Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 2.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 2.

V. 1. Josua aber hatte ausgesandt usw. Jetzt waren es andere Gründe, welche Josua trieben, Kundschafter abzuschicken, als früher, da er selbst mit elf anderen ausgesandt worden war. Damals sollten sie das ganze Gebiet des Landes erforschen und über seine Lage, Beschaffenheit und Fruchtbarkeit, über seine Erzeugnisse, über Umfang und Dichtigkeit der Städte und über die Einwohner und ihre Sitten dem Volke berichten. Dadurch sollten auch die Unschlüssigen angetrieben werden, sich mit Freuden zum Eroberungszuge zu rüsten. Aus 5. Mo. 1 geht hervor, dass Mose auf die Bitten des Volkes die Männer ausgesandt hatte zur Erkundung des Landes; doch berichtet er an anderer Stelle (4. Mo. 13, 2 f.), dass er es auf Gottes Geheiß getan habe. Also sind auch jene zwölf auf Gottes Befehl ausgezogen. Sie wollten nach sorgfältiger Erforschung des Landes seine Vorzüge verkünden, um den Mut des Volkes zu erhöhen. Jetzt aber sendet Josua heimlich zwei Boten, welche erspähen sollen, ob der Durchzug ihnen offen stehe oder nicht, und ob die Bewohner Jerichos ruhig oder gerüstet und zum Widerstand bereit seien. Auf Grund des Berichtes dieser Späher will er dann gegen drohende Gefahren Vorkehrungen treffen. Nun könnte man fragen: Ist dieses Vorgehen zu billigen, oder müssen wir seine allzu große Besorgnis verurteilen? Es hat ja den Anschein, als habe er sich mehr, als recht war, auf seine eigene Klugheit verlassen, da er, ohne Gott zu fragen, so vorsichtig ausspähte, um Gefahren zu meiden. Es wird nicht gesagt, er sei durch besondere Offenbarung dazu getrieben, den Aufbruch anzuordnen und den Befehl zum Jordanübergang zu geben. Doch versteht es sich von selbst, dass er über den Aufbruch keinen Entschluss gefasst hat ohne Gottes Veranlassung. So ist denn auch anzunehmen, dass er bei der Aussendung der Kundschafter Gottes Willen gekannt hat, ja dass Gott selbst seinem Knechte diesen Plan eingegeben hat, weil er sah, dass diese Sicherheitsmaßregel nötig war. Jedenfalls rüstete sich Josua, als er seinen Boten vorschrieb, sie sollten Jericho erforschen, zur Eroberung dieser Stadt; darum wünschte er Gewissheit darüber zu bekommen, an welcher Seite er am leichtesten und sichersten angreifen könne.

Sie kamen in das Haus einer Hure. Jüdische Ausleger reden lieber von einer „Wirtin“, um nichts Schändliches sagen zu müssen. Aber das ist ganz unangebracht. Es hat vielmehr etwas Wahrscheinliches, dass die Boten, welche den Blicken und dem Gedränge der Menschen zu entgehen und die belebten Stadtteile zu meiden suchten, zu einem solchen Weibe kamen, welches in einem dunklen Winkel wohnte. Ihr Haus lag an der Stadtmauer, und seine Außenwand war sogar auf die Mauer gebaut. Also muss es ein ganz unbekannter Winkel fern vom Markte gewesen sein, wie ja die Huren gewöhnlich in Nebengässchen und an einsamen Orten wohnen. Aber es kann auch nicht gut ein gewöhnliches Gasthaus gewesen sein, welches jedermann offen stand, weil es dann nicht möglich gewesen wäre, solche heimlichen Gespräche zu führen und die Boten so gut zu verbergen. Also glaube ich, sie haben sich ganz heimlich eingeschlichen und dann sofort in der Dunkelheit verborgen. Wenn nun dieses Weib, das bisher schändlichem Erwerb nachging, bald darauf als Glied in das auserwählte Gottesvolk aufgenommen wurde, so zeigt sich darin Gottes Gnade; umso mehr als sie nicht nur Rahab, sondern auch ihren Vater und ihre Brüder aus dem Hause der Schande, in das sie hineinleuchtete, herauszog.

V. 2. Da ward dem Könige gesagt usw. Wahrscheinlich hatte man in den unsicheren Zeiten aus Angst vor dem Kriege Wächter bestellt, um verdächtige Fremdlinge zu beobachten. Die Israeliten, die ja schon in der Nähe waren, hatten bei den Idumäern und Moabitern offen verkündigt, sie suchten Wohnsitze im Lande Kanaan. Ihre Zahl war erschreckend groß; zwei benachbarte Könige hatten sie getötet und dadurch große Macht gewonnen. Auch war die Kunde von dem Durchzug durchs große Meer weit bekannt geworden. Da wäre es überaus leichtsinnig gewesen, wenn man in Jericho, so nahe an der Landesgrenze, bei so drohender Gefahr jeden beliebigen Ankömmling unbeobachtet hätte durchziehen lassen. So ist es nicht wunderbar, dass Unbekannte, besonders wenn sie allem Anschein nach in feindlicher Absicht gekommen waren, sofort zum König geführt wurden. Aber wir müssen annehmen, dass Gott die Leute von Jericho zugleich verblendet hatte, sodass sie die Tore nicht sorgfältig genug bewachten. Denn es wäre doch leicht gewesen, die Kundschafter beim Eintritt in die Stadt festzuhalten, wenn man nur einigermaßen aufgepasst hätte. Man hätte sie sofort verhören müssen und mühelos gefangen nehmen können. Die Bürger von Jericho hatten aber vor lauter Angst so sehr die Besinnung verloren, dass sie gar nicht mehr vernünftig und verständig zu handeln wussten. Immerhin schwebten die zwei Boten in größter Gefahr; der König will sie holen lassen: sie aber sind in ihrer Herberge verborgen. Da hing ihr Leben an einem Faden, nämlich an der Antwort des Weibes. Hier haben einige die Meinung ausgesprochen, Josuas Misstrauen solle dadurch gestraft werden; er hätte im Vertrauen auf Gottes Führung ruhig den Jordan überschreiten sollen. Der weitere Verlauf jedoch zwingt uns zu einer ganz anderen Auffassung: Gott wollte durch die Errettung der Boten aus solcher Gefahr dem Volke kundtun, wie er für sein Wohl und seinen glücklichen Einzug in das Land sorgte.

V. 4. Aber das Weib verbarg die zwei Männer. Man darf annehmen, dass die Nachricht von der Ankunft der Männer sich verbreitet hatte, bevor Rahab aufgefordert wurde, sie herauszugeben. Auf diese Weise war Zeit genug vorhanden, um sie zu verbergen. Als der königliche Befehl kam, wäre nicht mehr Zeit genug gewesen; noch weniger hätte das Weib es dann gewagt, so kaltblütig zu lügen. Aber weil sie ihre Gäste so versteckt hatte, dass nicht leicht jemand ihnen auf die Spur kommen konnte, trat sie unerschrocken vor und half sich mit einer schlauen Antwort. Hier erheben sich nun zwei Fragen; zunächst: ist dieser Verrat der Vaterstadt zu entschuldigen, - und weiter: war die Lüge hier keine Sünde? Von Natur ist uns, wie wir wissen, die Liebe zum Vaterlande, welches gleichsam unsere gemeinsame Mutter ist, angeboren. Rahab wusste nun, dass es sich um den Untergang der Stadt handele, deren Bürgerin sie war. Darum scheint es doch eine abscheuliche Grausamkeit zu sein, dass sie den Kundschaftern mit Rat und Hilfe beistand. Es wäre eine lächerliche Ausflucht, wenn man antworten wollte: da der Krieg nicht regelrecht erklärt war, so waren sie auch keine erklärten Feinde. Das ist doch klar genug, dass sie mit ihnen gemeinsame Sache machte zum Verderben ihrer Mitbürger. Darum können nur die Gedanken, die Gott ihr ins Herz gab, sie entschuldbar machen. Von zwei Aposteln wird ihr Glaube gerühmt (Hebr. 11, 31; Jak. 2, 25) und dadurch zugleich bezeugt, dass der Dienst, den sie den Kundschaftern leistete, vor Gott wohlgefällig war. Da wundert es uns nicht, wenn Gott hier dieses fremde Weib, welches er gewürdigt hat, als Glied seinem Volke einverleibt zu werden, von den gottlosen und verfluchten Heiden abgesondert hat. Bis zu jenem Tage war sie eng verbunden mit ihren Volksgenossen, jetzt aber wurde sie durch diese Neuerung frei gemacht von den Gesetzen, durch welche die Bürger untereinander verpflichtet sind. Damit sie durch den Glauben zu dem anderen Volke übergehen könnte, musste sie sich von ihren Volksgenossen lossagen. Und weil sie sich also nur auf Gottes Urteil stützte, ist ihr Verrat nicht als Verbrechen anzusehen. Was soll man nun von der Lüge denken? Obwohl sie einem guten Zwecke dienen sollte, ist sie doch nicht ohne Schuld. Wer eine Notlüge entschuldigt, bedenkt nicht, wie wertvoll vor Gottes Augen die Wahrheit ist. Wenn es uns auch vorgeschrieben ist, unsern Brüdern zu helfen, für ihr Wohl zu sorgen und sie zu unterstützen: niemals ist es erlaubt, zu lügen. Denn das kann nicht recht sein, was Gottes Natur zuwider ist. Gott aber ist die Wahrheit. Obgleich die Tat der Rahab somit diesen Makel trägt, bleibt sie doch zu loben. Oft sind Heilige, die den rechten Weg zu wandeln trachteten, auf krumme Abwege geraten. Als Rebekka ihrem Sohne Jakob den Segen verschaffte, hat sie sich der Verheißung unterworfen. In ihrem Gehorsam zeigte sie also frommen und lobenswerten Eifer. Und doch wich sie zweifellos vom rechten Wege ab, als sie den Jakob so kleidete, als wäre er Esau. Unlautere Schlauheit kann also ein an sich lobenswertes Werk bis zu einem gewissen Grade beflecken. Doch dieser Makel, welcher ihrer Tat anhaftet, vermag Gottes gnädiges Wohlgefallen an ihrem Eifer nicht auszutilgen. Er wird durch Gottes Vergebung begraben und nicht in Anrechnung gebracht. Unrecht war es, als Rahab log, die Boten seien fortgezogen. Dennoch war ihre Tat vor Gottes Augen wohlgefällig, denn dieser Betrug wird ihr nicht angerechnet. Indessen wenn Gott auch wollte, dass die Späher befreit wurden, so konnte er es doch nicht billigen, dass ihr Leben durch eine Lüge schützt wurde.

V. 7. Aber die Männer jagten ihnen nach usw. Ihre große Leichtgläubigkeit zeigt, dass sie durch Gott betört waren. Durch diese Täuschung hatte Rahab schon viel erreicht. Doch begann die Angst aufs Neue: denn als die Tore geschlossen wurden, war die Stadt wie ein Gefängnis und bot keinen Ausweg mehr. Diese ernste Prüfung trieb die beiden Männer daher wieder, Gott anzurufen. Gott führte sie aus einer Gefahr in die andere, um dadurch seine Gnade desto herrlicher zu beweisen. Sie wussten, dass man sie suche; darum beunruhigte sie die Nachricht, dass man ihnen sehr scharf aufpasse. Doch größer wurde die Angst, als sie hörten, dass man ihnen den Ausgang verlegt habe. Rahab aber scheint keineswegs sehr erschreckt gewesen zu sein, denn mit großer Geistesgegenwart und mit ruhigen Worten verhandelt sie mit ihren halbtoten Gästen über die Schonung ihrer Person und ihrer Familie und beweist durch diese Festigkeit aufs Neue ihren Glauben. Viele können nicht begreifen, dass Jakobus und der Verfasser des Hebräerbriefs sie lobend erwähnen in der Aufzählung der Glaubenshelden. Wer aber alle Umstände sorgfältig erwägt, wird leicht erkennen, dass sie wirklich mit lebendigem Glauben erfüllt war. Wenn man den Baum an seinen Früchten erkennt, so sehen wir hier ungewöhnliche Wirkungen ihres Glaubens, die für seinen Wert zeugen. Auch ist aus ihrer Frömmigkeit hervorgewachsen, was sie über die Nachbarvölker sagt, sie seien schon gewissermaßen besiegt und überwältigt, da ihr Land durch einen von Gott gesandten Schrecken gänzlich erschüttert sei. Rahab erkennt eben, dass durch Gottes Macht die erschreckten Völker Kanaans dahin gebracht waren, sich selbst schon jetzt gleich so ihr Todesurteil zu sprechen. Der große Schrecken, den Israel vor sich her verbreitet, ist ihr ein Vorzeichen des Sieges, denn sie streiten unter Gottes Führung. Obwohl aber alle den Mut verloren hatten, rüsteten sie sich doch in hartnäckiger Wut zum Widerstande. Da kann man wieder beobachten, wie die Gottlosen, auch wenn sie durch Gottes Hand erschreckt und erschüttert sind, dennoch sich nicht unterwerfen, um das Joch auf sich zu nehmen, sondern in ihrer Angst und Furcht trotz allem unbezähmbar bleiben. Die Gläubigen und die Ungläubigen verhalten sich sehr verschieden, wenn sie in Furcht sind; und an Rahab kann man sehen, dass sie vom Glauben erfüllt war. Sie fürchtete sich nicht weniger als irgendein anderer aus ihrem Volke. Da sie aber einsah, dass sie es mit Gott zu tun hatte, so war es ihr klar, dass es kein anderes Mittel gab, als demütige Beugung. So konnte sie ein Unglück abwenden, während sie durch Widerstand nichts erreicht hätte. Bei den übrigen armen Bewohnern des Landes, die zwar in Furcht und Schrecken darniederlagen, war doch die Hartnäckigkeit nicht gebrochen; sie reizten einander nur umso mehr zum Kampfe auf.

V. 10. Denn wir haben gehört usw. Jetzt nennt Rahab den wichtigsten Anlass zu der allgemeinen Bestürzung. Die Kunde von den bisher unerhörten Wundertaten erweckte bei allen den Eindruck, dass Gott für die Israeliten streite. Ohne Zweifel steht fest, dass der Weg durchs Rote Meer durch Gottes Macht gebahnt worden ist; denn niemals haben Wassermassen ihre Natur verändert und haben sich zu festen Haufen aufgetürmt, wenn nicht der Schöpfergott es also befahl. Jene Aufhäufung des Elementes beweist also deutlich, dass Gott auf der Seite desjenigen Volkes stand, dem er einen trockenen Durchgang durch die Wassertiefen verschafft hat. Auch die hervorragenden Siege über Sihon und Og mussten mit Recht für Erweise göttlicher Gunst gegen Israel gelten. So kamen alle zu der festen Überzeugung, dass Gott beim Zuge der Kinder Israel der eigentliche Führer war; daher dann die Furcht und Bestürzung. Wahrscheinlich sind sie zugleich durch die abergläubische Vorstellung getäuscht worden, Gott sei im Kampfe mit den Göttern Ägyptens der Stärkere gewesen. Denn nach Darstellung heidnischer Dichter muss jeder Gott, je nachdem er dieses oder jenes Volk in seinen Schutz nimmt, mit den anderen streiten, und in diesem Kampfe sucht jeder seine Schutzbefohlenen zu beschützen. Rahabs Glaube stieg indessen viel höher: denn sie schrieb dem alleinigen Gott die höchste Macht in Ewigkeit zu. Denn das enthält ja der Ehrenname „Jehovah“. Daher bildet sie sich nicht ein, wie die allgemeine Meinung war, dass irgendeiner aus der Schar der Götter den Israeliten mit seiner Hilfe beistehe, sondern bringt demjenigen als dem einigen wahren Gott Preis und Anerkennung dar, der, wie alle erkennen konnten, dem Volke Israel seine Gnade erzeigte. So ist sie also weit über ihre Volksgenossen hinaus fortgeschritten.

V. 11. Denn der Herr, euer Gott usw. Wie in einem Spiegel zeigt sich hier deutlich das Bild des Glaubens, den Rahab besaß. Alle Götzen verwirft sie, und nimmt für den einigen Gott Israels die ganze Herrschaft über Himmel und Erde in Anspruch. Jetzt, da dem Gott Israels Himmel und Erde unterworfen sind, weist sie alle Erdichtungen der Heiden zurück, durch welche Gottes Majestät, Macht und Ruhm zerpflückt werden. Darum haben zwei Apostel (Hebr. 11, 31; Jak. 2, 25) wohl Grund gehabt, den Glauben der Rahab rühmend hervorzuheben. Die übermütigen Menschen, welche darüber spotten, sollten lieber erwägen, was es heißt, den einen wahren Gott von allen Scheingebilden zu unterscheiden und zugleich seine Macht so hoch zu erheben, dass man ihm die ganze Weltherrschaft zutraut. Rahab hat das nicht ausgesprochen mit zweifelndem Herzen, sondern als ihre unbedingte Überzeugung. Sie sagt, dass alles, was an Macht vorhanden sei, in der Hand des Gottes Israels allein ruhe, sodass er über alle Elemente herrsche, alles ordne oben und unten und alle Menschen regiere. Wohl gebe ich zu, dass es erst ein keimhafter Glaube, ein Samenkorn der rechten Frömmigkeit gewesen ist, das noch nicht zur ewigen Seligkeit genügt hätte. Aber daran muss man festhalten, dass diese Frau mit ihrer geringen und schwachen Gotteserkenntnis dennoch durch ihre Anerkennung der göttlichen Herrschaft den Beweis für ihre Erwählung geliefert hat. Aus jenem Samenkorn keimte der Glaube und wuchs zu dem rechten Maße heran.

V. 12. So schwöret mir nun usw. Aufs Neue beweist Rahab ihren Glauben. Sie sieht in den Kindern Abrahams schon die Besitzer des Landes Kanaan, und zwar nur deshalb, weil sie gehört hat, Gott habe es ihnen verheißen. Es schien ihr nicht glaublich, dass Gott Räubern seine Gnade erweise, welche mit ungerechter Gewalt und zügelloser Begierde in fremdes Gebiet eindringen. Sie war vielmehr davon überzeugt, dass jene nur deshalb ins Land Kanaan kämen, weil Gott ihnen die Herrschaft darüber zugesprochen habe. Es ist ja nicht anzunehmen, dass sie bei ihrer Bitte um freien Durchzug den Idumäern und den übrigen Völkern das Ziel ihrer Reise verschwiegen haben. Vielmehr war jenen Völkern die dem Abraham gegebene Verheißung wohl bekannt, welche nach dem Verzicht des Esau wieder neu bestätigt worden war. Rahabs Worte zeigen uns auch, dass der Glaube, wie der Hebräerbrief (11, 1) sagt, ein Schauen der noch nicht erschienenen Dinge ist. Rahab wohnt bei den Ihrigen in der befestigten Stadt: aber ihre zu Tode erschrockenen Gäste bittet sie um Schonung ihres Lebens, als hätten jene bereits das Land in Besitz und könnten jedem Beliebigen nach ihrem Willen das Leben nehmen oder lassen. Durch diese freiwillige Unterwerfung ergreift sie doch geradezu Gottes Verheißungen und vertraut sich seinem Schutze an. Die eidliche Zusage aber verlangt sie, weil häufig bei Eroberungen die Wut und Erregung solche Verpflichtungen vergessen lässt. Aus demselben Grunde erinnert sie an die erwiesene Freundlichkeit: Dankbarkeit soll die Israeliten umso mehr treiben, ihr Wort zu halten. Zwar der Eid hätte für sie schon genügen müssen. Allein der Undank gegen die Frau, durch deren Gastfreundschaft sie gerettet wurden, wäre doppelt schändlich und grausam gewesen. Die Bitte um Schonung ihres Vaters und ihrer Verwandten zeigt ihre Anhänglichkeit und Liebe. So natürlich das auch ist, es sind doch viele so selbstsüchtig, dass sie nicht zögern würden, das Leben ihres Vaters preiszugeben, um ihr eigenes zu retten; so wenig denken sie oft daran, für die Rettung der anderen zu sorgen.

V. 14. So soll unsere Seele des Todes sein usw. Die Kundschafter wünschen sich selbst den Tod an, für den Fall, dass sie die Sorge für Rahabs Rettung nicht treulich auf sich nehmen. Vor Gottes Augen verpflichten sie sich, ihr Leben als Sühne darzubieten, wenn durch ihre Nachlässigkeit der Rahab Böses widerfahren sollte. Die Worte „für euch“ beziehen sich ohne Zweifel auf ihren Vater und ihre Geschwister. Wenn Rahabs Familie nicht unversehrt bliebe, soll man sie dafür verantwortlich machen mit ihrem Leben. Menschlich gesprochen wäre es wohl erlaubt gewesen, in solchem Falle zu betrügen; ihr heiliger Schwur aber fordert Gott zum Zeugen auf. Er soll Rechenschaft von ihnen verlangen, wenn sie treulos würden. Dass Rahab (V. 20) nichts verraten soll, wird nicht aus Misstrauen hinzugefügt, sondern damit sie desto besser auf der Hut sei. Diese Ermahnung kam aus bester Absicht, denn die Gefahr lag ja nahe, dass, wenn Rahab die getroffene Vereinbarung etwa ausplauderte, sie sich durch ihr gegebenes Zeichen (V. 18) selbst verriet. Es liegt den Kundschaftern also viel daran, dass diese ganze Angelegenheit völlig verborgen und begraben bleibe, damit nicht eine unbedachte Andeutung über die geheime Verabredung Rahabs Tod herbeiführe. Darin zeigen sie, wie eifrig sie für ihre Rettung sorgen; sie beugen rechtzeitig vor, damit ihnen die Möglichkeit dazu nicht genommen werde. Darum verlangen sie auch, dass niemand aus dem Hause herausgehe, und lehnen alle Verantwortung ab, wenn einer auf der Straße getötet würde. Das zeigt, wie vorsichtig man beim Schwören sein muss, damit nicht durch leichtsinniges Versprechen der Name Gottes entheiligt werde. – Rahab rät (V. 16) den Männern, auf das Gebirge zu gehen und dort drei Tage sich zu verbergen. Der Glaube will es eben keineswegs ausschließen, dass man in offenbaren Gefahren Vorsichtsmaßregeln treffe. Sicherlich haben sich die Boten mit Angst und Zittern auf die Berge geschlichen. Aber ihr Vertrauen, mit dem die offenkundige Hilfe Gottes sie erfüllte, hat ihre Schritte gelenkt, sodass sie nicht unbedachtsam handelten.

Eine neue Frage wird aufgeworfen: War es denn erlaubt, durch ein Fenster aus der Stadt zu entfliehen, wenn es doch als ein Verbrechen galt, über die Mauern zu springen? Man muss aber festhalten, dass nicht überall die Stadtmauern heilig waren, weil nicht überall ein Romulus zur Hand war, der einen Vorwand zur Beseitigung des Bruders suchte. Auch darf man jenes Gesetz nicht allzu scharf handhaben, denn derjenige verdient statt der Strafe sogar eine Belohnung, welcher die Mauern übersteigt, um die Feinde zurückzutreiben. Diese Bestimmung hatte den Zweck, die Bürger durch den Schutz ihrer Mauern zu beruhigen. Wenn also einer nicht aus Verachtung, noch aus Mutwillen, noch in betrügerischer Absicht, noch in Aufruhr, sondern aus Not die Mauern übersteigt, so wäre es ein Unrecht, ihn eines todeswürdigen Verbrechens zu beschuldigen. Wenn aber einer sagt, das sei hier ein schlechtes Vorbild, so gebe ich das zwar zu; allein da es ja im Voraus bestimmt war, dass das Leben der Kundschafter der ungerechten Gewalt und Nachstellung entrissen werden sollte, so wird ihr Tun, wenn es nur ohne irgendwelche Schädigung und Verletzung vor sich ging, durch die Notlage entschuldigt. So kann man auch dem Paulus keinen Vorwurf daraus machen, dass er in einem Korbe herabgelassen wurde, als er in Damaskus in Lebensgefahr war (Apg. 9, 25): denn es ist vor Gott erlaubt, sich der Gewalt und Grausamkeit der Frevler zu entziehen, wenn es ohne Aufruhr möglich ist.

V. 24. Und sprachen zu Josua usw. Josua hatte, wie wir hier sehen, sich bei der Auswahl der rechten Kundschafter nicht getäuscht. Ihre Worte zeugen von außerordentlich beherztem, frischem Mute. Andere, die sich nicht so schnell von der ausgestandenen Angst erholt hätten, würden das ganze Lager in Bestürzung gebracht haben. Diese aber ermutigen durch ihren Bericht über die wunderbare Gnade Gottes, die sie bei ihrem glücklich vollbrachten Zuge und bei der Überwindung der Gefahren erlebt hatten, den Josua und das ganze Volk zu unerschrockenem Weiterziehen. Die Verheißung allein hätte schon genügen müssen, um sie zur Eroberung des Landes anzutreiben. Doch nimmt Gott soweit Rücksicht auf die Schwachheit der Seinen, dass er, um alle Zweifel zu beseitigen, seine Verheißungen durch die Erlebnisse bestätigt. Die Bestürzung der Völker bewies, dass Gott nicht umsonst geredet hatte; schon fing er an, sie in die Flucht zu jagen und sie wie mit dazwischen gesandten Hornissen auseinanderzutreiben. Daher kamen die Boten gerade wie Rahab zu dem Schluss, dass das Land ihnen schon gegeben sei, weil ja seine Bewohner vor Furcht fast vergingen. Alle hatten den Mut verloren, gerade als hätte sie Gottes Hand zu Boden geschlagen.

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