Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 21.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 21.

1 Als nun geschah, dass wir, von ihnen gewandt, dahinfuhren, kamen wir strackses Luafs gen Kos und am folgenden Tage gen Rhodus und von dannen gen Patara. 2 Und da wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien fuhr, traten wir drein und fuhren hin. 3 Als wir aber Cypern ansichtig wurden, ließen wir sie zur linken Hand, und schifften nach Syrien und kamen an zu Tyrus; denn daselbst sollte das Schiff die Ware niederlegen. 4 Und als wir Jünger fanden, blieben wir daselbst sieben Tage. Die sagten Paulus durch den Geist, er sollte nicht hinauf gen Jerusalem ziehen. 5 Und geschah, da wir die Tage zugebracht hatten, zogen wir aus und reisten weiter. Und sie geleiteten uns alle mit Weib und Kindern bis hinaus vor die Stadt, und wir knieten nieder am Ufer und beteten. 6 Und als wir einander gesegnet, traten wir ins Schiff; jene aber wandten sich wieder zu den Ihren.

V. 1. Lukas verzeichnet kurz den Verlauf der Schifffahrt, nicht bloß um der Glaubwürdigkeit der Geschichte willen, um uns wissen zu lassen, was an jedem Ort geschah, sondern auch, damit die Leser die unbesiegte und heldenhafte Tapferkeit des Paulus bei sich erwägen möchten, die lieber im Dienste Christi lange, viel verschlungene und beschwerliche Reisen machen als auf seine Ruhe bedacht sein wollte. Dass er und seine Begleiter von ihnen gewandt dahinfuhren, deutet nicht nur auf die örtliche Entfernung; denn mit den körperlichen Augen konnten die am Strande stehenden Brüder das Schiff verfolgen, in welchem Paulus und seine Begleiter dahinfuhren.

V. 4. Und als wir Jünger fanden usw. War in Tyrus die Zahl der Gläubigen auch gering, so war doch etwas vom Samen des Evangeliums dorthin gelangt, wie denn nach den Weissagungen der Propheten (Jes. 23, 18) diese Stadt nicht völlig vom Segen Gottes verlassen sein sollte. Wie schon früher bezeichnet Lukas die Christen als Jünger oder Schüler. Wir sollen eben wissen, dass niemand als ein Glied der Herde Christi gelten darf, der nicht im Glauben seine Lehre sich aneignet.

Die sagten durch den Geist. Paulus konnte ihrer Rede anmerken, dass sie aus prophetischem Geist geboren war. Es lag nun die Versuchung sehr nahe, die angefangene Reise abzubrechen, von welcher der heilige Geist ihm abriet. Hätte er auch nur im Geringsten an eigenes Wohlergehen gedacht, so wäre der einleuchtendste Vorwand, dem Kreuz auszuweichen, zur Hand gewesen; zog ihn doch Gottes Hand scheinbar zurück. Er steht aber von dem Wege nicht ab, auf den er sich vom Herrn berufen wusste. Doch erhebt sich die Frage, wieso die Brüder durch den Geist von einem Unternehmen abraten können, von welchem Paulus selbst bezeugt hat, dass er es unter dem inneren Antriebe durch den Geist betreibe. Ist denn der Geist sich selbst entgegen, dass er den Apostel, den er inwendig gebunden hielt, nunmehr losbindet? Ich antworte, dass die Gaben des Geistes verschieden abgestuft sind, so dass wir uns nicht wundern dürfen, wenn mit der prophetischen Gabe ausgerüstete Leute doch zuweilen von Urteil und Tapferkeit etwas verlassen werden. Jenen Brüdern, von denen Lukas spricht, hat der Herr offenbart, was geschehen sollte; dabei wissen sie aber nicht, was nützlich ist und was der Beruf des Paulus erfordert, weil sich bis dahin das Maß ihrer Gabe nicht erstreckt. Mit Absicht aber wollte der Herr seinem Knecht diese Erinnerung zukommen lassen, teils damit er durch langes Zuvorbedenken darauf gerüstet würde, alles auf sich zu nehmen, teils damit seine Standhaftigkeit in ein helleres Licht rücke, in der er mit Wissen und Willen dem entgegengeht, was ihm durch die prophetische Rede von dem traurigen Ausgang gewiss wird.

V. 5. Mit Weib und Kindern. Es war ein nicht gewöhnliches Zeichen der Liebe, dass man den Paulus mit Weibern und Kindern bis hinaus vor die Stadt geleitete. Lukas berichtet davon, um der Frömmigkeit der Gläubigen ein rechtes Lob zu erteilen, aber auch, um zu zeigen, dass dem Apostel die Ehre zuteil ward, die er verdiente. Auch den Schluss ziehen wir, dass er auf nichts weniger bedacht war als auf die Sorge für eigenen Vorteil; darum ließ er sich durch diese Fülle von Wohlwollen, die ihm eine süße Lockung zum Bleiben hätte sein können, nicht an seinem Lauf hindern. Bemerkenswert ist auch die Gewohnheit des feierlichen Gebets bei besonderen Anlässen; ein Antrieb dazu lag auch darin, dass man eine göttliche Belehrung über die Gefahr empfangen hatte.

7Wir aber vollzogen die Schifffahrt von Tyrus und kamen gen Ptolemais, und grüßeten die Brüder und blieben einen Tag bei ihnen. 8Des andern Tages zogen wir aus, die wir um Paulus waren, und kamen gen Cäsarea und gingen in das Haus Philippus des Evangelisten, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm. 9Derselbige hatte vier Töchter, die waren Jungfrauen und weissageten. 10Und als wir mehrere Tage dablieben, reiste herab ein Prophet aus Judäa mit Namen Agabus und kam zu uns. 11Der nahm den Gürtel des Paulus und band sich die Hände und Füße und sprach: Das saget der heilige Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden also binden zu Jerusalem und überantworten in der Heiden Hände. 12Als wir aber solches höreten, baten wir und die desselbigen Orts waren, dass er nicht hinauf gen Jerusalem zöge. 13Paulus aber antwortete: Was machet ihr, dass ihr weinet und brechet mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des Herrn Jesu. 14Da er aber sich nicht überreden ließ, schwiegen wir und sprachen: Des Herrn Wille geschehe.

V. 7. Ptolemais, wo Paulus von den Brüdern begrüßt wurde, ist eine phönizische Seestadt, nahe bei der Grenze von Judäa; von dort hatten Paulus und seine Begleiter nur noch einen kurzen Weg bis Cäsarea. In dieser Stadt wurden sie im Hause des Evangelisten Philippus gastfreundlich aufgenommen. Derselbe war einer von den sieben Diakonen (6, 5). Doch ergibt sich aus der Tatsache, dass Philippus von Jerusalem nach Cäsarea übersiedeln durfte, dass er dieses Amt nur vorübergehend führte. An unserer Stelle wird er nicht als ein Mann genannt, der mutwillig etwa seine Pflicht verlassen hätte, sondern dem ein hervorragender Wirkungskreis anvertraut war. Die Evangelisten standen, wie ich glaube, zwischen Aposteln und Lehrern in der Mitte. Ihr Amt grenzte unmittelbar an das apostolische, in dem sie allenthalben das Evangelium predigen sollten, ohne an einen bestimmten Ort gebunden zu sein; nur standen sie auf einer niedrigeren Stufe der Ehre. Wo Paulus die Ordnung der Kirche beschreibt (Eph. 4, 11), lässt er die Evangelisten auf die Apostel folgen und zeigt damit, dass ihnen ein weiterer Bereich für ihre Lehrtätigkeit angewiesen war als den Hirten, die ihre Arbeit bestimmten Orten zu widmen hatten.

V. 9. Derselbige hatte vier Töchter, die weissageten. Diese anerkennende Mitteilung lässt ersehen, dass das Haus des Philippus nicht nur wohlgeordnet, sondern auch durch einen besonderen Segen Gottes erleuchtet und ausgezeichnet war. Gott wollte die Anfänge des Evangeliums verherrlichen, indem er Männer und Weiber erweckte, die zukünftige Dinge voraussagten. Schon seit geraumer Zeit hatte die Weissagung unter den Juden so gut wie aufgehört, damit die Gemüter umso gespannter auf den neuen Schall des Evangeliums sich richten möchten. Wenn nun plötzlich die Prophetie in ihren alten Besitzstand zurückkehrt, so war dies ein Zeichen des Vollendungszustandes. Eben dies scheint aber auch der Grund gewesen zu sein, weshalb sie bald darauf wieder verschwand. Gott hielt das alttestamentliche Volk mit mancherlei Weissagungen in Spannung, bis Christus durch seine Ankunft aller Prophetie Ziel und Ende setzte. Die noch neue Herrschaft Christi musste nun mit diesem Schmuck verherrlicht werden, damit jedermann erkenne, dass die verheißene Heimsuchung durch Gott jetzt gegenwärtig sei. Dieser Schmuck durfte aber nur kurze Zeit glänzen, damit die Gläubigen nicht immer in Spannung blieben und vorwitzige Geister nicht Anlass hätten, immer wieder etwas Neues zu suchen und zu ersinnen. Wir wissen ja, dass viele Schwärmer, die sich als Propheten ausgaben, immer noch aufstanden, als jene Gabe schon geschwunden war. Allerdings kann es auch sein, dass die Verkehrtheit der Menschen die Kirche dieser Gabe beraubt hat. Indessen sollen wir uns mit dem einzigen Grunde begnügen, dass Gott durch das Aufhören der Weissagungen bezeugt hat, dass das Ziel und die Erfüllung in Christus vorhanden sei. In welcher Weise übrigens jene Jungfrauen weissagten, wissen wir nicht; nur werden wir eine mäßigende Leitung durch den Geist Gottes anzunehmen haben, die einen Bruch der von ihm gesetzten Ordnung verhinderte. Da Frauen ein öffentliches Amt in der Gemeinde nicht bekleiden dürfen, müssen wir glauben, dass die Töchter des Philippus nicht in der allgemeinen Versammlung, sondern zu Hause oder in privatem Kreise weissagten.

V. 10. Ein Prophet mit Namen Agabus. Das wird, obgleich Lukas es nicht deutlich sagt, derselbe sein, von dem wir schon hörten (11, 28), dass er eine unter dem Kaiser Klaudius eintretende Hungersnot voraussagte. Indem Lukas ihn durch den Titel eines Propheten auszeichnet, wie soeben die vier Töchter des Philippus, wird deutlich, dass jene Gabe nicht Allgemeinbesitz war. Nunmehr haben wir zu fragen, zu welchem Zweck die drohende Verfolgung durch Agabus noch einmal vor Augen gestellt wurde. Paulus selbst war doch genug und übergenug daran erinnert worden. Darum zweifle ich nicht, dass diese Bekräftigung um der andern willen hinzukam; der Herr wollte allenthalben die Bande seines Knechts verherrlichen, um jedermann deutlich zu machen, dass er aus freien Stücken in den Kampf eintrat, aber auch dass er von Gott als Vorkämpfer für das Evangelium verordnet war. Diese standhafte Aufopferung seines Lebens ist auch für uns ein Siegel unter des Paulus Apostelamt.

V. 11. Den Mann, des der Gürtel ist usw. Es war den Propheten geläufig, durch symbolische Handlungen darzustellen, was sie sagten; nicht aber auf eigenen Antrieb, sondern auf Befehl des Geistes bekräftigten sie ihre Weissagungen durch beigefügte Zeichen. So wird Jesaja (20, 2) angewiesen, unbekleidet einherzugehen, Jeremia (27, 2; 32, 7), ein Joch auf seinen Hals zu binden und einen Acker zu verkaufen und zu kaufen, Hesekiel aber (12, 5), durch die Wand seines Hauses zu graben und in der Nacht den Hausrat hinauszutragen. Diese und ähnliche Dinge könnte man für Spielereien halten; aber derselbe Geist, der zu seinen Worten passende Sinnbilder fügte, rührte auch die Herzen der Frommen inwendig an und führte sie gleichsam zur Sache selbst. So fühlten sich die Begleiter des Paulus von dem hier berichteten Schauspiel nicht weniger ergriffen, als wenn ihnen der Apostel selbst wirklich gebunden vor Augen gestanden hätte. Alsdann haben falsche Propheten mit diesem Kunstgriff schlichte Leute zu umnebeln gesucht, wie denn Satan so etwas wie der Affe Gottes ist und seine Diener die Knechte Gottes nachäffen. Zedekia (1. Kön. 22, 11) machte sich Hörner, um zu verheißen, dass Syrien sollte niedergestoßen werden. Hananja (Jer. 28, 10) erweckte dem Volk eine trügerische Hoffnung auf Befreiung, indem er das Joch vom Halse des Jeremia zerbrach. Gott ließ die Verworfenen durch solches Gaukelwerk getäuscht werden, um ihren Unglauben zu strafen. Da aber eine Wirkungskraft des Geistes nicht dahinter stand, schadete das eitle Treiben den Gläubigen nichts. Bemerkenswert ist auch dies, dass Agabus nicht ein stummes Schaustück bietet, sondern ein Wort anknüpft, um den Gläubigen Zweck und Bedeutung der Zeremonie zu enthüllen.

V. 12. Als wir solches höreten, baten wir usw. Da nicht alle die gleiche Offenbarung empfangen hatten, so ist nicht verwunderlich, dass ihre Meinungen auseinander gingen. Weil jene heiligen Menschen wussten, wie viel von dem Leben oder dem Tode des einen Mannes abhing, wollten sie ihn nicht leichthin der Gefahr entgegengehen lassen. Dieser Eifer, der den Paulus zurückhalten und dadurch für das Wohlergehen der Gemeinde sorgen will, ist löblich. Umso größeres Lob verdient wiederum die Standhaftigkeit des Paulus, der unbeugsam in seinem von Gott gewiesenen Beruf verharrt. Es war ihm ja nicht verborgen, in welche Verwirrung die Gläubigen durch seine Bande geraten konnten. Weil ihm aber Gottes Wille bekannt ist, der allein unsere Pläne regeln muss, wird ihm alles andere gleichgültig, wenn er nur ihm folgen kann. In der Tat müssen wir derartig an Gottes Winken hängen, dass kein Gedanke an das, was sonst nützlich und scheinbar vernünftig wäre, uns vom schlichten Gehorsam abtreiben darf. Indem Paulus den Brüdern leise vorwirft (V. 13), dass sie ihm mit Weinen das Herz bekümmern, zeigt er deutlich, dass sein Herz nicht von Eisen war und die Liebe sein Mitgefühl erregte. So verwundeten die Tränen der Frommen sein Herz. Aber diese weiche Stimmung lenkte ihn nicht im Geringsten davon ab, unentwegt im Gehorsam gegen Gott zu verharren. Wichtiger noch als alle Freundlichkeit gegen die Brüder, die wir freilich pflegen, sind immer Gottes Winke. Die Antwort des Paulus zeigt noch einmal, dass Christi Knechte nur dann zu ihrer Pflicht recht beistehen, wenn sie den Tod verachten. Den rechten Sinn, der dem Herrn leben will, beweist nur, wer sein Leben für das Zeugnis der Wahrheit freudig aufopfert.

V. 14. Schwiegen wir und sprachen usw. Wenn die Frommen geglaubt hätten, dass Paulus leichtsinnig dem Tod entgegenstürze, würden sie sich nicht so beruhigt haben. So geben sie also nach, um dem heiligen Geist nicht zu widerstreben, von dem sie den Apostel geleitet sehen. Dass sie zuvor aus seinem Munde hörten, er werde gleichsam durch die Bande des Geistes dahin gezogen, bereitete ihnen einen Schmerz, Verwirrung und Tränen. Werden sie aber nun belehrt, dass es so dem Herrn gefalle, so dünkt sie weiterer Widerstand unerlaubt. Dieser Zügel muss alle unsere Stimmungen bändigen; nichts ist so bitter, traurig oder hart, was nicht Gottes Wille mildern oder binden müsste. Mag, was uns begegnet, schwierig und rau sein, so würden wir dem Herrn doch zu wenig Ehre geben, wollten wir nicht den Gedanken an die erste Stelle rücken, dass es gilt, ihm zu gehorchen.

15Und nach denselbigen Tagen entledigten wir uns und zogen hinauf gen Jerusalem. 16Es kamen aber mit uns auch etliche Jünger von Cäsarea, und führeten uns zu einem mit Namen Mnason aus Cypern, der ein alter Jünger war, bei dem wir herbergen sollten. 17Da wir nun gen Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf. 18Des andern Tages aber ging Paulus mit uns ein zu Jakobus, und kamen die Ältesten alle dahin. 19Und als er sie gegrüßet hatte, erzählete er eines nach dem andern, was Gott getan hatte unter den Heiden durch sein Amt. 20Da sie aber das höreten, lobeten sie den Herrn und sprachen zu ihm: Bruder, du siehest, wie viel tausend Juden sind, die gläubig geworden sind, und sind alle Eiferer über dem Gesetz; 21sie sind aber berichtet worden wider dich, dass du lehrest von Mose abfallen alle Juden, die unter den Heiden sind, und sagest, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden, auch nicht nach desselbigen Weise wandeln. 22Was denn nun? Allerdinge muss die Menge zusammenkommen; denn sie werden´s hören, dass du gekommen bist. 23So tue nun dies, das wir dir sagen. 24Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich; dieselbigen nimm zu dir und heilige dich mit ihnen und wende die Kosten an sie, dass sie ihr Haupt scheren, so werden alle vernehmen, dass nicht sei, wes sie wider dich berichtet sind, sondern dass du auch einhergehest und haltest das Gesetz. 25Denn den Gläubigen aus den Heiden haben wir geschrieben und beschlossen, dass sie der keines halten sollen, denn nur sich bewahren vor dem Götzenopfer, vor Blut, vor Ersticktem und vor Hurerei.

V. 15. Entledigten wir uns und zogen hinauf. Indem die Begleiter des Paulus ihn von der Gefahr zurückhalten wollten, bewiesen sie, dass ihnen das Wohl der Kirche mehr am Herzen lag als ihr eigenes Leben. Nachdem sie Zurückweisung erfahren, ziehen sie sich aus der Gemeinschaft mit seiner Gefahr nicht zurück. Es wäre ja eine einleuchtende Entschuldigung gewesen, dass kein Gesetz sie verpflichte, sich durch die Hartnäckigkeit eines einzigen Mannes in den Tod hineinziehen zu lassen. Das aber ist wahre Unterwerfung unserer Stimmungen unter Gott, wenn wir uns durch keine Furcht abschrecken lassen, das zu betreiben, was wir als ihm wohlgefällig erkennen. Es wird auch klar ersichtlich, welche Glut der Frömmigkeit in den andern lodert, die aus freien Stücken sich anschließen und dem Apostel einen gastfreundlichen Mann zuführen (V. 16), während sie doch guten Grund gehabt hätten, sich vor vielen Unbequemlichkeiten zu fürchten.

V. 17. Nahmen uns die Brüder gerne auf. Dies erwähnt Lukas, um die Billigkeit der Brüder zu rühmen, die üblen Gerüchten und Verleumdungen keinen Glauben schenkten. Während viele übel wollende und bösartige Menschen den Paulus an jedem Tage in neue Missgunst brachten, waren Jakobus und seine Amtsgenossen von seiner Unantastbarkeit vollkommen überzeugt und ließen sich ihm nicht entfremden. Sie nahmen ihn also als einen Knecht Christi brüderlich und freundlich auf und zeigen, dass seine Ankunft ihnen angenehm ist. Diese Mäßigung müssen wir fleißig üben, dass wir üblen Zwischenträgereien nicht gar zu schnell glauben, besonders wo man bewährte Leute, die wir als treue Diener des Herrn kennen, mit uns unbekannten und mindestens fragwürdigen Fehlern belastet. Weiß doch der Satan, dass nichts zur Erschütterung des Reiches Christi mehr beiträgt als Zwietracht und Streitereien der Gläubigen. Darum hört er nicht auf, üble Gerüchte auszustreuen, die zwischen ihnen gegenseitigen Verdacht erregen. Solchen Zwischenträgereien sollen wir also die Ohren verschließen und von treuen Dienern Christi nichts glauben, was nicht unbedingt sicher festgestellt ist.

V. 18. Und kamen die Ältesten alle dahin. Aus dieser Stelle lässt sich schließen, was wir schon im fünfzehnten Kapitel sahen, dass für die Behandlung jedes ernstlichen Geschäfts die Ältesten zusammenzukommen pflegten, damit die Beratung nicht stürmisch, sondern würdig sich gestalte. Alsbald (V. 22) werden wir sehen, dass an seinem Platze auch das Volk zugelassen wurde, aber erst, nachdem die Ältesten in ihrem engeren Kreise Beratung gepflogen hatten.

V. 19. Erzählete, was Gott getan hatte usw. Wie bescheiden redet doch Paulus, indem er dem Herrn alles Lob zuerkennt, sich selbst aber lediglich als den Diener einschätzt, dessen sich der Herr bedient hat. In der Tat müssen wir bekennen, dass alles Herrliche und Lobenswerte nicht durch unsere eigene Tüchtigkeit geschieht, sondern nur, insofern Gott in uns wirkt, namentlich wo es sich um den Aufbau der Gemeinde handelt. Anderseits wird auch ersichtlich, wie weit die Ältesten von Neid entfernt waren, da sie über die frohen Erfolge Gott loben. Da übrigens außer Jakobus kein Apostel genannt wird, lässt sich schließen, dass die andern, wie es ihr Amt erforderte, sich zur Ausstreuung des Evangeliums nach allen Richtungen entfernt hatten. Jakobus aber richtete seinen Aposteldienst auch dadurch aus, dass er in Jerusalem blieb, wo täglich viele Besucher zusammenströmten; dadurch konnte er so wirken, als hätte er weit und breit an entfernten Orten das Evangelium verkündet.

V. 20. Bruder, du siehest usw. Die Rede hat zwei Teile. Im ersten erinnern die Ältesten daran, dass die Juden, die sich zu Christus bekehrt haben, sämtlich am Gesetz hängen und darum dem Paulus abgeneigt sind, weil sie glauben, dass er alles darauf ablege, das Gesetz abzuschaffen. Daran schließen sie die Mahnung, er solle ein feierliches Gelübde auf sich nehmen und sich dadurch für die Zukunft von dem ihm anhängenden Verdacht reinigen. Sie weisen auf die große Menge der Gläubigen hin, um den Paulus zur Nachgiebigkeit zu bestimmen. Es hätte ihm ja wenig Eindruck gemacht, wenn nur einige verstockte Leute in Betracht gekommen wären. Jetzt aber darf er die ungeheure Volksmenge und den ganzen Leib der Gemeinde nicht übersehen. Allerdings ist kein Zweifel, dass jener Eifer für das Gesetz fehlerhaft war, und die Ältesten lassen auch deutlich merken, dass sie keinen Gefallen daran haben. Sie verurteilen ihn allerdings nicht offen, noch klagen sie heftiger darüber; indem sie aber sich selbst in die Stimmung jener Leute nicht mit einschließen, deuten sie wenigstens stillschweigend auf ihren Irrtum hin. Das Gericht, durch welches die Juden sich gestoßen fühlten, war nun zum Teil richtig, jedoch mit Verleumdung vermischt. Paulus lehrte die Abschaffung des Gesetzes, aber in einer solchen Weise, dass demselben nicht nur sein Ansehen blieb, sondern vollends unverbrüchlich wurde; denn wie wir früher (zu 7, 51) darlegten, würden die Gebräuche inhaltslos gewesen sein, wäre nicht ihr eigentliches Ziel in Christus erschienen. Wer also lehrt, dass sie durch Christi Ankunft beseitigt wurden, ist weit entfernt, das Gesetz zu schmähen; er bekräftigt vielmehr dessen Wahrheit. Auf zwei Stücke gilt es bei den Gebräuchen zu achten: auf den wirksamen Inhalt und den äußerlichen Gebrauch. Nun ergibt sich die Abschaffung des äußeren Gebrauchs, die bei Christi Kommen erfolgt, eben daraus, dass er selbst der eigentliche Körper ist: alles frühere Schattenwerk findet in ihm seine Vollendung. Wenn man in dieser Weise und aus dem Sinne des Gesetzes selbst heraus dessen Zweck derartig aufdeckt, dass beim Schwinden der bildlichen Handlungen ihre geistliche Wahrheit unerschütterlich festbleibt, so ist dies ganz etwas anderes als ein Abfall vom Gesetz. Wer dem Paulus das Brandmal solches Abfalls aufdrückte, verdrehte seine Meinung böswillig und missdeutete sie, obwohl er die Gläubigen von der äußeren Beobachtung des Gesetzes zurückhielt. Dass nun die Ältesten dem Apostel raten, er möge ein Gelübde auf sich nehmen, um seine Ehrfurcht vor dem Gesetz zu beweisen, will ihn lediglich zu dem Zeugnis veranlassen, dass er nicht etwa das Gesetz hasse wie ein gottloser und abtrünniger Mensch, der für seine Person das Joch des Herrn abschütteln und andere zu gleicher Auflehnung reizen möchte.

V. 21. Sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden. In der Tat lehrte Paulus, dass ohne Unterschied den Juden wie den Heiden Freiheit erworben sei. Denn es sind die Sprüche bei ihm ganz geläufig (1. Kor. 7, 19; Gal. 5, 1; Kol. 2, 11 ff.): „Die Beschneidung ist nichts.“ „Wir sind in Christus durch die Taufe beschnitten, nicht durch eine Beschneidung, die mit Händen gemacht ist.“ „So lasset nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder Trank oder Unterschied der Tage, welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war; aber der Körper selbst ist in Christus.“ „So lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ Überhaupt genügt die eine Stelle (Gal. 3, 24 f.), in welcher Paulus das Gesetz einem Zuchtmeister vergleicht, unter dessen Obhut die Gemeinde des Alten Bundes während ihres Kindesalters sich befand, - nachdem sie aber Christi Gnade erkannt hat, ist sie herangewachsen und soll von den Gebräuchen frei sein. Und wenn Paulus ausführt (Kol. 2, 14), dass die Handschrift des Gesetzes, das in Satzungen bestand, von Christus aus dem Mittel getan und an das Kreuz geheftet sei, so befreit er die Juden ganz ebenso wie die Heiden vom Dienst der Gebräuche, die er eben als Satzungen bezeichnet. Indem er aber die Gebräuche nicht kurzweg verwarf, sondern lehrte, dass ihre Beachtung durch Christi Ankunft ihr Ziel und Ende gefunden habe, vollzog er doch nicht jenen Abfall, den übel wollende Leute ihm andichteten. Den Ältesten war nun die freie Stellung des Paulus sicher nicht unbekannt. Bei rechter Erwägung konnten sie also nichts anderes wollen, als den unerfahrenen und unreifen Leuten einen Beweis geben, dass Paulus durchaus nicht darauf ausgehe, die Juden zur Verachtung des Gesetzes anzuleiten. Darum sehen sie nicht die Sache an, wie sie an sich liegt, sondern wollen dem Urteil des Volks über Paulus entgegentreten, das, wie sie wohl wussten, aus böswilligen Zwischenträgereien entstanden war. Immerhin könnte es sein, dass sie die Zumutung an Paulus dringlicher stellten als recht und billig war.

V. 22. Allerdinge muss die Menge zusammenkommen. Es wäre ja unpassend gewesen, einen so berühmten Apostel nicht vor der ganzen Versammlung der Gläubigen auftreten zu lassen: wäre er dem Licht und der Begegnung mit dem Volk ausgewichen, so hätte dies den üblen Verdacht nur gesteigert. Wir sehen also, wie die Ältesten in rechter Bescheidenheit handelten, als sie, um die Eintracht zu pflegen, rechtzeitig vorbeugten, dass das Volk nicht vor den Kopf gestoßen werde. Freilich gegen sie vielleicht der Schwachheit zu viel nach, indem sie dem Paulus das Gelübde zumuten. Jedenfalls soll aber in der Gemeinde das Maß gehalten werden, dass die Hirten bei aller Handhabung der Autorität nicht stolze Herrscher werden, die das übrige Volk verachten. Die Abstufung der Ämter ist ein Band des Friedens und darf unter keinen Umständen Anlass zum Zwiespalt werden.

V. 23. Tue dies, das wir dir sagen. Wie ich schon andeutete, haben sich die Ältesten vielleicht durch übergroße Liebe zu ihrem Volk zu einer törichten Nachgiebigkeit verleiten lassen. Ein ganz klares Urteil aber über die Sache würde sich erst aus den Umständen ergeben, die ihnen deutlich vor Augen standen, uns aber heute unbekannt sind. Fast die ganze Gemeinde bestand aus Juden, so dass man nicht zu befürchten brauchte, den Heiden Anstoß zu geben: denn in andern Gegenden bot eben dies Anlass zur Spaltung, dass die Juden an ihre Sitte sich klammerten und das Gesetz andern auflegen wollten. Des Weiteren drängte in Jerusalem so viel darauf hin, die Gebräuche des Gesetzes zu beobachten, dass es sich leichter entschuldigen ließ, wenn man nur langsam davon loskam. So war jener Eifer nicht fehlerfrei; doch war es schwierig, zu etwas Besserem zu kommen, was sich nicht plötzlich erreichen ließ. Indessen kann man nicht leugnen, dass die Unwissenheit sich auch mit Hartnäckigkeit paarte. Die Ältesten trugen dies aber, um nicht durch gewaltsame Heilmittel nur größeren Schaden anzurichten.

V. 24. Vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich. Obwohl diese Leute zu den Gläubigen gehören, haftet an ihrem Gelübde etwas von Aberglauben. Wahrscheinlich waren sie noch Neulinge, ihr Glaube zart und noch nicht völlig ausgereift. Darum ließen die Lehrer es zu, dass sie ein in Unwissenheit leichthin übernommenes Gelübde durchführten. Bei Paulus hatte die Sache eine andere Bewandtnis, da er ja das Gelübde nicht um seines eigenen Gewissens willen auf sich nahm, sondern denen zuliebe, deren Irrtum er einigermaßen entgegenkam. Es handelte sich also in diesem Gebrauch um ein so genanntes Mittelding, welches zu beobachten oder zu unterlassen den Gläubigen freisteht. Allerdings war dabei einiges untergemischt, was mit dem Bekenntnis des Glaubens wenig stimmte. Weil aber, wie wir früher (18, 18) sagten, der Zweck Dankeserstattung war und in dem Gebrauch selbst nichts wider den Glauben an Christus stritt, trug Paulus kein Bedenken, sich zur Bezeugung seiner wahren Frömmigkeit der Sache anzubequemen. Er tat also, was er anderwärts von sich rühmt (1. Kor. 9, 20): „Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden als unter dem Gesetz.“ Er ist eben jedermann alles geworden, um alle zu gewinnen, ohne sich doch unter dem Vorwand der Liebe einer Entweihung des Heiligen schuldig zu machen. An einem feierlichen Sühnopfer hätte er sich nicht in dieser Weise beteiligen dürfen. Dieses Stück der Gottesverehrung aber, das in einem Gelübde zum Ausdruck kam, durfte er als ein gleichgültiges wohl auf sich nehmen, wenn es nur nicht aus Gewissenspeinlichkeit geschah, sondern im Entgegenkommen gegen die Schwachen. Wir sollen also wissen, dass Paulus nicht heuchelte, sondern klar und ehrlich bekannte, dass er keinen Hass gegen das Gesetz hege, vielmehr ehrfürchtig von ihm denke. Der Ausdruck: wende die Kosten an sie erklärt sich daraus, dass die Teilnehmer an solchem Opfer und Gelöbnis die Kosten gemeinsam aufzubringen pflegten.

V. 25. Denn den Gläubigen aus den Heiden usw. Damit wollen die Ältesten dem Verdacht wehren, als wären sie am Werk, den Heiden die früher zugestandene Freiheit jetzt wieder zu nehmen. Den Juden hätte die gleiche Freiheit zugestanden: aber sie machten davon keinen Gebrauch, weil sie noch immer an ihren Gewohnheiten hingen. Darum ist von ihnen jetzt keine Rede. Ausdrücklich aber muss vorgebeugt werden, dass nicht etwa die Juden nach ihrer Weise die Heiden als unheilige und unreine Leute verachteten, weil sie weder beschnitten noch in der gesetzlichen Gottesverehrung auferzogen waren.

26Da nahm Paulus die Männer zu sich und heiligte sich des andern Tages mit ihnen und ging in den Tempel und ließ sich sehen, wie er aushielte die Tage, auf welche er sich heiligte, bis das für einen jeglichen unter ihnen das Opfer gebracht ward. 27Als aber die sieben Tage sollten vollendet werden, sahen ihn die Juden aus Asien im Tempel und erregeten das ganze Volk, legten die Hände an ihn und schrien: 28Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehret wider dies Volk, wider das Gesetz und wider diese Stätte; auch dazu hat er Griechen in den Tempel geführet und diese heilige Stätte gemein gemacht. 29Denn sie hatten mit ihm in der Stadt Trophimus, den Epheser, gesehen; denselbigen meineten sie, Paulus hätte ihn in den Tempel geführet. 30Und die ganze Stadt war beweget, und ward ein Zulauf des Volks. Sie griffen aber Paulus und zogen ihn zum Tempel hinaus; und alsbald wurden die Türen zugeschlossen.

V. 26. Manche Ausleger sagen, es sei dem Paulus übel bekommen, dass er eine neue und ungewohnte Rolle spielte und nicht standhaft genug, wie er sonst pflegte, die von Christus erworbene Freiheit behauptet habe. Gewiss straft Gott oft einen törichten Plan durch unglücklichen Ausgang. Aber ich sehe nicht ab, wieso dies für Paulus gelten dürfe, der in freiwilliger Unterwerfung die Zuneigung unreifer und noch nicht genügend unterwiesener Leute gewinnen wollte, um ihnen zu nützen. Zudem handelte er nicht nach eigenem Einfall, sondern wollte lieber den Brüdern nachgeben, als auf seinem Urteil verharren. Hätte er weiter Vertrauen gewonnen, so würde er jenen Gesetzeseifer allmählich gemildert haben. Vielmehr verdient sein menschenfreundliches Verfahren Anerkennung. Er kommt den Schwachen zu ihrem Nutzen entgegen und wirft ihnen nicht einmal vor, dass sie gar zu schnell seinen Verleumdern geglaubt hätten. Auch gegen Jakobus und seine Amtsgenossen hätte er wohl schärfer auftreten und ihnen sagen können, dass sie zu wenig Wert darauf gelegt hätten, das Volk vom Irrtum zu befreien. Denn wenn sie auch ohne Zweifel treu und recht gelehrt haben, mochte es doch wohl sein, dass der Anblick des Tempels, dieser eigentlichen Residenz des Gesetzes, sie etwas hinderte, für die Durchführung der Freiheit einzutreten. Und doch beruhigt sich Paulus bei ihrem Rat, sei es, dass er aus freien Stücken sein Recht aufgab, sei es, dass er meinte, die andern wüssten besser, was hier am Platze sei. Leute, die ein offenes Bekenntnis ihres Glaubens scheuen, dürfen sich aber für ihre treulose Heuchelei nicht auf Paulus berufen.

V. 27. Die Juden aus Asien. Es ist kein Zweifel, dass dieselben Feinde des Christennamens waren. Indem also Paulus darauf bedacht ist, die Gläubigen zu besänftigen, verfällt er der Wut der Feinde. Es sind nun Kleinasiaten, die den Aufruhr schüren; indessen hatte der Hass das Volksgemüt derartig verderbt, dass plötzlich alle von der Raserei ergriffen werden. Diese Stelle lehrt, dass wir nicht allzu unwillig werden dürfen, wenn zuweilen eine Hoffnung uns betrügt und mit bester Absicht gemachte Pläne nicht zu einem glücklichen Ende führen; wir haben nichts anderes zu tun, als mit reinem Gewissen zu handeln und uns dabei von Gottes Geist leiten zu lassen. Geht dann die Sache nicht nach Wunsch, so mag uns die innere Empfindung und Gewissheit aufrechterhalten, dass unser Streben dem Herrn gefällt, obwohl Menschen es tadeln und verspotten. Auch unsere Sanftmut darf uns nicht gereuen, wenn zuweilen verkehrte Leute uns mit ungerechtem Lohn vergelten.

V. 28. Ihr Männer von Israel, helft! Sie schreien wie in höchster Gefahr und rufen um Hilfe, als stände die ganze Religion auf dem Spiele. Wir sehen daraus, dass sie von rasendstem Hass gegen Paulus entbrannt waren. Auch der Leichtsinn, der ihnen eine falsche Meinung eingibt, sobald sie (V. 29) den Trophimus sehen, zeigt, mit welchem Gift sie erfüllt sind. Schändung des Heiligtums werfen sie dem Paulus vor, weil er angeblich einen unbeschnittenen Menschen in den Tempel geführt hat. Das schwerste Verbrechen begehen sie doch selbst, indem sie gegen einen unschuldigen Mann solches Vorurteil erregen. Solche Beispiele sollen uns lehren, vor maßlosen Stimmungen auf der Hut zu sein und leichtsinnigen Vorurteilen nicht den Zügel schießen zu lassen, damit wir uns nicht in blindem Ansturm auf Unschuldige werfen.

V. 30. Die ganze Stadt war beweget. Dass die Stadt über eine Sache, welche die Frömmigkeit angeht, sich erregt, ist nicht zu verwundern. Dass sie sich aber ohne Prüfung des Tatbestandes wider Paulus erhebt, ist ein Zeichen verkehrten Eifers und krankhafter Unbesonnenheit. Denn bei der Verderbtheit unserer Natur gesellt sich zur Torheit die Bosheit, so dass Leute, die man mit vielen Ermahnungen schwerlich zu rechtem Handeln bewegen würde, ohne Umstände und aus freien Stücken zum Schutz einer bösen Sache herbeistürzen. Es ist freilich eine bittere Lage, dass wenige Leute plötzlich die ganze Welt aufstacheln können, gegen uns die Waffen zu ergreifen; aber wenn es dem Herrn also gefällt, soll jeder von uns nach diesem und ähnlichen Beispielen sich rüsten, jeden Ansturm der Flut auszuhalten.

31Da sie ihn aber töten wollten, kam das Geschrei hinauf vor den obersten Hauptmann der Schar, wie das ganze Jerusalem sich empörte. 32Der nahm von Stund an die Kriegsknechte und Hauptleute zu sich und lief unter sie. Da sie aber den Hauptmann und die Kriegsknechte sahen, höreten sie auf, Paulus zu schlagen. 33Als aber der Hauptmann nahe herzukam, nahm er ihn an sich und hieß ihn binden mit zwei Ketten und fragte, wer er wäre und was er getan hätte? 34Einer aber rief dies, der andere das im Volk. Da er aber nichts Gewisses erfahren konnte um des Getümmels willen, hieß er ihn in das Lager führen. 35Und als er an die Stufen kam, mussten ihn die Kriegsknechte tragen vor Gewalt des Volks; 36denn es folgete viel Volks nach und schrie: Weg mit ihm! 37Als aber Paulus jetzt zum Lager eingeführet ward, sprach er zu dem Hauptmann: Darf ich mit dir reden? Er aber sprach: Kannst du Griechisch? 38Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht hat und führete in die Wüste hinaus viertausend Meuchelmörder? 39Paulus aber sprach: Ich bin ein jüdischer Mann von Tarsus, ein Bürger einer namhaften Stadt in Cilicien. Ich bitte dich, erlaube mir zu reden zu dem Volk. 40Als er aber ihm erlaubte, trat Paulus auf die Stufen und winkte dem Volk mit der Hand. Da nun eine große Stille ward, redete er zu ihnen auf ebräisch und sprach:

V. 31. Da sie ihn aber töten wollten usw. Sicherlich kommt die Macht Satans darin zur Erscheinung, dass er das Volk in derartige Wut stürzt; nachdem man die Türen des Tempels geschlossen hat, geben sie sich nicht mit einer mäßigen Strafe zufrieden, sondern drängen auf den Tod des Paulus hin. Wir sollen uns dabei vergegenwärtigen, dass es eben der Satan ist, der die Feinde der Frömmigkeit in Bewegung setzt; dann wird ihre noch so grausame und aufrührerische Wut und nicht verwirren. Auf der andern Seite leuchtet die wunderbare Güte Gottes hell auf, indem er plötzlich den obersten Hauptmann der Schar, d. h. den Befehlshaber der römischen Besatzung, veranlasst, für das Leben des Paulus schützend einzutreten. Dieser selbst denkt zwar an derartiges nicht, sondern eilt herbei, um den Volkstumult zu zügeln. Umso heller lässt der Herr aber seine Vorsehung leuchten, indem das Leben des Apostels ohne menschlichen Plan aus der andrängenden Gefahr gerissen ward. So lässt er die Gläubigen nicht bloß leiden, sondern beinahe erdrückt werden, um sie durch ein desto größeres Wunder mitten aus dem Tode zu reißen.

V. 32. Da sie aber den Hauptmann sahen usw. Die weder durch Gottes Majestät noch durch heilige Scheu vor dem Tempel ihre Wut bändigen ließen, sehen sich jetzt durch die Furcht vor einem unheiligen Menschen bestimmt. Man sieht daraus, dass nicht heiliger Eifer, sondern barbarische Grausamkeit sie entzündet hatte. Dass der Tribun den Paulus mit zwei Ketten binden hieß, zeigt deutlich, dass er nicht kam, um ihm Erleichterung zu bringen. Ist es nun auch hart für einen heiligen Diener Gottes, so schmachvoll behandelt zu werden, so muss man doch im Vergleich mit den Juden das billige Verfahren des Oberhauptmanns loben. Er legt dem Apostel wie einem Verbrecher und Übeltäter Ketten an; doch lässt er sich herbei, den Gefesselten, den jene mit Schlägen umbringen wollten, zu hören; ohne Feststellung des Tatbestandes will er nichts Härteres beschließen. Es war sogar das beste Mittel, die Wut zu stillen, dass das Volk nun hoffte, es werde über Paulus alsbald die Todesstrafe verhängt werden.

V. 34. Einer aber rief dies, der andre das. In jeder Weise verrät sich die Unsinnigkeit des tobenden Volkes. Sie brüllen widerstreitende Rufe in die Luft. Einstimmig fordern sie nur, dass ein Mensch, der keines Verbrechens überführt war, sterben solle. Dabei ist kein Zweifel, dass der Schein eines heiligen Eifers sie blind gemacht hatte. Wahre Eiferer um Gott, wie es etwa die Märtyrer waren, treten für eine Sache ein, die sie als richtig klar erkannt haben, wütende Raserei dagegen ist vom Teufel eingegeben. Das Lager, von dem hier die Rede ist, war die Unterkunftsstätte der Stadtbesatzung, ringsum befestigt wie eine Burg als ein geschützter Stützpunkt, von welchem aus man einen Ansturm abschlagen und bei einem Aufruhr einschreiten konnte. Bei der zweifelhaften Zuverlässigkeit des Volks wäre es nicht sicher genug gewesen, die Soldaten in Quartiere der aufgeregten Stadt zu verteilen. Dass dies Lager sich auf einem erhöhten Platze befand, geht auch daraus hervor, dass die Kriegsknechte den Paulus tragen mussten, als man zu den Stufen kam.

V. 37. Darf ich mit dir reden? Paulus tut, was alle Knechte Gottes tun sollen, und stellt sich zur Verteidigung seiner Sache bereit. So weit irgend zulässig, sollen wir ja uns bemühen, unsere Redlichkeit jedermann bekannt werden zu lassen, damit nicht aus einer üblen Nachrede, die wir tragen müssen, eine Schmach auf Gottes Namen falle. Wenn der Oberhauptmann fragt, ob Paulus der Ägypter und Räuber sei, der vor nicht langer Zeit eine große Menge von Menschen zum Aufruhr verführt hatte, so wollen wir uns sagen, dass Christi Diener niemals Schmähungen entgehen können, wenn sie sich auch noch so ruhig und bescheiden halten und von aller Schuld frei sind. Wir müssen uns an solche Lästerungen gewöhnen und immer bereit sein, Gutes zu tun, während man uns Böses nachredet. Von jenem aufrührerischen Propheten aus Ägypten erzählt der jüdische Schriftsteller Josephus (Altertümer 18, 6), dass er unter dem Landpfleger Felix eine Schar von Menschen zusammenbrachte und auf den Ölberg führte, von welchen vierhundert getötet, zweihundert gefangen, die übrigen aber zerstreut wurden. Das Ereignis lag nicht weit zurück; da nun der Anstifter des Aufruhrs entkommen und die ganze Umgegend den Räubern feindlich gesinnt war, kann der Tribun den Paulus wohl fragen, ob er, gegen den sich ein derartiger allgemeiner Hass richtete, nicht jener Ägypter sei. Genaueres über die Unterredung erzählt Lukas nicht; da aber der Tribun und Paulus gleicher weise griechisch sprechen konnten, werden sie gewiss noch weitere Reden ausgetauscht haben. Die Folge war, dass Paulus sich hinreichend rechtfertigen konnte und nun die Erlaubnis erhielt, zum Volke zu reden. Einem Verbrecher hätte ja der Oberhauptmann niemals erlaubt, in einer so verdächtigen Stadt öffentlich zu sprechen.

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