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Calvin, Jean - Psalm 79.

Calvin, Jean - Psalm 79.

Inhaltsangabe: Der Psalm ist eine Wehklage der schwer geplagten Gemeinde, worin die Gläubigen einerseits ihre unheilvollen, empörenden Niederlagen beweinen und das Wüten der Feinde anklagen, anderseits aber doch auch bekennen, dass sie verdientermaßen gezüchtigt werden. Sie nehmen also in Demut ihre Zuflucht zu Gottes Barmherzigkeit, indem sie ihre Hoffnung hauptsächlich darauf stützen, dass sie sehen, wie das ihnen zugefügte Unglück mit einer Beschimpfung Gottes selbst verbunden ist, indem die Gottlosen nach Unterdrückung der Gemeinde seinen heiligen Namen lästern.

V. 1 bis 3. Gott, es sind Heiden usw. Dieser Psalm lässt, wie andere, deutlich erkennen, dass er lange nach Davids Tode verfasst wurde. Denn was etliche dagegen vorbringen, es seien die Niederlagen der Gemeinde prophetisch vorausgesagt, damit die Nachkommen sich dadurch zum geduldigen Tragen des Kreuzes ermuntern ließen, das entbehrt des Grundes. Denn in ihren Voraussagen pflegen die Propheten nicht in dieser erzählenden Weise zu sprechen. Und wer ohne Vorurteil den Zusammenhang erwägt, wird leicht selbst zur Einsicht kommen, dass der Psalm entweder damals verfasst wurde, als der Tempel verbrannt und die Stadt von den Assyrern verwüstet war und das Volk in die Verbannung geschleppt wurde, oder damals, als der Tempel von Antiochus durch viele Blutbäder besudelt wurde. Auf beide Zeitpunkte passt nämlich der Inhalt trefflich. Nehmen wir also bestimmt an, diese Klage sei den Frommen zu einer Zeit in den Mund gelegt worden, als es mit der bedrückten Gemeinde verzweifelt stand. Es ist ja bekannt, wie grausam die Assyrer gewütet haben. Und wenn unter dem Tyrannen Antiochus jemand Miene machte, den Dienst Gottes in Schutz zu nehmen, der musste alsbald seinen Hals dem Henker darbieten. –

Zuerst nun klagt der Prophet im Namen der Gläubigen über die Entweihung des Tempels und die Zerstörung der Stadt, sodann (V. 2 f.) darüber, dass die Heiligen samt und sonders getötet und ihre Leichname ohne ehrliches Begräbnis weggeworfen worden seien. Fast jedes Wort drückt Entrüstung aus. Denn nachdem Gott einmal jenes Land für sein Volk auserwählt hatte, war es durchaus nicht zu billigen, dass es heidnischen Völkern preisgegeben wurde, um von ihnen voll Verachtung mit Füßen getreten und nach ihrer Willkür zerstückelt zu werden. Also beschwert sich der Prophet wie über eine Verkehrung der natürlichen Ordnung, indem er sagt, es seien Heiden ins Erbe Gottes eingedrungen. Die Zerstörung des Tempels aber, wovon er an zweiter Stelle handelt, war noch unerträglicher, weil dadurch der Gottesdienst auf Erden erlöschen und die Religion untergehen musste. Er fügt bei, sie hätten „aus Jerusalem“, der königlichen Residenz Gottes, Steinhaufen gemacht, also eine unförmliche Ruine. Weil aber die Entweihung des Tempels und die Verwüstung der heiligen Stadt nicht ohne Lästerung Gottes hatte geschehen können, so musste sie mit Recht Gottes Rache über die Feinde herbeirufen. So weist der Prophet darauf in erster Linie hin und geht dann an zweiter Stelle zum Mord an den Gläubigen über. Die Grausamkeit der Feinde wird noch besonders durch den Umstand bezeichnet, dass sie die Knechte Gottes nicht nur niedermachten, sondern auch ihre Leiber den wilden Tieren und Vögeln zum Raube vorwarfen. Ein gewisses Maß von heiliger Scheu hat sonst die Menschen noch immer so weit zurückgehalten, dass sie selbst den Feinden das ehrliche Begräbnis nicht vorenthielten. Folglich sind Menschen, die ein barbarisches Vergnügen daran finden, die Toten zerreißen zu sehen, entsetzlichen Bestien zu vergleichen. Ihr Wüten, das über gewöhnliche Feindesart hinausgeht, zeigt sich auch darin, dass sie mit Menschenblut nicht schonender umgingen als mit Wasser, so blutgierig waren sie. Wenn nun der Verfasser beifügt: und war niemand, der begrub, so erstreckt sich das auch auf die Brüder und Verwandten und deutet an, es habe ein solcher Schrecken geherrscht, auch hätten die Feinde derart auf Schritt und Tritt jeden Begegnenden niedergemacht, dass sich niemand mehr auf die Gasse wagte. Und da Gott in der Bestattung der Menschen in gewissem Sinne ein Zeugnis der einstigen Auferstehung aufstellen wollte, so war es doppelt empörend, den Heiligen dieses Recht im Tode zu nehmen. Man fragt jedoch, warum Gott, der sonst solche Strafe etwa den Gottlosen ankündigt, es zuließ, dass seine Gläubigen von Bestien zerrissen wurden. Demgegenüber ist festzuhalten, was wir anderswo gesagt haben, nämlich dass die zeitlichen Strafen, die nur das Fleisch treffen, den Auserwählten und den Gottlosen gleicherweise zustoßen. Nur im Ausgang zeigt sich der Unterschied, indem Gott den Gläubigen das, was von Natur ein Zeichen des Zorns war, zum Heil ausschlagen lässt. Und vom Begräbnis gilt durchaus dasselbe wie vom Tode selbst. Es widerfährt selbst den besten Knechten Gottes, dass sie grausam getötet werden, wie es sonst den blutgierigen Leuten und sonstigen Verächtern Gottes als Strafe zukommt. Deswegen hört aber der Tod der Heiligen nicht auf, vor Gott wert geachtet zu sein; sondern wenn Gott es hat geschehen lassen, dass sie dem Fleische nach ungerechterweise unterdrückt wurden, so zeigt doch seine nachfolgende Vergeltung, wie teuer sie ihm waren. Gottlose beraubt er des Begräbnisses, um ihnen noch im Tode den Stempel seines Zorns aufzuprägen, wie er Jer. 22, 19 einem gottlosen König ein Eselsbegräbnis androht. Wenn er nun die Seinen einer ähnlichen Misshandlung aussetzt, so mag man wohl eine Zeitlang meinen, er verlasse sie, aber hernach wendet er es ihnen zur Förderung ihres Heils, indem ihr Glaube, in dieser Trübsal bewährt, einen neuen Sieg erringt. Wenn man nämlich ehemals die Toten einbalsamierte, so geschah diese Zeremonie eigentlich im der Überlebenden willen, damit sie die Hoffnung auf ein besseres Leben in ihren Gemütern hegten, indem sie den Leichnam so wohl verwahrt sahen. Die Gläubigen können darum ohne Schaden unbestattet bleiben, da sie im Glauben sich über solche vermittelnde Stützen hinwegsetzen und der seligen Unsterblichkeit entgegeneilen.

V. 4. Wir sind unsern Nachbarn eine Schmach worden. Diese weitere Beschwerdeführung soll Gottes Erbarmen erregen. Je übermütiger die Gottlosen uns beschimpfen, desto näher ist die Hoffnung auf Errettung, da Gott die Frechheit jener Leute nimmermehr dulden kann, wenn sie so unbändig sich erhebt, insonderheit wenn die Beschimpfung sich auch noch auf den heiligen Namen Gottes erstreckt. Und die Nachbarn, die teils Abtrünnige oder entartete Kinder Abrahams, teils sogar ausgesprochene Religionsfeinde waren, enthielten sich, wenn sie das arme Volk quälten, gewiss auch der Lästerungen nicht. Die Gläubigen beklagen sich also weniger darüber, dass sie persönlich Spott leiden müssen, sondern dass von diesem Spott Gott und sein Gesetz mitbetroffen werden.

V. 5. Herr, wie lange usw. Mit diesem Ausdruck wird ein langes Andauern des Leidens angedeutet, ein Leiden, dessen Ende auch noch nicht abzusehen ist. Wir erkennen daran, dass die Gemeinde nicht schon in den ersten Monaten ihrer Heimsuchung sich zu dieser Klage bewegen ließ, sondern erst, als die Gemüter vor Leidensüberdruss fast am Ende ihrer Widerstandskraft waren. Übrigens bekennen hier die Gläubigen, dass sie nur infolge des Zornes Gottes von so vielen Leiden befallen seien; denn da sie gewiss sind, dass die Gottlosen mit allem, was sie unternehmen, nichts vermögen, als was Gott ihnen zulässt, so können sie von da aus leicht den Schluss ziehen, dass er beleidigt und erzürnt sei, da er den heidnischen Feinden so viel Freiheit einräumt. Anders würden sie auch nicht ihre Rettung von Gottes Hilfe erwarten können: denn nur er, der den Feinden die Zügel gelockert hat, kann sie auch wieder fester anziehen. Und wenn unter Gottes Rutenstreichen unser Gewissen uns schuldig spricht, so veranlasst uns das ja besonders, auf die Winke seiner Hand zu achten. Die Gläubigen beschuldigen Gott nicht eines ungerechten Zornes, sondern erkennen an, dass sie mit Recht geschlagen werden. Allein wenn auch Gott an seinen Knechten immer etwas zu strafen findet, so verfährt er doch oft nach seiner Huld schonend gegen ihre Vergehen und schickt ihnen das Kreuz in der Absicht, sie zu üben, wie er die Geduld des Hiob auf die Probe stellen wollte und späterhin die Märtyrer eines ehrenvollen Kampfes würdigte. Hier nun stellt das Volk selbst sich freiwillig vor Gottes Gericht und schreibt die Schuld an den Missgeschicken, die es auszustehen hat, seinen Sünden zu, so dass wir Grund haben zu der Annahme, der Psalm sei zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft verfasst worden. Denn unter der Herrschaft des Antiochus betete man ganz anders, nämlich (Ps. 44, 18 f.): „Wir haben deiner nicht vergessen, noch untreulich in deinem Bund gehandelt; unser Herz ist nicht abgefallen, noch unser Gang gewichen von deinem Weg, und doch ist dies alles über uns gekommen.“ Nicht dass die Gläubigen wider Gott murrten; aber sie wussten, Gott habe ein anderes Ziel vor Augen, als die Sünden zu strafen. Durch jene harten Kämpfe bereitete er sie zu zum Siegespreis der himmlischen Berufung.

V. 6 u. 7. Schütte deinen Grimm usw. Dieser Wunsch scheint dem Gesetz der Liebe zuwiderzulaufen. Denn selbst unter der Angst eigener Leiden sollte jedermann den Wunsch haben, auch die Lage anderer erleichtert zu sehen. Es scheint also eine verkehrte Gesinnung zu verraten, wenn Gläubige den Ungläubigen den Untergang wünschen, während ihnen vielmehr deren Heil am Herzen liegen sollte. Aber wir müssen festhalten, was wir anderwärts gesagt haben: um diese Bitte in richtiger Weise zu tun, muss einer für das öffentliche Wohl eingenommen sein, so dass private Beleidigungen ihn nicht reizen und er sich nicht von fleischlicher Leidenschaft gegen die Feinde fortreißen lässt, vielmehr sich selbst vergisst und seine Teilnahme und Fürsorge dem allgemeinen Heil der Gemeinde zuwendet. Sodann gilt es, um den Geist der Klugheit und der Urteilskraft zu bitten, damit den Beter nicht ein unüberlegter Eifer treibe. Dazu kommt, dass die Gläubigen, abgesehen von der selbstlosen Sorge für die Gesamtgemeinde, vor allem ihre Blicke auf Christus richten und seine unverbesserlichen Feinde dem Untergange weihen. Sie brechen also nicht unüberlegt in diese Bitte aus, Gott wolle den und den verderben, nehmen auch nicht Gottes Urteil vorweg, sondern wünschen den Gottlosen das Urteil, das sie verdienen, und warten unterdessen in Geduld, bis der himmlische Richter die Bösen von den Auserwählten scheidet. Sie wünschen, es möchten alle gerettet werden, wissen aber, dass es eben gewisse, unverbesserliche Feinde Christi gibt, deren der gewisse Untergang wartet.

Ganz gelöst ist freilich die Frage damit noch nicht; denn wenn die Gläubigen im folgenden Vers die Grausamkeit der Feinde anklagen, so scheinen sie nach der Rache lüstern zu sein. Aber wir müssen festhalten, was ich vorhin sagte: Es dürfen auf diese Weise nur solche beten, die ohne Rücksicht auf sich selbst sich die Sorge für die gesamte Gemeinde lassen angelegen sein, ja, die Christus, das Haupt der Gemeinde, vor Augen haben, die endlich unter der Leitung des Geistes die Gedanken erheben zum Gerichte Gottes und, zum Vergeben bereit, nicht irgendwelche persönlichen Widersacher, sondern nur die Gottlosen für todeswürdig erklären. Denn Leute, die voreilig, noch ehe die Hoffnung auf Besserung der Feinde geschwunden ist, auf deren Bestrafung dringen, hat Christus wegen ihres vorschnellen Eifers gescholten mit dem Wort (Lk. 9, 55): „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?“ Dazu kommt noch, dass die Gläubigen nicht schlechtweg den gottlosen Verfolgern der Gemeinde das Verderben anwünschen, sondern nach ihrem Vorrecht zu vertraulichem Verkehr mit Gott bewegen sie diese Gedanken im Herzen: Wie kommt es, Herr, dass du uns so hart schlägst, über die doch dein Name genannt ist, gegen heidnische Völker aber, die dich verschmähen, Nachsicht übst? Endlich deuten sie auch an, Gott habe reichlich Anlass, seinen Zorn auszuüben, weil nicht sie allein in der Welt gesündigt haben. Wenn es uns aber auch nicht zusteht, dem Herrn etwas vorzuschreiben, sondern wir uns vielmehr geduldig in jene Regel schicken müssen, dass das Gericht anfängt am Hause Gottes, so wird es doch den Gläubigen verziehen, wenn sie sich erlauben, zu begehren, dass es ihnen nicht schlimmer ergehe als den Ungläubigen und Gottesverächtern. In den beiden Sätzen: „die dich nicht kennen“ und: „die deinen Namen nicht anrufen“, die einerlei Sinn haben, drückt der Prophet aus, dass man Gott nicht anrufen könne, ohne ihn vorher erkannt zu haben, wie dies auch Paulus lehrt (Röm. 10, 14). Denn es steht uns nicht zu, zu antworten: „Du bist unser Gott“, wenn er nicht zuvor uns angeredet hat (Hos. 2, 25): „Ihr seid mein Volk.“ Er öffnet uns den Mund erst dadurch, dass er uns zu sich einlädt. Die Anrufung des Namens Gottes beschränkt sich freilich nicht auf das eigentliche Bitten, doch bleibt auch so der Grundgedanke sich gleich, nämlich: wenn nicht die Erkenntnis Gottes uns leitet, so können wir nicht aufrichtige, echte Frömmigkeit bezeugen. Damals rühmten sich auch die Heiden alle ihrer Gottesverehrung; allein da sie der Unterweisung durch sein Wort ermangelten und ihre Erfindungen und Wahngebilde bei ihnen Gottes Stelle vertragen, war alles, was sie unternahmen, verwerflich.

V. 8. Gedenke nicht usw. Die Gläubigen bestätigen hier das, was sie vorhin kürzer und weniger deutlich berührt haben, nämlich dass sie gerechte Strafen ihrer Sünden leiden. Denn sobald die Versöhnung zustande gekommen ist, steht auch eine Erleichterung der Leiden zu hoffen. Gegen alle Übel ist ja dies das erste Heilmittel, dass Gott uns zu Gnaden annimmt. Zürnt er, dann verkehrt sich selbst unser Gedeihen in Unglück. Unter den „vorigen Missetaten“ verstehen manche die von den Vätern begangenen, andere die, welche die Bittenden selbst seinerzeit als Knaben oder Jünglinge verübt haben. Ich meine, der Ausdruck habe einen weiteren Sinn, nämlich dass die Bittenden sich nicht bloß des einen und anderen Vergehens, etwa aus neuerer Zeit, schuldig bekennen, sondern gestehen wollen, dass sie schon von lange her samt ihren Vätern in mannigfaltige Verschuldung verstrickt seien. So bekennen sie ihre langjährige Hartnäckigkeit, in der sie sich gegen Gott verhärtet hatten. Und dieses Bekenntnis entspricht dem, was die Propheten in der heiligen Geschichte nachweisen, dass die Strafe der Verbannung so lange aufgeschoben wurde, bis Gott zur Genüge erfahren hatte, dass die Bosheit des Volkes unheilbar sei. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Söhne die Schuld der Väter abbitten, da ja das Gesetz bekannt gibt, dass Gott die Übertretungen der Väter an den Kindern heimsuchen will bis ins dritte und vierte Glied. Man bemerke übrigens den Gegensatz zwischen den „vorigen Sünden“ und dem Wunsche, Gott möge sich „bald“ erbarmen. Wenn er nämlich alles da hätte zur Rechenschaft ziehen wollen, was die Israeliten während drei bis vier Jahrhunderten gesündigt hatten, dann hätte auch die Erlösung lange auf sich warten lassen müssen. Es bitten also die Gläubigen, Gott wolle ihre vorigen Schulden tilgen und eilend Hilfe bringen. Und da gerade ihre Sünden der Erlösung verzögernd und hindernd im Wege stehen, so wird nicht umsonst gebeten: „Erbarme dich unser bald!“

V. 9. Hilf du uns. In diesem Vers wiederholen die Gläubigen abermals, dass alles, was sie an Schlägen zu dulden haben, vom Zorne Gottes herrühre und dass sie im Leiden anders keinen Trost finden können, als wenn sie Gottes Gunst erlangen. Und weil sie denn sich vieler Vergehen bewusst sind, so führen sie, um ihre Hoffnung auf Vergebung zu bekräftigen, mehrerlei Gründe an. Zuerst suchen sie Gottes Gunst dadurch zu erlangen, dass sie ihm den Titel „Gott, unser Helfer“ beilegen. Sodann bezeugen sie, dass sie aus sich selbst nichts haben, was Gottes Erbarmen begründen könnte, und halten ihm deshalb wenigstens seine eigene Ehre vor. Das zeigt uns, dass die, die gesündigt haben, nicht durch eigene Genugtuung oder irgendwelche verdienstlichen Werke, sondern nur durch freie Vergebung mit Gott versöhnt werden. Auch das wollen wir festhalten, was ich kürzlich berührte und zum sechsten Psalm näher ausgeführt habe, nämlich dass wir, wenn Gott uns züchtigt, nicht nur Linderung der äußeren Strafen wünschen, sondern vor allem darauf bedacht sein sollen, dass Gott versöhnt werde, also anders als törichte Kranke, die nur wünschen, dass die Krankheitserscheinungen aufgehoben werden, aber an die Ursache der Krankheit nicht denken. Von dem Wort „vergeben“ ist anderswo schon geredet worden. Eigentlich heißt es „sühnen“ und wird im Hinblick auf die Opfer gebraucht. So oft wir also die Versöhnung mit Gott wünschen, wollen wir uns des Todes Christi erinnern, da es ohne Blutvergießen keine Vergebung der Sünden gibt (Hebr. 9, 22).

V. 10. Warum lässt du usw. Noch in einem weiteren Sinne halten nun die Gläubigen dem Herrn seinen Namen entgegen, nämlich Gott wolle ihn doch nicht den Schmähungen und Verwünschungen seitens der Gottlosen aussetzen. Das mahnt uns daran, dass wir verkehrt bitten, wenn wir nicht einfältigen Herzens die Sorge um unser Heil mit dem Eifer um Gottes Ehre verbinden. Im zweiten Teil des Verses erhebt sich dieselbe Frage, die schon vorhin besprochen wurde. Obgleich nämlich Gott aussagt, er wolle unser Rächer sein, so wird doch nicht jedem diese Bitte um Rache in den Mund gelegt, damit er etwa seiner persönlichen Leidenschaft fröne, sondern man soll unter Leitung und im Gehorsam des heiligen Geistes gegenüber den Verworfenen für das Anliegen der Gesamtgemeinde einstehen. Damit wir also richtig beten mögen, soll vor allem der Geist der Weisheit uns erleuchten. Sodann sei der Eifer besonnen und rein, entgegen den hässlichen Leidenschaften des Fleisches, die ihn trüben wollen. Solch lauterem und gemäßigtem Eifer ist es dann gestattet, zu bitten, dass Gott durch deutliche Beispiele vor unseren Augen kundtue, dass das Leben seiner Knechte ihm teuer sei und dass er ihr Blut räche. So wollen auch hier die Gläubigen nicht blutdürstige Wünsche hegen; sie begehren nur eine Stärkung ihres Glaubens durch Gottes Vaterliebe, die in Vergeltung der Unbill sich kundgibt. Es ist darum bemerkenswert, dass Leute, die doch gerechte Strafe wegen ihrer Sünden erleiden, Knechte Gottes genannt werden. Ob auch Gott uns züchtigt, verwirft er uns deswegen doch nicht so gar, dass er nicht seine Fürsorge für unser Heil bewiese. Sodann wissen wir: wenn Gottes Zorn über die Gemeinde insgesamt ergeht, weil darin Gute und Böse vermischt sind, so werden sie eben gemeinsam heimgesucht, wie ja auch ein Hesekiel, ein Jeremia, ein Daniel und andere in die Gefangenschaft geschleppt wurden. Denn ob sie wohl nicht geradezu schuldlos waren, so ist doch so viel gewiss, dass nicht um ihretwillen dem Volke das große Unglück widerfuhr; eher wurde dasselbe an ihrer Person den Gottlosen vor Augen gehalten, damit es ihnen desto eher zu Herzen gehe.

V. 11. Lass vor dich kommen usw. Da das Volk Gottes damals, als der Geist dieses Bittgebet erzeugte, ohne Zweifel in der Verbannung lebte, so denkt der Prophet, wenn er von den „Gefangenen“ redet, ganz allgemein an die Volksgenossen, die im Gebiete von Assyrien und Chaldäa eingeschlossen gehalten wurden und dasselbe bei Todesstrafe nicht verlassen durften. „Kinder des Todes“ nennt er sie als solche, die in Anbetracht ihrer Gefangenschaft gleichsam dem Tode geweiht waren. Doch kann man den Ausdruck auch enger fassen und auf die wenigen beziehen, die in strengere Haft übergeben worden waren. Der Prophet deutet mit diesem Worte an, dass jene unbändigen Geister, die ehedem sich gegen Gott aufgelehnt hatten, nun gebrochen und wahrhaft gedemütigt waren. Und nach dem „großen Arm“ ruft er, weil man ohne ein hervorragendes Wunder nicht mehr auf eine Wiederherstellung der Gemeinde hoffen konnte.

V. 12 u. 13. Und vergilt usw. Von der Rache ist bereits genügend geredet worden. Hier zeigen die Gläubigen noch deutlicher, dass sie nicht sowohl von eigenem Ungemach bewegt werden als von frommem Eifer glühen, da sie sehen, wie Gottes heiliger Name beschimpft wird. Und wenn dieser Sinn in uns herrscht, so wird er die Zügellosigkeit des Fleisches leicht bezähmen. Tritt dann aber die Klugheit des heiligen Geistes hinzu, dann stimmen unsere Bitten mit dem gerechten Urteil Gottes völlig überein. Im letzten Vers sprechen die Gläubigen aus, ihre Befreiung werde diese Frucht bringen: Wir verkündigen deinen Ruhm. In anderer Absicht sollen auch wir unser Heil niemals wünschen. Und Gott selbst teilt uns eben deshalb aus Gnaden alles reichlich mit, nur um seine Güte ins Licht zu stellen. Sie wollen sich aber nicht nur für eine kurze Zeit dankbar erweisen, sondern für und für soll das Andenken daran bleiben und von Geschlecht zu Geschlecht den Nachkommen überliefert werden.

Es ist auch zu bemerken, wie der Prophet die Juden als „dein Volk und Schafe deiner Weide“ bezeichnet. War doch die Nachkommenschaft Abrahams dazu auserlesen, den Namen Gottes zu preisen, und sein Lob erscholl in Zion. Wenn nun jenes Volk erlosch, was anders stand dann zu erwarten, als dass Gottes Name selbst unterginge? Ohne Zweifel entspricht darum diese Stelle der Weissagung des Jesaja (43, 21): „Dies Volk habe ich mir zugerichtet, es soll meinen Ruhm erzählen.“

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