Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 16.

Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 16.

1 Er kam aber gen Derbe und Lystra; und siehe, ein Jünger war daselbst mit Namen Timotheus, eines jüdischen Weibes Sohn, die war gläubig, aber eines griechischen Vaters. 2 Der hatte ein gut Gerücht bei den Brüdern unter den Lystranern und zu Ikonion. 3 Diesen wollte Paulus lassen mit sich ziehen; und nahm und beschnitt ihn um er Juden willen, die an denselbigen Orten waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater war ein Grieche gewesen. 4 Wie sie aber durch die Städte zogen, überantworteten sie ihnen zu halten den Spruch, welcher von den Aposteln und den Ältesten zu Jerusalem beschlossen war. 5 Da wurden die Gemeinen im Glauben befestigt und nahmen zu an der Zahl täglich.

V. 1. Jetzt beginnt Lukas zu erzählen, welche Fortschritte dem Paulus nach seiner Trennung von Barnabas beschieden waren. Zunächst berichtet er, dass er zu Lystra den Timotheus als Begleiter annahm. Damit wir aber wissen, dass Paulus nichts leichtfertig und unbesonnen tat, sagt Lukas ausdrücklich (V. 2), dass Timotheus ein gut Gerücht bei den Brüdern hatte. So beobachtet der Apostel jetzt selbst, was er sonst anordnet, dass man bei der Annahme von Dienern am Wort die rechte Auswahl treffen solle. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass die Weissagungen, durch welche nach dem Zeugnis des Paulus der heilige Geist auf den Timotheus auszeichnend hindeutete (1. Tim. 1, 18), damals bereits ergangen waren.

V. 3. Und beschnitt ihn um der Juden willen. Damit drückt Lukas geflissentlich aus, dass Timotheus nicht beschnitten wurde, weil es etwa notwendig gewesen wäre oder weil man noch mit religiöser Scheu an diesem Zeichen hing, sondern weil Paulus Anstoß vermeiden wollte. Man nahm also in dieser vor Gott freien Sache auf die Menschen Rücksicht; darum war die Beschneidung des Timotheus nicht ein Sakrament, wie es dem Abraham und seinen Nachkommen gegeben war, sondern ein „Mittelding“ oder ein in sich gleichgültiger Gebrauch, der sich lediglich auf die Pflege der Liebe bezog, nicht aber als Übung der Frömmigkeit gelten sollte. Dabei erhebt sich die Frage, ob Paulus ein leeres Zeichen anwenden durfte, dessen Bedeutung und Kraft abgetan waren. Es scheint sich um ein Spiel zu handeln, das sich von Gottes Einsetzung entfernt, da ja die Beschneidung eine göttliche Ordnung war, die nur bis zu Christi Ankunft währen sollte. Demgegenüber sage ich, dass die Beschneidung freilich mit Christi Ankunft dahin fiel, dass aber ihr Gebrauch nicht sofort völlig ausgetilgt wurde, sondern frei blieb, bis unter dem helleren Aufgang des Lichtes des Evangeliums jedermann erkannte, dass Christus des Gesetzes Ende ist. Inwiefern aber die Beschneidung ein gleichgültiger Gebrauch war, ist aus der Art der Freiheit leicht zu ersehen. Weil man über die Berufung der Heiden noch nicht allenthalben Bescheid wusste, gebührte den Juden noch ein gewisser Vorzug. Bis also die volle Erkenntnis sich Bahn brach, dass die Gotteskindschaft vom Geschlecht Abrahams auf alle Völker überging, durfte man, je nachdem es zur Erbauung diente, das Zeichen der Trennung beibehalten. Denn wenn Paulus den Titus nicht beschnitten wissen wollte und diese Unterlassung für recht erklärt (Gal. 2, 3), so ergibt sich, dass dieser Gebrauch nicht unterschiedslos und ohne jede Auswahl frei war. Also musste man auf die Erbauung und den öffentlichen Nutzen der Gemeinde sehen. Weil Paulus mit Beschneidung des Titus die reine Lehre des Evangeliums verraten und sich den Verleumdungen der Feinde ausgesetzt hätte, enthielt er sich des sonst freien Gebrauchs der Zeremonie, den er sich bei Timotheus gestattete, als es ihm für die Gemeinde nützlich schien. Auf Grund dessen lässt sich leicht durchschauen, welch schreckliche Verwirrung im Papsttum eingerissen ist. Es gibt dort einen unermesslichen Haufen von Gebräuchen; was soll dies, wenn man nicht statt des einen Vorhangs des alten Tempels deren hundert aufspannen will? Um die Wahrheit des Evangeliums heller erstrahlen zu lassen, hat Gott die von ihm selbst verordneten Gebräuche abgeschafft; nun haben sich die Menschen erkühnt, neue einzuführen, und zwar ohne alles Maß. Dazu kommt die böse Erdichtung, dass alle diese Dinge ein Gottesdienst seien; endlich stellte sich die teuflische Zuversicht auf eigenes Verdienst ein, die jeden echten Glauben erdrückte. Wer also unterschiedslos den Gebrauch aller Zeremonien für frei erklärt, erhebt für den Papst höhere Ansprüche als selbst Gott für sein Gesetz. Dabei rede ich noch nicht einmal von der Messe und ähnlichen Schmutzereien, die offenbaren Götzendienst in sich schließen.

Sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche, also ein Heide gewesen. Damit lässt Lukas als die Absicht des Paulus erkennen, dem Timotheus Eingang bei den Juden zu verschaffen; sie sollten vor ihm nicht wie vor einem unheiligen Menschen zurückschrecken. Da die Mutter keine Gewalt über die Kinder besaß, mussten sie ihn als den Sohn eines griechischen Vaters für unbeschnitten halten. Hier kann man ersehen, in welch jämmerlicher Knechtschaft sich Gottes Volk damals befand. Eunike, die Mutter des Timotheus, gehörte zu jenen spärlichen Resten, welche die Juden selbst wie ein Wunder anstaunten; und doch wurde sie einem ungläubigen Manne zur Ehe gegeben und wagte nun nicht, ihre Kinder dem Herrn zu weihen; wenigstens gab sie ihnen nicht das äußere Zeichen der Gnade, obwohl sie nicht unterließ, ihren Sohn von frühester Kindheit an heilig und in der Furcht und wahren Verehrung Gottes zu unterweisen. Damit gab sie freilich ein nachahmenswertes Beispiel für solche Frauen, welche die Männer durch ein tyrannisches Regiment abschrecken, ihre Kinder in wahrer Frömmigkeit zu erziehen.

V. 4. Überantworteten sie ihnen zu halten den Spruch. Diese Mitteilung lässt ersehen, wie eifrig Paulus nach Frieden strebte. In der gegebenen Lage war es für die Pflege der Eintracht das beste Band, dass man hielt, worüber die Apostel übereingekommen waren. Wie ich aber schon sagte (zu 15, 28), kam dem Paulus nichts weniger in den Sinn, als die Gewissen in eine angebliche Notwendigkeit zu verstricken. Er gerät nicht in Widerspruch mit dem, was er sonst sagt (Tit. 1, 15; Röm. 14, 2. 17; 1. Kor. 8, 8; 10, 25): „Den Reinen ist alles rein. Wer stark ist, kann alles essen. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. Die Speise fördert uns vor Gott nicht. Alles, was feil ist auf dem Fleischmarkt, das esset, und forschet wegen des Gewissens nichts.“ Aber mit einem einzigen Wort vereinigt er damit, was sonst wenig zusammenzustimmen scheint, indem er befiehlt, dass man sich im Blick auf das Gewissen des Nächsten des Götzenopferfleisches enthalten solle. Dabei hütet er sich doch peinlich, die frommen Seelen an menschliche Gesetze zu binden. Wir erstreben also heutzutage nichts anderes als Paulus. Übrigens ist es ein grober Spott, wenn die Papisten ihre Gesetze mit dem Aposteldekret vergleichen. Die Apostel hatten keinen neuen Gottesdienst ersonnen, keine neue Herrschaft über die Geister aufgerichtet, sondern im Streben nach Frieden die Heiden ermahnt, den Juden in einigen Stücken entgegenzukommen. Wenn dagegen die Papisten menschliche Gemächte für einen den Seelen notwendigen Gottesdienst erklären und, was Gottes alleiniges Recht ist, auf Menschen übertragen, die über die Seelen herrschen sollen, so zwingt uns dies zu entschiedenem Widerstand, wollen wir anders nicht durch treuloses Schweigen die durch Christi Blut erworbene Gnade preisgeben.

V. 5. Da wurden die Gemeinen im Glauben befestigt. Daraus schließen wir, dass es nur eine Beigabe und Nebensache war, was Lukas von den Beschlüssen der Apostel soeben meldete; denn jetzt rühmt er eine ganz andere Frucht der Belehrung des Paulus. Es steht also die Religion und Frömmigkeit, deren einziges Fundament der Glaube ist, an erster Stelle; und dieser Glaube wiederum stützt sich auf Gottes reines Wort und hängt nicht an menschlichen Gesetzen. Auch eine weitere Frucht der Predigt wird angegeben: die Gemeinden nahmen zu an der Zahl täglich. Zugleich können wir daraus entnehmen, dass die zuerst Berufenen in demselben Maße, als sie im Glauben wuchsen, viele andere zu Christus führten; so wuchs der Glaube gleichsam durch immer neue Setzlinge weiter.

6Da sie aber durch Phrygien und das Land Galatien zogen, ward ihnen gewehret von dem heiligen Geiste, zu reden das Wort in Asien. 7Als sie aber kamen an Mysien, versuchten sie durch Bithynien zu reisen; und der Geist ließ es ihnen nicht zu. 8Sie zogen aber an Mysien vorüber und kamen hinab gen Troas. 9Und Paulus erschien ein Gesicht bei der Nacht; das war ein Mann aus Mazedonien, der stand und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10Als er aber das Gesicht gesehen hatte, da trachteten wir alsobald, zu reisen nach Mazedonien, gewiss, dass uns der Herr dahin berufen hätte, ihnen das Evangelium zu predigen.

V. 6. Da sie aber durch Phrygien zogen usw. Hier berichtet Lukas, wie eifrig und ernst Paulus mit seinen Begleitern dem Lehramt oblag; sie reisten durch verschiedene Landschaften Kleinasiens, um das Evangelium auszubreiten. Als eine besonders denkwürdige Tatsache wird aber verzeichnet, dass ihnen von dem heiligen Geiste gewehret ward, an jedem beliebigen Orte das Wort von Christus zu reden. Dass sie ohne Unterschied, wohin sie kamen, sich zum Lehren bereit hielten, taten sie nach ihrer Berufung und Gottes Auftrag; denn sie waren gesandt, das Evangelium unter den Heiden ohne Ausnahme zu verbreiten. Aber der Herr offenbarte, indem er ihren Lauf lenkte, seinen bis dahin verborgenen Ratschluss von Schritt zu Schritt. Doch kann man eine Frage aufwerfen: wenn Paulus niemals ohne die Leitung des Geistes lehrte, wie sollen dann heute die Diener der Kirche ihrer Berufung gewiss werden, welche kein Orakelspruch darüber unterweist, wann sie reden oder wann sie schweigen sollen? Ich antworte: weil dem Paulus ein so ungeheuer weites Gebiet angewiesen war, bedurfte er einer besonderen Leitung des Geistes; er war als Apostel nicht nur für einen Ort oder wenige Städte bestimmt, sondern hatte Befehl empfangen, das Evangelium durch Asien und Europa auszubreiten, - und das hieß ein Weltmeer durchschiffen. Darum dürfen wir uns nicht wundern, dass bei dieser unübersichtlichen Weite Gott ihm gleichsam mit ausgereckter Hand ein Zeichen gab, wohin er gehen oder wie weit er fortschreiten sollte. Doch erhebt sich hier eine andere noch schwierigere Frage, nämlich warum der Herr dem Paulus wehrte, in Asien, d. h. in der römischen Provinz Kleinasien, zu predigen, und weshalb er ihn nicht (V. 7) nach Bithynien kommen ließ. Wollte man nämlich antworten, dass jene Volksstämme der Heilslehre unwert gewesen seien, so lässt sich die Gegenfrage stellen: War Mazedonien etwa würdiger? Leute, die klüger sein wollen, als sich gebührt, suchen den Grund solches Unterschiedes in den Menschen und sagen, dass der Herr diejenigen, von denen er voraussieht, dass sie zum Gehorsam des Glaubens geneigt sein werden, seines Evangeliums würdigt. Er selbst hat es doch ganz anders verkündigt (Jes. 65, 1): „Ich werde gesucht von denen, die nicht nach mir fragten; ich werde gefunden von denen, die mich nicht suchten.“ Denn woher anders stammen Gelehrigkeit und Bereitschaft als aus Gottes Geist? Darum steht fest, dass es nicht auf Verdienst beruht, wenn der eine dem andern vorgezogen wird; von Natur sind alle gleicher weise dem Glauben abgewandt. Darum ziemt es sich, dass man dem Herrn seine Freimacht lasse, seiner Gnade zu würdigen oder zu berauben, welche er will. Und wir sollen wissen, dass uns das Evangelium allein aus dem Quell reiner Gnade zufließt. Gott selbst hat freilich einen gerechten Grund, weshalb er bestimmten Leuten sein Evangelium anbietet, andere aber übergeht; aber ich sage, dass jener Grund in seinem geheimen Rat verborgen ist. Dabei sollen also die Gläubigen wissen, dass sie unter Zurückstellung der andern durch freie Gnade berufen wurden und sollen nicht sich selbst zuschreiben, was allein aus Gottes Erbarmen stammt. An den übrigen aber, welche Gott ohne erkennbare Ursache verwirft, sollen sie den tiefen Abgrund seines Gerichts, den man nicht erforschen dar, bewundern lernen.

V. 9. Ein Gesicht bei der Nacht. Der Herr wollte nicht, dass Paulus länger in Asien weile, da er ihn nach Mazedonien ziehen wollte. Lukas beschreibt die Weise, wie er ihn zog: er erschien ihm bei der Nacht ein mazedonischer Mann. Dabei bemerken wir, dass der Herr sich nicht immer an die gleiche Weise der Offenbarung hielt, da ein mannigfaches Verfahren zu besserer Bekräftigung dient. Es wird nun nicht gesagt, dass dieses Gesicht dem Paulus im Schlaf, sondern nur, dass es ihm bei der Nacht dargeboten ward; gibt es doch auch nächtliche Gesichte, die dem Menschen in wachendem Zustand begegnen.

Hilf uns! Diese Ausdrucksweise bedeutet einen Ruhm für das Amt, welches dem Paulus übertragen war. Wenn das Evangelium eine rettende Gotteskraft ist (Röm. 1, 16), so kann man auch von seinen Dienern sagen, dass sie verlorenen Menschen Hilfe bringen, sie aus dem Tode reißen und zum Erbe des ewigen Lebens führen. Es muss für fromme Lehrer ein lebendiger Stachel sein, die Glut ihres Eifers zu wecken, wenn sie vernehmen, dass sie arme Seelen vom Untergang zurückrufen und sonst verlorenen Menschen rettende Hilfe bringen. Anderseits empfangen hier alle Völker, denen das Evangelium gebracht wird, die Lehre, dass sie seine Diener als ihre Befreier mit Ehrfurcht umfangen müssen, wenn sie nicht Gottes Gnade böswillig verachten wollen. Indessen gilt dies Lob Menschen nicht etwa in solcher Weise, dass dadurch Gott auch nur des geringsten Teils seines Lobes beraubt würde. Wenn er auch durch seine Diener das Heil wirkt, so ist er doch allein der Urheber: es ist nur, als streckte er seine Hände aus, Hilfe zu bringen.

V. 10. Gewiss, dass uns der Herr dahin berufen hätte. Daraus schließen wir, dass nicht ein bloßes, sondern ein durch das Zeugnis des Geistes bekräftigtes Gesicht dem Paulus zuteil ward; Satan nämlich missbraucht oft Erscheinungen und Gesichte zu seinen Täuschungen, ungläubige Leute irrezuführen. Ein bloßes Gesicht lässt den Geist des Menschen in der Schwebe; wahrhaft göttliche Gesichte aber kennzeichnet der Geist durch ein bestimmtes und greifbares Merkmal. Dem Brutus erschien ein böser Geist und lud ihn zu jener unglücklichen Schlacht ein, die er dann zu Philippi schlug (42 v. Chr.), an demselben Orte, zu dem alsdann Paulus berufen ward. Wie aber die Sache eine ganz verschiedene war, so hat auch der Herr ganz anders mit seinem Knecht gehandelt: er nahm ihm jeden Zweifel und ließ ihn nicht in starrer und dumpfer Furcht. Bei Paulus und seinen Begleitern folgte nun der Gewissheit sofort der Eifer des Gehorsams; sobald es ihnen klar ist, dass der Herr sie ruft, rüsten sie sich zum Aufbruch.

11Da fuhren wir aus von Troas; und strackes Laufs kamen wir nach Samothracien, des andern Tages gen Neapolis, 12und von dannen gen Philippi, welche ist die Hauptstadt des Landes Mazedonien und eine Freistadt. Wir hatten aber in dieser Stadt unser Wesen etliche Tage. 13Am Tage des Sabbats gingen wir hinaus vor die Stadt an das Wasser, da man pflegte zu beten, und setzten uns und redeten zu den Weibern, die da zusammenkamen. 14Und ein gottesfürchtig Weib mit Namen Lydia, eine Purpurkrämerin aus der Stadt der Thyatirer, hörete zu; dieser tat der Herr das Herz auf, dass sie drauf achthatte, was von Paulus geredet ward. 15Als sie aber und ihr Haus getauft ward, ermahnte sie uns und sprach: So ihr mich achtet, dass ich gläubig bin an den Herrn, so kommt in mein Haus und bleibet allda. Und sie nötigte uns.

V. 11. Diese Geschichte zeigt wie in einem Spiegel, wie scharf der Herr den Glauben und die Geduld seiner Diener übte, indem er ihnen gewaltige Schwierigkeiten in den Weg warf, zu deren Überwindung nur eine einzigartige Standhaftigkeit ausreichte. Was Paulus beim Eintritt in Mazedonien erlebte, hätte die Glaubhaftigkeit seines Gesichts erschüttern können. Die heiligen Männer lassen die Arbeit, die sie unter Händen haben, liegen und setzen schnell über das Meer, als sollte ihnen das ganze Volk von Mazedonien begierig entgegenkommen, Hilfe zu erbitten. Nun entspricht der Erfolg so wenig der Hoffnung, dass der Predigt beinahe jeder Zugang verschlossen scheint. Wie sie zuerst die Stadt Philippi betreten, finden sie niemand, dem sie ihre Arbeit widmen können. So müssen sie sich auf das Feld begeben, um in der Stille und Einsamkeit zu predigen. Auch dort können sie nicht einen Mann erreichen, der ihrer Lehre das Ohr geliehen hätte; nur ein Weib gewinnen sie als Jüngerin für Christus, und noch dazu eine Fremde. Wer hätte nicht sagen müssen, dass jene so erfolglos anhebende Reise ein törichtes und unglückliches Unternehmen war? So aber treibt der Herr sein Werk unter niedriger und schwacher Hülle, damit endlich seine Macht umso heller hervorleuchte; besonders die Anfänge des Reiches Christi mussten so eingerichtet werden, dass sie nach der Niedrigkeit des Kreuzes schmeckten. Bemerkenswert ist aber die Standhaftigkeit des Paulus und seiner Begleiter, die sich durch einen so widrigen Anfang nicht erschüttern lassen, sondern die geringste Gelegenheit ergreifen, die sich wider Erwarten darbietet. Und sicherlich müssen Knechte Christi wider jegliche Hindernisse ankämpfen und den Schwierigkeiten nicht weichen. Wenn heute keine Frucht der Arbeit sich sehen lässt, müssen sie für morgen fortfahren; denn sie dürfen nicht verlangen, glücklicher zu sein als Paulus.

V. 13. Am Tage des Sabbats gingen wir hinaus usw. Ohne Zweifel pflegten die Juden einen abgelegenen Ort zu suchen, weil damals ihre Religion überall aufs äußerste verhasst war. Sie besaßen zwar an vielen Orten Synagogen, aber in Philippi, als einer römischen Kolonie, durften sie öffentliche Zusammenkünfte nicht halten. So fliehen sie in einen verborgenen Winkel, um ohne Zeugen ihren Gott anzubeten. Aber auch dies gönnte man ihnen nicht immer, und es konnte ihnen Belästigung und Gefahr bringen; aber sie wollen lieber Gott verehren als ruhig und unbelästigt bleiben. Dass übrigens Lukas wirklich von den Juden spricht, lässt sich auch aus seiner Erwähnung des Sabbats abnehmen; so muss die Lydia, deren Frömmigkeit er lobt, eine Jüdin gewesen sein. Wir verstehen nun, dass die Juden nicht etwa aus Aberglauben das Flussufer sich aussuchten, um dort zu beten, sondern dass sie sich dem Menschenschwarm und den Augen des Volks entziehen wollten. Sagt jemand dagegen, weshalb nicht jeder zu Hause für sich betete, so liegt die Antwort bereit: sie übten dieses feierliche gemeinsame Gebet, um ihre Frömmigkeit zu bezeugen, sich fern vom Aberglauben der Heiden untereinander zu ermahnen, den einen Gott zu verehren und die von den Vätern überkommene Religion miteinander zu pflegen. Paulus und seine Begleiter begaben sich nun an jenen Ort, weil sie dort auf einigen Erfolg hofften. Ein solcher vom Lärm entfernter Ort war wohl geeignet zur Lehre, und Leute, die zum Gebet daselbst zusammenkamen, mussten mit besonderer Aufmerksamkeit auf Gottes Wort merken.

Und redeten zu den Weibern. Vielleicht war die Stätte nur zur Zusammenkunft der Weiber bestimmt. Da es mich aber wahrscheinlicher dünkt, dass Männer und Weiber dort gemeinsam ihre Gebete hielten, nehme ich an, dass Lukas von den Männern schweigt, weil sie entweder überhaupt nicht hören wollten oder von ihrem Hören keinen Nutzen hatten.

V. 14. Lydia, aus der Stadt der Thyatirer. Thyatira lag in Lydien. Hätten einige wenige Weiber auf Paulus und seine Begleiter gehört, so wäre schon dies ein enger Spalt gewesen, durch den sie Zugang gewonnen hätten. Hört aber nur eine einzige Frau mit Aufmerksamkeit und Erfolg, konnte es dann nicht scheinen, als wäre Christus der Eintritt verbaut? Und doch erwächst alsbald aus jener schwachen Wurzel eine bedeutende Gemeinde, die Paulus durch hohes Lob auszeichnet. Möglicherweise allerdings hatte Lydia einige Genossinnen, die nicht genannt werden, weil sie selbst die bei weitem hervorragendste war. Als Grund dafür, weshalb diese eine Frau sich gelehrig zeigte, gibt Lukas aber nicht an, dass sie etwa scharfsinniger gewesen wäre als die andern oder sonst eine besondere Vorbereitung aus sich beigebracht hätte, sondern er sagt: dieser tut der Herr das Herz auf, dass sie auf die Rede des Paulus merkte. Ihre Frömmigkeit wurde soeben anerkennend erwähnt. Und doch wird uns eingeprägt, dass sie ohne Erleuchtung durch den Geist die Lehre des Evangeliums nicht anzunehmen vermochte. Wir sehen also, dass nicht bloß der Glaube, sondern jegliches Verständnis geistlicher Dinge eine besondere Gabe Gottes ist, und dass die Diener mit ihrem Reden nichts ausrichten, wenn nicht die innere Berufung Gottes hinzukommt. Als „Herz“ bezeichnet die Schrift zuweilen den Verstand, so in dem Wort des Mose (5. Mos. 29, 3): „Der Herr hat dir noch nicht ein Herz gegeben, dass du verständig wärest.“ So will auch an unserer Stelle Lukas nicht bloß sagen, dass der Geist die Lydia trieb, von ganzem Herzen das Evangelium zu ergreifen, sondern auch, dass ihr Geist zum rechten Verständnis erleuchtet ward. Wir lernen daraus, wie groß die Stumpfheit und Blindheit der Menschen ist; mit hörenden Ohren hören sie nicht, mit sehenden Augen sehen sie nicht, bis ihnen Gott neue Ohren und Augen schafft. Übrigens ist die Redeweise bemerkenswert: der Herr tat der Lydia das Herz auf, dass sie drauf achthatte, was von Paulus geredet ward. Einerseits ist die bloße Predigt nichts als ein toter Buchstabe; andrerseits müssen wir uns aber hüten, dass uns nicht ein falscher Wahn oder etwas wie eine geheime Erleuchtung vom Wort abführe, an welchem der Glaube hängt und auf welchem er ruht. Viele nämlich wollen die Gnadenwirkung des Geistes dadurch erheben, dass sie von irgendwelchen Eingebungen träumen, bei welchen für den Gebrauch des äußeren Wortes kein Raum mehr bleibt. Aber die Schrift lässt solche Trennung nicht zu, sondern verbindet den Dienst der Menschen mit dem verborgenen Anhauch des Geistes. Wäre das Herz der Lydia nicht geöffnet worden, so wäre die Predigt des Paulus ein Buchstabe geblieben. Indessen haucht ihr Gott nicht bloße Offenbarungen ein, sondern die Ehrfurcht vor seinem Wort, so dass nun die Stimme eines Menschen, die sonst in der Luft verflogen wäre, in das mit göttlichem Licht begabte Herz eindrang.

V. 15. Als sie aber und ihr Haus getauft ward usw. Hier sehen wir, wie kräftig Gott in kurzer Zeit in Lydia gewirkt hatte. Denn ohne Zweifel hat sie Paulus nicht eher zur Taufe zugelassen, als bis sie den Glauben an Christus in Wahrheit ergriffen und sich ihm zu eigen gegeben hatte. So gibt sie ein Beispiel ungemischter Bereitwilligkeit. Aber auch darin zeigen sich heiliger Eifer und Frömmigkeit, dass sie zugleich ihr Haus dem Herrn weiht. Und sicherlich müssen alle Frommen sich bemühen, Leute, die von ihnen abhängig sind, zu Genossen des Glaubens zu bekommen. Denn ein Mensch, der sein Haus regieren will und dabei nicht sorgt, dass Christus bei seiner Gattin, bei den Kindern, Knechten und Mägden Raum gewinnt, ist nicht wert, unter die Kinder Gottes gezählt zu werden und Gewalt über andere zu besitzen. Jeder Gläubige soll also darnach streben, dass sein Haus ein Abbild der Gottesgemeinde werde. Gewiss hatte Lydia nicht die Herzen aller ihrer Hausgenossen in der Hand, so dass sie nach ihrem Belieben zu Christus hätte bekehren können, welche sie wollte; aber der Herr segnete ihren frommen Eifer und machte ihre Hausgenossen willig und folgsam. So muss es, wie wir schon sagten, das Streben aller Frommen sein, von ihren Häusern jeglichen Aberglauben fernzuhalten, sodann ihre Familien von der Unheiligkeit hinweg zu der Furcht des Herrn zu leiten. So ließ Abraham, der Vater der Gläubigen, alle Knechte mit sich beschneiden, und er empfängt Lob wegen seiner Fürsorge für die Unterweisung seines Hauses. Wenn nun solche Pflicht schon einem Hausvater obliegt, wie viel mehr noch einem Fürsten; er darf, soviel an ihm ist, im Bereich seiner Herrschaft Gottes Namen nicht entweihen lassen.

Ermahnte sie uns und sprach usw. Die Rede der Lydia lautet wie eine Beschwörung: So ihr mich achtet, dass ich gläubig bin, bei dem Glauben, den ihr durch das Siegel der Taufe in mir anerkannt habt, beschwöre ich euch, dass ihr mein Angebot der Gastfreundschaft nicht von euch stoßet. Mit diesem brennenden Wunsch gab sie ein Zeugnis, wie ernst und begierig sie das Evangelium liebte. Dabei ist kein Zweifel, dass der Herr ihr solche Gesinnung ins Herz gegeben hatte, damit Paulus zu weiterem Fortfahren ermutigt würde, weniger, weil er sich so freundlich und gütig aufgenommen sah, als weil er nun den Schluss auf weitere Fortschritte der Lehre ziehen durfte. Es lädt also nicht bloß jene Frau, sondern Gott den Paulus und seine Begleiter zum Bleiben ein. Darauf deutet auch der nächste Satz: sie nötigte uns. Durch jenes Weib also tat Gott ihnen gleichsam Gewalt an.

16Es geschah aber, da wir zu dem Gebet gingen, dass eine Magd uns begegnete, die hatte einen Wahrsagergeist und trug ihren Herren viel Gewinst zu mit Wahrsagen. 17Dieselbige folgete allenthalben Paulus und uns nach, schrie und sprach: Diese Menschen sind Knechte Gottes des Allerhöchsten, die euch den Weg der Seligkeit verkündigen. 18Solches tat sie manchen Tag. Paulus aber, der sich belästigt fühlte, wandte sich um und sprach zu dem Geiste: Ich gebiete dir in dem Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfahrest. Und er fuhr aus zu derselbigen Stunde. 19Da aber ihre Herren sahen, dass die Hoffnung ihres Gewinstes war ausgefahren, nahmen sie Paulus und Silas, zogen sie auf den Markt vor die Obersten 20und führeten sie zu den Hauptleuten und sprachen: Diese Menschen machen unsre Stadt irre; sie sind Juden 21und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen noch zu tun, weil wir Römer sind. 22Und das Volk ward erregt wider sie; und die Hauptleute ließen ihnen die Kleider abreißen und hießen sie stäupen.

V. 16. Die weitere Erzählung zeigt, dass mehrere zum Glauben geführt wurden, und dass sich die Zahl der Gemeinde wenigstens in etwas mehrte; es war nicht vergeblich, dass Paulus die Versammlungen zur Gebetszeit besuchte. Zugleich aber berichtet Lukas, dass der Satan diesen Lauf unterbrach; nachdem die Apostel mit Ruten geschlagen und ins Gefängnis geworfen waren, sahen sie sich endlich gezwungen, die Stadt zu verlassen. Wir werden aber am Schluss des Kapitels sehen, dass trotz aller Machenschaften des Satans noch vor ihrem Weggang eine nicht ganz unbedeutende Gemeinde gesammelt war.

Hinter dem Wahrsagergeist, der aus einer Magd redete, barg sich ohne Zweifel der Teufel, in dessen Werkstätte ja jegliche Gestalt des Götzendienstes und abergläubischer Täuscherei geschmiedet wird. Allerdings könnte man sich wundern, dass der Teufel, unter dessen Antrieb die Magd schrie, ihre den ehrenvollen Titel sollte eingegeben haben, mit welchem sie den Paulus und Silas schmückte (V. 17): Knechte Gottes des Allerhöchsten. Wie stimmt es zusammen, dass er, als der schlimmste Feind des Evangeliums, die Herzen des Volks vorbereitet haben sollte, dasselbe zu hören? Der Vater der Lüge ist der Satan, aber nicht etwa in dem Sinne, dass er immer offen und handgreiflich löge; vielmehr muss man sich vor seinen verschlagenen Nachstellungen dann am meisten hüten, wenn er einen Schein der Wahrheit vorspiegelt und uns auf diese Weise mit hohlem Truge täuscht. Er hat eine doppelte Weise, das Evangelium zu bekämpfen; oft stürmt er auf offener Bahn dagegen an, zuweilen schleicht er sich aber mit Lügen ein, und er hat davon eine doppelte Art. Manchmal verkehrt er Gottes Wort durch falsche Lehren und groben Aberglauben; manchmal heuchelt er Freundschaft für das Wort und schleicht sich verschmitzt auf Umwegen ein. Und er ist niemals ein gefährlicherer Feind, als wenn er sich in einen Engel des Lichts verstellt. Nun begreifen wir, worauf das glänzende Lob abzielte, mit welchem Satan den Paulus und seine Begleiter erhob: da es ihm gerade nicht bequem lag, geflissentlich wider das Evangelium zu streiten, suchte er den Glauben an dasselbe durch verborgene Künste ins Wanken zu bringen. Denn hätte Paulus jenes Zeugnis zugelassen, so wäre für die Zukunft kein Unterschied zwischen der heilsamen Lehre Christi und dem täuschenden Spiel Satans gewesen; den Glanz des Evangeliums hätte Finsternis umhüllt und schließlich erstickt. Stellt nun Satan unterschiedslos allen Menschen solche Schlingen, so werden die Frommen doch durch Gottes Gnade behütet, damit sie nicht mit den andern ins Netz fallen. Die Schrift gibt deutliche Unterschiede an, weil ja der Herr lediglich den Glauben und die Frömmigkeit der Seinen prüfen will. Bei allen Anstrengungen des Satans und allen Finsternissen, die falsche Propheten zu verbreiten trachten, ist nicht zu fürchten, dass Gott uns mit seinem Geist der Weisheit und Unterscheidung verlasse: Er bändigt den Satan nach seinem Belieben und lässt uns durch den Glauben an sein Wort triumphieren.

V. 18. Paulus, der sich belästigt fühlte usw. Möglicherweise hat Paulus zunächst das Geschrei des Mädchens unbeachtet gelassen, weil er hoffte, man werde nichts darauf geben, und lieber gehabt hätte, dass es von selbst aufhöre. Aber die beständige Wiederholung erregt ihm endlich Überdruss, weil er sich weiter nicht verhehlen konnte, dass sein Schweigen und Dulden den Satan nur immer frecher machen würde. Weiter durfte er nicht eigenmächtig zur Abwehr schreiten, ehe er bestimmt wusste, dass er mit Gottes Kraft dafür gerüstet war; denn ohne Gottes Befehl wäre ein beschwörendes Wort nichtig und wirkungslos gewesen. Daran wollte ich erinnern, damit niemand wage, dem Paulus übertriebene Eile vorzuwerfen, weil er den unreinen Geist so heftig angriff. Er tat nichts ohne Antrieb des Geistes und erhob seine Hand erst, als er sie mit himmlischer Kraft gerüstet fühlte. Doch scheint er sich zu widersprechen, indem er anderwärts erklärt (Phil. 1, 18), dass er sich freue, wenn auf jede Weise das Evangelium gefördert wird, auch durch verkehrte Leute, die ihn absichtlich verhasst zu machen strebten. Demgegenüber ist zu sagen, dass die Sache hier anders liegt, da jedermann hätte annehmen müssen, dass der Wahrsagergeist des Mädchens mit Paulus unter einer Decke stecke; dadurch wäre die Lehre des Evangeliums nicht nur verdächtig, sondern zum reinen Spott geworden. In der gleichen Absicht hieß auch Christus einen Dämon schweigen, obwohl er doch sonst zuweilen zuließ, dass sein Name durch unwürdige Menschen gepriesen werde (Mk. 1, 25; Lk. 4, 35).

Ich gebiete dir in dem Namen Jesu Christi. Die Ausdrucksweise ist bemerkenswert. Entsprechend dem doppelten Zweck des Wunders, die Kraft Christi kundwerden zu lassen, dabei aber zu bezeugen, dass er mit dem Gaukelwerk Satans nichts zu schaffen habe, schreibt Paulus Herrschaft und Macht allein dem Herrn Christus zu; er selbst will nur der Diener sein. Zum andern stellt er Christus deutlich dem Dämon gegenüber, damit aus diesem Widerstreit jedermann auf den feindlichen Zwiespalt schließe, der zwischen ihnen besteht. Es empfahl sich, viele, welche dem rohen Betrug sich hingegeben hatten, aufzuwecken, damit sie durch solche kräftige Reinigung den Weg zu gesundem Glauben fänden.

V. 19. Da aber ihre Herren sahen usw. Derselbe Teufel, der soeben noch durch den Mund des Mädchens den Paulus mit seinen Lockungen schmeichlerisch zu berücken suchte, stachelt jetzt ihre Herren zur Wut gegen ihn, dass sie ihn zum Tode schleifen sollen. Er spielt also eine neue Rolle, und zwar ein Trauerspiel, weil er mit dem bisherigen Spiel nichts erreicht hatte. Gewiss war es nun der glühende Eifer des Paulus, der den Sturm der Verfolgung erregt hatte; daraus aber darf man ihm keinen Vorwurf machen. Auch Paulus selbst ließ sich das Wunder nicht gereuen, noch wünschte er ungeschehen, was geschehen war; denn er hatte ein gutes Gewissen darüber, durch wessen Antrieb er den Geist aus dem Mädchen ausgetrieben hatte. Wir entnehmen daraus die Lehre, dass man wegen eines etwaigen unglücklichen Ausganges nicht leichthin verdammen darf, was richtig getan und nach Gottes Befehl unternommen ward. In solchem Falle prüft eben der Herr die Standhaftigkeit der Seinen, bis endlich ein frohes und glücklicheres Ende alle Traurigkeit verscheucht. Was aber auf menschlicher Seite die Wut gegen Paulus veranlasste, sagt Lukas ausdrücklich: man sah sich in der Hoffnung auf schändlichen Gewinn getäuscht. Obgleich übrigens die Herren des Mädchens durch bloße Habsucht zum Hass gegen die Diener des Evangeliums gereizt wurden, bedienen sie sich doch des schönen Vorwands, dass sie Schmerz empfänden über die Störer der öffentlichen Ordnung und des Friedens, sowie über die Versetzung der geltenden Gesetze. So pflegen Menschen, deren böse Begier offenkundig zutage liegt, mit eiserner Stirn etwas vorzubringen, was ihren hässlichen Sinn verhüllen soll.

V. 20. Diese Menschen machen unsere Stadt irre. Mit großer Verschlagenheit wurde diese die Knechte Christi belastende Anschuldigung ersonnen. Denn auf der einen Seite wendet man den römischen Namen vor, der in höchster Gunst stand. Auf der anderen Seite muss der jüdische Name, der damals als ehrlos galt, zur Schürung der Missgunst dienen. Denn im Punkte der Religion waren die Römer mit jedem beliebigen andern Volk näher verwandt als mit dem jüdischen. Ein Römer durfte sich in Griechenland, Asien oder andern Gegenden, wo nur die Götzen etwas galten und der Aberglaube im Schwange ging, am Kultus beteiligen. Satan stimmt ja trotz der verschiedenen Formen, in die er sich kleidet, leicht mit sich selbst zusammen; die einzig wahre Religion in der Welt dagegen war den Römern ein Gräuel. Eine dritte Verleumdung schmiedet man aus dem Verbrechen des Aufruhrs und behauptet, dass Paulus und seine Begleiter den öffentlichen Frieden stören. Unter demselben Titel wurde auch die gehässige Anklage gegen Christus erhoben (Lk. 23, 5). Auch jetzt wissen die Papisten, um Hass gegen uns zu schaffen, nichts Eindrücklicheres vorzutragen, als dass sie schreien, unsere Lehre ziele auf Revolution und müsse endlich zum schmählichen Umsturz aller Dinge führen. Aber diesen falschen Leumund dürfen wir nach Christi und des Paulus Beispiel kühnlich verachten, bis endlich der Herr die Bosheit unserer Feinde ans Licht bringen und ihre Unverschämtheit an den Pranger stellen wird.

V. 21. Eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen. Man stützt sich auf ein Vorurteil, damit die Sache ja nicht erwogen und erörtert werde. In diesem Stil verfahren auch heute die Papisten mit uns: dies und das ist durch lange Gewohnheit gebilligt, durch die Zusammenstimmung von tausend Zeitaltern geheiligt! Doch wozu dient solche Rede, als dem Worte Gottes sein Ansehen zu nehmen? Man brüstet sich mit menschlichen Beschlüssen und nimmt dabei den göttlichen Gesetzen auch den letzten Platz. Wie weit solche Vorurteile gelten dürfen, kann man aus unserer Stelle abnehmen. Die römischen Gesetze waren vortrefflich, aber die Religion hängt an Gottes Wort allein. Darum müssen wir in dieser Sache stets darauf gespannt sein, dass die Menschen sich fügen, dass Gottes Ansehen allein gebiete und alles sich unterwerfe, was in der Welt hervorragt.

V. 22. Und das Volk ward erregt. Dass ein Volksaufstand entsteht, sobald nur ein paar gewinnsüchtige Gaukler, deren schmutziger Sinn doch allgemein bekannt ist, Lärm schlagen, ist ein Fingerzeig dafür, wie maßlos die Welt gegen Christus anstürmt. Freilich ist Torheit und leichte Erregbarkeit ein allen Völkern gemeinsames und fast immer vorhandenes Laster; aber darin verrät sich die wunderbare Macht Satans, dass Leute, die in andern Stücken bescheiden und ruhig sind, plötzlich um nichts aufbrausen und sich den unwürdigsten Genossen anschließen, sobald es gilt, Gottes Wahrheit zu bekämpfen. Selbst die Richter beweisen keine größere Mäßigung, wenigstens nicht in Anbetracht dessen, was ihre Pflicht gewesen wäre. Hätten sie doch durch ihre Würde die Volkswut niederschlagen und sich der Gewalt scharf entgegenstellen, auch die Unschuldigen mit ihrem Schutz decken müssen. Dagegen ergreifen sie dieselben in aufgeregter Weise, zerreißen ihre Kleider und lassen sie ohne Verhör nackt mit Ruten schlagen. Sicherlich ist die Bosheit der Menschen tief zu beklagen, die es zustande brachte, dass fast alle Richterstühle der Welt, die Heiligtümer der Gerechtigkeit sein sollten, durch einen gottlosen und heiligtumsschändenden Kampf wider das Evangelium befleckt wurden. Indessen fragt es sich, zu welchem Zweck die Apostel ins Gefängnis geworfen wurden, da an ihnen doch schon die Strafe vollzogen war: denn das Gefängnis ist zur Verwahrung eingerichtet; man bedient sich desselben, bis eine genauere Untersuchung stattgefunden hat. So sehen wir denn, dass die Knechte Christi unmenschlicher behandelt werden als Ehebrecher, Räuber und sonstige Missetäter. Umso deutlicher lässt sich hier jene Macht Satans spüren, welche die Gemüter der Menschen anreizt, dass sie in der Verfolgung des Evangeliums auch jeden Schein des Rechts preisgeben. Sind nun aber auch die Frommen, die für Christi Wahrheit eintreten, in üblerer Lage als die Gottlosen bei ihren Verbrechen, so dürfen sie doch Herrliches erleben, weil sie bei allem Unrecht, das sie tragen müssen, ruhmreich vor Gott und seinen Engeln triumphieren. Sie erdulden Schmach und Schande; da sie aber wissen, dass die Wundenmale Christi im Himmel mehr Wert und Gewicht haben ald der eitle und flüchtige Prunk dieser Welt, so muss jede ungerechte und schmachvolle Behandlung in der Welt ihnen reicheren Stoff zum Rühmen bieten. Unser Anführer hat das Kreuz, welches verflucht war, in einen Triumphwagen verwandelt; so wird er auch das Gefängnis und den Galgen der Seinen schmücken und sie daselbst über den Satan und alle Gottlosen triumphieren lassen.

23Und da sie wohl gestäupet hatten, warfen sie sie ins Gefängnis und geboten dem Kerkermeister, dass er sie wohl verwahrete. 24Der, da er solch Gebot empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Stock. 25Um die Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobeten Gott. Und es höreten sie die Gefangenen. 26Schnell aber ward ein großes Erdbeben, also dass sie bewegeten die Grundfesten des Gefängnisses. Und von Stund an wurden alle Türen aufgetan und alle Bande los. 27Als aber der Kerkermeister aus dem Schlafe fuhr und sah die Türen des Gefängnisses aufgetan, zog er das Schwert aus und wollte sich selbst erwürgen; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28Paulus aber rief laut und sprach: Tu dir nichts Übels; denn wir sind alle hie.

V. 23. Dass er sie wohl verwahrete. Dass die Obrigkeit den Paulus und Silas so streng verwahren lässt, geschieht in der Absicht, über ihre Sache genauer zu erkennen; denn um den Aufruhr zu stillen, hatte man sie mit Ruten geschlagen. Das ist es, was sich soeben sagte: die Welt stürmt wider die Diener des Evangeliums in so blinder Wut an, dass sie in ihrer Strenge kein Maß mehr zu halten weiß. Wie wir übrigens an diesem Beispiel trefflich sehen können, wie unwürdig man einst die Zeugen Christi aufnahm, so ist nicht minder zu wissen nützlich, was Lukas nunmehr von ihrem tapferen Dulden berichtet (V. 25; vgl. auch 5, 41). Man hatte sie mit Fesseln gebunden, und doch beteten sie und lobeten Gott. Sie ließen sich also weder durch die Schmach, die sie getroffen hatte, noch durch die Schmerzen, die ihr Fleisch drückten, noch durch die Tiefe des gräulichen Kerkers noch durch die drohende Todesgefahr abhalten, frisch und mit frohem Mute dem Herrn Dank zu sagen. Auch abgesehen von dieser besonderen Lage entnehmen wir hier die allgemeine Regel, dass man in richtiger und ziemlicher Weise nur beten kann, wenn man dabei Gott lobt. Freilich wird der Eifer zum Gebet aus dem Gefühl unseres Mangels und des Übels geboren, verbindet sich daher fast immer mit Schmerz und Angst des Gemüts. Indessen müssen die Gläubigen ihre Stimmungen derartig in Zucht halten, dass sie nicht wider Gott murren. Ein rechtes Gebet verbindet also zwei scheinbar sich ausschließende Stimmungen: die Angst und Traurigkeit, die aus dem Gefühl der uns drückenden Not erwächst, und die Freude, die aus der gehorsamen Unterwerfung unter Gott kommt, sowie aus der Hoffnung, die uns den nahen Hafen vor Augen stellt und darum mitten im Schiffbruch uns erquickt. Solches Gebet schreibt uns Paulus vor, wenn er sagt (Phil. 4, 6): „Lasset eure Bitten mit Danksagung vor Gott kundwerden!“

Und es höreten sie die Gefangenen. Wir müssen wissen, dass Paulus und Silas mit lauter Stimme beteten, um die Zuversicht ihres guten Gewissens auch den Mitgefangenen zu zeigen. Sie hätten ja, wie sie es wohl gewohnt waren, mit stillem Seufzen des Herzens ihre Gebetswünsche vortragen oder mit unterdrückten Worten zum Herrn beten können. Warum also erheben sie ihre Stimme? Sicherlich tun sie das nicht prahlerisch, sondern wollen das Bekenntnis ablegen, dass sie im Vertrauen auf ihre gute Sache ihre Zuflucht ungescheut zu Gott nehmen. So liegt in ihrem Gebet ein Bekenntnis des Glaubens beschlossen, welches im Allgemeinen zum Vorbild dient und insbesondere die mitgefangenen Übeltäter, sowie das Haus des Gefängniswärters zur Betrachtung des Wunders vorbereitete.

V. 26. Schnell aber ward ein großes Erdbeben. Indem Gott dies sichtbare Zeichen geschehen ließ, wollte er erstlich für seine Knechte sorgen und sie ganz deutlich wissen lassen, dass ihr Gebet erhört war; doch zielte er dabei auch auf die andern ab. Er hätte ja ohne Erdbeben den Paulus und Silas aus den Fesseln befreien und die Türen öffnen können. Aber jene Zugabe trägt nicht wenig zu ihrer Rechtfertigung bei, indem Gott ihnen zugute Luft und Erde erschüttert. Zum andern mussten der Gefängnishüter und die andern Leute Gottes Gegenwart spüren, damit sie das Wunder nicht für einen Zufall hielten. Ohne Zweifel hat der Herr damals einen Erweis seiner Kraft gegeben, der allen Zeiten von Nutzen sein sollte: die Gläubigen sollen bestimmt wissen, dass er ihnen nahe sein wird, so oft es gilt, Kämpfe und Gefahren für die Verteidigung des Evangeliums zu ertragen. Dabei hält er sich doch nicht immer an dieselbe Weise, dass er etwa seine Gegenwart mit handgreiflichen Zeichen kundtäte, und wir dürfen ihm auch kein Gesetz vorschreiben. Denn eben darum half er den Seinen einst mit handgreiflichen Wundern, damit wir uns heute mit seinem verborgenen Gnadenwirken zufrieden geben.

V. 27. Als aber der Kerkermeister usw. Der Mann wollte sich den Tod geben, um der Todesstrafe zuvorzukommen; denn die Verteidigung, dass die Türen des Gefängnisses sich von selbst geöffnet hätten, wäre lächerlich gewesen. Doch, so ließe sich fragen, wenn Paulus sieht, dass ein Selbstmord des Kerkermeisters ihm Hoffnung auf Flucht gibt, warum gebietet er Einhalt? Scheint er doch auf diese Weise die göttlich dargebotene Befreiung von sich zu stoßen; ja es scheint ein bloßer Spott, dass Gott den Gefängnishüter aufwecken wollte, ohne dass ein weiterer Gebrauch von dem Wunder gemacht werden sollte. Ich antworte, dass man hier auf Gottes Absicht achten muss: er hat den Paulus und Silas zu besiegeln, bei den andern aber Christi Namen zu verherrlichen. Er antwortet also dem Gebet des Paulus und Silas, indem er zeigt, dass ihm Macht genug zur Verfügung steht, sie zu befreien, so oft es ihm gut scheint, dass nichts ihn hindern kann, nicht bloß bis in Gefängnisse zu dringen, sondern auch bis in die Gräber, um die Seinen dem Tode zu entreißen. Dem Petrus hat er, wie wir sahen (12, 10), die Türen des Gefängnisses zu einem andern Zweck geöffnet; jetzt aber hat er für die Rettung des Paulus und Silas eine andere Weise. Darum wollte er sie durch das Wunder nicht sofort hinausführen, sondern ihnen für später einen kräftigen Wink geben. Weiter erinnere man sich an das, was ich sagte, dass die Öffnung des Gefängnisses auch auf die andern abzielte: es sollte vor vielen Zeugen bekannt werden, dass Gott sich freundlich zu der Lehre stellte, die durch ein ungerechtes Vorurteil belastet war. Paulus hatte dafür ohne Zweifel eine Empfindung, bewegte sich also nicht von der Stelle, als er von den Fesseln frei geworden war. Die Flucht stand ihm offen; warum zögert er? Etwa, weil er Gottes Gnade verachtet, oder weil er das Wunder durch seine Trägheit unwirksam machen will? Wenn dies nicht glaublich ist, so ziehen wir den Schluss, dass Gott ihn zurückhielt, wie ja der Herr in schwierigen Dingen die Gedanken der Seinen zu lenken pflegt, dass sie ihm folgen, zuweilen mit, zuweilen ohne Einsicht in das, was zu tun nötig ist, und dass sie ihre Schranken nicht überspringen.

29Er forderte aber ein Licht und sprang hinein und ward zitternd und fiel Paulus und Silas zu den Füßen 30und führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was soll ich tun, dass ich selig werde? 31Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig. 32Und sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 33Und er nahm sie zu sich in derselbigen Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sich taufen und alle die Seinen alsobald. 34Und führte sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er an Gott gläubig geworden war.

V. 29. Und ward zitternd usw. Zum Gehorsam gegen Gott trieb den Kerkermeister nicht nur die Furcht; er war auch durch das Wunder vorbereitet. So wird deutlich, wie nützlich es den Menschen ist, von ihrer stolzen Höhe herabgestürzt zu werden, damit sie lernen, sich dem Herrn zu unterwerfen. Der Kerkermeister war in seinen abergläubischen Vorstellungen alt geworden; er hätte also alles, was Paulus und Silas sagten, hochmütig verachten können, zumal er sie ja schimpflich in den engen Kerker hinab gestoßen hatte. Jetzt macht ihn die Furcht gelehrig und sanftmütig. So oft also der Herr schlägt oder mit irgendeiner Verwirrung trifft, sollen wir wissen, dass es geschieht, um uns aus übergroßer Höhe auf das rechte Maß herabzudrücken. Verwunderlich aber ist, dass es keinen Tadel erfährt, wenn der Mann dem Paulus und Silas zu den Füßen fiel. Wie kann Paulus übersehen, was Petrus bei Kornelius durchaus nicht duldete (10, 26)? Ich antworte, dass Paulus den Kerkermeister gewähren ließ, weil er wusste, dass ihn nicht der Aberglaube, sondern die Furcht vor dem göttlichen Gericht zu solcher Selbstdemütigung trieb. Es handelte sich um einen geläufigen Ausdruck der Ehrfurcht. Insbesondere bei den Römern war es eine feierliche Gewohnheit, dass man demjenigen zu Füßen fiel, den man demütig um etwas ersuchen oder von dem man Verzeihung erbitten wollte. Paulus hatte also keinen Grund, sich gegen einen Menschen zu entrüsten, den einfach Gott gedemütigt hatte. Hätte jener etwas gegen Gottes Ehre begangen, so würde er des Eifers nicht vergessen haben, den er zuvor bei den Lykaoniern bewies. So schließen wir aus seinem Schweigen, dass diese Form der Verehrung nicht gegen die Frömmigkeit noch gegen Gottes Ehre verstieß.

V. 30. Liebe Herren, was soll ich tun? Der Man bittet um Rat in einer Weise, die zeigt, dass er gehorsam sein will. Wir sehen also, dass er ernstlich ergriffen und nun bereit war, dem Befehl der Leute zu folgen, die er noch vor wenigen Stunden unmenschlich gefesselt hatte. Wenn unfromme Menschen Wunder sehen, erschrecken sie oft für einen Augenblick, werden aber dann, wie es bei Pharao ging, nur umso widerspenstiger; wenigstens lassen sie sich durchaus nicht zur Übergabe an Gott zähmen. Nachdem aber dieser Kerkermeister Gottes Macht erkannt hatte, erschrak er nicht nur ein wenig, um dann zum früheren Trotz zurückzukehren, sondern zeigte sich dem Herrn gehorsam und nach der gesunden Lehre begierig. Er fragte nach der Weise, das Heil zu erlangen. Daraus ersieht man noch deutlicher, dass er nicht bloß durch eine flüchtige Furcht vor Gott plötzlich erschüttert, sondern wahrhaft gedemütigt ist, so dass er sich nun den Dienern Gottes als Schüler anbietet. Er wusste, dass sie lediglich darum ins Gefängnis geworfen waren, weil sie die volkstümliche Religion angriffen; jetzt ist er bereit, auf ihre Lehre zu merken, die er vorher verachtet hatte.

V. 31. Glaube an den Herrn Jesum Christum. Es ist eine kurze und scheinbar nur zu selbstverständliche und doch erschöpfende Beschreibung des Heilsweges, dass man an Christus glauben soll. Denn dieser eine Christus schließt alle Seligkeiten und das ewige Leben vollkommen in sich und bietet sie uns durch das Evangelium an; wir aber ergreifen sie im Glauben, wie ich zu 15, 9 dargelegt habe. Zwei Stücke sind hier zu bemerken. Erstlich ist Christus der einzige Zielpunkt des Glaubens; die Gedanken der Menschen können also nur unstet umherschweifen, wenn sie von ihm ablenken. Zum andern ist zu bemerken, dass es zum Heil ausreicht, wenn wir nur Christus durch den Glauben ergreifen. Doch beschreibt das nächste Glied, welches Lukas alsbald beifügt, das Wesen des Glaubens noch genauer. Paulus und Silas heißen den Kerkermeister an den Sohn Gottes glauben. Aber begnügen sie sich mit diesem einen knappen Wort? Ganz im Gegenteil fügt Lukas im weiteren Bericht hinzu (V. 32): und sagten ihm das Wort des Herrn. Wir sehen also, wie der Glaube nicht eine oberflächliche und unfruchtbare Meinung betreffs unbekannter Dinge ist, sondern eine klare und deutliche Erkenntnis Christi, die man aus dem Evangelium schöpft. Wo keine Predigt des Evangeliums ist, wird auch kein Glaube Bestand behalten. Alles in allem: Lukas verbindet den Glauben mit der Predigt und der Lehre, und nachdem er kurz des Glaubens Erwähnung getan, berichtet er erläuternd über seine wahre und rechte Art. Statt des unentwickelten Glaubens, von welchem die Papisten schwätzen, wollen wir also den aus Gottes Wort entwickelten Glauben festhalten, der uns die Kraft Christi zur Entfaltung bringt.

V. 33. Und er ließ sich taufen und alle die Seinen. Wiederum lobt Lukas den frommen Eifer des Kerkermeisters, weil er sein ganzes Haus dem Herrn weihte. Darin erstrahlt auch Gottes Gnade, welche die ganze Familie alsobald zu frommer Eintracht herbeiführte. Zugleich aber wollen wir auf die merkwürdige Veränderung achten. Soeben noch wollte der Kerkermeister sich den Tod geben, weil er den Paulus und die andern geflohen wähnte; jetzt lässt er die Furcht fahren und führt sie aus freien Stücken in sein Haus. So sehen wir, wie der Glaube Leute zu wackerem Handeln ermutigt, die zuvor kein Herz hatten. Wenn Furcht und Zweifel uns lähmen, können wir unsere Zuversicht am besten darauf gründen, dass wir alle unsere Sorgen in Gottes Schoß werfen. Keine Gefahr wird uns mehr abschrecken, unsere Pflicht zu tun, wenn wir von Gott den Ausgang erhoffen, den er selbst als nützlich zuvor ersehen hat.

V. 34. Und freute sich, dass er gläubig geworden war. Zuvor wurde das äußere Bekenntnis des Glaubens bei dem Kerkermeister gelobt; jetzt wird die innere Frucht des Glaubens beschrieben. Indem er die Apostel gastfreundlich aufnahm und keine Strafe dafür fürchtete, dass er Leute in seinem Hause gütig behandelte, gegen die ihm ein obrigkeitlicher Auftrag geworden war, bezeugte er, dass sein Glaube nicht müßig blieb. Die Freude aber, von der Lukas hier spricht, ist ein einzigartiges Gut, das jedem einzelnen aus seinem Glauben zuwächst. Es gibt keine schwerere Qual als ein böses Gewissen; denn wenn auch ungläubige Menschen sich auf allerlei Weise abzustumpfen versuchen, so müssen sie doch zittern, weil sie keinen Frieden mit Gott haben. Spüren sie auch augenblicklich keine Qualen, ja toben sie in taumelnder und zügelloser Lust, so sind sie doch niemals ruhig, noch genießen sie wirkliche Freude. Eine echte und beständige Freude stammt allein aus dem Glauben, wenn wir unseres gnädigen Gottes genießen. Darum sagt Sacharja (9, 9): „Tochter Zion, freue dich sehr und jauchze, siehe, dein König kommt!“ Überhaupt schreibt die Schrift immer wieder dem Glauben die Wirkung zu, die Seelen zu erheitern. Darum sollen wir wissen, dass der Glaube nicht eine hohle und tote Einbildung ist, sondern eine lebendige Empfindung der Gnade Gottes, die infolge der Gewissheit des Heils echte Freude mit sich bringt. Es ist billig, dass unfromme Leute, welche den Gott des Friedens fliehen und alle Gerechtigkeit auf den Kopf stellen, solche Freude nicht haben.

35Und da es Tag ward, sandten die Hauptleute Stadtdiener und sprachen: Lass die Menschen gehen. 36Und der Kerkermeister verkündigte diese Rede dem Paulus: Die Hauptleute haben hergesandt, dass ihr los sein sollt; nun ziehet aus und gehet hin mit Frieden! 37Paulus aber sprach zu ihnen: Sie haben uns ohne Recht und Urteil öffentlich gestäupet, die wir doch Römer sind, und in das Gefängnis geworfen und sollten uns nun heimlich ausstoßen? Nicht also; sondern lasset sie selbst kommen und uns hinausführen. 38Die Stadtdiener verkündigten diese Worte den Hauptleuten; und sie fürchteten sich, da sie höreten, dass sie Römer wären; 39und kamen und redeten ihnen zu, führeten sie heraus und baten sie, dass sie auszögen aus der Stadt. 40Da gingen sie aus dem Gefängnis und gingen zu der Lydia. Und da sie die Brüder gesehen hatten und getröstet, zogen sie aus.

V. 35. Und da es Tag ward usw. Man fragt, woher die plötzliche Veränderung ihrer Absicht bei den Richtern kommt. Tags zuvor hatten sie den Paulus und Silas fesseln lassen, als wollten sie eine harte Strafe an ihnen vollziehen; jetzt lassen sie dieselben ungestraft ziehen. Hätte man sie wenigstens verhört, so hätte möglicherweise eine genauere Einsicht in die Sache sie zur Sanftmut und zu gesundem Sinn zurückgeführt. Es ist aber offenkundig, dass die Sache noch genau so steht wie bisher, und dass sie doch aus freien Stücken andern Sinnes werden. Indessen wird hier nichts anderes berichtet, als was fast immer zu geschehen pflegt, wenn eine Unruhe sich erhebt: nicht nur das Volk braust auf, sondern auch die Lenker lassen sich durch den Sturm fortreißen. Das ist freilich verkehrt. Aber bekannt sind die Verse Virgils1):

Wie bei einem gewaltigen Volk, wenn zuweilen ein Aufruhr
Anhebt und voll Trotzes der niedere Pöbel umhertobt,
Fackeln fliegen und Steine bereits, Wut reichet die Waffen.
Wenn sie dann einen Mann von Verdienst und würdiger Tugend
Plötzlich ersehen, schweigt alles; sie stehn mit lauschenden Ohren,
Und er lenkt ihr Gemüt und erweicht durch Reden die Herzen.

Also ziemt sich nichts weniger, als dass in einem aufbrausenden Tumult mit dem Volk auch die Richter den Kopf verlieren; aber es pflegt doch so zu sein. Als also jene Obersten die Erregung des Volks sahen, dünkte es sie Grund genug, die Apostel schlagen zu lassen; jetzt aber sehen sie sich mit Scham und Schande gezwungen, die Strafe für ihren Leichtsinn auf sich zu nehmen. Vielleicht haben sie nach dem Ursprung des Tumults geforscht und gemerkt, dass Umherläufer ihn verschuldet hatten. Darum lassen sie den Paulus und Silas verspätet los, nachdem sie sich von ihrer Unschuld überzeugt hatten. Die Stadtdiener, buchstäblich „Stabträger“, sind die bei den Römern so genannten Liktoren, deren Abzeichen mit einem Beil zusammengebundene Stäbe oder Ruten waren.

V. 37. Sie haben uns öffentlich gestäupet usw. Zwei Stücke bringt Paulus zu seiner Verteidigung vor: dass man ihn als einen Römer geschlagen habe, sodann dass dies wider die Ordnung des Rechts geschehen sei. Dass Paulus römischer Bürger war, werden wir später sehen. Es war aber durch die Lex Portia2), die sempronischen und viele andere Gesetze streng vorgebeugt worden, dass die Gewalt über Leben und Tod eines römischen Bürgers keinem andern als dem Volk zustehen solle. Indessen könnte man sich wundern, dass Paulus nicht auf seinem Recht bestand, bevor man ihn mit Ruten schlug. Wahrscheinlich hat man ihn inmitten der Aufregung des Tumults nicht gehört. Wollte nun jemand einwenden, dass Paulus jetzt zu spät und unzeitig nach Abhilfe rufe, ja einen törichten und hohlen Trost suche, indem er verlangt, dass die Männer der Obrigkeit in Person kommen sollen, so liegt auch dafür die Antwort bereit: gewiss wurde die künftige Lage des Paulus dadurch nicht besser; aber es war auch durchaus nicht seine Absicht, für seinen persönlichen Vorteil zu sorgen, sondern allen Frommen für die Zukunft eine gewisse Erleichterung zu erwirken, so dass die Obrigkeit nicht mehr wagte, mit gar zu starker Willkür gegen gute und unschuldige Brüder zu wüten. Wo wollen wir uns einprägen, dass wir bei einer Beleidigung das Unrecht nicht vergelten, sondern uns lediglich Mühe geben sollen, die Laune der Menschen im Zaum zu halten, dass sie nicht andern in ähnlicher Weise schaden.

V. 38. Sie fürchteten sich, dass sie Römer wären. Das quält sie nicht, dass sie ungerechterweise gegen unschuldige Menschen ohne Verhör gewütet hatten; solange sie keinen menschlichen Rächer zu fürchten brauchten, lassen sie sich durch Gottes Gericht nicht bewegen. Dass man ihnen Ungerechtigkeit vorwirft, können sie ruhig anhören. Nur vor dem römischen Richtbeil fürchten sie sich, weil sei an dem Leibe eines Bürgers die Freiheit verletzt hatten. Sie wussten, dass dies für die obersten Staatsbeamten verhängnisvoll werden konnte, - was vollends musste nun den Vorstehern einer einzigen Kolonialstadt geschehen? So ist es mit der Furcht gottloser Leute, deren Gewissen Gott gegenüber abgestumpft ward; sie lassen sich zügellos in allen Sünden gehen, bis ihnen Rache von menschlicher Seite droht.

V. 40. Da sie die Brüder gesehen hatten usw. Man hatte sie gebeten, sich sofort zu entfernen; aber sie nahmen auf die Brüder Rücksicht, damit nicht der noch zarte Same des Evangeliums verloren gehe. Auch wären sie ohne Zweifel noch länger geblieben, wenn sie gedurft hätten; aber eine Bitte der Obrigkeit ist ein Befehl, hinter dem Waffen stehen, dem man also zu folgen gezwungen ist. Dabei versäumen sie doch nicht die nötige Pflicht, die Brüder zur Standhaftigkeit zu ermahnen. Dass sie aber geradeswegs zu der Lydia gingen, ist ein Beweis, dass jene Frau auch unter einer größeren Schar, als die Gemeinde wuchs, die erste und eifrigste in der Betätigung frommer Pflichten blieb. Das sieht man ganz deutlich auch daraus, dass in ihrem Hause alle Frommen zusammenkamen.

1)
Römischer Dichter zur Zeit des Augustus, in der „Aeneis“ I, 148 ff.
2)
Vielleicht 199 v. Chr. von Markus Portius Cato eingebracht, 123 v. Chr. unter andern volksfreundlichen Gesetzen durch Gajus Sempronius Gracchus wieder eingeschärft.
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