Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 1.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 1.

V. 1. Im Anfang war das Wort. Mit diesen einleitenden Sätzen predigt Johannes die ewige Gottheit Christi; wir sollen wissen, dass der, welcher sich im Fleisch offenbart hat, ewiger Gott ist. Der Evangelist will uns einprägen, dass die Erneuerung der Menschheit durch den Sohn Gottes geschehen musste. Durch seine Kraft ist alles geschaffen worden; er allein hat allen Geschöpfen durch seinen Hauch das Leben und die Fähigkeit, fortzubestehen, verliehen. Er hat zumal im Menschen selbst einen einzigartigen Beweis seiner Macht und Huld gegeben. Ja, selbst nach dem tiefen Falle Adams ist er noch immer der unermüdliche Freund und Wohltäter auch gegen dessen Nachkommen geblieben. Das Verständnis der hier enthaltenen Lehre ist dringend notwendig. Außerhalb der Gemeinschaft mit Gott gibt es sicherlich weder Leben noch Heil. Wie sollte dann aber unser Glaube sich auf Christum stützen können, wenn das nicht vollkommen fest begründet wäre, was hier gelehrt wird? Der Evangelist bezeugt also in diesen Worten, dass wir uns keineswegs von dem einen ewigen Gott trennen, wenn wir an Christum glauben: vielmehr wird jetzt durch ein und denselben, der schon vor dem Sündenfall Quell und Urheber des Lebens war, den Erstorbenen das Leben wiedergeschenkt. Der Grund, dass er den Sohn Gottes „das Wort“ nennt, scheint mir einfach darin zu liegen, dass zuerst Gottes ewiger allweiser Wille und dann die ausgeprägte Darstellung seines Rates existiert. Denn wie bei Menschen das Wort der Ausdruck der Gesinnung ist, so überträgt man das mit gutem Grunde auch auf Gott und sagt: durch sein Wort macht er sich für uns verständlich. Freilich kann der entsprechende griechische Ausdruck („Logos“) nicht bloß das Wort, sondern auch die Vernunft und dergl. bezeichnen. Wollten wir aber hierauf weiter eingehen, würden wir uns in Spekulationen verlieren, die den Umkreis des schlichten Glaubens weit überschreiten. Auch Gottes Geist ist offenbar dergleichen spitzfindigen Erörterungen durchaus abgeneigt; er redet mit uns in der Schrift eine gar kindliche Sprache und ruft, ohne dazu überflüssige Worte zu machen, uns zu: Nur so nüchtern wie möglich über diese großen Geheimnisse denken!

Wenn Gott nun bei der Erschaffung der Welt sich durchs Wort kundgetan hat, so war dies Wort selbstverständlich zuvor bei ihm verborgen. Es steht in einer zweifachen Beziehung:

erstens auf Gott, zweitens auf die Menschen. Servede1), der stolze Spanier, ein unklarer Kopf, behauptet, dies ewige Wort sei damals, als es sich bei der Weltschöpfung zeigte, überhaupt erst entstanden. Als sei es undenkbar, dass es existierte, ehe sich durch seine Wirksamkeit sein Vorhandensein nach außen hin zu erkennen gab! Etwas ganz anderes lehrt hier der Evangelist. Er bestimmt dem Worte keinen zeitlichen Anfang, sondern schreitet weit über alle Jahrhunderte hinweg, indem er sagt, es sei von Anfang an gewesen. Worauf die angeführte falsche Auslegung, die man übrigens schon bei den Anhängern des Arius2) findet, sich beruft, weiß ich recht gut: Gott habe doch im Anfang Himmel und Erde gemacht, und diese seien gewiss nicht ewig, - das Wort „Anfang“ werde mehr in Rücksicht auf die Reihenfolge, als zur Bezeichnung der Ewigkeit angewendet. Diesem Einwand ist indes der Evangelist von vornherein begegnet, indem er sagt, das Wort sei „bei Gott“ gewesen. Wenn das Wort erst von einem bestimmten Zeitpunkt an existiert haben soll, dann muss man in Gott selbst eine zeitliche Aufeinanderfolge finden. Sicherlich hat durch das letztgenannte Satzglied Johannes das Wort geflissentlich von allen geschaffenen Dingen unterscheiden wollen. Es waren nämlich vielerlei Fragen möglich: Wo befand sich denn dies Wort? Wie zeigte es sein Vorhandensein? Wie war es beschaffen? Woran war es zu erkennen? Deshalb betont er, man dürfe nicht an der Welt und den Bestandteilen der Schöpfung haften: es sei vor dem Dasein der Welt stets mit Gott vereinigt gewesen. Stellen denn die, welche „Anfang“ auf den Ursprung von Himmel und Erde beziehen, nicht Christum auf eine Stufe mit der Welt, von der er hier gerade so fein ausgenommen wird? Sie tun nicht allein dem Gottessohn, sondern auch seinem ewigen Vater damit großes Unrecht, indem sie diesen seiner Weisheit berauben. Sich Gott geschieden von seiner Weisheit vorzustellen wäre frevelhaft; also muss man auch bekennen, dass der Ursprung des Wortes nirgend anderswo, als in Gottes ewiger Weisheit zu suchen ist.

Was „bei Gott“ war, muss ewig sein: es existierte längst, ehe es äußerlich hervortrat. Einige Ausleger wollen dies schon aus dem Gebrauch der Vergangenheitsform erschließen: „es war“ (im Unterschied von „es ist gewesen“) soll auf einen bleibenden Zustand deuten. Aber wo so viel auf dem Spiel steht, gilt es zuverlässigere Gründe heranzuziehen. Uns muss genug sein, was ich angeführt habe, nämlich, dass der Evangelist uns in das ewige Heiligtum Gottes, das nie ein Fuß betrat, hineinführt, damit wir es wissen sollen: dort ist das Wort gleichsam verborgen gewesen, bevor es sich durch die Herstellung der Welt kundgab. Richtig bemerkt daher Augustin, der hier erwähnte Anfang habe keinen Anfang. Ist auch in unserem Denken erst der Vater zu setzen und dann seine Weisheit, so würde man ihn doch seiner Ehre berauben, wollte man sich irgendeinen Zeitpunkt vorstellen, in welchem er noch ohne Weisheit gewesen. Das ist eben die ewige Zeugung, welche, wenn man die Worte gebrauchen darf, unermesslich lange in Gott verborgen blieb, um danach lange Jahre hindurch den Vätern unter dem Gesetz dunkel angedeutet und endlich leibhaftig im Fleische dargestellt zu werden.

Und das Wort war bei Gott. So bekommt, wie schon gesagt, der Sohn Gottes seinen Platz angewiesen über der Welt und allen Geschöpfen und vor allen Jahrhunderten. Aber zugleich wird ihm mit dieser Redewendung eine vom Vater unterschiedene Seinsweise zuerteilt. Es würde von dem Evangelisten recht verkehrt sein, zu sagen, der Sohn sei immer „mit“ oder „bei“ Gott gewesen, wenn er nicht irgendwie eine eigene Existenz in Gott hätte. Es hat also diese Stelle Beweiskraft gegen die Irrlehre, nach welcher Vater und Sohn ganz dasselbe sein sollen, da sie zeigt, dass ein Unterschied zwischen Vater und Sohn ist. Ich habe schon oben die Mahnung einfließen lassen, bei so großen Geheimnissen nüchtern zu denken und bescheiden zu reden. Jedoch müssen wir die alten Schriftsteller der christlichen Kirche gegen den Vorwurf unbescheidenen Vorwitzes in Schutz nehmen; wo es ihnen unmöglich war, in anderer Weise die rechte und reine Lehre gegen die aalglatten Beweisführungen sich auszudenken, die nicht genau so in der Bibel zu finden sind. Aussagen wollten sie damit ja nichts anderes, als was nur in anderer Form in der heiligen Schrift selbst vorkommt. So haben sie gesagt: In dem einen und einfachen Wesen Gottes sind drei Hypostasen oder Personen. So haben sie die unterscheidbaren Eigentümlichkeiten in Gott genannt, welche sich unserem Nachdenken zur Betrachtung anbieten. Wie Gregor von Nazianz3) sagt, es sei ihm unmöglich an den Einen zu denken, ohne dass alsbald Drei in dem einen und um den einen Gott aufstrahlten.

Und das Wort war Gott. Damit niemand über Christi Gottheit in Ungewissheit bleibe, sagt Johannes klar heraus, er sei Gott. Da nun Gott der Einige ist, so ergibt sich, dass Christus eines Wesens mit dem Vater und doch in irgendeinem Punkte von ihm verschieden ist. Was nun die Einheit des Wesens anbetrifft, so war es von Arius ein starkes Stück, wenn er, um nicht zum Bekenntnis der ewigen Gottheit Christi gezwungen zu sein, vorbrachte, dieser sei nur so eine Art Gott. Wir haben, wenn wir hören, das Wort sei Gott gewesen, keinerlei Anlass, des Weiteren hier über sein ewiges Wesen Streitverhandlungen zu führen.

V. 2. Dasselbige war im Anfang bei Gott. Um uns das Vorhergesagte fester einzuprägen, fasst der Evangelist noch einmal die beiden Gedanken kurz zusammen: das Wort ist immer gewesen, und zwar bei Gott. Es soll uns dadurch einleuchten, dass der Anfang, von dem er spricht, aller Zeit vorhergeht.

V. 3. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht. Nachdem Johannes erklärt hat, das Wort sei Gott, und sein ewiges Wesen gepredigt hat, tut er nun an den Werken seine Gottheit dar. Damit führt er einen praktischen Beweis, der unserem Verständnis am besten entspricht. Es würde uns frostig berühren, wollte man ohne weiteres Christo den Namen „Gott“ beilegen, ohne dass unser Glaube an greifbarer Wirklichkeit merken könnte, dass er das tatsächlich ist. Darum wählt der Apostel überaus passend den vorliegenden Ausdruck, welcher die dem Sohne Gottes eigentümliche Tätigkeit beschreibt. Bisweilen freilich sagt Paulus schlichtweg: alles ist durch Gott (Römer 11, 36). Aber sobald es auf einen Vergleich des Sohnes mit dem Vater ankommt, pflegt er genau so zu unterscheiden wie Johannes hier tut (Kol. 1, 16). Es ist also gebräuchlich zu sagen: der Vater hat alles durch den Sohn gemacht, und: von Gott ist alles durch denselben, den Sohn. Darauf aber zielt, wie gesagt, der Evangelist ab, dass alsbald bei der Weltschöpfung das Wort oder der Sohn Gottes in äußere Wirksamkeit hervorgegangen ist. Während er früher in seinem Wesen unerfasslich war, ist damals seine Kraft durch eine Wirkung öffentlich bekannt geworden. Auch einige Philosophen beschreiben Gott als den Baumeister der Welt; sie gesellen ihm bei Ausführung dieses Werkes die Vernunft zu. Das ist zwar richtig, denn es stimmt mit der Schrift überein. Aber wir brauchen ihre Zeugnisse nicht besonders zu begehren, denn neben solchen Lichtblicken finden sich bei ihnen viele eitle Gedankengespinste. Vielmehr wollen wir uns gegenwärtig halten, dass wir uns mit diesem Spruch, der ja vom Himmel herrührt, begnügen dürfen, - ist doch auch viel mehr darin gesagt, als unser Verstand zu fassen vermag.

Und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist. Es gibt für diese Stelle verschiedene Lesarten. Ich lese, ohne darüber mit einem, der anderer Meinung ist, zu streiten, in ununterbrochenem Zusammenhange so: Nichts ist gemacht worden, was gemacht worden ist. In diese Lesart vereinigen sich fast sämtliche griechische Handschriften, wenigstens die maßgebenden. Außerdem fordert sie der Gedankengang. Die Schriftforscher, welche das Satzglied „was gemacht worden ist“ vom Vorhergehenden durch einen Punkt trennen, um es zum Folgenden zu ziehen, bringen einen gezwungenen Sinn heraus: Was gemacht worden ist, in dem war Leben, d. h.: es lebte oder blieb am Leben. Ja, wenn sich nur ein Beispiel dafür beibringen ließe, dass irgendwo anders in der Bibel so von den Geschöpfen geredet würde! Bei der Verbindung mit dem vorigen entsteht auch keineswegs eine unnütze Häufung der Worte. Auf jedem Wege sucht Satan Christo etwas zu entreißen; da hat denn der Evangelist es ausdrücklich betonen wollen, dass unter den Dingen, die gemacht worden sind, durchaus keines eine Ausnahme bildet.

V. 4. In ihm war das Leben. Bis hierher ist gelehrt worden: durch das Wort Gottes wurde alles geschaffen. Jetzt erteilt ihm Johannes in gleicher Weise auch die Erhaltung aller Dinge zu. Er will sagen: die Kraft des Wortes war nicht bloß augenblicklich, um bald wieder zu verschwinden, bei der Weltschöpfung wirksam; sie ist noch heute daran zu erkennen, dass es eine beständige, feste Naturordnung gibt, - wie es Hebr. 1, 3 heißt: Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (oder Befehl). Übrigens kann man je nachdem dies Leben ausdehnen auf die unbeseelte Schöpfung, welche ja auch eine Art Leben, obgleich ohne Empfindung, besitzt, oder auch allein auf die beseelte beschränken. Es kommt wenig darauf an, wofür man sich entscheidet. Der einfache Sinn ist der: das Wort Gottes war nicht nur der Quell des Lebens für alle Geschöpfe, so dass das, was noch nicht war, zu sein anfing, - mehr noch: durch seine lebenspendende Kraft kommt es dahin, dass sie dauernden Bestand haben. Wenn nämlich sein Hauch nicht fortwährend die Welt belebte, würde notwendigerweise sofort alles Lebendige zusammensinken oder vernichtet werden. Was Paulus (Apg. 17, 28) Gott zuschreibt: „In ihm leben, weben und sind wir“, – das verdanken wir, wie Johannes bezeugt, dem Wort. Natürlich ist es Gott, der uns das Leben spendet, aber: durch sein ewiges Wort.

Das Leben war das Licht der Menschen. Damit wendet sich der Evangelist zu einer Erscheinung des Lebens, durch welche die Menschen sich vor den übrigen lebenden Wesen auszeichnen. Er meint: den Menschen ist nicht nur das gewöhnliche Leben gegeben worden, sondern unmittelbar damit verbunden das Licht des Verstandes. Aus der Zahl der Mitgeschöpfe hebt sich also der Mensch heraus. Wir schauen die Kraft des lebendigen Gottes nicht nur aus der Ferne, sondern verspüren sie in uns selbst. So erinnert Paulus (Apg. 17, 27): wir brauchen Gott nicht in der Ferne zu suchen, er offenbart sich ja inwendig in uns. Nachdem also der Evangelist eine allgemeine Betrachtung des gnädigen Wirkens Christi vorausgeschickt hat, zeigt er, um uns Menschen zu desto größerer Wertschätzung desselben zu bewegen, was uns in besonderer Weise gegeben worden ist. Die Menschen sind nicht den Tieren gleich geschaffen worden, sondern nehmen als vernunftbegabte Geschöpfe einen höheren Rang ein. Da nun Gott nicht umsonst sein Licht in ihrem Verstande angezündet hat, so folgt daraus: sie sind geschaffen zu dem einen Zwecke, den Urheber dieser besonderen Wohltat kennen zu lernen. Und da Gott den Quell des Lichtes aus dem Brunnen des Wortes zu uns hingeleitet hat, so hat dies Licht, die menschliche Vernunft, die Aufgabe, als Spiegel zu dienen, worin wir die Kraft des Wortes deutlich schauen sollen.

V. 5. Und das Licht scheint in der Finsternis. Man könnte einwenden: die Menschen werden an so vielen Stellen der Schrift blind genannt; auch ist die Blindheit, die ihnen vorgeworfen wird, mehr als zur Genüge bekannt. Elendiglich sind sie mit ihrer Vernunft in Eitelkeit geraten. Woher sollen denn sonst all die Schlangenwege von Irrtümern in der Welt kommen, als davon, dass die Menschen durch ihren Verstand sich immerzu in Torheit und Lüge stürzen? Wenn in den Menschen keinerlei Licht erscheint, so ist das Zeugnis von der Gottheit Christi gelöscht, an das eben hier der Evangelist erinnert. Das war ja, wie gesagt, die dritte Stufe: es ist in dem Leben, das die Menschen haben, etwas weit Vorzüglicheres, als nur Bewegung und Odem. Diesen Punkt behandelt der Evangelist hier weiter und erinnert zuerst daran, dass man das Licht, mit dem anfänglich die Menschen beschenkt worden waren, nicht nach ihrem gegenwärtigen Zustand beurteilen dürfe, da ja in dieser von Sünde befleckten, entarteten Natur das Licht in Finsternis verkehrt worden ist. Dabei gibt er jedoch nicht zu, dass das Licht der Einsicht ganz und gar erloschen sei. Es schimmert in der tiefen Verfinsterung der menschlichen Vernunft noch einige Fünkchen des alten Glanzes.

Jetzt versteht der Leser die zwei Teile unseres Spruches. Der Evangelist sagt, dass die jetzigen Menschen sich in einem großen Abstand von jener unversehrten anfänglichen Naturbegabung befinden; ihr Geist nämlich, der durch und durch hell und licht sein sollte, ist in Finsternis versunken, elendiglich erblindet, und so ist Christi Herrlichkeit in dieser verderbten Natur wie von Dunkelheit überdeckt. Hingegen behauptet Johannes aber auch: Es sind mitten in der Finsternis immer noch etliche Lichtreste, welche einigermaßen noch Christi göttliche Kraft zeigen. Er gesteht die völlige Blindheit des Menschengeistes zu, der nach Verdienst von der Finsternis überwältigt worden ist. Er hätte vielleicht einen milderen Ausdruck brauchen können, etwa: das Licht hat sich verdunkelt oder verfinstert. Er wollte aber eine deutlichere Bezeichnung dafür brauchen, wie unglückselig unsere Lage nach dem Fall des ersten Menschen ist. Wenn er also sagt: „Das Licht scheint in der Finsternis“, so will er damit in der verderbten Natur durchaus nichts Lobenswertes finden, sondern vielmehr jeden Vorwand für unsere Unwissenheit beseitigen.

Und die Finsternis hat es nicht begriffen. Obgleich der Sohn Gottes vermöge des geringen Lichts, das uns noch verblieb, immerdar die Menschen zu sich eingeladen hat, muss der Evangelist dennoch sagen, dass es ohne jeden Erfolg geschehen ist, da sie sehend doch nichts sahen. Denn seit der Entfremdung des Menschen von Gott hält Unwissenheit dermaßen seinen Sinn überwältigt, dass der darin enthaltene Lichtrest kraftlos und erloschen daliegt. Das bestätigt auch die tägliche Erfahrung. Alle vom Geiste Gottes nicht wiedergeborenen Menschen, wenn sie überhaupt Vernunft besitzen, sind ein untrüglicher Beleg dafür, dass der Mensch nicht bloß, um zu leben, sondern um zu erkennen geschaffen ist. Übrigens gelangen sie durch die Leitung ihrer Vernunft nicht bis zu Gott hin, ja nicht einmal nur bis in seine Nähe; so zeigt es sich: ihre ganze Einsicht ist lauter Eitelkeit. Es würde folglich um das Heil der Menschen geschehen sein, wenn Gott nicht von neuem Hilfe brächte. Wenngleich der Sohn Gottes sein Licht auf sie ausgießt, sind sie doch so stumpfen Sinnes, dass sie nicht begreifen, woher dies Licht stammt, - im Gegenteil: sie fallen in einen Abgrund von Wahngedanken und Verkehrtheiten hinein. An dem Licht, das noch heute in der verderbten Natur verblieben ist, unterscheiden wir zwei hervorragende Bestandteile. Allen Menschen sind gewisse Keime der Religiosität angeboren, sodann ist in ihr Gewissen der Unterschied zwischen Gut und Böse eingegraben. Aber was für Früchte gehen daraus hervor? Die Religion entartet in tausenderlei scheußlichen Ausgeburten des Aberglaubens; das irrende Gewissen verwirrt jedes klare Urteil, sodass es die Begriffe von Laster und Tugend verwechselt. Alles in allem genommen: niemals wird es die natürliche Vernunft fertig bringen, den Menschen zu Christus zu führen. Weiter: wenn die Menschen allerlei Weisheitsregeln für eine ordentliche Lebensführung besitzen, wenn sie von Geburt zur Ausübung ausgezeichneter Künste und Wissenschaften beanlagt sind, so bleibt auch das eitel und ganz ohne Frucht. Freilich ist zu beachten: der Evangelist redet nur von den natürlichen Gaben, die der Mensch besitzt, und berührt noch nicht die Gnade der Wiedergeburt. Der Sohn Gottes übt nämlich zwei verschiedene Wirkungsweisen: die erste, welche sich bei dem Bau der Welt und der Ordnung der Natur kund tut, die zweite aber, durch die er die in Trümmern daliegende Natur aufs Neue zum Leben erweckt. Als das ewige Wort Gottes ist er der Mittler der Weltschöpfung. Alles, was einmal durch seine Kraft Leben empfangen hat, behält dasselbe auch. Der Mensch ist bevorzugt und mit der Gabe des Verstandes geschmückt worden. Und obwohl er durch seinen Abfall das Licht des Verstandes eingebüßt hat, vermag er doch noch zu sehen und zu erkennen, dass das, was er von Natur von der Gnade des Sohnes Gottes hat, nicht völlig ausgetilgt ist. Aber da er das ihm noch verbliebene Licht durch seine Gleichgültigkeit und Bosheit verdunkelt, so bleibt kein anderer Ausweg, als dass der Sohn Gottes ein neues Amt übernimmt, nämlich das des Vermittlers, der den verlorenen Menschen durch den Geist der Wiedergeburt erneuert. Nach alledem kann ich es nicht billigen, wenn man das Licht, von welchem hier die Rede ist, auf das Evangelium und die Heilslehre bezieht.

V. 6. Es ward ein Mensch. Jetzt beginnt der Evangelist auseinanderzusetzen, wie das Wort Gottes sich im Fleisch offenbart hat. Und damit niemand in Zweifel ziehe, dass Christus der ewige Sohn Gottes ist, erzählt er aus sicherer Erinnerung, wie der Heroldsruf Johannes des Täufers ihn gefeiert hat. Denn Christus hat nicht nur den Menschen sich selber zu genauer Betrachtung dargeboten, er wollte auch durch Zeugnis und Lehre des Johannes bekannt werden. Ja, Gott der Vater war es, der diesen Zeugen vor seinem Gesalbten her sandte; es umso leichter alle das von ihm gebrachte Heil annehmen. Auf den ersten Blick könnte es jedoch sinnlos erscheinen, dass von anderer Seite für Christus ein Zeugnis abgelegt wird, als bedürfte er das. Dass das nicht der Fall ist, spricht er selbst offen aus (Joh. 5, 34): „Ich suche kein Zeugnis von einem Menschen.“ Wie bekannt, löst sich diese Schwierigkeit leicht: nicht Christi, sondern unsertwegen ist dieser Zeuge aufgestellt worden. Wenn jemand dem entgegenhielte: Menschliches Zeugnis ist zu schwach, um zu beweisen, dass Christus Gottes Sohn ist, - so ist auch da die Lösung nicht weit zu suchen: der Täufer wird nicht als ein Zeuge, wie jeder beliebige, aufgeführt, sondern es steht da, ausgerüstet mit göttlicher Vollmacht, mehr wie ein Engel, als wie ein Mensch. Deshalb ist nicht das sein Schmuck, dass man allerlei Tugenden an ihm loben kann, sondern nur das Eine, dass er ein Gesandter Gottes war. Auch das steht nicht im Wege, dass Christo die Predigt des Evangeliums anvertraut worden ist, damit er sein eigener Zeuge sei. Denn der Heroldsruf des Johannes wollte nur erreichen, dass man auf Christi Lehre und Wunder aufmerksam wurde.

Von Gott gesandt. Die Berufung des Johannes wird nicht ausführlich erzählt. Da der Evangelist alsbald genauer darauf eingehen will, so berührt er jetzt nur den entscheidenden Punkt: und dieser Mann war von Gott gesandt. Denn wenn viele, die doch in ihrem eigenen Namen kommen, sich göttlicher Sendung rühmen, so genügt eben solches Selbstzeugnis nicht. Übrigens muss nicht bloß Johannes, sondern jeder Lehrer der Kirche sich auf einen göttlichen Beruf gründen können: kein anderer Grund ist stark genug, die Autorität seiner Lehre zu tragen. –

Den Namen Johannes setzt der Evangelist ausdrücklich bei, nicht bloß, um diesen bestimmten Menschen zu bezeichnen, sondern weil dieser Name in einem beabsichtigten Zusammenhange mit der Aufgabe des Mannes stand. Denn ohne Zweifel hat der Herr mit Rücksicht auf das künftige Amt des Johannes durch den Engel befohlen, ihn so zu nennen; jedermann sollte schon daran in ihm den Herold der göttlichen Gnade erkennen. Der Name bedeutet nämlich: Gott ist gnädig.

V. 7 u. 8. Derselbige kam zum Zeugnis. Kurz wird der Zweck seiner Berufung berührt, der darin bestand, die Gemeinde für Christum zuzubereiten. Indem er alle zu Christo einlud, hat er hinreichend gezeigt, dass er nicht um seiner selbst willen kam. Eine übertriebene Hervorhebung aber gebührte dem Johannes nicht. Daran hat der Evangelist gedacht, wenn er sagt (V. 8): er war nicht selber das Licht, - es möchte sonst sein übermäßiger Glanz die Herrlichkeit Christi in Schatten stellen. Hingen ihm doch einige so fest an, dass sie Christum darüber vernachlässigten. Es war, als wollte man, hingerissen von der Schönheit des Morgenrotes sagen: die Sonne selber anzusehen, ist nicht der Mühe wert. –

Wir untersuchen nun, in welchem Sinne der Evangelist hier die Bezeichnung „Licht“ gebraucht. Nach Eph. 5, 8 sind alle Frommen Lichter in dem Herrn, als Menschen, die von seinem Geiste erleuchtet sind und nicht nur für sich selbst sorgen, sondern auch andere durch ihr Beispiel auf den Weg des Heils führen. Auch die Apostel insbesondere werden Licht genannt (Mt. 5, 14), da sie die Fackel des Evangeliums vor sich hertragen, um die Finsternis der Welt zu vertreiben. Aber hier spricht der Evangelist, wie schon die nächsten Worte klar ergeben, von dem einzigen und ewigen Quell aller Erleuchtung.

V. 9. Das war das wahrhaftige Licht. So wird Christus nicht im Gegensatz zu einem falschen Licht genannt, sondern nur im Unterschiede von allen anderen: er ist nicht bloß ein Licht, wie alle Engel und Menschen dies auch sein können, sondern das allein wahrhaftige Licht. Der Unterschied beruht darin, dass alles Leuchtende im Himmel und auf der Erde seinen Glanz anderswo entlehnt, Christus aber das aus und durch sich selbst erstrahlende Licht ist, das dann die ganze Welt mit seinem Glanze bestrahlt, sodass es nirgends einen zweiten Ursprung oder Anlass des Lichtglanzes gibt.

Welches alle Menschen erleuchtet. Hauptsächlich daran ist dem Evangelisten gelegen, seine Aussage, dass Christus das Licht sei, an einer Wirkung nachzuweisen, die jeder von uns an sich spürt. Er hätte die Erörterung in höherem Tone führen können: der Glanz, den Christus in seiner Eigenschaft als ewiges Licht besitzt, ist ihm angeboren, nicht anderswoher geholt; aber von diesem entlegenen Gebiete ruft er uns lieber ab auf das uns allen zugängliche Gebiet der Erfahrung. Da Christus uns alle seines Glanzes teilhaftig macht, so muss man zugestehen: ihm gebührt eigentlich ganz allein die Ehre, das Licht zu heißen. Übrigens lässt sich das „alle“ auf zweifache Weise auslegen. Einige nämlich beschränken die ganz allgemein gehaltene Aussage auf die, welche durch Gottes Geist wiedergeboren, des lebendig machenden Lichtes teilhaftig werden. Augustin führt das Beispiel von einem Schulmeister an, der in einer Stadt die einzige Schule hat, und von dem man sagt: alle (nämlich die überhaupt hineingehen) gehen zu ihm in die Schule. Ganz in diesem Sinne hieße es auch hier, dass Christus alle Menschen erleuchtet, nämlich alle, die überhaupt erleuchtet werden. Und so kann man sich ausdrücken, weil niemand ein Licht aufweisen kann, das anderswoher als von Christi Gnade stammte.

Der Evangelist redet aber umfassend von allen, die in diese Welt kommen. Darum sagt mir die andere Fassung besser zu: Über die ganze Menschheit hin sind, von diesem Licht ausgehend, Strahlen ausgegossen, wie schon oben gesagt ist. Wir wissen ja, dass die Menschen diesen Vorzug vor allen lebenden Wesen haben, dass sie mit Vernunft und Einsicht begabt sind und dass sie in ihrem Gewissen den Unterschied zwischen Recht und Unrecht eingeprägt tragen. Es gibt daher niemanden, zu dem nicht irgendwelche Empfindung des ewigen Lichtes gelangt wäre. Aber weil voreingenommene Leute diese Stelle aus dem Zusammenhang reißen und solange auf die Folterbank legen, bis sie aussagt: allen Menschen wird in ganz gleicher Weise die Erleuchtungsgnade dargeboten, - so erinnern wir daran: hier handelt es sich ausschließlich um das allgemeine natürliche Licht des Verstandes, eine Gabe, die tief unter dem Glauben steht. Wenn ein Mensch alle seine Geisteskräfte, alle seine Verstandesschärfe anstrengte, so würde er dadurch niemals in Gottes Reich eindringen; einzig der Geist Christi öffnet den Auserwählten die Himmelspforte. Ferner erinnern wir daran, dass das Licht des Verstandes, welches Gott einstmals dem Menschen verlieh, durch Sünde dermaßen verdunkelt worden ist, dass in der tiefen Finsternis, - darunter ist die schreckliche Unwissenheit und der Abgrund aller möglichen Irrtümer zu verstehen, - nur noch schwache Lichtfünkchen schimmern, welche noch dazu immer mehr verglimmen.

V. 10. Es war in der Welt. Mit diesem Wort wird die Anklage wegen Undankbarkeit gegen die Menschen erhoben; sie sind mit eigenem Willen so blind geworden, dass ihnen der Ursprung des Lichtes, welches sie hatten, unbekannt war. Das gilt offenbar für alle Zeiten der Welt, da ja vor seiner Offenbarung im Fleische Christus allenthalben seine Tätigkeit ausübte. Folglich war das der Zweck seiner täglichen Wirksamkeit: die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit herauszubringen. Gibt es etwas Verkehrteres als das: aus einem Bache Wasser schöpfen und gar nicht an die Quelle denken, aus welcher der Bach hervorsprudelt? Wenn also die Welt Christum vor seiner Offenbarung im Fleisch nicht kannte, so gibt es dafür keine begründete Entschuldigung. Der Grund für solche Unwissenheit liegt in der Trägheit und in der mit bösem Willen verbundenen Gefühllosigkeit der Menschen, die ihn seiner Kraft und Wirkung nach immer gegenwärtig hatten. Wir fassen alles zusammen und müssen sagen: niemals hat sich Christus so sehr von der Welt entfernt, dass die Menschen sich nicht hätten durch die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen wecken lassen müssen, um nun auf ihn selber ihre Augen zu richten. Es folgt daraus, dass jene Verschuldung wirklich anzurechnen ist.

V. 11. Er kam in sein Eigentum. Hier wird erst ganz die Schlechtigkeit und böse Gesinnung der Menschen enthüllt, hier kommt an den Tag ihre mehr als verbrecherische Gottlosigkeit, die darin besteht, dass der Sohn Gottes, als er sich im Fleisch sichtbar darstellte, und zwar den Juden, die sich Gott vor den anderen Völkern als besonderes Eigentum auserkor, dennoch nicht anerkannt und aufgenommen ward, so dass es heißen muss: die Seinen nahmen ihn nicht auf. Auch für diese Stelle gibt es allerlei Auslegungen.

Einige sind der Meinung, der Evangelist rede hier von der ganzen Erde, und sicherlich gibt es nirgends in der Welt einen Platz, den der Sohn Gottes nicht als sein rechtmäßiges Eigentum ansähe. Hiernach wäre der Sinn: als Christus auf die Erde herniederkam, hat er nicht fremdes Gebiet betreten, war doch die ganze Menschheit zu seinem Erbe gehörig.

Richtiger ist meiner Meinung nach die Auslegung derer, die unsere Stelle nur auf die Juden beziehen. Diese waren Christi „Eigentum“ noch in einem ganz anderen Sinne, als die übrige Menschheit. Auf welche Undankbarkeit lässt es also schließen, wenn er hier keine Aufnahme findet! Gottes Sohn hatte sich in einem bestimmten Volksstamme seinen Wohnsitz ausgesucht; als er aber dort erschien, ward er verworfen. Daran ist deutlich zu sehen, wie boshaft die Menschen in ihrer Blindheit sind. Gerade das aber musste gesagt werden, denn es galt, das Ärgernis zu beseitigen, das damals vielen der Unglaube der Juden bieten konnte. Denn nachdem Christus von dem Volke verachtet und verschmäht worden war, dem er namentlich verheißen, - wer hätte ihn da für den Erlöser der ganzen Welt ansehen können? Wir sehen ja, wie dem Apostel Paulus dieser Einwand auf seinem Arbeitsfelde so viel zu schaffen machte (Röm. 9 – 11). Übrigens haben beide, Zeitwort und Hauptwort, in unserem Sätzchen besonderen Nachdruck. Eben dorthin, wo der Sohn Gottes vorher war, „kam“ er noch in besonderer Weise, wie der Evangelist sagt. Er bezeichnet damit eine neue, außerordentliche Art der Gegenwart, durch welche der Sohn Gottes sich so geoffenbart hat, dass ihn die Menschen vermittelst persönlicher Anschauung zu sehen bekommen. In dieser persönlichen Erscheinung bot er sich zuerst seinem Eigentumsvolke an. Aber die Aufnahme war dementsprechend, wie schon Jesaja sagt (1, 3): „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, ein Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber kennt mich nicht.“ Obwohl er also der Herrscher der ganzen Welt ist, hat er sich doch noch in besonderer Weise zum Herrn des Volkes Israel gemacht, das er wie eine geheiligte Herde in einen besonderen Stall zusammengebracht hatte.

V. 12. Wie viele ihn aber aufnahmen usw. Damit niemandem der Umstand, dass die Juden Christum missachtet und verspeit haben, ein Glaubenshindernis werde, erhebt der Evangelist die Frommen, die doch an ihn glauben, bis über den Himmel empor. Er sagt nämlich, sie hätten durch den Glauben die Ehre erlangt, Gottes Kinder zu heißen. Dem zusammenfassenden „so viele“ liegt ein Gegensatz zugrunde. Mit leerer Prahlerei rühmten sich die Juden, als wäre Gott ganz allein ihnen verpflichtet. Dem gegenüber betont der Evangelist: Jetzt liegt die Sache umgekehrt: die Juden sind aus ihrer Erstlings- und Kindesstellung verstoßen, und an ihre Stelle treten die Heidenvölker. Dasselbe hat Paulus im Auge, wenn er (Röm. 11, 12) sagt: der Untergang des einen Volkes ist Leben für die ganze Welt gewesen, - da ja das von ihnen zurückgewiesene und verfolgte Evangelium sich nach allen Richtungen hin über die Welt auszubreiten begann. So sind die Juden des Vorrechtes, das sie auszeichnete, verlustig gegangen. Für Christus aber erwuchs aus ihrer Gottlosigkeit kein Nachteil: er errichtete nun auch anderwärts den Thron seiner Herrschaft und rief ohne Unterschied zur Hoffnung des Heils alle die Völker, welche früher von Gott verworfen schienen.

Denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Nach dem Grundtexte bedeutet „Macht“ so viel als Würde oder Ehrenstellung. Wenn man in dieser Weise geradezu übersetzen würde, könnten die Papisten unsere Stelle nicht mehr derartig verdrehen, wie sie es tun. Sie berufen sich nämlich darauf, dass wir „Macht“, d. h. freie Entscheidung empfangen hätten, die Wohltat der Gotteskindschaft aufzunehmen oder nicht. So bringen sie aus diesem Spruch den freien Willen heraus, der doch so wenig darin steckt, wie Feuer im Wasser. Aber der Zusammenhang der Stelle macht diese Wortklauberei, die von völlig mangelndem Verständnis zeugt, zunichte. Unmittelbar danach finden wir die nötige Ergänzung: keiner wird durch eigenen Fleischeswillen ein Gotteskind; das geschieht allein durch eine Geburt aus Gott. Wenn der Glaube uns das neue Leben der Gotteskindschaft zuführt, und wenn Gott vom Himmel uns den Glauben ins Herz gibt, so ist es offenkundig: Christus bietet uns nicht nur von weitem die Gnade der Kindschaft mit der Frage an, ob wir sie mögen oder nicht mögen, sondern er legt sie uns als sein Geschenk in die Hand hinein. Das griechische Grundwort kommt verschiedentlich in der oben vorgeschlagenen Bedeutung (Rang, Würde) vor, die hier am schönsten passt. Wozu aber die Umschreibung, die der Evangelist hier gebraucht hat? Ihr Wert besteht darin, dass sie weit besser die hohe Gnade Christi rühmen wird, als wenn kurzweg gesagt würde: alle, die an ihn glauben, werden durch ihn Kinder Gottes. Es ist ja die Rede von Unreinen und Verworfenen, welche, zu ewiger Schmach verdammt, im Dunkel des Todes lagen. Eine wundervolle Probe seiner Huld liefert der Herr damit, dass er solche Menschen der Ehre gewürdigt hat, dass sie mit einem Male begannen, Kinder Gottes zu sein. Die Größe dieser Wohltat erhebt der Evangelist nach Gebühr, ganz in dem Sinne wie Paulus sagt (Eph. 2, 4 f.): durch seine große Liebe, damit Gott uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht. Unter „Macht“ ist also nicht eine bloße Fähigkeit zu verstehen, die etwa auch ungenützt bleiben könnte, sondern die durch Christi Wunderwirken geschaffene Tauglichkeit für die Gotteskindschaft, wie auch Paulus (Kol. 1, 12) dem Herrn Dank sagt, dass er die Christen „tüchtig gemacht“ hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht.

Die an seinen Namen glauben. Dieser Satz beschreibt in Kürze, wie man Christum aufnehmen soll, nämlich dadurch, dass man an ihn glaubt. Durch Glauben in Christum eingewurzelt, erlangen wir das Recht der Kindschaft, Gottes Söhne zu sein. Diese Ehre aber kommt uns nicht im geringsten Maße zu, - da er der einzige Sohn Gottes ist, - außer, soweit wir Glieder an ihm sind. Übrigens spricht auch unser Satz gegen die Missdeutung des Wortes „Macht“, die wir schon zurückwiesen. Diese Macht wird ja nach der ausdrücklichen Erklärung des Evangelisten denen gegeben, die bereits glauben. Und es ist doch sicher, dass sie durch den Glauben bereits Kinder Gottes sind und nicht bloß eine unbestimmte Möglichkeit, sondern den wirklichen Besitz des Heils erreichen. Noch deutlicher weisen die nächsten Worte, dass diese Leute bereits aus Gott geboren sind, in dieselbe Richtung. „Name“ kommt im Hebräischen oft vor in der Bedeutung von „Kraft“; hier bezieht sich jedoch „Name“ auf die Lehre des Evangeliums. Denn wir glauben erst dann an Christum, wenn er uns gepredigt ist. Ich rede von dem gewöhnlichen Weg, auf dem der Herr uns zum Glauben führt. Derselbe ist ohne klare Erkenntnis gar nicht zu denken. Also: durchs Evangelium bietet sich Christus uns an; wir aber nehmen ihn auf durch den Glauben.

V. 13. Welche nicht von dem Geblüt usw. Wenn einige hier einen Seitenhieb auf das verkehrte Selbstvertrauen der Juden finden, so trete ich gern dieser Ansicht bei. Jene führten immer die Würde ihrer Abstammung auf der Zunge, als wären sie wegen ihrer Geburt aus heiligem Geschlecht von Natur lauter Heilige. Sie hätten sich mit gutem Grund ihrer Abstammung von Abraham rühmen können, wenn sie nicht aus der Art geschlagen, sondern seine rechten Söhne gewesen wären; doch das Rühmen, welches dem Glauben eigen ist, setzt alles Gute, das er hat, einzig auf Rechnung des gnädigen Gottes, nicht fleischlicher Abstammung. Johannes will also sagen: Wer aus den zuvor unreinen Heiden an Christus glaubt, kommt nicht von Mutterleibe als ein Kind Gottes, sondern wird, um ein solches zu sein, neu gebildet. Zur festeren Einprägung wird mit anderen Worten noch einmal derselbe Gedanke wiederholt: noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes. Obwohl nun der Evangelist zunächst an die Juden mit ihrem fleischlichen Stolze denkt, lässt sich doch aus dieser Stelle eine allgemeine Lehre ziehen: wenn wir Gottes Kinder heißen, so ist das uns nicht von Natur eigen, kommt auch nicht aus uns selbst, sondern davon, dass der Herr nach seinem Willen, d. h. aus erbarmender Liebe uns erzeugt hat.

Daraus folgt erstens, dass der Glaube nicht aus uns hervorkommt, sondern die Frucht der geistlichen Wiedergeburt ist. Die Möglichkeit, dass irgendjemand glaube, ohne aus Gott erzeugt zu sein, verneint der Evangelist: der Glaube ist eine Himmelsgabe.

Zweitens ist der Glaube nicht ein kaltes, bloßes Wissen, da ja nur der zu glauben vermag, der vom Geiste Gottes neu gestaltet ist.

Auffällig scheint hier freilich die Reihenfolge, nach welcher die Wiedergeburt dem Glauben vorangeht, während sie doch vielmehr eine Wirkung des Glaubens ist und deshalb an die zweite Stelle zu gehören scheint. Ich antworte: Beides stimmt aufs Beste miteinander.

Einerseits empfangen wir durch den Glauben den unvergänglichen Samen, durch den wir in das neue, göttliche Leben wiedergeboren werden. Und doch ist schon der Glaube selbst ein Werk des heiligen Geistes, welcher nur in Kindern Gottes wohnt. Also ist nach verschiedener Hinsicht der Glaube ein Teil unserer Wiedergeburt und der Eintritt ins Reich Gottes, sodass er uns zu seinen Kindern zählt.

Denn wenn der Geist unseren Sinn erleuchtet, so gehört das schon zu unserer Erneuerung. Auf diese Art entspringt der Glaube aus der Wiedergeburt als aus seiner Quelle. Aber da wir durch eben diesen Glauben Christus aufnehmen, der uns durch seinen Geist heiligt, so wird der Glaube der Anfang unserer Kindschaft genannt.

Doch es lässt sich ein zweiter Gedankengang beibringen, der klarer und leichter ist. Wenn der Herr uns den Glauben einhaucht, erzeugt er uns auf verborgene, geheime, uns unbekannte Weise von neuem. Sobald wir aber mit dem Glauben begabt sind, erfassen wir mit lebendigem, bewusstem Empfinden nicht nur die Gnade der Kindschaft, sondern auch das neue Leben und die anderen Gaben des heiligen Geistes. Denn während, wie gesagt, der Glaube Christum aufnimmt, bringt er uns gewissermaßen in den Besitz aller seiner Güter. Stellen wir uns also auf den Standpunkt des persönlichen Erlebens, so fangen wir erst nach dem Glauben an, Kinder Gottes zu sein. Wenn aber die Frucht der Kindschaft im Ererben des ewigen Lebens besteht, dann schreibt anderseits der Evangelist offensichtlich allein der Gnade Christi unser ganzes Heil zu. Und sicherlich würden die Menschen, wenn sie auch die verborgensten Winkel ihrer Seele durchstöbern wollten, doch nichts finden, was eines Gotteskindes würdig wäre, als das, was ihnen Christus gegeben hat.

V. 14. Und das Wort ward Fleisch. Da lehrt Johannes wie das Kommen Christi, dessen er gedacht hatte, sich zugetragen hat: mit unserem Fleisch angetan, hat er sich offen der Welt gezeigt. Obgleich aber der Evangelist das unaussprechliche Geheimnis, dass Gottes Sohn die menschliche Natur angenommen hat, nur kurz berührt, ist doch seine Kürze von einer wunderbaren Durchsichtigkeit. Einige unsinnige Leute treiben hier ihr Spiel und bringen mit verständnislosen Spitzfindigkeiten verkehrter Weise vor, es heiße: das Wort ward Fleisch, weil Gott seinen Sohn, wie er ihn in Gedanken hatte, als Menschen in die Welt gesandt habe. – als sei dies Wort nur eine Art von schattenhafter Idee gewesen. Doch wir haben gezeigt, dass mit diesem Worte eine wirkliche Person oder Hypostase in dem Wesen Gottes bezeichnet wird. –

Auch das Wort „Fleisch“ ist weit geeigneter um den Gedanken auszudrücken, als wenn gesagt wäre: er ist Mensch geworden. Der Evangelist wollte zeigen, in was für eine geringe, verachtete Stellung der Sohn Gottes unseretwegen aus seiner Erhabenheit und himmlischen Herrlichkeit herabgestiegen ist. Wenn die Schrift in geringschätziger Weise vom Menschen redet, nennt sie ihn Fleisch. Mag die Kluft zwischen der geistigen Herrlichkeit des Wortes Gottes und dem beschämenden Lose unseres Fleisches noch so groß sein, der Sohn Gottes hat sich dennoch so weit heruntergelassen, dass er dies so mannigfachem Elend ausgesetzte Fleisch annahm. Selbstverständlich hat hier „Fleisch“ nicht, wie so oft bei Paulus, die Bedeutung der verderbten Natur, sondern nur die des sterblichen Menschen. Freilich bezeichnet es in verächtlichem Tone seine gebrechliche, fast ganz entkräftete Natur, wie Ps. 78, 39: „Er denkt daran, dass wir Fleisch sind“; Jes. 40, 6: „Alles Fleisch ist wie Heu“, und an anderen Stellen. Doch ist dabei zu beachten, dass wir es mit einer Redeweise zu tun haben, bei der der Teil das Ganze, nämlich der minderwertige Bestandteil des Menschen ihn ganz bezeichnen soll. Folglich war es töricht, wenn man sich unter unberechtigter Berufung auf diese Stelle einen Christus zusammendichtete, der nur mit Menschenleib bekleidet, aber ohne menschliche Seele gewesen sei. Aus unzähligen Belegstellen ist leicht zu erschließen, dass er nicht weniger mit Seele, als mit Leib begabt gewesen ist. Und wo die Schrift die Menschen „Fleisch“ nennt, spricht sie ihnen damit auch nicht die Seele ab. Der klare Sinn ist also: das vor aller Zeit aus Gott gezeugte Wort, welches stets beim Vater wohnte, ist Mensch geworden. Bei diesem Hauptstück des Glaubens ist vor allem zweierlei festzuhalten.

Erstens: die beiden Naturen in Christo sind dergestalt mit einander verwachsen, dass ein und derselbe Christus wahrer Gott und Mensch ist.

Zweitens: die Einheit verhindert nicht, dass es unterschiedene Naturen bleiben, sodass die Gottheit das ihr Eigentümliche beibehält, und auch die Menschheit für sich alles das hat, was ihr gebührt. Daher hat Satan, wenn er durch seine Werkzeuge, die Irrlehrer, mit mancherlei unsinnigen Aufstellungen die heilsame Lehre umzustürzen suchte, immer einen von den beiden möglichen Irrtümern vorgebracht: entweder soll Christus in so verworrener Weise Gottes- und Menschensohn sein, dass weder die Gottheit bei ihm unversehrt bleibt, noch auch eine wirkliche Menschennatur ihn bekleidet; oder aber: er soll sich so in die Hülle des Fleisches begeben haben, dass er sozusagen doppelt ist und aus zwei getrennten Personen besteht.

Dagegen zeigt uns der Ausdruck des Evangelisten deutlich zwei Naturen in vollkommener Einheit der Person. Indem er sagt: „Das Wort ward Fleisch“, ergibt sich daraus die klare Schlussfolgerung auf die Einheit der Person. Denn es geht nicht an, dass auf einmal ein anderer jetzt Mensch ist als der, welcher immer wahrer Gott gewesen ist, wenn doch hier von ihm als Gott gesagt wird, er sei Mensch geworden.

Wiederum, wenn die Evangelist ausdrücklich dem Menschen Christus den Namen „das Wort“ zuerteilt, dann folgt daraus, dass Christus, als er Mensch ward, doch nicht aufgehört hat, zu sein, was er vorher war, und dass in dem Wesen Gottes, das Fleisch angenommen hat, nichts verändert worden ist. Kurz, der Sohn Gottes begann dergestalt Mensch zu sein, dass er doch noch immer jenes ewige Wort blieb, das keinen zeitlichen Anfang hat.

Und wohnte. Mit der Auslegung: das Fleisch hat Christo gleichsam zum Wohnsitz gedient, trifft man den Gedanken nicht hinreichend genau. Denn der Evangelist schreibt dem Herrn hier nicht einen dauernden Aufenthalt unter uns zu, sondern sagt: er hat wie ein Gast nur für einige Zeit sich verweilt. Das griechische Wort, welches wir mit „wohnen“ wiedergeben, bedeutet nämlich: „in einem Zelt wohnen“. Es bezeichnet also nichts anderes, als dass Christus die ihm aufgetragene Aufgabe ausgeführt, aber nicht nur für einen Augenblick erschienen ist, sondern solange unter den Menschen verweilt hat, bis er seinen Auftrag zu Ende geführt hatte.

Unter uns. Es ist zweifelhaft, ob Johannes von den Menschen im Allgemeinen redet oder nur von sich selber und seinen Mitjüngern, die als Augenzeugen erlebt hatte, was er berichtet. Ich bin mehr für die zweite Auffassung, denn er fügt alsbald hinzu: und wir sahen seine Herrlichkeit. Denn obgleich diese von jedermann hätte gesehen werden können, ist sie doch den meisten ihrer Blindheit halber unbekannt geblieben. Nur die wenigen, denen der heilige Geist die Augen öffnete, haben die Herrlichkeitsoffenbarung gesehen. Alles in allem genommen: es hat Leute gegeben, die von Christus trotz seiner menschlichen Niedrigkeit wussten, dass er in seiner Person etwas noch weit Größeres und Höheres zu sehen bot. Es folgt daraus, dass die göttliche Hoheit nicht etwa völlig abgelegt war, wenn auch Fleisch sie umgab. War sie gleich unter niedrigem Fleische verborgen, so hat sie dennoch ihren Glanz ausgestrahlt. Wird nun diese Herrlichkeit als die eines eingeborenen Sohnes beschrieben, so ist dieser Ausdruck nicht als ein Vergleich gemeint, etwa in dem Sinne: seine Herrlichkeit war beschaffen, als ob sie die eines Sohnes wäre. Der Evangelist will vielmehr eindrücklich versichern, dass Christus in Wahrheit „als“ Sohn Gottes erschienen ist. Wenn z. B. Paulus sagt (Eph. 5, 9): „wandelt wie (oder als) die Kinder des Lichts“, - so fordert er damit den Tatbeweis eben dafür, dass wir wirklich Kinders des Lichts sind. Der Gedanke des Evangelisten ist der: an Christo ist die Herrlichkeit sichtbar gewesen, welche für den Sohn Gottes passt, ein sicheres Zeugnis seiner Gottheit. Den eingeborenen Sohn nennt er ihn, weil Christus der einzige natürliche oder wesenhafte Sohn Gottes ist. Er stellt ihn damit hoch über Engel und Menschen und spricht ihm allein zu, was keinem geschaffenen Wesen zukommt.

Voller Gnade. Darin liegt eine Bestätigung des Vorhergehenden. Auch in anderen Dingen hat sich die Hoheit Christi offenbart, aber dies hat der Evangelist sich lieber als etwas anderes zum Beweise ausgesucht in der Absicht, uns mehr fürs Herz, als für den Verstand Jesum kennen zu lehren. Darauf ist wohl zu achten. Sicherlich konnte man, als er trockenen Fußes über die Wasser schritt, als er Teufel austrieb und in anderen Wundern Beweise seiner Macht gab, in ihm den eingeborenen Sohn Gottes erkennen; aber der Evangelist führt ein Stück Beweisführung ins Feld, woraus der Glaube eine liebliche Frucht entnimmt, weil nämlich Christus mit der Tat bezeugt hat, dass er die unerschöpfliche Quelle der Gnade und der Wahrheit ist. Auch von Stephanus heißt es (Apg. 6, 8): „Er war voller Gnade“; man könnte auch die Deutung vorschlagen: „Er war voller Gnade, welche zugleich Wahrheit oder Vollkommenheit ist“. Aber weil die nämliche Redeform unmittelbar hintereinander zweimal steht, hat sie, wie ich glaube, an beiden Stellen auch den gleichen Sinn. „Gnade und Wahrheit“ steht nachher (V. 17) im Gegensatz zu „Gesetz“; ich lege also einfach aus: die Apostel haben aus dem Grunde Christum als den Sohn Gottes anerkannt, weil er vollständig alles, was zur Aufrichtung des geistlichen Gottesreiches in der Welt gehört, in sich trug, kurz, weil er wirklich in jeder Beziehung sich als Erlöser und Messias bewiesen hat; das ist ja das Hauptmerkmal, wodurch man ihn von allen anderen unterscheiden musste.

V. 15. Johannes zeugt von ihm. Jetzt erzählt der Evangelist, welcher Art die Verkündigung des Johannes gewesen ist. Durch das Zeitwort in der Form der Gegenwart bezeichnet er ein andauerndes Tun. Und sicher soll diese Lehre fortwährend in Kraft sein, als wenn die Stimme des Johannes sie dem Menschen fortwährend in die Ohren hinein riefe.

Heißt es nun weiter, nicht bloß: er spricht, sondern auch, er ruft, - so besagt dieser Ausdruck, dass die Lehre des Johannes keineswegs dunkel oder mit weitschweifigen Ausführungen verhüllt gewesen ist, auch dass er nicht nur unter ein paar Leuten davon geflüstert hat, sondern dass er vor aller Welt mit lauter Stimme Christum predigte. Sein Ausspruch zielt nun darauf ab: ich bin Christi wegen gesandt; es wäre also verkehrt, wollte ich selbst glänzend hervorragen, während Christus kläglich darniederläge.

Dieser war es, sagt er, von dem ich gesagt habe, und denkt dabei an seinen Vorsatz von Anfang an, Christum bekannt zu machen, und daran, dass dies der Zweck seiner Predigten gewesen ist, wie er ja nicht anders das durch seine Sendung ihm zugeteilte Amt versehen konnte als dadurch, dass er seine Schüler zu Christo rief.

Nach mir wird kommen usw. Obgleich der Täufer einige Monate älter war als Christus, verhandelt er hier doch nicht über das Lebensalter: sondern, weil er das Prophetenamt schon einige Zeit ausgeübt hatte, ehe Christus öffentlich auftrat, deswegen sagt er, er sei der Zeit nach früher. Folglich ist Christus, was das öffentliche Hervortreten anlangt, dem Johannes gefolgt. Das Weitere heißt wörtlich so: er ist vor mich gekommen, weil er im Vergleich mit mir der erste war. Der Sinn aber ist der: mit Recht hat man Christus dem Johannes vorgezogen, da er höher war. Der Täufer weicht also Christo, um ihm den Vortritt zu lassen. Dabei warnt er, dass nur ja niemand aus Christi späterem Auftreten auf eine geringere Würde desselben schließen möge. So ziemt es sich für alle, welche durch gottgeschenkte Begabung oder durch hohe Ehrenstellung sich auszeichnen, den ihnen gebührenden Platz dadurch innezuhalten, dass sie sich untenan setzen, tief unter Christus.

V. 16. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen. Hier beginnt der Evangelist von dem Amte Christi zu predigen; es enthält in sich einen Überfluss aller Güter, sodass man nirgend anderswo ein Stück des Heils zu suchen hat. Bei Gott ist zwar der Quell des Lebens, der Gerechtigkeit, der Tugend, der Weisheit; aber diese Quelle ist für uns verschüttet und der Zugang abgeschnitten: allein in Christo ward die Fülle ihres Inhalts uns erschlossen, sodass wir nunmehr aus ihm schöpfen können.

Christus ist bereit seinen Überfluss uns zukommen zu lassen, wenn wir nur durch Glauben ihm Zugang gewähren. Johannes gibt hier ein für allemal die Erklärung ab: nur in und bei Christo, nicht fern von ihm, ist alles Gute zu suchen. Zwischen den Zeilen dieses Satzes lasse sich aber mancherlei Wahrheiten lesen.

Erstens: wir Menschen sind aller geistlichen Güter bar und leer. Denn eben dazu soll Christi Fülle dienen, unseren Mangel auszugleichen, unsere Dürftigkeit zu decken, unseren Hunger und Durst zu stillen.

Zweitens hören wir die Warnung, dass wir auf jedem Wege, der uns von Christo abführt, vergebens auch nur eine Spur guter Gabe suchen werden, da ja Gott alle seine Güter in Christum allein legen wollte. Folglich werden wir finden, dass Engel und Menschen armselig, der Himmel leer, die Erde unfruchtbar, kurz, dass alles nichts ist, wenn wir anders als durch Christum der göttlichen Güter teilhaftig werden wollen.

Drittens brauchen wir durchaus nicht zu befürchten, es werde uns etwas fehlen, wenn wir nur aus der Fülle Christi schöpfen. Sie ist dermaßen in jeder Hinsicht vollkommen, dass wir erfahren werden: dieser Quell ist wahrhaft unerschöpflich.

Wenn übrigens Johannes sich mit seinem „wir haben genommen“ in eine Reihe mit vielen anderen stellt, so tut er das nicht der Bescheidenheit wegen, sondern damit es umso deutlicher hervortrete: durchaus niemand ist ausgenommen. Doch ist zweifelhaft, ob er im Allgemeinen vom ganzen Menschengeschlecht redet, oder ob er bloß diejenigen im Auge hat, welche nach der Erscheinung Christi im Fleisch in reicherem Maße seiner Güter teilhaftig geworden sind. Ohne Frage haben alle Frommen, welche unter dem Gesetz lebten, aus ganz derselben Fülle geschöpft.

Aber das Johannes im nächsten Verse den Unterschied der Zeiten betont, ist es wahrscheinlicher, dass er auch hier die reiche Fülle der Güter rühmen will, welche Christus uns mit seiner persönlichen Ankunft erschloss. Wir wissen ja: unter dem Gesetze sind Gottes Wohltaten sparsamer verschenkt worden; bei Christi Erscheinung im Fleisch dagegen wurden sie gleichsam mit vollen Händen ausgeteilt, sodass jeder satt werden konnte. Nicht als ob unter uns jemand reicher als Abraham mit dem Geiste begnadet wäre: was ich sage, gilt nur im Allgemeinen von dem Fortschritt der Offenbarungsgeschichte. Um seine Jünger zu Christo zu führen, erklärt also Johannes mit allem Nachdruck, dass in Christo die Fülle aller Güter sich finden lässt, welche allen Menschen sonst fehlen. Will jemand unseren Worten eine weitere Ausdehnung geben, so wird auch dann nichts Verkehrtes dabei sein; im Gegenteil, auch so bleibt der Zusammenhang nicht übel im Fluss: von Anfang der Welt haben die Väter, was sie immer an göttlichen Gaben gehabt haben mögen, von Christo geschöpft, denn, wenn auch die Gesetzgebung durch Moses geschah, haben sie doch nicht vom Gesetz die Gnade erlangt. Doch ich habe oben gezeigt, welche Auslegung mir zusagt, nämlich dass uns Johannes hier mit den Vätern vergleicht, um durch diese Gegenüberstellung recht hervorzuheben, was uns gegeben ist.

Gnade um Gnade. Diese Wendung wird seit Augustin häufig so verstanden, dass uns weitere Gnade und zuletzt das ewige Leben für die frühere zuteilwird: Gott belohnt und krönt auf diese Weise in uns zwar nicht unsere eigenen Verdienste, wohl aber seine eigenen Gaben. Das ist ein geistreicher und frommer Gedanke, der aber in den Worten selbst schwerlich gefunden werden kann. Wir werden einfach daran zu denken haben, dass die auf Christum ausgegossenen Gnadengaben in immer neuen Strömen uns zugeleitet werden. Denn die Güter, die wir von Christo empfangen haben, gibt er uns nicht bloß, weil er selbst göttlicher Natur ist, sondern der Vater hat sie ihm verliehen, um sie durch diesen Kanal uns zuzuleiten. Das ist die Salbung, welche über Christum ausgegossen ward, damit er uns alle aus sich salbe. Darum heißt er auch „Christus“, d. h. der Gesalbte, und wir „Christen“.

V. 17. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben. In diesem Satze schneidet der Evangelist einen Einwand von vornherein ab, den die Gegner erheben mochten. Bei den Juden stand ja Moses in so hoher Geltung, dass sie schwerlich etwas gelten ließen, was noch über ihn gehen sollte. Deshalb lehrt Johannes, wie tief das Amt des Moses unter der Vollmacht Christi gestanden hat. Gleichzeitig wirft dieser Vergleich ein helles Licht auf das, was Christus vermag. Denn während die Juden dem Moses alles Mögliche zuschrieben, erinnert der Evangelist daran, dass, mit der Gnade Christi verglichen, es doch eigentlich recht geringfügig war, was jener gebracht hat. Es war ja in der Tat ein großes Hindernis für die Juden, wenn sie aus dem Gesetz schon zu haben meinten, was wir einzig durch Christum erlangen. Ferner ist der Gegensatz zu beachten: Gesetz auf der einen, Gnade und Wahrheit auf der anderen Seite. Diese beiden Stücke haben offenbar dem Gesetz gefehlt. „Wahrheit“ ist meiner Ansicht nach zu nehmen im Sinne von: fester dauernder Bestand. Unter „Gnade“ verstehe ich die geistliche Ergänzung dessen, was als nackter Buchstabe im Gesetz enthalten war. Auch können jene beiden Worte zusammengefasst und auf ein und dasselbe bezogen werden, als hätte Johannes gesagt: die Gnade, in welcher die Wahrheit des Gesetzes besteht, ist erst in Christo erschienen. Mag man nun verbinden oder auseinanderhalten, der Sinn ist in beiden Fällen derselbe; es kommt also nicht viel darauf an. Fest steht jedenfalls, dass gesagt sein soll: im Gesetz ist das Bild der geistlichen Güter nur leise angedeutet gewesen, in Christo steht es leibhaftig da. Daraus folgt: wenn man das Gesetz von Christo trennt, so bleiben nur leere Schatten übrig, weswegen auch Paulus (Kol. 2, 17) sagt: dort ist der Schatten, in Christo der Körper selbst. Indessen soll man ja nicht wähnen, dass das Gesetz irgendwelche falsche Vorspiegelungen enthalte: Christus ist ja die Seele, welche allem, was im Gesetz sonst tot sein würde, Leben gibt. Doch eben dies bleibt hier außer Betracht; unser Satz denkt nur an das, was das Gesetz abgesehen von Christo leisten kann; in dieser Hinsicht bestreitet der Evangelist, dass man in ihm irgendeinen Halt finden könne, - bis man sich zu Christo wendet.

Dass dem so ist, kommt davon, dass wir durch Christum erst die Gnade erlangen, die das Gesetz durchaus nicht bringen konnte. Deshalb nehme ich hier das Wort Gnade ganz allgemein, sowohl für die Vergebung der Sünden aus Gnaden, als auch für die Erneuerung des Herzens. Denn da der Evangelist hier den Unterschied von altem und neuem Bund kurz bezeichnet, der Jer. 31, 31 ff. ausführlicher beschrieben wird, so fasst er offenbar mit diesem Worte alles, was auf die geistliche Gerechtigkeit Bezug hat, zusammen. Zu derselben gehören aber zwei Stücke, einmal, dass Gott, indem er die Sünden nicht anrechnet, sich aus Gnaden mit uns versöhnt, und ferner, dass er das Gesetz in unsere Herzen schreibt und die Menschen durch seinen Geist innerlich neu gestaltet, sodass sie dem Geiste Gottes gehorchen. Daraus geht hervor, dass man das Gesetz verkehrt und falsch auslegt, wenn man die Menschen bei demselben zurückhalten oder sie dadurch hindern will, sich Christo zu nahen.

V. 18. Niemand hat Gott je gesehen. Sehr passend wir das zur Bestätigung des vorigen Satzes beigefügt. Die Erkenntnis Gottes ist die Tür, durch die wir in den Genuss aller Güter eintreten. Folglich, da Gott sich uns nur durch Christum offenbart, ist auch hieraus wieder der Schluss zu ziehen, dass wir alles bei Christo zu suchen haben. Dieser Gedankenfortschritt ist wohl zu beachten. Anscheinend gehört es zu den größten Gemeinplätzen, dass ein jeder von uns nur entsprechend dem Maße seines Glaubens erlangt, was Gott uns anbietet; und doch sind es nur wenige, die bedenken, dass wir das Gefäß des Glaubens und der Erkenntnis Gottes auch wirklich herzubringen müssen, um damit zu schöpfen. Wenn es heißt, Gott sei von niemandem gesehen worden, so geht das nicht nur auf das äußere Schauen mit dem leiblichen Auge; der Evangelist will damit ganz allgemein aussprechen, dass Gott, der ja in unzugänglichem Lichte wohnt, eben nur in seinem lebendigen Ebenbilde, Christus, von unserer Erkenntnis erfasst werden kann. Die gewöhnliche Auslegung unserer Stelle ist die: da die unverhüllte Majestät Gottes in sich verborgen sei, so habe sie niemals begriffen werden können, außer soweit sie sich in Christo offenbart hat; folglich hätten die Väter vor Zeiten auch nur in Christo Gott gesehen. Ich glaube dagegen, dass der Evangelist auch hier in seiner Vergleichung fortfährt und betonen will, wie viel besser wir daran sind als die Väter: Gott, der sich früher in dem Geheimnis seiner Herrlichkeit verbarg, hat sich nun eine sichtbare Erscheinung gegeben. Denn wenn Christus die Ausprägung oder das Ebenbild des göttlichen Wesens genannt wird (Hebr. 1, 3), so deutet dies sicherlich auf den eigentlichen Vorzug des neuen Bundes. In demselben Sinne hebt auch unsere Stelle es als etwas Neues und Ungewohntes hervor, dass der Eingeborene, welcher im Schoße des Vaters war, uns beschrieben habe, was sonst verborgen war. Johannes rühmt damit die durchs Evangelium uns gebrachte Gottesoffenbarung und macht zwischen uns und den Vätern einen großen Unterschied, indem er uns höher stellt als sie, wie das Paulus ausführlicher 2. Kor. 3 und 4 behandelt.

Er verkündigt: es gibt keinen Vorhang mehr, wie zur Zeit des Gesetzes; Gott kann offen angeschaut werden im Angesichte Christi. Wenn es jemandem töricht erscheint, den Vätern die Erkenntnis Gottes abzusprechen, während uns doch die Propheten, die ja auch zu ihnen gehören, noch heute die Fackel der Gotteserkenntnis vorantragen, so gebe ich demgegenüber den Bescheid: Es wird ihnen nicht schlechthin und völlig genommen, was uns zuerteilt wird, sondern es liegt ein Vergleich zwischen einer kleineren und einer größeren Gabe vor; sie hatten nur kleine Funken des lebendigen Lichtes, dessen voller Strahl uns heute bescheint.

Wollte jemand als Ausnahme auf 1. Mo. 32, 31 verweisen, wonach Gott auch früher von Angesicht zu Angesicht gesehen ward, so entgegne ich: jenes Schauen ist durchaus nicht mit dem unseren zu vergleichen. Da Gott sich damals nur dunkel und wie von ferne zu zeigen pflegte, sagen diejenigen, welchen er deutlicher erschienen war: Wir haben ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie reden da mit Rücksicht auf ihre Zeit, innerhalb deren man Gott überhaupt nur von vielen Hüllen verschleiert sah. Ein einzigartiges Gesicht, erhabener als fast alle übrigen, war jenes, das Moses schauen durfte (2. Mo. 33, 23), und dennoch erklärt Gott dabei nachdrücklich: „Mein Angesicht wirst du nicht schauen können; du wirst nur meinen Rücken sehen“. In bildlicher Redeweise betont er dort: die Zeit der vollkommenen, deutlichen Offenbarung ist noch nicht gekommen. Auch ist zu beachten, dass die Väter, wenn sie Gott schauen wollten, immer ihre Augen auf Christum gewendet haben. Ich meine damit nicht nur: sie haben Gott in seinem ewigen Worte angeschaut, sondern: sie waren mit ganzem Gemüt und ganzer Herzensempfindung gespannt auf die verheißene Offenbarung Christi; deswegen wird uns Kap. 8, 56 der Ausspruch Christi begegnen: „Abraham sah meinen Tag“. So vertragen sich die verschiedenen Aussagen der Schrift miteinander, ohne dass die eine die andere ausschlösse. –

Die weitere Aussage, dass der Sohn in des Vaters Schoß war, erklärt sich aus einer Übertragung eines menschlichen Bildes auf dies Verhältnis. Bei Menschen sagt man, dass sie den auf den Schoß oder an ihren Busen nehmen, dem sie alle Geheimnisse anvertrauen. Der Evangelist lehrt also, dass der Sohn der Vertraute des Vaters in seinen geheimsten Angelegenheiten gewesen ist; wir sollen wissen: im Evangelium haben wir das Herz Gottes offen vor uns.

V. 19. Und dies ist das Zeugnis usw. Bisher hat der Evangelist von der Predigt berichtet, die Johannes über Christum hielt. Jetzt wendet er sich zu einem Zeugnis, das mehr bekannt wurde, da es den Gesandten der Priester gegeben worden ist, damit sie es in Jerusalem berichteten. Er erzählt also, dass Johannes frei heraus öffentlich erklärt hat, wozu er von Gott gesandt war. Zunächst ist die Frage zu erwägen: weshalb haben ihn die Priester gefragt? Vielfach meint man, sie hätten aus Hass gegen Christum fälschlich die eigentlich Christo gebührende Ehre dem Johannes erweisen wollen; doch war ihnen damals Christus noch unbekannt. Der Grund ist viel einfacher. Lange schon hatte es keinen Propheten mehr gegeben: da trat Johannes plötzlich und unverhofft hervor; so waren alle voller angespannter Erwartung. Man nehme hinzu, dass aller Herzen auf die baldige Ankunft des Messias gerichtet waren. Um nicht den Schein lässiger Pflichterfüllung auf sich zu laden, wenn sie ein Ereignis von solcher Bedeutung übersahen oder totschwiegen, stellen die Priester an Johannes die Frage: Wer bist du? Ihr Tun ist nicht ränkesüchtig von Anfang an, vielmehr gibt ihnen das Verlangen nach der Erlösung den Wunsch ein, zu wissen, ob etwa Johannes der Messias ist, - beginnt er doch die in der Gemeinde herkömmliche Ordnung zu ändern. Dabei stelle ich nicht in Abrede, dass die Frage der Priester nebenbei auch aus eifersüchtiger Fürsorge für ihre eigenen Rechte entsprungen sein mag, - gleichwohl dachten sie nicht von ferne daran, die Messiasehre einem Unberechtigten zu erweisen. Ihre Handlungsweise entspricht völlig der Stellung, die sie inne haben, - denn da sie am Steuer der Gemeinde Gottes stehen, kommt es ihnen zu, dafür zu sorgen, dass niemand sich unbefugter Weise aufdrängt, dass kein neues Sektenhaupt auftaucht, dass nicht die Glaubenseinheit im Volke zerrissen wird, dass keiner neue, fremdartige Bräuche einführt. Es geht aus ihrem Auftreten hervor, dass sich ein allgemein aufregendes Gerücht über Johannes verbreitet hatte. Das hat aber Gott in seiner wunderbaren Vorsehung so gefügt, damit das hier berichtete Zeugnis umso heller ins Licht gesetzt würde.

V. 20. Und er bekannte und leugnete nicht usw. Das heißt: er hat geradeheraus, ohne viel Worte und ohne irgendwelche Verstellung sein Bekenntnis abgelegt. Das Wort „bekennen“ steht hier zweimal; zuerst allgemein, in dem Sinne: er hat die Sache auseinandergesetzt, wie sie sich verhielt, - an zweiter Stelle zur Einführung des Wortlautes seines Bekenntnisses. Danach hat er mit wohl erwogenen Ausdruck die Antwort gegeben: der Messias bin ich nicht.

V. 21 und 22. Bist du Elias? Warum nennen die Priester den Namen des Elias und nicht den des Moses? Weil sie nach Maleachis Weissagung (3, 23) diesen für den vor der Sonne, dem Messias, hergehenden Morgenstern ansahen. Doch steckt in ihrer Frage ein verkehrter Gedanke. Da sie der Meinung waren, die Menschenseele wandere von einem Leibe in den anderen, so bildeten sie sich ein, wenn Maleachi ankündigt, dass Elias gesendet werden soll, eben der Elias, welcher zu Ahabs Zeiten gelebt habe, werde noch einmal kommen, weshalb Johannes mit Recht und der Wahrheit entsprechend antwortet: Ich bin nicht Elias. Mit dieser Antwort geht er auf ihre Gedanken ein. Wenn Christus dagegen versichert, dass der Täufer in der Tat Elias war (Mk. 9, 13), so gibt er damit die zutreffende Auslegung des Prophetenwortes.

Bist du der Prophet? Unter „dem Propheten“ ist hier schwerlich geradezu und ausschließlich der Messias zu verstehen; denn der Artikel hat keinen besonderen Nachdruck, und die Abgesandten drücken sich alsbald so aus, dass sie einen anderen Propheten als den Messias gemeint haben müssen (V. 25): „wenn du nicht der Messias bist, noch Elias, noch der Prophet“. Andere meinen: sie wollen herauskriegen, ob Johannes vielleicht irgendein bestimmter von den alten Propheten wäre. Aber auch diese Auslegung kommt mir nicht wahrscheinlich vor. Vielmehr bezeichnen sie mit diesem Namen das Amt des Johannes; ihre Frage hat den Sinn: Bist du von Gott zum Propheten eingesetzt? Wenn er darauf nein sagt, so ist das nicht eine Bescheidenheitslüge, sondern er scheidet sich damit aufrichtig und von Herzen von der Zahl der Propheten. Und doch widerstreitet diese Antwort nicht dem von Christo erteilten Lobspruche. Christus ziert den Johannes mit dem Titel des Propheten; ja er geht noch weiter und sagt (Mt. 11, 9): Er ist mehr als ein Prophet. Diese Worte wollen aber lediglich der Lehre des Johannes Glaubwürdigkeit und Ansehen beilegen und zugleich den Wert seines Amtes recht hoch stellen. Die Antwort des Johannes hier an unserer Stelle zielt dagegen auf etwas ganz anderes; er will zu verstehen geben, dass er nicht, wie sonst die Propheten, einen eigentümlichen Auftrag Gottes hat, sondern nur der Herold des Messias ist. An einem Vergleich wird das klarer werden. Leute, die selbst in unbedeutenden Angelegenheiten als Gesandte ausgeschickt werden, haben den Namen und die Befugnis eines Gesandten, - vorausgesetzt, dass sie besonders beauftragt sind. Solche Männer sind die Propheten sämtlich gewesen; von Gott für bestimmte prophetische Aussprüche unterwiesen, haben sie ihr Amt ausgeübt. Wenn es sich nun um eine Angelegenheit von allerhöchster Bedeutung handelt, so werden vielleicht zwei Gesandte ausgeschickt. Der erste hat nur zu melden, dass der andere sich in Bälde einfinden werde; dieser erst soll die abschließende Verhandlung führen, und nur dieser zweite hat den Auftrag, alles zum Ende zu bringen. Wird man in diesem Falle die erste Gesandtschaft nicht für einen Teil und für ein Anhängsel dieser Hauptgesandtschaft ansehen müssen? Genau so steht es bei Johannes: Gott hatte ihm nicht anderes aufgegeben, als dass er Christo Jünger verschaffe. Dass unsere Stelle so gemeint ist, ergibt sich leicht aus der Sachlage und dem Zusammenhang. Man muss nur das Gegenstück zu dieser Aussage, welches im 23. Verse folgt, in Erwägung ziehen. „Ich“, so sagt Johannes dort, „bin nicht der Prophet, sondern die Stimme, welche in der Wüste ruft“. Die Entscheidung hängt also davon ab, dass die Stimme, welche zur Bereitung des Weges für den Herrn aufruft, nicht ein Prophet ist, der eine besondere, nur ihm selber eigentümliche Berufstätigkeit hat, sondern sozusagen bloß ein untergeordneter Beamter, und dass seine Lehre im Grunde genommen nur die Vorbereitung für das Anhören eines anderen Lehrers ist. So angesehen, ist Johannes, wenngleich über alle Propheten erhaben, doch selber kein Prophet.

V. 23. Eine Stimme eines Predigers. Weil er die Rollen eines Lehrenden unbefugter weise an sich gerissen haben würde, wenn er nicht mit einem bestimmten Amte begabt gewesen wäre, zeigt Johannes nun unter Hinweisung auf das Zeugnis des Jesaja (40, 3), was ihm obliegt. Es geht daraus hervor, dass er durchweg auf göttliches Geheiß handelt. Jesaja redet freilich dort nicht allein von Johannes, sondern weissagt im Allgemeinen von der Erneuerung der Gemeinde und verheißt für die Zukunft, dass noch einmal fröhliche Stimmen gehört werden sollen, die für den Herrn einen Weg zu ebnen befehlen. Obgleich er zunächst auf das Kommen Gottes bei der Heimführung des Volkes aus der Verbannung in Babylonien hindeutet, ist doch die wahre Erfüllung erst Christi Offenbarung im Fleische gewesen. Unter den Herolden, welche verkündigten, dass der Herr nahe sei, hat also Johannes die erste Stelle eingenommen.

Eine „Stimme“ heißt er einfach deshalb, weil das Rufen seine Amtstätigkeit ausmacht. Die „Wüste“, in welcher nach dem Worte des Jesaja diese Stimme erscholl, ist nun freilich im ursprünglichen Sinne bildlich zu verstehen: der Prophet nennt jene traurige Verwahrlosung der Gemeinde, welche anscheinend dem Volke Gottes die Heimkehr verwehrte, eine Wüste. Er will sagen: da hindurch zu ziehen, ist dem gefangenen Volk unmöglich, aber der Herr wird einen Weg finden, auch wo kein Weg ist. Die wirkliche Wüste hingegen, in welcher Johannes predigte, war ein Symbol, ein Abbild der großen, hilflosen Verlassenheit des jüdischen Volkes, angesichts deren alle Hoffnung auf Freiheit Israels schwand. In Anbetracht dessen ist leicht zu sehen, dass den Worten des Propheten kein Zwang angetan wird. Denn Gott hat alles so geordnet, dass er dem durch mannigfaltiges Unglück tief erschreckten Volke das Spiegelbild dieser Weissagung vor die Augen hielt.

V. 24. Dass die Abgesandten zu den Pharisäern gehörten, also Leute waren, die damals an der Spitze der Gemeinde standen, wird angemerkt, damit wir wissen: es sind nicht unansehnliche Leute aus der großen Schar der Leviten gewesen, sondern Persönlichkeiten mit öffentlicher Autorität. Damit hängt es zusammen, dass sie die Frage auf die Taufe bringen. Gewöhnliche Diener wären mit jeder beliebigen Antwort zufrieden gewesen. Sie aber, als es ihnen misslingt, die gewünschte Antwort ihm zu entlocken, bezichtigen den Johannes der Eigenmächtigkeit, dass er es wagt, einen neuen Brauch einzuführen.

V. 25. Warum taufst du denn? Das scheint eine wohl berechtigte Frage zu sein in Ansehung der drei Stufen: so du nicht Christus bist, noch Elias, noch der Prophet. Es steht doch nicht dem ersten besten frei, die Übung der Taufe einzuführen. Der Messias sollte künftig zu allem die Gewalt haben. Von Elias, dessen Kommen bevorstand, hatte man sich die Anschauung gebildet: er muss die Erneuerung des Reiches und der Gemeinde beginnen. Auch den Propheten Gottes gesteht man zu, dass sie die ihnen zugewiesene Tätigkeit ausüben mögen. Die Abgesandten stellen also fest: Es ist unerlaubte Neuerung, wenn Johannes tauft, da ihm keinerlei öffentliche Stellung von Gott angewiesen worden ist. Doch sie befinden sich im Irrtum, insofern sie nicht erkennen, dass er der bei Maleachi (3, 23) erwähnte Elias ist, wenn er gleich der zum zweiten Male geborene Elias, von dem sie träumten, nicht sein will.

V. 26. Ich taufe mit Wasser; aber usw. Dies hätte schwer genug ins Gewicht fallen müssen, um ihren Irrtum richtig zu stellen; aber freilich kann einem, der nicht zu hören vermag, auch eine deutliche Mahnung nichts helfen. Wenn der Täufer die Fragenden zu Christo hinschickt und es offen ausspricht: Er ist da! – so geht daraus hervor, nicht bloß, dass er von Gott beauftragt ist, der Diener des Messias zu sein, sondern vor allem, dass er der wahre Elias ist, der gesandt worden ist, um die Erneuerung der Kirche zu bezeugen. Hier wird noch nicht (wie V. 33) der volle Gegensatz, - geistliche Taufe Christi und äußere Taufe des Johannes ausgesprochen, doch ist der Gedanke zwischen den Zeilen zu lesen. Zwei Hauptgedanken liegen in dieser Antwort des Täufers, einmal der, dass er durchaus nichts vornimmt, wozu er keine Befugnis hat, - denn der Urheber seiner Taufe ist der Messias, der persönlich den Wahrheitsgehalt des Zeichens ausmacht, - dann, dass er lediglich der Verwalter des äußeren Zeichens ist, während die wirkende Kraft allein in Christi Händen liegt. Er beschreibt seine Taufe nur, soweit sie nach ihrer Wirkung von etwas anderem abhängt. Wenn er ihr dabei den geistlichen Gehalt abspricht, so geschieht das, um den Wert des Messias so hoch zu stellen, dass jedermann nur auf diesen schaut. Das ist ja die rechte Ordnung, wenn der Diener die Vollmacht, welche er sich zuschreibt, so von Christo entlehnt, dass er sie immer gleichzeitig auf ihn zurückbezieht und ihm allein alles zuschreibt.

Wenn man aber gemeint hat, die Taufe des Johannes sei verschieden von der unsrigen, so ist das eine rechte Gedankenlosigkeit gewesen. Johannes setzt hier ja nicht Nutzen und Wert seiner Taufe auseinander, sondern zieht nur den Vergleich zwischen seiner und Christi Person. Wenn man heutzutage fragt: was tut ihr denn beim Taufen, und was tut Christus dabei? so muss man eingestehen: Christus allein leistet das, was die Taufe nur bildlich darstellt; wir sind dabei gar nichts, als nur die Verwalter des Zeichens. In der Schrift wird auf zweifache Weise von den Sakramenten geredet. In der einen Reihe von Stellen heißt es, dass die Taufe das Bad der Wiedergeburt sei, dass darin die Sünden abgewaschen werden, dass wir in den Leib Christi eingepflanzt werden, dass unser alter Mensch gekreuzigt werde, und wir zu einem neuen Leben auferstehen. Derartige Redeweisen denken die Kraft Christi und das menschliche Amt dermaßen enge zusammen, dass der Diener nichts anderes ist als die Hand seines Meisters. Aussprüche dieser Art zeigen nicht, was der Mensch aus sich selber fertig bringt, sondern was Christus durch sein menschliches Werkzeug und das Zeichen wirkt. Weil jedoch abergläubische Vorstellungen zu nahe liegen, und die Menschen dem angeborenen Hochmut entsprechend gar zu gern Gott die Ehre entreißen, um sie sich selber zuzueignen, deshalb unterscheidet die Schrift anderseits auch wieder, um solchem sündlichen Übermut einen Zaum anzulegen, die Diener von ihrem Herrn Christus, - wie an dieser Stelle. Wir sollen wissen, dass die Diener nichts sind, noch vermögen.

Er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Damit geißelt der Täufer die Stumpfheit, die gegen den Messias gleichgültig ist, dem es doch die ganze Seele zuzuwenden gilt. Immer wieder weist er darauf hin, dass dem, der nicht zu dem Urheber seines Amtes kommt, seine Bedeutung ganz unverständlich bleiben muss. Er sagt: der Messias steht ja mitten unter euch! – um sie aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln. Sein hauptsächliches Bestreben ist dabei wieder, dass er sich selbst so viel als nur immer möglich ist, herabsetzt, um einer verkehrten Verehrung auszuweichen, bei welcher Christi unvergleichlich größere Bedeutung verdunkelt würde. Er scheint häufig derartige Aussprüche getan zu haben, da er es erlebte, dass seine Bewunderer ihn maßlos erhoben.

V. 27. Der ist es, der nach mir kommen wird usw. Damit will Johannes sagen, dass Christus der zeitlichen Aufeinanderfolge nach wohl der zweite, aber seiner Würdestellung nach ihm weit voraus ist, weil der Vater ihn vor alle anderen gesetzt hat. Und an dritter Stelle fügt er alsbald hinzu, dass Christus deshalb den anderen allen vorangestellt worden ist, weil er sie tatsächlich samt und sonders übertrifft.

V. 28. Dies geschah zu Bethabara. Der Ort wird namhaft gemacht, einmal der geschichtlichen Treue wegen, dann aber auch, um uns zu sagen, dass diese Antwort in einer großen Versammlung von Menschen gegeben wurde. Es strömten viele zur Taufe des Johannes herzu, der hier seinen gewöhnlichen Taufplatz hatte. Man glaubt, dass hier ein Jordanübergang war, wovon man auch den Namen ableitete: Bethabara heißt „Haus des Überganges“. Vielleicht empfiehlt sich eine andere Ansicht noch mehr, wonach der Name an den bekannten Übergang des Volkes (Jos. 3, 13) anknüpft, wobei Gott unter Josua einen Weg mitten durch den Fluss bahnte.

V. 29. Des anderen Tages. Unzweifelhaft hat Johannes schon früher über die Erscheinung des Messias Äußerungen getan. Nun aber Christus dasteht, ist es ihm lieb, wenn der Heroldsruf seines Vorläufers rasch durchs ganze Volk erklingt. Es sollte auch nicht mehr lange währen, so beendigte Christus die Amtsführung des Täufers; wenn die Sonne aufgegangen ist, verschwindet die Morgenröte im Nu. Heute hat Johannes der Priestergesandtschaft bezeugt: Er ist da und weilt mitten unter dem Volk, bei dem Wahrheit und Wirkung meiner Taufe erst zu suchen ist, - morgen schon zeigt er mit Fingern auf ihn. Die knappe zeitliche Aufeinanderfolge dieser beiden Ereignisse verlieh ihnen größere Macht, die Gemüter zu bewegen. Dies ist auch der Grund, weshalb Christus gerade jetzt sich seinem Vorläufer zeigt.

Siehe, das ist Gottes Lamm. Kurz, aber lichtvoll beschreiben diese Worte die hervorragendste Aufgabe Christi; durch seinen Opfertod die Sünden der Welt fortzunehmen und die Menschen mit Gott zu versöhnen. Christus erweist uns zwar auch andere Wohltaten, aber dies ist die größte, von der die übrigen abhängig sind: er besänftigt den Zorn Gottes und bewirkt so, dass wir als recht und rein angesehen werden. Aus dieser Quelle, dass Gott durch Nichtzurechnung der Sünden uns zu Gnaden annimmt, strömen alle Bäche des Guten. Deshalb macht Johannes, um uns zu Christo hinzuführen, den Anfang mit dem Hinweis auf die Vergebung der Sünden aus Gnaden, die wir durch ihn erlangen. Mit dem Wort „Lamm“ spielt er an auf die im Gesetz vorgeschriebenen Opfer. Er hatte es mit Juden zu tun, welche an den Opfergottesdienst von Kind auf gewöhnt, nicht anders und besser über die Sühnung der Sünden belehrt werden konnten, als wenn man vom Opfer ausging. Es gibt nun so und so viele Arten des Opfers. Ein bestimmtes nur hat Johannes im Auge gehabt, offenbar das Osterlamm. Für Juden war diese Prägung des Ausdrucks besonders passend. Wir dagegen verstehen die Bedeutung der Vergebung der Sünden, die durch Christi Blut erworben ward, besser, wenn wir hören: wir werden durch Christi Blut abgewaschen und gereinigt von der Sünde. Das ist uns anschaulicher, weil wir die Taufe haben, während der Opfergottesdienst der Juden nicht bei uns geübt wird. Bei den Juden bestand eine abergläubische Überschätzung der Opfer. Johannes gibt nebenbei die richtige Schätzung an die Hand, indem er daran erinnert, wozu der gesamte Opferdienst da war. Der ärgste Opfermissbrauch bestand darin, dass die Israeliten ihr Vertrauen auf Dinge setzten, welche doch nur Sinnbilder des wahren Opfers waren. Johannes richtet die Blicke auf Christum und bezeugt: dieser ist das Lamm Gottes! Damit gibt er zu verstehen: alle die unter dem Gesetz von den Juden dargebrachten Opfer haben gar nichts zur Sühnung der Sünden ausgerichtet, sondern sind nur Bilder gewesen, deren Urbild nun in Christo in die Erscheinung getreten ist. „Sünde“ steht hier ganz umfassend für jedwede Ungerechtigkeit. Das Wort will sagen: was es immer an Unrecht geben mag, das den heiligen Gott von den Menschen scheidet, es wird weggenommen durch Christum.

Und wenn es heißt: die Sünde der Welt, so wird damit dieser Gnade eine die ganze Menschheit umfassende Ausdehnung zugeschrieben. Die Juden sollen nicht denken, nur für sie sei der Erlöser gesandt. Wir schließen ferner aus diesem Ausdrucke, dass die ganze Welt in ein großes Netz von Schuld verstrickt ist, und dass alle sterblichen Menschen, die ja alle ohne Ausnahme der Ungerechtigkeit vor Gott schuldig sind, die Versöhnung nötig haben. Johannes hat also, indem er zusammenfassend von der Weltsünde sprach, in uns das Gefühl unseres Elends wachrufen und uns antreiben wollen, das Heilmittel dafür zu suchen. Diese Wohltat wird allen angeboten; so ist es nun unsere Sache, sie auch anzunehmen. Jeder einzelne muss sich klar machen: es steht dir nichts im Wege, die Versöhnung in Christo zu finden; komme nur zu ihm, vom Glauben geleitet! Dies ist die einzige Art und Weise, wie die Sünden wegzuschaffen sind. Die Menschen haben ja von jeher, durch ihr Gewissen beschuldigt, sich abgeängstet und abgemüht, um nur Vergebung zu erwerben. Daher alle die Arten der Sühnung, mit denen sie in ihrem Wahn Gott besänftigen wollten. Die Sühngebräuche in den falschen Religionen der Heiden haben, ich gestehe es, ihren Ursprung genommen in einem heiligen Anfang. Hatte doch Gott selber Opfer eingerichtet, damit die Menschen durch dieselben zu Christo geleitet würden. Jedoch hat sich jeder seine besondere Art, Gott zu versöhnen, ausgedacht.

Johannes aber ruft uns hin zu dem einen wahren Opfer und unterweist uns, dass uns Gott nur um der Liebestat Christi willen seine Gnade zuwendet, und dass dieser der einzige Träger aller Sünden ist. So bleibt für Sünder nur die eine Zuflucht übrig: Christus. Damit wirft Gottes Wort alle menschlichen Genugtuungen, alle Sühnemittel und Erlösungsarten über den Haufen als gottloses Lügenwerk, von Teufels List ersonnen.

Wir haben übersetzt: er trägt. Man hat das Wort auf zweifache Weise übertragen; entweder: „er trägt“, oder: „er trägt weg“. Nach der ersten Auffassung hat Christus den schweren Druck der Sünde, der auf uns lag, auf sich genommen, wie es 1. Petr. 2, 24 heißt: „am Holz hat er unsere Sünden getragen“ und Jes. 53, 5: „Die Strafe liegt auf ihm“. Nach der anderen Auffassung schafft Christus die Sünden fort.

Da das zweite mit dem ersten in engster Verbindung steht, so nehme ich als den Vollsinn unserer Stelle an: Christus trägt unsere Sünden, und damit trägt er sie weg. Freilich hängt uns die Sünde auch ferner immer noch an; vor Gottes Urteil ist sie trotzdem nicht mehr da, weil sie, durch Christi Gnade fortgeschafft, uns nicht angerechnet wird.

Gar nicht übel ist die Anmerkung, dass die Form der Gegenwart „er trägt“ ein fortwährendes Tun bezeichne; die durch Christi einmaligen Tod bewirkte Sühne ist also immer neu. Übrigens beschränkt der Täufer sich nicht darauf zu lehren, dass Christus die Sünde trägt, er zeigt auch wie, nämlich, indem er des Vaters Huld gewann durch sein teures Sterben. Das meint er, wenn er ihn das Lamm nennt. Wohlverstanden: dann erst werden wir durch die Gnade Christi mit Gott versöhnt, wenn wir gerades Wegs zu dem Gekreuzigten hingehen und es festhalten: der da am Kreuze stirbt, ist das einzige Sühnopfer, das all unsere Schuld fortnimmt.

V. 30. Dieser ist es, von dem ich gesagt habe usw. Noch einmal fasst der Täufer alles, was er zu sagen hat, zusammen, indem er Christum als denjenigen bezeichnet, welcher ihm vorgesetzt ward. Daraus folgt, dass Johannes nur der um seinetwillen gesendete Herold ist; und dann ist es klar, dass dieser Christus der längst erwartete Messias ist. Drei Punkte führt er hier an. Zunächst sagt er, dass ein Mann nach ihm komme. Damit gibt er an, dass er der Wegbereitung halber zeitlich früher da war (nach Mal. 3, 1). Dann sagt er, derselbe sei ihm vorgesetzt gewesen, - mit Bezug auf die Herrlichkeit, welche Gott seinem Sohne beim Ausgang in die Welt verlieh zur Ausführung des Versöhneramtes. Drittens fügt er hinzu, dass Christus ihn, den Johannes, an Würde weit überragt. Die Ehre, welche ihm der Vater erwies, fiel ihm ja nicht bloß zufällig zu, - es war die seiner ewigen Majestät zukommende Ehre.

V. 31. Und ich kannte ihn nicht. Man hätte den Argwohn hegen können, dass Johannes Christo ein solches Zeugnis ausstelle, weil er durch Freundschaft und Zuneigung mit ihm verbunden war. Dem kommt er zuvor, indem er versichert: nur durch Gott habe ich Kenntnis von ihm. Johannes redet nicht nach Eingebung des eigenen Herzens, auch keinem Menschen zu Gefallen, sondern auf Anregung des Geistes Gottes und nach Gottes Befehl. Ich bin kommen, sagt er, zu taufen mit Wasser. Das soll heißen: das Amt eines Täufers musste ich, von Gott dazu berufen und verordnet, verwalten, um Christum dem Volke bekannt zu machen. Im 33. Verse steht hierzu die Ergänzung. Während es hier nun heißt: Ich bin gekommen, zu taufen, steht dort: Gott sandte mich zu diesem Zwecke. Nur göttliche Berufung macht einen Menschen zum berechtigten Diener an der Gemeinde. Wer sich aus eigener Willkür als Diener der Gemeinde Gottes aufspielt, - mag er auch der Lehre und des Wortes mächtig sein, - verdient keine Anerkennung; er muss sein Amt auf Gott zurückführen können. Göttliche Sendung war für Johannes notwendig, wenn seine Taufe eine Berechtigung haben sollte. Wir ziehen daraus die Folgerung, dass kein Mensch nach eigenem Gutdünken Sakramente einsetzen darf; dazu hat Gott allein das Recht. Daher auch die Frage Christi (Mt. 21, 25), als es sich um die Taufe des Johannes handelt: „War sie vom Himmel oder von den Menschen?“

V. 32. Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube. Diese Redeweise ist nicht eigentlich, sondern bildlich zu nehmen. Augen, mit denen ein Mensch den Geist Gottes sehen könnte, gibt es nicht. Die Taube ist das bestimmte und untrügliche Zeichen der Gegenwart des Geistes. Nicht den Geist, sondern das dem menschlichen Fassungsvermögen entsprechende Sinnbild des Geistes hat der Täufer gesehen. Einer ganz ähnlichen Vertauschung von Sache und Zeichen bedient sich Christi Rede auch bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls. Dort nennt Christus das Brot seinen Leib, einfach, weil er den Namen der Sache auf das Zeichen überträgt, durchaus passend, zumal ja hier wie dort das Zeichen seine Wahrheit und Wirkung hat und ein Unterpfand für uns ist, das uns Gewissheit darüber geben soll, dass uns die Sache selbst, deren Sinnbild wir schauen, übergeben wird. Doch soll man nicht wähnen, dass der Geist, der ja Himmel und Erde erfüllt, in eine Taube eingeschlossen gewesen sei! Nur seiner Kraft nach war er so gegenwärtig. Johannes sollte nicht die schlichte Taube unbeachtet lassen; er wurde darüber unterrichtet, dass das Schauspiel des Herabschwebens einer Taube nicht vergebens sich seinem Auge bot. Wissen doch auch wir, dass der Leib Christi zwar nicht in das Brot eingeschlossen ist, und dass wir doch, wenn wir dasselbe essen, ihn genießen. Weshalb nun gerade die Gestalt einer Taube? Um das festzustellen, muss man darauf achten, wie überhaupt derartige Sinnbilder mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Bei der Ausgießung des Geistes über die Apostel (Apg. 2, 3) erschienen zerteilte Feuerzungen. Dies Sinnbild hatte seinen Grund darin, dass die Predigt des Evangeliums in allen Zungen erschallen, und dass ihr eine feurige Kraft eigentümlich sein sollte. An unserer Stelle war Gottes Absicht, die von Jesaja (42, 3) beschriebene Sanftmut Christi zur Darstellung zu bringen, der das zerstoßene Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht. Denn damals zuerst ist der Geist sichtbar auf Christum herabgekommen, - nicht als wäre er früher ohne ihn gewesen, sondern seil er sozusagen feierlich in sein Amt eingeführt worden ist. Bekanntlich hat er dreißig Jahre seines Lebens, als wäre er nur ein Mensch wie andere auch, ohne besonderes Amt in Verborgenheit zugebracht; solange war es nicht an der Zeit gewesen, hervorzutreten. Als er aber der Welt sich offenbaren wollte, nahm er zuerst die Taufe auf sich. Und er hat damals nicht sowohl für sich, als vielmehr für die Seinen den Geist empfangen. Wir sollen wissen, dass in ihm die Fülle all der Güter wohnt, an denen es uns so sehr gebricht. Gerade das gilt es den Worten des Täufers zu entnehmen. Berichtet er doch (V. 33): „Über welchen du sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, derselbige ist es, der mit dem heiligen Geist tauft.“ Das ist so viel, als sagte er: der heilige Geist hat sich deswegen in sichtbarer Gestalt gezeigt und sich auf Christum niedergelassen, damit dieser dann mit seinem Reichtum alle die Seinigen überströmen sollte. Was es heißen soll, mit dem Geiste taufen, das habe ich oben bereits angedeutet: der Taufe ihre Wirkung geben, damit sie nicht leer und unnütz ist. Das tut ja Christus durch die Kraft seines Geistes.

V. 33. Über welchen du sehen wirst usw. Hier erhebt sich eine schwierige Frage: wenn Johannes Christum gar nicht kannte, weshalb weigert er ihm dann die Zulassung zur Taufe (Mt. 3, 14)? „Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde“, so sagt man doch zu keinem Unbekannten. Einige geben zur Antwort: Er kannte ihn nur so weit, dass er ihn als hervorragenden Propheten verehrte, ohne noch zu wissen, dass er Gottes Sohn sei. Diese Lösung hat nichts Ansprechendes, denn dem göttlichen Ruf muss ein jeder ohne Ansehen der Person gehorchen. Daher gibt es bei keinem Menschen eine Würde oder Erhabenheit, die uns am Tun unserer Pflicht verhindern darf. An Gott und seiner Taufe würde sich deshalb Johannes versündigt haben, wenn er so zu irgendjemand anders als zu dem Gottes Sohne geredet hätte. Folglich hat Johannes sicherlich schon früher irgendwie Christum gekannt. Man beachte zunächst, dass hier von einer Kenntnis die Rede ist, welche aus Umgang und gegenseitigem Verkehr entsteht. Obgleich er also Christum vom Sehen kennt, bleibt es trotzdem vollkommen wahr: sie waren sich nicht gegenseitig in der Weise bekannt, wie sich sonst die Menschen zu kennen pflegen; der Anfang ihrer Bekanntschaft stammt aus göttlicher Offenbarung. Doch die Lösung der Frage ist noch nicht ganz gelungen. Johannes sagt, der Anblick des Geistes sei ihm ein Erkennungszeichen gewesen. Und doch hatte er den Geist noch gar nicht gesehen, als er Christum schon anredet, wie es nur dem Sohne Gottes gebührte. Gern schließe ich mich der Auffassung derer an, welche der Meinung sind, dies Zeichen sei nachträglich gegeben worden. Zwar hat es Johannes allein gesehen, aber mehr für andere als für sich. Man hat 2. Mo. 3, 12 herangezogen: „das soll ein Zeichen für euch sein, dass ihr nach drei Tagereisen mir auf diesem Berge opfern werdet.“ Sicherlich wussten die Israeliten schon beim Auszug aus Ägypten, dass Gott bei ihrer Befreiung der Führer und Beschützer war; dies aber war ihnen noch hinterher eine Bestätigung dafür. Gerade so trat zu einer früher dem Johannes gegebenen Offenbarung bestätigend das Herabfahren des Geistes hinzu.

V. 34. Ich sah es und zeugte. Der Täufer bringt also nichts Zweifelhaftes vor. Gott wollte, dass er vollkommen gewisse Kunde hätte von dem, was er der Welt bezeugen sollte. Dabei ist auch dies beachtenswert, dass Johannes Christi Gottessohnschaft bezeugt hat. Der, welcher den Geist spenden und allein die Ehre und das Amt der Versöhnung mit Gott tragen sollte, muss Gottes Sohn sein.

V. 35 u. 36. Siehe, das ist Gottes Lamm. Es geht hieraus noch deutlicher hervor, woran ich schon (zu. V. 15) erinnerte, dass Johannes, als er das Ende seiner Laufbahn nahen fühlte, ernstlich darauf bedacht war, Christo nicht den Platz zu versperren, sondern vielmehr ganz und gar einzuräumen. Standhafte Beharrlichkeit erreicht mehr als das bloße Zeugnis des Glaubens. Wenn er so fleißig Tag für Tag daran bleibt, die Empfehlung Christi zu wiederholen, so wird daraus offenbar, dass sein eigener Lauf nun bald vollendet ist. Hier sehen wir außerdem, wie gering und niedrig der Anfang der Kirche gewesen ist. Johannes bereitete zwar für Christum die Jünger zu, aber Christus begann erst jetzt eine Gemeinde zu sammeln. Und mit wie vielen fängt er an? Mit zwei gänzlich unbekannten Leuten. Aber auch dies trägt dazu bei, seine Herrlichkeit in helles Licht zu setzen; denn nach Ablauf kurzer Zeit schon dehnt er ohne Beihilfe von Geld oder Waffen sein Reich wunderbar, ja unglaublich weit aus. Wohl zu beachten ist, wozu er vor allem die Menschen bewegt: dazu, dass sie bei ihm die Vergebung der Sünden finden. Wie aber Christus sich absichtlich den Jüngern dargeboten hatte, damit sie zu ihm kommen sollten, so muntert er sie nun mit gütigem Wort auf, da sie wirklich kommen. Er wartet nicht ab, bis sie selbst Worte machen, sondern fragt sie (V. 38): was sucht ihr? Diese so freundlich den Seelen sich einschmeichelnde Einladung, welche das eine Mal jenen beiden zugerufen wurde, erstreckt sich jetzt auf alle. Es ist nicht zu befürchten, dass sich Christus uns entzieht oder uns den Zugang erschwert, wenn er nur sieht, dass wir uns nach ihm sehnen. Gewiss nicht! Er wird vielmehr mit ausgestreckter Hand bei unseren Annäherungsversuchen uns zu Hilfe kommen. Ja, weshalb sollte er auch denen, die zu ihm kommen, nicht entgegeneilen, wenn er selbst die, welche weit abgeirrt sind, fern auf ihren Irrwegen sucht, ums sie auf den rechten Weg zurückzubringe?

V. 38. Rabbi. Man brauchte diese Anrede bei hervorragenden Männern von irgendwelchem Rang. Hier vermerkt indes der Evangelist einen anderen Gebrauch seiner Zeitgenossen; sie begrüßten mit diesem Namen die Lehrer und Ausleger des Wortes Gottes. Die Beiden wissen zwar noch nicht, dass Christus der alleinige Lehrmeister der Gemeinde ist, aber der Ausspruch des Johannes hat sie doch in ihm einen Propheten und Lehrer erkennen lassen. – Wo bist du zur Herberge? An diesen ersten Anfängen der christlichen Kirche müssen wir uns ein Beispiel nehmen; es gilt so sehr Geschmack an Christo finden, dass wir mit heißem Begehren immer mehr haben möchten. Wir müssen uns nicht damit begnügen, ihn nur einmal flüchtig anzusehen, nein, wir müssen seine Herberge aufsuchen, damit er uns als seine Gäste bei sich aufnimmt. Es gibt ja sehr viele, die den süßen Duft des Evangeliums nur sozusagen von ferne riechen. So schwindet ihnen Christus alsbald aus den Augen. Jeder Tropfen der frohen Botschaft, der ihnen zuteil ward, verflüchtigt sich wieder. – Die beiden Jünger sind allerdings nicht schon damals zu dauerndem Anschluss an Jesum gekommen. Aber ohne Zweifel hat er sie in jener Nacht eingehend unterrichtet, um sie bald danach völlig an sich zu fesseln.

V. 39. Es war um die zehnte Stunde. Das heißt: der Abend brach herein. In zwei Stunden ging die Sonne unter. Man teilte nämlich den Tag in zwölf Stunden, die dann im Sommer länger, im Winter kürzer waren. Aus dieser Zeitangabe schließen wir: es war jenen beiden so sehr darum zu tun, Christum zu hören und näher kennen zu lernen, dass sie sich keine Sorge darum machten, wo sie zu Nacht unterkommen sollten. Wir sind ihnen großenteils recht unähnlich mit unserem endlosen Aufschieben, da es uns niemals passt, Christo nachzufolgen.

V. 40. Andreas. Bis zum Ende des Kapitels beabsichtigt der Evangelist zu schildern, wie Christo nach und nach Jünger zugeführt wurden. Hier erzählt er von Petrus, nachher auch noch von Philippus und Nathanael. Andras bringt alsbald seinen Bruder herbei. Darin prägt sich die Art des Glaubens aus, die das Licht im Innern nicht verdeckt und zum Erlöschen bringt, sondern es vielmehr hier und dorthin ausstrahlen lässt. Kaum ein Fünkchen hat Andreas, und doch bringt er damit seinen Bruder schon Licht. Wehe uns gleichgültigen Menschen, wenn wir, die wir viel mehr Licht besitzen als er, uns keine Mühe geben, andere der gleichen Gnade teilhaftig zu machen! Bei Andreas lässt sich beobachten, was Jesaja (2, 3, ebenso Micha 4, 2) von den Kindern Gottes verlangt; jeder soll den Nächsten bei der Hand nehmen und sagen: „Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn hinaufgehen; dann wird er uns lehren.“ So reicht Andreas dem Bruder die Hand. Er hat sich aber dabei vorgenommen: Der soll in Christi Unterweisung mein Mitschüler werden. Außerdem ist Gottes Ratschluss zu beachten, welcher wollte, dass Petrus, der in Zukunft eine weit höhere Stellung einnahm, durch die Bemühung und Vermittlung des Andreas mit Christo bekannt gemacht wurde. So soll sich auch von uns keiner, mag seine Stellung noch so hoch sein, weigern, von dem Geringeren Belehrung anzunehmen. Der wird es schwer zu büßen haben, der aus Eigensinn oder Hochmut der Einladung, zu Christo zu kommen, nicht Folge leistet, weil sie aus dem Munde eines Menschen kommt, den er gering achtet.

V. 41. Wir haben den Messias gefunden. Der Evangelist übersetzt hier das hebräische Wort Messias ins Griechische: Christus, d. h. der Gesalbte. Er wollte das Geheimnis des Judenvolkes der ganzen Welt kundtun. „Messias“ war die gewöhnliche Anrede des Königs, der ja feierlich gesalbt wurde. Aber die Juden wussten sehr wohl, dass es einen König geben sollte, der von Gott die Salbung empfing. Unter seiner Herrschaft sollte ein vollkommenes Glück erblühen, das nie verwelkte. Dass Davids Herrschaft nicht von solcher Dauer war, mussten sie ja erfahren. Es ging mit ihnen durch Not und Drangsal aller Art. Da schenkte Gott ihnen zur Aufrichtung im Unglück die Messias-Erwartung und offenbarte ihnen immer deutlicher, dass sein Kommen nahe bevorstehe. Die Weissagung bei Daniel (9, 25 f.) zeichnet sich durch Nennung des Messiasnamens vor den anderen aus. Er erteilt ihn nämlich nicht, wie frühere Propheten, den Königen, sondern ausschließlich dem einen Erlöser. Wenn von nun ab der Messias oder Christus erwähnt wurde, so dachte man dabei allgemein an niemanden anders mehr, als an den Erlöser. In diesem Sinne sagt auch (Joh. 4, 25) das samaritische Weib: „Der Messias kommt.“ Umso wunderbarer ist es, dass der, welcher so dringend von allen erbeten wurde, und dessen Name in aller Munde war, nur so wenig Aufnahme fand.

V. 42. Du bist Simon usw. Christus legt dem Simon einen Namen bei, nicht, wie es sonst wohl geschieht, nach einem Ereignis in der Vergangenheit oder nach dem, was man gegenwärtig an ihm beobachten konnte, sondern weil er ihn zu einem „Petrus“, d. h. Felsenmanne machen wollte. Er nennt also zuerst seinen gegenwärtigen Namen, um anzudeuten, dass Simon ein ganz anderer werden soll, als er jetzt ist. Der Vatersname Jonas oder Johannes wird nicht etwa ehrenhalber beigesetzt: vielmehr will gerade der Hinweis auf Simons unberühmte Herkunft sagen, dass dergleichen für den Erlöser kein Hindernis ist, einen Helden von unüberwindlicher Tapferkeit aus ihm zu machen. Der Evangelist erwähnt es als eine Art von Weissagung, dass dem Simon ein neuer Beiname gegeben worden ist. Wohlverstanden: ein Weissagung, nicht als hätte Christus die in Petrus als Keim vorhandene künftige Glaubensstärke vorausgesehen, sondern in dem Sinne, dass er damals voraussagte, was er ihm künftig verleihen wollte. Schon jetzt deutet er also rühmend auf die Gnadengabe, die er ihm später zugewendet hat. Deshalb sagt er: Du sollst in Zukunft Kephas heißen. Denn dass dieser Beiname schon jetzt in Geltung treten solle, ist nicht die Meinung. Sicherlich müssen alle frommen Christen Felsenmänner sein, welche auf Christum gegründet, als lebendige Steine in den Gottestempel eingebaut werden (1. Petr. 2, 5). Simon trägt aber allein diesen Namen, weil er sich besonders auszeichnete.

Übrigens ist es nur lächerlich, wenn man katholischerseits den Petrus an die Stelle Christi setzt, als sei er der Grundstein der Kirche und nicht, gerade wie die anderen auch, auf Christum als den einzigen Grund gegründet. Die Bedeutung der Worte Christi ist in keiner Weise zweifelhaft. Er verspricht dem Petrus etwas, wozu er in keiner Weise Hoffnung zu haben veranlasst war. So Großes vermag seine Gnade zu leisten! Wie ein Mensch früher beschaffen war, ist ihm einerlei. Petrus wurde ein ganz neuer Mensch, wie es dieser auszeichnende Titel erklärt.

V. 43. Folge mir nach! Durch dies eine Wort wurde Philippus zur Nachfolge Christi begeistert; eine Probe dafür, was das Wort vermag. Nicht bei allen ohne Unterschied übt es solche Wirkung. Viele sucht Gott vergeblich zu bewegen. Es ist, als ob nur ein leerer Schall an ihr Ohr schlüge. Die bloße Predigt des Wortes schafft noch keine Frucht, außer der einen, dass sie die, welche es verwerfen, tödlich verwundet, so dass sie vor Gott keine Entschuldigung mehr haben. Wenn aber eine geheime Gnadenwirkung des Geistes die Predigt in dem Menschen, der sie hört, lebendig macht, muss sein ganzes Fühlen und Denken so ergriffen werden, dass er bereit ist, der Stimme Gottes zu folgen, wohin sie ihn auch ruft. Lasst uns Christum bitten, dass in gleicher Weise an uns sein Evangelium kräftig werde. Übrigens hatte es bei Philippus mit der Nachfolge Christi seine besondere Bewandtnis. Es wird ihm nämlich zu folgen befohlen, nicht wie jedem von uns, sondern, dass er künftig Christi unzertrennlicher Genosse und Begleiter sei. Indes ist auch diese besondere Berufung ein Beispiel der Berufung im weiteren Sinne.

V. 44. Philippus war von Bethsaida. Mit besonderer Absicht scheint der Name dieser Stadt hierher gesetzt zu sein, damit umso leuchtender bei drei Aposteln Gottes Güte hervorträte. Mit großem Ernste schilt Christus (Mt. 11, 21 f.) diese Stadt. Leute nun, die aus einer so gottlosen Frevlerschar von Gott zu Gnaden angenommen sind, kann man als aus der Hölle hervorgeholte Menschen ansehen. Dass Christus sie aus jenem tiefen Abgrund emporzieht und der Ehre des Apostelamtes würdigt, das ist eine herrliche Wohltat, die nicht vergessen werden darf.

V. 45. Philippus findet Nathanael. Mögen immerhin stolze Leute auf diese ersten Anfänge der Kirche verächtlich herunterschauen; wir müssen darin Gottes Herrlichkeit in höherem Maße erkennen, als wenn von Anfang an gleich in jeder Hinsicht Christi Reich glänzend in die Erscheinung getreten wäre. Wir wissen ja, was für eine Ernte aus dieser geringen Aussaat alsbald emporgewachsen ist. Denselben Eifer, das Reich zu bauen, finden wir hier bei Philippus, wie zuvor bei Andreas. Seine Bescheidenheit zeigt sich darin, dass er nichts anderes wünscht und begehrt, als dass er jemanden haben möchte, der mit ihm zusammen von dem Lehrer aller Menschen Belehrung annimmt.

Wir haben den gefunden usw. Wie gering das Maß des Glaubens bei Philippus noch war, geht daraus hervor, dass er nicht vier Worte von Christo herausbringen kann, ohne zwei grobe Fehler dabei zu machen. Er macht aus ihm einen Sohn Josephs und schreibt ihm fälschlich Nazareth als seine Vaterstadt zu. Und doch gibt Gott, weil Philippus den aufrichtigen Wunsch hat, seinem Bruder nützlich zu sein und Christum bekannt zu machen, seine Billigung zu solchem eifrigen Bemühen: auch dieser Jünger hat glücklichen Erfolg. Sicherlich soll sich jeder befleißigen, sorgfältig innerhalb der ihm gesteckten Schranken sich zu halten. Und der Evangelist will gewiss nicht das doppelte Versehen als besonders lobenswürdig hinstellen. Er erzählt nur, dass Philippus, wenngleich die Belehrung, wie er sie zu geben imstande war, noch recht fehlerhaft und irrig gewesen ist, ein brauchbarer Lehrer sein konnte, weil er die ehrliche Absicht hatte, dem Nathanael die rechte Erkenntnis Christi zu vermitteln. Bei allen Irrtümern führt er seinen Genossen doch zu dem in Bethlehem geborenen Gottessohn; er macht sich nicht nach eigenem Wahn einen Christus zurecht, sondern will nur, dass in ihm der erkannt wird, von dem Moses und die Propheten sagen. Das ist also die Hauptsache bei unserer Lehre, dass die, welche uns hören, mag es im Übrigen gehen, wie es will, wirklich zu Christo gelangen. Viele wissen von Christo sehr geistreich zu reden und hüllen ihn doch mit ihren Spitzfindigkeiten in ein so undurchdringliches Dunkel ein, dass man ihn gar nicht finden kann. So werden die Anhänger des Papstes ihn zwar nicht Sohn Josephs nennen, - am richtigen Namen halten sie fest; - aber dabei machen sie doch seine Macht dermaßen zunichte, dass sie ein Gespenst an die Stelle Christi setzen. Ist es denn nicht besser, mit Philippus kindlich zu stammeln und dabei den wahren Christus zu behalten, als in höchst gewandten Worten einen erdichteten Christus, eine Fälschung unterzuschieben? Fürwahr, es gibt heutzutage viele arme ungelehrte Leutchen, die, des Wortes nicht sonderlich mächtig, doch gläubiger von Christo lehren, als alle Theologen des Papstes mit ihren Denkkunststücken. Diese Stelle mahnt uns also, nicht hoffärtig die Nase zu rümpfen, wenn einfache Leute, die nicht studiert haben, auch einmal weniger geschickt von Christo reden; dem Herrn gefällt auch das, wenn nur die redliche Absicht vorliegt, uns zu ihm hinzubringen. Gegen das drohende Übel aber, dass Menschen uns durch ihre verkehrten Erfindungen von Christo wegzuziehen versuchen, soll uns als Heilmittel jederzeit die reine Kenntnis von ihm zur Hand sein, die wir aus Gesetz und Propheten schöpfen können.

V. 46. Was kann von Nazareth Gutes kommen? Anfänglich stutzt Nathanael, betroffen über den von Philippus angegebenen Geburtsort Christi; er lässt sich von dem unbedachten Wort des Philippus irremachen. Was dieser sich in Torheit so gedacht hatte, nimmt er für gewiss. Es kommt dazu das ungünstige Urteil über den verhassten oder verachteten Ort. Es fehlte nur wenig daran, so hätte sich dieser geheiligte Mann selbst den Zutritt zu Christo abgeschnitten. Wie kam das? Weil er die verkehrte Äußerung des Philippus für bare Münze nahm. Ferner, weil ihn ein Vorurteil befangen machte, sodass er nichts Gutes von Nazareth erwartete. Wenn wir nicht sorgsam auf uns achten, werden wir in die nämliche Gefahr geraten. Sicherlich strengt Satan sich täglich an, uns durch derlei Hindernisse vom Zugang zu Christo abzuhalten. Er sorgt, listig wie er ist, dafür, dass eine Menge Lügen ausgestreut werden, welche uns das Evangelium so widerwärtig machen sollen, dass wir keine Lust mehr dazu haben. Der beste Schutz gegen solche Anfechtungen ist das: „Komm und sieh es!“ Durch dies Wort hat Philippus seine beiden Fehler gegenüber Nathanael wieder gut gemacht. So lasst uns denn, gleich ihm, uns vor allem der weiteren Belehrung zugänglich zeigen, und dann lasst uns ohne Widerstreben weiter forschen, da ja Christus so gerne die Zweifel, welche uns plagen, uns nimmt!

V. 48. Siehe, ein rechter Israeliter. Wenn Christus den Nathanael lobt, so tut er das nicht ihm zu liebe, sondern er will uns an diesem Mann eine allgemeingültige Lehre geben. Die meisten Menschen tun so, als wären sie gläubig und sind doch nichts weniger als das. So ist es denn sehr wertvoll, ein Kennzeichen zu haben, nach welchem man die rechten und wahren Gläubigen von den falschen unterscheiden kann. Wir wissen, mit welchem Hochmut sich die Juden ihres Vaters Abraham gerühmt haben, wie zuversichtlich sie mit der Heiligkeit ihres Volkes prahlten. Dabei war unter hunderten kaum einer nicht ganz entartet und vom Glauben der Väter abgekommen. Deshalb gibt Christus, um den Heuchlern die Maske vom Gesicht zu ziehen, kurz an, was den rechten Israeliten ausmacht. Er schafft damit ein Ärgernis weg, das sich bald infolge der gottlosen Halsstarrigkeit des Volkes erheben sollte. Die, welche als Söhne Abrahams und heiliges Gottesvolk angesehen werden wollten, wurden ja bald erbitterte Feinde des Evangeliums. Damit nun niemand hierüber außer sich gerate oder durch die allgemeine Gottlosigkeit fast sämtlicher Stände verstört werde, legt der Herr beizeiten den Finger darauf: unter den vielen, welche sich den Israelitennamen anmaßen, sind nur wenige wirkliche Israeliten. Ein rechter Israelit und ein rechter Christ ist aber ein und dasselbe. Deshalb dürfen wir nicht leicht über unsere Stelle weggehen. Um nun ohne Umschweife das, was Christus gemeint hat, zu erfassen, müssen wir beachten: Falsch oder Falschheit ist der Gegensatz zu Lauterkeit, Aufrichtigkeit. Falsche Leute heißen also hier die, welchen die Schrift (Jak. 1, 8; 4, 8) ein zwiespältiges Herz zuschreibt. Es handelt sich dabei nicht nur um die ärgste Form der Heuchelei, wobei die, welche ein böses Gewissen haben, sich frech als gute Menschen ausgeben, sondern auch um die andere, tiefer liegende Form, wobei die Menschen in der Blindheit ihres Sündenlebens nicht nur andere, sondern sich selbst belügen. Lauterkeit des Herzens gegen Gott und gerades, ehrliches Wesen gegen die Menschen ist das sichere Kennzeichen für einen Christen. Hauptsächlich denkt Christus jedenfalls an diejenige Falschheit, von welcher Ps. 32, 2 redet. Wir übersetzen: „ein rechter Israeliter“; nicht, was dem Wortlaut nach auch anginge: gewiss ein Israeliter. Die erste Übersetzung ist vorzuziehen, weil man den Gegensatz zwischen Wirklichkeit und leerem Titel zwischen den Zeilen lesen kann. Ein rechter Israeliter wird Nathanael genannt, weil er in der Tat das ist, für was er angesehen wird.

V. 48. Woher kennst du mich? Ohne dem Nathanael schmeicheln zu wollen, legte es Christus doch darauf an, dass sein Urteil ihm zu Ohren kommen musste. Er wollte eine Frage der Verwunderung hervorlocken, um sich in der Antwort als Sohn Gottes zu zeigen. Nicht vergeblich stellt Nathanael die Frage, woher er Christo bekannt sei. Ein so aufrichtiger Mensch, von Falsch ganz frei, kommt ja nicht häufig vor, und nur Gott kann von solcher Herzensreinheit wissen. Übrigens scheint die Antwort Christi keine besondere Auskunft zu gewähren. Mochte er den Nathanael immerhin unter dem Feigenbaum gesehen haben, damit war er doch noch lange nicht in sein verborgenes Herzensinnere hineingedrungen. Doch die Sache verhält sich anders: in Gottes Macht steht es, Menschen zu kennen, selbst wenn er sie nie gesehen hätte; so kann Gott auch sehen, was im Herzensgrunde verborgen ist, und ist eben damit auch instand gesetzt, ein Urteil auszusprechen über die Reinheit eines Menschenherzens. Christus hat diese göttliche Macht. Übrigens ist noch eine wichtige Wahrheit unserer Stelle zu entnehmen: wenn wir an Christum gar nicht denken, schaut er uns zu. So muss es dahin kommen, dass er auch solche, die sich von ihm abgewendet haben, wieder herumholt.

V. 49. Du bist Gottes Sohn. Es ist nicht wunderbar, dass Nathanael an Christi göttlicher Befähigung, ins Verborgene zu sehen, ihn als den Sohn Gottes erkennt. Aber wie kommt er dazu, ihn König von Israel zu nennen? Zwischen diesen beiden Bezeichnungen scheint doch gar kein Zusammenhang zu bestehen. Nathanael macht einen kühnen Schluss. Er hatte vernommen, dass Jesus der Messias sei. Damit bringt er die eben erhaltene Bestätigung zusammen. Auch steht es für ihn fest: wenn der Sohn Gottes kommt, dann wird er sicherlich der König des Gottesvolkes sein. So hat es denn guten Grund, wenn er von dem, welcher Gottes Sohn ist, das Bekenntnis ablegt: du bist der König von Israel. Und sicherlich darf der Glaube nicht bloß an Christi Wesen, dass ich so sage, hängen bleiben; er muss sich auf seine Kraft und sein Amt richten. Würde es uns doch wenig helfen, zu wissen, wer Christus ist, wenn nicht auch das uns klar wäre, wie er sich gegen uns stellen will, und zu welchem Zwecke er uns vom Vater gesandt ward. Davon, dass die Anhänger des Papsttums bloß Christi Wesen zu erfassen sich angelegen sein ließen, ist es gekommen, dass er zu einer schattenhaften Person für sie geworden ist; sein königliches Amt, bestehend in der Kraft, Seelen zu retten, haben sie außeracht gelassen. Übrigens ist das Bekenntnis Nathanaels zum dem König von Israel dem Maße seines Glaubens entsprechend beschränkt, - dehnt sich doch dieses Königs Reich aus bis zu den fernsten Enden der Erde. Natürlich schwangen sich seine Gedanken nicht dazu auf, schon jetzt in ihm den König der ganzen Welt zu sehen, der von allen vier Winden die wahren Abrahamskinder zusammenbringen sollte, damit endlich die Welt ein Israel Gottes werde. Uns ist ja die allumfassende Ausdehnung des Reiches Christi offenbart, und deshalb steht es uns zu, uns über die damals noch engen Begriffe des neuen Jüngers zu erheben. Nathanaels Beispiel mag uns veranlassen, durch Hören des Wortes unseren Glauben zu üben und ihn durch alle uns zu Gebote stehenden Hilfsmittel zu stärken. Möge er dann nicht in Grabesruhe schlafen, sondern wie bei Nathanael im Bekenntnis lebendig hervorbrechen.

V. 50. Jesus antwortete usw. Er tadelt ihn nicht, als wäre er in seinem Glauben zu weit gegangen; er bestärkt ihn vielmehr darin und verheißt ihm und den übrigen, dass sie noch größere Beweise in die Hand bekommen sollen, die zur Befestigung in ihrem Glauben ihnen dienen werden. Nur dem einen war es zuteilgeworden, dass Christus, weit von der Stätte entfernt, ihn unter dem Feigenbaum gesehen hatte. Jetzt kommt Christus auf eine Beweisführung zu sprechen, die alle gemeinsam erleben werden. Deshalb geht er unvermittelt von der Rede des Nathanael zur Rede an alle über.

V. 51. Ihr werdet den Himmel offen sehen. In großem Irrtum, so urteile ich, befinden sich diejenigen, welche ängstlich nach Zeit und Ort forschen, wann und wo Nathanael und die anderen den Himmel offen gesehen haben. Christus redet vielmehr von einem fortwährenden Zustande, welcher immer in seinem Reiche währen soll. Ich gebe zu, dass die Jünger etliche Male Engel gesehen haben, welche heute nicht erscheinen. Ich gestehe auch zu, dass es eine andere Offenbarung der himmlischen Herrlichkeit gewesen ist, da Christus gen Himmel fuhr, als was wir jetzt erleben. Aber genau erwogen, müssen wir doch sagen: was damals geschehen, besteht für immer. Früher war das Reich Gottes für uns verschlossen; in Christo ist es in Wahrheit aufgeschlossen worden. Eine sichtbare Probe davon bekommen sowohl Stephanus (Apg. 7, 55) und die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung, als auch die anderen Jünger bei der Himmelfahrt. Doch nicht nur das, nein, jedes Zeichen, wodurch Gott uns seine Gegenwart zu erkennen gibt, soll uns den Himmel aufschließen, insonderheit das heilige Abendmahl. In der letzten Hälfte des Verses ist dann von den Engeln die Rede. Es heißt von ihnen, dass sie hinauf und herab fahren. Das tun sie als Vermittler der göttlichen Wohltaten an uns. Es besteht folglich ein wechselseitiger Verkehr Gottes mit den Menschen und der Menschen mit Gott. Der Dank für diese Wohltat gebührt Christo. Ohne ihn würden die Engel eher in Feindschaft und Zwiespalt mit uns stehen, als freundliche Sorge tragen, wie sie uns helfen können. Deshalb heißt es: sie fahren hinauf und herab auf ihn, - nicht, als dienten sie ihm allein, sondern, weil sie aus Rücksicht auf ihn und ihm zu Ehren mit ihrer Sorge die ganze Christenheit auf Erden umfassen. Ohne Zweifel spielt der Ausdruck auf die Himmelsleiter an, welche dem Erzvater Jakob im Traum gezeigt ward (1. Mo. 28, 12). Was jenes Gesicht andeutete, ist in Christo wirklich geworden. So ist denn der Gesamtinhalt unseres Verses der: die ganze Menschheit stand außerhalb des Gottesreiches, jetzt aber hat sich die Himmelstür für uns aufgetan, damit wir Mitbürger der Heiligen und Genossen der Engel würden. Um uns in unserem Elend Hilfe zu bringen, steigen diese von Gott verordneten Wächter unseres Heils aus ihrer seligen Ruhe hernieder.

1)
Es ist der vielgenannte pantheistische Denker, zu dessen Todesurteil Calvin im Jahre 1553 mitwirkte, wobei er ihn freilich vor der Vollstreckung der Strafe durch Feuer gern bewahrt hätte.
2)
Ein Bestreiter der Gottheit Christi im 4. Jahrhundert.
3)
Griechischer Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts.
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