Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 18.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 18.

V. 1 u. 2. Da Jesus solches geredet hatte. Bei diesem Abschnitt seiner Erzählung übergeht Johannes vieles, was man bei den anderen drei Evangelisten liest, und zwar absichtlich; er hatte sich vorgenommen, dafür dann vieles, worüber jene schweigen, zusammenzustellen, da es der Erwähnung wert ist. Das Fehlende möge man in den anderen Evangelien nachlesen.

Über den Bach Kidron. In einigen Handschriften steht im Griechischen vor Kidron der Artikel in der Mehrzahl, als handelte es sich um einen „Bach der Cedern“. Doch ist dies wahrscheinlich ein Irrtum. Das hebräische Wort bedeutet vielmehr eine finstere Stätte: das Tal war eine in den Boden gehöhlte Schlucht und daher schattig. Wenn der Evangelist berichtet, dass Jesus über diesen Kidronbach gegangen, so will er damit zu verstehen geben, er sei freiwillig in den Opfertod gegangen. Denn der Herr kam dort an einen Platz, von dem er wusste, dass Judas ihn ganz genau kannte. Weshalb gerade dorthin? Doch gewiss, um aus freien Stücken sich dem Verräter und den Feinden auszuliefern. Dass er nicht aus Unbedachtsamkeit an einen besonders ungünstig gelegenen Ort sich begab, dafür bürgt sein Vorauswissen von dem, was ihm bevorstand.

Nachher (V. 4) erwähnt ja Johannes ausdrücklich, dass Jesus den Feinden entgegenging. Nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen nahm er das Sterben auf sich, damit es ein willig dargebrachtes Opfer sei; ohne solchen Gehorsam wäre uns die Versöhnung nicht erworben worden. Er geht tiefer in den Garten hinein, nicht deshalb, weil er dort ein Versteck suchte, sondern weil er gern ungestört betete. Wenn er nun dreimal um Abwendung seines Todes gebetet hat, so widerstreitet das nicht dem, was wir von seiner Gehorsamswilligkeit gesagt haben: er musste mit den Schwierigkeiten ringen, um sie endlich zu überwinden. Nach Niederzwingung des Todesgrauens eilt er in voller Freiheit zum Sterben.

V. 3. Da nun Judas usw. Wenn Judas mit Soldaten und so vielen Knechten sich einstellte, so ist das ein sicheres Zeichen seines bösen Gewissens; ein solches macht ja auch da den Menschen ängstlich, wo kein Anlass vorliegt. Die römische Kriegerschar ist jedenfalls auf besonderes Nachsuchen hin vom Landpfleger beigegeben worden; er wird auch den V. 12 genannten Tribun oder Opferhauptmann mitgesandt haben, wie der Anführer einer solchen Abteilung von tausend Fußsoldaten hieß. Solche militärische Abteilung lag als Besatzung in der Hauptstadt, um plötzlichen Unruhen zu begegnen; sie diente auch dem Landpfleger auf seinen Reisen durchs Land als Leibwache. Die übrigen Leute, welche den Judas begleiteten, waren Diener der Priesterschaft und, wie Johannes wieder (vgl. 11, 46. 47. 57) besonders bemerkt, der Pharisäer, die mehr noch als die anderen vor Wut gegen Jesum schäumten und einen besonderen religiösen Eifer an den Tag legen wollten.

V. 4 bis 6. Wie nun Jesus wusste usw. Hier zeigt der Evangelist so recht deutlich, mit wie völliger Hingabe der Seele Christus in den Tod gegangen ist; doch erzählt er dabei auch, welche Kraft aus seiner kurzen Frage strömte: Wen sucht ihr? Wir sollen wissen, dass die Gottlosen dem Herrn nur genau so viel antun durften, als er ihnen gestattete. Mit sanfter Ruhe spricht er einfach aus (V. 5): Ich bin es. Trotzdem streckt sie sein Wort zu Boden, als hätte ein Sturmwind sie umgerissen oder vielmehr ein Blitzstrahl sie getroffen. Hätte Jesus gewollt, - die Macht, sich ihre Hände fernzuhalten, hätte ihm wahrscheinlich nicht gefehlt.

So aber wollte er nur dem Vater gehorchen, dessen Ratschluss ihn, wie er wusste, zum Tode rief. Übrigens lässt sich aus unserer Stelle abnehmen, wie furchtbar, ja wie entsetzlich dereinst den Gottlosen die Stimme Christi klingen wird, wenn er seinen Thron bestiegen hat, die Welt zu richten.

Damals stand das Lamm bereit, zur Würgebank geführt zu werden. Von der Majestät des Gottessohnes war scheinbar nichts mehr da. Da wirft er mit seinem Worte seine Feinde zur Erde, die als gewappnete Krieger gekommen waren. Aber was hat er denn eigentlich gesagt? Hat er ihnen ein fruchtbares: Ihr seid verdammt! entgegen geschleudert? Ach nein, er hat nur gesagt: „Ich bin es.“ Wie wird es nur erst hergehen, wenn er, den dann kein Mensch mehr richten kann, kommen wird, um selbst die Lebendigen und die Toten zu richten! Dann wird er ja nicht mehr in geringer Knechtsgestalt erscheinen, sondern in himmlischer Herrlichkeit, umgeben von seinen Engeln! Bei seiner Gefangennahme wollte Christus nur beweisen, dass sein Kraftwort wirklich vermag, was der Prophet (Jes. 11, 4) weissagt, wenn er die Herrschermacht des Messias schildert: „Er wird mit seinem Stabe seines Mundes die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.“ Die völlige Erfüllung dieser Verheißung stellt Paulus (2. Thess. 2, 8) freilich erst für das Ende in Aussicht. Doch sehen wir alle Tage, wie auf den Ruf Christi gottlose Menschen trotz ihrer Wut und ihres Hochmuts tot zu Boden stürzen. Als damals die Männer, welche gekommen waren, Jesum zu fesseln, hinfielen, da zeigte sich an ihnen ein Sinnbild der Angst, wie sie alle Gottlosen empfinden, sie mögen wollen oder nicht, wenn Christus durch seine Diener redet. Diese Wirkung der Stimme Jesu ist aber nicht eigentlich diejenige, welche er liebt und wünscht. Er braucht am liebsten seine Stimme, um arme Menschen, die im Tode daliegen, aufzurichten: so wird er sie einst ohne Zweifel gebrauchen, um uns in den Himmel empor zu heben.

V. 7. Da fragte er sie abermals. Daraus geht hervor, wie tief die Blindheit ist, mit der Gott den Verstand der Gottlosen blendet, und welch eine schreckliche Stumpfheit sich ihrer bemächtigt, sobald nach Gottes gerechtem Gericht Satan sie verzaubert hat. Ochsen und Esel haben doch eine Empfindung davon, dass etwas Außerordentliches geschehen ist, wenn sie unversehens zu Boden fallen. Diese Menschen aber haben die göttliche Macht Christi handgreiflich verspürt und bleiben unentwegt in ihrem alten Gange, als hätten sie an ihm gar nichts erlebt, als hätte sie nicht einmal der Schatten eines Menschen gestreift. Ja, selbst Judas wird nicht erschüttert. Welch erschütterndes Bild des göttlichen Gerichts, welches die Verworfenen dermaßen der Hand Satans übergibt, dass sie noch gefühlloser werden, als unverständiges Vieh! Keine Gehirnerkrankung vermag den Menschen so unwiderstehlich zugrunde zu richten, wie diese satanische Verblendung. Gegen Gott selber stürmen solche Gottlosen an, nachdem sie in verworfenen Sinn dahingegeben sind, und es macht ihnen das so wenig aus, als wenn sie nur eine Fliege fangen wollten. Empfinden sie auch Gottes Allmacht, so lassen sie sich doch davon nicht beugen. Hundertmal eher lassen sie sich zerbrechen, als dass sie nachgeben. Ihre Bosheit umhüllt sie ganz, gleich einem Vorhang, durch den Gottes strahlendes Licht nicht mehr hindurchdringen kann. In ihrer Verstocktheit sind sie noch unempfindlicher als ein Stein. Einen Zügel dulden sie nicht.

V. 8. Sucht ihr mich, so lasst diese gehen. Hier sehen wir, dass der Sohn Gottes nicht nur aus eigenem Triebe in den Tod geht, um durch seinen Gehorsam unsere Übertretungen zu tilgen, sondern auch, dass er es Amtes des guten Hirten zum Schutze seiner Herde waltet. Er sieht die Wölfe zum Angriff nahen. Da wartet er nicht, bis sie über die Schafe herfallen, denen er zum Wächter bestellt ist. Rechtzeitig tritt er ihnen in den Weg. So dürfen wir denn nicht daran zweifeln, dass auch uns seine Hilfe zu Gebote steht, so oft gottlose Menschen oder die Geister der Hölle uns angreifen wollen. Außerdem hat Christus durch sein Vorbild allen Hirten seiner Herde eine Dienstanweisung geschrieben, die sie zu befolgen haben, wenn anders sie gewillt sind, ihr Amt auszufüllen, wie es recht ist.

V. 9. Ich habe der keinen verloren usw. Es scheint nicht ganz passend, dass sich der Evangelist gerade hier auf diesen Ausspruch Jesu beruft (17, 12), der sich doch mehr auf die Seelen, als auf die Leiber bezieht. Auch hat Christus ja seine Apostel nicht durchaus unverletzt erhalten, sondern hat nur dafür Gewähr geleistet, dass mitten im Gedränge fortwährender Gefahren, ja selbst mitten im Tode ihr ewiges Heil außer aller Gefahr bliebe. Aber der Evangelist denkt auch nicht einfach an die leibliche Rettung der Jünger, sondern vielmehr daran, dass Christus am besten für ihr ewiges Heil sorgt, wenn er sie jetzt noch verschont bleiben lässt. Bedenken wir nur, wie groß noch ihre Schwachheit war. Wie würden sie sich wohl auf der Folterbank benommen haben? Christus verhinderte es, dass sie über die bisher ihnen verliehenen Kräfte hinaus versucht wurden, und damit hat er sie dem ewigen Verderben entrissen. Hieraus können wir für alle Fälle die Regel entnehmen: Mag der Herr mit noch so vielen Versuchungen unseren Glauben prüfen, so werden wir doch ganz gewiss nicht in die äußerste Lebensgefahr, die schlimmste Lage hineingeraten, ohne dass er uns Heldenstärke zum Überwinden darreicht. Wir sehen es ja auch deutlich, wie er immer wieder gegen unsere Schwachheit Nachsicht übt, wenn er so oft die Unternehmungen Satans und gottloser Leute durch sein rasches Eigenreifen vereitelt. Das tut er nur deshalb, weil er sieht, dass wir der Gefahr noch nicht gewachsen sind. Er führt die Seinen erst dann in den Kampf, wenn er sie dazu hinreichend vorgebildet hat. Dann gehen sie nicht unter, wenn sie gleich untergehen: sie haben nur Gewinn davon, mögen sie sterben oder leben.

V. 10. Da hatte Simon Petrus ein Schwert. Hier wird der blinde Eifer des Petrus geschildert, welcher es unternahm, den Meister in ungehöriger Weise zu verteidigen. Als ein beherzter, energischer Mann begibt er sich um seines Heilandes willen allerdings in große persönliche Gefahr, aber er bedenkt nicht, was der Apostelberuf von ihm fordert, und was Gott erlaubt. Christus ist deshalb weit entfernt, seine Tat zu billigen oder gar zu loben; er tadelt sie vielmehr mit strengem Wort. Lassen wir die Person des Petrus beiseite, so verdammt Jesus hier alles eigenwillige Vorgehen waghalsiger Menschen. Die Lehre, die er uns damit erteilt, ist in hohem Maße der Beachtung wert. Wie oft kommt es vor, dass wir unsere Handlungsweise mit der Ausflucht beschönigen, wir hätten es doch gut gemeint, - als ob es gleichgültig wäre, ob das, was unsere eitle Menschenweisheit für recht hält, vor Gott Billigung oder Missbilligung findet! Würden wir nichts Sündiges an dem Eifer des Petrus entdecken, so müssten wir uns doch willig unter das Urteil Christi beugen: Er spricht es offen aus, wie wenig ihm die Tat seines Apostels gefällt. Noch obendrein lag es gar nicht in der Gewalt des Petrus, seinen Herrn vor der Hinrichtung zu bewahren. Im Gegenteil konnte gerade der übereilte Schwerthieb des Petrus für immer Schande auf den Namen Jesu bringen. Wenn er sich dem Oberhauptmann und den Truppen mit Waffengewalt widersetzt, dann stellt er sich damit auf eine Linie mit einem Straßenräuber. Beide lehnen sich auf gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Die Welt hasste Christum schon mehr als genug; so konnte diese eine ungesetzliche Tat seines Jüngers aufs ärgste gegen ihn ausgebeutet werden: durch den Hinweis auf sie vermochte man allen Verleumdungen, die bisher von den Feinden Jesu ausgestreut worden waren, den Anstrich der Wahrheit zu verleihen. Wie grundverkehrt auch von Petrus, dass er seinen Glauben mit dem Schwert beweisen will, den er tatsächlich nicht einmal mit der Zunge beweisen kann! Als er sich zu Jesu bekennen soll, verlegt er sich aufs Leugnen. Hier, wo der Meister ihm nichts geboten hat, wird er ein Aufrührer. Ein warnendes Exempel, dass wir unseren Eifer in rechten Schranken halten sollen! Das Gelüste unseres fleischlichen Mutwillens kitzelt uns ja stets, mehr zu wagen, als Gott gebietet. Deshalb ist wohl zu bedenken, dass unser Eifer uns nur in eine schlimme Lage hineinbringen wird, so oft wir ohne ausdrückliche Weisung des göttlichen Wortes in eigener Vermessenheit handeln. Bisweilen wird es vorkommen, dass wir mit einem solchen Wagestück anfänglich gewinnen: am Ende werden wir jedoch für unser Unterfangen zu büßen haben. Die Grundlage für alles, was wir in Angriff nehmen, sei der Gehorsam! Das Beispiel des Petrus mahnt uns auch noch daran, dass auch Leute, die Christi Sache treiben wollen, keineswegs schon immer das Rechte treffen und über jeden Tadel erhaben sind. Umso inständiger wollen wir den Herrn bitten, dass er uns bei allem unserem Tun den Geist der Weisheit verleihe.

V. 11. Stecke dein Schwert in die Scheide. Mit diesem Befehl verwirft Christus die Tat seines Jüngers. Aber weshalb verwirft er sie? Weil es für eine Privatperson nicht statthaft ist, sich gegen die zu erheben, welche ein öffentliches Amt bekleiden. Das lässt sich aus dem Bericht der anderen Evangelisten erschließen, welche alle drei den Ausspruch Christi bringen (Mt. 26, 52): „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“. Wir müssen uns also hüten, uns unserer Feinde mit Waffengewalt zu erwehren, selbst wenn sie uns durch ungerechte Behandlung dazu herausfordern; wehren dürfen wir uns nur soweit, als die Gesetze und das öffentliche Recht es uns erlauben. Wer unberufen über die Schranken hinausgeht, die ihm gesteckt sind, der mag vielleicht den Beifall der ganzen Welt auf seiner Seite haben: aber das wird Gott nimmermehr bestechen, eine solche Tat gutzuheißen.

Soll ich den Kelch nicht trinken? Der eigentliche Grund, weswegen Christus verstummen musste, war wohl der, dass er gleich dem Lamme zur Schlachtbank geführt werden sollte. Doch ist seine Geduld vorbildlich für uns; auch von uns wird sie in der gleichen Weise gefordert. Trübsal vergleicht die Schrift häufig mit dem Trank aus einem Kelch. Wie der Hausvater seinen Kindern und dem Gesinde Speise und Trank austeilt, so verfährt Gott mit uns. Er hat das Recht dazu, jeden einzelnen so zu behandeln, wie es ihm recht erscheint. Wenn er uns nun mit frohem Geschick beglückt, dann sagen wir: Er reicht uns einen süßen Trank. Demütigt er uns mit Unglück und Leid, so sagen wir: Er gibt uns einen bitteren Trank. Für unseren Heiland war das als Trank bestimmt, dass er zur Versöhnung der Welt am Kreuze sterben sollte. Folglich sagt er: Ich muss den Kelch trinken, den mir der Vater eingeschenkt hat und an die Lippen hält. Geradeso müssen auch wir uns unser Kreuz willig gefallen lassen. Doch soll man nicht auf jene Schwärmer hören, die behaupten, man dürfe bei Krankheiten keine Heilmittel anwenden und auch gegen andere Übel sich nicht zu schützen suchen, da man sonst den Kelch in Gottes Hand verschmähe. Wir wissen, dass wir einmal sterben müssen. Deshalb ziemt es sich, dass wir uns auf den Tod gefasst machen. Da wir aber nicht wissen, wann wir sterben sollen, so erlaubt der Herr uns, dass wir mit den Hilfsmitteln, die er selber dafür bestimmt hat, unser Leben bewahren.

Krankheit ist stets geduldig zu tragen, so schwer sie auch unserem Fleische fallen mag; ist es jedoch nicht sicher, dass sie einen tödlichen Verlauf nehmen wird, so muss man Linderung suchen. Nur davor haben wir uns zu hüten, dass wir nichts unternehmen, was das Wort Gottes uns verbietet. Wenn nur in unseren Herzen das „Dein Wille geschehe!“ fest eingegraben ist, dann hören wir auch, selbst beim Suchen nach Befreiung von Übeln, die uns drücken, nicht auf, den Kelch des himmlischen Vaters zu trinken.

V. 12. Die Schar aber und der Oberhauptmann. Es könnte widersinnig erscheinen, dass Christus, der durch den Klang seiner Stimme die Soldaten zu Boden warf, sich jetzt verhaften lässt. Wollte er sich doch schließlich den Feinden ergeben, was hatte es da für einen Zweck, ein solches Wunder zu tun? Nun, der Erweis seiner Gotteskraft hatte einen doppelten Wert. Er schafft den Anstoß weg, dass man meinen könnte, Christus sei so schwach, dass er allein deshalb als Besiegter das Feld geräumt habe. Ferner sieht man daraus, wie bereitwillig er den Tod für uns auf sich nahm. Soweit es nützlich war, hat er die Feinde seine Macht fühlen lassen. Sobald es aber galt, dem Vater gehorsam zu sein, hielt er an sich, um das Opfer zu werden. Außerdem wollen wir im Gedächtnis behalten, dass der Leib des Sohnes Gottes gebunden wurde, damit unsere Seelen aus den Stricken der Sünde und des Teufels gelöst würden.

V. 13. Und führten ihn zu Hannas. Das übergehen die anderen Evangelisten, weil es für den Verlauf der ganzen Geschichte wenig ausmacht. Es ist dort nichts Erwähnenswertes vorgekommen. Vermutlich lag die Wohnung des Hannas besonders bequem, um Jesum dort unterzubringen, bis der Hohepriester die Versammlung des hohen Rates einberief.

Des Jahrs Hoherpriester. Der Evangelist meint nicht, die Amtsdauer jedes Hohenpriesters sei einjährig gewesen, wie viele fälschlich annehmen, sondern er will einfach sagen, dass gerade in dieser Zeit Kaiphas Hoherpriester war, womit die Angabe des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus vollkommen übereinstimmt. Die Hohepriesterwürde war eine lebenslängliche, konnte also, wenn es nach der gesetzlichen Vorschrift ging, nur durch den Tod erlöschen. Ehrgeiz und Zwietracht brachten es jedoch dahin, dass die römischen Landpfleger den einen Hohenpriester absetzten und nach Willkür einen anderen, dem sie wohlgesinnt waren oder von dem sie Geld erhalten hatten, einsetzten. So hat der römische Statthalter Vitellius später den Kaiphas abgesetzt; dessen Nachfolger wurde dann der Sohn des Hannas, Jonathan.

V. 14. Der den Juden riet. Der Evangelist wiederholt noch einmal den früher erwähnten Ausspruch des Kaiphas (11, 50), wonach Gott den unreinen Mund eines treulosen, verbrecherischen Hohenpriesters zu einer Weissagung benutzt hat, ähnlich wie er einst die Zunge Bileams gegen die Herzensneigung desselben lenkte, das Volk Israel zu segnen, dem er gern, dem König Balak zuliebe, geflucht hätte (4. Mo. 24, 5).

V. 15 u. 16. Ein anderer Jünger. Mancher hat sich dadurch irreführen lassen, dass man leicht auf die Vermutung kommt, dieser Jünger werde wohl Johannes sein; redet er doch gern von sich, ohne seinen Namen anzugeben. Aber wie sollte man sich eine so nahe Bekanntschaft des Johannes mit dem stolzen Hohenpriester erklären? War er doch nur ein unbekannter Fischer. Und wie soll man sich das reimen, dass er im Hause des Hohenpriesters so frei aus- und einging, während er zum engsten Jüngerkreise Christi gehörte? Wahrscheinlicher ist es, dass dieser Ungenannte nicht zu den Zwölfen gehörte und nur deshalb ein Jünger heißt, weil er die Lehre des Gottessohnes angenommen hatte. –

Johannes ist nicht pedantisch in der Anordnung seiner Erzählung. Es genügt ihm, kurz die Hauptsache zusammenzufassen. Nachdem er die erste Verleugnung des Petrus berichtet hat, bringt er zuvor noch einiges andere dazwischen, und nimmt dann erst wieder den Faden auf, indem er von der zweiten und dritten Verleugnung erzählt. Davon kommt es, dass nicht ganz aufmerksame Leser folgerten, die erste Verleugnung habe in der Wohnung des Hannas stattgefunden. Zu dieser Annahme bietet aber der Wortlaut keinen Anlass. Im Gegenteil steht hier deutlich zu lesen, dass es des Hohenpriesters Magd gewesen ist, die den Petrus durch ihre Worte zur Verleugnung trieb. Festzuhalten ist, dass nicht jedermann Zutritt fand, als Christus vor die Hohenpriester geführt worden war, dass jedoch Petrus eingelassen wurde, weil ein dort bekannter Jünger ein gutes Wort für ihn einlegte. Nun kann ja freilich nicht der mindeste Zweifel obwalten, dass die beiden dem Herrn Jesus aus frommer Anhänglichkeit gefolgt sind, und doch, - nachdem Christus ausdrücklich bezeugt hatte, dass er den Petrus und die anderen Jünger geschont sehen wollte, wäre es weit ersprießlicher gewesen, irgendwo in einer dunklen Ecke zu seufzen und zu flehen, als hier ans helle Licht unter die Augen der Menschen zu treten, wo es doch um die Festigkeit der Jünger noch so schwach bestellt war. Eine Jüngerpflicht, von der Christus ihn entbunden hat, erfüllt Petrus mit Begier! Als es aber darauf ankommt, das Bekenntnis des Glaubens abzulegen, worin er bis in den Tod hinein hätte verharren müssen, da fällt er. Wir müssen stets danach fragen, was der Herr wirklich von uns verlangt, damit niemand sich in eine Sache einlasse, die nicht unumgänglich nötig, und der er nicht gewachsen ist.

V. 17. Da sprach die Magd zu Petrus. Petrus wird in den hohenpriesterlichen Palast geführt; aber das Eintrittsgeld ist viel zu hoch: er wird gezwungen, Christum zu verleugnen. Da er gleich von vornherein so schimpflich strauchelt, kommt die ganze Leichtfertigkeit seines verwegenen Unternehmens an den Tag. Er hatte sich gebrüstet: Ich werde beweisen, dass ich ein Held bin, den niemand besiegen kann, ja ich nehme den Ringkampf mit dem Tode selbst auf mich! – und jetzt braucht nur eine Magd ein Wort zu sagen, und zwar gar nicht einmal ein Drohwort von rauem Klange, da wirft er ganz betroffen die Waffen fort. Wahrlich, ein Beispiel menschlichen Heldentums!

Lauter Rauch ist Menschenkraft, der vor einem Windhauch zerflattert. Außer Kampfesweite sind wir gar ungestüm und mutig; aber die Erfahrung zeigt, wie töricht und grundlos unser Übermut ist. Selbst wenn Satan noch keine Ränke spinnt, bilden wir uns Schrecknisse ein, welche gar nicht da sind, und werden dadurch viel zu früh verwirrt und matt. Den Petrus hat die Stimme eines Weibleins erschreckt. Wie steht es mit uns? Zittern wir nicht beim Rascheln eines fallenden Laubes? Der bloße Schein einer von weitem drohenden Gefahr ließ den Petrus ängstlich zusammenfahren. Werden wir nicht durch kindische Kurzweil täglich von Christo weggezogen? Aber so steht es um unsere Tapferkeit: ohne dass ein Feind sich zeigt, bricht sie von selbst zusammen. Darin steht Gottes Rache über menschlichen Übermut, dass er trotzige Seelen ihre Schwachheit erfahren lässt. Der Mensch, nicht von Mut, sondern nur von Aufgeblasenheit erfüllt, verspricht sich einen mühelosen Sieg über die ganze Welt. Doch, sieht er nur den Schatten einer Distel, so wird er jählings blass. Lasst uns lernen, nur in dem Herrn stark zu sein!

Ich bin es nicht. Das ist scheinbar keine eigentliche Verleugnung Christi. Aber wenn Petrus sich fürchtet, zu bekennen, dass er zu seinen Jüngern gehöre, so ist das so gut, als ob er abstritte, irgendetwas mit Jesu zu tun zu haben. Man beachte das wohl! Es soll niemand sich einbilden, auf gute Art durchgekommen zu sein, wenn er mit sophistischen Worten doch nur die Tatsache verdeckt, dass er nicht rund seinen Glauben bekennen mag.

V. 18. Petrus stand bei ihnen. Diese Bemerkung dient dem Evangelisten, um alsbald den weiteren Faden der Erzählung anknüpfen zu können (V. 25). Übrigens geht aus dem Benehmen des Petrus hervor, wie wenig ihn sein Gewissen wegen der Verleugnung des Meisters plagte. Seelenruhig stellt er sich zu einer Rotte gottloser Menschen und wärmt sich bei ihnen. Immerhin ist es möglich, dass die Furcht ihn zurückhielt. Er war bange, nochmals, wie vorhin, angehalten und angesprochen zu werden, wenn er den hohenpriesterlichen Palast verließe.

V. 19. Der Hohepriester frage Jesum. Der Hohepriester fragt Jesum, als hätte er einen Sektierer vor sich, der einen Riss in die Gemeinde Gottes gebracht hat, indem er durch Sonderlehren Jünger warb. Er forscht ihn aus, als wäre Christus ein falscher Prophet, der durch neue, verkehrte Glaubenssätze die reine Lehre zu beflecken sich unterstanden hätte. Christus aber hat des Lehramtes treulich gewaltet: so braucht er sich nicht erst eine Verteidigung auszusinnen. Um jedoch die Wahrheit nicht schutzlos preiszugeben, zeigt er sich bereit, alles, was er gelehrt hat, aufrecht zu erhalten. Dabei wirft er zugleich ein Streiflicht auf das unverschämte Gebaren des Hohenpriesters, der sich anstellt, als müsse er erst noch herauszubekommen suchen, was Jesus gelehrt hat. Darüber konnte kein Zweifel sein; das war aufs allergenaueste bekannt. Nicht genug damit, dass sie den ihnen geschenkten Erlöser und damit das ihnen zugesagte Heil verwerfen, verurteilen sie auch die gesamte Gesetzesauslegung, die er gegeben hat.

V. 20 u. 21. Ich habe frei öffentlich geredet. Diese Aussage scheint mit dem Worte zu streiten, das Jesus einst seinen Jüngern sagte (Mt. 10, 27), dass erst sie öffentlich predigen sollen, was er ihnen ins Ohr geredet (vgl. auch Mt. 13, 11). Was Jesus aber an unserer Stelle sagt, bezieht sich auf den Gesamtgehalt seiner Lehre, der sich überall gleich blieb, wenn er auch der Form nach öfters zu den Jüngern insbesondere redete. Was er ihnen dabei vortrug, war nicht etwa eine verschmitzte Geheimlehre. Somit kann Jesus mit gutem Gewissen behaupten, dass er den Grundgehalt seiner Lehre immer frei und offen verkündet habe.

V. 22. Als er aber solches redete usw. Dass der Evangelist diesen Backenstreich erwähnt, soll erstlich zeigen, wie groß die Wut der Feinde Christi war, und welche Gewaltherrschaft sie ausübten; weiter ersehen wir daraus, welcher Art die Zucht war, die bei den Priestern herrschte. Als Richter sitzen sie da, und dabei wüten sie wie die wilden Tiere. Eine Ratsversammlung tagt, in welcher der höchste Ernst vorwiegen müsste, - und der erste beste Diener nimmt es sich heraus, mitten in der Verhandlung, unter den Augen der Richter, den Angeklagten zu schlagen, dem noch nichts Unrechtes nachgewiesen worden ist. Es kann uns nicht überraschen, wenn in einer so würdelosen Versammlung die Lehre Christi verdammt wird: war doch ihren Besitzern nicht nur alle Billigkeit, sondern sogar die einfache Menschlichkeit und jedes Anstandsgefühl abhandengekommen.

V. 23. Hab ich übel geredet usw. Das heißt: Wenn ich mich versündigt habe, so musst du mich deswegen anklagen. Erst wenn alles untersucht ist, und ich schuldig befunden bin, muss mir dann eine dem Maße des Vergehens entsprechende Strafe auferlegt werden. Deine Handlungsweise aber ist nicht die rechte. Vor den Schranken des Gerichts ziemt sich eine ganz andere Ordnung und bescheidene Zurückhaltung, wie man sie bei dir vermisst. –

Anscheinend richtet sich Christus hier nicht nach der doch von ihm selbst erteilten Vorschrift (Mt. 5, 39): „So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.“ Jesus lässt sich keinen zweiten Backenstreich geben. Dazu ist zu sagen: Nicht immer wird es von der Geduld eines Christen verlangt, dass er, wenn man ihn geschlagen hat, schweigend das ihm angetane Unrecht herunterschlucke, - die erste Forderung an ihn ist vielmehr die: Ertrage gelassenen Sinnes das Unrecht! Die zweite sodann: Sinne nicht auf Rache, sondern bemühe dich, das Böse mit Gutem zu überwinden (Röm. 12, 21)! Der Geist der Hölle treibt die Gottlosen schon weit über das Maß bloßer Vergeltung an, andere zu schädigen; deshalb ist es nicht gut, sie noch aufzureizen. Sonach wollen jene Worte der Bergpredigt einfach sagen: der Christ soll lieber noch ein zweites Unrecht ertragen, als das erste mit gleicher Münze zurückgeben. Deshalb steht nichts im Wege, dass wir auch als Christen denjenigen, der uns schimpflich behandelt, darüber zur Rede stellen; nur muss unsere Seele frei sein von Jähzorn und unsere Hände rein von rächender Selbsthilfe.

V. 24. Und Hannas sandte ihn usw. Dieser Satz, welcher einen Nachtrag bringt, sollte besser in Klammern stehen und übersetzt werden: „Und Hannas hatte ihn gesandt“. Wenn wir nämlich vorher (V. 13) hörten, dass Jesus zunächst zu Hannas geführt wurde, so entsteht der Schein, als habe die Ratssitzung, soweit sie bisher erzählt wurde, bei diesem stattgefunden. Diesem Missverständnis vorzubeugen, merkt der Evangelist jetzt nachträglich an, dass man Jesum längst in den Palast des Hohenpriesters Kaiphas geführt habe.

V. 25 u. 26. Er verleugnete. Wie schrecklich abgestumpft ist doch das Gewissen des Petrus, dass er den Meister verleugnet, ohne es auch nur im Geringsten zu bereuen! Er verhärtet sich vielmehr so, dass er ruhig weiter und weiter sündigt. Hätte der Reihe nach jeder einzelne ihn gefragt, er würde unbedenklich auch tausendmal Jesum verleugnet haben. Hat Satan einen Menschen wankend gemacht, dann stürzt er sein unglückliches Schlachtopfer immer tiefer und tiefer hinab. Ein Umstand, den die anderen Evangelisten hervorheben, ist noch zu beachten, nämlich, dass Petrus unter Verwünschungen bezeugt hat: „Ich kenne Christum nicht“. So geht es heutzutage vielen. Ihr Fall ist anfänglich nicht besonders schwer, aber die Sünde wird ihnen schließlich zur Gewohnheit, nachdem ihr Gewissen eingeschläfert worden ist. Zuletzt wird ein Mensch, der sich daran gewöhnt hat, Gott zu verachten, nichts mehr für unerlaubt ansehen, sondern auch das Äußerste sich herausnehmen. Deshalb ist das beste: man sieht sich bei Zeiten vor, damit man sich, wenn der Versucher sich einstellt, auch nicht in die allerkleinste Sünde einlässt, so lange man noch einen unbescholtenen Christennamen hat.

V. 27. Alsobald krähte der Hahn. Diesen Hahnenschrei erwähnt der Evangelist, weil wir in ihm einen göttlichen Wink an Petrus erkennen sollen. Nur darf man nicht geradezu behaupten, dass der bloße Hahnenschrei den Petrus an die Worte des Herrn erinnert habe: dafür hat vielmehr (nach Lk. 22, 61) Jesu Blick das Entscheidende getan. Wer erst durch einen Stoß Satans ins Stürzen gekommen ist, der lässt sich durch keinen Ruf, kein Zeichen, keine Mahnung wieder aufrichten, - helfen kann nur ein Blick aus Jesu Augen.

V. 28. Da führten sie Jesum vor das Richthaus. Dort fand das Verhör noch vor dem Morgengrauen statt. Die Feinde Jesu werden unterdessen allenthalben in der Stadt durch willige Werkzeuge das Feuer des Hasses zu heller Flamme haben entfachen lassen. Die Volkswut loderte so jäh empor, als wenn alle einstimmig Christi Tod begehrten. Die Priester veranstalteten die Voruntersuchung nicht etwa in dem Wahne, als stünde es in ihrer Gewalt, das rechtskräftige Urteil zu fällen; sie beabsichtigten nur, durch das im Voraus gefällte Urteil Jesum in den Augen des eigentlichen Richters herabzusetzen und ihn demselben auszuliefern als einen, von dem man hinlänglich wisse, was er verdient habe. „Richthaus“ nannten die Römer sowohl das Haus eines Landpflegers, als auch die Stätte, wo Gericht gehalten zu werden pflegte.

Auf dass sie nicht unrein würden. Wenn sie sich hier vor aller Befleckung in acht nehmen, um nach gesetzlicher Vorschrift rein das Ostermahl Jehovahs mitessen zu können, so zeigt sich darin ein durchaus nicht zu verachtender religiöser Sinn. Doch versündigen sie sich bei dieser Gelegenheit in doppelter Hinsicht, und zwar beide Male recht grob, nämlich zunächst dadurch, dass sie nicht bedenken, wie furchtbar sie sich gegenwärtig innerlich beflecken, viel, viel schlimmer, als es geschähe durch das Betreten des verworfensten Ortes auf der ganzen Welt, - sodann dadurch, dass sie bei aller peinlichen Aufmerksamkeit in Nebendingen und Kleinigkeiten die großen Hauptsachen ganz und gar übersehen. „Den Unreinen und Ungläubigen“, sagt Paulus (Tit. 1, 15), „ist nichts rein“, - ist doch ihr Herz durch und durch befleckt. Diese Heuchler triefen förmlich von Bosheit, Ehrgeiz, Heimtücke, Grausamkeit, Habgier und verpesten damit beinahe Himmel und Erde, - und sind doch so ängstlich darauf bedacht, dass sie sich nicht äußerlich beflecken! So wird es ein unerträglicher Spott, wenn sie Gott dadurch versöhnen wollen, dass sie sich vor befleckender Berührung mit levitisch unreinen Dingen zwar ängstlich hüten, dabei aber ein Streben nach wahrer Reinheit gar nicht in ihren Sinn kommen lassen. Alle Heuchelei leidet daran, dass sie auf Äußerlichkeiten einen übergroßen Wert legt und das, worauf alles ankommt, sorglos beiseitelässt. Gott ordnete alle jene gesetzlichen Gebräuche nur zu dem Zwecke an, damit das Volk der Juden mit ihrer Hilfe wahre Frömmigkeit lieb gewinnen und sich eines geheiligten Lebens befleißigen sollte. Übrigens ist im Gesetz nirgends verboten, das Haus eines Heiden zu betreten. Man tat es nicht, weil die Väter das der Vorsicht halber so bestimmt hatten, damit niemand unversehens aus einem unreinen Hause irgendwelche Befleckung mitnähme. Jene trefflichen Gesetzesausleger seihen sehr bedächtig eine Mücke durch; ein Kamel dagegen verschlingen sie ohne jedes Bedenken! Einen Floh zu töten, halten solche Heuchler gewöhnlich für einen größeren Frevel, als einen Menschen umzubringen; damit hängt zusammen, dass sie menschlichen Überlieferungen weitaus den Vorzug geben vor Gottes heiligen Geboten. Um vorschriftsmäßig Ostern essen zu können, wollen sie sich also rein halten. Nicht sie sind unrein, nein, alle Unreinheit steckt vielmehr in den Wänden des Richthauses, - so heucheln sie, während doch Himmel und Erde ihnen zuschauen, wie sie ohne die geringsten Skrupel die Hinrichtung eines Unschuldigen fordern. Das abbildliche Passahlamm verehren sie mit ihrer erlogenen und trügerischen Frömmigkeit, an dem eigentlichen, urbildlichen Passahlamm dagegen vergreifen sie sich mit tempelschänderischen Händen, ja, sie würden es, wenn sie nur könnten, gar zu gern für ewig vertilgen.

V. 29 u. 30. Da ging Pilatus zu ihnen heraus. Ein Weltmann bringt es fertig, über ein abergläubisches Vorurteil, das er belächelt und verachtet, sich ohne viel Umstände hinwegzusetzen. Bei der Sache selbst, die hier vorlag, benimmt Pilatus sich zunächst als ein gewissenhafter Richter; er heißt die Juden ihre Anklage vorbringen. Die Priester aber gebärden sich, als müsse auf ihr bloßes gewichtiges Wort hin der Angeklagte sofort verurteilt werden. Sie antworten einfach (V. 30), dass Pilatus sich mit ihrem im Voraus gefällten Urteil begnügen solle. Darin liegt die versteckte Klage, dass der Landpfleger ihrer Rechtlichkeit nicht das nötige Vertrauen schenke. Sie geben zu verstehen: Was für einen Grund hast du, nicht ohne weiteres davon überzeugt zu sein, dass ein Mensch, den wir verfolgen, des Todes würdig ist? –

Man sehe doch, was die Gottlosen, sobald sie nur von Gott zu Rang und Würden erhoben sind, sozusagen von ihrem eigenen Glanze geblendet, sich alles erlauben! Ja, man sehe weiter, wie sehr sie der Stolz berauscht hat! Sie verlangen, dass jedermann auf ihre bloße Anklage hin Christum für einen Übeltäter ansehe. Untersucht man aber diese Anklage genauer, welche Missetaten werden dann zu Tage kommen? Jesus hat Kranke aller Art geheilt, er hat die Menschen aus der Gewalt des Teufels befreit, Gichtbrüchigen und Lahmen wieder gesunde Glieder geschenkt, Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör, Toten das Leben zurückgegeben! Das ist alles, was er getan hat, wie seine Feinde auch selber ganz genau wussten. Wie unglaublich schwer ist es doch, Menschen nüchtern zu machen, die von Hochmut trunken sind, - so nüchtern, dass sie verständig und sachgemäß urteilen!

V. 31. Richtet ihn nach eurem Gesetz. Ohne Zweifel will Pilatus, angewidert von ihrer Leidenschaftlichkeit und Rohheit, den Priestern den Vorwurf machen: Das Verdammungsurteil, das ihr von mir ertrotzen wollt, steht im grellsten Widerspruch zu dem bei allen Völkern geltenden Recht, ja jedes Menschenherz muss davor schaudern! Darin birgt sich zugleich der Spott darüber, dass die Juden sich eines angeblich von Gott stammenden Gesetzes rühmten. Mit offenbarem Hohn ruft der Landpfleger den Juden zu: So nehmt ihr ihn hin! Tatsächlich hätte er es nicht ungestraft hingehen lassen, wenn sie jemanden hingerichtet hätten. Er will nur sagen: Ja, wenn ihr die Gewalt in Händen hättet, dann wäre es um diesen Menschen geschehen; ohne ordentliche Untersuchung würdet ihr ihn zu beseitigen wissen. Ist das die viel gerühmte Billigkeit eurer Gesetzgebung, dass man einen Menschen, der nichts Böses getan hat, zum Tode verurteilt? So geben die Gottlosen, sobald sie fälschlich sich als die Anwälte der wahren Religion aufspielen, die heilige Lehre Gottes den Schmähungen ihrer Feinde preis; und wie gern wird eine solche Gelegenheit zum Lästern von der Welt ausgenutzt!

Wir dürfen niemand töten. Einige meinen, die Juden lehnten eine Befugnis ab, die ihnen Pilatus hier im Ernst anbiete. Das ist jedoch nicht der Fall. Sie wussten vielmehr ganz genau, dass Pilatus ihnen nur zum Spott ein solches Anerbieten machte. Das Wort „Nehmet ihr ihn hin!“ geben sie ihm zurück: Das würdest du nicht zugeben. Bist du einmal Richter, so walte auch deines Amtes!

V. 32. Auf das erfüllt würde usw. Abschließend fügt der Evangelist die Bemerkung ein, dass es so habe kommen müssen, damit die Weissagung Christi (Mt. 20, 19) erfüllt würde: „Des Menschen Sohn wird den Heiden überantwortet werden“. Wenn wir die Geschichte von dem Tode Christi mit Gewinn lesen wollen, ist es ohne Zweifel eine Hauptsache, dass wir dabei auf Gottes ewigen Ratschluss schauen. Der Sohn Gottes steht vor dem Richterstuhl eines sterblichen Menschen. Wenn wir auf den Gedanken kämen, das geschähe lediglich nach der Menschen Gelüst und Willkür, und nicht auch dabei auf Gott schauten, dann müsste unser Glaube zu schanden werden und gänzlich dahinfallen. Sobald wir aber erkennen, dass durch den Anklagestand Jesu unser Anklagestand vor Gott hinfällig geworden ist, weil es dem himmlischen Vater gefiel, auf diesem Wege die Menschheit mit sich zu versöhnen, so werden wir von diesem einzigen Gedanken hoch erhoben und rühmen uns der Schande unseres Heilandes, ohne zittern oder uns schämen zu müssen. Lasset uns lernen, bei allen Ereignissen der Leidensgeschichte unsere Gedanken auf Gott, den Urheber unserer Erlösung zu richten!

V. 33 bis 35. Da ging Pilatus wieder hinein. Wahrscheinlich ist noch mancherlei hinüber und herüber geredet worden, was der Evangelist mit Schweigen übergeht. Man erfährt ja leicht alles Nähere aus den anderen Evangelisten. Johannes verlegt sich besonders darauf, darzutun, wie eifrig Pilatus alles ausgeforscht habe, ob Christus mit Recht oder mit Unrecht vor Gericht gezogen worden sei. In Gegenwart des Volkes, das von Aufruhrshitze glühte, konnte eine ruhige Behandlung nicht stattfinden. So geht Pilatus in das Richthaus hinein. Er plant, Christum freizusprechen. Christus selbst bietet sich aus Gehorsam gegen den Vater zur Verurteilung dar. Das ist der Grund seiner knappen Antworten. Der Richter war ihm ja wohlgeneigt, er hätte ihm gern Gehör geschenkt. Da wäre es für Jesus nicht schwer gewesen, seine Sache zu vertreten. Aber er denkt daran, wozu er in die Welt gekommen ist und wohin der Vater ihn jetzt ruft. So verstummt er denn freiwillig, um dem Tode nicht zu entrinnen.

Bist du der Juden König? Die Frage nach seinem Königtum würde Pilatus niemals aus eigenem Antriebe gestellt haben, wenn die Juden das Jesu nicht zum Vorwurf und zum Verbrechen gemacht hätten. Weil aber gerade diese Anklage ganz besonders gehässig war, deshalb geht Pilatus darauf ein, um, sobald sie entkräftet war, den Angeklagten freizusprechen. Die Antwort Christi zielt darauf, dass dieser Punkt der Anklage hinfällig sei. In seinen Worten liegt eine runde Widerlegung. Er will sagen: Lächerlicherweise wird mir etwas als Verbrechen schuld gegeben, wovon auch nicht der schwächste Schatten eines Verdachtes auf mich fällt. Die Frage Christi, weshalb eigentlich Pilatus solchen Verdacht gegen ihn hege, scheint den Pilatus unangenehm berührt zu haben. Im Tone der Entrüstung erwidert er ihm vorwurfsvoll: Die ganze schmähliche Anklage geht einzig und allein von deinem eigenen Volke aus. Ich habe nur zu Gericht zu sitzen; kein Fremder, - deine eigenen Glaubensgenossen klagen dich an. Was sollte ich mit diesen jüdischen Zänkereien zu schaffen haben? Meinetwegen und überhaupt der Römer wegen könnte euer Volk in Frieden leben: aber ihr schafft euch selbst diese Unruhe und macht leider auch mir damit zu schaffen.

V. 36. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Mit diesen Worten räumt Jesus ein, dass er ein König ist, aber er vernichtet zugleich die Verleumdung, soweit dies zum Erweis seiner Unschuld erforderlich war. Er bestreitet, dass sein Reich irgendwie mit der Staatsgewalt uneins werden könne. Er will beteuern: Ich bin fälschlich angeklagt, als hätte ich es unternommen, etwas im Staatswesen umzustürzen oder abzuändern. Ich habe das Reich Gottes gepredigt; aber das ist ein geistliches Reich. Somit hat es keinen Sinn, wenn du gegen mich einen Verdacht auf weltliche Herrschaftsgelüste hegst. –

Was Christus damals zu seiner Verteidigung sagte, hat bis an das Ende der Tage für alle Frommen einen unvergleichlichen lehrhaften Wert. Denn wenn das Reich Christi ein irdisches wäre, so würde es mit dem vergänglichen Wesen dieser Welt vergehen und eines Tages zerfallen; so aber ist es ein himmlisches Reich: folglich währt es immerdar. Geriete gleich der ganze Erdkreis ins Wanken, so würden wir doch, wenn alles um uns her bebte und zitterte, ja selbst dann noch, wenn rings um uns lauter Zusammensturz und Sterben herrschte, in unserem Gewissen ruhig bleiben können, - wenn wir nur fest und glaubensvoll hinblicken auf das Reich Christi. Wenn die Gottlosen mit grausamer Lust uns quälen, - unser Heil in Christi Reich können sie nimmermehr antasten; das ist menschlicher Willkür auch nicht im Entferntesten preisgegeben. Die Welt, von zahllosen Stürmen durchbraust, ist fortwährend in heftigster Bewegung; ganz anders geht es zu im Reiche Christi. Suchen wir Ruhe, so finden wir sie nur dort. –

Weiter werden wir hier über Art und Wesen des Reiches Christi belehrt. Brächte dasselbe unserem Fleische irdisches Glück, Reichtum, Genuss und was man sonst für dieses Leben wünschen mag, so würde es einen bedenklichen irdischen Beigeschmack an sich tragen. Tatsächlich aber haben wir in dem Reiche Christi, wenn auch unsere äußere Lage recht arm und kläglich sein mag, ein dauerhaftes Glück, das uns niemand nehmen kann. Daraus lernen wir auch, wer eigentlich zu diesem Reiche gehört: alle die, welche vom Geiste Gottes erneuert, in Heiligkeit und Gerechtigkeit nach dem himmlischen Leben trachten. Mit alledem wird aber keineswegs in Abrede gestellt, dass das Reich Christi sich in der Welt hienieden befindet. Es hat seinen Sitz in unseren Herzen, wie Christus (Lk. 17, 21) sagt: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch“. Doch ist es, wenn es gleich in uns wohnt, ein Fremdling in dieser Welt: denn Reich Gottes und die Welt sind in ihrem Wesen grundverschieden voneinander.

Meine Diener würden darum kämpfen. Dass er nicht nach Herrschaft strebt, beweist Jesus auch damit, dass ja kein Mensch sich für ihn regt, niemand zu den Waffen greift. Will ein Mann aus dem Volk auf den Thron steigen, so muss er Helfershelfer haben, die ihm zur Hand gehen. Bei Christo ist nichts dergleichen zu finden. Folglich trägt sein Reich nicht irdische Art an sich. Man fragt nun: Ist es denn auch unerlaubt, das Reich Christi mit Waffengewalt zu verteidigen? Wenn es im 2. Psalm heißt, dass die Fürsten den Sohn Gottes küssen sollen, so wird ihnen ja nicht nur aufgetragen, sich für ihre eigene Person unter seine Oberherrschaft zu stellen, sondern auch, dass sie alle ihre Macht dazu verwenden sollen, dass die Kirche ungefährdet fortbestehe und die Frömmigkeit gepflegt werde. Ich sage demgemäß erstlich: nur der Unverstand kann aus Christi damaligem persönlichen Verhalten folgern, dass man unter gar keinen Umständen die evangelische Lehre und den reinen Gottesdienst mit bewaffneter Hand verteidigen dürfe. Christi Worte zielen nur auf den vorliegenden Fall. Er führt den Nachweis, wie leichtsinnig die Juden ihn verleumdet haben. Schon mancher fromme König hat im Kampf mit dem Schwerte dreingeschlagen, um das Reich Christi zu schützen. Die eigentliche Verteidigung des Reiches Christi geschieht indes auf eine ganz andere Weise, als in der Regel weltliche Herrschaft verteidigt wird. Seinem geistlichen Charakter entsprechend gründet es sich auf die Lehre und das Wirken des heiligen Geistes. In der gleichen Weise wird es weiter gebaut: denn weder Gesetze oder menschliche Verfügungen, noch Strafen reichen bis in das Gebiet des Gewissens hinein. Das ist jedoch kein Hindernis dafür, dass die Fürsten nebenher das Reich Christi in Schutz nehmen, einesteils, indem sie die äußere Zucht festsetzen, andernteils, indem sie gegenüber gottlosen Menschen für die Kirche eintreten. Übrigens bringt es der böse Weltlauf mit sich, dass das Blut der Märtyrer der Kirche förderlicher ist, als der Schutz der Waffen.

V. 37. Du sagst es, ich bin ein König. Obwohl Pilatus schon an der vorigen Antwort Jesu gemerkt hatte, dass er in gewissem Sinne sich die Königswürde zulege, so betont Christus das hier nochmals aufs nachdrücklichste; und damit nicht genug: er fügt noch einen weiteren Ausspruch hinzu, der auf das Vorhergehende das Siegel drückt. Legt aber Christus einen so gewaltigen Nachdruck auf die Lehre von seinem Reiche, so ist dieselbe offenbar von ganz besonderer Wichtigkeit.

Der weitere Ausspruch: Ich bin dazu geboren, dass ich für die Wahrheit zeugen soll, ist ein Satz von weitgehender Bedeutung, bei welchem wir doch den besonderen Zusammenhang nicht vergessen dürfen. Übrigens wollen die Worte besagen, dass Christi Wesen die Wahrheit ist und dass ihm in dieser Folge der Vater als Hauptberuf den übertragen hat, für die Wahrheit zu zeugen. Es ist also keine Gefahr vorhanden, dass wir in Irrtum geraten, wenn wir ihm glauben; denn es ist völlig ausgeschlossen, dass er etwas anderes sagt, als die reine Wahrheit, er, der das Amt der Wahrheitsbezeugung von Gott erhielt, er, dem der Wahrheitstrieb von Natur eigen ist.

Wer aus der Wahrheit ist usw. Das hat Jesus hinzugefügt, nicht sowohl, um den Pilatus zu ermahnen, - dass dies nichts helfen würde, wusste er ja nur zu gut – als vielmehr, um seine Lehre gegen naheliegende unwürdige Beschimpfungen zu beschirmen. Er will sagen: Man macht mir das zum Verbrechen, dass ich mich offen als König bekenne. Und doch ist das eine unzweifelhafte Wahrheit, welcher sich voll Ehrfurcht und ohne Widerrede jedermann beugen muss, der nur richtig urteilt und bei klarem Verstande ist. Unter Menschen, die „aus der Wahrheit“ sind, versteht Jesus dabei nicht solche, welche etwa von Natur die Wahrheit zu erkennen vermöchten, sondern welche sich vom Geiste Gottes leiten lassen.

V. 38. Was ist Wahrheit? Diese Frage ist nicht etwa der Ausdruck redlicher Wissbegier, sondern wegwerfender Abweisung. Pilatus empfindet es als höchst unangenehm, dass ihm Jesus eigentlich alle Wahrheitserkenntnis abspricht. Er leidet in diesem Stück an der gleichen Krankheit, wie fast alle Menschen. Obgleich wir alle wissen, dass wir nichts wissen, so haben doch nur wenige den Mut, dies einzugestehen. Davon kommt es, dass so viele von der wahren Lehre nichts wissen wollen. Der Herr belehrt nur die Demütigen und belegt die Hochmütigen mit der verdienten Strafe, dass er sie ganz blind macht. Aus eben diesem Hochmut stammt jenes verächtliche Zurückweisen der Wahrheit, dabei die Menschen denken, sie vergäben ihrer Würde etwas, wenn sie sich bei dem göttlichen Lehrer nochmals auf die Schulbank setzten; sie alle maßen sich an, alles zu verstehen und sehr klug zu sein. Man wähnt, die Wahrheit längst an den Schuhsohlen abgelaufen zu haben; Gott aber bezeugt im Gegenteil: die Wahrheit ist hoch erhaben über den Verstand der Menschen. Ebenso geht es auch in anderen Dingen. Hauptgegenstände der Gottesgelehrsamkeit sind: der Fluch Gottes über die Menschheit, die verderbte Menschennatur, die Ertötung des Fleisches, das neue Leben, die Versöhnung durch das Opfer Christi, die Zurechnung der Gerechtigkeit, vermöge deren Gott einen Sünder annimmt, die Erleuchtung durch den heiligen Geist. Alles das geht weit über menschliches Begreifen hinaus. Und die Folge? Der gewöhnliche Menschenverstand sagt: Das ist eben Unsinn. Nur wenige begeben sich mit Nutzen in Gottes Schule; unter zehn lernt kaum einer die Anfangsgründe. Woher kommt das? Man misst Gott geheime Weisheit mit dem unzulänglichen Verstande. Dass Pilatus spotten wollte, geht daraus hervor, dass er schleunigst hinausgeht. Er grollt Christo als einem Prahler, welcher die zuvor verborgene Wahrheit erst an den Tag gebracht haben wollte. Seine Entrüstung zeigt, dass die Gottlosen besonders dann mit großem Unwillen die Lehre des Evangeliums von sich weisen, wenn sie sich davon irgendwie getroffen fühlen. Bis dahin kam es freilich mit Pilatus nicht, dass er sich als ein gelehriger Schüler erwies, - immerhin spürte er, mochte er wollen oder nicht, innerlich die Berührung einer wunden Stelle.

V. 39 u. 40. Ihr habe aber eine Gewohnheit. Fortwährend dachte Pilatus daran herum, wie er wohl Christum aus der Todesgefahr herausreißen könnte. Da aber die Volkswut so mächtig aufloderte, versuchte er einen Mittelweg, um die Erzürnten zu besänftigen. Er meinte dem Volke Genüge tun zu können, wenn er Christum wie einen Übeltäter schimpflich verurteilen und tatsächlich doch freilassen könnte. Um diesen letzten Zweck zu erreichen, stellt er Christo absichtlich gerade den Barabbas gegenüber. Sollten die Juden einen abscheulichen Verbrecher und Straßenräuber, der mancherlei Schandtaten zu verzeichnen hatte (Lk. 23, 19), wirklich weniger hassenswert finden, als ihn? Dass sie ihn nun in Wirklichkeit Christo vorziehen, geschieht nicht ohne besonderes Walten der göttlichen Vorsehung. Um einen so unwürdigen Kaufpreis durfte der Sohn Gottes nicht vom Tode befreit werden. Vielmehr sollte ihn der Tod in die tiefste Schande beugen: während Barabbas freikommt, wird Jesus zwischen Mördern gekreuzigt. Die Verbrechen der ganzen Menschheit, die auf keine andere Weise gesühnt werden konnten, hat er auf sich geladen, - und durch die herrliche Auferstehung, welche bald darauf folgte, hat er dann bewirkt, dass für ihn auch der Tod ein großartiger Triumph ward. Übrigens war die Gewohnheit, wonach der römische Landpfleger am Ostertage den Juden einen beliebigen Verbrecher frei gab, nichts anderes, als ein Schlag ins Gesicht der gerechten Gerichtspflege. Man wollte allerdings den heiligen Tag damit besonders feierlich begehen. Ich nenne das jedoch nicht eine feierliche Begehung, sondern eine schändliche Entweihung des Osterfestes.

Die Schrift erklärt es (Spr. 17, 15) für einen Gräuel vor Gott, wenn man einen schädlichen Menschen loslässt. Gott ist also weit davon entfernt, Wohlgefallen an einer so verkehrten Begnadigung zu haben.

Lasst uns an diesem Beispiel lernen, dass nicht verkehrter ist, als das Unterfangen, Gott nach eigenen Einfällen zu ehren! Hat man das erst einmal angefangen, dann gibt es bald kein Maß und Ziel mehr, bis die Menschen endlich sich bis zur äußersten Tollheit hinreißen lassen und öffentlich Gott spotten. Das Gesetz für die rechte Gottesverehrung ist einzig und allein dem Worte Gottes selbst zu entnehmen.

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