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Calvin, Jean - Psalm 120.

Calvin, Jean - Psalm 120.

Inhaltsangabe:

Ist David, wie wir annehmen dürfen, der Verfasser des Psalms, so erfahren wir hier, wie ängstlich er damals gebetet hat, als er von Saul verfolgt wurde und von einem Ort zum andern fliehen musste. Er klagt besonders gegen böse Angeber, die ihm, ohne dass er sich etwas hätte zu Schulden kommen lassen, durch verleumderische Anklagen das Leben sauer machten. Man kann indessen auch den Psalm ganz allgemein verstehen als Klage über erdichtete Zuträgereien. – Dieser Psalm und die vierzehn folgenden werden „Lieder des Hinaufsteigens“ oder „Stufenpsalmen“ genannt. Über den Sinn dieses Ausdrucks besteht auch unter den jüdischen Gelehrten keine Einigkeit. Ganz willkürlich haben etliche angenommen, es seien fünfzehn Stufen gewesen, die vom Vorhof der Weiber zum Vorhof der Männer hinaufführten, und haben darauf die fünfzehn Psalmen bezogen. Diese Annahme ist wertlos. Andere verstehen das Hinaufsteigen bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Dabei tut man aber den Psalmen Gewalt; denn die meisten rühren offenbar von David oder Salomo her, und ihr Inhalt legt die Vermutung nahe, dass die von David verfassten schon unter seiner Regierung im Tempel gesungen worden sind. Am meisten hat meines Erachtens die Annahme für sich, dass der Ausdruck auf eine höhere Tonart beim musikalischen Vortrag hinweise. Von sonderlicher Bedeutung ist die Sache nicht, darum lasse ich mir keine grauen Haare darüber wachsen.1)

Ein Stufenpsalm.

1 Ich rief zu dem Herrn in meiner Not, und er erhörte mich.

2 Herr, errette meine Seele von den Lügenmäulern, von den falschen Zungen. 3 Was kann dir die falsche Zunge tun, und was kann sie ausrichten? 4 Sie ist wie scharfe Pfeile eines Starken, wie Wacholderkohlen.

V. 1. Ich rief zu dem Herrn usw. Ein Verfasser ist zwar nicht genannt, aber unwillkürlich tritt beim Lesen die Gestalt Davids vor unser Auge hin. Ohne darum etwas entscheiden zu wollen, bin ich geneigt, ihm den Psalm zuzuschreiben, und halte es für keinen Fehlgriff, ihn so auszulegen, als wenn sein Name dabei stände. Nehmen wir nun dieses an, so bekennt David im ersten Verse dankbar, dass er von dem Herrn erhört worden sei. Wohl ist es ihm hauptsächlich darum zu tun, unter der Form der Klage zu schildern, wie die Hofleute Sauls in ruchloser und gefühlloser Weise darauf aus gewesen sind, ihn zu verderben. Dennoch schickt er das Bekenntnis seiner Dankbarkeit voraus, dass er nicht vergeblich Gott angerufen habe. Er tut das, um durch sein Beispiel andere zu zuversichtlichem Gebet zu ermuntern, besonders wenn sie in Not und Bedrängnis sind. Denn wiewohl der Mensch in jedem Augenblick der Hilfe Gottes bedürftig ist, gibt es doch keine geeignetere Zeit, dieselbe zu suchen, als wenn er sich in ernstlicher Gefahr befindet. Es ist darum ein beachtenswerter Umstand, dass David erhört worden ist, als er sich durch die Anfechtung gezwungen sah, sich unter Gottes Schutz zu begeben.

V. 2. Herr, errette meine Seele.Er bezeichnet jetzt die Art seiner Trübsal. Es waren aus der Luft gegriffene Beschuldigungen, unter denen er zu leiden hatte. Indem er jedoch seine Feinde der Lüge und Falschheit bezichtigt, behauptet er seine eigene Unschuld ihren Verleumdungen gegenüber. Darüber beschwert er sich, dass die gottlosen Leute ohne Fug und Recht über ihn herfallen, während er sich gar keiner Schuld bewusst ist, und dass sie ihn in Verruf bringen, obwohl er nichts verbrochen hat. Auf zweierlei Weise können die Lügenzungen einem einfältigen, redlichen Manne zu schaffen machen. Entweder sie umgarnen ihn mit allerlei List und Betrug, oder sie machen ihm einen bösen Leumund. Hier liegt der zweite Fall vor. Wenn aber einer, der so tugendhaft, so fleckenlos, so vorwurfsfrei gelebt hat wie dieser Mann Gottes, dennoch eine Zielscheibe für Schmähungen wurde, kann es uns dann befremden, dass heutzutage die Kinder Gottes unter Falschheit und Gehässigkeit zu leiden haben und dass sie, wenn sie auch beflissen sind, recht zu handeln, doch in böses Gerede kommen? Haben sie den Teufel zum Feind, so werden sie auch von seinen Lügen belästigt werden. Das ist unvermeidlich. Nicht einmal den Sohn Gottes haben die Lästerzungen verschont; umso gelassener sollten wir es hinnehmen, wenn wir unverschuldet von den Gottlosen durch den Kot gezogen werden. Denn das ist gewiss, dass hier das Los der ganzen Gemeinde Gottes beschrieben wird.

V. 3. Was kann dir die falsche Zunge tun? Der Prophet hebt die Bosheit seiner Feinde stark hervor: es sei die bloße Lästersucht, wovon sie sich fortreißen lassen, auch wenn sie sich nicht den geringsten Vorteil davon versprechen können. Doch will er, wie mir scheint, noch mehr sagen: wenn sie nämlich das ganze Gift ihrer Schmähungen von sich gegeben haben, so werde es doch verlorene Mühe sein und gar nichts dabei herauskommen. Denn Gott tritt für die Unschuld der Seinen ein. In diesem Vertrauen richtet David sich mutig auf, als werde er noch einen Triumph halten über den ganzen Schwarm der Verleumder. Er hält es ihnen vor, dass sie nichts als eitle Schmähsucht an den Tag legen, welche Gott schließlich auf ihren Kopf zurückwenden wird. Und damit sollen sich alle Frommen trösten, wenn Verleumder ihnen ungerechterweise die Ehre abschneiden: sie werden nichts erreichen, der Herr wird ihre Hoffnung zunichte machen.

V. 4. Sie ist wie scharfe Pfeile eines Starken. Diese Worte schildern wieder in anderer Weise die Bosheit derjenigen, welche arglosen und unschuldigen Leuten mit ihren Schmähungen zu Leibe gehen. Wenn sie ihre beschimpfenden Vorwürfe schleudern, so sei das nicht anders, als wenn einer mit dem Pfeil seinen Nächsten durchbohrt, und ihre Lästerreden seien den Wacholderkohlen vergleichbar, deren Glut eine besonders durchdringende Kraft hat. Mit anderen Worten: die Zungen der Verleumder seien von Feuersglut entzündet und wie in tödliches Gift getaucht; dabei seien die Leute umso unentschuldbarer, weil sie um nichts und wieder nichts empfindlich zu kränken trachten. Der Prophet berichtet nur, was er selbst durchgemacht hat. Wenn nun er und seinesgleichen das hat leiden müssen, von Pfeilen der Lüge durchbohrt und gleichsam mit glühenden Kohlen gebrannt zu werden, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn gerade die besten Diener Gottes mit ähnlichen Leiden geplagt werden.

5 Wehe mir, dass ich ein Fremdling bin in Mesech“ Ich muss wohnen unter den Hütten Kedars. 6 Es wird meiner Seele lang, zu wohnen bei denen, die den Frieden hassen. 7 Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.

V. 5. Wehe mir! Er klagt, dass er so lange Zeit mit schlechten Menschen habe zusammenleben müssen, dem Unglücklichen gleich, der, in ein raues Land verschlagen, seine Tage dort beschließen soll. Mesech und Kedar waren orientalische Völker. Die ersteren stammten von Japheth ab (1. Mos. 10, 2)2), die letzteren von einem Sohn Israels (1. Mos. 15, 13). Einige wollen das Wort Mesech nach seiner sprachlichen Abteilung erklären und meinen, weil das Grundwort „ziehen“ „in die Länge ziehen“ bedeutet, der Sänger beklage seinen endlos sich hinziehenden Fremdlingsstand. Aber weil gleich darauf Kedar genannt wird und dieses zweifellos ein ismaelitischer Stamm ist, so können mit Mesech nur die demselben benachbarten Araber gemeint sein. Möglich, dass diese von der Geschicklichkeit, den Bogen zu spannen, den Namen haben. Wie dem auch sei, jedenfalls ist dem Sänger zu Mute, als wäre er in ein Räuberland verschlagen; so sehr ist ihm sein irdischer Wohnort verleidet. Es sind nämlich, wenn er auch arabische Völkerschaften nennt, in Wirklichkeit seine eigenen Volksgenossen, von denen er redet, wie ja auch anderswo die entarteten Juden Heiden genannt werden. Und er wählt mit Absicht die Namen von wilden Völkern, deren Rohheit und Grausamkeit den Juden bekannt waren, um von seinen Feinden ein möglichst abstoßendes Bild zu geben. – Wir lernen hieraus, dass es für Kinder Gottes kaum ein empfindlicheres Leiden gibt, als wenn sie bei frommem und unschuldigem Wandel doch nicht in der Lage sind, giftigen Verleumdungen zu entgehen. Und es ist zu beachten, dass David in seinem eigenen Lande ein Fremdling gewesen ist; das Zusammenleben mit schlechten Menschen war für ihn die größte Plage. Wir müssen nämlich, weil David ja durch den Geist Gottes geredet hat, hieraus den Schluss ziehen, dass es vor Gott nichts Verabscheuenswerteres gibt als lügenhafte Anschwärzungen und Ohrenbläsereien, wodurch seine Gemeinde gräulich verödet und verunstaltet wird, so dass sie von einer Räuberhöhle oder einem Wohnort der Wilden sich kaum mehr unterscheidet. Ist es nun schon unerquicklich für Kinder Gottes, da wohnen zu müssen, wo man den reinen Wandel der Frommen ungerechter und lügnerischer weise mit Schmutz bewirft, wie wäre es denkbar, dass ihnen der Aufenthalt an einem Orte Freude machen und nicht viel mehr empfindlichen Schmerz bereiten sollte, wo der Name Gottes schändlich verlästert und entheiligt und die Wahrheit durch Lügen freventlich verdunkelt wird? „Wehe mir!“ ruft David aus, weil bei den falschen Brüdern seiner Frömmigkeit so übel gelohnt wird. Und wenn heute im Papsttum das Christentum durch allen möglichen Schimpf verunreinigt ist, wenn der Glaube ein Gegenstand der Lästerung geworden, das Licht in Finsternis verkehrt und die Majestät Gottes rohem Gespött preisgegeben ist, so muss es ja für Leute, die an der Furcht Gottes festhalten wollen, eine ungeheure Qual sein, in solchem Sumpfe zu liegen.

V. 6. Es wird meiner Seele lange usw. Jetzt erklärt der Dichter, wen er mit Mesech und Kedar gemeint hat, nämlich die heuchlerischen Israeliten, die von der frommen Väter Sinn treulos abgewichen waren. Sie hassen den Frieden, - so muss er von ihnen sagen, weil sie mit wohl wollenden und arglosen Leuten mutwillig Krieg anfangen. Er selbst nämlich, so fährt er fort, sei durchaus bereit gewesen, Frieden zu halten, habe auch alles versucht, sie freundlich zu stimmen, aber ihr harter, unversöhnlicher Sinn stehe darauf, Schaden zu tun. Er sagt buchstäblich (V. 7): Ich Frieden. Der abgebrochene Satz ist wohl verständlich: von ihm sei keine Kränkung ausgegangen, kein Anlass zur Feindschaft gegeben worden, von seiner Seite sei Frieden gewesen. Und er sagt noch mehr: er habe sich Mühe gegeben, die Erzürnten zu besänftigen und eine Verständigung herbeizuführen. „Ich rede“– heißt nämlich hier nichts anderes als: Ich mache Friedensvorschläge und suche über Versöhnung zu verhandeln. In umso grellerem Licht erscheint der Übermut der Feinde Davids, die es für unter ihrer Würde hielten, mit einem Manne, der es so gut mit ihnen meinte, der ihnen nie etwas zu leide getan hatte, auch nur ein Wort zu sprechen. – Wir lernen an Davids Beispiel, dass es damit noch nicht genug ist, wenn die Gläubigen selbst kein Unrecht tun; sie sollen auch mit zuvorkommender Freundlichkeit die Übelwollenden zu gewinnen und umzustimmen trachten. Stößt man ihre Lindigkeit zurück, so mögen sie geduldig warten, bis der Rächer vom Himmel erscheint. Aber das Warten dürfen sie sich nicht verdrießen lassen, wenn Gott nicht alsbald seine Hand ausstreckt; gleichwie David in diesem Psalm Gott für seine Befreiung dankt und dennoch über den lang anhaltenden Druck weint wie einer, der müde und matt geworden ist.

1)
Luther hielt dafür, diese Psalmen seien also geheißen, weil sie an einem höher gelegenen Ort des Tempels, „im höheren Chor“, von den Leviten oder Priestern seien gesungen worden. – Noch eine andre Erklärung ist bei Calvin unberücksichtigt geblieben, die viel Wahrscheinlichkeit hat. Danach sind es „Wallfahrtslieder“, zu verschiedenen Zeiten entstanden, welche beim Hinaufziehen der Israeliten zu den jährlichen Festen nach Jerusalem gesungen wurden.
2)
Vielleicht auch semitischer Abkunft nach 1. Chron. 1, 17.
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autoren/c/calvin/calvin-psalmen/psalm_120.txt · Zuletzt geändert: von aj
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