Calvin, Jean – Hiob 15, 14 – 16.

Calvin, Jean – Hiob 15, 14 – 16.

14) Was ist der Mensch, dass er rein sein sollte, oder der vom Weib Geborene, dass er sollte gerecht sein? 15) Siehe, er findet in seinen Heiligen keine Beständigkeit, und die Himmel sind nicht rein vor ihm. 16) Um wie viel mehr wird der Mensch ein Gräuel und Gestank vor ihm sein, der die Ungerechtigkeit wie Wasser einschluckt!

Eliphas meint, nur Stolz und Undank gegen Gott habe den Hiob daran gehindert, aus den Ermahnungen seiner Freunde Nutzen zu ziehen. Nun fährt er fort: Wie die Fische sich vom Wasser nähren, so sind die Menschen voll von Sünde und Bosheit – und doch beanspruchen sie, sich vor Gott gerecht zu machen! Dann müssten sie doch zuallererst reiner und heiliger als die Engel sein, müssten heller als Sonne und Sterne leuchten; denn auch die Himmel sind unrein vor Gott, wenn man sie mit ihm vergleicht. Wie ist das aber zu verstehen, dass auch die Engel vor Gott keine Beständigkeit haben? Manche haben gemeint, das beziehe sich auf die Teufel. Denn gewiss ist der Teufel der Ursprung aller Ungerechtigkeit und Bosheit. Hier aber ist ausdrücklich von den Engeln die Rede, und deshalb werden sie ja auch (Vs. 15) die „Heiligen“ Gottes genannt, ja, die Schrift nennt sie „auserwählte dienstbare Geister“ (1. Tim 5, 21; Hebr 1, 14). Wie ist es nun zu verstehen, dass Gott keine Beständigkeit in ihnen findet? Das ist nicht allein so gemeint, dass sie keine Beständigkeit des Verharrens im Guten haben, wenn sie nicht durch Gottes Kraft erhalten werden, sondern sie haben in der Tat keine so vollkommene und auserlesene Gerechtigkeit, dass sie sich darauf verlassen könnten, wenn sie vor Gott treten und Rechenschaft ablegen müssten. Aber die Engel haben doch nur den einen Wunsch, Gott zu gehorchen, und sie sind keinen bösen Begierden unterworfen wie wir, es ist in ihnen nichts, was sie zum Abfall verführen könnte! Und wenn wir bitten: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden“, so ist das doch so zu verstehen, dass die Engel ohne alles Widerstreben Gott gehorchen und dass ihr Gehorsam nicht unvollkommen oder schwach ist wie der unsere! Denn wir gehen auch beim besten Willen einher wie die Hinkenden und sind nicht den zehnten Teil so geneigt, ihm zu dienen, wie es sein müsste. Wie ist denn das gemeint, dass Gott an den Engeln keine Beständigkeit findet und sie vor seinem Gericht nicht bestehen können?

Gott richtet uns nach dem Maßstab, den er in seinem Gesetz gegeben hat: wir sollen ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften. Gott gibt sich also mit einer Durchschnittsgerechtigkeit zufrieden, wenn er über Engel und Menschen urteilen will. Am Maßstab dieser Gerechtigkeit gemessen, sind wir alle schuldig; denn wer dürfte sich rühmen, er sei Gott von ganzem Herzen ergeben und keine böse Begierde habe ihn je von Gott abgezogen? Ach, fehlt noch viel, dass wir so weit gekommen wären, ja, es wäre schon viel, wenn wir nur erst auf dem Wege wären! Nach dieser Durchschnittsgerechtigkeit also sind alle Menschen vor Gott verdammt. Nach dieser selben Gerechtigkeit aber sind die Engel vor Gott angenehm, sie können vor ihm bestehen. Denn an ihnen ist kein Makel noch Fehler, und ihr ganzes Sehnen geht dahin, dass Gott seinen Dienst und Ehre empfange, und daran wenden sie ihren höchsten Fleiß. So werden sie denn nach der Gerechtigkeit des Gesetzes von Gott angenommen. Es gibt aber in Gott noch eine höhere Gerechtigkeit, höher als alle Kreaturen, der auch die Engel nicht genügen. Und das ist nicht zu verwundern; denn wie könnte man Endliches mit dem Unendlichen vergleichen? Mögen die Engel auch noch so große Herrlichkeiten besitzen, Kreaturen sind sie doch! Was aber ist Gott? Er ist ein unendliches Wesen, an das wir nicht ohne Entzücken und Entsetzen zu denken vermögen. Wir brauchen uns darum nicht zu verwundern, dass die Gerechtigkeit Gottes so hoch ist, dass alle Kreaturen gegen ihn nichts sind und gänzlich verschwinden. Darum müssen auch alle Engel, wenn Gott sie in diese äußerste Prüfung bringt, zu Schanden werden und vor ihm vergehen. Weil aber Gott zufrieden ist mit dem Gehorsam, den sie ihm nach seinem Gesetz leisten, so können sie auch vor seinem Angesicht bestehen und gelten als gerecht, wie sie es ja auch in Wahrheit sind. Aber es geht hier um zwei ganz verschiedene Dinge: Gott hat eine Gerechtigkeit, die er unserm Verständnis anpasst, außerdem aber spricht er in seiner Strenge: Wer will´s mir abgewinnen? Vor Gott sind wir also verdammt und verflucht, geschweige denn, dass wir vor ihm bestehen könnten, wo doch selbst die Engel vor ihm zu Schanden werden; denn selbst die Himmel sind nicht rein. Gott hat die Sonne geschaffen, die Welt zu erleuchten, hat auch den Sternen Licht gegeben; aber das bedeutet keine göttliche Vollkommenheit. Alle Kreaturen tragen zwar als geschaffene Wesen irgendwelche Kennzeichen seiner Gnade; wenn man aber das Wesen der Kreaturen mit dem Wesen Gottes vergleicht, so ist das eine nichts, das andere alles. Darum tragen alle Kreaturen Unvollkommenheit an sich, und im Vergleich mit der unendlichen Herrlichkeit Gottes können sie alle vor ihm nicht bestehen.

Was soll dann aber aus den Menschen werden? Wenn Gott uns auch nur nach dem Maßstab seiner Durchschnittsgerechtigkeit prüft, die er uns in seinem Gesetz geoffenbart hat, so sind wir alle schuldig; denn auf der ganzen Menschheit lastet eine allgemeine Verdammnis, und wir erliegen unter der Last. Kurzum, die Menschen sind mit doppelten Riegeln eingeschlossen. Treten wir mit aufgehobenem Haupte vor Gott und verlangen, dass er uns vor sich gelten lasse, so muss unsere Schande umso mehr offenbar werden; denn sind wir etwa gerechter als die Engel des Paradieses? Keine Kreatur kann vor ihrem Schöpfer bestehen, er verschlingt alles durch seine Herrlichkeit, und alle so herrlichen und wunderbaren Dinge macht er zunichte. „Die Sterne am Himmel und sein Orion scheinen nicht helle; die Sonne geht finster auf, und der Mond scheinet dunkel“ (Jes 13, 10). Und warum? Weil die Herrlichkeit des Herrn sie weit überstrahlt. Wenn Gott seine Herrlichkeit entfaltet, so muss alle Schönheit der Kreatur verschwinden, soviel Aufhebens man zuvor auch davon machte. Wenn die Sonne, die doch auch nur ein gefühlloses Geschöpf ist, das Licht der Sterne den ganzen Tag verdunkelt, obschon sie doch immer am Himmel stehen, wie wird es dann erst mit der Majestät Gottes sein? Sollte wohl eine Kreatur sie erreichen können? Wenn schon eine Kreatur die andere an Klarheit übertrifft, wie wird´s dann sein, wenn Gott selbst erscheint? Das ist also der erste Riegel, der uns eingeschlossen hält, wenn wir mit unserer Gerechtigkeit prahlen und in unserer törichten Vermessenheit daherkommen und meinen, Gott hätte Verpflichtungen gegen uns und wir könnten irgendeinen Wert vor ihm haben. Und wären wir gerechter als die heiligen Engel und reiner als die Himmel, so gilt doch alles, was wir zu haben meinen, vor Gott nichts. Eine so vollkommene Gerechtigkeit also kann es vor Gott für uns gar nicht geben.

Lasst uns nun aber nur einmal auf die Durchschnittsgerechtigkeit achten, die Gott uns geoffenbart hat, also auf das, was den Kreaturen möglich ist! Gott will nichts anderes, als dass wir ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften, und niemand leugnet, dass das recht und billig ist. Aber tun wir´s denn auch? Wohin neigt denn unser Herz? Ist es gänzlich auf Gott gerichtet? Ist es von den irdischen Banden so los, dass es sich zum Himmel erheben kann? Führen wir hienieden ein geistliches Leben in einer entschlossenen Absage an alles, was uns von Gott wegführt? Da fehlt es noch weit! Im Gebet zum Beispiel soll nach der Schrift der Mensch aus sich selbst herausgehen, soll alle Sorgen und Leidenschaften, die ihn hindern können, ablegen, soll sich im Gefühl seiner Armut Gott zu Füßen werfen und so seine Hilfe begehren. Das Gebet ist unser größtes Vorrecht; treten wir nun aber vor Gott, so tun wir das in einem so fleischlichen Sinn, dass wir´s gar nicht lassen können, dabei an allerlei närrisches Zeug zu denken; und wenn wir gleich mit Andacht beten, so lassen wir uns doch so leicht zerstreuen, und unsere Gedanken fliegen hin und her. Sind wir aber schon in einer so heiligen Sache wie dem Gebet so flatterhaft, wie sieht es dann wohl mit unserm ganzen übrigen Leben aus?

Nun aber heißt es nicht: Wie soll der Mensch sich selbst rechtfertigen können, da er doch nicht imstande ist, das Gesetz zu erfüllen, und mit viel Sünden und Schwächen belastet? Nein, es heißt: Um wie viel mehr wird der Mensch ein Gräuel und Gestank vor ihm sein, der die Ungerechtigkeit wie Wasser einschluckt? Damit meint er: Des Menschen eigentliche Nahrung ist die Sünde, man findet nicht ein Tröpflein Gutes an ihm; wie der Leib aus Speise und Trank sein Wesen erhält, so gewinnt der Mensch sein Wesen durch Sünde, und alles an ihm ist verderbt. Nicht als ob, wie man zu sagen pflegt, die „Substanz“, das Wesen unseres Leibes und unserer Seele, etwas Schlechtes wäre, nein, wir sind ja Gottes Geschöpfe; aber der grobe Ausdruck will besagen, dass alles in uns vom Bösen durchsetzt ist. Leib und Seele sind ihrem Wesen nach gute Schöpfungen Gottes, aber alles ist dem Verderben verfallen. Unsere Seelen sind vom Bösen befleckt, und es ist nicht ein einziges Tröpflein Gutes am Menschen, das nicht vergiftet und zugrunde gerichtet wäre. Es besteht demnach auch ein großer Unterschied zwischen Schwachheit und Verderbnis. Denn wenn man die Menschen als „schwach“ bezeichnet, wie es auch die Papisten tun, so haben das die Heiden wohl noch stärker betont. Und wer sollte es auch nicht zugeben? Die Heiden haben gesagt, die Menschen seien unbeständig, es sei sehr schwer, der Tugend zu folgen, und wir seien zu Lastern geneigt. Das haben die Heiden wohl gewusst, und die heutigen Heiden bekennen es auch. Aber davon wissen sie nichts, dass auch nicht ein Tropfen Gutes im Menschen ist, dass wir alle ein Gräuel vor Gott sind, bis wir von ihm zu Gnaden angenommen werden.

Damit nun der Mensch ja nicht meine, es sei etwas Gutes an ihm, so nennt ihn der Heilige Geist einen „Gräuel“ und „Gestank“. Daher steht auch in den Psalmen geschrieben: „Sie taugen nichts und sind ein Gräuel mit ihrem Wesen. Der Herr schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig“ (Ps 14, 1-3; 53, 2.3). Es heißt ausdrücklich, das habe Gott an den Menschen gesehen; denn die Menschen wollen zu allen Zeiten ihre eigenen Richter sein, Gott aber sieht keinen, der nicht böse wäre.

Wenn aber gesagt wird, dass wir Ungerechtigkeit wie Wasser schlucken, so kommt darin noch klarer heraus, dass unser ganzes Leben zum Bösen neigt: wie sich ein Fisch vom Wasser nährt, so lebt der Mensch von Sünden. Gewiss, nicht Gott dürfen wir das Böse, das in uns ist, zuschreiben; denn Adam ist nicht in dem verderbten Zustand, von dem hier die Rede ist, erschaffen, sondern er hat sich das Verderben selbst zugezogen. Was Gott geschaffen hat, war alles gut, der Mensch aber ist das Vortrefflichste aller Geschöpfe, darum war er auch nicht verdorben, bis er sich von Gott abwandte. Aber als er sich schied vom Brunnquell der Gerechtigkeit, was ist ihm da andres geblieben als Ungerechtigkeit und Verderben? Die Schrift sagt, wir seien „Knechte der Sünde“ (Röm 6, 17), „unter die Sünde verkauft“ (Röm 7, 14). Das aber dürfen wir nicht Gott zuschreiben, sondern es ist das Erbe, das wir von unserm ersten Vater Adam haben; deshalb müssen wir uns alle schuldig geben vor Gottes Angesicht.

So also ist das Wort von der Verderbnis und Knechtschaft der Sünde zu verstehen. Nicht, dass wir uns damit entschuldigen und denken dürften: „Ja, da ist eben nichts zu machen! Die Menschen sind nun einmal dem Bösen so ergeben, was können sie dagegen tun? Sie haben keine Kraft, den Versuchungen zu widerstehen – sind sie dann nicht genug entschuldigt? Und wenn Gott sie deshalb verdammt, ist er nicht mehr als grausam?“ So lästern die Leute. Darum sollen wir unsern Mund zuhalten, sollen wissen, dass alles an uns böse ist und dass wir mit Sünde und Ungerechtigkeit durchsetzt sind, und wollen uns deshalb willig verdammen lassen, wenn wir vor Gott gerechtfertigt sein wollen. Denn es muss allezeit das Psalmwort in Erfüllung gehen: „Auf dass du recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest in deinem Richten“ (Ps 51, 6). Wenn wir ihm trotzig widersprechen, so bleibt er dennoch allezeit gerecht, und das zu unserer Schmach und Schande. Wollen wir also vor Gott gerecht werden, so gibt´s nur ein Mittel: Wir müssen bekennen, dass in uns nur ein schreckliches Verderben wohnt, aber nicht ein einziges Tröpflein Gutes. Darum sollen wir Gott bitten, er wolle uns zu Gnaden annehmen und um seines lieben Sohnes Jesus Christus willen gerecht machen, das heißt, von unsern Sünden und unserm Schmutz rein waschen mit dem Blut seines Sohnes und uns seine Gerechtigkeit zurechnen. Dann werden wir in Wahrheit dem gütigen Gott gefallen, wenn wir mit seinem Rock bekleidet sind, weil wir alsdann eine vollkommene Gerechtigkeit haben, die die Gerechtigkeit der Engel noch übertrifft.

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