahl euch vorbereitet, zu diesem Zweck den Psalm brauchen, und der gnädige Gott, der euch jetzt zu seinem Gnadenschatz der Vergebung der Sünden ruft, öffne euch die Augen, zu erkennen, was die ihm wohlgefällige Buße sei, und er schenke euch dazu beides das Wollen und das Vollbringen. Zur Gott wohlgefälligen Buße gehört aber

I. ein tiefes Gefühl der Sündennot,
II. ein aufrichtiger Vorsatz, die Sünde zu lassen und zu hassen,
III. ein herzliches Verlangen nach Vergebung.

I.

„Aus der Tiefe rufe ich zu dir“, beginnt David. David ist hoch erhöht vor den Menschen, ein Königsthron ist sein eigen auf Erden hier vor Gott weiß er davon nichts. Er war, was höher zu achten, auch mit vielen herrlichen Tugenden geschmückt und von den Menschen darum geehrt und geliebt, und konnte viel guter Werke sich rühmen - hier aber, wo er sich prüfen will vor den Augen seines Gottes, weiß er davon nichts. Er weiß nur von großer, ihn drückender Schuld, er fühlt sich darniederliegen, als ob er vergehen müsste, er fühlt sich wie in einer Angstgrube unter der Last seiner Sünden, unter dem Gewicht des göttlichen Gerichtes, er fühlt, wie er im 69. Psalm sagt, das Wasser sich bis an die Seele gehen, er fühlt sich versinken im tiefen Schlamm, da kein Grund ist, in tiefem Wasser, und die Fluten wollen ihn ersäufen.

Sind solche unter euch, die mit groben Sünden befleckt sind und deren Leben in offenbarem Widerspruch steht mit den heiligen zehn Geboten - ihr könnt und werdet nur in einem einzigen Fall dieser Last los werden: ihr müsst vor Allem die Last fühlen. Wehe, wenn ihr wohl von Sünden, aber nicht von einer Sündennot zu sagen wisset. Wer sich nicht in der Tiefe fühlt, kann keinen ehrlichen Wunsch haben, herauszukommen; wer seine Sünde zu entschuldigen wagt, kommt nicht heraus, sondern sinkt immer tiefer von einer Sünde in die andere, von einer Verderbensgrube, die eben seine Sünde gräbt, in die andere - zuletzt in diejenige Tiefe, aus der es keine Errettung mehr gibt. Meinet nicht, das sei schon Gott gefällige Buße, wenn Gedanken der Reue euch flüchtig wie die Schatten einer Wolke durch die Seele ziehen; Buße ist nur da vorhanden, wo man in sich geht, mit Schrecken die Tiefe gewahrt, in die man gefallen ist, und diesen Schrecken nicht eher los wird, als bis man merkt, Gott höre auf die Stimme des flehenden Herzens und habe die Hand gereicht, um herauszuziehen.

Ihr aber, die ihr hierhergekommen seid, nicht mit groben Sünden beladen, die ihr keiner Tat euch bewusst seid, deren ihr euch vor Menschen zu schämen hättet, meint ja nicht, ihr brauchtet das Gefühl der Sündennot nicht zu haben. Meint nicht, euer Böses werde überreich aufgewogen von dem Guten, das ihr getan habt, die Sündenangst, die Zerschlagenheit des Herzens, die Traurigkeit über Sündennot könntet ihr Andern überlassen.

Zweierlei Art von Leuten gehen verloren, grobe Sünder, die ihre Sünden nicht bereuen, und gerechte und unbescholtene Leute, die da wähnen, nicht nötig zu haben, sich über ihre Sünden Sorge zu machen. Für euch schreibt David weiter: „So du willst, Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen?“ Wer? Der vielleicht, der nicht gemordet, nicht gestohlen, nicht die Ehe gebrochen, auch nicht falsch geschworen hat, keine giftigen Lügen. redet, keine Lästerzunge hat? Nein - kein einziger, der das Menschenherz in seiner Brust trägt, wird bestehen! Der Zorn gilt vor Gott als ein Totschlag, der Neid als ein Diebstahl, der unsaubere Gedanke als Ehebruch, der Argwohn als Verleumdung, der Kleinglaube als Lästerung, der Geiz, der Eigennutz, der Hochmut als Abgötterei, die Unterlassung des Guten als Ausübung des Bösen. Und wenn Jemand unter euch Hand und Mund rein gehalten hat von Sünden, wer wagt es, auch von seinem Herzen das zu rühmen? Wer nur zu bekennen hätte: „Ich weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch wohnt nichts Gutes“, der bekennt genug damit, um auch zu rufen: „Aus der Tiefe rufe ich Herr zu dir: straf mich nicht in deinem Zorn, großer Gott verschone!“ Denn „fleischlich gesinnt sein ist der Tod.“ Fragt aber auch weiter, wie viel ihr denn eigentlich von eurer Sündennot fühlet - ob allein die Not oder auch die Sünde? wovon ihr frei werden wollt, ob bloß von der Schuld, die die Sünde euch auflädt, oder auch von der Knechtschaft, in welcher die Sünde euch hält? Straflosigkeit begehren, ohne der Sünde den Dienst aufsagen zu wollen, von der Not der Sünden und von ihren Strafen frei werden wollen, von der Tiefe, in welche sie stürzt, errettet werden wollen, ohne von der Sünde selbst frei werden zu wollen, das ist keine Buße. Wir brauchen zur Buße auch zweitens

II.

den aufrichtigen Vorsatz, die Sünde zu lassen und zu hassen. „Denn bei dir ist die Vergebung“, fährt David fort, „dass man dich fürchte.“ Also nicht dazu ist Vergebung bei ihm, dass man sündigen könne, ohne sich zu fürchten, dass man ohne Gewissensangst sündigen könne, nicht dazu, dass man der Schuld ledig werde, um dann der Sünde selbst von Neuem sich ergeben zu können, sondern dazu, dass man ihn fürchte, dass man des Heilands Gebot erfülle: „Sündige hinfort nicht mehr, auf dass dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.“

Des Heilands Wort: „Niemand kann zwei Herren dienen“, ist so klar, und doch geht der Mensch so schwer daran, Ernst damit zu machen! Wollet euch daher jetzt, meine Lieben, zur Vermeidung aller Selbsttäuschung und alles Selbstbetruges alle die Sünden ins Gedächtnis zurückrufen, welche ihr jetzt herzubringt mit dem Wunsch und in der Hoffnung, ihrer Schuld ledig zu werden und statt der Unruhe, die sie euch machen, den Trost mit hinweg zu nehmen: sie sind mir vergeben; und wollt euch dabei die Frage vorlegen, ob euch nicht bloß die Strafe, welche diesen Sünden gedroht ist, sondern auch die Sünde selbst als eine große Not erscheint; ob ihr euch rühmen könnt, diese Sünden zu hassen, und ob ihr den ernstlichen Vorsatz gefasst habt, sie fortan zu lassen? Lasst mich selbst einige ins Einzelne gehende Fragen an euch richten, die ein jeder vor Gott und seinem Gewissen beantworten möge!

Hat Jemand seinen Nächsten ungerecht übervorteilt - ist er entschlossen, das Sündengeld nicht länger mehr zu besitzen, sondern zurückzuerstatten, was dem Andern gehört? Hat Einer die Welt, seinen Reichtum oder seinen Rang oder sein Vergnügen zu seinem Abgott gemacht - ist er nun fest entschlossen, hinfort das Herz Gott zu geben? Lebt Jemand in offener Feindschaft oder verdeckter Abneigung (vielleicht jahrelang nur in Gedanken) gegen einen Nebenmenschen - ist ihm solch' ein Herzenszustand jetzt ein Gräuel und ist er bereit, die Hand zur Versöhnung zu reichen? Lebt Jemand in einem strafbaren Verhältnis, das Gottes Wort als Sünde und Schande brandmarkt ist er entschlossen, es zu zerreißen und es für immer zerrissen sein zu lassen? Ist jemand nachlässig in der Erfüllung seiner elterlichen oder kindlichen Pflichten, oder der Pflichten seines Standes und Berufs, dabei vielleicht hart und unerbittlich gegen jedes Unrecht des Nächsten, ein unbarmherziger Richter fremder Sünde - hält er das nunmehr wirklich für unverantwortlich und unentschuldbar, und ist er entschlossen, hinfort mit aller Treue seine Pflichten zu erfüllen? Hat Jemand einen Umgang, eine Freundschaft, eine Gesellschaft, die ihm ein Hindernis in der Gottseligkeit ist und ihm bisher immer oder doch oft oder wenigstens manchmal eine Veranlassung zur Sünde wurde ist er entschlossen, den Umgang abzubrechen und die Veranlassung zu fliehen? Muss sich Jemand anklagen, dass er Gottes Wort und seine heiligen Sakramente versäumt hat, dass er den Seinen darin mit schlechtem Beispiele vorangegangen ist erschrickt er vor solcher Sünde und gelobt er sich, fortan mit aller Treue und allem Fleiße die Heilsmittel zu gebrauchen, welche Gottes Gnade ihm gewährt? Hat Jemand der wohlgemeinter Ermahnung einer treuen, wohlmeinenden Seele Hohn, Spott, kalte Selbstsucht entgegengesetzt, im offenen schreienden Unrecht Recht behalten wollen und den Zorn zum fortglimmenden Groll werden lassen wohlan, ist der Hass gebrochen, steht der Vorsatz fest, hinfort Ernst zu machen mit dem Gelöbnis: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen?“ Wer zwar mit dem Bekenntnis seiner Sündennot hierher kommt, jedoch ohne diese Vorsätze, der beabsichtigt, zwei Herren zu dienen; dem gilt das Wort: „Was verkündigst du meine Rechte und nimmst meinen Bund in deinen Mund, so du doch Zucht hasst, und wirfst meine Worte hinter dich?“ Ein solcher begehrt nicht die Vergebung, dass er Gott fürchte, sondern nur, damit er seinem Gewissen ein Ruhekissen unterbreite, um unbehelligt in seinen Sünden fortzufahren es wird ihm nicht gelingen! Wer aber mit dem festen Vorsatz, seine Sünde zu hassen und zu lassen, hierhergekommen ist, der betrachte nun auch noch das dritte

III.

Stück, das zur wahren Buße gehört: herzliches Verlangen nach Vergebung seiner Sünden. So notwendig es zur wahren Buße ist, man seine Sünde lasse und hasse, so ist doch man sie zuvor geübt und geliebt hat, nicht gut gemacht. Nichts von dem, was in unsrer Kraft steht, kann eine begangene Sünde wieder gut machen; durch kein gutes Werk, durch kein Nichtmehrtun, durch keine Büßung, die man sich etwa auferlegen möchte, auch wenn sie noch so bitter wäre, durch kein Nachgrübeln über einzelne Sünden und keine Selbstpeinigung, durch keines von allen diesen Mitteln vermag sich ein Sünder aus der Tiefe herauszuarbeiten. Nur dadurch allein kann ihm Rettung werden, dass er von Gott Vergebung begehrt, dass er eben kurzweg aus der Tiefe zum Herrn schreit. Aus der Tiefe ruft daher David zu ihm: „Ich harre des Herrn, meine Seele harrt, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn, von einer Morgenwache bis zur andern.“

Jede eurer Sünden, Geliebte in dem Herrn, erkennt ihr nur dann in ihrer wahren Gestalt, wenn ihr darin nicht bloß eine Sünde gegen andere Menschen und gegen euch selbst, sondern vor Allem eine Sünde gegen Gott erkennt, wenn ihr aus vollem Herzen bekennt: „An dir, o Gott, an dir allein hab ich gesündigt“; und eure Reue ist nur dann die rechte, wenn euch das vor Allem auf das Herz fällt, dass ihr nicht Menschen gekränkt habt oder euch selbst in dem Weg gestanden seid, sondern dies, dass ihr den Herrn euern Gott damit beleidigt habt, und wenn ihr das Herzeleid heißt, den Herrn euern Gott verlassen und ihn nicht gefürchtet zu haben. Steht es so um eure Buße, dann ist euch nichts so teuer als Sündenvergebung: ihr harret des Herrn, eure Seele und euer innerster Mensch mit all seinen Bedürfnissen und all seinen Kräften harrt des Herrn, dass er aus der Tiefe euch emporführe und wieder auf festen Grund und Boden stelle. Und dies euer Harren ist kein unbestimmtes, ihr hofft vielmehr wie David auf sein Wort, auf ein klares, bestimmtes Wort von ihm, nämlich auf das Wort: „Dir sind deine Sünden vergeben“; es ist auch kein vorübergehendes, etwa nur in einzelnen Stimmungen vorhandenes, dann aber wieder dahin schwindendes, ihr wartet vielmehr auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern.

Durch solches Harren auf des Herrn Hilfe wird es euch gelingen. David schließt seinen Psalm nicht, ohne feierlich zu bezeugen, dass dieses Harren nicht umsonst sei. Er hat die Erfahrung an seiner eigenen Seele gemacht, darum kann er auch andere harrende Seelen damit trösten. „Israel“, lautet sein Wort, „hoffe auf den Herrn, denn bei dem Herrn ist die Gnade, und viel Erlösung bei ihm; und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.“ Dies Wort ist auch für euch geschrieben, meine Lieben. Kommt ihr mit solch wahrer Buße, solch tiefem Gefühl eurer Sünde, solch ernstlichen Vorsätzen, solch herzlichem Verlangen, - dann wird das Wort, das ihr am morgenden Tag hören werdet in der heiligen Beichte: „Eure Sünden sind euch vergeben“, dann wird des Herrn Abendmahl, das jedem einzelnen unter euch dafür Brief und Siegel gibt, dass das Wort der Verheißung auch ihm gelte, eurer Seele Labsal sein. Der, welchen David nur zukünftig schaute, ihr aber bereits gekommen wisst, der Heiland Jesus Christus wird dann zu euch sprechen: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“; und was er verheißt, das wird er auch halten, indem er euch seinen heiligen Leib zur Speise, sein teures Blut zum Trank, und damit Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit gibt. Ihr werdet dann, wie jener Zöllner, gerechtfertigt hinweggehen in euer Haus; nach der Tiefe, in die eure Sünde euch gestürzt, werdet ihr in eine andere Tiefe schauen, in die Tiefe der Barmherzigkeit Gottes, der nicht will, dass Jemand verloren gehe, in die Tiefe des teuer werten Wortes, dass Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, und werdet mit demselben David, der euch gelehrt hat aus der Tiefe zu rufen, zugleich sprechen: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Amen.

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