Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 9.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 9.

V. 1. Da nun das hörten alle Könige usw. Den Königen hatte die Ankunft der Israeliten von Anfang an nicht unbekannt bleiben können. Doch Gott hatte ihr Herz gleichgültig gemacht, sodass sie es versäumten, rechtzeitig sich zum gemeinsamen Angriff zusammenzuschließen. Töricht war es, dass sie ihre Vorbereitungen erst begannen, als sie durch die Niederlage der zwei Städte gewaltsam aus ihrer Schläfrigkeit aufgeweckt wurden. Es handelte sich doch um einen gemeinsamen Krieg; da war es also eigentlich schon ein Verzicht auf Erfolg, als sie den Nachbarn keine Hilfe sandten, ja nicht einmal ein zur Verteidigung ausreichendes Heer ausrüsteten. Die vereinigten Streitkräfte so vieler Völkerstämme hätten das Volk mit großem Schrecken erfüllen müssen, Gott aber nahm schonende Rücksicht auf ihre Schwachheit. Ihre Tatenlosigkeit war für die Kinder Israel höchst vorteilhaft. Sie hatten jetzt Zeit genug, sich zu sammeln, und rüsteten sich in Ruhe, um den Angriff der Feinde, vor deren Namen sie sonst zittern mussten, abzuwarten. Mochten also die Gottlosen alles versuchen wollen, um Gottes Gemeinde zu vernichten, so hatte Gott doch, um sie unschädlich zu machen, ihre Pläne verwirrt und verkehrt, ja er hatte sie mit Torheit geschlagen. Anderseits zeigt sich ihre Hartnäckigkeit darin, dass sie sich durch das offenkundige Wunder Gottes nicht beugen lassen, sondern sich gleich wütenden Bestien der unüberwindlichen Macht Gottes widersetzen. Das Gerücht von Jerichos Fall war zu ihnen gedrungen. War diese Feste durch Menschenverstand oder Menschenkunst, war sie durch Handstreich, war sie durch Kriegsmaschinen bezwungen worden? Nein, ihre Mauern waren von selbst zusammengestürzt! Wie konnten sie sich dann noch unterstehen, tollkühn die Waffen gegen des Himmels Macht zu erheben?

V. 3. Aber die Bürger zu Gibeon usw. Nur die Bürger zu Gibeon verschmähten den Kampf und griffen zur List. Sie gaben vor, von weit hergewandert zu sein, und baten um friedliche Aufnahme. Schändlich war es, dass sie als Nachbarvolk solchen Versuch wagten, dass sie dadurch den Israeliten Tür und Tor öffneten, und dass sie die Streitkräfte der Bundesgenossen verminderten. Josuas und der Fürsten Leichtgläubigkeit verdient Tadel, da sie unbesonnen und ohne Untersuchung auf solchen Vertrag eingehen. Gott, der stets das Licht aus der Dunkelheit aufleuchten lässt, wandte aber alles zum Besten seines Volkes. Einerseits war das Vorgehen der Gibeoniten klug bedacht: sie wollten nicht zwecklos durch vergeblichen Widerstand den Herrn herausfordern. Dennoch war es ebenso töricht und lächerlich als unrecht und unvernünftig, dass sie durch Betrug und unerlaubte List sich die Gunst der Israeliten erschmeicheln wollten. Wie konnte ein Bündnis festen Bestand haben, das nur auf Grund krassen Betruges geschlossen war? Sie stellten sich wie Fremdlinge, die aus weit entferntem Gebiete hergezogen waren. Mit diesen Heuchlern schließt Josua Frieden, hält sich aber nur an den Wortlaut des Schwures gebunden. Ihre Schlauheit, mit der sie sich hatten eindrängen wollen, sollte ihnen doch keinen Nutzen bringen. Weil in solchen Dingen in alten Zeiten eine große Redlichkeit herrschte, verließen sie sich auf den geschworenen Eid, den nach ihrer festen Überzeugung die Israeliten nicht brechen würden. So zeigt uns die Zusammenstellung in den ersten Versen unseres Kapitels, dass Josua nicht bloß mit offenen Feinden zu tun hatte, die sich ihm in der Feldschlacht entgegenstellten, sondern auch mit Verschlagenheit und List.

V. 6. Und gingen zu Josua usw. Das Bündnis war nach Gottes Recht nutzlos und hinfällig. Was erlangen die Gibeoniten durch diesen Bund? Nichts anderes als das Versprechen der Schonung unter der Voraussetzung, dass sie aus weiter Ferne seien. Je öfter sie diese Lüge wiederholen, desto mehr machen sie das durch List erzwungene Bündnis hinfällig. Es wurde ja nur geschlossen auf Grund ihrer Aussagen: denn die Israeliten sollten kein fernes, fremdes Volk belästigen. Die Bewohner Kanaans dagegen waren ausdrücklich von jedem Bündnis ausgeschlossen. Es nützte ihnen nichts, dass sie in der Absicht, zu betrügen, Gottes Namen nennen und dadurch Josuas Erkenntnis unklar machen. Sie behaupten, im Namen Gottes gekommen zu sein, gerade als wollten sie Gott, und zwar dem Gott Israels die Ehre geben. Darin lag stillschweigender Bruch mit ihrem gewohnten Aberglauben. Denn wenn es wahr gewesen wäre, dass sie durch die Kunde von den Gotteswundern in Ägypten bewogen worden wären zu kommen, so erkannten sie diesem ihnen zuvor unbekannten Gotte Israels die höchste Macht zu.

V. 14. Da nahmen die Hauptleute ihre Speise an. Unrichtig ist die Erklärung, die Hauptleute hätten durch den Geschmack sich von dem Alter des Brotes überzeugen, oder durch ein Mahl den Bund besiegeln wollen. Es wird vielmehr ihre ungeheure Leichtgläubigkeit getadelt, mit der sie sich ohne weitere Untersuchung bei der erzählten Fabel beruhigten, ihre Aufmerksamkeit nur auf das Brot richteten und dem ganzen Lügengebilde nicht auf den Grund gingen. Ein einigermaßen aufmerksamer Sinn hätte sofort Verdacht schöpfen müssen. Weil es aber vorkommen kann, dass auch die schärfsten Augen durch Vorspiegelungen getäuscht werden, so wird der schwere Vorwurf hinzugefügt, dass sie den Mund des Herrn nicht fragten. Es wäre ihnen für alle Fälle geholfen gewesen, wenn sie Gottes Orakel befragt hätten, ehe sie irgendetwas unternahmen. Darum war es ein Beweis größter Sorglosigkeit, dass sie, obwohl der anwesende Priester durch Urim und Thummim Gottes Antwort erfragen konnte, so unbesonnen und ohne Untersuchung einen Entschluss fassten. Dieser Leichtsinn, der mit einer augenblicklichen Verachtung der göttlichen Gnade verbunden war, lässt sich nicht entschuldigen.

V. 16. Aber über drei Tage usw. Schnell traf die Israeliten die Strafe zur Beschämung wegen ihres Leichtsinns. Ihre Fahrlässigkeit hatte sie gründlich hereinfallen lassen, weil sie nicht nachgeprüft hatten. Gott verzieh ihnen aber ihren Fehltritt, ja er wandte ihn noch zum Besten und bewahrte sie vor schwerem Schaden. Israel unterließ alle Feindseligkeiten in diesem Gebiete, weil sie den Gibeoniten Schonung versprochen hatten. Da kann man nun fragen: War denn jener Eid bindend für die Israeliten, denen doch nichts ferner lag, als ihr Wort Betrügern zu verpfänden? Stand es nicht auch dem Volke frei, dem, was die Führer töricht versprochen hatten, die Zustimmung zu verweigern? Auf die erste Frage ist zu antworten: Die Heiligkeit des Eides muss von uns soweit geachtet werden, dass wir nicht unter dem Vorwande eines Irrtums unser Wort brechen, selbst gegen die, welche uns betrogen haben. Der heilige Name Gottes muss uns höher stehen, als alles in der Welt. Sollte also einer einen unbedachtsamen Eid geleistet haben, so löst ihn kein Verlust noch Schaden von seinem Worte. Zweifellos hat die Psalmstelle (15, 4) diesen Sinn: die wahren Gottesfürchtigen brechen ihr Wort nicht, selbst wenn sie sich selbst zum Schaden geschworen haben. Sie wollen lieber Schaden erleiden, als durch Zurückziehen ihrer Versprechung den Namen Gottes der Verachtung preisgeben. Also müssen, falls nur der persönliche Nutzen oder Schaden in Frage kommt, eidlich gegebene Versprechen unbedingt gehalten werden. In der Tat geht aus dem vorliegenden Bericht hervor, dass die Israeliten sich davor scheuten, den Namen ihres Gottes der Schmähung durch die Kanaaniter preiszugeben. Mit Nachdruck wird hervorgehoben (V. 19): „Wir haben geschworen bei dem Gott Israels“. Nur ein ganz besonderer Grund war es, um dessentwillen die Israeliten sich nicht gebunden zu fühlen brauchten: sie hatten ja nicht nur auf ihr eigenes Recht verzichtet, sondern waren sündhafterweise von Gottes Gebot gewichen, welches doch bis ins kleinste hätte unantastbar sein sollen. Ihre Sache war es doch nicht, den Besiegten Schonung zuzusagen oder Bedingungen für die Unterwerfung aufzustellen. Dennoch verhandeln sie, als hätten sie zu solchen Verhandlungen das Recht. So haben sie also eigentlich den Namen Gottes doppelt entweiht, indem sie auf Grund ihres Eides hartnäckig verteidigen, was sie törichterweise versprochen hatten. Dass aber das Volk in völligem Vertrauen zu seinen Führern seine Hand nicht an die Gibeoniten legt, zeigt die Redlichkeit jener Zeit. Wie nahe hätte die Aussage gelegen, dass das Belieben weniger Leute nicht das ganze Volk binden könne! Man hätte sich ja auch von allem zurückziehen können mit der Ausrede, durch die einigen wenigen wohlgefälligen Bedingungen sei doch das ganze Volk nicht gebunden. So lehnten einst die Römer den „caudinischen Frieden“1) ab, welchen nur die Konsuln, Legaten und Tribunen gegen den Willen des Senats und des Volkes beschworen hatten. Mehr Lob verdient die schlichte Aufrichtigkeit, welcher der Eid mehr gilt, als eine scharfsinnige Untersuchung, in welcher die Mehrzahl unserer Zeitgenossen sich heute gefällt. Zwar war das Volk unzufrieden darüber, dass die Führer sich mehr angemaßt hatten, als ihnen zustand, doch wusste es sich so zu mäßigen, dass die Äußerung des Missfallens nicht über ein unruhiges Murmeln hinausging.

V. 20. Aber das wollen wir tun usw. Obgleich sie den Gibeoniten durch den Vertrag ihr Leben geschenkt hatten, halten sie sich doch nur teilweise an den Bund. Denn während den Gibeoniten völlige Schonung zugesichert war, wird ihnen jetzt die Freiheit, welche doch kostbarer ist, als das Leben, geraubt. Wir sehen daraus, wie Josua in dieser verwickelten und schwierigen Frage einen Ausweg erdacht hat, durch welchen der Eid nicht ganz und gar hinfällig wurde. Der Hauptgrund für diesen Vorschlag war die Absicht, das Volk zu beruhigen. Jetzt erschien es ihm unwürdig, dass sie den Gibeoniten ihr Wort gegeben hatten: darum rächten sie sich für ihre Hinterlist; denn wenn diese Leute ungestraft geblieben wären, hätten sie mit Recht über Israel spotten können. Es war gewiss eine harte Bedingung für sie, dass sie nicht nur zu Sklavendiensten gezwungen, sondern auch von ihren Häusern losgerissen wurden und ein heimatloses Dasein haben sollten. Die niedrigen und mühevollen Dienste der Trossknechte werden ihnen zugewiesen; und es war nicht leicht, dort, wo Gott die Lade Halt machen ließ, Holz zu fällen und Wasser zu tragen.

V. 22. Da rief ihnen Josua usw. Da er ihnen eine harte und betrübende Rede halten musste, schickt er voraus, dass er nichts Unrechtes gegen sie beschlossen habe; Betrug und Heuchelei dürften denen, die solche Mittel gebrauchten, keinen Vorteil bringen. Er hält ihnen vor, dass sie durch Lügen die Gefahr von sich abwenden wollten, dann spricht er den Fluch über sie. Die Schuld ihrer Knechtung tragen sie selbst, und sie empfangen keine härtere Strafe als sie durch die List und Treulosigkeit wirklich verdient haben. Der Grund des Fluchs liegt in ihnen selbst. Es war hart für sie, dass es nie ein Ende geben sollte mit den Diensten, die ihnen auferlegt wurden (V. 23): es sollen unter euch nicht aufhören Knechte. Doch weist Josua nochmals darauf hin, dass ihnen damit keinerlei Unrecht geschehe, da sie ja selbst durch ihr schändliches Tun den Fluch auf sich geladen haben. Zwar wollen sie ihr Vergehen noch geringer erscheinen lassen, indem sie auf die Notlage hinweisen, in welcher sie sich befanden. Allein sie wehren sich nicht gegen die Bestrafung, weil sie zugeben müssen, dass sie Strafe verdient haben. Was hätten sie auch durch Abstreiten der Schuld erreicht? Im Bewusstsein ihrer Schuld mussten sie diese Strafe, bei der sie mit dem Leben davonkamen, noch für eine sehr milde halten.

1)
In Rom verweigerte man im Jahre 321 v. Chr. die Anerkennung der demütigenden Bedingungen, durch welche das von den Samnitern bei Caudium völlig eingeschlossene Heer sich freien Abzug erkauft hatte.
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