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Calvin, Jean - Psalm 109.

Calvin, Jean - Psalm 109.

Inhaltsangabe: Der Psalm besteht aus drei Hauptabschnitten. Er hebt mit einer Klage an. Dann (V. 6 ff.) folgt eine ganze Reihe von Verwünschungen, endlich (V. 21 ff.) ein in eine Danksagung auslaufendes Gebet. Ohne Zweifel klagt nun David über ihm persönlich angetanes Unrecht: da er aber die Person Christi, des Hauptes der Gemeinde, darstellt, erfüllt sich, was er sagt, recht eigentlich in diesem, sodann auch in allen einzelnen Gläubigen, sofern sie seine Glieder sind. Sie sollen also hier lernen, bei ungerechter Bedrängnis durch ihre Feinde die Hilfe ihres himmlischen Rächers anzurufen.

1Dem Musikvorsteher: ein Psalm Davids.
Gott meines Ruhms, schweige nicht! 2Denn sie haben ihr gottloses und falsches Maul wider mich aufgetan, und reden wider mich mit falscher Zunge; 3und mit Worten des Hasses umringen sie mich, und streiten wider mich ohne Ursache. 4Dafür, dass ich sie liebe, sind sie wider mich; ich aber bete. 5Sie beweisen mir Böses um Gutes, und Hass um Liebe.

V.1. Gott meines Ruhms usw. In diesem Eingang bezeugt David, dass er einen anderen Verteidiger seiner Unbescholtenheit nicht begehrt als Gott, und dass ein anderer auch niemals gefunden werden kann. Ist Gott der Gott seines Ruhms, so kann er seine Unbescholtenheit ihm ans Herz legen, wenn auch das Urteil fast der ganzen Welt ihn verdammt. Manche verstehen die Aussage freilich dahin, als sagte David: Der Gott meines Rühmens, d. h. dessen Ruhm ich verkündige. Dabei übersieht man aber den Umstand, dass David, der in der Welt ungerechtem und grausamem Hass ausgesetzt war, zu Gottes Urteil seine Zuflucht nimmt; und wir lesen den Gegensatz zwischen den Zeilen, dass unter der Herrschaft eines verleumderischen Wesens ein unbescholtenes Leben Lob und Anerkennung seines Werkes nirgend anders als bei Gott findet. David will sagen: Herr, wenn man mich auch für den abscheulichsten Menschen hält und ich in der ganzen Welt Schmach tragen muss, du bist der Rächer meiner Unschuld und darum der Gott, der mich lobt! Ganz besonders passend schließt sich daran die entsprechende Fortsetzung: Schweige nicht! Es wäre doch absonderlich, dass Gott, der Zeuge unserer Unschuld, schweigen sollte, wenn boshafte Leute uns mit Verleumdungen überschütten. Dabei wollen wir im Gedächtnis halten, was ich schon sagte, dass David in seinem Klagen über persönlich erlittenes Unrecht doch die Gestalt Christi und den Leib der ganzen Gottesgemeinde darstellt. Wenn uns die Menschen mit allerlei Schmach belasten, wollen wir also lernen, in des einigen Gottes Schutz auszuruhen. Denn niemand wird sich mit ruhigem Gemüt dem Herrn übergeben, der nicht innerlich gewiss ist, dass er alle Schande vor der Welt verachten darf, wenn er nur das gute Gewissen hat, dass Gott seine Sache schützt.

V. 2. Denn sie haben ihr gottloses Maul wider mich aufgetan. Jetzt spricht David ganz deutlich aus, dass er so ängstlich Gottes Hilfe sucht, weil unter den Menschen keine Billigkeit zu finden ist. Man greift ihn nicht bloß öffentlich an, sondern umgarnt ihn auch mit trügerischen und falschen Reden. Man hat ihn also bei unkundigen Leuten unter einem richtig scheinenden Vorwand verlästert, so dass er der Schande nicht entgehen kann, als wäre er ein Verbrecher.

V. 3. Und mit Worten des Hasses umringen sie mich. Solches geschieht ihm, obgleich er nichts Derartiges verdient hat. Er bedient sich nun eines schönen Gleichnisses: die Menge von Gift auf den Zungen der Feinde war so groß, dass er härter umringt oder belagert wurde als durch ein großes Heer, und das alles ohne Ursache. Dies ist die Art des Krieges, durch welche Gott seine Kinder gewöhnlich übt. Gewiss belagert Satan sie auch mit offener Gewalt; weil er aber der Vater der Lüge ist, sucht er insbesondere durch geschickte, verleumderische Kunstgriffe sie so hässlich darzustellen, als wären sie die Hefen und der Auswurf der Welt. Wie in Christus erfüllt ward, was in David abgeschattet war, so wollen wir auch bedenken, dass noch täglich an seinen Gläubigen erfüllt werden muss, was von Leiden Christi noch fehlt (Kol. 1, 24): denn der einmal an sich selbst gelitten hat, nahm sie zu seinen Genossen.

V. 4. Dafür, dass ich sie liebe usw. David hatte schon bezeugt, dass seine Feinde, ohne durch ein Unrecht gereizt zu sein, sich in diabolischem Hass wider ihn stellten. Das Gleiche bestätigt er jetzt, indem er sagt, dass er ihnen Liebe bewiesen habe. Das besagt aber mehr, als dass er sich nur von jeder bösen Tat enthalten hätte. Hier sehen wir, wie wunderbar die Kraft der Antriebe des Satans ist, wenn er die Menschenherzen in seiner Gewalt hält. Denn nichts ist widernatürlicher, als dass ein Mensch mit Hass verfolgt und grausam befehdet, die ihm Liebe bewiesen. Zur Liebe fügt der Dichter (V. 5) auch die Guttätigkeit, indem er zu verstehen gibt, dass er sich auch bemüht habe, sich mit äußeren Wohltaten um sie verdient zu machen.

Ich aber bete usw. Manche verstehen dies so, dass David für seine Feinde gebetet habe, obwohl sie mit so großer Wut wider ihn anstürmten. Damit würde eine ähnliche Aussage des 35. Psalms (V. 13) zusammenstimmen. Einfacher scheint mir hier aber der Sinn, dass David sich durch die grausamsten Quälereien nicht zu unerlaubten Mitteln treiben ließ, so dass er Gleiches mit Gleichem vergolten hätte: er hat sich an den Herrn gewendet und war allein mit seinem Schutz zufrieden. Es ist dies ein Zeichen großer, sittlicher Kraft, wenn ein in unwürdiger Weise beleidigter Mensch seine Leidenschaft zügelt und, statt sich durch das Unrecht zur Rache reizen zu lassen, lediglich Gottes Gericht anruft. Auch Leute, die im Übrigen sich gegen gute Menschen gut zu stellen wünschen, halten es für erlaubt, Unrecht zu vergelten, wenn sie es mit bösen Menschen zu tun haben. Jeder Fromme fühlt, dass auch er in dieser Richtung versucht wird. Der heilige Geist aber legt uns einen Zügel an: mögen die Feinde uns durch ihre Maßlosigkeit hundertmal den Wunsch nach Rache aufzwingen, so sollen wir doch Gewalt und alle List fahren lassen und zum Gebet unsre Zuflucht nehmen. Durch sein Beispiel gibt David uns den Wink, dass dies die Waffen sind, mit denen wir kämpfen müssen, wollen wir anders unter Gottes Führung siegen. Ähnlich heißt es im 69. Psalm (V. 13 f.): „Die im Tor sitzen, schwatzen von mir, und in den Zechen singet man von mir. Ich aber bete, Herr, zu dir.“ Mit diesen Worten spricht also David aus, dass er seine Gemütsruhe sofort wiederherstellen kann, indem er seine Sorgen auf den Herrn wirft, wenn er auch die Feindschaft der ganzen Welt erfahren muss. Der heilige Geist hat nun gewiss diese Bitten dem David und allen Frommen nicht vergeblich eingegeben: wer an diese Gebetsform sich hält, soll nicht zweifeln, dass der Herr, der seine schändliche Quälerei sieht, auch zur Hilfe bereit steht.

6Setze Gottlose über ihn; und der Feind müsse stehen zu seiner Rechten. 7Wenn er gerichtet wird, müsse er verdammt ausgehen, und sein Gebet müsse Sünde sein. 8Seiner Tage müssen wenige werden, und sein Amt müsse ein andrer empfahen. 9Seine Kinder müssen Waisen werden und sein Weib eine Witwe. 10Seine Kinder müssen in der Irre gehen und betteln, und suchen, als die verdorben sind. 11Es müsse der Wucherer aussaugen alles, was er hat, und Fremde müssen seine Güter rauben.

V. 6. Setze Gottlose über ihn. Erging bis jetzt die Klage in der Mehrzahl über einen großen Schwarm, so wird nunmehr ein einziger Mensch bezeichnet. Möglich wäre allerdings, dass jeder einzelne aus der ganzen Masse gemeint wäre. Das Wahrscheinliche bleibt doch, dass mit besonders kräftigen Worten eine bestimmte Persönlichkeit angegriffen wird, die ein Haupt unter den Frevlern war. Annehmbar erscheint es mir, an den treulosen Verräter Doeg zu denken, der bekanntlich nicht bloß gegen David, sondern auch gegen die frommen Priester Verderben schnaubte (1. Sam. 22, 9 ff.; vergl. Ps. 52): wissen wir doch, dass Petrus diesen Psalm auf Judas anwendet (Apostelg. 1, 20). Ebenso gut oder vielleicht noch besser wird es aber passen, wenn wir die Klage auf einen einst vertrauten Freund deuten. Betreffs der Verwünschungen ist übrigens festzuhalten, was wir bereits anderwärts sagten, dass David sich zu diesen harten Rachegebeten nicht durch maßlose, fleischliche Erregung treiben ließ; er betrieb auch nicht sein persönliches Anliegen, noch entbrannte er in unüberlegtem Eifer. Diese drei Stücke müssen wir uns wohl einprägen. Denn wer sich selbst liebt und auf eigenen Vorteil bedacht ist, wird sofort zur Rache aufspringen: in demselben Maße also, als jemand nur an sich denkt, wird er sich zu ungemäßigter Sorge für seinen persönlichen Nutzen hinreißen lassen. Aus diesem Eifer für den persönlichen Vorteil entspringt ein anderer Fehler: niemand wird Strafe auf seine Feinde herabwünschen, weil es so billig und gerecht wäre, sondern weil man seinem Hass die Zügel schließen lässt. Man bedient sich zwar schöner Vorwände, aber inwendig kocht die böse Lust, überspringt jede Schranke der Billigkeit und verblendet den Sinn. Wo man diese beiden Fehler überwunden hat, nämlich die Rücksicht auf persönlichen Vorteil und die Zügellosigkeit des Fleisches, ist Mäßigung noch in einem dritten Stück erforderlich: wir sollen die Glut törichten Eifers zügeln und der Führung des Geistes folgen. Wer durch unzeitigen Eifer sich hinreißen lässt, wird sich vergeblich auf Davids Beispiel berufen. Was Christus seinen Jüngern antwortete, wird auch für ihn gelten (Luk. 9, 55): „Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid?“ Es ist ein abscheulicher Frevel am Heiligtum, wie die Mönche, namentlich die Franziskaner, diesen Psalm entweihen. Ist es doch eine bekannte Sache, dass jemand, der einen Todfeind umbringen will, einen von diesen Schwindlern dingt, damit er täglich diesen Psalm bete. Ich kenne eine hochgestellte Frau in Frankreich, welche Franziskaner gedungen hatte, die mit dieser Gebetsform ihrem einzigen Sohn den Fluch anbeten mussten. Doch ich kehre zu David zurück: er hat, frei von jedem stürmischen Affekt, seine Gebete unter Leitung des Geistes vorgetragen, weil die Gottlosen unter Verachtung Gottes zum Verderben guter und einfältiger Leute anstürmten und wider alle Mäßigung und Billigkeit jegliches Joch abschüttelten. Sie verdienen die Strafe, dass ein Gottloser über sie herrsche. Weil sie in ihrer Hinterlist die Guten ins Verderben bringen wollen, sind sie es doppelt wert, dass Gott ihnen einen Feind erwecke, der niemals von ihrer Seite weicht. Nur sollen sich die Gläubigen in ihren Gebeten vor Überstürzung hüten und sollen der göttlichen Gnade Raum gewähren: denn es kann geschehen, dass morgen unser Freund wird, der uns heute tödlich hasst.

V. 7. Wenn er gerichtet wird usw. Eine andere Verwünschung: wenn der Feind vor Gericht gestellt wird, soll er ohne Erbarmen gestraft werden; bittet er auch fußfällig um Verzeihung, soll der Richter unbeugsam bleiben. Allerdings könnte man diese Sätze ganz passend auch auf Gottes Gericht beziehen. Aber der Zusammenhang führt doch mehr auf eine menschliche Gerichtsverhandlung. Der Vers hat also zwei Glieder: erstlich sollen die Verbrechen der Gottlosen offenbar werden, so dass für einen Freispruch kein Raum mehr bleibt, zum andern soll jede Bitte um Vergebung Zurückweisung erfahren. Vor dem Richter „verdammt ausgehen“ muss also der Frevler, dessen Schandtaten aufgedeckt und erwiesen werden und der nun die verdiente, schmähliche Verurteilung erfährt. Denkt man an Gottes Gericht, so wäre es auch ein passender Gedanke, dass das Gebet sich den Gottlosen in Sünde wandelt, weil ja alle ihre Opfer verabscheuungswert sind. Wie sie selbst voller Schmutz dastehen, so müssen auch ihre scheinbaren Tugenden als unrein gelten. Doch will ich diese Bahn nicht weiter verfolgen, weil der Zusammenhang eher auf irdische Richter führt.

V. 8. Seiner Tage müssen wenige werden. Ist auch dies Leben mit viel Mühsalen angefüllt, so wissen wir doch, dass es ein Zeichen und Zeugnis göttlichen Segens ist. Erscheint es doch oft als ein Beweis gnädiger Gesinnung, wenn Gott den Menschen langes Leben verspricht: gewiss darf man an demselben nicht hängen bleiben, aber man darf darin doch Gottes väterliche Liebe schmecken, die uns zur Hoffnung auf ein unsterbliches Leben leitet. Im Gegensatz dazu wird hier die Verkürzung des Lebens als ein Zeichen des Fluchs angesehen: indem Gott verbrecherische Menschen gleichsam mit Gewalt von der Erde hinweg reißt, zeigt er, dass sie nicht wert sind, die allgemeine Lebensluft zu atmen. Das gleiche ist zu sagen, wenn er ihnen Amt und Ehre nimmt und sie von ihrer Höhe herabstürzt. Allerdings kann dies auch Kindern Gottes geschehen, da zeitliche Strafen Gute und Böse ohne Unterschied treffen; aber niemals ist die unklare Vermischung eine derartige, dass nicht zuweilen Gottes offenbare Gerichte in bemerkenswerter Weise sich sehen ließen. Petrus zitiert diesen Vers (Apostelg. 1, 20) und sagt, dass er sich an Judas erfüllen musste, weil hier geschrieben steht: „Sein Amt empfange ein andrer.“ Er geht eben von dem Grundsatz aus, dass David als ein persönliches Vorbild Christi geredet habe. Übrigens lehren uns diese Worte, dass die Gottlosen keinen Anlass zum Stolz haben, wenn sie in dieser Welt herrschen, denn es wartet ihrer das Ende, welches der heilige Geist hier verkündet. Wir aber empfangen dadurch Stoff der Geduld und des Trostes, wenn wir hören, dass ihre Abdankung bevorsteht, wie hoch sie auch jetzt erhoben wurden. In den nächsten beiden Versen wird der Fluch auch auf Weib und Kinder ausgedehnt. Dass sie zu Witwen und Waisen werden, ergibt sich aus jener Verkürzung des Lebens, von der soeben die Rede war. Außerdem wird aber hinzugefügt, dass sie betteln und an allen Dingen Mangel leiden müssen. Man kann daraus schließen, wie schrecklich das Verbrechen war: denn für ein mäßiges Vergehen würde der heilige Geist nicht eine so schwere und strenge Strafe androhen. Die künftige Armut der Kinder steht damit im Zusammenhang, dass die Güter des Frevlers dem (V. 11) Wucherer zufallen sollen. Denn es ist nicht von einem verächtlichen und armen Manne die Rede, der bei seinem Tode den Seinen nichts hinterlässt, sondern von einem Menschen, der mit Recht und Unrecht vieles aufgehäuft hat, womit er seine Kinder reich machen müsste, wenn ihm nicht Gott die übel erworbene Beute aus der Hand risse.

12Und niemand müsse ihm Gutes tun, und niemand erbarme sich seiner Waisen. 13Seine Nachkommenschaft müsse ausgerottet werden; ihr Name werde im andern Glied vertilget. 14Seiner Väter Missetat müsse gedacht werden vor dem Herrn, und seiner Mutter Sünde müsse nicht ausgetilget werden. 15Der Herr müsse sie nimmer aus den Augen lassen, und ihr Gedächtnis müsse ausgerottet werden auf Erden. 16Darum, dass er nicht daran gedachte, Barmherzigkeit zu üben, sondern verfolgte den Elenden und Armen und den Betrübten, dass er ihn tötete.

V. 12. Und niemand müsse ihm Gutes tun usw. David fasst den Frevler mit seiner Nachkommenschaft zusammen und will etwa sagen: Mag er selbst unter andauernden Leiden dahinschwinden, und mag das Elend in natürlicher Folge auch auf seine Kinder übergehen, so möge es doch niemand jammern! Freilich wissen wir, dass gewöhnlich selbst grausamen Gemütern lang andauerndes Unglück eines Feindes Mitleid erweckt oder Hass und Übelwollen vergessen lässt. Hier aber möchte David seinen Feind samt seiner Nachkommenschaft so verhasst und verabscheut sehen, dass der Hass des ganzen Volkes durch seine Leiden gesättigt wird und jedermann gegenüber solchem Schauspiel mir hartem, wie eisernem Herzen dasteht. Wir müssen aber festhalten, dass David sich nicht leichtfertig durch persönlichen Schmerz treiben lässt, sondern gleichsam aus Gottes Munde verkündet, welche Strafen für die Gottlosen aufbewahrt sind. Zählt doch auch das Gesetz unter den Gerichten Gottes dies auf (5. Mos. 2, 30), dass er ein Herz hart macht, damit keine Barmherzigkeit finde, wer sich maßlos grausam zeigte. Denn es ist billig, dass dem Menschen nach demselben Maß vergolten werde, dessen er sich gegen andere bedient hat.

V. 13. Seine Nachkommenschaft müsse ausgerottet werden. Die begonnene Ausführung wird fortgesetzt: Gott möge die Verbrechen der Väter in den Busen der Kinder vergelten. Dass dann die Rede in die Mehrzahl übergeht – ihr Name werde vertilget – erklärt sich vielleicht daraus, dass David nicht bloß mit einem einzigen Menschen, sondern mit der ganzen Rotte Sauls zu kämpfen hatte. Und weil bei üblen Taten immer ein hervorragender Führer vorhanden zu sein pflegt, dürften wir uns nicht wundern, wenn die Rede sich von einem einzigen Menschen zu mehreren wendete, sodann aber von ihnen zu dem einen zurückkehrte. Einfacher wird es aber sein, auch die zweite Satzhälfte auf die „Nachkommenschaft“ zu beziehen, die ja eine Vielheit von Gliedern in sich begreift. Diese Verwünschung ist nun schwerer als die vorangehende. Geschieht es doch oft, dass ein Haus sich wieder erhebt, das durch ein plötzliches Unglück umgestürzt war. Hier aber wünscht der Prophet einen derartig tiefen Sturz der Gottlosen, dass ihnen die Kraft zur Wiedergewinnung des früheren Standes nie zurückkehrt. Denn dies besagt es, dass ihr Name bereits im andern Glied vertilgt werden soll. Wie nun auf der einen Seite der Prophet die Häuser der Gottlosen dem Verderben weiht, damit Gott sie in ihren Nachkommen strafe, so bittet er anderseits (V. 14), dass auch der Väter Missetat gedacht werden möge, so dass auch sie die aufgehäufte Verdammung noch vermehren müssen. Es schließt sich dies an die allgemeine Lehre der Schrift an: denn wie Gott sein Erbarmen auf die Nachkommen sich erstrecken und das Gedächtnis seines Bundes auf tausend Geschlechter währen lässt, so straft er auch die Sünden bis ins dritte und vierte Glied. Gewiss wirft er nicht Unschuldige mit Verbrechern zusammen; aber indem er die Verworfenen der Gnadenwirkung und des Lichtes seines Geistes beraubt, rüstet er die Gefäße des Zorns zum Verderben zu, noch ehe sie geboren werden (Röm. 9, 21). Mit dieser Strenge kann sich freilich die allgemeine Empfindung nicht befreunden: wir sollen aber wissen, dass man den verborgenen und unbegreiflichen Gerichten Gottes unrecht tut, wenn man sie mit unserem Maße misst. Diese harte Verkündigung soll uns also schrecken und erschüttern und unsern Sinn zu demütiger Ehrfurcht stimmen. Allerdings heißt es bei Hesekiel (18, 20): „Der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters, sondern welche Seele sündigt, die soll sterben. Aber wir wollen uns vergegenwärtigen, dass dieser Satz sich gegen die ungerechten Klagen des Volkes richtet, das sich seiner Schuldlosigkeit rühmte und unverdiente Züchtigung zu leiden wähnte. Wenn aber Gott die Rache von den Vätern bis auf die Kinder ausdehnt, lässt er ihnen keinen Raum zur Entschuldigung, weil sie ja alle in das gleiche Bündel der Unfrömmigkeit gebunden sind. Und wir bezeichneten es schon als den Anfang der Rache, dass Gott seinen Geist sowohl den Vätern als den Kindern entzieht und dadurch beide zum Eigentum des Satans macht. Wenn nun der Prophet wünscht, dass ihrer Sünde immer vor dem Herrn gedacht werden möge, so könnte man fragen, warum er nur sagt (V. 15), dass ihr Gedächtnis auf Erden ausgerottet werden, nicht auch, dass ihr Name im Himmel ausgetilgt werden soll. Er redet aber in der Weise seines Zeitalters, in welchem die geistlichen Strafen noch nicht so deutlich offenbart waren, wie denn überhaupt die Zeit der völligen Offenbarung noch nicht gekommen war. Des Weiteren aber wünscht David, dass gerade unter den Menschen Gottes Rache greifbar werde, damit die ganze Welt ihn als gerechten Richter erkenne.

V. 16. Darum, dass er nicht daran gedachte, Barmherzigkeit zu üben. Jetzt weist er darauf hin, dass er mit gutem Grunde seinen Feinden eine so harte und schreckliche Strafe anwünschte: denn ihre Grausamkeit war unersättlich, und sie haben den armen Menschen mit verstockter Wut verfolgt. Auch die Philosophen betrachten es als das Kennzeichen eines schmutzigen und gemeinen Geistes, dass jemand gegen elende Leute wütet, die keine Kraft zum Widerstand haben: edler Wettstreit waltet nur, wo man auf gleicher Stufe steht. So zeigt sich die Bosheit der Feinde in verstärktem Maße, dass sie den Elenden und Armen und sogar, wie mit besonderem Nachdruck hinzugefügt wird, den Betrübten verfolgen. Es gibt ja unglückliche Leute, die trotz allem ihren geschwollenen Stolz nicht ablegen; da dies ein unerträgliches Wunder ist, reizen sie dadurch den Zorn der Mächtigen umso heftiger. Wenn sich aber zum Elend ein gebeugtes Herz gesellt, gehört schon die äußerste Grausamkeit dazu, hier noch weiter zu wüten. Das wäre ja nichts anderes, als wider Schatten kämpfen. Eine unersättliche Grausamkeit wird mit dem Ausdruck beschrieben, dass der Feind „nicht daran gedachte“, Barmherzigkeit zu üben: keine Niederlagen des unglücklichen und elenden Menschen konnten ihn zur Milde stimmen, so dass er daran gedacht hätte, was Menschenlos ist, und hätte seine Wildheit fahren lassen. Solch hochfahrendes Wesen und Gottes unerbittliches Gericht sind in verborgener Weise aufeinander angelegt. Da nun David bei diesen Worten vom Geist getrieben wurde, haben wir seine Verwünschung so anzusehen, als wenn Gottes eigener Donner vom himmlischen Thron sich hören ließe. Diese Strafandrohung muss auf der einen Seite alle böse Lust in uns niederschlagen, die dem Nächsten schaden möchte; auf der andern Seite mildert sie tröstlich unsern Schmerz und lehrt uns Unrecht geduldig tragen. Für eine Weile fahren die Gottlosen ungestraft hoch her: aber diese Drohung zeigt, dass Gott die Elenden nicht vergebens in seinen Schutz nimmt, - wenn nur die Gläubigen sich in der Sanftmut halten, damit die Beugung ihres Herzens vor Gott komme. Und weil es nun noch nicht gegeben ist, die Auserwählten von den Verworfenen zu unterscheiden, wollen wir lernen, für alle unsere Bedränger Gutes zu erbitten, die Rettung des ganzen Menschengeschlechts zu wünschen und auch an jeden einzelnen fürsorglich zu denken. Indessen sollen wir uns nicht gehindert fühlen, wenn nur unser Herz rein und ruhig bleibt, Gottes Gericht frei anzurufen, damit er alle hoffnungslos verstockten Leute verderbe.

17Und er liebte den Fluch, der wird ihm auch kommen; er wollte des Segens nicht, so wird er auch ferne von ihm bleiben. 18Und er ziehe den Fluch an, wie sein Hemd, und er gehe in sein Inwendiges wie Wasser und wie Öl in seine Gebeine; 19er werde ihm wie ein Kleid, das er anhabe, und wie ein Gürtel, da er sich allewege mit gürte. 20So geschehe denen vom Herrn, die mir zuwider sind, und reden Böses wider meine Seele.

V. 17. Und er liebte den Fluch usw. David zeigt sich sehr wortreich, indem er die Bosheit seiner Feinde beschreibt. Es soll dadurch vollends deutlich werden, dass er in seiner Strenge wider sie lediglich Gottes Urteil unterschreibt. So oft wir uns dem Richterstuhl Gottes nahen, sollen wir immer darauf sehen, dass die zweifellose und klare Güte unserer Sache ihn uns zum Freunde mache. Darum bezeugt David, dass er im Vertrauen auf sein gutes Gewissen Gottes Gericht wider seine Feinde verkünden kann. Was als einfache Aussage dasteht: der Fluch wird kommen; der Segen wird ferne von ihm bleiben – wird als Wunsch zu verstehen sein. Denn noch immer bittet David, es möge dem Feinde das Übel vergolten werden, das er andern antat. Wie er von Guttätigkeit nichts wusste, sondern seine Freude darin suchte, Böses zu tun, so soll er jetzt jeglichem Übel ausgesetzt sein. Unter dem „Fluch“ verstehen manche Ausleger harte Verwünschungen, etwa in dem Sinne, dass der Feind an solchen seine Freude hatte, und dass nichts anderes wünschte als Verderben und Unglück. Das wird richtig sein, wenn auch der Gedanke noch weiter greift: durch Schaden tun wollte der Feind allen Segen austilgen und freute sich an den Niederlagen guter und einfältiger Leute. Die beiden folgenden Verse übersetzen viele Ausleger in der Vergangenheitsform. Ich nehme sie lieber als Wunsch: Und er ziehe den Fluch an wie sein Hemd. Der Fluch möge an ihm hängen wie ein Kleidungsstück, möge ihn wie ein Gürtel umstricken, ja in seine Gebeine dringen. Dabei ist zu merken, dass alle Anschläge der Gottlosen auf ihr Haupt zurückfallen: je frecher sie wüten, umso gewisser ziehen sie auf sich selbst herab, was sie andern antun wollen.

V. 20. So geschehe denen usw. Damit wird der Preis und Lohn ihrer Mühe beschrieben. Ausdrücklich aber fügt David hinzu, dass er ihnen vom Herrn zuteil werden soll. Er bezeugt damit, dass seine Hoffnung auf dem himmlischen Rächer ruht, wenn er auch auf Erden von menschlicher Hilfe entblößt ist. Dieser Vers lässt nun ersehen, dass David nicht leichthin und gedankenlos seinen Feinden fluchte, sondern mit ruhiger Sicherheit aussprach, was ihm der Geist eingab. Ich gebe gern zu, dass viele unter dem Vorwand solcher Zuversicht sich doch zu maßlos hochfahrendem Wesen hinreißen lassen. David aber verkündete mit ruhigem Herzen, was er mit dem reinen Auge des Glaubens erschaut hatte, nämlich dass seinen Feinden die Vergeltung bereit lag, weil er selbst der Frömmigkeit pflegte und unter dem Schutz der Hand Gottes stand. Wie schließen daraus, dass er nicht auf Menschen sah, wobei er nur hätte schwanken können, je nachdem er die Welt sich freundlich oder feindlich fühlte, sondern dass er allein auf Gott ausruhte. Wer an Menschen sich hängt, wird bei der geringsten Strömung zu Fall kommen. Wir müssen darum nach dem Beispiel des heiligen Mannes unsere Gedanken nach oben richten und von dort unsern Rächer erwarten, wenn auch die ganze Welt uns im Stich lässt. Will der Herr uns durch Menschenhand herausreißen, so wird er leicht Diener finden, die ihm zur Verfügung stehen. Will er aber zur Prüfung unseres Glaubens uns von allen irdischen Hilfsmitteln entblößen, so sollen wir doch ihm seine Ehre lassen: zur rechten Zeit wird sein Gericht erscheinen, im Blick auf welches wir ruhig Geduld haben konnten.

21Aber du, Herr, Herr, sei du mit mir um deines Namens willen; denn deine Gnade ist mein Trost: errette mich! 22Denn ich bin arm und elend, mein Herz ist zerschlagen in mir. 23Ich fahre dahin wie ein Schatten, der vertrieben wird, und werde verjaget wie die Heuschrecken. 24Meine Knie sind schwach von Fasten; und mein Fleisch ist mager und hat kein Fett. 25Und ich muss ihr Spott sein; wenn sie mich sehen, schütteln sie ihren Kopf. 26Stehe mir bei, Herr, mein Gott! hilf mir nach deiner Gnade, 27dass sie innewerden, dass dies sei deine Hand, dass du, Herr, solches tust.

V. 21. Aber du, Herr usw. Von den Klagen und den Verwünschungen gegen die Feinde geht David nun zum Gebet über. Eben indem er Gott sich als Retter vor Augen stellte, scheint er sich die Gebetszuversicht gestärkt zu haben – wie denn alle frommen Betrachtungen, in welchen die Heiligen ihren Glauben üben und festigen, sie zur Anrufung des Namens Gottes treiben. Übrigens rühmt er sich keines Gehorsams, mit welchem er Gottes Hilfe verdient hätte, noch stützt er sich auf eigene Würdigkeit, sondern findet seine einzige Zuflucht in Gottes Gnade. Er beruft sich zwar gegen die Feinde auf seine Unschuld, deren er sich bewusst war, um ihre Ungerechtigkeit noch mehr offenbar zu machen: aber von einer Verrechnung Gott gegenüber sagt er nichts. Denn er geht von dem obersten Grundsatz aus, dass er alles der freien Erwählung Gottes verdankt und dass von ihr sein Heil abhängt. Und doch hätte David gewiss nicht an letzter Stelle stehen müssen, wenn überhaupt jemand sich eigener Tüchtigkeit und Verdienste rühmen konnte. Was sollen wir nun von uns sagen, die wir auch bei völliger Unbescholtenheit immer bekennen müssen, dass wir mit vielen Sünden belastet sind! David aber ist weit entfernt, den Herrn an irgendeinen Rechtsanspruch zu binden. Es bleibt darum nur dies eine übrig, dass Gott, dessen Wesen Guttätigkeit ist, und der in seinem gütigen Erbarmen seine Gnade durch unsere Rettung hell leuchten lassen will, uns schütze. So oft wir also dem Herrn uns nahen, wollen wir die beiden Punkte festhalten, dass es zwar des Zeugnisses eines guten Gewissens bedarf, dass man aber von keiner Würdigkeit träumen soll, die Gott zu unserm Schuldner machte, und von keinem Verdienst, welches Lohn beanspruchen dürfte. Wenn schon in der Erhaltung dieses flüchtigen und hinfälligen Lebens Gott seinen Namen und seine Güte erstrahlen lässt, wie viel mehr muss alles Vertrauen auf Werke schwinden, wenn es sich um das himmlische und ewige Leben handelt! Wenn er mich aus der Tyrannei des Satans erlöst und zu seinem Kinde annimmt, wenn er durch Christi Blut meinen Unflat reinigt, mich durch den heiligen Geist erneuert, dem Leibes seines Sohnes einpflanzt und zum ewigen Leben hindurchführt, so muss ich in demselben Maße, als er freigebig mit mir handelt, auf jedes eigene Lob verzichten. Auf der andern Seite aber weist David (V. 22) auf seinen Jammer und sein Elend hin, um Gottes Gunst zu gewinnen. Und weil hierfür äußere Trübsal nicht genügen würde, sondern man, frei von allem Stolz, sich innerlich demütigen muss, sagt er noch einmal: mein Herz ist zerschlagen in mir. Wir werden dadurch erinnert, dass Gott nur denen zum Arzt wird, die sich wahrhaft demütigen und zu ihm seufzen, nicht aber stumpfsinnig in ihrem Unglück dahingehen.

V. 23. Ich fahre dahin wie ein Schatten. Dieser Vers enthält zwei überaus treffende Gleichnisse. In Bezeug auf das erste haben wir schon früher (zu Ps. 102, 12) dargelegt, inwiefern ein niedergebeugter und gleichsam halbtoter Mensch recht wohl mit einem abendlichen Schatten verglichen werden kann. Auch das andere Gleichnis beschreibt eine unbeständige Lage. Denn wie Heuschrecken hierhin und dorthin springen, so klagt David, dass sein Leben ein beständiger Umtrieb war, da immer neue Verfolger sich erhoben und ihm kein ruhiges Plätzchen ließen. So sagt er auch im 11. Psalm, dass er zu fortwährender Wanderung gezwungen sei, weil man ihm nachstellte wie die Schlingen der Vogelsteller einem Sperling. Da nun unser Psalm das Bild der ganzen Gottesgemeinde zeichnet, sollen wir uns nicht wundern, wenn auch uns der Herr umtreibt und durch mannigfache Zufälle aus dem Schlafe weckt. So stellt Paulus (1. Kor. 4, 11) sich und seine Genossen als Leute dar, die keine gewisse Stätte haben: und dies trifft irgendwie auf alle Gotteskinder zu.

V. 24. Meine Knie sind schwach von Fasten. Man kann dies als ein Zeichen der Trauer nehmen, dass David, obgleich ihm Lebensunterhalt zur Verfügung stand, sich mit freiwilligem Fasten aufgerieben hätte, ganz ebenso, wie er sich dem Gebet ergab. Auch daran könnte man denken, dass ihm Speise und Tank zum Ekel ward: wissen wir doch, dass traurigen und betrübten Leuten die Nahrung nicht schmeckt, wie sie überhaupt des Lebens überdrüssig sind. Auch die Deutung lässt sich hören, dass David wirklich Mangel litt: denn wenn er sich vor der Wut des Feindes in den Höhlen der Tiere verbergen musste, werden sich vielfach Hunger und Dürftigkeit eingestellt haben. Ich halte doch am ehesten dafür, dass er unter diesem Zeichen die tiefste Traurigkeit beschreibt: denn indem er den Tod vor Augen sah, fühlte er sich von Speise und Trank zurückgestoßen. Eben darauf deutet der nächste Satz: mein Fleisch ist mager und hat kein Fett. Denn (Spr. 7, 22): „Ein betrübter Mut vertrocknet das Gebein.“ Statt Fett übersetzen andere „fette Speise“ und denken daran, dass ihm jede schmackhafte Nahrung abgegangen sei. Einfacher ist doch der Gedanke, dass er, weil ihm der Lebenssaft fehlte, vor Schmerz und Mangel abmagerte. Die unwürdige Lage wird durch einen andern Umstand gesteigert (V. 25): er muss, wie er auch sonst (Ps. 22, 7 f.) klagt, jedermanns Spott sein. Es ist für Kinder Gottes besonders traurig und herb, wenn sie spüren müssen, dass der Fluch, den Gott den Übertretern seines Gesetzes ankündigt, auf ihr Haupt sich wendet. Sagt doch das Gesetz zu den Verächtern (5. Mos. 28, 37): „Du wirst ein Scheusal und Spott sein.“ Und dies war die Versuchung, die einen David anfocht. Er weiß nicht nur davon zu sagen, dass man ihn für verworfen hielt, sondern dass ihm hochfahrender Spott begegnete, der nebenher auch den Herrn traf. Ist es doch die Art der Gottlosen, dass sie unsern Glauben und unsre Gottesfurcht angreifen, wenn sie sich über unser Unglück erhaben dünken: sie spotten darüber, dass Gott uns im Elend nicht hilft.

V. 26. Stehe mir bei, Herr! Der Prophet wiederholt seine Bitte. Denn in demselben Maße, wie Satan uns mit allerlei Anschlägen bekämpft, sollen unser Eifer und unsren Anstrengung wachsen. Sind wir auch überzeugt, dass Gott uns gnädig ist, so kann es doch nicht ausbleiben, dass mancherlei Zweifel sich einschleicht und einnistet, wenn er zögert und die Gottlosen mit ihren Tüfteleien uns reizen. Darum hat es guten Grund, dass David wider derartige Anläufe immer wieder diesen Schild vorhält, dass der Herr in seiner Gnade den Seinen in der Not hilft. Er bittet aber (V. 27), dass Gott ihn nicht in gewöhnlicher Weise, sondern mit ausgezeichneter Kraftwirkung rette, damit der Feind betroffen stillschweige. Wir wissen ja, dass der Herr den Seinen öfters in der Stille hilft; zuweilen streckt er aber auch seinen Arm öffentlich aus, so dass die Gottlosen, selbst wenn sie die Augen schließen, sich gezwungen sehen, ein göttliches Walten zu spüren. Wie also Davids Feinde über Gott sich erhoben hatten, so möchte er wiederum in Gottes Namen über sie triumphieren. Nicht will er für sich selbst den Ruhm kriegerischer Tüchtigkeit erwerben, sondern Gottes Macht soll sich offenbaren, die alles Fleisch demütigt. Bei dem Ausdruck, dass seine Hand solches tut, kann man allerdings nicht bloß an den Ausgang, sondern auch an die Betrübnis selbst denken. Vornehmlich wird aber David wünschen, dass man seine Rettung der Gnade Gottes zuschreibe: denn indem er Gottes Hand dem Glück wie allen menschlichen Mitteln entgegenstellt, will er, dass man allein Gottes Wirken erkenne. Dies sollen wir uns fleißig einprägen: denn wenn auch jedermann durch Gottes Hand gerettet zu werden begehrt, stellt unter hundert doch kaum einer sich das Ziel der Verherrlichung der Ehre Gottes vor Augen. Und doch sollte sie, die tatsächlich an erster Stelle steht, uns mehr gelten als die eigene Rettung. Wer nun wünscht, dass die Gottlosen vom Wirken der Hand Gottes überführt werden, muss noch vielmehr in Bezug auf sich selbst bedenken, dass es Gottes Hilfe war, die er erfuhr. Es wäre doch gar zu verkehrt, andere auf Gottes Hand hinzuweisen, deren Erkenntnis nicht zuerst uns tief ins Herz dränge.

28Fluche sie, so segnest du. Setzen sie sich wider mich, so werden sie zu Schanden; aber dein Knecht wird sich freuen. 29Meine Widersacher müssen mit Schmach angezogen werden, und mit ihrer Schande bekleidet werden wie mit einem Rock. 30Ich will dem Herrn sehr danken mit meinem Munde, und ihn rühmen unter vielen. 31Denn er stehet dem Armen zur Rechten, dass er ihm helfe von denen, die sein Leben verurteilen.

V. 28. Fluchen sie, so segnest du. Viele Ausleger finden hier Wunschsätze; aber es ist meines Erachtens ein Irrtum, hier noch an ein Gebet zu denken. David hat vielmehr sein Gebet beendet und rühmt sich nun in Sicherheit der Gunst Gottes. So spricht er aus: Vergebens werden sie meiner fluchen, weil du, Gott, segnen wirst. Dadurch zeigt er, dass die Drohungen der Feinde ihn nicht im Geringsten schrecken, obwohl sie ihm durch das Gift der Zunge nicht weniger Schaden tun können als mit dem Schwert. Sollen also Bosheit, Schlechtigkeit, Frechheit, Stärke und Wut der Feinde unsere Herzen nicht erschüttern, so sollen wir nach Davids Vorgang den Herrn zu unserer Rechten stellen, der alle ihre Anschläge wie Rauch zerstreuen wird. Sicherlich gibt man erst dann der Gnade Gottes Raum, wenn man durch seinen Glanz alle Schrecken verscheucht, den die Welt uns entgegen warf. David singt also im Vertrauen auf Gottes Gunst sich schon mitten im Kampf ein Siegeslied, indem er furchtlos verachtet, was die Feinde unternahmen; denn Gottes Segen werden sie nicht überwältigen. Dies drückt das nächste Satzglied noch klarer aus: Setzen sie sich wider mich, so werden sie zu Schanden. Wir sehen hier, dass die Raserei der Feinde noch nicht gebändigt ist: David aber lässt sie wüten und ihre Vorstöße unternehmen, wenn er nur selbst durch Gottes ausgestreckte Hand sich decken kann. So stärkt und ermutigt er sich und andere durch sein Beispiel wider allen Stolz der Welt, selbst wenn die Bosheit unserer Feinde uns überlegen scheint. In dieser Hoffnung verspricht er sich für die Zukunft: Dein Knecht wird sich freuen. Wir entnehmen daraus, dass man Bedrängnisse mit sanftem und stillem Geist tragen soll, bis die rechte Freudenzeit kommt. In demselben Rühmen fährt er auch im nächsten Vers fort: sieht er auch die Gottlosen in großem Übermut sich erheben, so schaut er doch mit dem Blick des Glaubens weit voraus und zweifelt nicht, dass Gott sie in allen ihren Anläufen Enttäuschung und Misserfolg erfahren lassen wird.

V. 30. Ich will dem Herrn sehr danken. Dieser Schluss lässt noch deutlicher ersehen, was ich schon sagte, dass David jetzt nicht mehr betet, sondern in heiligem Rühmen des Glaubens seiner Feinde spottet. Denn er rüstet sich zur Danksagung, als wäre sein Gebet schon erhört. Dass er aber sagt: Ich will danken mit meinem Munde, ist nicht eine überflüssige Rede. Es schwebt ihm eine öffentliche Danksagung vor: nicht bloß bei mir selbst will ich in stiller Herzensfreude und ohne Zeugen bedenken, was Gott mir getan hat, sondern will öffentlich vor den Menschen mit dem feierlichen Opfer des Lobes bezeugen, wie viel ich seiner Gnade verdanke. In demselben Sinne fügt er auch hinzu: und ihn rühmen unter vielen, oder wie man ebenfalls übersetzen könnte: „unter den Großen“. In jedem Fall will David sich nicht bloß im verborgenen Winkel dem Herrn dankbar beweisen, sondern in der größten Volksmenge und auch unter den Vornehmen. Gewiss muss vor der Zunge noch das Herz Gottes Lob singen, - aber es wäre doch ein Zeichen von Kälte, wollte nicht auch die Zunge begleitend hinzutreten. David gedenkt nun aber allein des Mundes, weil er es für zugestanden annahm, dass ein Lob, welches nur den Menschen in die Ohren klingt, hohl und eitel ist, wenn nicht das Herz vor Gott redet. Darum bricht er aus der innersten Stimmung des Herzens in das äußere Bekenntnis aus: denn das Streben nach gegenseitiger Erbauung muss die Gläubigen zu dieser Pflicht antreiben, - sonst würde man Gott der ihm zustehenden Ehre berauben. Auch der Grund der Danksagung wird angegeben (V. 31): Gott stehet dem Armen zur Rechten. Darin ist angedeutet, dass Gott immer nahe und bereit war, rechtzeitige Hilfe zu bringen, auch wenn er den Armen vergessen und verlassen zu haben schien. In wie verzweifelter Lage sich David befand, zeigen die Worte, dass er von denen errettet werden muss, die sein Leben verurteilen. Er hat es also nicht bloß mit den mächtigsten Feinden zu tun, mit dem Könige und seinen Großen; dieselben brüsteten sich auch hochmütig ihrer Macht, als wäre es schon um sein Leben geschehen, und verachteten ihn wie einen toten Hund. Ohne Zweifel klagt aber David hier nicht bloß, dass die Feinde in ihrer Grausamkeit ihm übel mitspielten, sondern dass sie ihn auch mit ungerechten Vorwürfen und Schmähungen durchhechelten. Wir wissen ja, dass er durch ihr ungerechtes Verfahren unterdrückt wurde, indem die Würdenträger einen falschen Vorwand gerechten Gerichts wider ihn vorbrachten.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

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