Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (466).

Nr. 466 (C. R. – 2329)

Calvin, Jean - An Bullinger in Zürich (466).

Bullinger hatte Calvin geschrieben, welche Gerüchte über ihn umliefen; erstens er habe persönlich von den Verschwörern durch die Folter falsche Geständnisse erpresst, und zweitens, er agitiere gegen die Erneuerung des Burgrechts mit Bern. Bullinger warnt ihn vor Einmischung in die Politik und erinnert ihn an die Verdienste Berns um die Genfer Freiheit und Reformation. Über die Verschwörer Comparet, Claude Geneve und Daniel Berthelier vgl. 454. Über Melanchthons Verpflichtung zu einer Schrift im Abendmahlsstreit vgl. 460.

Rechtfertigung wegen des Verschwörungsprozesses und der Burgrechtsverhandlungen.

Wenn mir auch dein Brief die unliebsame Kunde brachte von neuen Verleumdungen, die man wieder gegen mich richtet, so war es mir doch lieb, aus ihm zu vernehmen, in welchen Verdacht mich die Bösen bringen, so dass ich mich wenigstens dagegen rechtfertigen kann. Alles zu widerlegen, was täglich erfunden wird, wäre unmöglich. Das meiste ist auch so albern, dass ich mich lächerlich machte, wenn ich mich bemühte, es zu widerlegen. So wird es genügen, dir in Bezug auf die zwei Punkte, die du berührst, auseinanderzusetzen, was daran wahr ist.

Man sagt allgemein, es seine arme Gesellen im Gefängnis durch Folterung zu falschen Geständnissen gezwungen worden, die sie nachher wieder zurückgezogen hätten. Tatsächlich gebe ich zu, dass die vier zum Tode Verurteilten bei der Hinrichtung etwas an ihrem Geständnis änderten. Ob es aber wahrscheinlich ist, dass man ihnen etwas mit Gewalt ausgepresst hat, das beurteile selbst aus dem Tatbestand. Ich war nicht dabei, als man sie verhörte, und obschon man mich zum Leiter des ganzen Verfahrens stempelt, will ich, wenn ich je auch nur als Ratgeber dabei war, für schändlichsten Menschen gehalten werden. Ins Gefängnis ging ich, nicht um den Richtern etwas zuflüstern zu können, sondern gebeten von den Verbrechern selbst, und nachdem ich mir Erlaubnis erwirkt hatte. Aber ich habe bei glaubwürdigen Leuten nachgefragt, und im Vertrauen auf ihre Aussage versichere ich dir ganz bestimmt, gegen die Angeklagten, die schon durch die Zeugenaussagen schwer genug belastet waren, ist keine schärfere Peinigung angewandt worden, als dass sie mit den Armen an einen Strick gebunden ein klein wenig vom Boden in die Höhe gezogen wurden. Einstimmig sagten alle, man habe ihnen eigentlich das Schreckmittel der Folter nur gezeigt. Zwei leibliche Brüder wurden zuerst verurteilt, wenige Tage nacheinander. Die Tatsache war bekannt und durch viele Zeugenaussagen erhärtet, dass sie mit gezogenem Degen ohne allen Grund die Wache angegriffen hatten, dabei aber schrieen, im Hause eines Ratsmitgliedes liege eine bewaffnete Schar verborgen und die Stadt sei von den Franzosen verraten, so dass weithin alle Gassen von diesem Rufe widerhallten. Die beiden hatten mit Perrin und Vandel zu Nacht gegessen; während des Essens flogen mehrere geheime Botschaften hin und her. Auch hatte man nach dem Essen Gespräche beobachtet, die den Verdacht erheblich steigerten. Nachdem die beiden den Tumult begonnen, strömte eine große Masse ihnen zu Hilfe. Der eine wurde aus den Händen des Syndics gerissen. Da die Verschwörung mit Händen fast zu greifen war, musste man da nicht zur Folter schreiten, besonders da sie in aller Ruhe mit den Richtern ihren Spott trieben? Denn bereits waren Botschaften abgefangen worden, die ihnen Mut zum Leugnen machen sollten. Auf die Frage, wer sie ausgesandt habe, leugneten sie, dass der Aufruhr auf Verabredung zustande gekommen sei, sie hätten vielmehr Waffenlärm gehört und seien rasch herzu gelaufen. Aber es war nirgends Lärm und überall ruhige Stille, bis einer aus ihrer Partei, mit dem sie eben noch gesprochen hatten, fast am selben Ort den Diener eines Ratsherrn mit einem Steinwurf getroffen hatte. Böse Gesellen flüstern miteinander; einer schwingt einen Stein und schleudert ihn auf den ersten besten, der ihm in den Weg kommt ohne allen Streit. Die beiden andern ziehen gleich den Degen. Den höchsten städtischen Magistraten verhöhnen sie frech. Von allen Seiten läufts sofort zusammen. Gibt das nicht Verdacht, es sei eine Verschwörung? Sollten die Richter ein so offenkundiges Verbrechen durchgehen lassen, [bloß weil kein Geständnis vorlag]? Rechne noch dazu, dass die beiden nicht leugneten, den Perrin ehrenhalber begleitet zu haben, als er zum Vergnügen auf ein Landgut ganz in der Nähe der Stadt ging, dass unterwegs allerlei böse Reden geführt wurden, dass bei dem Grenzstein, der unser Gebiet von dem Berns scheidet und der etwa einen Steinwurf von Perrins Landgut entfernt steht, dieser gesagt habe, sein Haus werde eine sichere Zuflucht bieten für Kameraden, die in der Stadt etwas begingen, dass er dann, um das Verhandelte geheim zu halten, ihnen Zeichen gemacht habe, zu schweigen, damit es einige angestellte Tagelöhner nicht hörten. Schon nach der ersten Folterung bekannten sie drei und viermal, sie seien absichtlich angestiftet worden. Dann, als ich auf ihre Bitte zu ihnen gerufen wurde, haben mir beide, jeder für sich, das bekannt, was jetzt ein von der Folter abgepresstes Geständnis genannt wird, und zwar freiwillig. Denn ich brachte absichtlich nicht zuerst die Rede darauf, um nicht den Schein zu erwecken, ich wolle mit einem unredlichen Kniff etwas aus ihnen herausbekommen. Beide haben mir das erzählt, was die Richter ihnen abgerungen hatten, und haben mir bei Gott versichert, es sei wahr. Dann, als sie sahen, dass sie sterben mussten, hat sie eine Art Wahnsinn erfasst, einiges wieder abzuleugnen, doch so, dass sie in den Hauptpunkten fest blieben. Daher habe ich, als ich einen der beiden Brüder kurz vor seinem Tod einiges hartnäckig falsch darstellen sah, ihn vor dem ganzen Volke gefragt, ob er mir nicht freiwillig abseits von Richtern und Zeugen genau dasselbe erzählt habe, was aus den offiziellen Prozessakten vorgelesen worden war. Als er das zugab, fragte ich ihn weiter, ob ich ihn mit Drohungen dazu genötigt oder mit lockenden Versprechungen dazu gebracht habe. Er antwortete: „Nichts dergleichen!“ Drauf ich: „Was soll denn das bedeuten, dass du nun einiges zurücknimmst, da doch alles der Art ist? Sieh lieber zu, Francois, dass du jetzt mit reinem Gewissen vor Gottes Richterthron trittst.“ Der zweite, der früher schon seine Mutter misshandelt hatte, in seinem ganzen Leben ein entsetzlicher Verächter Gottes, nahm auch ein klein wenig zurück, verlegte sich aber mehr darauf, die Zeugen mit Schmähungen zu überhäufen. Tatsächlich hat er vor versammeltem Volke ausgerufen: den Lohn habe er nun von der Kameradschaft mit dem Verbrecher Perrin! Der dritte behauptete nach seiner Verurteilung, was er von selbst und zwar mit einem Eide mir und Viret gesagt hatte, sei unwahr und frei erfunden gewesen; es betraf aber ein Verbrechen, das die Richter ihm gar nicht nahe gelegt hatten, sondern das er ganz aus sich hervorbrachte; aber derselbe wollte auch als falsch darstellen, was die beiden Brüder standhaft ihm ins Gesicht behauptet hatten und woran sie bis in den Tod festhielten. Wirklich, wenn ihr Zurücknehmen etwas gelten soll, so darf man auch auf ihr Festhalten einiges Gewicht legen, wo sie sich gegenseitig zu Schanden machen. Der vierte, der gar nicht leugnete, einen Unbekannten, den er für einen Franzosen hielt, mit einem Steinwurf zu Boden gestreckt zu haben, wurde durch mehrfache Zeugenaussagen überführt, dass er kurz vorher gesagt hatte, man müsse zu den Waffen greifen und selbst morden und totschlagen, nur dass der Rat keinen Franzosen in die Bürgerschaft aufnehme; die städtischen Münzknechte, deren Vorsteher er war, bezeugten, er habe sie voriges Jahr unter einem falschen Vorwand ins Rathaus geführt, um einen Tumult gegen Farel zu erregen, und habe auch seither nie aufgehört, immer neue Aufruhrpläne zu schmieden, und dieser Mensch rief, es habe gar keine unrechtmäßige Verschwörung gegeben! Kurz vorher hatte er mir gesagt, er komme um seines frevelhaften Lebens willen mit Recht aufs Schaffot; ein anderes Mittel habe der Herr nicht mehr gehabt, ihn zur Bereuung seiner Sünden zu führen. Durch die neue Unverschämtheit erzürnt, habe ich ihm ruhig gesagt, er möge sich auf das besinnen, was er mir vor kurzem freiwillig gestanden habe. Darauf antwortete er, gegen Gott sei viel gesündigt worden, gegen das Wohl der Stadt nichts. Das war übereinstimmender Vorsatz bei allen, den Vorwurf des Verrats und der Beleidigung der Staatsmajestät von sich abzuwälzen. Aber mochten sie behaupten, was sie wollten, die Tatsache selbst weckte zu dringenden Verdacht gegen sie. Auch war keiner unter ihnen, der nicht den größten Teil der Beschuldigungen stillschweigend anerkannt hat; in einem oder dem andern Punkte nahmen sie ihr Bekenntnis vielleicht wieder zurück, doch so, dass sie einander unter sich die Glaubwürdigkeit absprachen.

Ich komme nun zu der zweiten Verleumdung, die mich nicht weniger beunruhigen und quälen müsste, wenn sie ebenso einleuchtend dargestellt wie boshaft gemeint wäre; aber es ist gut, dass die schlichte Erzählung des Hergangs reichlich genügen wird zu meiner Verteidigung. Das Burgrecht der beiden Städte Bern und Genf ist zwar nur bis zum nächsten Februar geschlossen; da aber unsere Obrigkeit es zu erneuern wünschte, wurden schon vor einiger Zeit deswegen Gesandte nach Bern abgeordnet. Sie erhielten die Antwort, man habe noch Zeit genug, es sich zu überlegen. Damit die Berner nun nicht glaubten, den Genfern läge nicht so viel an ihrer Freundschaft, wurden sie ein zweites und drittes Mal von unsrer Obrigkeit ersucht; ja diese brach während eines halben Jahres ihr eifriges Bemühen nicht ab und bat mit häufigen Gesandtschaften und Briefen um bestimmten Bescheid. Ob nun die Sache von der andern Seite mit Absicht stets hinausgeschoben wurde, weiß ich nicht; sicher ist, dass stets dieselbe Ausrede vorgebracht wurde, der Rat sei eben mit andern Dingen vollauf beschäftigt. Schließlich kam ein Brief, der Berner Rat wünsche unsere Vertragsbedingungen zu wissen. Unverzüglich antwortete man, bei einer Änderung der bisherigen Bestimmungen befürchte man, es werde vielen Zwistigkeiten Tür und Tor geöffnet, und man möchte gerne bei der alten, von Bern selbst diktierten, Burgrechtsformel bleiben. Weil sie aber geschrieben hatten, sie wollten und könnten diese nicht festhalten, fügte man, um sich nachgiebig zu zeigen, bei, sie möchten darlegen, was ihnen der Verbesserung bedürftig erscheine. Kurz darauf kam eine Gesandtschaft mit schriftlichen Änderungsvorschlägen. Der erste Abschnitt handelte vom Schiedsgerichtswesen der verbündeten Städte. Du weißt, bei den Eidgenossen besteht das Recht, dass, wenn ein Zürcher mit einem Berner prozessiert und sich durch den Spruch der ersten Instanz ins Unrecht gesetzt glaubt, so kann er an ein Gericht von aus beiden Orten erwählten Schiedsrichtern appellieren. Das wollten die Berner ganz aus dem neuen Burgrecht streichen; unsere Obrigkeit weigerte sich zwar dessen, erlaubte aber den Bernern eine Einschränkung dieses Rechtes, wenn etwas daran über das Zweckmäßige hinausgehe. Wie gefährlich es für sie gewesen wäre, dieses Appellationsrecht ganz aufgehoben zu sehen, das will ich jetzt nicht erörtern, weil ich mir vorgenommen habe, einfach zu erzählen, was geschehen ist. Bei Streitigkeiten über Staatsangelegenheiten der beiden Städte wollten die Berner es bei dem alten Brauch belassen; aber während bisher der Obmann des Schiedsgerichts aus dem Basler Rat gewählt wurde, so beschränkten sie dieses Amt jetzt auf die beiden Bürgermeister und wollten zugleich die Schwyzer zugezogen haben. Obwohl für diese Änderung kein genügender Grund angegeben wurde, gab unsre Obrigkeit ihre Zustimmung; nur baten sie von den Schwyzern abzusehen, da diese ihnen sehr ferne lägen und auch nicht französisch könnten; sie wünschten, die Zürcher an ihrer Statt zu haben. Für die Sitzungen des Schiedsgerichts schlug Bern bereits einen günstiger gelegenen Ort vor; unsere Obrigkeit erklärte sich bereit, auch darin nachgeben zu wollen.

Der zweite Punkt ist, kein Schuldner dürfe, selbst wenn er sich mit Leib und Leben verpflichtet habe, fortan mehr ins Gefängnis gesetzt werden. Schon vor vierzehn Jahren hatte man diese Aufhebung der Schuldhaft zu erreichen versucht; die Basler Schiedsrichter hatten damals auf Betreiben des Berner Rates leidenschaftlich daran gearbeitet, die Genfer umzustimmen, doch ohne irgendwelchen Erfolg. Es ist unsrer Obrigkeit feste Überzeugung, die Aufhebung dieses Rechtes gefährde die Sicherheit ihrer Stadt. Ja, weil sie sich wohl erinnern, dass ich damals dafür gesprochen habe, den Bernern beizupflichten, so bin ich ihnen auch jetzt als nachgiebig verdächtig. Die Gründe, die sie zur Beschwichtigung der Berner vorbringen, würden ohne Zweifel auch dir als ganz genügend erscheinen.

Drittens wollten die Berner, die vor dreizehn Jahren von den Basler Schiedsrichtern in allerlei Streitigkeiten gefällten Sprüche sollten weiterhin keine Geltung mehr haben. Unsere Obrigkeit weist nach, wie unheilvoll das wäre, womit sie sicher Recht hat, und wünscht also, dass die damalige Schiedsgerichts-Entscheidung volle Gültigkeit behalte. Wohin dieses Verlangen des Berner Rats zielt, weiß man nicht.

Der letzte Punkt ist, dass Genf fest versprechen müsse, mit keinem andern Staate je ein Bündnis abschließen zu wollen. Es ist das zwar schon vor zwanzig Jahren versprochen worden, so dass die Berner Genf in dieser Sache schon genug und übergenug in Pflicht genommen haben; aber jetzt soll es ausdrücklich im Burgrecht geschrieben stehen. Genf aber, das wohl sah, dass man ihm damit mitten in der Unruhe des Kriegs eine Falle gestellt habe, hat schon öfters um Erlass dieser Bedingung gebeten, so dass es ihm freistünde, in vollem Frieden und Einverständnis mit dem Berner Rat auch mit den übrigen Eidgenossen einen Bund zu schließen. Ja, die Berner haben vor neun Jahren versprochen, sie wollten sich alle Mühe geben, dass Genf mit den gleichen Rechten [eines zugewandten Ortes] wie St. Gallen, Mühlhausen und Rottweil zur Eidgenossenschaft zugelassen werde; diese Antwort, vom bernischen Staatsschreiber selbst geschrieben, wurde in Genf aufbewahrt, und so kams, dass man die Berner jetzt bat, ihr Versprechen zu halten. Mit auswärtigen Völkern wolle man nichts zu tun haben; aber das sei zu hart, dass man es Genf verwehre, auf Anschluss an die Eidgenossen zu trachten. Es brauche dazu auch keine lange Beratung, schon am Tag nach Ankunft der Gesandten wurde ihnen dieser Ratsbeschluss mitgeteilt. Du siehst schon, unsere Obrigkeit hat nichts Neues haben wollen; vielmehr hat sie, soweit es das Staatswohl erlaubte, sich den Bernern gefällig erwiesen. Du hast deshalb keinen Anlass, mir mit vielen Worten zu erörtern, wie nützlich für uns das Burgrecht mit Bern sei. Unser ganzer Rat weiß es, und auch einem Teil des Volkes ist es nicht unbekannt, wie treulich ich mich darum bemüht habe, dass man daran festhalte. Wie weit mein Entsetzen vor dem König von Frankreich geht, erhellt zur Genüge aus dem einen Wort, das man nicht nur einmal aus meinem Mund im Rat hören konnte: Wenn nur ein leiser Hauch vom französischen Hofe her zu uns käme, so wäre es das beste, man könnte einen Teil der Häuser abbrechen und eine hohe Mauer bauen, um jede solche verderben bringende Lockung von uns abzuhalten.

So boshaft und ungerecht mich nun sehr viele behandeln, für deren Nutzen ich zu wirken suchte, so mag mich doch ihr Undank nicht abhalten, und ich werde auch keinen Finger breit vom rechten Wege weichen, wie sie zu wünschen scheinen. Wenn nur unsere Amtsbrüder in Bern sich ebenso eifrig bemühten, ihre Obrigkeit [beim Burgrecht] zu erhalten. Willst du, so schicke eine Abschrift dieses Briefes an Haller; wenn ich ertappt werde, nur mit einer Silbe etwas falsch dargestellt zu haben, so will ich mich jeder beliebigen Schande unterziehen. Du aber, wenn du vernimmst, wie krass die Fabeleien meiner Feinde über mich sind, so bedenke in deiner Klugheit und Billigkeit, ob man mehr von mir fordern kann, als ich freiwillig leiste. Ganz mit Recht siehst du klagend ein trauriges, unheilvolles Ende voraus, wenn es zwischen den beiden Städten zu offenem Streite käme; um wie viel mehr sind wir zu bemitleiden, wenn uns ohne unsere Schuld solch ein entsetzliches Unglück bedroht! Das ganze bernische Gebiet spricht bereits von Krieg, Belagerung und Zerstörung Genfs. Fast kein Tag vergeht, ohne dass neue Schreckensbotschaften gemeldet werden, die ich zwar für eitles Geschwätz ansehe; aber viele meinen doch, solches werde nicht ohne Grund von denen stillschweigend gebilligt, die es durch einen Wink verstummen machen könnten. Tatsächlich ist es seltsam, dass man bei so verworrenen Verhältnissen ringsum in der Welt nicht größere Sorge zum Frieden trägt, doch wird hoffentlich der Herr ein Einsehen mit uns haben.

Woher bei Euern alten Eidgenossen der Fanatismus stammt, mit dem sie Euch eben wegen des Wortlauts der Schwurformel zu schaffen machen, ist nicht schwer zu merken. Sie sehen uns eben als ein aufgelöstes Reisigbündel an; da fahren sie also kühnlich mitten drein. Vielleicht macht ihnen auch die Verbindung des Papstes mit dem König von Frankreich Mut. Der Herr stärke durch den Geist unbezwinglicher Kraft Eure Obrigkeit, dass sie hundertmal lieber auf einen leeren Ehrentitel verzichten, als in ihrer Stadt den heiligen Namen Gottes sündhaft entweihen lassen will. Das geschähe tatsächlich, wenn sie sich einen Schwur bei allen Heiligen in ihrem Rathaus abnehmen ließen. Dass die andern bei sich in verkehrter Weise schwören, lässt sich nicht verhindern; aber dass die Evangelischen darin vorangingen und eine götzendienerische Eidesformel annähmen oder sich von andern vorschreiben ließen, das ist durchaus unerlaubt, wie du wohl selbst siehst. Auch zweifle ich nicht daran, dass du, wie es deinem Glauben und deiner Amtspflicht entspricht, sie energisch zum Standhalten ermahnst, und es freut mich, dass du darin guter Hoffnung bist; so will auch ich mich in dieser Hoffnung beruhigen. Doch macht es mir, weil du nur die Berner nennst, ein wenig Bedenken wegen der andern; wie schändlich feig wäre es, wenn sie von Euch abfielen. Ich bin ängstlich gespannt, wie es ausgeht. Doch nun zu anderm. Das Buch Westphals hast du ohne Zweifel gelesen. Bleibe ich dabei, so will ich seine Dummheiten kurz und historisch referierend durchnehmen, damit er sich nicht über zu grobe Behandlung beklagen kann; er ist es nicht wert, dass wir heftig gegen ihn kämpfen. Doch möchte ich wissen, was du mir rätst. Ein anderes, albernes Schriftchen, das unsere Buchhändler nicht [von der Messe] mitgebracht haben, ist erschienen, wie ich aus einem Briefe Herrn Pietro Martire [Vermiglis] erfahre. Die Meinung dieses unseres frommen und gelehrten Bruders erfährst du besser aus dem [beigelegten] Briefe selbst, als dass ich sie dir erst schriebe. Die Einheitsformel, die er wünscht, sollte freilich von allen gern und um die Wette angeboten werden; wie schwer sie aber zu erlangen sein wird, siehst du selbst. Die einzige Art und Weise wird sein, dass die einzelnen Kirchen Abgeordnete wählen zur Abfassung eines Bekenntnisses, das dann wieder den einzelnen Kirchen vorgelegt würde, und dann, wenn es allseitig angenommen ist, mit den offiziellen Unterschriften erscheinen könnte. Euch würde Euer hochweiser Rat dies ohne Mühe gestatten; ebenso würde es bei den Schaffhausern und St. Gallern keinen Anstand geben. Auch die Churer und die andern Bündner würden sich leicht dazu herbeilassen. Wegen Basels hege ich Befürchtungen, weil Sulzer kaum zu einem offenen Bekenntnis zu bringen sein wird. Wie man bei den Bernern ankommen könnte, musst du herausfinden; denn jede Verhandlung über Religionsfragen ist ihnen so verdächtig und verhasst, dass ich keine Hoffnung habe, von ihnen etwas erlangen zu können. Meinst du, man müsse es doch versuchen, so heißt es eben, sich darum bemühen. Wollen die andern aber einer Verteidigung [gegen die neuen Angriffe] ausweichen, so macht es mir auch nicht viel, den ganzen Kampf auf mein Haupt herabzuziehen; nur fürchte ich, es erscheint den andern feige, die gemeine Sache, die in der Person eines einzigen offen angegriffen wird, im Stich zu lassen. Auch darf man nicht warten, bis die Feinde ihre Blitze schleudern. Du siehst, sie rüsten sich schon, den Bannfluch ergehen zu lassen. Wird von unserer Seite nicht eifrig und rasch vorgegangen, so kann man ihnen nicht mehr rechtzeitig entgegentreten.

Über Melanchthon bin ich der gleichen Meinung wie du; er ist langsam, ängstlich und auf seine Ruhe bedacht. Mich hat aber das eine Wort von ihm gute Hoffnung fassen lassen, dass er anerkenne, Gott und seiner Kirche ein solches Werk schuldig zu sein. Denn so frei bekennt er nicht, und so freigebig verspricht er nicht, wenn er nicht bereits Mut gefasst hat. Ich bin gespannt, was er auf meinen letzten Brief antwortet, in dem ich das Fünklein Mannesmut etwas mehr zu entflammen suchte. Da Herr Pietro Martire tatsächlich schreibt, Melanchthon werde allgemein von unsern Gegnern als Kronzeuge angeführt, so habe ich, wenn er jetzt noch schweigt, nicht nur vor, persönlich ihn zur Rechenschaft zu ziehen, sondern dann wird man ihn vielleicht sogar ans Licht der Öffentlichkeit ziehen müssen.

[Genf, 18. Oktober 1555].

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