Calvin, Jean - An Wolfgang Müslin, Professor in Bern (281)

Nr. 281 (C. R. – 1294)

Calvin, Jean - An Wolfgang Müslin, Professor in Bern (281)

Den Waadtländer Pfarrern waren auf Betreiben Hallers und Müslins die wöchentlichen Kolloquien verboten worden. Müslin hatte ein Büchlein Dialoge herausgegeben.

Vom Nutzen der wöchentlichen Kolloquien.

Für deine Dialoge danke ich dir doppelt, erstens, dass du mir ein Exemplar davon persönlich zugesendet hast, und zweitens, dass du dieses Werk, das ich für sehr fruchtbringend halte, der Kirche Christi geschenkt hast.

Indessen wird eine schlimme Botschaft hier verbreitet; den Brüdern im Bernbiet sei verboten worden, zur Besprechung der Schrift zusammenzukommen, wie es bisher üblich war. Ich wills nicht verschweigen, dass dieses Vorgehen, das ganz unkirchlich ist, mich sehr wundert, und es kränkt mich geradezu, dass du und Halles es veranlasst oder gebilligt haben sollen. Diese Zusammenkünfte sind bisher mit großem Nutzen abgehalten worden, und nun verbietet sie der Rat den Brüdern, ohne Untersuchung. Wenn auch das Herkommen, das doch oft ein guter Lehrmeister ist, bei uns nichts gelten soll, so erwägt doch die Sache bei Euch. Ihr werdet gewiss finden, dass der Brauch, der da abgeschafft wird, nicht nur nützlich, sondern geradezu notwendig ist. Da alle Brüder [im Kolloquium] drankommen, so wird ihr Fleiß damit geprüft. Werden sie nachlässig erfunden, so werden sie gemahnt. Man kann dabei erkennen, ob sie es verstehen, geschickt und passend die Schrift dem Volke nahe zu bringen. Die Kolloquien sind auch das beste Band zur Erhaltung der Lehreinheit, weil, wenn man nicht gemeinsam berät, jeder lehren kann, was ihm gefällt. Große Freiheit gibt die Einsamkeit. Wer nur alle Vierteljahre einmal in die Versammlung der Brüder kommt, wird sich in der übrigen Zeit alles Mögliche herausnehmen, ohne Scheu vor dem Urteil und dem Mitwissen der andern. Überhaupt gibt es kein besseres Mittel, die Faulheit zu kurieren, keine bessere Weise, die Einheit der Lehre zu pflegen. Dazu helfen alle mit, sie reden oder sie schweigen. Und nicht allein den Pfarrern ist eine solche Übung von Nutzen, sondern auch sehr viele Gemeindeglieder, die von einem besondern Eifer um das Verständnis der Schrift erfüllt sind, empfinden wenigstens teilweise den Nutzen davon. Es sind vielleicht gerade in Lausanne wenige solche Leute, weil aber das Verbot ein allgemeines ist, so fasse ich das ganze Gebiet ins Auge. Da weiß ich, dass es fromme Leute gibt, die sich auch ihrer Bildung nicht zu schämen brauchen, die ließen sich lieber zwei Predigten nehmen als eine solche Schriftbesprechung, wie sie sie jetzt zu hören bekommen. Wenn manche Kirchen diesen Brauch nicht haben, so ist eben nur zu sagen, dass ihnen damit viel fehlt. Aber die Händel, die aus den Kolloquien entstanden sind, gaben Euch Anlass zum Verbot. Allein das sähe doch nicht nur Eurem Billigkeitsgefühl ganz unähnlich, sondern wäre geradezu unmenschlich, die Schuld auf alle unschuldigen Brüder zu schieben, wenn einer allein gefehlt hat. Dass Zebedee ein eigensinniger, händelsüchtiger Mensch, ja ein gefährliches Tier ist, das ist bekannt. Er hat auf alle mögliche Weise die Lausanner Kirche verwirrt. Als er kein Ende machte mit seinem Zanken, wurde er weggetan. Jetzt aber beschmutzt er die Brüder mit infamer Verleumdung, um den Vorwurf, den er verdient hat, nicht tragen zu müssen. Aber ich will ganz schweigen von dem Unrecht gegen die Brüder; es wird ja [mit dem Kolloquium] schon an sich eine heilige, nützliche Einrichtung abgeschafft überall. Man verbietet den Brüdern ihre gewöhnlichen Zusammenkünfte; wie notwendig sie waren, wird erst recht deutlich werden, wenn man sie nicht mehr hat. Wer diesen Rat zuerst gegeben hat, möge zusehen, wie er es vor Gott verantworten will. Eine schwere Wunde hat er sicher der Kirche geschlagen. Es gab eine Zeit, da man dort täglich von den Kanzeln furchtbare Angriffe einzelner Pfarrer gegeneinander hörte. Warum hat man denn damals denen das Predigen nicht verboten, die ihr Amt so frech missbrauchten? Tatsächlich, ich schäme mich, wenn ich sehe, dass gewisse Leute eine solche Vorliebe für Zebedee haben, dass sie zu seinen Gunsten die Kirche Gottes verachten und ihr ohne Zögern einen großen Schaden zufügen. Denn anders kann ich es nicht beurteilen. Doch ists ja möglich, dass ich mich irre. Du aber verzeih meinem Freimut, wenn ich im Vertrauen auf unsere Freundschaft ganz offen vor dir und Haller ausschütte, was ich auf dem Herzen habe. Ich bin von der Rechtlichkeit Eures Strebens so überzeugt, dass ich sicher annehme, dass Ihr nur den Frieden und die Erbauung der Kirche sucht. Weil wir aber im vorliegenden Fall hier besser sehen, was gut ist, so glaubte ich, es nicht lassen zu dürfen, Euch zur Heilung des Schadens, solange es noch Zeit ist, zu mahnen. Lebwohl, ausgezeichneter Mann und hochverehrter Bruder. Herrn Haller grüße angelegentlich von mir und die andern Kollegen, von denen du weißt, dass mein Gruß sie freut.

Genf, 22. Oktober 1549.
Dein
Johannes Calvin.

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