Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (90).

Nr. 90 (C. R. – 416)

Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (90).

Viret war in Bern gewesen. Sebastian Castellio war Lehrer am College de la Rive in Genf. Farel war nach Metz gereist, um dort die evangelische Sache zu fördern. Antoine Froment war als Schulmeister und Straßenprediger der erste Verkündiger des Evangeliums in Genf gewesen. Der Streit zwischen Bern und Genf um die Abtei St. Victor (vgl. 73) war trotz des Schiedsspruchs der Basler noch nicht beigelegt. Das Söhnlein, das Calvins Frau geboren, war schon im ersten Monat gestorben.

Schwierigkeiten mit Castellio und Wandart. Nachrichten aus Navarra.

Ich hätte dir schon früher geschrieben, wenn ich nicht gewusst hätte, dass mein Brief dich doch nicht früher erreiche, als wenn ich ihn bis zu deiner Rückkehr verschiebe. Jetzt, da ich dich nach meiner Berechnung zu Hause vermute, vernimm, was mir eben einfällt. Bald nach deinem Weggang entstanden wunderliche Händel zwischen Sebastian und seinen Schwägern, die mir oft und lang zu schaffen machten, da ich sie durch freundschaftliche Entscheidung beilegen wollte. Diese Rolle hatte ich übernommen, damit sie nicht bis zum öffentlichen Zank kämen, und das Gerücht davon und damit auch ein böser Ruf von der Schule Castellios sich weiter ausbreite. Doch konnte ich es nicht erreichen trotz großem Eifer und Fleiß, dass sie sich nicht gegenseitig verlästerten und so allenthalben zum Stadtgespräch wurden. Als der allgemeine Streit um die Auszahlung der Mitgift beigelegt war, da gabs einen neuen Hader zwischen Sebastian und [seinem Schwager] Pierre besonders, teils um die Vermögensverwaltung, teils um die Wohnung. Ich habe noch nie etwas so Verwickeltes gesehen. Nachdem sie sich untereinander vielfach gezankt, kams zu einer Art Vermittlung, die aber bald neue Uneinigkeit gebären wird. Denn die Gemüter sind hinüber und herüber so erbittert gegeneinander, dass ich kaum zu hoffen wage, es werde je unter ihnen wieder zu einer so engen Freundschaft kommen, wie sie bei Brüdern sein sollte. Jetzt ruht der Sturm allerdings, aber ich fürchte, beim geringsten Anlass wird er plötzlich wieder ausbrechen. Ja, Sebastian hat sich schon bei mir beklagt, seine Besoldung sei nicht ausreichend; er wird aber kaum von den Unsern eine Erhöhung erreichen können. Ich wenigstens zweifle sehr daran und würde es gar nicht zu probieren wagen. Da hast du den Stand unsrer Schule, nur damit du uns nicht beneidest.

Nicolas [Wandart] von Jussy hat uns vor ein paar Tagen auch wieder neue Mühsal gemacht durch seinen Hochmut. Er war nämlich für irgendeinen Menschen, dem nach seiner Meinung Unrecht geschah, als man ihn mit allem Recht ins Gefängnis war, eingetreten. Da nun die Gerichtsherrn seiner Forderung nicht zustimmten, griff er sie in einer scharfen Predigt an. Die Sache wurde dem Rat angezeigt, der freudig die Gelegenheit ergriff, Wandart zu verbannen. Wir sind für ihn eingetreten, nicht um seinetwillen, der wenige Tage vorher lamentiert hat, man überlasse mir viel zu viel, sondern damit der Kirche nicht ein böses Beispiel gegeben wird durch die leichtfertige oder besser überstürzte Ausweisung eines Pfarrers. Sie führen nun die Untersuchung noch weiter und werden dann uns zu Rate ziehen, bevor sie den Spruch fällen. Wenn ich sehe, dass genügende Ursache da ist, ihn abzudanken, so werde ich mich nicht weiter widersetzen. Es ist wunderbar, wie scharf unser Henri [de la Mare] nun über die Verteidigung der Ehre des Pfarramts [gegen den Rat] philosophiert, nämlich weil er selbst uns gegenüber ein so herrliches Beispiel der Prinzipientreue gegeben hat; ich habe das auch gar nicht verschwiegen. Und doch habe ich meiner Pflicht genügt; denn ich habe vor allem bezeugt, dass ich nicht das berücksichtige, was mir geschehen sei, sondern nur, was jetzt geschehen müsse.

Unsere Kollegen fahren ganz erträglich fort in ihren Predigten; aber bei zweien fürchte ich allerlei eitle Lehre. Wer der eine von den beiden ist, merkst du: freilich zeigt er sich viel gemäßigter, als wir erwartet haben. Aber Pierre hat schon einige Zeichen seines Sinnes gegeben, die mir missfallen, wenigstens wenn wahr ist, was mir Geneston berichtet hat. Da wir das noch nicht genügend erprobt haben, so habe ich mich entschlossen, ihn schärfer zu beobachten. Wenn wir uns in ihm getäuscht haben, wo bleibt dann alles Vertrauen? Louis zeigt, wie ich immer gefürchtet, mehr Leichtsinn und Zuchtlosigkeit in Wort und Tat, als sich unserm Amt ziemt. Aber die Zeit wird hoffentlich diesen Fehler bessern, wenn nur nicht das übrige Notwendigere fehlt.

Da du durch Neuchatel gekommen bist auf deiner Reise nach Bern, so denke ich, die Brüder werden dir über Farels Abreise alles mitgeteilt haben, was ich dir aus seinem Briefe sagen könnte; ich schicke aber den Brief mit, damit dir nichts mangle. Froment ist kürzlich von Lyon zurückgekehrt. Er berichtet, die Königin von Navarra sei jetzt bessern Mutes, als je zuvor. Er berichtet das nach ihren eignen Aussagen; denn er hat ein vertrauliches Gespräch mir ihr gehabt. Doch weißt du, dass man nicht leichthin allen Worten dieses Boten glauben darf. Denn er ist von der Ehre so berauscht, dass ihm eine Unterredung mit der Königin erlaubt wurde, dass er das bisschen Verstand, das er noch hatte, nun ganz verloren zu haben scheint. Denn außer andern Dummheiten wollte er mir, als er mir sagte, die Königin wünsche einen Brief von mir, den Inhalt dieses Briefes diktieren und verbot mir, wie wenn er meinem Verstand zu wenig traute, ihn abzuschicken, ohne dass er ihn gelesen und geprüft habe. Er verbreitete auch in der ganzen Stadt, es habe nur ganz wenig gefehlt, so hätte er vor dem König predigen dürfen, und tausend Dinge der Art. Glaube aber nicht, er lüge das alles zusammen; einen Teil von dem, was er erzählt, hat er wirklich von der Königin oder von ihren Dienern. Aber die höfischen Ränkeschmiede haben, als sie den leichtgläubigen Menschen sahen, seine Einfalt zu ihrem Nutzen missbraucht, damit ein solches Gerücht nach Deutschland komme und dem König die gute Meinung der Evangelischen wieder verschaffe, deren starke gegenwärtige Abneigung sie wohl kennen. Unter anderem haben sie ihm auch vorgeredet, der Kanzler werde aus keinem andern Grund gefangen gehalten, als weil er ohne Befehl des Königs das Verbot der [evangelischen] Bücher habe veröffentlichen lassen und befohlen habe, die Evangelischen zu verbrennen. Und was noch mehr? Er hat nicht nur alles geglaubt, sondern für sich noch mehr dazugetan, als er gehört hatte. Frankreich hat ein Heer nach Spanien gesandt, dem, wie man sagt, von der anderen Seite der Türke droht. Der Herzog von Orleans hat bisher noch nichts Denkwürdiges getan als zwei Städtlein niedergebrannt. Freilich ist das ein alter Bericht. Vielleicht ist seither schon viel geschehen. Du weißt, welche Antwort die Berner den Gesandten der Basler gegeben haben. Die Unsern sind nun an der Beratung derselben Sache. Es ist für die Unsern ein schwer zu lösender Knoten, umso mehr, als, wenn man auch unsrerseits alles zugibt, die andere Partei erst zweifelhafte Hoffnung macht. Doch habe ich im kleinen Rat einen Sieg davongetragen. Bitte den Herrn, dass die Sache zu einem glücklichen Ende komme. Es besteht Gefahr, dass, wenn die Sache vor die Volksversammlung kommt, die paar Leute alles verwirren, die du als alte, erfahrene Demagogen kennst. Doch wird der Herr, hoffe ich, die Sache lenken, wenn wir ihn nur fleißig bitten. Lebwohl bester, allerliebster Bruder. Grüße alle Brüder, auch deine Tante und deine Frau. Meine Frau lässt ihr danken für ihren freundlichen, frommen Trostbrief. Denn sie könnte nicht anders antworten als durch meinen Schreiber und wäre beim Diktieren nicht wenig [im Ausdruck ihrer Gedanken] gehindert. Der Herr hat uns ja mit dem Tod unseres Söhnleins einen schweren, herben Schlag gegeben; aber er ist der Vater; er weiß, was seinen Kindern gut ist. Nochmals lebwohl, der Herr sei mit dir. O, könnte ich doch einmal zu dir hinüber laufen! ich wollte gerne einen halben Tag mit dir plaudern.

Genf, 19. August.
Dein
Johannes Calvin.

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