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Calvin, Jean - Psalm 62.

Calvin, Jean - Psalm 62.

Inhaltsangabe: Dieser Psalm enthält zum guten Teil Betrachtungen, mit welchen David sich und andere zur Hoffnung auf Gott ermuntert und wider den Angriff von Anfechtungen wappnet und rüstet. Weil aber nichts näher liegt, als dass unsere Sinne sich durch die trügerischen Lockungen der Welt von Gott abziehen und wankend machen lassen, so greift er dies eitle Wesen kräftig an, um sich und andere bei Gott allein festzuhalten.

1 Dem Musikvorsteher: ein Psalm Davids für Jeduthun. 2 Ja, meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. 3 Ja, Er ist mein Hort, meine Hilfe, mein Schutz, dass mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist.

V. 1.

Für Jeduthun. Dies könnte wie Ps. 39, 1 etwa besagen, dass der Psalm dem Jeduthun übergeben wurde, damit er ihn singe. Da aber hier der Ausdruck im Hebräischen eine kleine Abweichung zeigt, die sich in der Übersetzung kaum wiedergeben lässt, so wäre auch möglich, dass er bei den Nachkommen des Jeduthun verwahrt werden sollte.

V. 2.

Ja, meine Seele ist stille zu Gott. Bei dieser Übersetzung wird klar, dass der Psalm wie mit einem abgerissenen Wort anhebt, wie dies seinem erhabenen Zuge recht wohl entspricht. Ebenso ist es Ps. 73, 1, wo der heilige Sänger seine Gedanken aus den Zweifeln zusammenrafft, die ihn umtrieben, alle Gegengründe abschneidet, die wider seinen Glauben sprechen, und erklärt: „Israel hat dennoch Gott zum Trost.“ Genau so deute ich auch den Anfang des gegenwärtigen Psalms. Wissen wir doch, dass das Gemüt der Gläubigen niemals derartig gesammelt ist, dass sie nicht oft durch hin und her flutende Gedanken umgetrieben würden. Gewiss wollen sie Gottes Wort in sanftem Schweigen annehmen und stille halten, wenn er sie züchtigt. Daneben aber regen sich viele ungezügelte Stimmungen und stören das Schweigen des Glaubens und der Geduld. So braust der Mensch auf, bereitet sich selbst durch seine Ungeduld Beschwer und Unruhe und wird ein Aufrührer wider Gott. In einem solchen Augenblick hebt nun der Psalm an. David unterdrückt gewaltsam seinen aufrührerischen Sinn und bekräftigt seinen Entschluss mit dem Wort: „Ja, meine Seele ist stille.“ Andere übersetzen allerdings: „Nur zu Gott ist meine Seele stille.“ Aber unsere Auffassung, die in dem betreffenden hebräischen Wörtlein einen verborgenen Gegensatz angedeutet findet, erscheint passender. Dass David stille sein will, bedeutet, dass er das Kreuz geduldig und mit ruhigem Gemüte zu tragen sich entschließt. Die innere Stille ist also der Gegensatz zu der Unruhe, mit welcher der Mensch sonst gegen Gott antobt: der Gläubige beruhigt sich bei Gottes Verheißungen, gibt seinem Wort Raum, unterwirft sich seiner Verfügung und dämpft den Lärm der leidenschaftlichen Erregung seines Herzens.

V. 3.

Ja, er ist mein Hort. Auch hier wiederholt sich der gleiche Anfang wie im vorigen Verse. Denn es genügt nicht, dass die Gläubigen nur in einer Schlacht Sieger bleiben: Satan erregt immer neue Kämpfe. Darum hebt David, obgleich er soeben schon aus dem Abgrund empor getaucht war, von neuem zu ringen an: denn er hat noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden. So wiederholt sich denn das „Ja“ in unserm Psalm sechsmal. Aus demselben Grunde redet David auch den Herrn mit immer neuen Namen an: Er ist nicht bloß sein Hort, sondern auch seine Hilfe und sein Schutz. Jeder dieser Namen ist ein Schild, welcher Satans Pfeile auffängt und zurückwirft. Wenn David weiter die Zuversicht ausdrückt, dass ihn kein Fall stürzen wird, wie groß er ist, so lässt sich dem entnehmen, dass er freilich auf widrige Zufälle rechnet, aber der Zuversicht lebt, dass sie ihn nicht umbringen werden, weil Gott ihm seine Hand reicht. Heißt es dann später (V. 7), dass er überhaupt nicht fallen werde, so bedeutet dies vielleicht einen Fortschritt in der Gebetszuversicht, die mutig alle Anstöße verachtet. Und in der Tat: genau erwogen ist es gar kein eigentlicher Fall, wenn Gläubige eine Zeitlang darnieder liegen. Denn sie unterliegen nicht, weil Gott sie hält und durch seinen Geist wieder emporhebt.

4 Wie lange stellet ihr einem nach? Ihr werdet alle erwürget werden, als eine hangende Mauer und eine Lehmwand, an die man stößt. 5 Ja, aus seiner hohen Stellung denken sie ihn zu stürzen, fleißigen sich der Lüge; geben gute Worte, aber im Herzen fluchen sie. (Sela.) 6 Ja, sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung. 7 Ja, Er ist mein Hort, meine Hilfe und mein Schutz, dass ich nicht fallen werde.

V. 4.

Wie lange stellet ihr alle einem nach? Buchstäblich wäre vielleicht zu übersetzen: wie lange erreget ihr Tumult? David beschreibt die verstockte Bosheit seiner Feinde, die alles in Bewegung setzen, um ihm zu schaden, und auf immer neue Angriffe sinnen. Wir wollen daraus lernen, dass man es geduldig tragen muss, wenn die Feinde mit unermüdlicher Raserei unaufhörlich Pläne zu unserem Verderben fassen und Satan ihnen immer neue Kunstgriffe eingibt.

Ihr werdet erwürget werden, als eine hangende Mauer 1)usw. Die Meinung ist, dass die Feinde in ihren verbrecherischen Anschlägen selbst zu Fall kommen müssen. Dabei wird man sich ganz anschaulich ausmalen müssen, wie eine schlecht gefugte Mauer bauchig wird und sich äußerlich mehr und mehr verbreitert, während ihre innere Hohlheit dem Sturz entgegenstrebt. So verbreiten auch die Gottlosen, die mit windigem Hochmut sich aufblähen, mit ihren Anschlägen Schrecken um sich. Aber wie eine schadhafte Mauer, die innerlich brüchig ist, bei einem plötzlichen Stoß zusammenbricht und nicht bloß überhaupt durch ihre eigne Last hinfällt, sondern auch in ungezählte Stücke zerscheitert wird, so verkündigt David seinen Feinden einen unerwarteten Sturz, der sie gänzlich zerreiben soll. Das Wort, welches wir mit Lehmwand übersetzen, bezeichnet ein schwaches und gebrechliches Gemäuer, welches jeder Anstoß über den Haufen wirft. Mögen also die Feinde jetzt hoch aufgerichtet dastehen und aus ihrer weiten Lunge hochfahrende Drohungen polternd ausströmen, so werden sie doch fallen und wie eine gestoßene Wand plötzlich zusammensinken.

V. 5.

Ja, aus seiner hohen Stellung usw. Auch hier hat das „Ja“ gegensätzlichen Sinn. Denn wie David auf der einen Seite seinen Glauben stärkt, damit er sicher in Gottes Gnade ruhe, so stellt er sich auf der andern Seite die Machenschaften der Feinde vor, die von Stolz, Grausamkeit, List und Frechheit erfüllt sind. Er will etwa sagen: obgleich sie mit allen ihren Unternehmungen nichts erreichen werden, als dass sie sich selbst ins Verderben stürzen, hören sie doch in ihrer Wut nicht auf, immer neue Angriffe zu ersinnen, die mich niederwerfen sollen. Er gibt aber zu verstehen, dass diese Angriffe weniger gegen ihn, als gegen Gott sich richten, wie auch die alten Dichter gottlosen Übermut unter der Gestalt der Giganten dargestellt haben. Denn Gottes Feinde glauben erst dann vollen Mut bewiesen zu haben, wenn sie das Haupt bis über die Wolken erheben. Zuerst redet David von sich in dritter Person, aber in einer solchen Weise, dass man sieht, wie Gott ihn erhöht hat. Man könnte sogar geradezu an Gottes eigene hohe Stellung denken. In jedem Falle aber ist der Sinn, dass die gottlosen Feinde alle ihre Mühe darauf richten, den zu stürzen, den Gott emporgehoben hat und in seiner hohen Stellung geschützt wissen will. So folgt, dass Menschen, die Gottes Werk umzustürzen streben, wider Gott selbst den Kampf aufnehmen. Eben darauf zielt auch das zweite Satzglied: sie fleißigen sich der Lüge. Indem sie Davids Berufung nicht als rechtmäßig anerkennen wollen, schmieden sie an jedem Tage neue frevelhafte Pläne, die auf ihr eigenes Haupt zurückfallen müssen, - wie David auch Ps. 4, 3 sagte: „Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lüge so gerne?“ Doch könnte sich der Ausdruck „Lüge“ auch einfach als eine Beschreibung der listigen und trügerischen Angriffe erklären, die man wider den heiligen Mann richtete, wie denn sofort folgt: sie geben gute Worte, aber im Herzen fluchen sie. Wie dem auch sei, in jedem Falle wappnet sich David wider alle Treulosigkeit, Betrug und Hinterlist mit der einen Zuversicht, dass man ihn vergeblich mit feindlichen Machenschaften angreifen wird, weil er auf seinen Gott sich stützen kann.

V. 6.

Ja, sei nur stille usw. Es scheint ein Widerspruch, dass David zuvor schon rühmte, seine Seele sei stille, und sie nun noch zur Stille ermahnt. Ist sie etwa doch noch unruhig, weil sei solcher Erinnerung bedarf? Wir wollen uns aber vergegenwärtigen, dass unser Gemüt niemals so durchaus beruhigt ist, dass es nicht noch blinde Regungen spürte. Wenn ein leichter Windstoß das Meer bewegt, entsteht freilich nicht ein wütendes Toben, aber immerhin ein lindes Fluten. Da also das Herz der Frommen immer in einiger Bewegung ist, heißt David mit gutem Grund seine Seele, die schon stille war, weiter stille sein: er strebt nach immer weiteren Fortschritten in diesem Schweigen, bis er endlich sein Fleisch zu völligem Gehorsam unter Gottes Willen zwingen wird. Weiter sehen wir ja auch, wie Satan gerade Leute, die sich schon ganz gesammelt hatten, oft in neue Erregung bringt. Immer ist Gefahr, dass ein plötzlich ausbrechender Sturm den inneren Frieden stört. Darum soll Davids Beispiel uns mahnen, treulich zu beharren. Er spricht auch den Grund aus, weshalb er zu Gott stille sein kann: denn er ist meine Hoffnung. Dieser Ausdruck deutet darauf hin, dass Gott vielleicht nicht sofort antwortet, dass man aber sicher auf ihn hoffen darf. Er lässt die Seinen dulden, aber betrügt sie nie. Demgemäß will David etwa sagen: Für mein Stillesein liegt ein gewisser Lohn bereit. Darum will ich mich zügeln, damit nicht übergroße Eile mich auf dem Wege zu meinem Heil in die Irre führe.

8 Bei Gott ist mein Heil, meine Ehre, der Fels meiner Stärke; meine Zuversicht ist auf Gott. 9 Hoffet auf ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus; Gott ist unsre Zuversicht. (Sela.) 10 Ja, Menschen sind nichts, große Leute sind auch voll Trug; sie wiegenweniger denn nichts, allesamt. 11 Verlasset euch nicht auf Unrecht und Frevel, haltet euch nicht zu solchem, das eitel ist; fällt euch Reichtum zu, so hänget das Herz nicht dran.

V. 8.

Bei Gott ist mein Heil usw. David häuft Worte auf Worte, um sich innerlich aufrecht zu erhalten.Denn die Schwachheit unseres Fleisches ist nur zu geneigt, sich in Irrtum verführen zu lassen. Wir bekennen vielleicht mit einem Worte, dass nur bei Gott unser Heil steht; aber in Wahrheit misstrauen wir seiner Kraft und suchen hier und dort Hilfen zusammen, um zu decken, was uns fehlt. Jedes Wort also, mit welchem David Gottes Rettermacht preist, ist eine Stütze, an die er sich klammert, und ein Zügel, mit welchem er den Flattergeist seines Fleisches bändigt, damit er seine Rettung in jeder Hinsicht nur bei Gott suchen lerne. Nachdem er aber sich selbst redlich ermahnt, richtet er (V. 9) seine Rede an andere, die mit ihm kämpfen sollen, um auch mit ihm zu siegen und zu triumphieren. Er redet sie an: lieben Leute, was buchstäblich zu übersetzen wäre: „o Volk“. Gemeint sind also seine jüdischen Volksgenossen: denn in einer Zeit, wo den Heiden noch nicht die Erkenntnis Gottes und das Licht des Glaubens aufgegangen war, konnte die Aufforderung, auf Gott zu hoffen und ihn anzurufen, nur für Juden einen Sinn haben. So scheidet David das auserwählte Volk deutlich von den unreinen Heiden, indem er ihm etwa zuruft: Wie unwürdig wäre es, wenn Abrahams Kinder, denen Gott seine Gnade offenbarte, und die er in seinen Schutz nahm, sich nicht ganz und gar an ihn hängen wollten! Sollen sie allezeit auf ihn hoffen, so gilt dies für böse Tage nicht minder, wir für gute: wer also auch nur im Geringsten abweicht und seine eigenen Wege geht, tut Unrecht. Mag also Gott die Seinen durch Trübsal prüfen, so sollen sie doch tapfer und geduldig in der Hoffnung stehen. Die Heuchler, die im Glück vielleicht den Herrn loben, aber sofort den Mut sinken lassen, sobald ihnen etwas Widriges zustößt, tun ihm eine schwere Schmach an und verlegen seinem Machtwirken den Weg. Es gilt also, dem Herrn die Ehre zu geben und sich auch unter den schwersten Übeln mit dem Gedanken zu trösten, dass er aus dem Tode herausführen kann. Weil aber unter dem Unglück das Menschenherz gleichsam zusammengedrückt wird und in diesem fehlerhaften Zustande nichts anderes zustande bringt, als dass es sich gegen Gott entrüstet und die Traurigkeit nur größer macht, empfiehlt David als bestes Heilmittel, dass die Gläubigen die Last ihrer Sorgen vor Gott ausbreiten sollen: schüttet euer Herz vor ihm aus. Denn so lange der Schmerz das Herz zuschnürt, kommen die Bitten nicht frei heraus. Damit uns also die Last der Versuchungen nicht erdrücke, sollen wir Erleichterung darin suchen, dass Gott unsere Bitternis heilen will, wenn wir nur nicht versäumen, sie in seinen Schoß auszuschütten. Diese Ermahnung haben wir umso nötiger, weil wir unser Gemüt nur zu gern verstocken und verschließen und damit der Verzweiflung entgegen treiben. Jedermann ist geschickt und eifrig, selbst Auswege aus dem Unglück zu suchen, geht aber der Begegnung mit Gott geflissentlich aus dem Wege, wodurch er sich nur in tiefere Verwirrung verstrickt. Alles in allem: David greift die angeborene Krankheit unserer Natur an, dass wir unsern Schmerz verbergen und uns lieber innerlich aufreiben, als durch Ausschüttung unserer Klagen und Bitten vor Gott uns erleichtern wollen. Davon kommt es dann, dass man immer tiefer in den Schmerz und endlich in die Verzweiflung hinein sinkt. Was übrigens David zuvor (V. 8) von sich allein gesagt, wendet er jetzt auf das ganze Volk: Gott ist unsre Zuversicht.

V. 10.

Ja, Menschen sind nichts. Mit diesem „ja“ bekräftigt David gegensätzlich den vorigen Gedanken: da die Menschen über alles nichtig sind, bleibt nichts andres übrig, als sich mit aller Hoffnung auf Gott allein zurückzuziehen. Und weil er fühlte, dass er mit ruhig belehrender Aussprache bei dem leichtsinnigen Volke nur tauben Ohren predigen würde, bricht er in einen entrüsteten Ausruf aus. So verurteilt er den blinden Unglauben der Menschen, die lieber mit ihrer eigenen Nichtigkeit sich täuschen, als auf Gottes untrügliche Verheißungen sich stützen wollen. Kann aber David solch nichtiges Wesen bei den Kindern Abrahams beobachten, so muss er umso gewisser verkündigen, dass die Menschen allesamt voll Eitelkeit und Trug sind. Gilt nun solches Urteil nicht bloß für vereinzelte Ausnahmen, so trifft es die Verkehrung der ganzen Menschennatur, - und wie viel wird dann noch von Vernunft, Weisheit und freiem Willen darin übrig geblieben sein? Gewiss kann Gott die Gläubigen von dieser Krankheit heilen: aber wenn sie erst durch die Wiedergeburt des heiligen Geistes von Lüge und Eitelkeit befreit werden müssen, so folgt, dass sie von Natur voll Trug waren. Der erste Mensch war von Gott sündlos geschaffen, aber durch seinen Fall hat er uns alle in eine Verderbnis hineingezogen, in welcher alles Licht, das uns einst von Gott verliehen war, in Finsternis verwandelt ist. Sollte jemand dagegen einwenden, dass der Mensch doch gar nicht zu verachtende Gottesgaben, die ihn über alle anderen Kreaturen emporheben, noch besitze, so ist die Antwort leicht. Alle diese herrlichen Gaben werden ja durch die Pest der Sünde verderbt und in ein Nichts verwandelt. Denn allein die Erkenntnis Gottes macht, dass die uns vom Herrn verliehenen Gaben ihre Würde behalten; die Sünde aber vergiftet sie derartig, dass kein einziger unvergifteter Tropfen im Menschen bleibt und David mit Recht sagen kann, dass alle Sterblichen weniger denn nichts wiegen.

V. 11.

Verlasset euch nicht auf Unrecht usw. Hier erinnert uns David, dass ein wirkliches Vertrauen auf Gott nur dann möglich ist, wenn man sich von allen Dingen innerlich losmacht, auf die man sonst ein falsches von Gott abziehendes Vertrauen setzt. Wir sollen also alle Hindernisse aus dem Wege räumen und unser Herz von bösen Gedanken reinigen, welche sich darin an Gottes Stelle drängen wollen. David nennt nun beispielsweise Unrecht und Frevel, will uns aber sicherlich ganz allgemein vor allen Dingen warnen, die uns betrügen und von Gott abziehen würden, wenn wir uns auf sie verlassen wollten. Was seine Worte in ihrem nächsten Sinn verwehren, ist, dass man sich nicht in frecher Lust gehen lasse, welche nur zu leicht unsern Sinn verblendet, und dass man nicht meine, ungestraft alles wagen zu dürfen. Übrigens geben manche Ausleger die Wortverbindung und Übersetzung etwas abweichend: „Verlasset euch nicht auf Unrecht, und durch Frevel fallet nicht in Eitelkeit.“ Das trägt jedoch für den Sinn wenig aus, denn in jedem Fall will der heilige Sänger sagen, dass alle Hoffnungen, die uns von Gott auf die Kreaturen ablenken, trügerisch und eitel sind, besonders wenn wir durch böse und sündhafte Künste reich werden wollen. Nachdem er in dieser Weise den offenbar sündhaften Begierden das Urteil gesprochen, fügt er warnend hinzu, dass man sich auch durch rechtmäßig erworbenes Gut nicht blenden lassen soll: fällt euch Reichtum zu, so hänget das Herz nicht dran. Das will nicht nur besagen, dass man dem Reichtum nicht allzu gierig nachjagen, sondern auch, dass man durch das Vertrauen auf ihn sich nicht hochfahrend machen lassen soll, etwa in dem Sinne, wie Paulus sagt ( Röm. 11, 20): „Sei nicht stolz, sondern fürchte dich.“ Dass solche Mahnung keineswegs überflüssig ist, zeigt die tägliche Erfahrung. Denn nichts ist gewöhnlicher, als dass der Überfluss hochfahrende Frechheit gebiert. Wenn aber ein Mensch sich durch Hochmut verblenden lässt, so erhebt er sich wider Gott und wird rücksichtslos und selbstsüchtig. Nichts aber sollte man mehr fürchten als jene blinde Raserei, die eine Lästerung wider Gott ist, in welcher der durch das Vertrauen auf seine Macht aufgeblasene und trunken gewordene Mensch vergisst, welch ein gebrechliches Wesen er ist.

12 Gott hat ein Wort geredet, das habe ich etliche Mal gehört; dass Gott allein mächtig ist. 13 Und du, Herr, bist gnädig und bezahlest einem jeglichen, wie er´ s verdienet.

V. 12.

Gott hat ein Wort geredet usw. David zieht den Schluss, dass das Gemüt des Menschen nicht anders von allen eitlen Einbildungen abgebracht werden könne, als indem es gänzlich und treulich auf Gottes Gericht merkt. Während unser Sinn hier und dort hin gerissen wird, oder sich wenigstens im Schwanken befindet, weil er auf alle Wendungen des wandelbaren menschlichen Schicksals achtet, findet er seine Ruhe erst dann, wenn er sich in Geduld bei Gottes Wort beruhigt. Weil aber zu dem Gott, der in einem unzugänglichen Lichte wohnt (1. Tim. 6, 16), niemand kommt, als der sich durch den Glauben führen lässt, stellt der heilige Sänger uns ein Gotteswort vor Augen, in welchem der Herr bezeugt, dass er die Welt gerecht regiert. Und weil sehr viel daran liegt, dass wir im Glauben an das Wort fest werden, wird uns seine Gewissheit nachdrücklich eingeprägt. Der Text lässt eine doppelte Übersetzung zu, wobei doch in jedem Falle der Sinn bleibt, dass Gott uns sein Wort treulich halten will und wir kein Abspringen zu befürchten brauchen. Viele Ausleger übersetzen nämlich: „Gott hat ein und zweimal geredet, wie ich vernommen habe.“ So würde die Wiederholung zur Bekräftigung seiner Rede dienen; Gott hätte seine Macht und Gnade immer von neuem bezeugt, so dass man nun nicht mehr zweifeln dürfe. In diesem Fall würde unser Satz etwa mit Hi. 33, 14 zusammenstimmen: „In einer Weise redet Gott und aber in einer andern.“ Bleibt man dagegen bei der vorangestellten Übersetzung, wonach Gott einmal geredet, der Mensch aber mehrfach gehört hat, so gibt auch dies einen guten Sinn: Gott redet ein für allemal und zieht nicht zurück; unsere Sache aber ist es, lange und gründlich zu betrachten, was aus seinem heiligen Munde gekommen. Was Gott uns in seinem Worte lehrt, soll ein für allemal als ein unveränderlicher Beschluss gelten. Wir aber wollen uns darin immer neu üben, um nicht im Lauf der Zeit seine Lehre zu vergessen. Darnach wird angegeben, um welche besonderen Lehrstücke es sich hier handelt: wollen wir wider alle Flut der Versuchungen ungebrochenen Mutes feststehen, so müssen wir Gott die Ehre geben, dass er mächtig und (V. 13) gnädig ist.

Denn ein Mensch, der fest überzeugt ist, dass nichts ohne Gottes Willen geschieht, und dass dieser Gott nicht minder mit Güte als mit Macht regiert, wird nie aus seiner geraden Bahn geworfen werden. Das ist es, worüber David aus Gottes gewissem und glaubwürdigem Worte unterrichtet wurde. Dass Gott mächtig ist, wird oft einfach darauf gedeutet, dass er den Seinen helfen kann; dazu fügt sich dann seine Güte, die helfen will. Richtiger ist aber wohl zu unterscheiden, dass Gott einerseits mächtig ist, um die Gottlosen trotz all ihren frechen Stolzes zu bändigen, und stark, um ihren harten Nacken zu brechen, dass er aber anderseits die Seinen hütet und schützt, weil er niemals seiner Gnade und Güte vergisst. Wer sich in seinen Gedanken an diese Macht und Güte klammert, ohne welche man Gott niemals denken darf, wird unter den grausamsten Erschütterungen aufrecht und gerade stehen. Wo man aber, wie es zu geschehen pflegt, den Herrn seiner Kraft entkleidet denkt, geschieht es den Menschen recht, dass ihnen auch jener Schutz entzogen wird, der allein ausreicht, die Anfechtungen zu überwinden. Weil die Welt sich einen müßigen Gott erträumt, muss sei bei dem geringsten Anstoß erzittern; denn so können wir nichts anderes sein, als ein Spielball des blinden Schicksals. Ruhige Sicherheit erwächst uns nur daraus, dass wir die ganze Welt dem Regiment des Herrn unterworfen denken und uns und unser Leben in seine Hand legen. Den Ausgang nimmt aber die Rede ganz richtig von Gottes Macht: so dürfen wir nicht zweifeln, dass, wer unter seiner Hand wandelt, sicher geborgen ist. Alsbald aber muss die Gnade hinzugefügt werden, damit keine Angst uns quäle. Müsste uns doch sonst der zweifelnde Gedanke beschleichen: Was soll es uns helfen, dass Gott die Welt regiert? Wird er darum uns beispringen, die wir seiner Fürsorge unwert sind? Nach alledem hat es guten Grund, dass David Macht und Gnade zusammenfügt: das sind zwei Flügel, auf denen wir zu Gott uns emporschwingen, oder zwei Säulen, auf die wir uns sicher stützen, sodass keine Flut der Anfechtungen uns wegschwemmen kann. Alles in allem: so oft ein Schrecken uns begegnet, wollen wir an Gottes Macht denken, der es ein leichtes ist, alle noch so schreckhaften Angriffe niederzuschlagen und alles über den Haufen zu rennen, was wider unser Heil sich legen will. Was haben wir zu fürchten, wenn doch derselbe Gott, der uns unter dem Schatten seiner Flügel birgt, mit seinem bloßen Wink die ganze Welt regiert, mit unsichtbaren Ketten den Satan und alle Gottlosen gebunden hält und aller Menschen Pläne, Strebungen und Unternehmungen leitet, wohin er will? Dabei muss uns nur unerschüttert gewiss bleiben, dass seine Güte für alle Frommen, die sich an sie klammern, ständig bereit steht.

Und bezahlest einem jeglichen usw. Damit wendet David die bisherige Aussage noch genauer auf seinen gegenwärtigen Zweck: er stellt uns das künftige Gericht des Gottes vor Augen, der mit seiner Vorsehung die ganze Welt umspannt. Wenn dieser Gedanke in unsrem Herzen lebendig ist, wird alle Unruhe schwinden und alle Ungeduld sich legen. Auch die maßlose Gier, erlittenes Unrecht zu vergelten, wird gezügelt werden. Denn eben darum ruft David sich und alle andern vor Gottes Richterstuhl, ums ich in der Hoffnung auf die künftige Erlösung zu stärken und eine tapfere Zuversicht wider ihre frechen Angriffe zu gewinnen: denn Gott muss alle diese Untaten strafen, weil er so wenig von seinem Gericht abtreten las sich selbst verleugnen kann. Mag man mit noch so vielem Unrecht uns angreifen, ja mögen gottlose Menschen uns für ganz von Gott verlassen erklären, so wird der Herr doch sein Auge auf unsre Sorge richten und zur rechten Zeit Hilfe schaffen: Er kann die Seinen in ihrer Geduld nicht betrügen. Wenn nun die Papisten den Satz, dass Gott einem jeglichen vergelte, wie er´ s verdient, heranziehen, um das Verdienst der Werke für die ewige Seligkeit zu begründen, so ist dies eine offensichtliche Verdrehung. Lohn verspricht der heilige Geist nur darum, damit wir nach einem heiligen Leben streben sollen, nicht aber, um ein gottloses Selbstvertrauen in uns wach zu rufen, welches die Seligkeit von Grund auf zerstören müsste. Lässt Gott den Werken seiner Gläubigen irgendeinen Wert zukommen, so hängt derselbe zuerst an der Vergebung der Sünden, kraft deren unwürdige Leute in die Gemeinschaft freier Gnade aufgenommen wurden, sodann an der freundlichen Herablassung, die auch unvollkommene und mit Unreinigkeit behaftete Werke noch gelten lässt. Denn wir wissen, dass es kein Werk gibt, welches vor Gott ganz vollkommen rein und fehlerlos wäre. Der Lohn, den unsre Werke dennoch finden, ist ein Ausfluss freier Gnade. Die Schrift verheißt ihn den Kindern Gottes lediglich, um ihren Eifer zu frommem und gerechtem Leben und zum Dienst Gottes anzuspornen, nicht aber, um von Gottes Barmherzigkeit etwas abzubrechen. Was wir etwa an Lohn empfangen, verdienen wir nicht im strengen Sinne. Was dagegen die Strafen angeht, ist kein Zweifel, dass Gott sie den Verächtern seines Gesetzes nach Verdienst und Recht auferlegt.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

1)
Nach richtiger Lesart lautet der Satz wahrscheinlich: „Wie lange stellet ihr alle einem nach, erwürget ihn, als eine hangende Mauer?“
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