Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 66.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 66.

V. 1. So spricht der Herr usw. Jetzt beginnt eine neue Predigt. Hier schilt der Prophet die Juden, die in eitlem Vertrauen auf ihre Opfer und den Tempel sorglos dahinlebten und in ihren Sünden sich gehen ließen. Dies Vertrauen ist nicht bloß eitel und töricht, sondern auch teuflisch und fluchwürdig, denn Gott wird in dreister Weise verhöhnt von solchen, die ihn mit äußerlichen Formen verehren und versöhnen wollen. Darum macht er ihnen den Vorwurf, dass sie am Werke sind, sich einen Götzen an Stelle Gottes zu schaffen, indem sie ihn in den Tempel eingeschlossen denken. Sodann redet er von der Erneuerung der Gemeinde und ihrer Ausbreitung über die ganze Erde. In dem Bestreben, die liebgewonnenen Fantasiegebilde der eitlen und betörten Gottesverehrer zu zerstören, beginnt er mit einer Beschreibung des göttlichen Wesens. Wenn der Himmel Gottes Stuhl genannt wird, so heißt das, dass seine Majestät alles erfüllt, überallhin reicht und nirgends umschlossen und begrenzt, geschweige denn vom Tempel eingeschlossen wird. Die Schrift sagt häufig, Gott sei im Himmel, aber nicht in dem Sinn, als ob er dort eingeschlossen wäre, - vielmehr damit wir unsere Gedanken über die Welt erheben und nichts Niedriges, Fleischliches oder Irdisches von ihm denken. Schon der Anblick des Himmels muss uns erheben und zur Verwunderung hinreißen. Daneben bezeugt aber Gott an unzähligen Stellen, dass er bei uns ist und dass seine Macht überallhin reicht, damit wir sie nicht in den Himmel eingeschlossen denken. Dies steht wohl ohne Widerspruch fest und war auch damals allgemein anerkannt. Denn wer hätte nicht gewusst, dass Gottes Majestät Himmel und Erde füllt! Die Juden konnten also entgegnen: Niemand wolle Gott aus dem Himmel stürzen, der Prophet ereifere sich unnötig und schelte umsonst so hart. Zweifellos haben sie die Worte des Propheten stolz zurückgewiesen und sind höchst ungehalten über ihn gewesen, als wenn ihnen ein schlimmes Unrecht zugefügt würde. Es ist aber klar, dass die Menschen, wenn sie Gott nach ihren Gedanken zu versöhnen suchen, sich ein Bild von ihm machen, das durchaus nicht seiner Majestät entspricht. Diese Menschen glaubten im Vertrauen auf ihre öden, kalten Zeremonien völlig ihre Pflicht erfüllt zu haben, wenn sie fleißig den Tempel besuchten und Gelübde und Opfer in ihm darbrachten. Der Prophet zeigt, dass Gottes Majestät nicht mit diesem Maßstab gemessen werden darf, und dass alles, was man ihm ohne Herzensreinheit aufdrängt, gar nichts wert ist. Denn wenn das Wesen des im Himmel wohnenden Gottes naturgemäß ein geistliches ist, so ist ein Gottesdienst, welcher dem nicht entspricht, sicherlich verkehrt und verderbt. Der Hinweis auf das Haus, welches die Juden für Gott zurichten wollen, befasst alle die Zeremonien in sich, aus denen nach ihrer Meinung der Gottesdienst sich zusammensetzte. Weil sie nun Gott und seinen Dienst nach dem Maß des Tempels maßen, zeigt der Prophet, dass es der Majestät Gottes unwürdig sei, ihn in ein sichtbares und vergängliches Gebilde zu bannen. Er redet hier ja nicht bloß über das Wesen Gottes, sondern zugleich über seinen wahren Dienst; dieser muss ein geistlicher sein, damit er dem Wesen Gottes, der Geist ist, entspreche. Wenn die Menschen das Wesen Gottes gehörig bedenken würden, würden sie nicht einen fremdartigen Gottesdienst ersinnen, der nicht zu ihm passt, und sie würden ihn auch nicht nach sich selbst beurteilen. Somit ist es viel wirkungsvoller, dass der Prophet einen allbekannten und oft gebrauchten Satz an die Spitze stellt, als wenn er irgendetwas ganz Neues beigebracht hätte. Er zeigt, dass sie so abgestumpft und gleichgültig sind, dass sie nicht wissen, was jedem Kind bekannt ist, dass sie stummen Tieren gleichen, wenn sie meinen, Gott sitze und ruhe im Tempel. Verächtlich fragt er darum: Wo ist denn jener Ort? Gott hat doch selbstverständlich weder auf der Erde seinen Sitz, noch ist er gleichsam in seiner Werkstatt eingeschlossen und verborgen. War doch der Tempel auf einem winzigen Berge errichtet und konnte in seiner Beschränktheit Gottes Herrlichkeit nicht fassen.

Die Stätte, da ich ruhen soll. Aber, könnte man entgegnen, der Herr hatte doch gesagt (Ps. 132, 14): „Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen, denn ich habe sie auserwählt.“ Und anderswo heißt es (Ps. 132, 8): „Mache dich auf, Herr, zu deiner Ruhe.“ Auch haben wir im 11. Kapitel (V. 10) gehört, dass das Ruhen des Herrn an seiner Stätte herrlich sein soll. Und schließlich war es doch eine ehrenvolle Bezeichnung des Tempels, die der Prophet hier tadelt. Ich antworte: der Tempel wird Gottes Ruhestätte genannt, weil Gott in ihm seine Gegenwart anzeigen wollte. Diesen Ort hat er auserwählt, um dort angerufen zu werden und von dorther seine Macht und Stärke zu offenbaren; nicht aber ließ er ihn erbauen, damit die Menschen auf ihre Weise sich Vorstellungen machten über seine Majestät, sondern damit sie, erinnert durch die Zeichen seiner Gegenwart, ihre Gedanken empor gen Himmel erheben und ihn anerkennen sollten als den, der höher ist und größer als die ganze Welt. Wie nun aber die Menschen zum Aberglauben geneigt sind, so haben die Juden aus den Hilfsmitteln sich Hindernisse gemacht; während sie sich im Glauben hätten gen Himmel erheben müssen, haben sie in der Meinung, Gott sei ihnen zugetan, ihn so leichthin, ja wie zum Spiele, verehrt nach ihren Begriffen. Diese Stelle wird sehr zutreffend von Stephanus angeführt und auch von Paulus in dem angegebenen Sinn angewendet (Apg. 7, 49 f.; 17, 24). Sie zeigen nämlich, dass diejenigen sehr irren und sich betrügen, die dem Herrn mit allerlei fleischlichen Zeremonien kommen, als ob darin der wahre Gottesdienst und die Religion bestände, oder die mit ausgehauenen oder gemalten Bildwerken in frevelhafter, gottloser Weise seine Herrlichkeit herabwürdigen. Stephanus schilt ja die Juden, die, den gesetzlichen Formen dienend, die wahre Frömmigkeit außeracht ließen; Paulus aber bestreitet in seiner Rede vor den Heiden, dass Gott in Tempeln wohne, die von Menschenhänden gemacht sind.

V. 2. Meine Hand hat dies alles gemacht. Der Prophet weist die falsche Anschauung der Menschen über den Gottesdienst, als ob die Opfer und äußeren Formen an und für sich viel Wert hätten, zurück. Die Sache liegt so: Gott fragt für seine Person nichts nach den Zeremonien, sie sich leere, kalte Formen, während die Menschen meinen, dass Gott durch sie befriedigt werden. Die Aussage, dass er „dies alles“ gemacht habe, ist nicht bloß auf den Tempel zu beziehen, sondern auf alles, was dort dem Herrn dargebracht wurde. Dass er alles bereitet habe, sagt er darum, damit die Menschen erkennen, dass Gott diesen äußerlichen Dienst nicht nötig hat, wie es im 50. Psalm (V. 10) heißt, er habe alle Tiere erschaffen und sie gehörten ihm, während die Juden durch deren Opferung sich Verdienste vor ihm erwerben wollten. An dem Fehler kranken die törichten Sterblichen, dass sie sich Gottes Wesen nach ihren Gedanken zurechtlegen, während er diesen äußerlichen Dienst nicht so sehr unsertwegen als seinetwegen eingerichtet hat.

Und so entstand dies alles. Damit will Gott sagen, dass er mit diesen Dingen, die einst einen Anfang hatte, nicht verglichen werden dürfe, da er selbst ewig ist und keinen Anfang hat. Ich kann, sagt der Herr, eure Opfer entbehren, da ich vor ihnen war; sie können mir nichts nützen. Die Zeremonien vermögen an sich gar nichts, sondern haben einen anderen Zweck. Gott genügt sich selbst, weil er von Ewigkeit her die Welt entbehren konnte. In den folgenden Worten wird das Wesen des rechten Gottesdienstes bestimmt. Denn wenn er sagt, Gott sehe auf die Niedrigen, so stellt der Prophet zweifellos hier den, der niedrig und zerschlagenen Herzens ist, in Gegensatz zu dem Pomp der Zeremonien und jenem Glanz und Schimmer, der die Augen der Menschen so zu blenden pflegt, dass sie zur Bewunderung hingerissen werden. Des Weiteren wird ein Mensch, nach dem Gott fragt, mit den Worten beschrieben: der sich fürchtet vor meinem Wort. Damit wird die innere Herzensreinheit und das wahre Wesen der Frömmigkeit gekennzeichnet und zugleich gesagt, wie wir zur Dankbarkeit gegen Gott geschickt werden. Dass aber der Herr verlangt, die Gläubigen sollten vor seinem Gebot sich fürchten, könnte ungereimt erscheinen, da es doch nichts süßer und lieblicher ist als Gottes Wort. Wie passt dazu Furcht und Zittern? Ich antworte, dass es eine doppelte Art von Furcht gibt; die eine besteht in der Angst solcher, die Gott hassen und fliehen, die andere in dem Gehorsam derer, die ihn fürchten und ehren. Ich weiß, dass dieses Versglied von einigen Auslegern auf das Gesetz bezogen wird, das da droht und schreckt und Gottes schreckliches Gericht ankündigt, aber ich fasse es allgemeiner; denn auch an die Verheißungen gehen die Frommen mit Zittern heran, indem sie dieselben mit ehrfürchtiger Scheu ergreifen. Die wahre Frömmigkeit besteht darin, dass alle unsere Sinne auf den Gehorsam gegen Gott gerichtet sind und dass wir niemals in dreistem Selbstvertrauen uns etwas anmaßen. Das ist ja des Glaubens Art, dass wir dem Herrn zu Willen sind und sein Wort mit Aufmerksamkeit und Geduld hören. Wenn aber eitle Selbstüberhebung uns beseelt, sind wir fern von Frömmigkeit und Gottesfurcht. Wir können ja auch nicht das Geringste für uns in Anspruch nehmen, so dass wir den Herrn gering schätzen dürften. Mit Fleiß wollen wir uns gerade dies Wort einprägen, dass es gilt, vor Gottes Wort zu zittern. Denn manche rühmen sich, Gott zu fürchten und zu ehren, aber durch die Geringschätzung seines Wortes offenbaren sie sich als Verächter Gottes. Alles, was wir dem Herrn an Ehrfurcht schuldig sind, müssen wir auf sein Wort übertragen, in dem er völlig wie in einem lebendigen Abbild erkannt werden will. Die Summe dieser gesamten Beschreibung der Frömmigkeit ist die: Das Opfer, welches Gott allen andern vorzieht, besteht darin, dass die Gläubigen in wahrer Selbstverleugnung sich demütigen, alle stolzen Gedanken über sich fahren lassen und nichts sein wollen. So heißt es auch im 51. Psalm (V. 19): „Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerstoßenes Herz, ein zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“ Weil aber aus dieser Demut die Gelehrigkeit des Glaubens erwächst, so wird als Zeichen der Frömmigkeit auch dies hinzugefügt, dass die Frommen nach Ablegung alles Eigensinnes mit Zittern zum Worte Gottes hinzugehen. Aus diesen Worten ist ein ungemeiner Trost zu entnehmen: Wenn wir auch in unserer Demütigung und Erniedrigung unglücklich und des Anblicks der Menschen nicht wert scheinen, so sind wir dennoch glücklich und gesegnet, weil der Herr auf uns sieht und seine Gnade uns zuteilwerden lässt. Wenn wir in Gefahr stehen zu verzweifeln, wollen wir daran denken, dass der Herr seine Knechte, auch wenn sie in die Hölle erniedrigt werden und unter ihrer Last fast zusammenbrechen, doch auf diese Weise empor in den Himmel führt.

V. 3. Wer einen Ochsen schlachtet usw. Dieser Vers hat zwei Glieder; im ersten sagt Jesaja gerade heraus, dass alle Opfer seines Volkes nichts wert, sondern ein Gräuel seien vor Gott; im zweiten schildert er die furchtbare Verderbnis, dass sie heidnische Gebräuche mit den Opfern des Gesetzes verbunden und so alles verderbt und verkehrt hatten. Die meisten Ausleger deuten diese Worte auf eine Abschaffung der im Gesetz vorgeschriebenen Opfer, aber sie irren. Denn Jesaja sagt hier genau dasselbe, wie im 1. und 58. Kapitel. Er verurteilt die Opfer nicht schlechtweg, sondern nur ihre Auswüchse und Verderbnis, weil die Juden meinten, Gott könne durch trügerisches, nichtiges Scheinwesen befriedigt werden, wobei sie die wahre Gottesfurcht und die Herzensreinheit außeracht ließen. Er redet also nicht von dem Opfer an und für sich, sondern tadelt die Menschen, die diese missbrauchten und dem Herrn gleichsam die Schale einer tauben Nuss darboten. Nur die Opfer, die aus einem reinen Herzen und aufrichtigem Willen kommen, gefallen Gott. Wahrscheinlich spielt der Prophet auch an auf die schauderhaften und unnatürlichen Opfer der Heiden. Diese schlachteten oder vergruben lebendige Menschen, ein Verbrechen, von dem sich weder die Römer, die sich für die allerfrömmsten Leute hielten, noch die Juden fernhielten. Ja sogar mit manchem Menschenopfer befleckten sie sich, in der Meinung, ihrem Vater Abraham nachzufolgen. Sie handeln, sagt Jesaja, wenn sie ein Rind opfern, genau so, als wenn sie einen Menschen töteten; sie sind, wenn sie auch einen besonderen und von Gott eingesetzten Gottesdienst haben, doch nicht besser als die Heiden, bei denen alles unheilig und unrein war; sie können dem Herrn ebenso wenig gefallen als diese, weil eine Vorspiegelung von Frömmigkeit Gottes Namen ebenso entheiligt wie ein ehebrecherischer und selbst erdachter Gottesdienst. Wie notwendig diese Ermahnung war, haben wir schon an anderer Stelle gesehen. Denn wenn die Juden auch aller Verbrechen überführt waren, so hielten sie sich doch für sicher, solange sie unter diesem Schatten sich bargen. Mit Recht also tritt der Prophet dem entgegen durch den Nachweis, dass sie dadurch ebenso wenig etwas ausrichten können zur Versöhnung Gottes, als wenn sie sich Sühnemittel erwählten aus den schändlichen, götzendienerischen Gebräuchen der Heiden. Der Ausdruck am Schluss des Verses: „Solches erwählen sie“ kann in doppelter Weise erklärt werden. Er kann sich sowohl auf die Heiden als auf die Juden beziehen, indem ja die Juden die gottlosen Gebräuche der Heiden sich angeeignet hatten oder auch ihren eigenen Gedanken gefolgt waren. Die erste Erklärung würde ganz gut passen, wenn sie nicht allzu gezwungen wäre, sind doch die Heiden vorher nicht erwähnt. Dies war ja der Gipfel des Verbrechens bei den Juden, dass sie nicht nur den reinen Gottesdienst missbrauchten, sondern auch unter Verachtung des Gesetzes den Tempel und alle Plätze mit ihren Gräueln verunreinigten. Sie errichteten Höhen, pflanzten und unterhielten Haine, veranstalteten Spiele und Schauspiele und ahmten alles nach, was zum Verderben der Seele diente. Es gab bei ihnen eine derartige Vermengung von Aberglauben, wie wir es jetzt im Papsttum sehen, wo die verschiedensten Stücke von Aberglauben zusammengestoppelt sind, nicht bloß Heidnisches und Jüdisches, sondern auch solches, das Satan erst kürzlich ausgedacht hat, um es der Welt leichter und erfolgreicher auferlegen zu können. Dies und Ähnliches, sagt der Prophet, ist doppelt verdammungswürdig, weil sie unter dem Vorgeben, Gott zu verherrlichen und seinen Dienst auszuüben, sich nicht schämen, diesen mit götzendienerischen Gebräuchen der Heiden zu beflecken. Die andere Erklärung passt auch gut, dass die Juden ihren eigenen Gedankengebilden sich ergeben hätten und ihren Gräueln gefolgt wären. Der Prophet bestreitet also, dass Gott aufrichtig von solchen verehrt werden könne, die ihn, wie ihre Begierden es ausweisen, verachten, nicht nur weil sie voll Habsucht, Hass, Ehrgeiz, Betrug, Rohheit und Raubgier sind, sondern weil sie mit ihren Erdichtungen den Dienst Gottes entehren. Wenn das nun auch zunächst von den Juden gilt, so verurteilt der Prophet doch alle abergläubischen Gebräuche, die von den heidnischen Völkern entlehnt werden. In Wirklichkeit ist also wenig Unterschied; der Prophet sagt lediglich, dass alles, was von ihnen stammt, unrein und verabscheuenswert ist, da sie ja dreist und trotzig das Joch Gottes von sich geworfen haben und die Gottlosigkeit öffentlich bei ihnen im Schwange ist. Bäche, die aus einer trüben, schmutzigen Quelle stinkenden Dreck mit sich führen, können nicht rein und klar sein. Ihr Erwählen und ihr Begehren offenbaren ihren Trotz noch mehr; denn mit Wissen und Willen haben sie unter Verachtung der Gebote Gottes sich gerade dem Gegenteil ergeben, als ob sie absichtlich alles, was von Gott stammt, verwerfen wollten, um ihren schlechten Begierden zu dienen.

V. 4. Darum will ich auch erwählen usw. Der Prophet erklärt, dass es den Juden nichts nützt, wenn sie allerlei Beschönigungen vorbringen und nach Ausflüchten suchen. Denn Gott mag nichts wissen von dem Trug und den nichtigen Worten der Menschen. Weder dürfen wir Gott nach unseren Gedanken messen, noch nach Menschenmeinungen uns richten, sondern müssen über Gottes Werke in Gemäßheit seines Wortes urteilen. Der Herr will die Nebel, welche die Juden über ihr Tun zu breiten suchen, zerstreuen und ihre Trugwesen vor jedermann völlig offenbar werden lassen; jetzt scheint es verborgen zu sein, aber einst wird es in das helle Licht gerückt. Also, weil die Juden sich so viel Freiheit angemaßt hatten, dass sie alles, was ihnen gefiel, den Geboten Gottes vorzogen, so wird auch Gott ihnen in der Weise vergelten, dass er alle ihre Ränke enthüllt.

Darum, dass ich rief usw. Der Prophet verurteilt wiederum die Hartnäckigkeit der Juden, dass sie sich nicht vom Herrn haben bessern lassen wollen. Zur Beseitigung unserer Sünden bleibt ja schließlich nur dies Mittel, dass wir Gottes Wort hören, wenn er uns auf den rechten Weg zurückzuführen sucht. Wenn wir uns aber verhärten und verstocken, dann ist dies das schlimmste aller Übel. Wenn nun die Menschen ihre Erdichtungen den göttlichen Geboten und Einrichtungen vorziehen, dann offenbaren sie damit ihre Verachtung Gottes, unter dessen Willen sie sich hätten beugen müssen, namentlich wenn das Herz sich außerdem noch ungebrochen und verhärtet zeigt, sodass die Tür gegen wohl gemeinte Ermahnungen verschlossen ist. Vergeblich aber wenden sie ein, dass doch dem Herrn nicht missfallen könne, was sie seines Dienstes wegen auf sich nehmen. Denn alles, was die Menschen unter Außerachtlassung seines Wortes auswählen oder befolgen, wird vom Herrn verworfen und verflucht. Der Prophet wiederholt noch das schon früher Gesagte, dass die Juden vor dem Angesicht Gottes gesündigt haben, gleich als ob sie ihn vorsätzlich hätten reizen wollen. Schließlich gibt er noch die Art und Weise an: sie haben mit verkehrtem Eifer nach Dingen getrachtet, die Gott verboten hatte.

V. 5. Hört des Herrn Wort usw. Jetzt wendet sich der Prophet an die wahren Gottesverehrer und verheißt ihnen, was sie in jenen schweren Nöten kaum hoffen konnten. Er redet sie mit Namen an, weil zu jener Zeit sich viele fälschlich mit den Namen Gottes brüsteten. Er lässt die große Masse außeracht und wendet sich an eine kleine Gruppe insbesondere, wie es auch im 8. Kapitel hieß: „Binde zu das Zeugnis, versiegele das Gesetz meinen Jüngern.“ Gemeint sind die wahren und echten Kinder Gottes, die zum Wort des Herrn zitternd hingehen. Das ist eine wahrhaft seltene Tugend. Diese stellt der Prophet darum dem falschen Bekenntnis solcher entgegen, welche die Beschneidung empfangen hatten, zu dem Volke Gottes gerechnet werden wollten und einen großen Schein von Heiligkeit um sich zu verbreiten verstanden. Wir sollen wissen, dass nur die Gott fürchten und ehren, die sein hochheiliges Wort fürchten und ehren, d. h. die, von dem gehörten Gotteswort wirklich getroffen, alle ihre Sinne zum Gehorsam zwingen. Dies ist ein hervorragendes Kennzeichen der Frömmigkeit. Weil es nun weiter die Art schauspielerischer Gottesverehrer ist, mit ihrem Pomp zu prahlen, so ist es die Absicht des Propheten, die Gläubigen zum Ertragen ihrer Angriffe auszurüsten und stark zu machen, damit sie nicht wanken, wenn sie verspottet und beunruhigt werden. Er will sagen: Ihr habt nicht nur mit auswärtigen Völkern zu kämpfen, sondern mit inneren Feinden, die in der Gemeinde wohnen und mit euch wegen des gemeinsamen Gottesbundes durch brüderliche Verwandtschaft eng verbunden sind. Wenn jenen, die ja auch den Herrn selbst schnöde verachten, eure Einfalt zum Spott dient, so müsst ihr diese Versuchung standhaft und unverzagt zurückweisen. – Als „Brüder“ bezeichnet der Prophet Leute, die doch Feinde der Frommen und des Wortes Gottes waren. Doch gibt er ihnen diesen Namen, den sie sich zu Unrecht anmaßten, nur in Anbequemung an ihre Redeweise. Wir entnehmen daraus, dass es schon ein altes Übel ist, wenn Feinde, die den Namen „Brüder“ führen, in dem Schoß der Gemeinde sitzen. Dieser innere Krieg muss ohne Aufhören gekämpft werden gegen die Heuchler, die es nicht ruhig mit ansehen können, dass Gott mit reinem und aufrichtigem Gewissen von uns verehrt wird.

Und sondern euch ab, d. h. sie fordern euch auf, euch ganz zu entfernen. Wie wir heute noch den Papst gegen uns wie gegen Verbrecher und Verworfene mit schrecklichen Blitzen wüten sehen, so verwarfen auch die Heuchler die kleine Zahl der Frommen. Denn da sie stärker sind an Zahl, Macht und Ansehen, üben sie auch eine solche Gewaltherrschaft aus, dass sie alles nach ihrer Willkür billigen oder verwerfen. Sie wollen die Frommen nichts gelten lassen, die sie nicht nur mit ihrer Masse verdecken, wie Spreu den Weizen, sondern auch schnöde missachten.

Lasst sehen, wie herrlich der Herr ist. Die Gottlosen verlachten die Verheißungen: jene Herrlichkeit, von der die Propheten fortwährend gezeugt hatten, werde niemals in Erscheinung treten. Sie sagten etwa: Der Herr möge doch irgendeine Probe seiner Herrlichkeit geben, damit wir sicher auf dieselbe uns verlassen können! Da will der Prophet die Frommen gegen solche Schmähungen stärken, damit sie sich in ihrem Glauben durch die Grimassen der Gottlosen nicht wankend machen lassen. Doch könnte diese Stelle ganz gut und vielleicht richtiger auch so aufgefasst werden, dass die Gottlosen nur Gutes für sich erwarteten, als ob sie durch ihre Pflichterfüllung sich einen Anspruch auf Gottes Gunst erworben hätten, wie auch Amos (5, 18), es ihnen zum Vorwurf macht, dass sie in kühner Herausforderung Gottes glauben, er werde ihnen wohl geneigt sein. Wenn sie nun im Vertrauen auf ihre Versöhnungsmittel alle Drohungen verachteten und prahlerisch Gott als ihren Helfer ansahen, so sollen sie nach des Propheten Worten Gottes Herrlichkeit auf ganz andere Weise schauen. Gott lässt durch seine Ankunft die Frommen erkennen, dass sie nicht vergeblich gehofft haben, denn er wird erscheinen zum Heil der Frommen, aber zum Verderben für Leute, die so reden, als werde er kommen, ihre Gottlosigkeit zu decken, die er doch mit aller Strenge strafen will. Jene werden Freude und Trost haben, diese aber mit Scham erfüllt werden, denn sie werden gar schnell das Gericht Gottes fühlen, das sie jetzt verlachen.

V. 6. Man wird hören eine Stimme des Getümmels. Dieser Satz bestätigt die frühere Aussage, dass Gott nicht umsonst den Heuchlern sein baldiges Kommen als Richter angedroht hat, und dass die Frommen nur desto sehnsüchtiger nach der verheißenen Freude ausschauen sollen. Es ist zweifelhaft, welche Feinde gemeint sind. Diese Stelle kann auf die Babylonier, deren Niederlage die Befreiung der Gemeinde war, bezogen werden, aber auch auf andere Feine, die mitten in der Gemeinde ihr Wesen hatten. Ich neige mehr der letzteren Ansicht zu, obwohl ich nicht bestreite, dass jede Art von Feinden gemeint sein kann. Der Prophet hat aber doch die vorher geschilderten, inneren Feinde im Auge, die das fortwährend durch die Propheten ergehende Wort Gottes verachteten. Er verkündigt ihnen, dass sie in kurzer Zeit eine andere, schrecklichere Stimme hören sollen. Unmittelbar darauf folgt jedoch eine Milderung, damit derselbe Schrecken die frommen Knechte Gottes nicht mutlos mache. Vergeblich also rühmen sich die Gottlosen und lehnen sich in ihrer Dreistigkeit auf gegen Gott: sie werden seiner Hand durchaus nicht entgehen; gerade aus dem Tempel, der ihnen als Mittel ihres falschen Vertrauens diente, wird Gottes Stimme hervordringen, die Frommen aber werden dann den Lohn ihrer Geduld empfangen. O, dass wir doch nicht heute eine ähnliche Geringschätzung bei den Heuchlern zu sehen brauchten, die alle Warnungen und Drohungen in den Wind schlagen und dem Worte Gottes kleine Ehre erweisen! Wir sind gezwungen, ihnen statt des sanften, milden Wortes, das sie jetzt hören, das beunruhigende Wort anzudrohen, das sie einst von ganz anderen Lehrern hören werden. Denn wenn die Welt in ruchloser Verachtung Gottes Wort zurückweist, wird sie gezwungen, das bewaffnete Wort, d. h. Brand und Mord, nicht bloß zu hören, sondern auch zu erleben.

V. 7. Sie gebiert, ehe ihr wehe wird. Vorher hat der Herr die Frommen getröstet, dass sie nicht durch die Anmaßung und Verachtung jener „Brüder“, die er schließlich strafen wird, sich beunruhigen ließen, und sie aufgefordert, mit standhaftem Sinn die Ankunft des Herrn zu erwarten. Zugleich aber stellt er eine derartige Bestrafung jener in Aussicht, dass er durch ihren Untergang das Heil der Frommen bewirkt. Er redet hier nicht von irgendeinem beliebigen Menschen, sondern von der ganzen Gemeinde, die er mit einem Weibe vergleicht. Dies Bild hat er schon öfter gebraucht. Gott will uns vor allem auch sammeln zu einem Leibe; darin sollen wir das Zeugnis unserer Kindschaft sehen, sollen ihn als Vater anerkennen und in der Gemeinde, wie bei einer Mutter, unsere Pflege haben. Diese Vergleichung mit einer Mutter ist somit sehr zutreffend. Die Gemeinde soll so wiederhergestellt werden, dass sie eine große, zahlreiche Nachkommenschaft erhält, auch wenn sie augenblicklich noch kinderlos und unfruchtbar zu sein scheint. Es liegt aber noch mehr in dieser oft gebrauchten Vergleichung, nämlich dies, dass dies Werk des Herrn plötzlich und unerwartet geschehen wird. Der Herr deutet an, dass die Frommen die Wiederherstellung der Gemeinde nicht in fleischlicher Auffassung erwarten dürfen. Die Frauen tragen ihre Leibesfrucht zehn Monate, um endlich mit großem Schmerz zu gebären; des Herrn Art aber, Kinder hervorzubringen, ist eine ganz andere. Es wird, sagt er, das Kind eher zur Welt kommen, als man denkt oder als irgendeine Schmerzempfindung sich einstellt. Damit schreibt er sich jegliches Verdienst zu, weil das Wunder die menschliche Tätigkeit ausschließt. Der Ausdruck „Knabe“ soll besonders den starken, männlichen Geist dieser Kinder bezeichnen; es wird eine kräftige, nicht eine zarte, verweichlichte Nachkommenschaft sein. Wir wissen ja auch, dass die Gläubigen durch Christi Geist wiedergeboren werden, um in unbesiegbarer Tapferkeit ihren Kampfeslauf zu vollenden, wie auch Paulus (Röm. 8, 15) sagt, dass wir nicht den Geist der Furcht empfangen haben usw.

V. 8. Wer hat solches je gehört? Der Prophet preist die Größe der in Rede stehenden Tatsache: Wunderbar und unerhört wird die Wiederherstellung der Gemeinde sein; die Frommen können sie nicht aus der Ordnung der Natur, sondern nur aus der Gnade Gottes erklären. Wenn die Menschen darüber nachdenken, erscheint es ihnen wie ein Traum, wie es auch im 126. Psalm (V. 1) heißt. Übrigens ist die Meinung nicht, dass die Gemeinde völlig in einem Augenblick wiederhergestellt werden soll: es gibt viele und lange, dem natürlichen Sinn viel zu langsame Entwicklungen bei dieser Wiederherstellung; aber der Prophet will sagen, dass schon der Anfang alles menschliche Begreifen übersteigt. Damit sagt er nichts Übertriebenes; denn wir sehen oft, wie die Gemeinde, die vorher nicht schwanger zu sein schien, Kinder hervorbringt; ja, wenn man sie für unfruchtbar hält, wird sie fruchtbar durch die Predigt des Evangeliums, sodass man sich über die Tatsache, die man vorher für völlig unmöglich hielt, wenn sie eintritt, sehr wundert. Dies ist teilweise erfüllt, als das Volk aus Babylon zurückkehrte, aber ein viel gewichtigeres Zeugnis haben wir im Evangelium, nach dessen Verkündigung eine zahlreiche und mannigfaltige Nachkommenschaft heranwuchs. Sehen wir aber nicht in unserer Zeit die Erfüllung dieser Weissagung? Wie viele Kinder hat nicht die Gemeinde seit den dreißig Jahren, in denen das Evangelium verkündigt ist, hervorgebracht? Hat der Herr nicht heute die Seinen in großer Zahl überall auf Erden? Es ist hier also nichts vorausgesagt, das nicht deutlich in Erfüllung ginge. Die Herrlichkeit des Wunders beleuchtet der Prophet durch ein Gleichnis: Es gibt kein Volk, das sofort als solches in der Welt aufgetreten wäre; allmählich kommen die Menschen zusammen, vermehren sich und vergrößern ihr Geschlecht. Die Art der Gemeinde ist ganz anders: sie bringt sofort und nicht bloß an einem Orte eine ungeheure Menge hervor. Es ergibt sich also, dass durch Gottes wunderbare Fügung auf ungekannte Weise der Gemeinde unzählige Söhne plötzlich und auf einmal geboren werden. Das Wort „Land“ bedeutet irgendeine Gegend oder ihre Einwohner.

V. 9. Sollte ich das Kind lassen? usw. Nachdem der Prophet im vorhergehenden Verse Gottes Handeln recht gerühmt hat, zeigt er jetzt, dass dies nicht unglaublich erscheinen und man nicht zweifeln dürfe an seiner Macht, die stärker ist als alle Naturordnung. Denn wenn wir bedenken, wer da redet, und wie leicht es ihm ist, das, was er verheißen, auszuführen, dann wird es uns doch sofort zum Bewusstsein kommen, dass die Erneuerung der Welt in der Hand dessen ruht, dem es nicht schwer fallen würde, in einem Augenblick hundert Welten zu erschaffen. Dadurch, dass er zuvor seinem Erstaunen Ausdruck gab, wollte der Prophet die Größe des Werkes hervorheben; jetzt aber fordert er, um für fromme Herzen alle Hindernisse und Bedenken zu beseitigen, zur Betrachtung der Stärke Gottes auf. Und damit er sie desto besser davon überzeuge, dass der Herr auch über das, was vor Menschen schwierig ist, verfüge und dass es seinem Willen unterworfen sei, weist er auf unsere tägliche Erfahrung hin. Bei einer Geburt erkennen und bewundern wir seine herrliche Macht; wird nun nicht der Herr sich noch viel wunderbarer beweisen in der Vermehrung und Vervielfältigung der Gemeinde, die der vornehmste Schauplatz seiner Herrlichkeit ist? Man schränkt darum in böswilliger Weise seine Macht allzu sehr ein, wenn man glaubt, sie sei weniger stark, wenn er unmittelbar und gleichsam sichtbar mit ausgerecktem Arm durch sich selbst etwas tun will, als wenn er durch natürliche Mittel wirkt.

V. 10. Freut euch usw. Jesaja verheißt einen Zustand der Freude dort, wo vorher Schmerz und Trauer herrschte. Er hat ja nicht seine eigene Zeit, sondern die der Verbannung im Auge, wo die Frommen fortwährend klagten und in ihrem Kummer fast verzweifelten. Alle Frommen, die eine besondere Liebe zur Gemeinde haben und nichts sehnlicher wünschen als ihr Heil, fordert er zur Freude auf. Nur solche aber werden eines so großen Gutes teilhaftig, in denen die heilige Liebe zur Gemeinde und das Verlangen nach ihrer Befreiung lebt, wenn sie von der Welt verachtet wird, wie es im Psalm (102, 15) heißt: „Deine Knechte lieben Zions Steine und haben Mitleid mit seinem Staube.“ Deshalb setzt der Prophet hinzu: die ihr über sie traurig gewesen seid. Weil sie in der Verbannung auf so jämmerliche und traurige Weise zerstreut waren und keine Hoffnung auf Rettung mehr hatten, fordert er die Frommen auf, fröhlich zu sein oder wenigstens sich zur Freude zu rüsten. Diese Aufforderung enthält eine Verheißung und noch etwas mehr. Eine einfache Verheißung hätte nicht eine so große Wirkungskraft gehabt. Dies darf eben nicht auf eine bestimmte Zeit bloß beschränkt werden, sondern jene Verheißungen müssen nach der schon häufiger erwähnten, allgemeinen Regel sich über die Zeit von der Rückkehr des Volkes bis auf das Reich Christi auf alle die Erfüllungen erstrecken, die es bringen wird.

V. 11. Denn dafür sollt ihr sorgen usw. Dieser Vers muss mit dem vorigen verbunden werden, denn der Prophet gibt die Ursache der künftigen Freude an. Der traurige und unglückliche Zustand der Gemeinde wird in einen glückseligen verwandelt werden. Mit dem Wort „saugen“, spielt er an auf die zarten Kindlein, als ob er sagen wollte: Labet euch an eurer Mutter und bleibt an ihrer Brust! Er vergleicht hier also alle Frommen, welches Alters sie auch sein mögen, mit Kindern, damit sie ihrer Schwäche eingedenk seien und sich auf die Kraft des Herrn gründen. Mit dem Wort „Trost“ meint er alle Tröstungen, welche die Gemeinde empfangen hat und die sie ihren Kindern zuteilwerden lässt. Und fürwahr, es kann kein stärkerer, umfassenderer und herrlicherer Grund zur Freude genannt werden. Dies geht noch deutlicher aus dem nächsten Gliede hervor, wo noch die Freude über den Glanz ihrer Herrlichkeit erwähnt wird.

V. 12. Denn also spricht der Herr usw. Der Prophet fährt in dem Bilde fort und vergleicht die Kinder Gottes mit den Knäblein, die auf den Armen getragen, auf der Mutter Schoß gehegt werden, mit denen man auch spielt. Um noch mehr seine Zuneigung zu uns auszudrücken, vergleicht der Herr sich mit einer Mutter, deren Liebe unvergleichlich die Lieber aller anderen Menschen übertrifft. Der Herr will sich also gegen uns verhalten wie eine Mutter, um uns für die Mühen, den Spott, die Leiden und Ängste, die wir ertragen haben, freundlich zu erquicken und gleichsam auf seinem Schoße zu hegen. Das Wort „Frieden“ bezeichnet die Glückseligkeit, das Wort „Herrlichkeit“ eine Fülle jeder Art, sodass nichts an dem völligen, unbeschränkten Frieden fehlt. Denn während vorher die Heiden in Freuden dahinlebten und einen Überfluss von Gütern besaßen, soll nun den Frommen, wie der Prophet sagt, aller Reichtum und alles, was zu einem glückseligen Leben gehört, zufließen, so wie die Flüsse ins Meer eilen. Dass von einem ergossenen, unaufhörlich fließenden Bach die Rede ist, deutet auf die Dauer dieser Gaben: weil Gott eine unerschöpfliche Quelle ist, unterscheidet sich sein Friede sehr von dem der Welt, der sogleich verfließt und dessen Grund vertrocknet. So oft wir also die traurige und kümmerliche Lage der Gemeinde sehen, sollen wir daran denken, dass diese Verheißungen sich ebenso gut auf uns, als auf jenes Volk beziehen. Da die Flüsse des Friedens, die er über seine Gemeinde ergießen will, des Herrn sind, so brauchen wir auch nicht inmitten der schlimmsten Kämpfe den Mut sinken zu lassen, sondern dürfen uns in unseren Mühen und Bedrängnissen aufrichten und freuen. Dass er uns aber gleichsam als Kinder und nicht als erwachsene Menschen erquickt, das soll uns unsere ganze Stellung erkennen lassen, auf dass wir uns auch mit den entsprechenden Tröstungen zufrieden geben. Und gewiss ist es ein Zeichen besonderer Nachsicht, dass er unsere Schwachheit so erträgt.

V. 13. Ich will euch trösten usw. Es ist merkwürdig, dass der Prophet so ausführlich diese Erneuerung behandelt, da er doch anscheinend vorher genug über sie gesagt hat. Aber da er weder die Größe und die Glut der Liebe, die Gott zu uns hat, genügend schildern, noch sich selbst im Reden darüber genugtun kann, so wiederholt er seine Ankündigung und schärft sie immer wieder ein. Der Ausdruck: Ihr sollt an Jerusalem ergötzet, d. h. durch dasselbe erfreut werden, - kann auf doppelte Weise erklärt werden. Der Satz kann heißen, dass die Frommen fröhlich sein werden, wenn sie die Gemeinde wiederhergestellt sehen, oder dass die Gemeinde nach ihrer Wiederherstellung ihrer Aufgabe nachkommen werde, ihre Kinder fröhlich zu machen. Diese letztere Erklärung findet am meisten meinen Beifall. So würde mit Recht Gott als erster Urheber der Freude dargestellt, doch wird an zweiter Stelle Jerusalem gleichsam als Dienerin hinzugefügt. Im Übrigen ist dies nicht zu den unheiligen Verächtern gesprochen, die in keiner Weise sich um die Gemeinde sorgen, sondern zu denen, die sich in heiligem Eifer als ihre Kinder erklären. Dass die Gläubigen es „sehen“ sollen, drückt ihre sichere Erfahrung aus; sie sollen nicht an dem Erfolg zweifeln, sondern in vollem Vertrauen auf diese Verheißung die Unfruchtbarkeit der Gemeinde eine Zeitlang geduldig ertragen. Eben dasselbe deutet auch das Bild an, dass ihr Gebein neues Leben annehmen wird, sowie das verwelkte Gras wieder ergrünt. Nun werden die Gebeine durch eine traurige Gemütsstimmung gleichsam ausgetrocknet, durch eine fröhliche, heitere Stimmung aber belebt und erfrischt. Der Prophet stellt also eine ungemeine und unvergleichliche Freude in Aussicht und scheint anzuspielen auf die Traurigkeit, unter der die Frommen in der Verbannung so dahinschwanden, dass sie fast verdorrten und Toten gleich wurden. Diese also tröstet der Herr und verheißt eine blühende Gemeinde, die an allem Überfluss hat. Damit sie nun Vertrauen fassen, fordert er sie unmittelbar darnach auf, sich zu Gott zu erheben, der dann seine Hilfe offenbaren wird. Daraus folgt aber, dass die Hand Gottes nicht immer bekannt, sondern eine Zeitlang unbekannt und verborgen war, als ob er sich gar nicht um die Seinen kümmere. So schien er sie z. B. verworfen zu haben, als Daniel und andere Fromme ebenso wie Zedekia in die Verbannung weggeführt wurden. Wenn aber seine Freundlichkeit hervorbrechen wird, werden Gute und Böse so geschieden werden, dass die früher gewissermaßen verborgene Hand Gottes sie erkennen muss. Er wird sich nicht mehr verbergen und nicht die Gottlosen gewähren lassen, sondern seine große Sorge für die Seinen offen zeigen. Wenn also auch die Feinde eine Zeitlang die Oberhand haben und ungestraft herrschen, wenn wir auch vergessen und von jeder Hilfe verlassen zu sein scheinen, - wir wollen nicht verzagen: es wird die Zeit kommen, da der Herr sich offenbart und uns von ihrer Tyrannei und Ungerechtigkeit befreit.

V. 15. Denn siehe usw. Diese Worte sollen die Frommen, wenn sie in ihren Nöten die Frevler jubeln und immer frecher sich gebärden sehen, veranlassen, nicht deswegen vom rechten Wege abzugehen oder den Mut zu verlieren. Denn der Prophet will nicht allein die Gottlosen, die durch keine Drohungen sich bewegen lassen und alles verhöhnen, erschüttern, sondern auch die Frommen trösten, damit sie sich, weil unter dem Schutze Gottes stehend, für glücklich halten und nicht deswegen sich den Gottlosen zugesellen, weil diesen alles gelingt. Er gibt ihnen vor allem den Rat, sich mit dem Schutz und der Gnade Gottes zufrieden zu geben. Im Übrigen kann man im Zweifel sein, ob er mit den zeitlichen Strafen, mit denen der Herr schon hier die Gottlosen heimsucht, auch das jüngste Gericht zusammenfasst. Ich für meine Person zweifle nicht, dass er dieses zugleich in jene einschließt, da sie nur Vorspiele des ewigen Gerichts sind.

Der Herr wird kommen mit Feuer. Dies begann, als Gott nach der Wegführung des Volkes nach Babel die inneren Feinde strafte. Seitdem aber die Zeit der Befreiung erfüllt war, hat er mit bewaffneter Hand die gottlosen Völker scharf angegriffen und fernerhin immer wieder mannigfache sonstige Beweise seines Kommens gegeben, durch die er dem auserwählten Volke seine Gegenwart kundtat und im Feuer zum Gericht über seine Feinde kam. Schließlich wird er, wie wir wissen, zum letzten Male im Feuer kommen, um alle Gottlosen zu bestrafen. Doch dürfen wir diese Stelle nicht auf das jüngste Gericht beschränken, sondern müssen auch die übrigen Gerichte einbeziehen. Indessen sind diese Drohungen, wie wir gleich sehen werden, besonders gegen die betörten Juden gerichtet. Diese bildliche Redeweise ist ja in der Schrift üblich. Wir können dieses furchtbare Gericht Gottes nur verstehen, indem die Propheten uns Bilder von bekannten Dingen vor die Augen stellen. Dadurch wollen sie uns aufs ernstlichste bestimmen, dass wir uns die Furcht Gottes zu Herzen gehen lassen und nicht in die Bahn der Gottlosen einlenken, denen ein solch schreckliches Gericht droht. Ganz abgeschmackt und unnütz sind aber die Grübeleien von spitzfindigen Leuten über das Wesen und die Schärfe jenes Feuers; die Schrift will doch nur das schreckliche Gericht Gottes uns unter Bildern vorhalten, weil wir es sonst weder begreifen noch beherzigen können. In eben diesem Sinne ist auch (V. 16) der Hinweis auf Gottes Schwert zu verstehen.

Denn der Herr wird durch’s Feuer richten usw. Hier sagt der Prophet nichts Neues, sondern bekräftigt nur die vorhergehenden Aussagen: das Gericht wird ein schreckliches sein, wir sollen die Sache nicht für unbedeutend halten. Er redet hier deshalb noch einmal davon, damit die Gottlosen sich fürchten, die Frommen aber sich rein und heilig bewahren und von dem Umgang mit jenen sich fernhalten, dabei aber mit Gelassenheit die ungerechten und grausamen Angriffe der Feinde aushalten, bis der Rächer bewaffnet vom Himmel herniederkommt. Eine Niederlage kündigt er allen Sterblichen an; es wird eine große Masse von Getöteten geben. Dieser Zusatz war wohl begründet, weil allenthalben die Gottlosigkeit regierte und die Frommen wegen des Glückes der Gottlosen eine gefährliche Versuchung auszustehen hatten. Unser Geist ist ja leicht zu beeinflussen, wir lassen uns durch böse Gesellschaft mitziehen, und die Masse verwirrt uns, als ob sie stark genug wäre, Gottes Hand zu hindern. Diese törichte Furcht will der Prophet beseitigen; denn je mehr die Gottlosigkeit herrscht und je größer die Menge der Übeltäter ist, umso mehr wird Gottes entflammt, und umso zahlreicher sind die Niederlagen, die er anrichtet; auch das Toben der Gottlosen und ihr Beratschlagen wird ihn nicht an ihrer Vernichtung hindern.

V. 17. Die sich heiligen in den Gärten usw. Jetzt folgt eine Schilderung jener Feinde, gegen welche der Herr sich kehren will. Man konnte ja im Zweifel sein, ob er die äußeren, erklärten Feinde meinte, oder ob er seine Worte gegen die Verächter richtete, die doch mitten zwischen den Auserwählten und Heiligen lebten. Die falschen und entarteten Juden sind es, die er hier schilt, und es ist mir nicht zweifelhaft, dass er zunächst die Heuchler meint, dann aber bei den Worten „und essen Schweinefleisch“, die Frevler, d. h. solche, die öffentlich und mit großer Dreistigkeit gottlos waren. Die Heuchler „heiligten sich“, d. h. sie nahmen einen falschen Schein von Heiligkeit an und täuschten dadurch viele. Sie „reinigen“ sich in den Gärten, d. h. sie befleckten sich mit mannigfachem Aberglauben, durch den sie sich aber vor Gott rein zu machen glaubten. Die anderen verachteten ganz offen Gott und alle Religion. Es sind hier also allgemein alle Gottlosen, von welcher Art auch immer sie sein mögen, gemeint, sowohl solche, die ihre Bosheit offen zeigen, als auch solche, die sie durch verschiedene Mittel verdecken und verbergen.

V. 18. Und ich kenne ihre Werke. Dieser Satz bestätigt die Worte des vorigen Verses, nämlich die Notwendigkeit der Bestrafung aller Gottlosen. Die Gläubigen sollen in dieser Überzeugung, dass jene, auch wenn der Herr sie eine Zeitlang sündigen lässt, doch von ihrer Strafe schließlich ereilt werden, von ihrem bösen Beispiel sich fernhalten. Der Herr bezeugt hier, dass er ihre Werke sieht und beobachtet, und dass er es einst durch die Tat beweisen werde, wie niemand sich vor ihm verstecken kann.

Es kommt die Zeit, dass ich sammle alle Heiden. Dies ist eine noch stärkere Bekräftigung des Gesagten. Es wird, sagt der Herr, jetzt die Zeit kommen, wo er alle Völker zusammenruft, um nach Verwerfung der Heuchler und Gottlosen aus ihnen sich ein Volk zu sammeln und zu seinem Eigentum anzunehmen. Die Juden sahen voll Stolz auf alle anderen Völker als unreine herab; der Herr erklärt aber, sie annehmen zu wollen, damit sie jener Herrlichkeit teilhaftig würden, deren die Juden sich unwürdig gezeigt hatten. Diese Stelle will uns lehren, dass Gott keinem einzigen Volke so verpflichtet ist, dass er nicht auswählen dürfte, welche er will, und die Ungläubigen verwerfen, die er früher zu sich gerufen, wie es Paulus im Brief an die Römer (Kap. 10 und 11) klar darlegt, wo er sagt, dass wir gleichsam in ein erledigtes Besitztum gekommen seien, nachdem die Juden infolge ihres Unglaubens verworfen waren. Dies droht ihnen schon Jesaja: Glaubt nicht, dass Gott um Völker verlegen ist, wenn ihr abfallt und euch seiner Gnade unwürdig macht; er hat andere zur Hand, er wird sich als Richter zeigen und nicht zulassen, dass ihr eure große Freiheit missbraucht. Sie werden zu Gottes Gemeinde kommen, sagt er, weil sie, durch Übereinstimmung des Glaubens in dieselbe eingepflanzt, zusammenwachsen werden mit den wahren Juden, die ihre Kindschaft nicht preisgaben. Weil die Juden Gott nahestanden, mussten die Heiden, die fern waren, zu ihnen kommen, damit der Unterschied aufgehoben würde und sie miteinander einen einzigen Körper bildeten. „Die Herrlichkeit des Herrn sehen“ heißt nichts anderes als dieselbe Gnade besitzen, deren die Juden gewürdigt waren. Dies war das besondere Vorrecht jenes Volkes, dass sie Gottes Herrlichkeit schauten und die Zeichen seiner Gegenwart hatten. Nun werden, wie er sagt, Völker, die diese Güter entbehrt hatten, jene Herrlichkeit mit Augen sehen, weil der Herr sich allen ohne Ausnahme offenbaren wird.

V. 19. Und ich will ein Zeichen unter sie geben. Dies kann auf zweifache Weise erklärt werden: entweder, dass Gott irgendein Zeichen aufrichtet, oder dass er durch irgendein Wahrzeichen oder Merkmal die Seinen kennzeichnet, zu ihrer Rettung. Die erstere Erklärung ist die bevorzugtere, aber einige reden dabei recht kindisch von dem Zeichen des Kreuzes, andere beziehen den Satz auf die Verkündigung des Evangeliums. Beides ist nach meiner Meinung Unsinn. Vielmehr scheint eine Anspielung vorzuliegen auf das, was nach Moses Bericht bei dem Auszug und der Befreiung des Volkes geschah und wovon in der Offenbarung des Johannes (7, 2 ff.) geschrieben steht, dass alle, die vom Herrn gezeichnet sind, gerettet werden, wenn sein Zorn über den ganzen Erdkreis geht; wie denn auch jene, deren Türpfosten in Ägypten bezeichnet waren, bewahrt blieben. So zeigt der Prophet denn, dass niemand dem Zorn Gottes entgehen kann, ausgenommen die Auserwählten, denen der Herr das Zeichen und Merkmal aufgedrückt hat. Er verstärkt hier also seine früheren Ausführungen über die schwere und harte Strafe, die Gott über die Gottlosen verhängen will. Alle würden ausnahmslos umkommen, wenn der Herr nicht einige mit seinem Merkmal bezeichnete. Vor dem allgemeinen Untergang des ganzen Menschengeschlechts wird er eine kleine Zahl bewahren. Dies ist also die wirkliche Meinung des Propheten, wie es auch anderwärts heißt, dass der Herr einen Überrest (z. B. 10, 20 f.) wi8e aus einem allgemeinen Brand herausreißen werde. Aus diesem Überrest werden, wie er sagt, einige als Herolde unter den Heiden seinen Namen verherrlichen, wie wir denn auch sehen, dass durch die Arbeit einiger weniger Menschen nach allen Seiten hin das Wort vom Heil ausgebreitet wurde. Tharsis. Dieser Name bezeichnet Cilicien. Gemeint ist aber die ganze Judäa gegenüberliegende Küste des mittelländischen Meeres; andere denken an Afrika und Kappadozien. Mir gefällt die erste Erklärung am meisten. Unter Lud verstehen einige Libyen, andere Kleinasien; mit den Bogenschützen sind die Parther gemeint, welche in der Kunst des Bogenschießens sehr erfahren waren, mit Thubal und Javan Italien und Griechenland, mit den Inseln die unbekannten Gegenden; denn alles, was jenseits des Meeres lag, bezeichneten die Juden mit dem Wort „Inseln.“

Da man nichts mehr von mir gehört hat. Das bedeutet, dass die Erkenntnis Gottes über den ganzen Erdkreis verbreitet werden soll; denn die Griechen, Italiener, Parther, Cilicier und andere Völker hatten nichts von der wahren Religion und dem reinen Gottesdienst gehört, und der ganze Erdkreis steckte in dem tiefsten Dunkel der Unwissenheit. Die Herrlichkeit Gottes wird nach dieser Verheißung überall auf Erden bekannt werden. Der Ton liegt auf dem Worte „Heiden“ oder „Völker“, weil Gott damals nur einem Volke bekannt war, jetzt aber sich allen geoffenbart hat.

V. 20. Und sie werden alle eure Brüder herzubringen usw. Das ist eine weitere Ausführung der vorangehenden Sätze: alle, die am Leben bleiben und gerettet werden, wie gering auch ihre Zahl sein mag, sollen Priester sein, die dem Herrn von allen Seiten her Opfer zuführen. Der Prophet spielt an auf die alte Weise des Gesetzes, gibt aber den Unterschied zwischen diesen Darbringungen und den Opfern des alten Gesetzes an. Denn Gott hat eine neue Art des Priestertums und neue Opfer eingerichtet. Wie er vorher verheißen, dass er alle Völker versammeln werde, so zeigt er jetzt, dass die Arbeit der von ihm bestellten Priester nicht vergeblich sein wird: Er will ihren Arbeiten guten Erfolg verleihen. „Brüder“ nennt er die, die früher fernstanden, weil er auf die neue, durch den Glauben hergestellte Verbindung blickt. Wir wissen ja, dass die draußen stehenden Heiden durch den Glauben dem Geschlechte Abrahams eingepflanzt sind. Indessen geben andere Ausleger eine abweichende Erklärung, die ich nicht völlig zurückweise: Wenn Gott sich ein neues Volk aus den fernstehenden Heiden sammelt, dann müssen auch die Juden, die nach allen Seiten zerstreut waren, hinzugetan werden; was auch in Erfüllung gegangen ist. Doch bezieht man anscheinend diese Stelle richtiger auf die Berufung der Heiden, weil dann nach der Beseitigung des Unterschieds eine brüderliche Vereinigung zwischen allen eintritt, die Gott als Kinder annehmen will. Abraham war der Vater eines Volkes, doch gelten nicht alle, die dem Fleische nach von ihm abstammen, als seine Kinder; denn die Ismaeliten und Edomiter wurden verworfen. Er wurde schließlich der Vater vieler Völker, als Gott Völker annahm und durch einen Bund mit sich vereinigte, damit sie dem Glauben Abrahams folgten. Darum also nennt der Prophet uns, die wir einst fern von der Gemeinde Gottes standen, die Brüder der Juden, weil Gott vorher die falschen und gottlosen Brüder von ihrem Platze gestoßen hatte. Zu beachten ist hier der Erfolg der treuen Arbeit derer, die dem Herrn ihre Kraft widmen: sie bringen ihre Brüder von den todbringenden Irrtümern zu Gott, der Quelle des Lebens. Mit diesem Trost müssen sie sich aufrichten und in ihren Nöten und Beschwerden aushalten. Gott lässt keinen von den Seinen umkommen. Wenn er also unsere Arbeit gebrauchen will zur Errettung unserer Brüder, dann sind wir glücklich und froh.

Aus allen Heiden. Es wird keinen Unterschied mehr zwischen den Juden und Heiden geben, weil Gott die Mauer niederreißen und seine Gemeinde aus allen Völkern bilden wird. Damit wird das Wort Davids über Christus erfüllt (Ps. 2, 8): „Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zu deinem Eigentum.“ Dass die Völker zum heiligen Berge Gottes kommen, wird in Anlehnung an die geltende Gewohnheit der Zeit gesagt, da Gott im Tempel zu Jerusalem verehrt wurde. Jetzt befindet sich der Tempel überall, denn überall darf man reine Hände zu Gott erheben, und kein Ort wird bevorzugt. Wohl denkt der Prophet auch an die Darbringung und Opfer im Tempel, aber die jetzt darzubringenden Opfer unterschieden sich sehr von jenen früheren. Früher dienten Schafe und Rinder zum Opfer, aber die Apostel und andere Priester Christi opferten Menschen und brachten sie dem Herrn als lebendige Opfer dar durch das Evangelium. Paulus bezeugt, dies Priestertum verwaltet zu haben, indem er die Heiden opferte durch das Schwert des Evangeliums, damit sie würden ein Opfer, Gott angenehm, geheiligt durch den heiligen Geist (Röm. 15, 16). Es gibt also kein gesetzliches Priestertum, noch ein dem papistischen ähnliches, durch das, wie sie sagen, Christus geopfert wird, sondern ein evangelisches, durch das Menschen geopfert, d. h. durch den heiligen Geist erneuert, dem Herrn dargebracht werden. So viele wir also für Christus gewinnen können, die bringen wir zum Opfer dar, damit sie sich ganz Gott weihen. Auch jeder einzelne opfert, indem er sich dem Herrn weiht und übergibt und ihm völligen Gehorsam erzeigt. Dies Opfer nennt Paulus auch ein vernünftiges (Röm. 12, 1). So wird es als Ziel unserer Berufung hingestellt, dass wir unsere Befleckungen ablegen, uns selbst absterben und es lernen, uns der Heiligung hinzugeben.

Auf Rossen und Wagen. Es konnte bei vielen die Frage entstehen: Wie sollen die Menschen aus so fernen Gegenden zu uns kommen? Die Antwort ist: Es wird nicht an Pferden, Wagen, Sänften fehlen. Denn Gott hat alle Hilfsmittel bereit, um den Seinen zu helfen und sie zu dem gesteckten Ziel zu führen. Die Meinung ist also einfach die, dass nichts Gott an der Sammlung seiner Gemeinde hindern könne, dass er alle Hilfsmittel zur Hand habe, damit keiner von seinen Auserwählten, die er gerufen hat, mitten auf dem Wege zusammenbreche.

V. 21. Und ich will auch aus denselbigen nehmen Priester usw. Dieser Satz erweitert noch die früheren Ausführungen über die ungewöhnliche Gnade Gottes. Hatte der Prophet vorher gesagt, dass die Gemeinde Gottes aus allen Völkern versammelt werden müsse, sodass auch weit entfernte Nationen unter Überwindung aller Hemmnisse und Schwierigkeiten hinzukommen würden, so geht er jetzt noch weiter: die Völker sollen nicht bloß gesammelt, sondern auch zur höchsten Ehre erhoben werden. Es war schon eine große Ehre, dass unreine Völker zum heiligen Volk gerechnet wurden; aber viel wunderbarer ist es, dass sie auf die höchste Stufe der Ehre erhoben werden. Hieraus erhellt, dass das Priestertum unter Christus ganz anders ist, als es unter dem Gesetze war. Denn unter dem Gesetze wurde nur ein Stamm zum Priestertum zugelassen, die Heiden durften als Unreine den Tempel nicht betreten, geschweige denn jenes Priestertum verwalten; jetzt aber werden alle ohne Unterschied zugelassen. Einige erklären diese Stelle ganz allgemein dahin, dass die Heiden Priester sein, d. h. sich selbst dem Herrn darbringen werden, wie denn die Schrift allenthalben alle Gläubigen das königliche Priestertum nennt. Mir aber scheint sie besonders auf die Diener und Lehrer zu deuten, die der Herr auch aus den Heiden auswählte und zu diesem herrlichen Amte, d. h. zur Verkündigung des Evangeliums, bestimmte, z. B. Lukas, Timotheus und andere, die Gott geistliche Opfer durch das Evangelium darbrachten.

V. 22. Denn gleich wie der neue Himmel usw. Hier verheißt der Prophet eine solche Wiederherstellung der Gemeinde, dass sie ewig dauert. Manche konnten ja fürchten, dass sie später wiederum zusammenbrechen würde. Nun aber verheißt er ihr, nachdem sie einmal von Gott wiederhergestellt sein wird, einen festen Bestand. Er denkt hier also an zwei herrliche Wohltaten, an die Wiederherstellung und an die ewige Dauer. Die Worte „neuer Himmel und neue Erde“ beziehen sich auf das Reich Christi, von welchem alles erneuert wurde, wie der Apostel an die Hebräer (8, 8. 13) schreibt. Diese Erneuerung aber zielt dahin, dass der blühende und glückliche Zustand der Gemeinde immer bleibe, denn was alt ist, geht dem Untergang entgegen, aber was neu gemacht oder instandgesetzt ist, muss länger dauern. Gott hat verheißen, dass, solange Sonne und Mond am Himmel stehen, sie Zeugen des immerwährenden Bestandes und der Fortpflanzung der Nachkommenschaft Davids sein sollten (Ps. 89, 37). Weil aber eine gewisse Unterbrechung infolge der Treulosigkeit und Undankbarkeit des Volkes eingetreten war, hat die durch Christus erfolgte Erneuerung jene Verheißung wieder bestätigt. Mit Recht sagt also Jesaja: Euch werden Söhne und den Söhnen Enkel heranwachsen, und wie Gott die Erde gründen wird, sodass sie niemals untergeht, so wird auch die Gemeinde eine ewige Dauer haben und sich durch alle Zeiten fortpflanzen. Der Prophet führt hier also seine früheren Worte über die Erneuerung der Welt weiter aus; keiner soll glauben, dies beziehe sich auf Bäume, Tiere oder die Ordnung der Gestirne, sondern es muss auf die innere Erneuerung des Menschen bezogen werden. Die Meinung der Alten, dass dies bestimmt auf das jüngste Gericht abziele, ist lächerlich; sie haben weder den Textzusammenhang beim Propheten noch die Autorität des Apostels genügend erwogen. Freilich leugne ich nicht, dass diese Beziehung auch darin liegt, weil nicht eher die Vollendung zu erwarten ist, als bis Christus sich als das Leben der Welt offenbart hat; der Anfang aber wird mit jener Befreiung gemacht, durch die Christus die Seinigen erneuert, dass sie, mit Paulus zu reden (2. Kor. 5, 17), neue Kreaturen werden.

V. 23. Und alles Fleisch wird … kommen usw. Wiederum weist der Prophet hin auf den Unterschied zwischen dem geistlichen Dienst Gottes, wie er unter der Herrschaft Christi sein wird, und dem fleischlichen, wie er unter dem Gesetz war. In jedem Monat am Neumond wurden die Opfer dargebracht; dazu gab es Sabbate und andere Fest- und Feiertage, die man sorgfältig beobachtete. Aber unter der Herrschaft Christi wird es ein dauerndes, unaufhörliches Feiern geben; nicht gibt es mehr fest bestimmte Opfertage, an denen man nach Jerusalem gehen oder irgendein Opfer hier oder dort darbringen müsste, sondern unsere Opfer, Feiern und Feste dauern unaufhörlich, gleichsam von einem Tage zum anderen. Der Herr will, dass ihm reine Opfer dargebracht werden täglich, nicht zu bestimmten Zeiten, auch nicht solche, wie einst unter dem Gesetze oder heute bei den Papisten, die in recht törichter Weise eifrig ihre Zeremonien ausüben, als ob sie Sühnmittel für ihre Sünden wären, und die in frevelhafter Weise sich vermessen, Christum zu opfern – sondern geistliche, damit wir Gott in reiner, aufrichtiger Weise verehren und anbeten. Wenn einige hieraus die Abschaffung des Gesetzes und der alten Zeremonien ableiten wollen, so erscheint mir das nicht genügend begründet. Wohl sind jene gesetzlichen Formen bestimmt aufgehoben, und das kann auch hieraus entnommen werden, - aber zum Beweise für diese Tatsache möchte ich lieber gewichtigere Stellen nehmen. Es liegt hier ja nur der Gegensatz zwischen den unter dem Gesetz gefeierten Sabbaten und Festen und unserem jetzt immerwährenden Sabbat vor.

V. 24. Und sie werden hinausgehen usw. Hier soll man nicht nach spitzfindigen Auslegungen suchen. Der Prophet will nur darauf hinweisen, dass diejenigen, die in die Gemeinde aufgenommen sind, ringsherum die furchtbare Heimsuchung Gottes sehen sollen. Er meint nicht, dass dieses Strafgericht innerhalb der Schar der Gläubigen erfolge; das würde ja das Glück der Gemeinde, der Gott alle möglichen Mittel zur Freude und Wonne gewährt, sehr beeinträchtigen; sondern, wie er vorher über die ewige Herrlichkeit, mit welcher der Herr die Seinen krönt, geredet hat, so kündigt er hier die Strafen für die Gottlosen an, damit die Frommen sich desto mehr in der Furcht Gottes halten. Was hier steht von der Qual des Feuers, ist natürlich eine bildliche Redewendung; das geht aus dem anderen Versglied deutlich hervor. Auch die Würmer, die an den Herzen der Ungläubigen nagen, sind nicht als aus Erde gemacht zu denken. Der einfache Sinn ist also der, dass die Gottlosen das böse Gewissen als Peiniger haben, der sie ohne Ende quält, dass ihnen eine Qual bereitet ist, die alles andere übertrifft. Sie werden auf schauderhafte Weise beunruhigt und geängstigt, wie wenn ein Wurm das Herz eines Menschen annagt, oder wie wenn das Feuer ihn verbrennt, ohne ihn doch zu verzehren. Der Prophet kündigt also den Gottlosen, die jetzt die höchsten Ehren genießen und die Frommen verachten, einen furchtbaren Wechsel an; denn mit der äußersten Qual werden sie auch die höchste Schande zu tragen haben. Recht und Gerechtigkeit fordern es auch, dass Menschen, denen die Herrlichkeit Gottes zum Spott und Hohn diente, schimpfbedeckt ein Abscheu werden für die Engel und die ganze Welt.

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