Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 59.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 59.

V. 1. Siehe, des Herrn Hand usw. Diese Ausführungen haben mit den vorhergehenden manche Ähnlichkeit. Nachdem der Prophet den prahlerischen Heuchlern die Maske vom Gesicht gezogen und ihre gerechte Bestrafung dargelegt hat, antwortet er jetzt auf andere Einwendungen. Die Heuchler pflegen ja den Herrn entweder der Schwäche oder allzu großer Strenge zu beschuldigen. So zeigt denn Gott, dass ihm weder die Macht noch der Wille zur Rettung der Seinen fehlt, dass vielmehr ihre eigene Verkehrtheit ihn an der Erweisung seiner Güte hindert. Ruchlos also handeln sie, wenn sie mit Gott rechten und durch jene Vorwürfe ihn schmähen, während sie vielmehr sich selbst anklagen sollten. Das Wörtchen „Siehe“ wirkt besonders nachdrücklich. Der Prophet deutet mit vollster Sicherheit wie mit dem Finger auf eine gegenwärtige Sache und schneidet den Heuchlern jeden Versuch weiterer Ausflüchte ab. Auch muss man aus dem Gedanken, dass Gottes Hand zu kurz und seine Ohren hart geworden sein könnten, den Gegensatz heraushören. Der Prophet will sagen, dass Gottes Hand einst stark genug war, den Seinen zu helfen, dass er auch hernach immer gern bereit gewesen ist, ihre Gebete zu erhören, dass er sich auch nicht geändert habe, als ob seine Hand zerbrochen und seine Ohren unfähig zum Hören geworden wären; man dürfe Gott überhaupt nicht eine Veränderung zuschreiben, als ob er sich untreu geworden wäre; sondern alle Schuld liege bei ihnen, weil sie durch ihre Sünden sein Wohltun geradezu hindern und seine Hilfe nicht an sich herankommen lassen. Wenn sie ihm keine Hindernisse bereiten, würde er sich ihnen ebenso gütig und mächtig erweisen, wie einst den Vätern. Der Prophet folgert also aus der immerdar sich gleichbleibenden Beständigkeit Gottes, dass die Juden durch ihre eigenen Sünden die Gnade Gottes zurückweisen und sich nicht helfen lassen wollen. Daraus entnehmen wir, dass allein unsere Sünden uns der Gnade Gottes berauben und uns von ihm trennen. Denn was der Prophet von den Menschen seiner Zeit bezeugt, gilt für alle Zeiten; vertritt er doch Gottes Sache gegen die Schmähungen der Gottlosen. Gott bleibt sich immer treu, er wird des Wohltuns nicht müde, auch wird seine Macht nicht geringer; wir selbst versperren uns den Weg zu seiner Güte. Sollte jemand dem entgegenhalten, dass man die Gnade Gottes sich nicht durch irgendwelche Verdienste zuvor erwecken, dass Gott lediglich Verlorenen helfen könne, so gebe ich dies als wahr zu; aber bisweilen wird die Frechheit der Menschen dermaßen groß, dass sie den Wohltaten Gottes die Tür verschließt, als ob man ihn absichtlich von sich verstoßen wollte. Und wenn er auch jeden gern erhört, wie wir ja auch die Bitte um Vergebung der Schuld immer vor ihn bringen, so erhört er doch nicht die Wünsche der Gottlosen. Darum ist es kein Wunder, wenn der Prophet das Volk anklagt, dass es durch seine Sünden Gottes Wohltaten abweise und durch seine Widersetzlichkeit ihn zum Nichterhören zwingt. Überhaupt hat es einen völligen Bruch mit Gott herbeigeführt, sodass der gewohnte Lauf seiner Gnade abgebrochen und abgelenkt wurde.

V. 3. Denn eure Hände sind mit Blut befleckt usw. Jetzt zieht der Prophet ihre Werke ans Licht, damit sie nicht Ausflüchte machen oder im Zweifel sein können, welche Sünden denn die Trennung bewirkt haben. Er nimmt ihnen also jegliche Entschuldigung, indem er ihre Sünden einzeln aufzählt und ihr schändliches Leben wie auf einer Schaubühne sichtbar macht. Er redet in der zweiten Person, weil er gleichsam als Sachwalter die Sache Gottes führt; sich selbst nimmt er von der Schar der Gottlosen aus. Er will ihnen nicht zugerechnet werden, wenngleich er auch nicht völlig sündenfrei war; aber er fürchtet und ehrt Gott und hat ein reines Gewissen. Es könnte doch auch der nicht andere rückhaltlos verurteilen, der in die dieselben Sünden verstrickt wäre; und Gottes Sache zu führen vermag doch der nicht, der durch ein schändliches Leben ihm sein Recht nähme. Wir dürfen nicht denen, die wir anklagen, gleichen, wenn wir nicht unsere Predigt dem Spott aussetzen und selbst schamlos erscheinen wollen. Wenn wir aber Gott mit reinem Gewissen dienen, dann hat unsere Predigt Kraft und Nachdruck und kann die Gegner nur desto mehr überführen. Die Darstellung des sündigen Lebens des Volkes ist nicht überflüssig, denn die Menschen suchen mannigfache Ausflüchte und können nicht zur Ordnung gebracht werden, wenn sie nicht zuvor ihre Sünden erkennen. Wenn der Prophet das Wort „Blut“ gebraucht, so denkt er nicht an allenthalben vollführten Mord, sondern meint damit Unmenschlichkeit, Räuberei, Gewalttat und Beleidigungen, welche die Heuchler den Armen und Elenden zufügten. Diese letzteren hatten es ja nicht mit Räubern und Mördern zu tun, sondern mit den Königen und Obersten, die in hohem Ansehen standen. Er nennt sie Mörder, weil sie Unschuldige grausam quälten und die Güter anderer mit Gewalt und Unrecht an sich rissen. Darum sagt er unmittelbar darnach statt „Blut“ „Untugend“. Das Wort „Finger“ drückt noch mehr aus, als wenn von Händen die Rede wäre. Der Prophet will sagen, dass auch nicht der kleinste Teil von Unrecht und Freveltat frei sei. Dann rührt der Prophet noch eine Art von Sünde an, nämlich dass einer wider den anderen Falsches und Unrechtes redet, d. h. ihn mit Trügerei, List und Meineid umgarnt. Denn wir verletzen unsere Nächsten gewöhnlich entweder durch Grausamkeit, gleichsam mit bewaffneter Hand, oder durch Lüge und Betrug. Hier berührt der Prophet die Gebote der zweiten Tafel und beweist aus den Verfehlungen gegen sie die Ruchlosigkeit der Menschen und ihren Mangel an jeglicher Gottesfurcht. Denn Rohheit und Treulosigkeit, welche die menschliche Gesellschaft zerstören, entspringen aus der Verachtung Gottes. Deswegen kommt der Prophet nach der Erwähnung der Hände, d. h. der Räuberei und Gewalttat, auf Lügen und Trügen, auf Meineid und Hinterlist zu sprechen.

V. 4. Es ist niemand, der von Gerechtigkeit predige. Der Prophet will sagen, dass man nirgends einem Streben nach Recht und Gerechtigkeit begegnet: niemand stellt sich dem Unrecht entgegen, das die Mächtigen den Schwächeren zufügen. Die Zügellosigkeit nimmt zu, weil niemand für den Schutz der Gerechtigkeit eintreten will. Es ist ja nicht genug, sich selbst des Unrechts zu enthalten; wir sollen auch, soviel an uns ist, andere dagegen schützen. Jeder, der das, was er verhindern könnte, zulässt, befiehlt es gewissermaßen. Das Stillschweigen ist eine Art Zustimmung. Ebendenselben Sinn hat das folgende Versglied. Wenn nun Gott schon Leute, die sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung unter den Menschen nicht kümmern und den Bedrängten nicht zu Hilfe kommen, so streng verurteilt, wie soll es uns ergehen, wenn uns kein Eifer beseelt, für Gottes Herrlichkeit einzutreten und die Sünden zu strafen? Wenn wir das Gespött, womit die Gottlosen die heilige Predigt Gottes verhöhnen und seinen Namen entweihen, gewähren lassen, wenn wir die Ränke, womit sie die Gemeinde Gottes zu vernichten suchen, unbeachtet lassen, wird unser Stillschweigen dann nicht mit Recht als Treulosigkeit verurteilt? Kurz und gut: Ordnung und Recht geht durch unsere Schuld zu Grunde, wenn wir nicht den Gottlosen Widerstand leisten. Der Prophet weist darauf hin, dass dies die höchste Verwirrung bringt, wenn niemand sich zum Schutz der Gerechtigkeit erhebt.

Man vertraut auf das Eitle. Man häuft sich förmlich Gegenstände auf, auf die man ein falsches Vertrauen setzt: auf diese Weise macht man sich unempfindlich gegen Gott. Es ist dies der Gipfel der Verworfenheit, dass man auf allen Seiten schmeichelnden Selbstbetrug aufgreift, um sich mutwillig bis zur Verachtung Gottes zu verstocken. Durch solche Verführungen zieht Satan die Gottlosen an sich, bis er sie völlig umstrickt, sodass sie unter Abwerfung jeglicher Gottesfurcht nicht nur Gottes heilsame Gedanken verachten, sondern ihn auch in freiem Übermut verhöhnen. Da also der Übermut uns jählings fortreißt, sobald wir dem Urteil Gottes falsche Hoffnungen entgegenstellen, schildert der Prophet dies falsche Vertrauen, unter dessen Schutz sich die Menschen so schlau bergen, nicht ohne Grund als ein Kennzeichen heilloser Bosheit. Welch unersättlich Krankhaftes verrät sich darin, wenn offensichtlich gottlose Leute ohne jegliches Bedenken sich selbst schmeicheln und in frechem Selbstvertrauen sich alles erlauben zu dürfen meinen! Der Prophet fügt hinzu, dass man auch aus ihren Reden ihre Gesinnung und ihren Charakter klar erkennen könne, gemäß dem Sprichwort, dass die Zunge eine Offenbarung der Gesinnung ist. Übrigens kann der Satz „und redet Nichtiges“ in doppelter Weise verstanden werden. Entweder: all ihr Reden ist unzuverlässig und ihre Zunge jederzeit auf Trug gestimmt. Oder: ihr gottloses Wesen äußert sich in hochfahrendem, offensichtlich nichtigem Gerede. Ich bevorzuge die letztere Deutung.

Mit Unglück sind sie schwanger usw. Sehr fein vergleicht der Prophet die Gottlosen mit schwangeren und gebärenden Frauen. Die Gottlosen sind, so lange sie noch ihren Lug und Trug ersinnen, gleichsam damit schwanger, bis sie das Unheil zu seiner Zeit hervorbrechen lassen, d. h. sobald sie günstige Gelegenheit dazu gefunden haben. So ist die Meinung, dass sie schädliche Pläne fassen zur Bedrückung der Einfältigen, dass sie in langer Überlegung gleichsam brüten über ihre Verbrechen und immer bereit sind, Schaden zu stiften. Unaufhörlich suchen sie überall nach zweideutigen Mitteln und Wegen, wodurch sie stillen, ruhigen Menschen Elend und Not bereiten können.

V. 5. Sie brüten Basiliskeneier usw. Jetzt wird der Gedanke noch gesteigert: die Juden werden nicht bloß mit Weibern, sondern auch mit giftigen Tieren verglichen. So muss ja alles, was aus ihnen hervorgeht, verderblich und todbringend sein. Sie brüten, wie es zunächst heißt, Basiliskeneier aus. Wie eine Schlange nur giftbringende Eier legen kann, so sind auch sie dermaßen voll Schlechtigkeit, dass sie nur Schädliches hervorbringen können.

Und wirken Spinnweben. Dies Bild beschreibt, wie unfruchtbar und leer von allem Guten sie sind: selbst wo sie einen äußeren Schein von Tugend haben, erweist er sich als Trug. In doppelter Weise werden damit die Gottlosen gekennzeichnet: einmal zeigen ihre Werke ihre verderbte Natur an; sodann sind sie selbst nichts nütze; sie erweisen denjenigen, mit denen sie verkehren, keine Freundlichkeit, keine Dienste, keine Liebe und Treue. Ich weiß, dass einige eine andere Auslegung geben, dass nämlich die Gottlosen, während sie andere zu verderben suchen, sich selbst zu Grunde richten, dass sie, während sie sich für fleißig halten, nutzlos und vergeblich sich abmühen, dass sie sich in ihren eigenen Stricken fangen und in die selbstgegrabene Grube fallen. Nach meinem Dafürhalten aber will der Prophet sagen, dass die Gottlosen überall und jederzeit und unter allen Umständen nur Schaden, keinen Nutzen stiften. Jeder, der mit ihnen zu tun hat, wird sie als unheilvoll und verderbenbringend kennen lernen. Das besagen auch die Worte, dass in ihren Eiern unheilvolles Gift verborgen ist und dass eine Schlange aus ihnen hervorbricht, wenn man sie zertritt.

V. 6. Ihr Spinngewebe taugt nicht usw. Dieselbe Sache wird wiederholt und begründet. Alles, was jene anfangen und übernehmen, ist für das Menschengeschlecht nutzlos; hartnäckig ziehen sie sich von aller Pflicht der Menschlichkeit zurück. Es ist das Zeichen einer verderbten Seele, sich dermaßen der Bosheit zu übergeben, dass überhaupt kein Segen mehr aus dem Leben dessen zu erwarten ist, der aller Gerechtigkeit bar und ledig zu sein wünscht. Niemand benutzt das, was sie wirken, weil darin nichts Festes und Dauerndes ist. Mit verschiedenen Redewendung will der Prophet dies Eine uns einprägen, dass ihre Werke völlig nutzlos sind. Und wir sind doch dazu geboren, dass wir mit unseren Mitteln dem Nächsten helfen und etwas zum allgemeinen Wohl beitragen. Nicht Menschen, sondern wilde Tiere muss man darum solche nennen, die nur zu schaden vermögen und sich sorgfältig hüten, irgendeinem zu nützen. Ohne Bild fügt der Prophet hinzu, dass sie dem Unrecht ergeben und gleichsam dazu verflucht seien.

V. 7. Ihre Füße laufen zum Bösen usw. In verschiedenen Wendungen wird uns ein Bild der schlimmsten Gottlosigkeit vorgestellt, wo die Menschen nach völliger Ablegung der Gottesfurcht sich in Verbrechen aller Art stürzen und sich zu jeglicher Rohheit, Räuberei und Gewalttätigkeit fortreißen lassen. „Laufen“, sagt der Prophet, weil sie eifrig sind und nur allzu gern zur Ausführung ihrer Schändlichkeiten eilen. Nach Nennung der Hände und Zungen erwähnt er jetzt noch die Füße zum Zeichen dafür, dass sie in Verbrechen jeder Art geübt sind und kein Körperteil sich frei von Sünde hält. Denn einige Menschen sind wohl gewalttätig, aber sie halten ihre Zunge im Zaum; andere begnügen sich wie die Harpyien1) mit der Beute, die ihnen gerade begegnet. Von seinen Volksgenossen aber sagt der Prophet, dass sie auch ihre schnellen Füße gebrauchen, ihre Räubereien auszuüben.

Ihr Weg ist eitel Verderben. Sie gleichen überall, wohin sie kommen, wilden Tieren, die alles, was ihnen begegnet, zerreißen und verschlingen, ohne etwas übrig zu lassen, die in schrecklichen Zusammenstößen alle lebenden Wesen niederwerfen, sodass jene sich ihnen zu nahen nicht wagen. Dasselbe Bild gebraucht Plinius von Domitian, dessen Wesen dem eines grimmigen Untieres glich. Dasselbe ist der Fall bei sonstigen gewalttätigen Menschen, vor denen man wie vor wilden Tieren flieht. So werden die Wege solcher Menschen wüst und öde, weil niemand mehr mit ihnen zu tun haben will.

V. 8. Sie kennen den Weg des Friedens nicht. Es ist gar zu fein, wenn einige Ausleger hier an den Frieden eines ruhigen Gewissens denken, welcher den Gottlosen fehlt, weil sie notwendigerweise von beständigen Gewissensbissen gequält werden. Aber der Prophet zieht die Gottlosen in der Weise vor Gericht, dass er aus ihrer Übertretung der Gebote der zweiten Tafel ihren gänzlichen Mangel an Treue und Güte, überhaupt ihre Lieblosigkeit aufzeigt. „Den Weg des Friedens kennen sie nicht“ sagt er, weil sie infolge ihrer Rohheit keine Gemeinschaft haben mit Recht und Gerechtigkeit, auf denen das Wohl der menschlichen Gesellschaft beruht, nämlich die gegenseitige Erweisung von Frieden und Wohlwollen. Denn der Friede ist die Folge der Gerechtigkeit und Ordnung. Wenn aber jeder sich in zügelloser Wut auf die Nächsten stürzen und ihnen Unrecht zufügen wollte, dann wäre das ja offener Krieg. Eintracht kann unter uns nur bestehen, wenn die einzelnen Gerechtigkeit und Billigkeit üben. Das drückt der Prophet noch deutlicher aus durch das Wort„Recht“, womit er sagen will, dass jene überall, wohin sie kommen, Furcht erwecken, weil sie keine gerechte Gesinnung offenbaren. Das letzte Glied kann verschieden aufgefasst werden: wer auf den Straßen der Gottlosen geht, der hat nimmer keinen Frieden. Entweder: wer ihre Wege mit ihnen teilt, wird ebenfalls dem Frieden fern bleiben. Oder: wer in ihre Hände fällt, wird sie als trotzige und rohe Menschen erkennen. Man kann beide Erklärungen gelten lassen und braucht nicht sehr darüber zu streiten. Nachdem der Prophet ganz allgemein dargelegt hat, dass Gott nicht die Schuld an dem bösen Geschick der Juden habe, schildert er im Besonderen genauer, wodurch sie sich von Gott entfernt und sich seiner Gnade unwürdig gemacht haben. Hier erhebt sich eine gewisse Schwierigkeit, weil Paulus (Röm. 3, 17) diese Stelle anführt, um das ganze menschliche Geschlecht zu verurteilen, das sündig und verderbt sei und nichts Gutes habe, während der Prophet insbesondere nur von den Menschen seiner Zeit zu reden scheint. Aber die Antwort ist leicht. Denn wenn er ausdrücklich die Juden schilt, die für besonders heilig galten, so muss man doch die Heiden diesen hinzurechnen. Sollte jemand entgegnen, dass die Heiden, wenn sie fromm leben, sich selbst ein Gesetz seien und dass die Vorhaut so viel gelte wie die Beschneidung, so antworte ich, dass der Prophet den Herrn hier rechten lässt mit allen, die nicht vom Geiste Gottes wiedergeboren sind. So kann niemand, der in seinem eigenen Wesen verharren will, davon ausgenommen werden. Der Prophet aber stellt sich außerhalb jener Zahl, weil er wiedergeboren war und vom Geiste Gottes sich regieren ließ. So hat Paulus mit Recht dies Zeugnis angeführt, als er das Wesen der von Gott verlassenen, von ihrer eigenen Natur beherrschten Menschen schildern wollte. Freilich äußert sich die Verderbtheit der Menschen nicht immer in groben Freveltaten, aber es ist gerade die Absicht des Propheten, ein völlig verderbtes Geschlecht zu schildern. So oft nun die Verbrechen dermaßen überhand nehmen, kann man wie in einem Spiegel sehen, welch ein tiefer Abgrund voll Sünde die menschliche Natur ist. Ohne Zweifel war eine solche Predigt den Juden, die auf ihre Abstammung so stolz waren, sehr bitter. Wenn aber der Geist Gottes nicht einmal jene schonte, dann haben andere Völker, die von Natur nicht weniger sündig sind, kein Recht, sich in ihren Lüsten zu schmeicheln.

V. 9. Darum ist das Recht ferne von uns usw. Nach der Schilderung des verkehrten und verderbten Zustandes jenes Volkes weist der Prophet zugleich auf seine schwere und doch so gerechte Bestrafung hin; es braucht sich nicht über eine allzu harte und raue Behandlung zu beklagen. Darum hat er ihre öffentlich bekannten Sünden wie auf einer Tafel abgemalt, damit sie ihre häufige und mannigfaltige Verschuldung vor Gott erkennen könnten. Wiederum weist er darauf hin, dass es kein Wunder sei, wenn Gott mit jenen unbeugsamen Menschen so streng verfährt und an ihnen eine gerechte Vergeltung übt. Das Recht bleibt fern, sagt er, weil sie die elendesten von allen Menschen waren und nicht mehr, wie einst, den Herrn zum Helfer hatten. Unter Recht und Gerechtigkeit versteht der Prophet den Schutz Gottes, der uns bewahrt und uns seine Fürsorge zuwendet. „Gerechtigkeit“ nennt er es, wenn Gott uns schützt; Recht oder Gericht dagegen, wenn er das uns zugefügte Unrecht straft. Hier verkündigt er nun, dass Gott die Sorge für sein Volk wegen dessen Unwürdigkeit aufgegeben und seine hilfreiche Macht zurückgezogen habe. Das Wörtchen „Darum“ ist sehr beachtenswert; es gibt an, dass man sich bei Gott nicht über eine ungehörige Behandlung des Volkes beschweren dürfe, weil es seine Majestät so häufig verletzt habe. Eben dahin zielt auch der folgende Satz: Wir harren auf das Licht, siehe, so wird es finster. Diese bildliche Rede will besagen, dass sie in ihrem Elend fast dahingeschwunden und, als sie sich etwas Erleichterung versprachen, um ihre Hoffnungen betrogen seien. Dass das Wort „Licht“ das Heil und „Finsternis“ das Unheil bezeichnet, ist genügend bekannt. Der Prophet meint also, dass man erst vergeblich auf einen besseren Zustand hoffen müsse, damit das Volk lerne, sich selbst die Schuld an seinem Unglück beizumessen, und die Meinung aufgebe, als ob alles nur zufällig geschehe, oder als ob der Herr zu streng sei. Denn immer versucht er, das Volk zur Buße zu rufen.

V. 10. Wir tappen nach der Wand usw. Neue Redewendungen drücken denselben Gedanken aus. Denn da man im Volke laute Klagen hörte, wollte der Prophet nichts übergehen, was dem Unglück des Volkes zum rechten Ausdruck dienen konnte. Er redet aber davon nur in einem gewissen Entgegenkommen gegen die Stimmung des Volkes und will eigentlich sagen: mögen wir in das tiefste Elend versunken sein, so müssen wir doch (V. 12 ff.) vor allem auf die Ursache sehen, da wir nicht nur dies, sondern viel Schwereres verdient haben. Es wird doch ganz gut sein, dass sie Stumpfsinnigen zum Nachdenken über ihr Elend aufgerüttelt werden. Denn wenn auch mehr als genug Leute klagen, so bringt der Teufel sie doch in einen Zustand der Stumpfheit, damit sie nur nicht durch die Zeichen des Zornes Gottes zur Buße erweckt werden. Übrigens spielt der Prophet auf das im vorigen Verse gebrauchte Bild an, dass das Volk in Finsternis und Dunkelheit wandelt und keinen Ausweg findet, und er will andeuten, dass es von seinem Verstande im Stich gelassen und so geängstigt wird, dass es keine Zuflucht und Rettung mehr findet. Wenn nur ein kleines Übel uns drückt, suchen und hoffen wir auf einen Ausweg, aber wenn wir in großen Nöten von Verzweiflung erfasst werden, können wir nichts sehen und nichts beschließen. Darum, sagt er, tappen sie wie in einem Labyrinth herum.

Wir stoßen uns am Mittage usw. Diese Worte haben denselben Sinn, ja sie drücken sogar noch etwas besonders Ernstes aus, nämlich, dass ihnen, wenn sie nur den Fuß bewegen, von allen Seiten Widerwärtigkeiten begegnen, ohne dass es ein Nachlassen ihres Leidens gibt, als ob der Tag in Nacht verwandelt wäre. Der Prophet will sagen, dass die Juden in die düstre Einsamkeit geführt sind, sodass sie, außerhalb der Gemeinschaft der Menschen stehend, Toten gleichen, ohne irgendeine Hoffnung auf ein Ende.

V. 11. Wir brummen alle wie die Bären, und ächzen wie die Tauben. Der Prophet schildert die beiden Klassen solcher Menschen, die ihre Leiden nicht schweigend zu ertragen vermögen, sondern sie durch äußere Zeichen kundtun. Die einen heulen laut, wie die Bären, die anderen girren wie die Tauben. Diesem letzteren Bilde begegneten wir bereits in der Erzählung von dem Seufzen des Hiskia (38, 14). Solches geschieht ja, wenn wir unseren Schmerz zu unterdrücken suchen, aber uns doch nicht so zusammennehmen können, dass nicht gegen unseren Willen Äußerungen desselben bei uns laut werden. Den Juden hat also damals der große Schmerz teils laute Klagerufe ausgepresst, teils haben sie in leise geflüsterten oder laut geäußerten Worten ihre Not geklagt, aber beide Male ohne Erfolg; es ist keine Wendung zum Besseren eingetreten. Wiederum erwähnt der Prophet ihr vergebliches Ausschauen nach Recht und Heil, damit andeutend, dass das Volk der Hilfe Gottes, die es so sehr begehrte, beraubt ist. Er gebraucht das Wort „Heil“, weil es besser und völliger ausdrückt, was er vorher mit dem Worte „Gerechtigkeit“ und jetzt wiederum mit „Recht“ bezeichnet. Es ist hieraus zu lernen, dass wir durch eigene Schuld unglücklich werden und dass wir in unserem Elend hinwelken und hinschwinden, bis wir uns zu Gott bekehren. Wir können zwar seufzen und heulen, aber wir werden keine Erleichterung des Schmerzes verspüren ohne Buße. Es kann kein Ende des Unglücks geben, solange wir Gottes Zorn herausfordern und uns nicht von ganzem Herzen mit ihm zu versöhnen suchen.

V. 12. Denn unserer Übertretungen usw. Dieser Satz bestätigt, was bereits gesagt wurde, dass nämlich das Volk unrecht tut, wenn es Gott der Grausamkeit zeiht und nicht einsehen will, dass es die gerechte Strafe für seine Sünden trägt, deren gewaltiger Haufe bis zum Himmel reicht. Auf den Worten „vor dir“ liegt ein starker Nachdruck. Der Prophet leuchtet in sein eigenes Herz hinein und erkennt das gerechte, aber den Menschen verborgene Urteil Gottes an. Er will auf den verborgenen Gegensatz zwischen Gottes und der Menschen Urteil hinweisen; diese schmeicheln sich selbst und bedenken ihre Sünden nicht, aber nichtsdestoweniger werden sie von Gott verklagt, der ein gerechter Richter ist und nichts wissen will von den nichtigen Entschuldigungen, mit denen sich die Menschen decken möchten. Übrigens war es ihm nicht genug, das Volk einfach zu verdammen, sondern er sagt, dass seiner Sünden viel seien: das Volk ist in mannigfacher Hinsicht vor Gott verschuldet. Der Prophet erkennt also an, dass Gott gerecht ist und sein Richteramt in bester Weise verwaltet, während bei den Menschen nichts Gutes und Gerechtes gefunden wird. Darum fügt er hinzu, dass man keine Zeugen aus dem Himmel zu berufen und vorzuführen braucht, vielmehr werden die Juden durch das Zeugnis ihres eigenen Gewissens überführt und verdammt: wir fühlen unsere Sünden. Dies wohl zu beachtende Wort sagt uns, dass es vor Gott nicht vieler Beweisführungen bedarf, da ja unsere Sünden uns genugsam überführen. Wir brauchen also mit Gott nicht darüber zu streiten, dass er uns ungerecht bestrafe oder zu hart gegen uns verfahre, denn unsere Sünden offenbaren unser Wesen, und anderer Zeugnisse bedarf es vor Gott nicht. Auch muss Israel bekennen: unsere Übertretungen sind bei uns. Freilich suchen die Menschen Ausflüchte und kleiden sich in mancherlei Gestalten, um als gerecht dazustehen, - aber umsonst, denn sie tragen ihre Ungerechtigkeiten mit sich und können sich ihrer nicht entledigen, wie Gott es gesagt hat bei der Verurteilung Kains: die Sünde wacht vor der Tür. Jeder, der Gottes Recht missachtet, wird vergeblich ihr zu entrinnen suchen. Wenn aber der Prophet sagt, dass die Juden ihre Sünden fühlen oder erkennen, so meint er nicht, dass sie davon wirklich innerlich getroffen werden – denn dann folgt alsbald die Reue -, sondern die Meinung ist, dass sie, wenn sie auch dem Urteil Gottes zu entfliehen wünschen, doch durch das Zeugnis des eigenen Gewissens gefesselt und gelähmt sind und vergeblich Ausflüchte machen oder nach Entschuldigungen suchen. Dass er in der ersten Person redet und sich als einen aus der großen Menge hinstellt, geschieht häufig. Damit will er sagen, dass dies Übel derartig durch den ganzen Volkskörper hindurchgeht, dass kein einziges Glied unberührt und rein ist; und wiewohl er für seine Sache Gottes Beifall finden kann, so bezeichnet er sich doch, eben weil die Sünden sich durch alle Teile des Volkskörpers verbreitet hat, als eins von den faulen Gliedern und von der allgemeinen Befleckung angesteckt. Jedoch widerspricht er sich nicht, da er nur insofern sich von der allgemeinen Verschuldung ausnahm, um die anderen desto empfindlicher zu treffen. Jetzt aber hebt er jede Ausnahmestellung auf und rechnet sich selbst mit ein.

V. 13. Mit Übertreten und Lügen usw. Der Prophet zählt hier einige Arten von Sünden auf, um das Volk desto mehr zur Sündenerkenntnis aufzurütteln. Es ist ja fast ein Wunder, dass Menschen, die von Gottes Hand gezüchtigt und fast zerrieben sind, immer noch sich stolz gebärden und so trotzig sind, dass sie sich nicht beugen und durch Sündenerkenntnis demütigen lassen. Mit Züchtigungen und Schlägen sucht Gott ja unsere Härte zu erweichen; wenn die Heimsuchungen nichts ausrichten, sind wir unbedingt verloren. Jesaja will also die unglückliche Lage des Volkes aufzeigen, dass trotz der schwersten Leiden gegen Gott murrte und sich nicht zu seiner Pflicht zurückbringen ließ. Darum schärft er so häufig diese Mahnung ein und droht so ernstlich, um doch dadurch diese Hartnäckigkeit des Volkes zu brechen. Darum deckt er nach der allgemeinen Schilderung der überall herrschenden Verderbtheit ausführlich ihre Sünden auf und zählt die einzelnen Arten her. Es handelt sich dabei aber nicht um einzelne, leichte Sünden oder um Sünden einiger weniger Menschen, sondern um den allgemeinen Abfall. So verderbt sind sie nach diesen Worten, dass nichts an Treue, Reinheit, Furcht und Gewissen bei ihnen zu finden war. Denn Gott belügen, was ist das anderes als treulos von ihm abfallen und ihm gleichsam den Gehorsam völlig verweigern? Der Prophet macht dem Volke also nicht die eine oder die andere Übertretung des Gesetzes zum Vorwurf, sondern sagt, dass sie wie Fahnenflüchtige von Gott sich losgesagt haben und ihm nicht folgen wollen, wenn er ruft. Er fügt hinzu, dass sie geneigt seien, Böses auszuhecken, und von Trug ganz erfüllt. Denn mit dem Herzen Lügen zu ersinnen ist viel schlimmer als leichthin zu lügen oder auch zu betrügen, wenn die Gelegenheit dazu auffordert. Ohne Zweifel haben jene Vorwürfe die Juden, die sich in ihrem Stolz für untadelig hielten, sehr gekränkt. Aber sie in ihrer Heuchelei mussten so behandelt werden, weil die gewöhnliche Predigt bei ihnen nichts ausgerichtet hätte. Nach diesem Beispiel müssen die Pastoren, wenn sie die Gemeinde Gottes verderbt, die Menschen selbstgefällig und der Sünde ergeben sehen, ihren Kopf dagegen halten und mit ernster Strafrede dazwischen fahren.

V. 14. Und das Recht ist zurückgewichen usw. Dieser Vers setzt die unmittelbar vorhergehende Ausführung fort und schildert die Krankheiten, an denen das Volk litt, damit es seine Bestrafung als eine gerechte anerkenne. Übrigens ist zu beachten, dass der ähnliche Ausdruck im 9. Verse: „das Recht ist ferne von uns“ – eine andere Bedeutung hat. Denn dort verkündigt der Prophet, dass die Juden von Gottes Hilfe verlassen seien, weil sie es nicht verdienten, ihn als ihren Beschützer zu haben; hier aber versteht er das Zurückweichen des Rechts in einem anderen Sinne, nämlich dass sie alle unter ihnen bestehende Gerechtigkeit und Billigkeit abgeschafft haben. Eine gerechte Vergeltung ist ihnen also dadurch zuteil geworden, dass keine hilfreiche Gerechtigkeit Gottes ihnen entgegenleuchtete, weil sie ja Gerechtigkeit und Billigkeit von sich weg, gleichsam in die Verbannung, getrieben hatten. Vergeblich erhoffen wir von Gott, was wir anderen versagt und von uns selbst weggewiesen haben. – Die Wahrheit fällt auf der Gasse, d. h. ganz öffentlich. Das Wort deutet auf die Stätten, an denen die Rechtsprechung gepflegt wird; dadurch wird ausgedrückt, dass nicht einige Privatleute nur verderbt sind, sondern dass der ganze Zustand des Volkes dermaßen schlecht geworden ist, dass nichts unverdorben blieb. Denn wenn im niederen Volke gewisse Sünden herrschen, dann kann man irgendein Mittel dagegen anwenden, solange das Recht noch eine Stätte hat. Wenn aber das Recht beseitigt oder verderbt ist, dann ist sicherlich alles von der allgemeinen Befleckung angesteckt. Als eine Frechheit, die nicht einmal bestraft wird, bezeichnet es der Prophet, dass sie ohne Scham öffentlich ihre Freveltaten ausüben und das Licht und das Auge der Menschen nicht scheuen.

V. 15. Und die Wahrheit ist dahin usw. Hier wird vollends deutlich, dass im vorigen Verse nicht von göttlichen Strafen die Rede war. Denn in der Fortsetzung desselben Zusammenhanges wird gezeigt, dass das Volk sich über die harten Strafen nicht beklagen dürfe, da es den Herrn so schwer beleidigt und herausgefordert habe. Der Prophet bestätigt die früheren Ausführungen, dass das Recht verschwunden sei, dass die Gerechtigkeit keinen Platz mehr finde; ja, er erweitert dies noch durch den Zusatz, dass jemand, der das Böse meidet, der Plünderung ausgesetzt sei. Alle Rechtschaffenheit ist derartig verhasst geworden, dass dem wahren Gottesverehrer, wenn etwa noch einer übrig bleiben sollte, es nicht gestattet ist, sich von Sünde frei zu halten; jeder, der unter Menschen leben will, muss gleichsam mit ihnen in der Gottlosigkeit wetteifern, wie das Sprichwort sagt: Mit den Wölfen muss man heulen. Wer aber die Sünde nicht mitmachen will, wird wie ein Lamm von den Wölfen zerrissen. Der Prophet schildert hier somit den Höhepunkt der schlimmsten Gottlosigkeit. So sehr ist die Wahrheit geschwunden, dass kein Guter einen Platz mehr findet; jeder, der sich des Bösen enthält, setzt sich der Plünderung aus.

Solches sieht der Herr. Dies dient zur Täuschung des Volkes. Es wird erinnert, dass der Herr nichtsdestoweniger Rücksicht auf sein Volk nehmen werde, wenn er auch derartig schwer beleidigt ist, dass für Vergebung kein Raum mehr zu sein scheint. Aber wenn er ihnen auch die schwersten Strafen auferlegt hat, will er dennoch schließlich seines Bundes gedenken und wunderbare Hilfe zur Heilung der Krankheit bringen. Der Prophet redet hier von der Zukunft und verheißt, dass Gott nach so vielen Heimsuchungen dem Überrest des Volkes einst zu Hilfe kommen werde. Die Juden hätten ja den Mut sinken lassen müssen; ja, sie wären völlig zusammengebrochen, wenn Gott ihnen diesen Trost nicht gespendet hätte. Die Menschen pflegen ja in zwei einander entgegengesetzte Fehler zu fallen: entweder verhärten sie sich, wenn sie beschuldigt werden, oder sie geraten in Bestürzung und Verzweiflung. Man muss darum die vom Propheten befolgte Ordnung wohl beachten. Zuerst mussten die Juden überführt werden, damit sie, von Reue ergriffen und gedemütigt, aufhörten, Gott anzuklagen; dann musste die Milderung der Strafe und die Rettung verheißen werden, damit sie den Mut nicht verlören, sondern auf die Hilfe des Herrn hofften, der seine Gemeinde nicht umkommen lassen will. Denn eine Zeitlang straft er die Seinen, doch so, dass er sie nicht völlig vernichten lässt.

V. 16. Und er sieht, dass niemand da ist usw. Der Prophet setzt denselben Gedankengang fort, legt aber das vorher nur kurz Berührte ausführlicher dar. Es konnten ja noch Unklarheiten obwalten hinsichtlich des Ausdrucks im vorigen Verse, dass Gott Missfallen hat an dem Fehlen des Rechts. So wiederholt er denn hier: Gott habe gesehen, dass niemand der Gemeinde Hilfe brachte, und er habe sich darüber verwundert, „dass niemand ins Mittel tritt“. Das bedeutet nach meiner Meinung, dass niemand da war, der dem heillosen Zustande abzuhelfen suchte; darüber hat sich Gott gewundert, dass kein Arzt da war, der Hand an diese Krankheit legte. Warum der Prophet dem Herrn diese Verwunderung zuschreibt, kann man leicht erkennen. Durch diese Vorhaltung wollte er die Juden veranlassen, sich zu schämen und ihre Gewohnheit, ihre Sünden trügerisch zu verdecken, aufzugeben. Weil es wirklich unglaublich und fast ein Wunder war, dass sich niemand in dem heiligen und auserwählten Volke fand, der sich der Ungerechtigkeit entgegenstellte, deswegen lässt er Gott über die ungewöhnliche Erscheinung völlig erstaunt sein, damit die Juden endlich sich schämen und Buße tun möchten. Welch ein Zeichen von Frechheit wäre es, nicht Scham über seine Sünden zu empfinden, wenn Gott darüber erstaunt! Zugleich tadelt der Prophet ihre Heuchelei, indem sie vorgeben, eine Fülle von Frömmigkeit und Heiligkeit zu besitzen, während Gott auch bei eifrigem Suchen nicht einmal einen einzigen rechtschaffenen Menschen gefunden hat. Ferner stellt er hier rühmend die unendliche Barmherzigkeit Gottes dar, der ein solch heilloses Volk gleichsam aus der Tiefe der Hölle zu reißen sich herbeilässt. Ohne Zweifel wurden die Juden durch diese Worte darauf hingewiesen, in welcher Weise sie auf eine Erlösung hoffen durften, nämlich so, dass Gott sich in wunderbarer Weise aufmachen will zur Rettung dessen, was verloren war. So deutet der Ausdruck, dass Gott „sich verwundert“, auch auf seine väterliche Sorge. Allerdings kann eine solche Empfindung dem Herrn nicht in dem Sinne beigelegt werden, dass er über irgendeine Sache als über etwas Unbekanntes oder Ungewohntes in Erstaunen geriete, vielmehr passt er sich uns an, damit wir in aufrichtigem Schuldgefühlt uns über unseren Zustand entsetzen. Der Herr verwundert sich über unsere Stumpfheit. Und doch hindert ihn unsere Gleichgültigkeit nicht daran, seiner Gemeinde Hilfe zu bringen.

Darum hilft er ihm selbst usw. Diese Worte besagen, dass man nicht zu verzweifeln braucht, obwohl von den Menschen keine Hilfe gebracht wird. Nachdem alle anderen Hilfsmittel zunichte geworden sind, schreibt der Prophet hinsichtlich der Rettung seines Volkes und also auch des ganzen Menschengeschlechts den Anfang und das Ende der freien Gnade und Macht Gottes zu. Wie er also durch die Behauptung, dass Gott fähig und mächtig genug sei, die Juden zu erlösen, den Schwachen die Hand darbietet, so wirft er durch die Aussage, dass die Menschen nichts für die Begründung ihres Heils beitragen können, allen Stolz darnieder, damit sie das Vertrauen auf ihre eigenen Leistungen aufgeben und sich an Gott wenden. Diese Absicht müssen wir wohl im Auge behalten. Wenn wir die Schriften der Apostel und Propheten lesen, sollen wir nicht bloß auf das achten, was sie sagen, sondern auch darauf, zu welchem Zwecke und in welcher Absicht sie es sagen. Hier also müssen wir des Propheten Absicht vor allem darin sehen, dass Gott allein Kraft genug besitzt zur völligen Beschaffung unseres Heils und wir nicht nach allen Seiten uns darnach umzusehen brauchen. Wir wenden uns nur zu gern äußeren Stützen zu, aber die Hoffnung auf unser Heil beruht auf Gottes Arm und die wahre Kraft der Gemeinde auf seiner Gerechtigkeit. Wer anderswo sich anhängt, handelt verkehrt, - denn Gott brauchte keine Kraft zu entlehnen, die außer ihm gewesen wäre. Der Nutzen solcher Erkenntnis greift noch viel weiter: wenn alle sonstige Hilfe uns fehlt, wird der Herr in seinem Arm hinreichende Hilfe finden. So oft wir also von menschlicher Hilfe verlassen sind, von Plagen aller Art heimgesucht werden und nichts anderes als den Untergang vor Augen haben, dann lasst uns unser Zuflucht nehmen zu dieser Lehre und dessen gewiss sein, dass Gott Kraft genug hat, uns zu bewahren. Da wir fremde Hilfe nicht brauchen, lasst uns lernen, dass wir unter seiner Hut sicher lagern und Ruhe finden. Dabei dürfen wir nicht die allgemeine Lehre außeracht lassen, dass die Erlösung der Gemeinde nur Gottes wunderbares Werk ist, und dass wir dabei nichts den Anstrengungen und Leistungen der Menschen zuschreiben dürfen. Verabscheuenswert ist die Anmaßung der Leute, die einen Teil des Gott gebührenden Ruhmes an sich reißen. In ihm allein ist der Grund und die Kraft unseres Heils. Gottes „Arm“ bezeichnet hier seine Macht und Stärke, „Gerechtigkeit“ sein rechtschaffenes Handeln in der Bewirkung des Heils der Seinigen; denn er ist ihr Helfer und errettet sie vom Untergang.

V. 17. Denn er zieht Gerechtigkeit an usw. Hier schildert uns der Prophet den Herrn in seiner Waffenrüstung, einmal um das Vertrauen der Frommen mehr und mehr zu stärken, sodann um allen Sterblichen jegliches Vertrauen auf ihre eigene Tüchtigkeit zu nehmen. Vor allem will er ja darlegen, dass es Gott an nichts fehlt, um seine Feine niederzuwerfen und den Sieg davonzutragen. Aus seiner Gerechtigkeit, Kraft, Gnade und seiner glühenden Liebe zu seinem Volke bereitet er sich eine vollständige Waffenrüstung. Dies ist sehr beachtenswert aus folgendem Grunde. Wenn wir auch bekennen, dass Gott Kraft genug besitzt, so sind wir dennoch nicht damit zufrieden, sondern suchen andere Hilfsmittel. Wir sind immer zum Unglauben geneigt und suchen schwächere Stützen und werden dadurch nur in Verwirrung gebracht. Um dieses Elend zu beseitigen, gibt Jesaja jene lebendige Schilderung. Er will damit sagen: Ihr sollt wissen, dass Gott alle Machtmittel für euer Heil in seiner Hand hat, dass ihm nichts fehlt, um euch von euren Feinden, auch gegen deren Willen, zu befreien und ins Vaterland zurückzuführen. Ihr habt also gar keinen Grund zum Verzagen. – Daneben bilden wir uns nur zu leicht ein, dass wir dem Herrn etwas Besonderes leisten und darum uns einen Teil des Ruhmes zuschreiben dürfen, der ihm allein zukommt. Dass Gott sich mit Rache und Eifer wie mit einem Gewand bekleidet, richtet sich gegen die Feinde, über die er entbrennt zu Gunsten seines Volkes. Je mehr also Satan sich anstrengt und alles gegen uns in Bewegung setzt, umso mehr wird Gott entflammt, umso gewaltiger erhebt er sich zu unserer Hilfe. Wenn jener also samt allen Gottlosen nicht ruht, sondern alle möglichen Schwierigkeiten zur Verhinderung unseres Heils auftürmt, ja sogar wütend zu unserer Vernichtung heranstürmt, Gott wird dennoch alle ihre Unternehmungen einzig und allein durch seine Kraft vernichten.

V. 18. Als der seinen Widersachern vergelten will usw. Dieser Vers bestätigt die Ausführungen des vorigen und gibt eine Schilderung von jener zukünftigen Rache Gottes. Gott ist bereit, an den Feinden Vergeltung zu üben. Man muss beachten, aus welchem Grunde der Herr als so bewaffnet, eifernd und zur Vergeltung bereit geschildert wird, - deswegen nämlich, weil das Heil der Gemeinde mit dem Untergang der Gottlosen zusammenhängt. Gott muss ja bewaffnet sein gegen die Feinde, die unser Verderben wollen. Hieran erkennen wir die gewaltige Liebe Gottes zu uns, der uns also liebt, dass er in Feindschaft tritt mit unseren Feinden und ihnen Gleiches heimzuzahlen droht. So sehr neigt er sich zu seiner kleinen Herde hernieder, dass er sie höher schätzt als die ganze Welt. Das ist also der Grund, warum er den Inseln, d. h. den jenseits des Meeres und fern wohnenden Völkern, seine Vergeltung ankündigt. Mächtige und scheinbar unüberwindliche Reiche zerstört er, um sein Volk zu befreien. Übrigens müssen wir, obgleich hier nur sterbliche Menschen genannt werden, auf ihr Haupt, den Satan, als auf den tiefsten Grund zurückgehen.

V. 19. Dass der Name des Herrn gefürchtet werde usw. So erhaben und herrlich wird nach dem Zeugnis des Propheten dieses Erlösungswerk sein, dass der ganze Erdkreis es bewundert, anstaunt, rühmt und preist und, von Furcht erschüttert, Gott die Ehre gibt. Ungewiss ist aber, ob hier an die Bekehrung der Heiden zu denken ist oder aber an den Schrecken, mit dem Gott seine Feinde niederwirft. Ich neige mehr der ersten Anschauung zu, dass bis zu den äußersten Enden der Erde Gottes Name herrlich sein und verehrt werden wird, sodass die Heiden nicht nur sich entsetzen, sondern auch mit wahrer Sinnesänderung ihn ehren und anbeten.

Denn der Bedränger wird kommen wie ein Strom usw. Dieser Begründungssatz wird verschieden gedeutet.2) Nach meiner Meinung will er sagen: das Andrängen der Feinde wird zwar so heftig sein, dass es einem reißenden Gießbach gleich alles mit fortzureißen und zu vernichten scheint; aber der Herr wird sie sofort wegfließen und verschwinden lassen. Es ist dies also eine weitere Hervorhebung der göttlichen Macht, durch welche die gewaltige Wucht und der schreckliche Ansturm der Feinde gebrochen, in andere Richtung gelenkt und zunichte gemacht wird. – Es fragt sich nun, welche Erlösung der Prophet meint. Ich antworte, dass, wie schon an anderer Stelle gesagt, diese Verheißungen nicht, wie es gewöhnlich geschieht, auf eine einzige Erlösung beschränkt werden dürfen. Die Juden beziehen sie ja allein auf die Erlösung aus Babylon, die Christen aber lediglich auf Christus. Ich verbinde beides, sodass wir jene ganze Zeit, seitdem das Volk zurückgekehrt war, mit der folgenden bis auf Christi Ankunft zusammenfassen. Denn diese Weissagung ist nur in Christus erfüllt, und die Worte hier können auf keinen anderen passen. Nicht eher ist der ganzen Welt Gottes Herrlichkeit geoffenbart, und nicht eher sind die Feinde bis zur völligen Vernichtung besiegt, als bis Christus als Sieger über Satan, Sünde und Tod herrlich triumphiert.

V. 20. Denn denen zu Zion wird ein Erlöser kommen. Der Prophet ermutigt das Volk, gutes Mutes zu sein in der Verbannung, die nicht ewig währen wird; dann aber sollen sie ihre Erlösungshoffnung allein auf Gott setzen und nur auf seine Verheißungen schauen. Mit dem Worte „Zion“ bezeichnet er, wie auch sonst, die Gefangenen und Verbannten. Denn in welche Fernen auch immer sie aus ihrem Vaterland weggeführt sein mochten, den Tempel trugen sie doch sicherlich in ihren Herzen. Damit aber die entarteten Söhne Abrahams dies nicht unterschiedslos auf sich anwendeten, zeigt er alsbald, welchen Leuten diese Erlösung gelten werde, nämlich denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob. Sicherlich sind viele von Babylon zurückgekehrt, die keine Buße taten. Dennoch sind sie dieser Wohltat teilhaftig geworden. Der Prophet redet hier aber von der vollen Erlösung, die allein die Auserwählten erlangen. Denn wenn auch die Heuchler die Frucht der äußeren Erlösung genießen, so empfangen sie doch die göttliche Wohltat nicht zum Segen. Der Gedanke des Propheten zielt dahin: die Strafe der Verbannung werde ihren Nutzen haben, indem Gott sich dadurch seine Gemeinde sammelt, die von Flecken und Schmutz gereinigt ist. Wir müssen uns dabei stets dessen erinnern, was wir anderwärts von der Verminderung des Volkes lesen. In dieser Weise ermahnt der Prophet die Auserwählten zur Furcht gegen Gott, damit sie unter seiner Zucht vorankommen. Wir wollen daraus lernen, dass wir nicht eher mit Gott versöhnt werden können durch Christi Blut, als bis wir von unseren Sünden uns abkehren; nicht etwa, weil unser Heil von unserer Reue abhinge, - es beruht vielmehr auf Gottes Gnade – sondern weil die Reue unauflöslich damit verknüpft ist. Denn die der Herr gnädig annimmt, die erneuert er auch so durch seinen heiligen Geist, dass sie ihre Sünden verabscheuen und ihre Lebensführung ändern. Die Papisten verkehren die ganze Heilsordnung, indem sie die Sündenvergebung und die Buße vermengen und so die ganze Sache verwirren. Aber nicht nur sie tun es, sondern auch andere, die für einsichtsvoller gelten wollen. Sie meinen, der Mensch werde umsonst durch Christus gerecht, sie fügen aber hinzu: nur insoweit geschehe das, als wir durch ihn uns erneuern lassen. So gründen sie unsere Gerechtigkeit teils auf die Sündenvergebung, teils auf die Buße. Und doch wird unser Gewissen so niemals ruhig sein, weil wir immer weit entfernt bleiben von der vollkommenen Erneuerung. Diese beiden Stücke müssen also derartig unterschieden werden, dass man sie weder trennt noch vermischt; und so wollen wir das unerschütterliche Fundament unseres Heils festhalten. – Paulus erwähnt unsere Stelle (Röm. 11, 26 ff.), zum Beweis dafür, dass für die Juden bis jetzt noch eine gewisse Heilshoffnung vorhanden ist, obwohl man aus ihrem unbezähmbaren Trotze eine völlige Verwerfung und Preisgabe zum ewigen Tode folgern könnte. Aber weil Gott immer seines Bundes eingedenk ist und seine Gaben und seine Berufung ihn nicht gereuen, so folgert Paulus mit Recht, dass unbedingt schließlich ein Rest zu Christus kommen muss und des durch ihn erworbenen Heils teilhaftig wird. Endlich also müssen die Juden zugleich mit den Heiden gesammelt werden, damit aus beiden eine Herde unter Christus werde. Freilich redet der Prophet hier nur von der Erlösung aus Babylon, aber er hat, wie wir gesagt haben, zugleich das Reich Christi und die geistliche Erlösung im Auge. Auf diese bezieht sich diese Weissagung. Daraus schließt Paulus, dass der Erlöser der Welt unbedingt auch einem Teil der Juden angehören muss, deren Väter er auserwählt hatte und denen ganz besonders diese Verheißung galt. – Am Schluss des Verses wird ein Siegel unter diese herrliche Zusicherung gedrückt: spricht der Herr.

V. 21. Und ich mache solchen Bund mit ihnen usw. Da die seitherigen Ausführungen des Propheten schwer Glauben finden konnten, sucht er die Juden umso mehr dahin zu bringen, dass sie mit starkem Vertrauen auf diese Heilsverheißung sich verlassen und Gott so ehren, dass sie in seinem Wort Frieden finden. Besonders ist das Wort „Bund“ zu beachten. Damit will der Prophet die Größe und Herrlichkeit dieser Verheißung andeuten. Denn die Verheißungen haben eine ziemlich weite Ausdehnung und gleichen den Steinen eines Gebäudes. Der Bund ist das Fundament, das die ganze Last trägt. Diese Bezeichnung wendet er also an, um die Meinung nicht aufkommen zu lassen, als ob hier von etwas ganz Gewöhnlichem die Rede sei; und jene Bekräftigungen fügt er hinzu, damit man, auch wenn Gott dies nicht sofort erfüllt, nichtsdestoweniger mit fester und nicht zweifelnder Hoffnung darauf warte. Der Ausdruck scheint auch einen Gegensatz zu dem bisherigen Bunde in sich zu bergen, damit die Gläubigen desto eifriger sich dem neuen Bunde entgegenstrecken möchten, der in Christus erfüllt werden sollte. Ganz wertlos und nichtig scheint aber das Folgende zu sein: Mein Geist und meine Worte sollen von deinem Munde nicht weichen. Die Gemeinde soll also mit Gottes Wort und Geist sich begnügen, - als ob es ein größeres Glück wäre, immer nur an Gottes Verheißungen hängen zu müssen. Aber ohne Zweifel will der Prophet, wenn er auch die Lehre in ihrer Herrlichkeit und ihrem Werte anpreist, sie doch nicht von ihrer kräftigen Wirkung trennen. Der Herr ruft vielmehr die Gläubigen zu seiner Lehre, weil er ihnen, so lange sie in dieser Welt weilen, seine Gnade nur in einer gewissen Beschränkung zuteilt, sie ständig in der Geduld übt und nicht in allen Stücken ihre Wünsche erfüllt. Er will uns etwa sagen: Du erfährst zwar in mancherlei Weise meine Wohltaten, aber es gibt kein größeres und erstrebenswerteres Glück für dich, als mich im Geist und Wort gegenwärtig zu empfinden. Daraus entnehmen wir, dass der einzigartige Reichtum der Gemeinde darin besteht, dass der Herr sich seine Wohnung in ihr erwählt hat, um in den Herzen der Frommen durch seinen Geist zu wohnen, aber auch um die Predigt des Evangeliums bei ihnen zu erhalten. – Endlich verheißt der Prophet, dass der Herr nimmer sein Volk verlassen, vielmehr immer mit seinem Wort und Geist unter ihm weilen werde. Der Geist verbindet sich mit dem Worte, da die Predigt des Wortes ohne die Kraft des Geistes nichts ausrichten würde, sondern unfruchtbar bliebe. Ebenso darf vom Geist nicht das Wort getrennt werden, wie gewisse Schwärmer tun, die unter Verachtung des Wortes sich des göttlichen Namens rühmen und aufgeblasen sind von eitlem Vertrauen auf ihre Einbildungen. Satansgeist ist der Geist, der sich vom Worte losreißt, mit dem Gottes Geist immer verbunden ist. Wenn er aber die äußere Wortverkündigung belebt, sodass sie Wurzel treibt in unseren Herzen, dann ist unser Leben, auch unter vielen Mühsalen, doch ein seliges. Und ohne Zweifel verkündigt der Prophet hier absichtlich, dass, wenngleich Gott seine Gemeinde freigebig beschenkt, ihr Leben und Heil doch allein auf dem Glauben beruht. So unterscheidet sich also das Volk des neuen Bundes von dem des alten: wie Christi Reich ein geistliches ist, so müssen auch die Seelen der Gläubigen, nachdem er von den Toten erstanden ist, mit ihm in das himmlische Wesen erhoben werden. Ja, der Herr verheißt sogar, dass die Gemeinde niemals dieser wunderbaren Gabe beraubt werden solle, dass sie durch den heiligen Geist regiert und durch das göttliche Wort gestützt werde. Eine einmalige Anbietung des Evangeliums und eine einmalige Beschenkung mit dem heiligen Geist wäre zu wenig für uns, sie müssen beständig unter uns wohnen.

Die ich in deinen Mund gelegt habe. Gott verkehrt derartig mit uns, dass er der Menschen Dienst und Arbeit dabei gebrauchen will. Er könnte ja selbst vom Himmel her reden oder seine Engel senden, aber er nimmt besondere Rücksicht auf uns, indem er durch Menschen, wie wir sind, mit uns spricht und in vertrauter Weise durch ihre Stimme uns anlockt. Die Ordnung hat er also in seiner Gemeinde errichtet, und solche, die seine Diener zurückweisen, rühmen sich vergeblich, dass sie Gott gehorchen wollen. Wir sollen das Wort und die Unterweisung der Propheten und Lehrer, die in seinem Namen und Auftrag lehren, annehmen, damit wir nicht in törichter Weise neuen Offenbarungen nachjagen. In den Worten „sie sollen nicht weichen“ liegt vor allem eine Verheißung, nämlich dass der Herr so in seiner Gemeinde gegenwärtig sein und so für sie sorgen will, dass ihr sein Wort niemals geraubt werden soll. Dies müssen wir uns also immer vor Augen halten, wenn wir von Unglück heimgesucht werden und nicht alles nach unseren Wünschen geht. Wir müssen uns stärken und aufrichten durch Gottes Wort und Geist, von denen wir nach seiner Verheißung niemals verlassen sein werden.

1)
Fabelhafte Raubgestalten des griechischen Volksglaubens.
2)
Richtig ist wohl die Übersetzung: Denn er (d. h. der Herr) wird kommen wie ein bedrängter (d. h. eingeengter und darum schnell schießender) Strom, den der Wind des Herrn (d. h. ein gewaltiger Wind) treibt. – Unter diesen Bildern wird die Fülle der göttlichen Gnade dargestellt.
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